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Die Motus

Magister Magicae 5
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So, Kameraden, jetzt kommen wir langsam da hin, wo wir hin wollen. ^_^ Komplett anzeigen

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Ruppert

Endlich kam das Meer in Sicht. Victor ließ sich mit ausgebreiteten Flügeln zu Boden gleiten, landete an einem Waldrand, nahm wieder seine menschliche Gestalt an und zog die Hose und den Kapuzenmantel an, die er in seinen Klauen getragen hatte. Sein Rücken brachte ihn gerade wieder um, er brauchte eine Pause. Über das Meer würde er es heute nicht mehr schaffen. Da draußen konnte er ja nicht einfach irgendwo zwischenlanden. Wenn ihm dort draußen die Kraft ausging und er ins Wasser fiel, würde er erbarmungslos absaufen. Er wollte es nicht drauf anlegen, unter Echtbedingungen zu testen, ob seine gestaltwandlerischen Fähigkeiten so weit reichten, sich funktionstüchtige Kiemen wachsen zu lassen. Es ärgerte ihn sowieso, daß seine Reise so lange dauerte. Diese Strecke, die er unter normalen Umständen in einigen Stunden bewältigt hätte, kostete ihn jetzt schon gute 3 Tage. Die Tatsache, daß er besiedelte Gebiete möglichst umging, war dabei nichtmal der ausschlaggebende Punkt. Alles nur, weil seine Verletzungen ihn zu häufigen und langen Pausen zwangen und er deshalb nicht recht vorwärts kam. Und er hatte das Gefühl, daß er immer langsamer wurde. Der Hunger und der Schlafentzug taten da sicher ihren Teil dazu. Manchmal wollte er sich einfach nur in einen Zug setzen und sich ganz entspannt durch die Gegend kutschieren lassen, aber dazu fehlte ihm leider Geld. Durch Deutschland zu kommen, war echt ein kraftraubender Spießrutenlauf gewesen. Die Motus war in Deutschland immer noch sehr aktiv, daran hatte bislang wohl auch das Eingreifen der Polizei nichts geändert. Dietmar Unger, der Kluster-Chef aus Düsseldorf, hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um Victor zu kriegen, und zweimal wäre es ihm auch fast gelungen. Nun, immerhin war Victor jetzt schon bis Calais in Frankreich vorgedrungen. Von hier aus würde er den gleichen Weg über den Ärmelkanal nehmen, den auch die Fähre nahm. Hinüber nach Dover. Das war eine gesicherte Route, da würde ihm nicht viel passieren. Aber wie gesagt, heute nicht mehr. Er war fix und fertig. Wenn er nur wenigstens gewusst hätte, ob sich die anstrengende Reise auch lohnen würde. Genau genommen hatte er keine Ahnung, was ihm am Ziel seiner Expedition blühte. Konnte auch fürchterlich schiefgehen, aber er hatte aktuell keine anderen Optionen.
 

Victor spazierte an diesem Abend ein wenig durch die Randbezirke von Calais. Er war sich ziemlich sicher, daß es hier keine Handlanger der Motus gab, also riskierte er das einfach mal. Komme was wolle, er musste auch ohne Geld was zu essen finden. Oder Geld, mit dem er sich was zu essen kaufen konnte. Vielleicht bot sich ihm auf seinem Stadtbummel ja eine nette Gelegenheit, während er im Sonnenuntergang durch die Straßen der Hafenstadt flannierte.

Ein „Oh, regarde, c´est le Akomowarov?“, das er nur am Rande der Wahrnehmung mitbekam, ließ ihn aufhorchen.

„Oui, c´est lui!“, gab ein anderer zurück.

Auch ohne viel Französisch können zu müssen, war Victor aus dem Gespräch sofort klar, daß er von denen erkannt worden war. Erschrocken drehte er sich um, gewahrte die beiden Männer in Uniform und sah auch schon ein mit Gewichten beschwertes Fangnetz auf sich zufliegen. Regelrecht reflexartig zwang Victor sich in die Gestalt einer Fliege. Die einzige Form, die er auf die Schnelle halbwegs brauchbar hinbekam, und die klein genug war, um durch die Maschen des Netzes zu passen. Allerdings wurde er bei seiner Verwandlung erstmal von einem Berg Klamotten begraben, die natürlich die Verwandlung wie immer nicht mitmachten und als menschengroße, leere Hüllen über ihm zusammenstürzten. Während er sich aus den Stoffbahnen zu wühlen versuchte, hörte er draußen das wütende „Oú est il?“ [Wo ist er?]. Victor kämpfte sich endlich frei, summte ungesehen davon und brachte sich unter einem Dachsims in Sicherheit, um alles weitere aus sicherer Entfernung zu beobachten.

„Il est parti! Il est parti!“ [Er ist weg!], maulte einer der beiden, zog das Fangnetz weg und begann die zurückgelassene Kleidung zu durchwühlen.

„Merde!“, fluchte der andere und half ihm dabei.

Victor als Fliege unter seinem Dachsims schüttelte innerlich den Kopf. Nicht zu glauben. Als wäre die Motus noch nicht schlimm genug, war jetzt auch noch die Polizei hinter ihm her. Klar, er war selbst ein international vielfach gesuchter Verbrecher und Mörder. Aber musste das jetzt sein? Er hatte doch gerade wirklich andere Probleme. Er brauchte dringend unauffälligere Klamotten, entschied Victor. Wenn er weiter wie eine lebende Vogelscheuche rumlief, musste er ja zwangsläufig Aufmerksamkeit erregen. Der Plan, irgendwo was essbares aufzutreiben, geriet wieder in den Hintergrund. Er würde Calais umgehend wieder verlassen.

