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vertrauter Fremder

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vertrauter Fremder

Seine Finger fuhren über die Bogensehnen, als hätten sie noch nie etwas anderes getan. Inigo war fasziniert davon und das, obwohl er kaum mehr als die Hälfte der Berührungen sah.

Er hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und presste sich, so gut es ging, gegen eine Kiste. Pfeilspitzen pieksten in seinen Rücken, doch das war ihm egal. Alles was zählte, war sein Vater, der auf der anderen Seite der Waffenkammer die Bögen untersuchte.

 

Seit er ihm in diesem Dorf zu Hilfe gekommen war, hatte Inigo auf so eine Gelegenheit gehofft. Doch jetzt, wo sie endlich einmal alleine waren, hatte ihn der Mut, ihn anzusprechen schon wieder verlassen.

Also begnügte er sich damit, durch die Holzkisten zu spähen und zu überlegen, was sein Vater wohl mit einem Bogen wollte. Er sah hochkonzentriert aus, fast so, als wüsste er genau, was er da tat. Inigo kannte diesen Blick. Es war der gleiche, den Lucina aufsetzte, wann immer sie eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte.

 

Ein leises Seufzen löste sich von seinen Lippen.

 

Lucina.

 

Er hatte sie mit ihrem Vater trainieren sehen. Morgens, vor den Zelten, die Falchions malerisch ins erste Licht getaucht. Es hatte ihn erschreckend traurig gestimmt. Wie gerne hätte er einmal etwas Zeit mit seinem Vater verbracht und mit ihm den Schwertkampf geübt, doch egal wie früh er aufstand, seine Schwester schien stets schneller zu sein als er.

 

Sie waren ein gutes Team. Perfekt aufeinander abgestimmt. Eine Freude für jeden Zuschauer und offensichtlich auch für seinen Vater, der jeden Tag aufs Neue gegen sie antrat.

 

Wer konnte es ihm verübeln? Bei einer Partnerin wie Lucina...

Wer brauchte da noch einen Inigo?

 

Unwillkürlich begann er zu schwanken. Die Pfeilspitzen bohrten sich stärker in seinen Rücken. Es schmerzte, seine Zehen knickten weg. Er prallte gegen die Kisten und die gaben mit einem dumpfen Knacken nach.

 

Heilstäbe fielen auf den Boden und Inigo fiel prompt hinter ihnen her.

 
 

🌲🌲🌲

 

Als er die Augen wieder aufschlug, starrte sein Vater ihn groß an.

 

„Hast du dir weh getan?“

 

Er schüttelte den Kopf und bemühte sich um ein schiefes Lächeln. Nein, schmerzhaft war es nicht gewesen, den Heilstäben sei dank. Wären in den Kisten stattdessen Äxte gewesen, die Sache hätte schlimmer ausgehen können. Stumm griff er nach der angebotenen Hand und ließ sich wieder auf die Beine ziehen. Das Ganze war ihm ziemlich peinlich.

 

Ausgerechnet vor Chrom; ausgerechnet vor seinem Vater...

 

„I-Ich räum das wieder auf“, flüsterte Inigo und erntete prompt ein dünnes Lächeln dafür.

 

„Was hast du überhaupt hinter den Kisten gemacht?“, wollte sein Vater wissen und Inigo spürte, wie die düsteren Gedanken zurückkamen. Lucina hätte sicher nie -

 

„I-Ich habe nur ein neues Schwert gesucht“, stammelte er, obwohl das Ganze ziemlich unglaubwürdig klang, „Und dann bin ich gegen diese Kiste gestoßen. Es tut mir leid.“

 

Chrom winkte ab. „Das macht doch nichts. Das ist nichts, was mir nicht auch schon mal passiert ist. Glaub mir, ich mache in dieser Armee mehr Sachen kaputt, als Frederick zählen kann. So etwas passiert eben.“

 

Inigo nickte.

Er hätte zwar nicht behauptet, dass so etwas einfach so passierte, aber es tat gut zu wissen, dass sein Vater ihm zu glauben schien.

 

Vorsichtig nutzte er die Chance, um ihn noch einmal aus der Nähe zu mustern.

Die Leute hatten recht. Sein Vater sah ihm ähnlich. Sie hatten das gleiche, blaue Haar, eine ähnliche Statur, sogar fast die Gleiche Größe. Das Einzige, was er nicht geerbt zu haben schien, war seine Ausstrahlung.

 

„Du suchst nach einem Bogen?“, fragte er schüchtern. Chrom nickte.

 

„Jede Waffe hat ihre Vor- und Nachteile, selbst das Falchion, und für die Jagd ist es einfach nicht zu brauchen. Ich könnte höchstens ein Reh mit ihm erschlagen, wenn ich es – du weißt schon – anspringe.“

 

Inigo lächelte.

