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Stand my ground

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So.
Ich habe mich jetzt dafür entschieden, dieses Kapitel in zwei Teile zu zerlegen. Ich denke, die Stelle ist ganz passend.

Jevi (Dir danke für die Unterstützung beim Schreiben von Takeshi XD)
Ryo-Baka
Meitantei

Ich hoffe, ihr *approved* das mal so, ja? xD
Bin stolz auf mich - das hat ja echt eine Weile gedauert und ist auch schon so weit fortgeschritten. Das ist ja erst der Anfang... Komplett anzeigen

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Infiltration Teil 1 - conscience

 

Amuro wartete nicht erst ab, er sprang vom Platz auf und knipste das Licht an, so dass sie den kleinen Conan entdeckten. „Sie mal einer an. Da will wohl einer nicht ins Bett“, sagte der Blonde und Conan versuchte sofort wie ein kleines Kind zu klingen, als er zu einem Satz ansetzte „Es is-“

Doch da nahm ihn der Ältere und hob ihn hoch. „Keine Ausreden! Ich bring dich ins Bett!“ Ein freches Grinsen war dem Detektiv gegeben, das dem Jungen Halbmondaugen gab, da er sofort strampelte und versuchte von seinem Arm runter zu kommen. „Nichts da! Hier geblieben! Es ist ein bisschen sehr spät für kleine Kinder! Die Erwachsenen wollen jetzt allein sein, verstanden?“

„Ran-neechan! Du kannst doch nicht mitten in der Nacht hier mit diesem Typ-“

Der 29-jährige stopfte dem Kleinen das Mundwerk, indem er die Hand auf dessen Gesicht presste und dann ein belustigtes Lachen von sich gab. „Das würde dir so passen, du Zwerg! Pass nur auf, dass ich das nicht Onkel Kogoro verrate.“

‚Pass du auf, dass ich dich nicht bei Kogoro verpfeife, dass du dich an seine Tochter ranmachst! Das letzte Mal, dass du ihr zu nahe gekommen bist, war er auch stinksauer.’

Trotzdem wurde der Junge die Treppe hinaufgetragen, ohne dass er viel dagegen machen konnte.

Erst als sie in Conans Zimmer waren, wandte sich Amuro an diesen. „Also – du gehst brav ins Bett und ich verrate Ran nicht, dass du in eine gefährliche Sache verwickelt bist. Einverstanden? Du willst ja nicht, dass sie davon erfährt. Überlass es ruhig mir. Ich sorge dafür, dass sie nicht weiter hinter  dieser Frau her schnüffelt! Du kannst dich voll und ganz auf mich verlassen.“ Er setzte das Kind aufs Bett und grinste gefährlich. „Wenn du weiterhin dein Geheimnis wahren willst, solltest du dich zusammen reißen. Es fehlt nicht mehr viel und auch du fliegst auf, so wie sie. Deine Freundin ist nicht so einfältig, wie du glaubst...“

Die Worte hatten Conans Welt mehr als nur zum Beben gebracht – es stimmte, er hatte alles mitangehört. Wenn Ran ja sogar so schlau war, herauszubekommen, dass Chris Vineyard in Wirklichkeit ihre Mutter Sharon war; da war der Verdacht, dass sie auch herausbekam, wer Conan wirklich war, sehr naheliegend. Schon so oft hatte Ran Drohungen ausgesprochen, weil Shinichi so lange verschwunden war – es schreckte den Jungen jedes Mal aufs Neue ab. Sie konnte gemeingefährlich werden, aber wenn er ihr die Sache erklärte, würde sie es am Ende dann doch verstehen, nicht? Dennoch war er in diesem Moment wieder einmal verängstigt, das sah Amuro, was ihn nur noch mehr grinsen ließ.

Nichtsdestotrotz war Ran seine Freundin und er konnte gefälligst selbst auf sie aufpassen! Conan brauchte einen kleinen Moment, um den Schock zu überwinden, dann senkte sich sein Blick. Dabei wirkte er ein kleines bisschen deprimiert. Die Augen waren versteckt hinter den Brillengläsern, so konnte man diese nicht direkt sehen, schon gar nicht mit dem gesenkten Haupt.

„Amuro-san“, kam ernst und mit tiefer Stimme, so dass dieser, der schon siegessicher zur Tür gelaufen war, den Kopf zu dem Jungen drehte.

Stille. Er sah den Jung-Detektiv an und fragte sich, was er wohl gerade dachte.

„Was denn?“

„Ran soll unter keinen Umständen verletzt werden. Genau das wird geschehen, wenn sie die ganze Wahrheit herausbekommt“, erklärte er dem 29-jährigen, welcher einen Moment stutzte und sich fragte, welche Wahrheit der Kleine in dem Moment wohl meinte. Der Bengel wollte ihm wohl jetzt wirklich ein Versprechen abringen?

Er drehte sich herum und lehnte sich gegen die Wand. In der Dunkelheit des Zimmers konnte Conan Edogawa seine Gefühle wohl gerade so vor ihm verbergen, trotzdem hörte er die Angst vor dieser Sache deutlich heraus.

„Was, von all dem - glaubst du - kann Ran nicht verkraften?“ Diesbezüglich war sich der Blonde wirklich unschlüssig. Zwar war schon klar, dass eine Nachforschung über das Leben eines Organisationsmitglieds eine Gefahr barg – aber etwas an den Worten klang eher nach einer seelischen Verletzung als nach einer körperlichen. „Du machst dir um ihre psychische Verfassung wesentlich mehr Sorgen als um ihre körperliche. Wieso? Diese Leute sind skrupellos, sie würden jeden töten, wenn es sein muss. Aber anscheinend glaubst du, dass etwas anderes schlimmer sein könnte, als körperlicher Schmerz oder gar der Tod.“ Der junge Mann war todernst, weil er den Jungen auch ernst nahm. Dieser wirkte überhaupt nicht wie ein 7-jähriger. Die machten sich um solche Dinge nicht so einen Kopf. „Da muss doch etwas dahinterstecken…“

„Dass Sharon Vineyard ein Doppelleben führte, was sie jetzt beendet hat, ist eine Sache. Die andere Sache ist, was sie noch so tut. Diese hässliche Wahrheit will ich Ran ersparen. Diese Frau ist ihr Idol gewesen und ich weiß ganz genau, wie es sich anfühlt, wenn man von so einer Person enttäuscht wird.“ Es war schon schlimm genug, dass er das seiner Mutter nicht ersparen konnte – sie hatte sich gut im Griff, fand er. Aber Ran würde deswegen wieder nur heulen. So wie damals – damals in New York. Er hatte alles rund um die Geschehnisse dort von ihr fernzuhalten versucht, weil sie so darunter gelitten hatte. Obwohl sie ihn einmal auf das Taschentuch von Sharon angesprochen hatte – von dem er nicht einmal mehr wusste, wo es jetzt war – wollte er diese Person am besten totschweigen. Als wären sie ihr nie begegnet. Dann konnte auch keiner mehr enttäuscht werden. Es konnte doch fast nicht mehr schlimmer werden. Ran wusste, dass Sharon lebte und interessierte sich jetzt für die Person, die sie jetzt war. Sie machte sich Sorgen und glaubte so stark daran, dass es sich dabei um eine gute Person handelte, dass sie ihr helfen wollte…

Es war nur ein kleiner Moment, in dem Toru Amuro wirklich darüber nachdachte, den Jungen zu beruhigen. Ihm zu sagen, dass er so etwas nicht glaubte. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass dem Mädchen irgendein Leid zugefügt wurde. Egal, welches. Sie war ein großes Risiko eingegangen, nur um Angel von einem Tatort fernzuhalten, von dem sie glaubte, dass dieses Mädchen dort Schaden nehmen könnte. „Ich denke, Ran hält einiges mehr aus, als du vielleicht glaubst. Nur weil sie ihre Gefühle auch mal in Form von Tränen zeigt, heißt das nicht, dass sie schwach ist.“

Nun blickte der Junge voller Erstaunen auf. „Ja, aber…“ Shinichi wollte einfach jedes Unheil von Ran fernhalten, so fern es in seiner Macht stand. „Ich will nicht, dass sie die Schatten finden. Die Schatten, die schon mich gefunden haben. Sie ist mir lieb und teuer. Deswegen will ich nicht, dass sie mit dieser Sache auch nur das Geringste zu tun bekommt. Bitte versprich mir, dass Ran unter keinen Umständen in diese Sache mit hineingezogen wird. Sie muss all das nicht wissen. Die kriminellen Machenschaften, in die wir alle geraten sind, sie sind Gift für jedes Herz. So wie ich Ran kenne, würde sie noch versuchen es zu verstehen. Wieso jemand solche Dinge tut, um ungestraft unter einem Decknamen zu agieren.“

„Ungestraft“, wiederholte der 29-jährige gemurmelt und schüttelte dabei den Kopf. „Schon lustig, etwas Ähnliches habe ich vor nicht allzu langer Zeit schon einmal von einer Person gehört.“

Sie sahen sich an, ein Lächeln keimte im Gesicht des Blonden auf. „Unsere spezielle Freundin findet auch, dass man Angel aus allem heraushalten sollte. Ihr darf unter keinen Umständen etwas zustoßen. Man muss sie von jedem Schaden bewahren. Versprichst du mir, dass ihr und ihm  nichts geschieht? Das hat sie gesagt. Andauernd erinnert sie mich daran, dass ich ihr dieses Versprechen gegeben habe. Du kannst also aufhören, dir Sorgen zu machen. Mein Ziel ist, am Leben zu bleiben. Sollte dir oder deiner Freundin etwas zustoßen, sollte ich mich schnell aus dem Staub machen, wenn mir mein Leben lieb ist. DANN hätte ich nichts mehr zu lachen, obwohl ich sie in der Hand habe. Manchmal hat der Verstand Aussetzer, dann hätte ihr Verstand diesen wohl und sie würde jenseits aller Vernunft handeln. DU, Conan Edogawa, hast doch sowieso längst herausbekommen, dass unser Ziel, die Sicherheit von Menschen zu gewährleisten, ist. Also musst du mich nicht um so etwas bitten. Allerdings solltest du Ran nicht unterschätzen. Sie wird dich noch so manches Mal überraschen – dasselbe gilt auch für unsere spezielle Freundin. Ihre Methoden sind sehr rabiat, aber sie verfehlen ihre Wirkung nie. Außerdem ~sometimes it isn’t like it seems~. Merk dir meine Worte, kleiner Detektiv.“

Mit diesen Worten und mit einem verheißungsvollen Funkeln in seinen blauen Augen, zwinkerte Amuro ihm zu und verließ anschließend den Raum. Damit verhinderte er eigentlich nur, dass Conan seine Fassung zurückgewinnen konnte, um ihn weiter auszuquetschen.

Als er die Treppe hinabging – er war fast sicher, dass Conan ihm nicht folgte – grinste er, hatte die Augen geschlossen und ging den Weg blind. Trotzdem wusste er, dass sie am Rande der Treppe stand und das gesamte Gespräch mitangehört hatte. Es sollte ihn eigentlich ärgern, aber er fragte sich eher, wie viel davon sie nun wohl wirklich realisiert, also verstanden hatte. Er sah das Mädchen an, welches ihm diesen fragenden Blick schenkte, er erwiderte diesen mit einem Lächeln. „Ich denke, er wird nun brav schlafengehen. Es ist ja auch schon spät, nicht wahr?“

Ran sah den Detektiv an, dabei nahm das Fragende in ihrem Gesicht nicht ab, so dass sein Lächeln langsam aber sicher erstarb.

„Manchmal redet er wie ein Großer“, flüsterte sie im Dunklen hinter vorgehaltener Hand. „Ist schon süß, wie er sich Sorgen macht. Das muss ja eine ziemlich krasse Sache sein, die er da verschweigt, oder? Diese spezielle Freundin, ist das die Person mit Namen Vermouth?“ Nun wirkte Ran wie eine Geheimniskrämerin, sie kam den blonden Mann immer näher, als sie todernst diese Frage stellte.

 

Eine spärliche Lampe brannte, die das große Wohnzimmer nur unzureichend beleuchtete, so dass der Hellbraunhaarige den Schalter betätigte, damit der Raum wenig später in mehr Licht getaucht wurde. „Yukiko, warum sitzen Sie denn hier fast im Dunklen?“ fragte der 27-jährige, auch wenn es nicht die vollkommene Finsternis war, so war die kleine Lampe machtlos gegen die Dunkelheit.

Erschrocken blickte die ältere Hellbraunhaarige auf.

