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Die Weltenwandlerin

von

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Rückblende, Teil 1

einige Jahre zuvor
 

Meine erste Begegnung mit Thranduil, dem großen Elbenkönig, war alles andere als spektakulär. Keine dieser höchstdramatischen Schlachtszenen, niemand wurde verwundet, entführt oder gefangengenommen, es gab keine Umweltkatastrophe, aber auch keinen Ball, keine Krönungsfeier oder Hochzeit. Da waren keine im Eifer des Gefechts getroffenen Entscheidungen, keine impulsiven Gefühlswallungen, keine Ablenkungen.
 

Unser Kennenlernen war rein und unverfälscht, es war echt. Wir trafen uns fernab von all dem höfischen Getue, jenseits (fast) allen Dramas. Und doch war mein Leben von diesem Moment an anders – wesentlich anders.
 


 

Ich habe keine Ahnung, wie ich nach Mittelerde gekommen bin. Auf einmal war ich einfach da. Aber ich weiß noch, dass es einer der ersten Orte war, die ich besuchte. Einer der ersten Orte außerhalb dieser Welt. Und sicherlich einer der Orte, die ich so ins Herz geschlossen habe, dass ich immer wieder dorthin zurückkehre.
 


 

Es ist einer dieser wunderschönen ersten Frühlingstage, an denen die Sonnenstrahlen nach dem langen Winter allmählich wieder wärmer werden. Ich sitze an meinem Schreibtisch und starre eindeutig Löcher in die Luft. Vom Bildschirm meines Laptops strahlt mir eine blütenweiße Seite entgegen; nicht ein einziges Wort ist darauf zu finden.
 

Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Zustand unter den Begriff „Schreibblockade“ einzuordnen ist. Wenn damit Einfallslosigkeit und Un-Originalität gemeint sind, dann schon. Ich kriege jedenfalls keinen auch nur halbwegs annehmbaren Satz zustande, von einem Absatz ganz zu schweigen.
 

„Vielleicht wäre es mal Zeit für etwas Neues…“, überlege ich, während ich wieder und wieder Figuren und Handlungsstränge im Geiste hin und her wälze, die ich schon zigmal aufs Papier gebracht habe, zu oft vermutlich.
 

Es ist als würde ich feststecken, als käme ich keinen Schritt vor oder zurück. Ziemlich frustrierend. Genervt schließe ich einen Moment lang die Augen…
 

… nur um mich im nächsten Moment an einem ganz anderen Ort zu befinden.
 


 

Das Erste, was ich wahrnehme, noch bevor ich die Augen wieder öffne, ist dieser unverkennbare Geruch nach Wald. Für mich etwas vom Schönsten überhaupt.
 

Dann erblicke ich die Bäume. Große und kleine, alte und junge, dicke und dünne. Ich spüre das weiche Moos unter meinen Füßen, höre die Vögel zwitschern. Es ist angenehm warm, dass ich das Fehlen meiner Jacke keinen Augenblick lang bedauere. Der Frühling scheint hier schon fortgeschrittener zu sein als dort, wo ich herkomme.
 

Die Luft ist anders als bei mir zuhause. Sie ist frischer, natürlicher. Und doch ist da noch etwas, etwas Geheimnisvolles. Es fühlt sich magisch an, unerklärlich, aber wunderbar. Es ist als wäre ich in meinem schönsten Traum gelandet.
 


 

Ein paar Augenblicke lang stehe ich einfach nur da und lasse mir über meine Sinne alle möglichen Reize und Informationen vermitteln – ungläubig, erstaunt, verwundert.
 

Dann, als ich merke, dass ich tatsächlich immer noch hier stehe und sich dieses Wunder nicht wieder in Luft auflöst, fühle ich etwas, das ich schon eine ganze Weile lang nicht mehr gespürt habe: aufrichtige, tief empfundene Freude.
 