„Ich wusste nicht, dass du jagst“, entfuhr es ihm.

 

Sein Vater wirkte kurz verdutzt. „Jeder jagt doch“, behauptete er dann, „Schließlich muss die Armee etwas essen. Was ist mit dir? Ihr habt in der Zukunft doch sicher auch gejagt?“

 

Inigo schüttelte den Kopf. Zwar erinnerte er sich noch gut daran, wie Henry ihm die Theorie des Jagens beigebracht hatte, doch so richtig mit lebenden Tieren... Nein, so etwas hatte er noch nie gemacht.

 

„Es ist nicht gut, sich von den Truppen zu entfernen. Niemand macht das für einen Happen Fleisch. Aber wir haben Schafe. Wenn wir Fleisch wollen, schlachten wir eins von denen.“

 

„Dann warst du wirklich noch nie so richtig jagen?“

 

Inigo wiederholte das Kopfschütteln „Ich fürchte nein.“

 

„Na dann wird’s Zeit!“

 
 

 

🌲🌲🌲

 
 

Es war seltsam, hinter seinem Vater durch das Unterholz zu schleichen, aber irgendwie hatte es auch etwas besonderes an sich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Lucina das schon einmal getan hatte und das bedeutete:

Es war eine Premiere.

Seine Premiere. Und sie gehörte ihm allein. So wie Lucina der Schwertkampf gehörte.

 

„Siehst du, hier ist eines lang gelaufen“, erklärte Chrom und zeigte auf ein paar schwache Abdrücke auf dem Boden. Inigo nickte. Er hätte seinem Vater auch geglaubt, hätte er behauptet, die Spur wäre von einem Hasen gewesen. Er wusste zwar, dass verschiedene Tiere verschiedene Spuren hinterließen (Auch beim Ausbluten, aber das war ein Fakt, den er immer wieder gerne vergaß.), aber wie welche Spur genau aussah, hatte Henry ihm ohne Anschauungsmaterial nicht beibringen können.

 

Sein Vater dagegen schien so etwas zu wissen.

Er wirkte ruhig, entspannt und so viel weniger einschüchternd, als noch vor ein paar Stunden in der Waffenkammer. Es war faszinierend. Ein Unterschied wie Tag und Nacht und einer, den Inigo gerne weiter ergründet hätte.

 

Trotzdem musterte er erst einmal die Spur und versuchte sie sich einzuprägen. So sah also der Abdruck eines Rehs aus...

Wenn er sich clever anstellte, würde er heute Abend vielleicht schon ein Stück davon auf seinem Teller haben.

 

Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Er mochte frisches Fleisch.

„Isst du gerne Reh?“, rutschte es ihm heraus, während er noch überlegte, wo bei diesem Abdruck wohl vorne und wo hinten war und ob das da, ein kleines Stückchen weiter, wohl von dem gleichen Tier stammte.

 

Sein Vater nickte. „Reh ist immer schön zart, viel besser als Bär“, erklärte er.

 

Inigo erstarrte mitten in der Bewegung.

„H-Hier gibt es Bären?“

 

Sein Begleiter zuckte mit den Schultern. „Sie sind ziemlich selten geworden.“

Inigo musste schlucken. Er hatte Geschichten über Bären gehört. Über große, haarige Monster mit mehr Fell, als gut für sie war, und über Sir Frederick und seine mehr als gefährliche, bärentötende Axt.

Doch Sir Frederick war nicht hier. Nur er und sein Vater und zwei schlichte Eisenbögen.

Wie viele Pfeile würde es wohl kosten, so ein Monster zu erlegen? War es überhaupt zu schaffen? Und wenn nicht, was würde dann geschehen? Unwillkürlich begann Inigo sich stärker auf seine Umgebung zu konzentrieren. Da war die Spur am Boden, dort zwitscherte ein Vogel und dort hinten raschelte ein Busch.

 

Inigo warf einen Blick zu seinem Vater.

Er hatte es auch gehört.

 

Zeitgleich griffen sie nach ihren Bögen und legten an. Vielleicht war das ihr Reh, oder ein Wildschwein, oder aber – Inigo atmete tief durch.

Es war ganz bestimmt kein Bär. Sein Vater hatte gesagt, die wären selten und seltene Tiere brachen nicht plötzlich aus Büschen.

Es war ihr Reh. Es war bestimmt ihr Reh!

 

Da! Etwas Dunkles, hinter den Zweigen!

Eindeutig ein Reh!

Inigo nahm Ziel, spannte den Bogen und ließ den Pfeil fliegen.

 

Etwas ächzte.