„Ich sitze hier schon eine Weile – anscheinend habe ich es vergessen.“

„Vergessen?“ Das klang merkwürdig, wie eine Ausrede. Deswegen ging er auf die Frau zu und setzte sich dann neben sie. Er war immer lange wach, anders als sie und nun saß sie auch noch fast im Dunklen. „Sie haben doch etwas, oder?“ Auf den ersten Blick wirkte der verkleidete FBI-Agent selten wirklich empathisch, daher war es schon eine Sensation, wenn er einen nach dem Befinden fragte, weshalb Yukiko ihn reichlich überrascht, aber auch perplex ansah.

„Meine Tochter war hier.“

Für normale Menschen war es ein Grund zum Freuen, nicht um Trübsal zu blasen, so wie Yukiko nun, aber Subaru verstand vollkommen, weshalb sie nun so ein Gesicht machte.

„Es geht ihr doch gut, oder?“ hinterfragte Subaru und Shinas Mutter wirkte ein kleines bisschen kleinlaut, anders als man sie sonst kannte. Was für Dinge hatte ihre Tochter ihr denn nur gesagt, dass sie nun so verstört wirkte? Jedenfalls empfand er es so. „Waren wohl keine so rosigen Nachrichten, oder?“

„Sie hat total in Rätseln gesprochen und hat andauernd gemeint, ich soll meine Fragen doch Ihnen stellen.“ Ein wenig beleidigt wirkte Yusakus Frau schon. „Aber es geht ihr ganz gut, würde ich sagen. Sie war besorgt um mich und wollte mich darauf hinweisen, dass ich mich auf dünnem Eis bewege.“

Subaru stand auf und begab sich hinter die Frau, dabei wendete er ihr den Rücken zu, während sie auf der Couch saß. Er starrte zum Fenster hinaus.

„Dass man sich auf dünnem Eis bewegt, sagt sie gern. Anders habe ich sie auch gar nicht kennengelernt“, sagte er, dabei klang er ernst wie immer, hatte aber einen undefinierbaren Unterton in der Stimme, der nicht so leicht zu deuten war. Weil er das so sagte, drehte sich Yukiko zu ihm herum, dabei griff sie sich an die Lehne der Couch und hatte es den Anschein, als müsste sie sich an etwas festklammern.

„Ist meine Tochter etwa frech zu Ihnen gewesen?“ Es klang überhaupt nicht wie die Frage, die eine Mutter stellte, weil sie sich für ihr Kind schämen wollte, dafür klang sie viel zu ruhig.

Ein schnippischer Laut entkam ihm. „Keineswegs, sie war nicht frech.“ Den Nebensatz ließ der junge Mann unter den Tisch fallen – denn er fand Shinas Mutter viel frecher als sie. „Nur ehrlich.“ Bestimmt dachte die Detektivin, dass er sie überhaupt nicht leiden konnte, weil sie ihn so vehement an die Einhaltung von Regeln erinnert hatte. „Welche Fragen waren es denn, die Sie mir stellen sollen?“ Weil er verdeckt ermittelte, musste er ja fast schon solche Fragen stellen.

Leider hatte Yukiko angeweht, dass ihre Tochter weniger begeistert von ihrem engen Kontakt zu Subaru war. Ihre Worte klangen eher, als wenn sie ihre Mutter vor ihm warnen wollte. Deswegen zögerte die Hellbraunhaarige nun auch.

„Ich soll Sie fragen, was Sie über Sharon Vineyard wissen.“ So sehr die Schauspielerin gerade versuchte, ruhig zu bleiben, ihre Stimme hatte dieses Zittern inne, was die Unruhe in ihr sofort verriet.

„Da hat Ihre Tochter den schwarzen Peter aber geschickt weitergeschoben“, antwortete Subaru, weil Shina ihrer Mutter diese Antworten mit Sicherheit selber geben könnte. „Ganz schön raffiniert – so umgeht sie, dass Sie ihr am Ende sauer sind. Manche Sachen bleiben besser ein Geheimnis. Ich will eigentlich nicht derjenige sein, der Ihnen so etwas erzählt. Aber wissen ist in dem Kontext das falsche Wort. Gewusst haben, finde ich viel passender. Diese Frau ist nämlich tot. Damit sollten sich einige Personen langsam abfinden.“

Nun stöhnte sie auf, ehe die schöne Frau vom Sofa aufstand, um zu ihm zu gehen. Jemandem den Rücken zuzuwenden, war das Verhalten der Lügner, sie wollte wenn schon ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen, damit es ihm nicht so leicht fiel, sie zu belügen.

„Ach ja, wirklich?!“ Man merkte ihr an, dass sie etwas angesäuert war. „Haben Sie sich mit meiner Tochter abgesprochen? Sie müssen mir nichts vormachen, ich weiß, dass sie nicht wirklich tot ist. Ihr geht es bestens. Ging ihr nie besser.“

Zum Glück erkannte man sofort den beißenden Sarkasmus in der Stimme der Älteren. Subaru blieb vollkommen unbeeindruckt und ließ sich nicht beunruhigen, nur weil sie etwas sauer war. Es war nicht die erste Frau, die er aus der Ruhe brachte, deren Zorn er auf sich zog.

„Teilweise stimmt das sogar“, kam von ihm in einer neutralen Stimme, er wirkte nicht, als hätte er einen Groll gegen diese Person, ebenso wenig wie er nun Yukiko einreden wollte, dass sie schlecht war. Sie würde das sowieso nicht glauben. Jemand, der so emotional reagierte, würde nicht hören. Ein bisschen erinnerte ihn das an Jodie – nur in entgegen gesetzter Richtung. „Sie hat jetzt weniger Scherereien, weil sie tot ist.“ In diesem einen Satz lagen mehr Dinge verborgen, als man im ersten Moment dachte.

Yukiko fand, er drückte sich genauso schwammig aus wie ihre Tochter – wie sollte man daraus nur schlau werden?

„Shina deutete an, dass Sie Sharon auf der Stelle ins Gefängnis stecken könnten. Stimmt das? Und wieso? Was wissen Sie über diese Frau?“

Diese Frau - das klang ziemlich distanziert, war also ziemlich unpassend. Der kleine Conan hatte davon gesprochen, die beiden Frauen seien eng befreundet. Es würde Yukiko wohl auch nicht so brennend interessieren, wenn sie ihr so egal wäre.

Yukikos Tochter war bestens informiert, dabei wusste Shuichi nicht einmal, woher sie ihr Wissen hatte. Sie musste ziemlich genau nachgeforscht haben, um so etwas zu wissen. Er wusste nicht, ob ihm das so sonderlich gefallen sollte. Jedes Mal, wenn sie gekommen war, um ihn zu ärgern, ruinierte das einen ein Stück weit den Tag. Aber ihre Gründe, Derartiges zu tun, waren keineswegs schlecht. Manchmal hätte er sich nur gewünscht, dass sie nicht so verdammt erpicht auf Regeleinhaltung war. Wenn man sich in solchen Fällen an die Regeln hielt, starb man entweder eines grausamen Todes, oder andere Menschen taten das.

„Auf der Stelle ins Gefängnis stecken? Da hat Ihre Tochter wohl maßlos übertrieben. Ich könnte etwas gegen sie unternehmen – das schon eher, aber sie ins Gefängnis zu stecken, gestaltet sich da schon schwieriger.“ Er wollte nicht gemein sein, aber es bildete sich ein Grinsen in seinem Gesicht, leider kein wirklich Nettes. „Man könnte ihr vorsätzlichen Mord vorwerfen. Ich könnte das. Aber es gibt da Personen, die würden sich auf der Stelle einschalten, wenn es dazu kommt. Diese Personen würden mir dann im Gegenzug ebenfalls vorsätzlichen Mord vorwerfen. Sie wissen ja, wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Dieser so genannte, vorsätzliche Mord diente dazu, anderen Menschen zu helfen.“ Subaru blickte zu der Schauspielerin und fragte sich, wie eingeweiht sie wirklich war. Er redete nun nicht direkt von der Organisation, und dass man die Regeln grundlegend ändern musste, wenn man in ihren Reihen bestehen wollte. Das tat er höchstens, wenn er Indizien dafür fand, dass sie mehr über diesen Laden wusste. Jeder normale Mensch würde sagen, sie hätten nicht alle Tassen beisammen, einfach so Menschen zu erschießen… Wenn er in seiner Zeit in der Organisation etwas gelernt hatte, dann dass man sich nicht zu fein sein durfte, so ein Opfer zu bringen. Auch die Polizei schoss auf Menschen, wenn akute Gefahr drohte. Leider durfte man aber auch nur dann. Dumm nur, wenn man dank der Organisation einen schnell zuckenden Finger hatte, weil man grundsätzlich das Schlimmste befürchtete. Ein lapidares wenn du nicht machst, was ich dir sage, bringe ich Menschen um, die dir etwas bedeuten reichte aus, dass man ziemlich nervös den Abzug betätigte. Dieser Laden scherte sich nicht um den Verlust von Menschenleben, sie taten alles, um ihr Ziel zu erreichen. Wenn man die Menschen beschützen wollte, an denen einem etwas lag, musste man so weit gehen. Auch er musste das. Mit diesen Menschen konnte man nicht reden. Sein Glück war nur, dass er zu gut im Umgang mit Waffen war, als dass man ihm etwas anhaben konnte. Aber auch das konnte sich schnell ändern, das war ihm durchaus bewusst. Es gab Situationen, da würde er genauso handeln, wie sie.

Das hatte Shina wohl gemeint, als sie ihrer Mutter sagte: Ich frage mich, ob du diesen Akai noch mögen würdest, wenn du wüsstest, wie weit er geht.

Man musste wirklich vorsichtig sein. Sogar sie dachte nun einen Moment darüber nach, was dieser Mann ihr gerade gesagt hatte. Er redete von vorsätzlichem Mord – der dazu diente, anderen Menschen zu helfen. Dabei hatte er nicht geleugnet, dass auch er so etwas getan hatte. So weit ging er also… Aber warum?

„Soll das heißen, Sie sind zwangsläufig fair, weil da Personen sind, die von Ihren Schandtaten wissen? Oder wollen Sie mir sagen, dass Sie am Ende noch verstehen, dass sie so etwas tut?“

In seinen Augen hatte sich Yukiko beruhigt, denn sie wirkte nun nicht mehr so angesäuert.

„Wie besonnen Sie das fragen…“ War diese Frau kein bisschen schockiert? Am Ende hatte sie grundsätzlich so eine schlechte Meinung vom FBI. Dass die immer die Regeln so drehten, wie sie diese brauchten. Ganz falsch war das mit Sicherheit ohnehin nicht.

„Ach, wissen Sie, ich glaube so langsam, dass mich nichts mehr erschüttern kann. Meine Freundin hat offensichtlich ihren Tod inszeniert, um nun jemand anderes zu sein. Mein Sohn ist wieder ein Grundschüler. Meine Tochter warnt mich davor, dass jemand, der eigentlich tot ist, immer noch existiert und bereit ist das nächste Mal vielleicht wirklich zu sterben, wenn ein Leben davon abhängen sollte. Meine Tochter glaubt, dass dieser Fall eintreten kann, wenn ich mich allzu sehr in diese Materie einmische. Sie hat mich davor gewarnt, dass Sharon eher sterben würde, als auf unsere Familie zu schießen. So viel ist noch von ihr übrig…“ Wirklich schockierend war es nun nicht für Subaru, dass jetzt Tränen in ihren Augen standen, während sie das so sagte, immerhin war Yukiko eine Frau. Die waren grundsätzlich näher am Wasser gebaut, als Männer, die immerzu ihr Gesicht wahren mussten. „Davon konnte ich mich selbst überzeugen...“

Weinende Frauen waren anstrengend, aber wenigstens scheute sie sich nicht, ihre Gefühle zu zeigen. Er war ganz andere Frauen gewohnt, die in der Dunkelheit der Nacht einsam und alleine weinten.