Ein erheitertes und zugleich erleichtertes Lachen verlässt meinen Mund, ohne dass ich es beabsichtigt hätte. Ich fühle mich leicht und frei und unbeschwert. Vergnügt drehe ich mich im Kreis. Eins ist sicher: Ich will hier nie mehr weg.
 


 

Andächtig wandele ich zwischen den Bäumen umher. Sie wirken keineswegs bedrohlich oder furchteinflößend auf mich, sondern wie friedliche Hüter des Waldes.
 

An einem Baum bleibe ich stehen; es ist als würde es mich zu ihm hinziehen. An seinem Umfang kann ich erkennen, dass er schon zu den älteren Exemplaren hier gehört. Wer weiß, wie viele Jahrzehnte oder Jahrhunderte er vielleicht schon lebt?
 

„Hallo, mein Großer…“ Ich lege zur Begrüßung eine Hand auf seine zerfurchte Rinde.
 

Ehrfürchtig blicke ich am Stamm hinauf zur Krone. Wie die Welt wohl von dort oben aussieht?
 

Dann prüfe ich, wie weit ich mit meinen Armen um den Stamm herumkomme – etwa zur Hälfte schätze ich. Ich drücke meinen Körper ganz eng an den Baum, schmiege mich an ihn, umarme ihn. Diese Nähe zu einem anderen Lebewesen fühlt sich gut an, beruhigend. Ich lege meine Wange an die Rinde und versuche, ins Innere des Baumes zu lauschen. Es würde mich nicht wundern, jetzt eine Stimme zu hören, die Stimme des Baumes. Ich kann mir auch schon ungefähr vorstellen, wie sie wohl klingen mag: tief und weise, freundlich.
 


 

Als ich plötzlich tatsächlich einen tiefen, kehligen, aber auch bellend klingenden Laut vernehme, erschrecke ich ganz schön. Doch schon im nächsten Moment ist mir klar, dass nicht der Baum der Urheber dieses Geräusches war. Als es dann noch ein zweites Mal ertönt, merke ich auch, dass es panisch klingt. Als ob jemand in Schwierigkeiten wäre. Zumindest hörte es sich für mich so an.
 

Ich mache mich auf die Suche nach dem Ursprung, bewege mich langsam aber entschlossen in die Richtung, aus der ich die Laute gehört zu haben glaube.
 


 

Nicht weit entfernt stoße ich auf die Quelle: Es ist ein perlmuttfarbener Hirsch, der sich in einer Falle verfangen hat. Eines seiner Vorderbeine hängt in einem Seil fest, das ziemlich stark sein muss, da das Tier es auch durch noch so heftiges Zerren nicht zerreißen kann.
 

Als ich näherkomme, schnell die Aufmerksamkeit des vierbeinigen Waldbewohners sofort zu mir: Panisch, die Augen weit aufgerissen, starrt er mich – den potentiellen Feind – an.
 

„Ruhig…“, betont langsam sprechend versuche ich das Tier zu beruhigen. „Ganz ruhig…“
 

Die Hände erhoben bewege ich mich Schritt für Schritt vorwärts – eine Geste, die meine friedlichen Absichten vermitteln soll.
 

Als uns nur noch wenige Meter voneinander trennen, beginnt der Hirsch zu schnauben und mit dem freien Vorderbein über den Boden zu scharren. Eine Warngeste nehme ich an. Ich bleibe stehen.
 

„Ganz ruhig…Ich tue dir nichts… Ich will dir helfen…“ Ich habe keine Ahnung, ob mich das Tier verstehen kann, aber meine Worte scheinen zu wirken: Der Hirsch beruhigt sich etwas, beobachtet mich aber nach wie vor aufmerksam.
 

„Sehr gut… du machst das sehr gut…“ Ganz langsam wage ich mich vorwärts.
 

Als ich so nahe bin, dass ich nur noch eine Hand ausstrecken muss, um den Hirsch zu berühren, halte ich einen Moment inne. Aus dieser Nähe wirkt das Tier noch um Einiges majestätischer und anmutiger; es ist einfach wunderschön.
 

