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Die Angst vor der Einsamkeit

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Moira-Temis saß in einem der Spitzbogenfenster ihrer Schule und ließ den Schülerstrom an sich vorbei ziehen. Alle trugen dieselben schwarzen Uniformen, die Jungs mit Schlips und Hose, die Mädchen mit Rock und Lackschühchen. Anders als im Rest der Welt, wo es nicht mal mehr Schuluniformen gab, wurde hier jegliche Individualität im Keim erstickt. Mädchen durften keine Hosen tragen, Jungs keine Röcke, die Schuhe wurden beim Einkleiden ebenso mitausgegeben wie die Unterwäsche. Nein, das war jetzt kein Witz, sogar die Unterwäsche gehörte hier zur Uniform. Es könnte sich ja sonst eine Revolution ergeben, wenn jemand einen bunten Schlüppi trug. Naheliegend. Und diese Unterwäsche erhielt man anfangend beim sechsten Lebensjahr bis hin zum Uniabschluss. Und ausnahmslos alle hier machten ihren Uniabschluss, zumal es an sich ja auch keine Alternativen gab. Eine Lehre zu machen war unter der Würde der Erebos und an einer Universität in Eros einen Abschluss zu machen, stand gar nicht zur Debatte. Also studierte man hier eben irgendwas Betriebswirtschaftliches, wurde Arzt oder Anwalt. Sollte doch mal etwas anderes gebraucht werden – ja, auch Erebos brauchte manchmal Klempner, auch wenn sie immer so taten, als würden sie nicht scheißen – wurde das von Eros zugekauft. Organisieren durfte das natürlich das Dienstpersonal, ein Erebos gab sich schließlich nicht mit solchen Leuten ab. Mos Herz schlug eigentlich für Tiere, aber Tierärzte gehörten leider auch zu den gekauften Berufssparten. Also wurde sie eben dem Wunsch ihrer Eltern entsprechend Managerin und ließ hier den schwarzen Strom an sich vorbei ziehen. Hin und wieder kam ein bekanntes Gesicht vorbei, ein Lächeln wurde gefälscht und ein freundlicher Gruß für die Tochter des Ratsvorsitzenden geheuchelt. Und Mo hasste diese Welt mit jedem Wimpernschlag mehr.

Ihr Blick schweifte nach draußen, wo sie helles Sonnenlicht empfing. Dort irgendwo. Irgendwo hinter der hohen Grenzmauer von Erebos gab es eine andere Welt. Während sie hier lebten, als sei die Zeit stehen geblieben, hatte man da draußen angefangen, die unförmige Masse zwischen den Schädelknochen zu benutzen und für sich selbst und alle drum herum zu denken. Hier übernahm das Denken noch der Rat, wer selbst dachte, machte sich als Querulant unbeliebt, wie Mo schon vor langer Zeit gelernt hatte. Viel besser war es, den Mund zu halten und zu versuchen, nicht allzu unglücklich zu sein. Und den meisten Menschen hier gelang das ja auch nur zu gut. Nicht zu denken konnte ja durchaus auch eine Erleichterung sein. Schlechte Laune? Dann kaufte man sich eben ein Paar neuer Schuhe, Geld hatten die Erebos ohnehin nicht zu knapp. Vor dem Krieg waren viele der Erebos durch Korruption, Politik oder Großkonzerne reicht geworden und zehrten auch jetzt noch von den Überresten, den Zinsen und den Zinseszinsen. So wie die Bewohner in machen Teilen von Eros noch von der übrigen Strahlung der Atombomben zehrten, die von den Erebos-Konzernen früher finanziert wurden. Aber wen kümmerte das schon? Hauptsache hier in Erebos war das Leben schön und komfortabel. Aus diesem Grund lebten sie ja auch hier in einer isolierte Enklave und mieden jeglichen Kontakt zur restlichen Bevölkerung. Der Rat hatte beschlossen, dass sie nicht bereit waren, sich an der Neuordnung der Welt zu beteiligen und ihre Ressource für eine faire Verteilung aufzugeben. Warum auch sollte man sein Geld mit den Armen teilen? Ausgeben war doch viel netter für einen selbst. Erebos ließ den Großteil seiner Güter selbst produzieren und auch hier wurde am alten System festgehalten: Arbeiter wurden wie Sklaven in den Produktionsbetriebe ausgebeutet, um Nobelgüter zu erzeugen, die dann teuer verkauft werde konnten. Die bisher gestarteten Rebellionen waren gewaltsam unterdrückt, ein Rettungsversuch durch Eros vereitelt worden. Generell war es momentan eine Patt-Situation zwischen den beiden Ländern. Die Erebos waren zu wenige, um ernstlich gegen Eros vorgehen zu können und in Eros würde man nicht mit Gewalt gegen Erebos vorgehen und die diplomatischen Verhandlungsversuche waren bisher gescheitert. Aber zumindest fruchteten die Versuche der Erebos, Eros zu unterlaufen, nur mäßig. In wenigen Tagen würde wieder eine Ratsversammlung stattfinden, weil die Übernahme eines Betriebes in Eros gescheitert war, was zu einigem Unmut geführt hatte.

Eine Traube aufgeregt gackernder Mädchen schob sich den Gang entlang, fächerförmig um Moros-Kronos angeordnet. Mo verdrehte die Augen. Ihr Zwillingsbruder war ein arroganter, rücksichtsloser Idiot, was niemanden hier hinderte, ihn anzuhimmeln. Oder vielleicht war er gerade deswegen so beliebt. Und weil er der Sohn des Ratsvorsitzenden war. Von allen möglichen Eigenschaften war Beliebtheit wohl jene, die am ungerechtesten verteilt war. Beliebt waren nicht jene, die intelligent oder gerecht waren oder etwas leisteten, sondern die, die dem Mainstream entsprachen, nett aussahen und meistens noch glaubten, etwas Besseres zu sein und auf andere herabblicken zu können. Und in den meisten Fällen dann noch aus einfluss- und geldreichen Familien kamen. Und das alles traf auf Moros zu. Wenn es die Optik nicht eindeutig belegen würde, würde Mo bis heute nicht glauben, dass sie tatsächlich aus demselben Ei wie Moros entstanden war, zu groß waren die Unterschiede. Der Moros-Fanclub zog vorbei und Mo hatte das Gefühl, wieder freier atmen zu können, nachdem die Schar außer Sichtweite war. Mo versuchte, so gut es ging, sich in die Masse einzufügen, sich anzupassen. Sie war sogar schon mit ihnen aus gewesen, hatte Bier getrunken und Zigaretten geraucht mit ihnen. Doch es änderte nichts an dem Gefühl, nicht dazu zu gehören. Mo hatte oft das Gefühl, aus einem klassischen Schwarzweißfilm in einen grellbunten, überladenen Hollywoodstreifen gefallen zu sein. Sie fühlte sich unwohl, gehörte nicht hierher, passte nicht dazu. Und dieses Gefühl ging manchmal sogar so weit, dass es ihr den Atem nahm. Der sprichwörtliche goldene Käfig. Sie hatte all das, was sich alle anderen Mädchen hier wünschten, aber Mo selbst wünschte sich einfach nur, jemand anderes zu sein. Weil als das Selbst, das sie jetzt war, würde sie hier nie akzeptiert werden.



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