„Es ist so viel von ihr übrig, dass man sie mit ihrem alten Leben immer noch ärgern kann“, sagte er, obwohl das vielleicht ein klein wenig taktlos wirkte. „Solange das der Fall ist, wird sie weiterhin alles Mögliche tun, dass den Leuten nichts zustößt, an denen ihr persönlich etwas liegt. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mein Wissen für mich behalte. Und weil…“ Subaru schloss die Augen, dabei holte er tief Luft und dachte an James Black. „…man sollte niemandem allzu vorschnell vertrauen. Ihre Tochter hat mir auch ziemlich lange derbe misstraut. Anscheinend dachte sie, dass ich ein Monster sei. So etwas in die Richtung. Sie hat leider erlebt, dass ich mich nicht scheue, alles an Waffen gegen meine Feinde einzusetzen, was mir zur Verfügung steht. Aber das muss ich auch. Ich war nämlich Mitglied bei ihnen, deswegen würde fast jeder aus dieser Organisation alles daran setzen, dass ich möglichst bald nicht mehr da bin. Vor allem ein Mann namens Gin.“ Nun grinste er, immerhin war er immer noch hier und dieser Kerl wog sich in Sicherheit. „Man hält mich für tot, das gibt uns allen einen gewissen Vorteil. Wenn sie herausfinden, dass ich am Leben bin… Ich glaube, das würde die meisten zu Tode erschrecken.“ Er wusste, dass auch Vermouth nicht sonderlich traurig über seinen Verlust war, das bedeutete immerhin eine Person weniger, die ihr am Ende reinpfuschen konnte…

„Dass man Ihnen nach dem Leben trachtet, weiß ich. Deswegen habe ich Ihnen ja geholfen. Mein Sohn will unnötige Tote verhindern. Die meisten Fälle, die er bearbeitet, resultieren allerdings meistens aus einem Mord. Diesmal sieht es anders aus.“

„Die Sache haben wir alle gemeinsam. Wir wollen die Wahrheit herausfinden und mit ihr vermeiden, was sich vermeiden lässt. Meine Partnerin Jodie wird in dieser Sache sehr oft missverstanden. Unser Boss, James Black glaubt, dass sie auf Rache aus ist. Nur, weil sie der Mörderin ihrer Eltern nachjagt, heißt das nicht, dass ihr Motiv Rache ist. Schon traurig, auch Sharon hat kein Vertrauen in die Menschen auf dieser Welt. Jeder, der Antworten von ihr will, ist automatisch ihr Feind. Sie glaubt wahrscheinlich selbst nicht daran, dass irgendwer auf dieser Welt ihr verzeihen kann – am wenigsten wohl sie selbst.“ Nun seufzte Subaru, denn er konnte mehr als gut nachvollziehen, wie jemand derartig tief fallen konnte, dass er sich am Ende selbst nur noch schwer ertragen konnte. Ihr Motiv war definitiv Rache – der Antrieb dazu war gleichbedeutend mit seinem. Es war kein Geheimnis, dass Shuichi Akai sich gerne mit Gin Gefechte lieferte, weil er ihn über alle Maßen verabscheute, dass er bereit war, ihm sehr großen Schmerz zuzufügen. Denselben Schmerz, den er damals erfahren hatte. Leider war Gin nicht so empfänglich für körperlichen oder seelischen Schmerz. Da musste man sich schon ordentlich ins Zeug legen.

„Das klingt ganz nach Sharon. Sie hat sich oft gefragt, was sie schlimmes verbrochen hat, um mit solch einem Leben gestraft zu sein. Ich hab das nie so ganz verstanden, damals jedenfalls nicht.“ Yukiko hatte den Kopf gesenkt. „Ich hab’s deutlich in ihrem Gesicht gesehen. Sie findet selbst furchtbar, was sie da treibt. Womöglich halten Sie mich für dumm und einfältig, wenn ich frage, wieso jemand etwas tut, zu dem er selbst nicht stehen kann. Ich meine, warum lässt sie es nicht? Zwingt man sie dazu?“ Das war ein Gedanke, der für ihre Freundin nur schwer zu ertragen war. „Sie kann nicht mal vor mir dazu stehen. Als ich sie auf diese Sache ansprach, sah sie mehr als nur zerrissen aus. Sie konnte jede Problematik, jedes Leid, jeden Kummer mit einem Lächeln ertragen. Ich versehe gar nichts mehr. Es muss einen Grund dafür geben – und irgendwie glaube ich, dass Sie den wissen.“

Es gab kein Entrinnen, sie schenkte ihm den Blick eines Detektivs, den durchdringenden, bohrenden Blick, den Schnüffler nun einmal so inne hatte. Du sagst mir das jetzt! Es stand so deutlich in ihrem Gesicht geschrieben, gerade dann erinnerte diese Frau ihn an ihre Tochter. Sie hatte ihn genauso angesehen, als sie Antworten von ihm gewollt hatte.

„Ich muss Sie enttäuschen, Miss Yukiko. Welchen Grund sie für ihre Mitgliedschaft in so einem Sauhaufen auch hatte, den hat sie leider keinem von uns verraten. Ganz freiwillig wird es wohl nicht gewesen sein. Was jedoch der Auslöser war, weiß wohl nur sie selbst und vielleicht einer derjenigen, die ihr nahe stehen.“

„Jamie Moore zum Beispiel. Das war ihr Cousin… Derjenige, der auf der Beerdigung vollkommen zusammengebrochen ist“, sagte Yukiko wissend, wobei ihr Blick noch ein wenig trauriger wurde.

„Ich bezweifle, dass ausgerechnet er den Grund kennt. Er ist Detektiv, er würde sofort hinter den Schuldigen herjagen. Den kann ich nicht ausquetschen. Wir sind nicht gerade die besten Freunde; er verabscheut das FBI – ich glaube eher, er ist einer der Gründe, weshalb Sharon der Meinung war, gehen zu müssen. Ich glaube, da sind andere Leute, die bescheid wissen, aber die können mich leider nicht leiden.“ Es klang eher so, als belustige ihn das auch noch. Eigentlich war es sogar lustig, denn er gab sich nach außen hin auch anders, als er tatsächlich war. Viele Freunde hatte er wohl nicht dadurch, was aber kein Wunder war, seine Mutter war auch nicht gerade die einfachste Person. Sie alle gaben doch sowieso vor, jemand zu sein, der sie nicht waren; gerade zum Schutze anderer Menschen. War es nicht so?

„Ich werde wohl keine Antworten bekommen? Wollen Sie mir das damit sagen?“ Das bildhafte Schmollen in ihrem Gesicht zeigte, dass sie das nicht berauschend fand und sich anscheinend wirklich mehr von diesem Gespräch erhofft hatte.

„Vielleicht würde uns die Wahrheit sowieso nur erschüttern. Wer weiß wofür es gut ist, oder?“ Es gab nun einmal Dinge, die einen erschüttern konnten – gerade Familiengeschichten taten das. Bei ihm gab es ja auch Dinge, die er noch nicht wusste, vor deren Wahrheit er sich doch ein wenig gruselte – aber egal wie diese Wahrheit aussah, er wollte sie in Erfahrung bringen. Endlich klarer sehen.

Auch jetzt noch war sie schockiert davon. Es war immer noch das gleiche Gefühl in ihr, wenn sie daran dachte. Dass ihre Freundin eine Verbrecherin war, die ihren Tod vorgetäuscht hatte. Dass sie Menschen ermordete. Ihre gutmütige Freundin, die eher dafür bekannt war, sich für die Gerechtigkeit einzusetzen sollte Ungerechtigkeit verbreiten. Welcher Mensch konnte so etwas denn kapieren? Für Shinichi war es so einfach, all diese Dinge der Mutter zu sagen. Er kannte sie nicht so gut, wie sie. Wenigstens hatte auch er erkannt, dass sie nicht herzlos war und nicht am Ende auf sie schießen würde… Dennoch fiel es Yukiko immens schwer, die Wahrheit zu akzeptieren. Wahrscheinlich wusste Sharon ganz genau, welch eine Enttäuschung es für sie war, so etwas herauszubekommen. Bestimmt hatte sie alles so geplant, oder nicht? Sharon hatte noch nie ein gutes Wort für ihre Tochter Chris übrig gehabt. Nach außen hin hatte sie diese verstoßen, dabei hatte sie sich wohl eher selber verstoßen, oder?

„Jedes Mal, wenn sie von ihrer Tochter sprach, hätte man meinen können, sie sei das schrecklichste Wesen, was auf Gottes Erde existiert.“

„Das passt schon so“, sagte Subaru, wobei er die Augen ruhig geschlossen hatte. Es passte, viel zu gut sogar. Chris Vineyard sollte ja auch keiner auch nur ansatzweise sympathisch finden. Wenn herauskäme, dass sie Mitglied einer Verbrecherbande war, würde das keinen so großartig schockieren, nicht wahr? Dass Sharon so etwas machte, schon eher. Sie war damals keine böse Person gewesen – alles andere als das. Ihre Tochter hingegen war schon immer das eiskalte Miststück gewesen. Vieles seiner Gedanken gab er nicht preis, deswegen sah ihn Yukiko wohl jetzt auch so fragend an. „Irgendwann werden Sie es schon verstehen. Aber Ihre Tochter hat Recht. Noch einmal sollten wir eine so waghalsige Aktion nicht bringen. Obwohl man mir das schon des Öfteren vorgeworfen hat – ich will nur ungern über Leichen gehen. Jeder Schritt muss wohl überlegt sein. Es ist schön und gut eine Schauspielerin im Team zu haben, aber Ihr Mann scheint mir weniger davon begeistert zu sein, ebenso wie Ihre Tochter. Sie sollten sich wirklich aus der Sache raushalten. So viel Interesse Sie auch an der Wahrheit haben.“

 

 

~Der nächste Morgen~

 

Ein leicht durchtriebenes, gehässiges Lachen war zu vernehmen – für andere war das wahrscheinlich etwas, was sie zu einem wütenden Knurren bringen würde, aber solange es sich um ihre Stimme handelte, war ihm alles Recht… Es musste unheimlich früh sein, knapp nach sechs Uhr in der Frühe. Nachdem er gestern Nacht bis in die Puppen Pancakes in sich hineingestopft hatte, war an einen ruhigen Schlaf nicht zu denken. Er war geendet mit Bauchschmerzen auf dem Sofa, wo er sich von ihr betütteln ließ. Nun ja, hatte auch etwas. Er war ja sonst nicht wehleidig, aber das Gefühl zu platzen, hatte er nicht komisch gefunden. So verfressen war er noch nie gewesen, weil er sonst eher penibel darauf achtete, was er den Tag über zu sich nahm. Das gleiche gehässige Lachen von gestern Nacht, war auch jetzt zu hören. Er schlug die Augen auf und blickte zur Seite, wo die Tür zum Bad halb offen stand und er einen Teil ihres Körpers erhaschen konnte, während sie offensichtlich telefonierte…

Wen auch immer diese Frau gerade mit diesem gehässigen Lachen bedachte, solange es sich dabei nicht um Gin handelte, war ihm alles Recht… Jedenfalls glaubte Cognac das in dem Moment noch.

“Oh, ich bitte dich! Wenn es dafür Beweise gäbe, wären Menschen, wie Gin, schon eines grausamen Todes gestorben. Ist fast schade, dass dem nicht so ist. Ist schon lustig, wie er sich geistig mit Bourbon messen will, Yuichi. Dabei verausgabt er sich noch. Er beschäftigt sich mit den falschen Menschen.“

„Geistig messen? Das bedeutet wohl, er ist diesmal unbewaffnet. Er ist ja noch nicht einmal in der Lage, dich zu durchschauen.“

„Wenn das ein Kompliment werden sollte, ist es gehörig schiefgegangen, mein Lieber…“

Sêiichî hatte Halbmondaugen, als er erst den Namen, dann die Stimme des Mannes hörte. Weil sie wohl heute der Meinung war, mit ihrem Handy per Freisprecheinrichtung zu telefonieren, damit er auch fein an der Konversation teilhaben konnte… das machte sie doch wieder mit Absicht. Tat so, als würde sie glauben, er schlief immer noch, nur um mit ihm zu flirten. Warum zum Geier klang dieser Kerl eigentlich heute nicht einmal angepisst über diesen Umstand?

„Es tut mir außerordentlich leid, wenn das der Fall sein sollte“, es klang ein Lachen aus seiner Stimme heraus. „Wegen der Sache gestern, wie soll es Kir schon gehen? Die ist nicht gerade erpicht darauf, derart Dinge im Fernsehen zu berichten. Meldungen, wie diese, ziehen sie immer furchtbar runter, weil sie weiß, wer dahintersteckt und trotzdem machtlos ist.“

„Was ist das für ein vorwurfsvoller Ton in deiner Stimme? Willst du mir für irgendetwas die Schuld in die Schuhe schieben? Ich wiederhole es gern noch einmal. Es war reiner Zufall, dass mir die kleine Kaori in die Arme gelaufen ist. Ich habe sie zu Shannen gebracht, weil sie dort gut aufgehoben ist. Bei uns hier brennt die Luft. Ich würde mich schrecklich gern um ein Kind kümmern, du kennst mich ja, aber…“ Ein Seufzen von der Blonden, die sich gerade schminkte. „Ich habe Sêiichî darüber informiert, dass einer von denen wohl Jami war. Sie war total verstört. Ich muss mich auch ranhalten. Wenn dieser Baka aufwacht, muss ich fertig sein. Dann kann ich gleich los und er wird mir kaum hinterher rennen können. Er ist gestern Nacht fast gestorben, weißt du?! Er konnte ja nicht genug kriegen…“

„Behalt die Details für dich, ich bin nicht daran interessiert, so etwas zu erfahren.“

Nun begann die Blondine schallend zu lachen, weil ihr Satz zwar zweideutig geklungen hatte, aber er total darauf einstieg und wohl auch noch angewidert sein wollte. „Du hast eine blühende Fantasie. Nein, nein! Du hast mich missverstanden. Mr. Nimmersatt hatte gestern andere Interessen – als DAS! Nachdem ich Pancakes gemacht habe, konnte er einfach nicht mehr aufhören, diese wie ein Gierschlund zu verdrücken. Ich glaube, so sehr geplatzt ist er noch nie. Es war bestimmt zwei Uhr morgens, als es ihm endlich ein wenig besser ging. Aber das kommt eben davon, wenn man so stur ist und nicht hören will. Ich sagte ihm nicht nur einmal, dass man von zuviel Pancakes todsicher Bauchschmerzen bekommt. In solchen Dingen ist er immer noch ein Kind. Das wird sich wohl auch in zehn Jahren nicht ändern.“ Das nächste gehässige Lachen war zu hören – man könnte meinen, dass es ihr große Freude bereitete, ihn wegen so etwas auch noch auszulachen.