 

Er hatte getroffen! Stolz ließ er den Bogen sinken, während sein Vater einen anerkennenden Pfiff ausstieß.

„Der Schuss war perfekt“, lobte er und legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter. Sie war warm und schwer und erfüllte Inigo prompt mit noch mehr Stolz.

 

Ein Lob von seinem Vater war mehr, als er sich je erhofft hatte und vielleicht ein gutes Zeichen. Immerhin, womöglich würde er ihn wieder mitnehmen, wenn ihm der Sinn nach frischem Rehfleisch stand und das bedeutete, sie würden noch mehr Zeit zusammen verbringen!

Und den Damen im Kriegslager würde das bestimmt auch gefallen. Welches Mädchen mochte es nicht, wenn ein mutiger Jäger es zu einer Tasse Tee und einem leckeren Stück Fleisch einlud?

 

Und unter den Voraussetzungen würde kein Mädchen seine Einladung mehr ausschlagen! Das würden tolle Zeiten werden, er musste sich nur entscheiden, welches er zuerst fragen wollte.

 

Auswahl gab es reichlich. Nette Mädchen, störrische Mädchen, verrückte Mädchen und natürlich Owain, der sicher auch ein Stück Reh würde abhaben wollen, selbst wenn er noch nicht wusste, ob es ihm auch schmeckte.

 

Er würde der Held des Lagers sein!

 

Mit stolzgeschwellter Brust folgte er seinem Vater in Richtung ihres Fangs. Wenn er Owain die Geschichte zuerst erzählte, dachte er sich bestimmt eine etwas dramatischere Version für ihn aus. Irgendwas mit blitzenden Waffen und einem wütenden Rehbock mit einem Geweih, so groß wie das Falchion.

Das konnte er dann den Mädchen erzählen und dann -

Inigo prallte gegen den Rücken seines Vaters und taumelte überrascht zurück. Chrom war einfach stehengeblieben. Einen Moment lang schien er verwirrt, dann verschwand er wortlos im Busch.

 

Inigo setzte ihm nach.

„Was ist denn lo-“

 

Das Wort erstarb auf seiner Zunge. Sein Fang! Das war ja gar kein Reh!

 

Entsetzt starrte er den Fremden auf dem Boden an. Er hatte sich zusammengekrümmt und da, zwischen seinen Rippen steckte unübersehbar ein einzelner Pfeil.

 

„I-Ich schwöre, er sah aus wie ein Reh“, stotterte Inigo, während sein Vater sich neben den Mann kniete. „Es war sogar braun. Es war -“

 

„Er atmet.“

 

Inigo seufzte erleichtert. Das war gut. Sehr gut sogar, denn das hieß, er

lebte noch und man konnte ihm helfen!

 

„Was machen wir jetzt mit ihm?“

 

Chrom blickte auf. „Das Gleiche, wie auch mit dem Reh. Wir lassen ihn von Frederick ins Lager bringen, dann kann Lissa den Pfeil entfernen und die Wunde verarzten.“

 

Inigo legte den Kopf schief. „Und wo willst du hier draußen Sir Frederick hernehmen?“, fragte er.

 

Chrom erhob sich wieder und schenkte ihm ein breites Lächeln. „Ach, das ist einfach“, versicherte er, „Er versteckt sich gerade hinter dem Baum dahinten.“

 

„Was?“ Fassungslos starrte Inigo den Baum an. Das konnte doch nicht wahr sein! War ihnen wirklich die ganze Zeit über Sir Frederick hinterher geschlichen?

„Aber... Ich verstehe nicht“, platzte es aus ihm heraus, während Chrom bereits den Ritter hervor winkte.

 

„Glaub mir, das musst du nicht verstehen. Aus irgendeinem Grund ist er der Meinung, es wäre gefährlich, mich mit „suspekten Personen“ allein zu lassen.“

 

„Aber ich bin dein Sohn!“

 

Chrom lachte. „Ja, das bist du. Aber du bist auch eine „suspekte Person“. Glaub mir, ich wäre selber eine, wenn er genug Zeit hätte, mich dauerhaft zu überwachen. Gib ihm einfach zwei, drei Wochen(*), dann wird er Jemand anderes suspekter finden als dich.“ Er deutete auf den Mann am Boden. „Den da zum Beispiel.“

 

„Und dann können wir zu zweit jagen gehen?“

 

Chrom nickte. „Wenn du möchtest.“

 

 

Ende

    
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
(*) Bei Lucina dauerte es vier Wochen. Robin behauptet, das läge an der Maske. Nur suspekte Personen verstecken ihr Gesicht hinter einer Maske. Owain hat den Test nie bestanden und das womöglich aus gutem Grund. Komplett anzeigen

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