Ich schaue ihm in die Augen, will etwas sagen, aber weiß nicht was. Also verneige ich mich wortlos vor dem königlichen Tier; ganz einfach, weil es sich richtig anfühlt.
 

Dann gehe ich langsam in die Hocke, um das Bein des Hirschen zu befreien, immer darauf bedacht, das Tier nicht zu verschrecken.
 

Da der Knoten durch das heftige Zerren ziemlich fest zugezogen ist, schaffe ich es mit bloßen Händen nicht, ihn zu öffnen. Mit einem scharfen Stein, den ich zum Glück in der Nähe auf dem Waldboden finde, schneide ich zunächst das Seil durch, sodass das eine Ende am Baum hängen bleibt und das andere noch immer am Bein des Hirsches baumelt. Entgegen meiner Erwartung nimmt das Tier nicht Reißaus, obwohl es ja eigentlich befreit ist. Stattdessen bleibt es ruhig stehen und sieht mich erwartungsvoll an.
 

Als ich zunächst nicht reagiere, stupst mich der Hirsch mit seiner Schnauze leicht an und schüttelt das Vorderbein, an dem noch immer das Seil hängt. Ich lache. „Ja klar, warte, ich helfe dir.“
 

Jetzt, da das Seil nicht mehr gespannt ist, ist es wesentlich leichter, den Knoten zu lösen.
 

„So, bitte sehr…“ Ich erhebe mich und blicke in die Augen des Tieres, die so unglaublich grün sind, dass man fast meinen könnte, der ganze Wald sei darin verborgen. „Du bist frei…“
 

Gerne würde ich den Vierbeiner berühren, habe aber Angst, ihn dadurch zu verschrecken. Ich strecke ihm meine Hand entgegen, halte aber auf halber Strecke inne, zögere, warte ab.
 

Der Hirsch lässt ein leises Brummen vernehmen. Bedeutet das Zustimmung? Oder ist er einfach nur belustigt?
 

Es kann gut sein, dass das Tier meine Unsicherheit bemerkt: Es senkt den Kopf in die Richtung meiner Hand bis seine Schnauze meine Haut berührt. Ruhig lasse ich meine Hand dort liegen und bewege mich auch sonst nicht. Dies ist ganz eindeutig ein Moment für die Ewigkeit.
 


 

Ich bin so gefangen in diesem Moment, dass ich alles andere ausblende. Auch wenn es nur ein paar Sekunden sind.
 

Daher erschrecke ich auch umso mehr, als plötzlich hinter mir eine männliche Stimme kommentiert: „Erstaunlich…“
 

Wie der Blitz wirbele ich herum, nur um ein paar Meter weiter einen hochgewachsenen, blonden Elben zu erblicken. Gleichzeitig registriere ich, dass der Hirsch zwischen den Bäumen verschwunden ist.
 

„Ihr habt den König des Waldes gefunden…“, fährt der Blonde fort. Er scheint verwundert.
 

„… und Ihr habt ihn verjagt!“ Die Worte verlassen meinen Mund noch bevor ich darüber nachdenken kann. Augenblicklich erröte ich. Das ist doch sonst nicht meine Art…
 

Der Elb scheint kurz zu schmunzeln, bevor er wiederholt: „Erstaunlich...“
 

„Das sagtet Ihr schon.“ Erschrocken lege ich mir die Hand auf den Mund, damit ich nicht noch mehr Blödsinn von mir gebe. Immerhin habe ich keine Ahnung, wer da vor mir steht.
 

Die linke Augenbraue des Elben wandert nach oben; sein Gesichtsausdruck ist nicht entschlüsselbar.
 

Ein paar Sekunden lang herrscht Schweigen zwischen uns. Tausend Gedanken schießen durch meinen Kopf, während mich der Elb zu mustern scheint.
 

Dann, plötzlich, sagt er: „Verzeiht. Bitte erlaubt, dass ich mich vorstelle. Ich bin der andere König dieses Waldes. Thranduil Oropherion.“



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