„Manche Verhaltensweisen willst du an ihm ja auch nicht ändern, sonst würdest du dich mehr ins Zeug legen. Unsere Mutter scheint dich wirklich zu mögen –“

Ein erstaunter Laut war von der Blonden zu hören. „Das wusste ich ja gar nicht, dass sie mich so gut leiden kann. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich frage mich nur, wieso sie mich mag. Shina ist doch viel beeindruckender, oder nicht?“ Ihre Bescheidenheit durfte man auf keinen Fall ernst nehmen, es war eher ein verdecktes Schmollen, weil sie an diese Super-Detektivin nicht herankam, so sehr sie es auch versuchte…

Yuichi ließ ein belustigtes Lachen hören, weil er doch etwas fassungslos gegenüber dem Umstand war, wie wenig Chris ihre Mutter einzuschätzen vermochte. Es war einfach herrlich, wie diese Frau, die sonst ein so großes Ego hatte, glaubte, Akiko Akaja würde Shina bevorzugen.

„Mir scheint, dass du unsere Mutter noch ein bisschen besser kennenlernen musst“, erwiderte Yuichi, der sich nur langsam von seiner Belustigung erholen konnte. „Dass sie dir Grund zu dieser Annahme gegeben hat, sie würde dich nicht mögen, kann man nun wirklich nicht behaupten. Du wurdest doch mit offenen Armen empfangen… Oder etwa nicht? Natürlich mag unsere Mutter Shina, aber Ryochi ist auch keine so schwierige Person, wie Sêiichî. Mutter lässt außen vor, dass sie eine Detektivin und du Schauspielerin bist, sie vergleicht euch auch sonst nicht, für sie zählt einzig und allein, welche Veränderung die jeweilige Frau bei ihrem jeweiligen Sohn auslöst. Sie mag dich wirklich, jedenfalls als Frau an Sêiichîs Seite. Sie hört gern Geschichten aus eurem Zusammenleben. Das letzte Mal hat sie sich richtig weggeschmissen und konnte kaum noch reden vor Lachen. Du hast wohl einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen, weil du es so lange mit unserem Sêiichî schon aushältst. Du hast das geschafft, was sonst keine Frau geschafft hat. So etwas in die Richtung sagte sie, mit einem gemeinen Lachen – das hättest du sein können, nachdem du erfolgreich gegen ihn triumphiert hast. Also wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass Mutter echt so ein Biest sein kann. Aber wir wissen ja, dass Sêiichî es ab und zu braucht, dass du das gemeine Biest zum Einsatz bringst. Ist das nicht manchmal anstrengend?“

„Ach, überhaupt nicht. Es bereitet mir die größte Freude, ihn ab und zu zu erschrecken, er sieht dann immer total goldig aus, weil er total anfängt zu schmollen, wenn er endlich bemerkt, dass ich ihn veräppelt habe.“

Ihr Blick schweifte zur Seite, weil dort ein Schatten erschienen war. Obwohl sein Gesicht alles andere als begeistert aussah und die komplette Körpersprache seine Empörung preisgab, grinste sie ihm direkt ins Gesicht. Er sah sie vorwurfsvoll mit Halbmondaugen an, dabei hatte er die Arme vor der Brust verschränkt.

„Kannst du mir mal sagen, was du hier in aller Frühe treibst? Außer den offensichtlichen Dingen, wie beispielsweise dich hinter meinem Rücken über mich lustig zu machen, dann noch mit Yuichi?! Du hast wohl gedacht, dass mich keine zehn Pferde wecken können und du dich in aller Seelenruhe amüsieren kannst, was? Dasselbe gilt für dich, Yuichi.“ Schmollend sah er zu der Blondine. „Pass nur auf, deine Gemeinheiten kommen irgendwann noch einmal zu dir zurück. Du weißt schon, das Karma…“  

Genau so fand sie ihn drollig, weshalb sie nun wirklich nicht ernst sein konnte und gleich darauf vergnügt zu lachen begann. „Genau das meine ich, Yuichi“, sagte sie mit einem weiteren Lachen und tippte Sêiichî auf die Nase. „Meinst du wirklich, dass du das Zeug dazu hast, es mir heimzuzahlen? Das hältst du doch gar nicht durch, Darling. Man sollte nur mit Dingen drohen, die man auch durchziehen kann“, ärgerte sie ihn und drückte ihm dann einen dicken Kuss auf die Wange – danach war er meistens sowieso besänftigt. Diesmal wollte er aber wohl absichtlich beharrlich bleiben. Das fand sie eher noch interessant, als wirklich bedrohlich für ihre Beziehung. „Sieht ganz so aus, als wenn du dich von gestern erholt hast“, grinste Chris, wobei sie gemeingefährlich wirkte, als sie sich ein wenig an ihn schmiegte und dann mit dem typischen Augenaufschlag versuchte mit ihm zu flirten. Da er noch nicht überzeugt genug schien, legte sie ihre Handfläche an seinen Oberkörper – weil der Herr ja nicht gerne viel Kleidung zum Schlafen trug, war es ihr ein Leichtes, ihn zu reizen. „Denk dran, was du versprochen hast“, hauchte sie und bescherte ihm eine gewaltige Röte, „hab dich nur in Ruhe gelassen, weil du gestern so gelitten hast.“

„Ich glaube… dazu solltest du Yuichi erstmal tschüss sagen.“

Man hörte ein Lachen, dann ein Räuspern am Handy, weil Sêiichî – der größte Macho der Familie gerade einen kleinen schüchternen Anfall haben wollte. Sonst hatte er doch auch immer angegeben. Man konnte nicht mit ihm weggehen, ohne dass er seine Verführungskünste vorführen musste. Und bei ihr wollte er nun plötzlich traute Zweisamkeit im stillen Kämmerlein?

„Ganz schön frech! Jetzt will er mich noch loswerden… Wollte er nicht gerade noch schmollen? Genau deswegen, mein lieber Sêiichî amüsiert sich unsere Mutter immer so. Sie findet es eben köstlich, wenn sie von den Methoden erfährt, mit denen du von Chris geärgert wirst, Sêiichî. An deiner Stelle würde ich mir mal Gedanken machen. Das imponiert Mutter. Sie freut sich schon wahnsinnig darauf, euch beide gemeinsam wiederzusehen. Da sind Lacher garantiert, wo ich ihr nur beipflichten kann.“

Offensichtlich hatte die Frau an seiner Seite wieder einmal erfolgreich seine Schwächen ausgenutzt, um ihn dranzukriegen. Wie man es drehte und wendete, sie saß einfach am längeren Hebel.

„Sêiichî hat also mal wieder Versprechungen gemacht. Dann hoffe ich mal für dich, Chris, dass er sie hält.“

„Das wird er schon – nicht wahr?“ Ihre Stimme war die Erotik pur und er schluckte, als sie zusätzlich nun noch ihr Bein vorschob und sich in eine leicht sexy Pose begab.

Sêiichî stürzte vor, nahm das Handy von Chris und meinte noch kurz angebunden „bye, Yuichi!“ und legte auf, woraufhin sie doch kurz lachen musste.

„Der Arme… Ich will dich ja wirklich nicht quälen, aber falls dir ein ausschweifendes Liebesspiel vorschwebt, muss ich sagen, dass ich mich sputen muss“, kam von ihr mit einem leicht bedauernden Gesichtsausdruck. Gleich würde er wieder schockiert sein und feststellen, dass sie sich nicht für ihn hübsch gemacht hatte. Dann würde er wieder schmollen, das kannte sie schon.

„Waaas? Und warum bist du so rausgeputzt!?“

Ihre rötlichen Lippen verzogen sich zu einem neckischen Grinsen. „Ich habe eine Verabredung?“

Obwohl sie ihn noch nie betrogen hatte, sah sie ihm an, wie wenig es ihm gefiel, so etwas von ihr zu hören.

„Mit wem?“ fragte er neugierig, versucht nicht eifersüchtig zu klingen. „Mit einem Mann?“

„Mit einer wichtigen Person…“, sagte sie, ohne die Miene zu verziehen.

Der leicht traurige Blick von ihm, der noch dazu ein wenig verletzt wirkte, hätte wohl so mancher Frau das Herz gebrochen, wenn sie das nicht schon von ihm gewohnt wäre und sie nicht gewusst hätte, dass er sich schnell von solchen Momenten erholte, hätte sie bestimmt Skrupel gehabt. „Ich hasse, wenn du Personen als wichtig bezeichnest. Das klingt immer so nach Mittel zum Zweck“, meinte er bekümmert und schien sich daran doch ein wenig zu stören, dass sie so etwas tat – wahrscheinlich würde sie wieder sagen, sie musste. Er wollte davon aber nichts hören, es fiel ihm schwer, sie zu solchen Personen gehen zu lassen, vor allem, wenn sie so wenig durchsickern ließ, um welche Personen es sich dabei handelte. Es musste sich aber um eine Person handeln, die etwas mehr Klasse hatte als zum Beispiel Gin. Sollte ihn das wirklich beruhigen? Eher nicht.

„Nein, nein, du irrst dich, diese Person ist nicht Mittel zum Zweck. Eher eine Hand wäscht die andere. So etwas.“

Sêiichî schnappte sie sich und umschlang sie, so dass er ihr direkt in die Augen sehen konnte. „Hat diese Person einen Namen? Warum soll ich das wieder nicht wissen? Ich will wissen, was du da wieder mit irgendwem treibst.“ Leicht angesäuert wirkte Sêiichî, als er das so aussprach. „Das ist doch nicht so eine gefährliche Person, wie Gin? Wenn du schon mit Leuten spielst, riskier wenigstens nicht zu viel.“

Chris wollte Sêiichî nicht beunruhigen, aber es handelte sich um eine Person mit viel Einfluss und Macht. Das konnte sie ihm doch so jetzt nicht sagen. Wer es war wollte sie nämlich nun auch nicht sagen. Dann endete es damit, dass er ihr folgte. Wenn er nämlich wusste, wer diese Person war, wusste dieser Baka ganz genau, wo er sie finden würde…

„Du bist ganz schön neugierig. Bisher habe ich dir ja nicht einmal bestätigt, dass die Person männlich ist. Du solltest dir um so etwas weniger Gedanken machen. Du willst doch nicht allen Ernstes nun eifersüchtig sein, oder?“ Zwar fand sie selbst, dass sie wahnsinnig gut aussah, aber doch nicht so extrem aufgetakelt, dass man sich fürchten musste. Dieser Baka.

„Nachdem du so offen zugegeben hast, mich gern zu ärgern, werde ich dir bestimmt nicht den Gefallen tun, darauf einzugehen.“ Mit diesen Worten löste er sich und drehte den Kopf eingeschnappt zur Seite, was sie einfach begrinsen musste.

„Du bist unbezahlbar. Eingeschnappt bist du ja trotzdem.“

„Bin ich gar nicht. Ich mache mir nur Sorgen“, versuchte er klarzustellen und sah sie dabei nun ernst an. Aber auch Sêiichî hatte das Talent, sich ein Stück weit zu verstellen. Sie traute ihm trotz allem zu, dass er eifersüchtig war. Das war er doch sowieso bei jedem Mann, der es wagte ihren Weg zu kreuzen. „Wenn das wirklich der Grund ist, dann kann ich dich beruhigen. Dieser Person liegt etwas an mir.“ Sie wusste, wie sie Dinge auszulegen hatte, damit sie für Sêiichî auf ganz bestimmte Weise wirkten. Ihre Worte waren etwas hinterhältig, musste sie schon zugeben. Es stimmte, dass der Person etwas daran lag, dass sie nicht zu Schaden kam, das lag aber eher an einem anderen Menschen. Dieser wollte unter keinen Umständen, dass ihr irgendetwas widerfuhr.

„Toll – solange das nicht Chardonnay ist, kann ich ja aufatmen.“

Als Chris gerade an ihm vorbei gehen wollte, blieb sie stehen, als Sêiichî nun annahm, er sei ihre Verabredung. „Das wäre wohl noch viel schlimmer als Gin, was?“ Ihre Frage konnte man durchaus eine Fangfrage nennen.

„Gin hat wenig bis überhaupt kein Interesse an deiner Gesellschaft – der würde dich höchstens am liebsten umbringen. Chardonnay hat andere Interessen, bei denen es mir ganz anders wird. Also sag mir wenigstens, dass es nicht er ist.“

Das nahm sie nun doch ernst und ging zu ihm hin. Ihre Hände legten sich auf Sêiichîs Gesicht. „Keine Sorge, ich werde mich nicht mit diesem Kerl treffen, um mit ihm meine Spielchen zu treiben. Ich versichere dir, dass derjenige keine Hintergedanken hat. Du musst nicht immer so dramatisieren. Ich weiß, dass du fast nicht anders kannst, aber manchmal musst du dich da etwas zurückhalten. Deswegen darfst du auch nicht mit.“

Chris hatte ihn absichtlich schlafen lassen, damit er nicht mit ihr gehen konnte. Sie wusste, dass er kein Mensch war, der in seine Klamotten sprang, um loszuziehen, das wusste sie für sich auszunutzen…

 

Natürlich erregte es furchtbar viel Aufsehen, wenn eine Schauspielerin wie Chris Vineyard ins Präsidium spazierte. Zum einen bei der normalen Bevölkerung, dann wenn sie die Frau kannten. Zum anderen war da die Presse. Weil diese sowieso in die Organisation verstrickt war, konnte man die Frau schon als wahnsinnig bezeichnen, so etwas zu wagen. Dennoch gab es Aufträge, die derartiges rechtfertigen konnten – sogar gegenüber Leuten wie Gin. Nichtsdestotrotz hätte Gin so etwas gerade nicht gefallen, weil sie die Polizei erfolgreich an der Nase herum führten und man dieser so besser fern blieb. Aber er würde auch behaupten, so etwas zu bringen, sei typisch Vermouth. Die ging so manches Wagnis ein und man wusste meistens nicht einmal, was ihre Aktionen sollten. Ihre Beweggründe hielt sie hinter dem Berg. Das nervte den Langhaarigen, deshalb hatte einer von ihren Verbündeten vorgesorgt – ihn also spielen geschickt. In dem Punkt war auf Bourbon wirklich Verlass. Sie lachte sich derweil ins Fäustchen, weil Gin mal wieder im Dunklen tappte, dabei hatte er gestern noch großkotzig rumerzählt, dass er gegen den Detektiv ermittelte. Dass er ihn sich greifen würde… Genau das versuchte er wohl jetzt auch. Jami hatte sie informiert und sie hatte sofort geschaltet und diese Information weitergeben – an die betreffende Person. Nun spielte Bourbon ein wenig mit Gin. Zu gern hätte sie sich das angesehen, weil es immer wieder herrlich war, wenn Gin im Dunklen tappte. Es war nicht so, dass Vermouth Gin nicht teuflisch ernstnahm, das tat sie zweifelsohne, sonst hätte sie Bourbon nicht direkt gewarnt. Es war nicht das erste Mal, aber er scheute sich nicht, seine Spiele mit dem Killer zu treiben – es war ihr auch lieber, wenn er so etwas Gewagtes tat und nicht eine andere Person, die vielleicht weniger geschickt sein würde…

Es gab kaum Personen innerhalb der Organisation, die sich nach einem Tag, wie dem Gestrigen, trauen würden, der Polizei zunahe zu kommen. Auch Jami und Chardonnay, zwei wirkliche Polizei-Hasser, würden sich eher in Sicherheit wiegen. Dieser Schuss konnte durchaus nach hinten losgehen, falls doch mal jemand den gleichen Wahnsinn begehen würde, wie Vermouth. Bourbon war auf der Seite des Gesetzes, er hatte also Null Interesse daran, Vermouth zu verpfeifen, darüber konnte sie mehr als froh sein – sie war auch wirklich dankbar für diesen Segen. Auch, wenn sie den Kerl schamlos ausnutzte, dass so mancher nur den Kopf schüttelte – ein bisschen beruhte das auf Gegenseitigkeit. Man konnte Menschen nur benutzen, wenn sie es zuließen.

Aber auch für einen solchen Fall eines Wahnsinnigen gab es Lösungen – die waren nicht so engelsgleich, aber war sie ein Engel? Nein, also musste sie sich auch nicht wie einer verhalten… Würde jemand herausfinden, was sie gerade trieb, dann würde diese Person bestimmt nicht mehr den nächsten Tag erleben – dagegen konnte dann noch nicht einmal eine Person wie Sêiichî Iwamoto viel tun. Sollte ein bestimmter Personenkreis ihr dumm kommen, durften sie gehen.

Es war gerade einmal 7:30 Uhr in der Frühe, als sie die Türen zum Präsidium passierte. Ihre spärliche Verkleidung hätten die meisten Organisationsmitglieder sofort durchschaut. Natürlich hätte sie sich verkleiden können, sie wollte aber gesehen werden und nicht den Anschein erwecken, dass sie die Polizei an der Nase herumführte. Sie war ganz offiziell da, hatte einen Termin bei einem Hochrangigen. Allein das hätte Sêiichî wenig gut gefunden, weil eine solche Aktion eben ein Wagnis war. Bisher hatte die Polizei aber noch keinerlei Grund sich um ihre Geheimnisse Gedanken zu machen. Obwohl dank eingeweihter Personen es deutlich schwerer geworden war, sich hineinzuschleusen, lauerte die Gefahr quasi an jeder Ecke. Gerade weil sie wussten, wie trickreich die Mitglieder vorgingen. Genau aus dem Grund – man hätte Chris sofort verdächtigt ein Spion zu sein, hätte sie sich als jemand anderes ausgegeben. Nein, die Polizei sollte schon Vertrauen in sie legen. So war ihr Plan. Für Vermouth war es momentan unmöglich sich ins Präsidium zu schleichen, weil ein paar Personen in der Stadt waren, die sie durchschauen könnten. Zufällig waren sie auch des Öfteren im Präsidium tätig – so ein Pech.

Zu ihrer Verwunderung war diese Polizistin, die Sêiichî besonders gut gefunden hatte, auch bereits hier, so dass sie ganz offiziell nun sogar das Vergnügen mit ihr hatte.

Miwako blieb stehen, nachdem sie aus dem Büro gekommen war und bedachte die blonde Schönheit sofort mit ihrem Blick. Sie hätte nicht wirklich für möglich gehalten, dass sie sich begegneten. Sie war nur ein bisschen verwundert, was diese Schauspielerin wollte. Konnte dieser Iwamoto sie nicht einweihen, dass er vor zwölf Uhr nicht hierherkommen würde?

„Good morning“, erprobte Miwako ihre Englischkenntnisse bei der Blonden, so dass diese ihr mit einem Lächeln begegnete.

„Good morning, Miss Satô“, sprach Chris die Kurzhaarige sofort mit Namen an und zeigte dabei ein leichtes, wissendes Lächeln. „As we stand on japanese ground, let’s go on talking in your native language“, bot sie aus freien Stücken an und kam sich dabei fast vor, als würde sie bei der jungen Frau schleimen – aber sie wusste, wie ungern Japaner Englisch sprachen, außerdem war ihr Japanisch zu gut, als dass sie die Polizistin quälen wollte. Sie zeigte sich hier jetzt von ihrer besten Seite – sie wollte hier schließlich gemocht werden – schon verrückt.

„Oh how nice“, erwiderte Miwako verblüfft, nickte dann aber höflich. Nirgendwo sonst hatte die Schauspielerin so höfliche Menschen getroffen, wie in Japan. Sie würde dieses Land jedem Tourist wärmstens ans Herz legen. Sie befand sich hier ja nun auch schon über drei Monate und hatte gar nicht das Bedürfnis so schnell wieder nach Amerika zu verschwinden, wo man sie an jeder Straßenecke erkennen würde. „Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, Vineyard-san, aber Iwamoto-san ist noch nicht hier.“ Für sie war offensichtlich, dass diese Frau keinen anderen Gründ haben konnte, als wegen des Benannten hierher zu kommen.

„Oh, you got something wrong“, der englische Satz rutschte ihr mehr raus, als dass sie ihn bewusst wählte, „ich bin nicht wegen ihm hier. Ich bin ein großer Fan der Japanischen Polizei.“

„Oh wirklich, das ist aber interessant zu erfahren“, meinte Miwako, die ein klein wenig rot wurde – immerhin handelte es sich bei ihr nicht um irgendwen, sondern um eine berühmte Persönlichkeit, solche Personen machten sie leicht nervös. „Wie kommt das?“

„Die japanische Bevölkerung legt viel Vertrauen in die japanische Polizei. Bei uns in Amerika kann man der Polizei nicht sein ganzes Vertrauen schenken, schon gar nicht als Frau“, verriet Chris, ehe sie den Kopf etwas senkte und dadurch leicht betreten dreinschaute.

„Oh, wir hatten es vor kurzem mit dem FBI zu tun – ich kann nicht sagen, dass diese Leute hier gerne gesehen sind. Ich kann also durchaus verstehen, was in den Amerikanern vor sich geht.“ Sie besah die Schauspielerin mit musterndem Blick. „Aber was meinen Sie damit, schon gar nicht als Frau? Sie würden das ja nicht sagen, wenn Sie da nicht gewisse Erfahrungen gemacht hätten, oder?“

Miwako bewies, dass sie Menschenkenntnis hatte – darauf hatte Chris auch spekuliert. Sie hatte nicht ganz unbewusst, das Gespräch in diese Richtung gelenkt… 

„Das ist eine sehr private Frage, Miss Satô“, meinte Chris und tat ein bisschen unwillig und beschämt – wenn sie diese Frage zu offen beantwortete, hielt man sie am Ende noch für komisch. „Aber Sie scheinen eine vorbildliche Polizistin zu sein, genauso wie Sêiichî mir erzählt hat. Dennoch möchte ich Ihnen nicht die kostbare Zeit stehlen. Sie haben doch sicher viel zu tun – Sêiichî erzählte mir, dass sie die Abteilung für Mord- und Erpressungsfälle leiten. Ganz schön beeindruckend – ich sehe Frauen in der Leitung sehr gern. Ich hörte, das Leben als Frau in Japan ist hart. Man verdient weniger als Männer und muss sich mehr anstrengen als sie, um die gleiche Anerkennung zu erlangen.“

„Diesbezüglich leben wir in Japan leider immer noch in der Steinzeit“, meinte Miwako mit den Schultern zuckend, „aber ich kann wohl von mir behaupten, dass mir meine Kollegen großen Respekt entgegen bringen. Nun aber zurück zu meiner Frage. Scheuen Sie sich nicht. Sie stehlen mir nicht die Zeit. Heute Morgen ist hier noch nicht viel los. Ich habe Zeit bis 8:30, dann haben wir eine Besprechung mit dem Polizeipräsidenten höchstpersönlich. Er hat eine Krisensitzung einberufen wegen der Geschehnisse der letzten Zeit…“ Man merkte, dass Miwako die Sache auch beschäftigte, immerhin hatten sie es selten mit Serientätern, sondern eher mit einzelnen Mordfällen zu tun. „Also, was ist Ihnen in Amerika mit der dortigen Polizei widerfahren?“

Es war nicht schwer, Miwako als Polizistin zu schätzen – Menschen wie sie fand man nicht in Amerika, die ihren Beruf aus Überzeugung nachgingen und ein offenes Ohr fand man dort auch nicht einfach so.

„Das ist wirklich sehr nett von Ihnen“, bedankte sich die 29-jährige und seufzte dann. „Als Frau lebt man wirklich gefährlich dort. Selbst mit einer Pistole ist man nicht sicher vor Übergriffen. Wenn man dann noch den Eindruck erweckt, eine toughe Frau zu sein, wird einem auch noch die Schuld in die Schuhe geschoben. Mein Vater war ein sehr reicher Mann, der diverse Geschäfte mit merkwürdigen Gestalten machte. Einer von denen hat mich in unserer häuslichen Bibliothek angefallen und versucht mich zu vergewaltigen… Obwohl ich schwer verletzt aus dieser Sache gegangen bin, ist es zu einem Prozess nie gekommen. Er kannte die richtigen Leute, die ihn beschützt haben, da hat die Polizei die Ermittlungen eingestellt. Als er einige Jahre später erneut versucht hat, an mich heranzukommen, wollte ich Anzeige gegen ihn erstatten. Leider war ich da schon in der Schauspielbranche. Man sagte mir, dass ich es mir ausgesucht habe. Ich solle damit leben lernen, dass man mir ab und zu auflauert. Wenn ich so große Angst hätte, solle ich mir doch einen Bodyguard zulegen, beim Verdienst in meinem Beruf wäre das ja kein Problem“, sagte sie und lächelte dabei spöttisch – leider war diese Geschichte kein Scherz. Eine Schauspielerin musste eben damit leben, dass sie irgendwelche Stalker verfolgten, man konnte ja nicht jeden, der Interesse an ihr bekunden wollte, gleich mit einstweiliger Verfügung von ihr fernhalten.

„Er hat mich regelrecht belästigt, also so richtig gestalkt, aber die Polizei wollte nichts dagegen unternehmen, weil ich die Männer provoziere.“ Lächerlicher konnte eine Sache nicht mehr werden. Man merkte an Miwakos Blick, dass sie gerade etwas genauer hinsah und sich dazu ihre Gedanken machte. Ob sie Chris wohl als provokant empfinden wollte.

Nach dem gestrigen, ereignisreichen Tag – das musste Miwako zugeben – hatte sie sich durchaus über die Freundin von Iwamoto informiert, daher konnte sie fast gar nicht widerlegen, dass sie manchmal schon sehr provokant auftrat. Dennoch fand sie, das Aussehen einer Frau rechtfertigte noch lange nicht, dass man sich als Mann so benahm. Gerade fand sie die Blondine nicht provokativ, sie war zwar etwas schicker gekleidet, aber wäre Miwako nun ein Mann, würde sie die Frau für eine ganz normale Lady halten, die eine Verabredung und sich dafür hübsch gemacht hatte.

„Man sieht in Filmen immer unglaublich viel über CIA und FBI, wie viel davon nun den Tatsachen entspricht, kann man nur mutmaßen. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass einige Sachen tatsächlich so laufen, wie sie dargestellt werden.“ Miwako gestikulierte leicht mit einer Hand, dadurch zeigte sie aber durchaus ein paar Emotionen. „In Japan können Sie sich sicher fühlen, nicht umsonst ist es eins der Länder mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Außerdem darf hier nicht jeder eine Waffe tragen, anders als in Amerika“, sagte sie, dann lächelte sie leicht verschmitzt. „Außerdem ist Ihr Freund bei der Polizei, er wird schon gut auf Sie aufpassen, oder etwa nicht? Entschuldigen Sie meine Neugierde – aber wie haben Sie beide sich eigentlich kennen gelernt?“ Sie war schon so unmöglich wie Yumi – anscheinend färbte das ab. Sie schämte sich schon ein bisschen, aber ein Kriminalist liiert mit einer Schauspielerin sah man eher selten…

Chris lächelte geheimnisvoll, obwohl sie ja eigentlich nicht schweigen wollte – nicht bei ihr. Miwako war ihr wirklich sympathisch und sie zielte doch ein klein wenig darauf, sich mit ihr vielleicht anfreunden zu können – sie wusste ja selbst, das war Wunschdenken, aber man durfte ja mal träumen, oder?

Sie musste noch nicht einmal zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten greifen, um auch nur ansatzweise so verliebt zu lächeln, wie es den Anschein machen sollte. „Man kann sagen, dass ich förmlich in ihn hineingerannt bin. Gerade dann als ich von meinem Verehrer verfolgt wurde und er mich fast geschnappt hatte. Leider musste der Kerl dann eine Kehrtwende hinlegen, weil Sêiichî schon damals alle Hoffnungen in die Polizei legte… Er hat sofort die Polizei gerufen. Das ist jetzt gute sechs Jahre her, da ging er noch zur Schule. Ich war im Urlaub in Japan. Nicht einmal hier hat dieser Kerl mich in Ruhe gelassen. Er ist wirklich sehr aufdringlich“, nun seufzte sie. „Natürlich habe ich dem Jungen damals nicht sofort auf die Nase gebunden, dass ich seit Jahren verfolgt werde. Er wäre dann wohl übermütig geworden. So war er nämlich schon immer.“ Sie hatte jetzt einfach mal entschlossen, sich nicht dafür zu schämen, dass sie Interesse an einem so jungen Kerl gehabt hatte. Sie ging eh davon aus, dass Miwako das bereits wusste, weil Sêiichî mit Sicherheit schon etwas in die Richtung gesagt hatte. Er musste ja mit den sechs Jahren angeben, als würden sie bereits die goldene Hochzeit feiern – für ihn war das wahrscheinlich auch fast so – jedenfalls wenn man es mit seinen anderen Beziehungen verglich, die verdienten die Bezeichnung nicht einmal. „Man kann schon ein bisschen sagen, dass er mein Held ist. Ich musste mich also in ihn verlieben…“ Gab sie ihm mal die Ehre, ein Held zu sein, das hatte er ja schon immer sein wollen – so wie Yuichi… Ihm direkt sagte sie nicht, dass er ein Held für sie war, dann drehte er am Ende noch total durch. Er sollte sich lieber etwas zurücknehmen, obwohl ihm die Heldenrolle goldrichtig stand. Wie sagte man so schön von Helden? Helden sterben früh! Darauf verzichtete sie dankend.

„Also war er wohl damals auch schon ein sehr mutiger, junger Kerl?“ hinterfragte Miwako mit einem netten Lächeln – sie hätte jeden geschimpft, der behaupten würde, dass diese Frau Iwamoto nicht liebte, sie fand es eindeutig, dass sie es tat. Sie fand es auch gar nicht schlimm, dass Sêiichî jünger gewesen war, als 20, auch, wenn man sich darüber streiten konnte, inwiefern man so etwas in dem Alter ernst nehmen konnte. Sie war nicht so altbacken, um sich jetzt zu echauffieren. Es gab die verrücktesten Liebesgeschichten auf dieser Welt. Ihre gemeinsame mit Wataru war ja auch nicht gerade die typische Geschichte. Sie beide hatten es sich wirklich sehr schwer gemacht.

„Oh ja, mehr als das. Der Kerl war richtig verrückt. Ich wünschte, ein paar Männer würden sich eine Scheibe von ihm abschneiden, aber bitte nur die Guten, nicht die Macken.“ Nun wirkte ihr Gesicht leicht fies, dennoch hatte Sêiichî gefestigte Ideale besessen, die anderen Männern nicht schaden würden, wenn sie diese mal beherzigen würden.

Beide lachten, als hätte Chris einen Witz erzählt – allerdings trug das Gespräch dazu bei, dass sie doch darüber nachdachte, Sêiichî seine verdiente zweite Chance einzuräumen, obwohl die Sache gestern wirklich nicht das Gelbe vom Ei gewesen war. Wenn sie Chris so reden hörte, dann war er ein besserer Kerl, als es nach außen hin vielleicht wirkte. Sie hatte diesem Typ Mann ja noch nie sonderlich viel abgewinnen können, aber Wataru nahm ihn in Schutz und dieser war ein sehr guter Mensch. Wenn Iwamoto also so ein schlechter Typ wäre, würde Wataru ihn kaum so sehr mögen, oder? Sie machte sich wirklich Gedanken.

„Wir werden beobachtet“, meinte Chris nun ganz leise, um einige Meter weiter nicht gehört zu werden. „Schon eine Weile, obwohl er so tut, als wenn er nicht zu uns rüber schaut.“

Die Augen von Miwako schielten etwas nach hinten, dabei drehte sie nur ganz langsam den Kopf. Bis sie den Mann erblicken konnte, den Chris wohl mit Sicherheit meinte. Traute er sich nicht her? Oder hatte er sogar gelauscht? Sie merkte sofort, dass er den Blick von ihnen abwendete, als Miwako den Kopf komplett zu ihm gedreht hatte, dabei hatte Wataru zu ihnen gesehen – ganz eindeutig.

Die Polizistin setzte ein Lächeln auf, bevor sie zu ihm hinüberrief: „Ne, Wataru-kun? Warum stehst du da so in der Ecke? Sie ist wirklich ganz nett…“ Es klang, als hätte ihr Freund Angst, das schien diesem auch weniger zu gefallen, das merkte man ihm sofort an, weil er ganz schön beleidigt aussah und dann auf sie zusteuerte.

Chris verkniff sich ein Lächeln – er hatte ja ganz geschickt ihrer Konversation gelauscht, raffinierter als er aussah. Sie fragte sich ernsthaft, was der Anlass dafür war, nicht sofort zu ihnen zu kommen. Ihre Mutter etwa? Sie würde nie vergessen, wie schockiert er ihren Namen ausgespien hatte, als Sêiichî diesen offenbart hatte. Chris bezweifelte, dass es daran lag, welchem Beruf sie nachging. Bei Sharon war er lockerer gewesen… und dieser war er schließlich auch begegnet. Die Welt war eben klein – leider.

„Guten Morgen, die Damen“, sagte er, anders als Miwako sprach er nicht englisch – er hatte ja bereits mitbekommen, dass ihr Japanisch genauso tadellos war, wie das ihrer Mutter.

„Es ist nicht gerade die feine Art, zwei Damen zu belauschen!“ sagte Chris ziemlich spitzfindig und brachte damit Miwakos Freund ziemlich in Verlegenheit.

„Entschuldigen Sie.“

„Ich bin gewillt, Ihnen zu verzeihen, Mr. Takagi.“

„Oh, da muss ich Ihnen wohl danken, Ms. Vineyard.“ Beide lächelten, doch Watarus Lächeln erstarb unglaublich schnell und er warf Chris einen besorgten Blick zu. „Man konnte euer Gespräch kaum überhören. Es tut mir auch wirklich leid, aber der Mann, von dem Sie verfolgt werden, ist doch nicht etwa gebürtiger Japaner, oder?“

„Wataru!“ mahnte Miwako ihren Freund entsetzt davon, dass er derartige Taktlosigkeit an den Tag legte und so frech nachfragte. Sie kannte den Grund nicht und fand es daher unverschämt von ihm. „Schon gut, Mr. Takagi hat gewiss Gründe, weshalb er das so fragt, nicht wahr?“ Chris lächelte nett und konnte sich vorstellen, dass er annahm, der Stalker sei derselbe, der auch ihre Mutter nicht in Ruhe gelassen hatte. Sie verstand, dass er das annahm, denn es war leider auch noch wirklich der Fall.

Wataru wirkte bedrückt. „Ich frage, weil ich es natürlich zu meinen Pflichten zähle, Sie im Namen der Polizei zu beschützen. Normalerweise würde ich Iwamoto sofort das Feld überlassen, aber er ist ja noch nicht da.“ Es war eine Ausrede, das wussten sowohl Chris als auch Wataru selbst. „Das ist sehr aufmerksam von Ihnen. Aber ich denke, das wird nicht nötig sein. Nur ungern möchte ich sie beide jetzt hier so stehen lassen“, sie warf ihrer edlen Armbanduhr einen Blick zu, „aber es ist 7:45 Uhr und ich habe einen Termin.“

„Oh, natürlich. Gehen Sie nur. Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen“, sagte Miwako lächelnd und hielt ihr die Hand hin, was für eine Japanerin schon enorm war. Chris starrte einen Moment auf die angebotene Hand, lächelte dann ebenfalls und sagte: „Die Freude war ganz meinerseits, wir werden uns bestimmt noch einmal über den Weg laufen. Davon bin ich überzeugt, man trifft sich sowieso immer zweimal im Leben.“

„Bestimmt.“

Wataru war nicht zufrieden mit ihrer Antwort, denn eigentlich war es gar keine. Chris begab sich zum Aufzug und drückte dort die nach oben Taste, so dass sie zumindest wussten, dass sie ihren Termin wohl in einem oberen Stockwerk hatte. Beide Kriminalisten sahen sich an, dabei sah Wataru mehr als nur verunsichert und besorgt aus, so sehr, dass Miwako ihn fragen musste.

„Was beschäftigt dich? Du hast sie nicht einfach so gefragt, ob es sich um einen Japaner handelt, oder?“ Mit der Frage überraschte sie ihn keineswegs, aber er senkte gleich den Kopf. Jedoch nicht, weil er unwillig war, ihr zu antworten. „Ich habe ihre Mutter gekannt – ihr bin ich damals als kleiner Junge begegnet.“ Wataru sagte es leise, während er die Blondine weiter mit einem besorgten Blick beobachtete, bis sie in dem Aufzug verschwand. „Ich frage mich, zu wem sie will.“

„Du bist total neugierig, das gehört sich nicht! Das ist ja schließlich kein Fall!“ Mit einem tadelnden Ton sah sie ihren Freund an und stemmte die Hände in die Hüften.

„Wer weiß? Sie hat doch gesagt, dass dieser Kerl sie sogar bis nach Japan verfolgt. Das beunruhigt mich schon irgendwie.“

„Du meinst, er könnte sie allen Ernstes anfallen? Hier in Japan? Wenn er das wagt, kann er sich frisch machen! Solange ich hier Dienst habe, geht mir kein solcher Kerl durch die Lappen! Das kannst du mir aber glauben.“ Diese Person hatte versucht eine Frau zu vergewaltigen… das war alles, woran Miwako gerade denken konnte. Was für ein Scheusal musste das sein… Diese Frau sah nicht aus, als würde sie es allzu schnell mit der Angst zu tun kriegen. Trotzdem war Miwako sicher, dass das, was in ihren Augen gewesen war, durchaus passend als Angst zu bezeichnen war.

„Etwas stört mich an der Sache“, sagte Wataru, obwohl es wirkte, als wenn er sich das nicht erklären konnte, war das durchaus der Fall.

„Selbst, wenn der Kerl sie bis Japan verfolgt hat, wie kommst du zu der Annahme, dass er Japaner sein könnte? Du hast so sicher geklungen…“ Miwako wollte ihn wohl nicht mit fadenscheinigen Ausreden davonkommen lassen und sah ihn fest an, er entgegnete diesen Blick nicht weniger fest, auch wenn er kurz schluckte.

„Gestern – da sagte ich, dass mein Vater sich für die Mutter dieser Frau interessiert hat – so etwas…“ Sein Blick richtete sich gen Boden, dabei kniff er die Augen zu, als könne er seine Gedanken fast nicht mehr ertragen.

„Wataru, was ist? Was ist los mit dir?“ Die Sorge hatte Besitz ergriffen von der Kriminalistin, weil ihr Freund alles andere als gut aussah, deswegen ergriff sie auch seine Schultern. Er blickte auf in ihr Gesicht. Es war einer der Momente, vor denen er sich am meisten gefürchtet hatte, deswegen sah er sie jetzt auch traurig an. „Das war nicht ganz die Wahrheit. Interesse ist wohl kein so passendes Wort. Es war mehr… Besessenheit. Ja, er war regelrecht besessen von Sharon Vineyard. Er wollte sie haben – egal, was sie davon hält. Die Geschichte ihrer Tochter erinnert mich total an ihn.“

Miwakos Pupillen verkleinerten sich voller Schockierung. Sie konnte nicht fassen, was Wataru da sagte. Aber es passte dazu, was Iwamoto gestern noch gesagt hatte – woraufhin Wataru diesen in Windesweile weggezerrt hatte. Dieses Gespräch, sie hatte sich davor gefürchtet. Genau so, wie Wataru jetzt dreinblickte, so hatte sie sich diesen vorgestellt, wenn sie darüber sprachen, deswegen hatte sie ihren Freund mit ihren aufdringlichen Fragen in Ruhe gelassen – sie wollte ihn nicht so sehen. Aber jetzt musste sie sich dem stellen, es führte kein Weg daran vorbei. Er musste wissen, dass die Taten seines Vaters nichts mit ihm zu tun hatten… Welcher Natur sie auch waren. Wenn man Iwamotos Worten glauben schenken konnte – und sie nahm ihn wirklich ernst in der Sache – dann waren es keine Kavaliersdelikte, die dieser Mann begangen hatte, immerhin hatten beide davon gesprochen, man müsste auf ihn schießen. Da war jeder Zweifel ausgeschlossen.

„Es ist nicht deine Schuld“, sagte sie, fasste nach seinem Gesicht und blickte ihm tief in die Augen. Diese waren voller Schmerz, trotz ihrer Worte. Das ließ die Polizistin regelrecht verzagen, weshalb sie ihm verzweifelt ihre Lippen aufpresste und ihn stürmisch küsste, als sei das die einzige Möglichkeit, um es für ihn erträglich zu machen…

 

Chris wurde bereits erwartet, deswegen wurde sie auch sofort, kaum dass sie den Fahrstuhl passiert hatte, von der Sekretärin in Empfang genommen. Diese führte sie zum Büro und klopfte an, sie wurden hineingebeten und Chris betrat das Zimmer, während sich die Empfangsdame sofort wieder mit dem Schließen der Tür von außen verabschiedete.

„Die Pünktlichkeit in Person“, lobte der 48-jährige Schwarzhaarige, auch wenn es ihm jetzt bei ihr nicht auf die Minute angekommen wäre – das zeigte ihm jedoch, dass sie ihn als Respektperson angenommen hatte, ihn ernst nahm und doch ein bisschen vor ihm versuchte zu glänzen – das fand er sehr schön, auch wenn sie es vielleicht ein wenig übertrieb. Diese Frau ging ein ziemliches Wagnis ein, das einen erschrecken konnte, nur weil sie von ihnen gemocht werden wollte. Polizeipsychologisch sprach das für ein immenses schlechtes Gewissen.

„Setz dich“, sagte er unförmlich – auch wenn sie gerade mit ihm beruflich zu tun hatte, gehörte sie ja bald zur Familie, da wollte er sie nicht verunsichern, indem er vom DU zurück aufs SIE kam – die japanischen Geflogenheiten waren sowieso für Amerikaner sehr verwirrend, denn diese duzten schlichtweg jeden. Sie wirkte ziemlich angespannt, obwohl sie sich jetzt endlich ihm gegenüber hinsetzte und dabei die Hände auf ihrem Rock ablegte. „Wie geht’s Sêiichî?“ fragte er zunächst, ehe sie zu den ernsthaften Themen kommen würden, weil es ihn einfach interessierte, aus nächster Quelle zu erfahren, wie es ihm ging. Der Junge ließ sowieso seine Familie nicht gern durchblicken, wenn es ihm gerade nicht gut ging.

„Gerade noch ganz gut“, meinte Chris, das ließ ihn darauf schließen, dass sie sehr beunruhigt über die gesamte Situation war, dabei war ihr Auftauchen im Präsidium gefährlicher, als das von Sêiichî. Der Polizeipräsident hatte in Erfahrung bringen können, dass die Organisation selten am Tag agierte – mit Vorliebe bei Nacht und bei schlechtem Wetter, das die Menschen flüchten ließ. Die letzte Zeit hatte nur bestätigt, dass sie damit richtig lagen. Aber es gab auch normale Menschen unter ihnen, die bei Tageslicht in zivil unterwegs waren, so wie gerade die Schauspielerin. Weil sie nicht auffielen. Die ganz üblen Gestalten wagten es nicht, sich so offen zu zeigen, weil man ihnen nun mal ansah, wie sie tickten.

„Es gefällt dir nicht, dass Sêiichî hier ist“, schlussfolgerte Takeshi und traf damit ins Schwarze. Chris lächelte beeindruckt – bisher hatte sie dieser Mann noch nie enttäuscht, er war schnell und präzise in seiner Arbeit – genau so eine Person brauchte man, um gegen die Gestalten der Nacht zu bestehen. Dass Sêiichî zu seiner Familie gehörte, war ein glücklicher Umstand, über den sich die 29-jährige bestimmt nicht beschweren würde.

„In der Tat, es gefällt mir nicht. Dir gefällt es auch nicht, dass ich in deinem Büro sitze. Du findest das gefährlich und fragst dich wahrscheinlich, wie man so verrückt sein kann. Aber keine Sorge – die Sicherheitspolizei sorgt schon dafür, dass keine komischen Gestalten hier reinspazieren und uns beide stören. Toru Amuro hat dem Mistkerl, der immer versucht meine Rätsel zu entschlüsseln, eine Fährte gelegt, die leider wichtiger ist, als sich wie ein Schatten um mich herum zu bewegen. Geheimnisse nerven diesen Kerl, je mehr man davon hat, umso wahnsinniger wird er. Amuro hat ihn weggelockt, damit ich hier sein kann, ohne dass ich demnächst als Verräter zur Guillotine geführt werde.“

Sie führten schon merkwürdige Gespräche, aber im Gegensatz zu anderen, sprach diese Frau für ihn nicht in Rätseln, er verstand ziemlich gut, wovon sie sprach. Das lag aber auch daran, dass er diese Organisation bereits etwas besser kannte – einige seiner engsten Vertrauten hatten ihn sehr gut über den Laden informiert.

„Es ist und bleibt gefährlich, für jeden von uns. Ich weiß, was du jetzt gerne hören willst. Du willst, dass ich Sêiichî zurückpfeife und in Sicherheit bringe. Was glaubst du, wie beleidigt er wäre? Allein die Tatsache, dass wir hier zusammensitzen, er würde sich totschmollen.“ Jetzt lachte der Polizeipräsident, weil sich ihm direkt das Bild seines schmollenden Sohns auftat und ihn das doch sehr amüsierte.

„Er wäre ziemlich beleidigt, das stimmt. Ich bin auch eigentlich hergekommen, um meine Hilfe anzubieten, auch wenn das ein bisschen merkwürdig erscheinen wird. Ich bin es leid, Zeit totzuschlagen und auf Wunder zu warten, weißt du, Takeshi. Wir alle sind es mittlerweile leid. Vor allem, wenn dann solche Sachen passieren, wie das von gestern.“

Damit war die heitere Stimmung passe. Er wirkte sofort ernster und faltete die Hände.

„Rei Furuya hat mich bereits darüber informiert, dass du dich auf unsere Seite schlagen willst. Er findet es allerdings gefährlich. Allerdings noch besser, als Sêiichî einfach machen zu lassen. Er weiß von der Geschichte, die damals in Kyoto passiert ist. Darüber hinaus weiß er, dass Sêiichî alles tun würde, um dich von diesem Kerl zu befreien, der seit Jahren an dir klebt. Dafür würde er jede Schandtat begehen. Das hält er für gefährlicher, als dass Sêiichî in Tokyo ist.“

„Die Organisation hat in Tokyo ein Nest – ausgerechnet hierher muss er sich versetzen lassen…“, seufzte sie und hielt sich den Kopf, als würde sie gerade eine Migräneattacke bekommen. „Auch, wenn Sêiichî versucht es zu verheimlichen, ich weiß ganz genau, was er hier will…“ Chris’ Augen verzogen sich zu Schlitzen. Heute war sie gemeingefährlich – sprach Sêiichî nicht darauf an, was sie dachte, sondern ging gleich zu seinem Vater, um mit ihm zu reden – ohne, dass sein Sohn davon wusste. Das nannte sich dann wohl Pech gehabt. Er sollte sich in Acht nehmen – um ihre Leute zu beschützen, war sie gewillt sehr weit zu gehen, weiter als Sêiichî begrüßen würde. Das hier hätte er alles andere als lustig gefunden…

„Alles andere würde mich auch wundern, wo du doch so gut auf ihn achtgibst“, sagte Takeshi, wobei er ihr ein überlegenes Lächeln schenkte. Damit, dass er so gut über sie bescheid wusste, rechnete Chris bestimmt nicht. Er hatte seine Schäfchen besser im Blick, als diese immer glaubten. Sogar Sêiichî wäre schockiert darüber, wie viel er mittlerweile wusste und das noch nicht einmal nur von seinem Sohn Yuichi, der gerne seinem Vater weiterhalf, wenn es um Sêiichî ging. Auf der anderen Seite hielten die drei Jungs wie Pech und Schwefel zusammen.

„Nicht anders zu erwarten von jemandem wie dir“, sagte Chris, ebenfalls mit einem gefährlichen Funkeln in ihren hellblauen Augen. „Es freut mich zu wissen, dass er einen würdigen Gegner findet. Da muss ich mir ja wirklich um fast nichts mehr Sorgen machen, nicht wahr? Ich möchte zu gern, sein Gesicht sehen, wenn er von unserer Verbindung erfährt! Dieser Fall sollte allerdings erst dann eintreten, wenn er bereits mit einem Bein im Gefängnis steht. Wenn er dann nämlich die Möglichkeit hat, mich zu bestrafen, kann ich mich da auf eine sehr harte Zeit gefasst machen.“ Nun blickte die Blondine aus dem Fenster – sie war fest entschlossen, diese Sache durchzuziehen. Gegen Sêiichîs Willen, das hatte er verdient, dass man hinter seinem Rücken agierte – was tat er schließlich? Ließ sich nach Tokyo versetzen, um Jagd auf ihren gemeinsamen Feind zu machen. Was wollte er ihr eigentlich immer noch beweisen? Dass er stärker war als Chardonnay vielleicht? Oder dass die Polizei stärker war als dieser? Das würde sie schon eher unterschreiben. Jedenfalls wenn die richtigen Leute sich dieser Sache annahmen und man der Polizei ein paar Sachen lieferte, würde für die Organisation demnächst eine schwere Zeit anbrechen. Es war amüsant, immerhin wog sich der Boss immer in Sicherheit und war übervorsichtig, vertraute dann aber solchen Menschen wie Bourbon und ihr. Sie wusste nicht, über welchen von ihnen beiden sie sich mehr amüsieren sollte – Sêiichî würde sagen, dass es dümmer war, einem Spion von der Polizei so viele Möglichkeiten zu geben, zu ermitteln. Der Boss verliebte sich leider immer in die falschen seiner Schäfchen – es war ja fast verdientes Leid. Genauso dumm war es von Chardonnay sie zu decken, obwohl sie ihn so oft mit Verachtung gestraft hatte – aber auch diesen Umstand sollte sie ausnutzen, solange er da war – denn sie legte gewiss nicht ihre Hand ins Feuer, dass der Alte seine Meinung am Ende nicht doch noch einmal änderte. Sie glaubte, dass die Polizei seine Achillesferse war. Es gab ihr eine gewisse Genugtuung, mehrere Verbindungen zur Polizei zu haben, zu seiner am meisten gehassten Polizei. Es gab Menschen, die glaubten sogar, dass Vermouth das absichtlich machte, genauso wie sie absichtlich eine Person geworden war, die Chardonnay nicht leiden konnte. Chardonnay würde wahrscheinlich auch bis zum bitteren Ende behaupten, dass Chris Sêiichî nicht liebte, sondern natürlich nur ihn selbst damit treffen wollte.

Was Chris sagte, entsprach wohl den Tatsachen – er wusste schon davon, dass sie in den Genuss kam, vom Drahtzieher der Organisation besonders gemocht zu werden. Lästermäuler fragten sich, wie weit das gegenseitige Entgegenkommen der Beiden wirklich ging. An seine Tür hatten schon einige geklopft, um ihn aufzuklären, welche Kontakte seine Kinder pflegten. Natürlich ging das dann auch gleich so weit, dass es im Schlechtreden der Personen endete. Er kannte einige von den unschönen Sachen, die man behauptete – er konnte sich auch genau vorstellen, was von all dem den Tatsachen entsprach und was frei erfunden war. Es war ja nicht so, dass Chris die Einzige war, über die einige Leute Schlechtes erzählten. Auch über Hidemi hatte er schon die schlimmsten Sachen gehört – die allerschlimmste war der Mord an Shuichi Akai. So einer konnte er doch nicht seinen geliebten Sohn überlassen – Takeshi hatte noch nie jemanden beurteilt, weil er einen Fehler gemacht hatte. Wobei er diese eine Tat von Yuichis Lebensgefährtin nicht einmal als einen Fehler ansehen konnte, weil sie mit dem Rücken zur Wand gestanden hatte. Es war ihre Entscheidung: Entweder sie verübte diese Tat, oder sie musste sterben. Daher sagte diese Sache nichts über den wahren Charakter dieser Frau aus. Menschen, die in Angst lebten, waren leicht steuerbar. Es war eine traurige Wahrheit. Chris saß hier, weil sie ihr schlechtes Gewissen plagte. Da sie dachte, sie müsste all das, was sie in der Vergangenheit getan hatte, wiedergutmachen. Er wäre sehr einfältig, das nicht zu wissen. Yuichi hatte einmal gesagt, dass selbst die Menschen, die den Zerfall der Organisation herbeisehnten lieber einen Bogen um Chris machten. Er hatte mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass sie sich nicht wundern brauchte, so wie sie sich immer benahm. Es war kein Wunder, dass keiner sie mochte. Wobei keiner auch nicht richtig war, immerhin hatte sie Sêiichî und an den klammerte sie sich wohl auch deshalb wie an ihr Rettungsseil, was sie vor dem Untergang bewahren konnte…

Egal, was irgendwelche Menschen ihnen erzählten, da war er sich mit seiner Frau einig. Sie gaben nichts auf das Geschwätz der Leute, obwohl das die meisten Leute verteufelten, weil sie der Meinung waren, nur weil er der Polizeipräsident war, musste er automatisch auf bestimmte Weise handeln. Es gab auch Menschen, die hätten wohl wie wild mit dem Finger auf ihn gezeigt, dass er überhaupt sich die Zeit nahm, mit ihr zu reden. Er solle lieber etwas tun, um sie auf frischer Tat zu ertappen, damit man sie endlich aus dem Verkehr ziehen konnte. Er seufzte dann immer innerlich, weil gerade diese Menschen schienen überhaupt keine Ahnung zu haben, was es hieß, wenn jemand einen in der Hand hatte. Das Druckmittel war vollkommen irrelevant. Gerade Frauen wie Hidemi und Chris – nein er machte da keinen Unterschied. Von beiden konnte man behaupten, dass sie ein Herz besaßen, das auch noch an bestimmten Menschen hing. Selbst wenn es nur um das eigene Leben ging – wer wollte dieses schon freiwillig aufgeben? Da musste man schon sehr kaputt sein, um freiwillig sterben zu wollen. Das stand auch gar nicht zur Debatte. Fakt war, man hatte beide in der Hand. Da zählten für ihn irgendwelche Taten nur noch halb. Ein Mann aus Kyoto, den er schon eine beachtliche Zeit kannte, hatte ihm mitgeteilt, wer mit Yuichis Einstieg in die Organisation zu tun hatte – dieser sei nicht der einzige arme Junge gewesen, dessen Schicksal sie in den Händen gehabt hatte. Das Kind seines Freundes hätte auch dieses Glück gehabt. Er betrachtete diese Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Es mochte sein, dass sie damit zu tun hatte, ihn interessierte nicht, dass es so war, sondern wieso es so war und auf welche Art und Weise. Tokorozawa wollte nichts davon hören, dass Yuichi und Kenichi ja nicht tot waren – nur eben an einem schrecklichen Ort. Kein Mensch fragte sich, warum sie so etwas damals gemacht hatte? Genauso wenig wie sich niemand fragte, wieso sie einen 17-jährigen vor dem Tod bewahrt hatte. Es war nur eine Vermutung, aber er schätzte sie so ein, dass sie bei einem Attentat auf Kinder nicht hätte zusehen können –  aus welchem Grund auch immer dieses stattfand. Sêiichî hatte es selbst bestätigt, sie hätte sehr gern Kinder, aber sie scheute sich davor, sich selbst und einem anderen Lebewesen, was sie auch noch so sehr liebte, wie es Mütter eben taten, so etwas Schreckliches anzutun. Kinder, die in die Organisation geboren wurden, kannten nichts anderes als diese schreckliche Welt. Seine Kinder hatten das Glück alt genug gewesen zu sein, um bereits die schöne und nicht nur diese kalte und umbarmherzige Welt kennenzulernen. Aber ein Kind, was sonst nichts anderes kannte und dementsprechend zum Bösen erzogen wurde, würde auch todsicher böse sein. Es war auch sehr fraglich, ob Organisations-Eltern ihre Kinder selbst erziehen würden – eher nicht. Man würde sich ihrer annehmen und sie so formen, wie sie der Organisation den größten Nutzen versprachen.

Nach ewigem Rumdrucksen hatte Sêiichî ihm vor einiger Zeit gestanden, dass die Organisation damals an Ryochi interessiert gewesen sei. Dieser Kerl namens Chardonnay fand es aber viel interessanter das Kind eines hochrangigen Kriminalisten zu töten und hatte sich entschieden, die beiden Jungs anzufallen, nur um sich an der Polizei, die er so sehr hasste, zu rächen. Dabei war Sêiichî mehrfach angeschossen worden und Chardonnay traktierte Ryochi damit, kein Feigling zu sein, der sich hinter seinem Freund versteckte, sondern sich ihm zu stellen. Sie waren beide noch kleine Jungs gewesen – Kinder, für die es eigentlich keine Rettung mehr gegeben hatte. Sêiichî wusste weder damals, noch heute, so wirklich, was da genau vor sich gegangen war, denn man hatte sie sehr hinterhältig angefallen und anschließend war der Blutverlust so groß, dass er fast die Besinnung verloren hatte. Aber an eines erinnerte er sich noch sehr genau. An das Erscheinen seiner Freundin, die sich für die Kinder mit diesem Bastard angelegt hatte. Sêiichî hatte nie Beherrschung, wenn es um diesen Mann ging, da vergriff er sich oft im Ton und man sah ihm an, dass er ihn hasste – aus den simpelsten, aber auch mit den nachvollziehbarsten Gründen.

So gesehen hatte die hier anwesende Frau auch einem seiner Söhne das Leben gerettet, was eben nicht zu verachten war, weil Personen, die so eigenwillig handelten, eigentlich eher ungern in der Organisation gesehen waren. Chardonnay war ein geachteter Killer dieses Drahtziehers, aber vor allem von Frauen verachteter – und noch viel schlimmer – gefürchteter Mann. Mit dem sie sich wagte anzulegen. Er würde nie vergessen, wie emotional Sêiichî geworden war, als er ihn besucht hatte, nachdem jemand so gehässig war, ihm zu sagen, wie viel sein Vater von Vermouth wusste. Er war hergekommen, um sie zu verteidigen. Der Junge konnte alles rauslassen, was nötig war. Er ließ ihn verzweifelt werden – so kam man am besten an die interessanten Sachen. Natürlich nicht ohne ihn am Ende dann aufzufangen, als er fast zusammengebrochen war. Sêiichî war wirklich immens emotional geworden, weil er befürchtet hatte, es hatte sich die nächste Person gefunden, die seine Freundin verabscheute und hasste. Er hatte mit Tränen in den Augen gesagt, was Takeshi sicher nie in seinem Leben vergessen konnte. Sie hat uns alle vor dem Tod bewahrt. Man sollte sie als Heldin feiern und nicht hassen. Wieso bin ich der Einzige auf dieser Welt, der das so sieht? Hältst du mich auch für dumm, weil ich in einer Mörderin meinen Schutzengel sehe? Ehe Sêiichî ihm wirklich zusammengebrochen wäre, musste er handeln, um ihm klarzumachen, dass keiner sie hasste, auch nicht Yuichi. Egal, wie sehr er manchmal sein Leben in der Organisation verteufelte, deswegen hasste er sie nicht. Er kannte seinen Sohn immerhin. Höchstens mochte er sie nicht so sehr. Was seine Wenigkeit anging, so hatte er genug Erfahrung mit solchen Dingen, um dem ersten Anschein nicht mehr als eine flüchtige Einschätzung zu gewähren. So hatte er Sêiichî erst durchs Haar gewuschelt und dann tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt, ehe er ihm gesagt hatte, dass er mit seiner Meinung nicht alleine dastand, er ihn deswegen nicht für dumm hielt und die, die es taten nicht wussten, wovon sie redeten. Auch, wenn seiner Freundin ein bisschen weniger Heldentum besser stehen würde, bevor sie noch umkam – was er allerdings für sich behalten hatte, bevor es seinen Sohn noch zu irgendwelchen Dummheiten ermuntern konnte. Es hatte ihn nicht überrascht, dass er sie Mörderin nannte und im gleichen Satz von einem Engel sprach – Tatsachen und Emotionen schlossen einander nicht aus. Und Sêiichî hatte ein gutes Herz, aber er war deswegen noch lange nicht blind, auch wenn viele ihm das zu unterstellen versuchten. Er war stolz auf ihn, schließlich hatte er dem Jungen ja auch beigebracht, dass man die, die man liebte beschützen musste. Und man musste zu ihnen stehen, selbst wenn das bedeutete, dass die ganze Welt gegen einen war.

Diese Frau brachte ihn in eine ziemliche Bedrängnis, mit ihrem Tatendrang. Das Dumme an so etwas war, dass man abwägen musste, was gerade das Beste wäre. Sie war keine Frau, die irgendwelche Hilfe von irgendwem benötigte, um aktiv zu werden. Sie würde auf eigene Faust irgendetwas tun, was ihr am Ende mehr schadete, als ihnen allen nutzte. So war er nicht ganz unglücklich drüber, wenn die Sicherheitspolizei mit im Boot saß und dabei doch ein bisschen achtgab, dass auch wirklich nicht die Falschen zu Schaden kamen. Sie abzuweisen würde in dem Fall wahrscheinlich eher wenig nutzen. Aber sie waren hier auch nicht bei Wünsch dir was und man erfüllt es dir.

„So, und jetzt mal Hand aufs Herz, meine Liebe. Sêiichî erzählt ja mittlerweile wirklich mehr, als früher. Aber bestimmt kannst du mir da noch ein bisschen mehr auf die Sprünge helfen. Warum willst du unbedingt die Heldin spielen? Wir sind nicht in einem Film, wo mit Plastik-Patronen geschossen wird und wir am Ende nur in einem Fleck aus Kunstblut liegen. Ich weiß, dass dir diese Sache sehr wichtig ist – aber ist es diese Person wert, dass du dein Leben riskierst und am Ende alles aufs Spiel setzt? Ich hoffe, du bist dir im Klaren, wie mein Sohn reagiert, wenn dir irgendetwas geschieht. Die Frage muss ich dir doch hoffentlich nicht stellen?“

Takeshi beobachtete sie, wie sich ihre Mimiken veränderten. Im ersten Moment sah er etwas furchtbar Rebellisches, als säße tatsächlich ihr Vater vor ihr, der sie gerade tadelte – sie war aber so gar nicht einverstanden und wirkte, als wenn sie jeden Moment zickig werden wollte – sie fühlte sich wohl ein bisschen behandelt, wie ein kleines Mädchen, was noch nicht wusste, was es da tat. Aber dann sah sie ihn mit großen, staunenden Augen an…



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