Nachdem die Streifenpolizisten zu dem Schluss gekommen waren, daß Akomowarov ihnen entwicht war, und keine Lust mehr hatten, lautstark herumzufluchen, kickten sie die Kleidung wieder auf die Straße und zogen ihrer Wege. Wenigstens etwas. Dann musste Victor sich nicht schon wieder um neue Anziehsachen bemühen, bevor er sich in seine menschliche Form zurückverwandeln konnte. Eine Fliege wollte er nämlich nicht länger bleiben als unumgänglich. Hier gab es entschieden zu viele Vögel, die ihn für Futter halten könnten.
 

Der Bankenbesitzer würdigte den Monitor nur eines kurzen Blickes, da er keine großen Erkenntnisse lieferte. Die Überwachungskamera zeigte ihm zwar, wer zu so später Stunde gerade draußen stand und klingelte. Eine mit Kapuze vermummte Person. Unkenntlich. Mürrisch betätigte Ruppert Edelig die Wechselsprechanlage. „Ja? Mit wem habe ich die Ehre?“

Der Fremde hob das Gesicht in Richtung der Kamera. „Ruppert, ich bin´s. Erkennst du mich?“

Ruppert wurde sofort speiübel. „Ja.“, keuchte er atemlos. Die Stimme mit dem unverkennbar russischen Akzent kannte er. Und wie er sie kannte! Und das Gesicht ebenso. Akomowarov. „Du bist hier in England!?“

„Ja, gerade angekommen.“

Ruppert atmete tief durch und öffnete die Tür. Sicher ging er ein Risiko ein, wenn er Akomowarov reinließ. Er konnte mit allen möglichen Absichten hier aufgetaucht sein, guten wie schlechten. Aber Ruppert vertraute einfach darauf, daß er und Akomowarov immer noch Freunde waren, auch wenn der Kerl alle nennenswerten Motus-Funktionäre an die russische Polizei verraten hatte. „Victor, dich nochmal lebend wieder zu sehen, hätte ich nicht erwartet, nach allem, was passiert ist.“, grüßte er seinen unerwarteten Gast, als der endlich eingetreten und die Tür wieder zu war. Diese wankelmütige Sicherheit, die diese geschlossene Tür versprach, war beruhigend. „Da draußen herrscht Chaos, über die gesamte eurasische Landmasse, von Russland bis nach Spanien, ist dir das eigentlich klar?“

„Durchaus. So wie es sein sollte.“, fand Victor mit einem selbstgefälligen Schmunzeln, das auch aus seiner Stimme hörbar herausstach.

„Hast wirklich du die Motus verraten? Bist du das gewesen?“

Victor nickte. Zwar nicht direkt stolz, aber zumindest zufrieden. Dabei entledigte er sich nebenbei seines Kapuzenmantels. Inzwischen hatte er noch ein Hemd in seinen Besitz gebracht, daß ihm zwar viel zu groß war, ihn aber zumindest nicht mehr oben ohne herumlaufen ließ.

„Dann stimmen die Gerüchte also, die man sich da draußen erzählt. Es ist jetzt über einen Monat her. Über einen Monat, in dem ich nicht das geringste von dir gehört habe. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, daß du noch lebst, nach dieser Videokonferenz, in der Vladislav dich vor aller Augen ausgebootet hat.“, bekräftigte Ruppert nochmals. „Alles, was Beine hat, muss inzwischen hinter dir her sein. Sowohl die Polizei als auch die, die von der Motus noch übrig sind. Wo warst du die ganze Zeit?“

„Einem guten Genius, der den Befehl, mich loszuwerden, wohlwollend ausgelegt hat, habe ich es zu verdanken, daß ich nur in die Sklaverei gegangen bin, statt in den Tod. Ich hatte Glück, für´s Erste. Aber es ist nicht lange unbemerkt geblieben, daß ich noch lebe. Die suchen mich bereits.“

Ruppert verschränkte brummend die Arme. „Ich ahne, was du von mir willst ...“

„Ich muss für ne Weile untertauchen, Ruppert. Du bist der einzige, dem ich noch vertrauen kann.“

„Ist dir klar, daß ich selber die Bullen im Nacken habe, seit die Motus aufgeflogen ist? Ich warte Tag für Tag darauf, daß sie mich holen kommen!“

Victor lächelte vielsagend. „Werden sie nicht. Ich hab dafür gesorgt, daß sie dich in Ruhe lassen, keine Angst.“

„Wa-!?“

„Hey, noch Besuch, so spät in der Nacht?“, mischte sich eine Stimme aus dem Hintergrund ein. Ein Mann mit schwarzen, zerwuschelten Haaren und schwarzem, ärmellosen Oberteil kam in den Flur getappt. Lustlos, als hätte er schon geschlafen und wäre geweckt worden. Rupperts Genius Intimus.

Ruppert stöhnte unwillig auf. Die Störung mitten in so einem heiklen Thema kam ihm gar nicht gelegen.

Victor dagegen setzte ein begeistertes Lächeln auf. „Hallo. Du musst Urnue sein! Ist mir eine Ehre, dich mal persönlich kennenlernen zu dürfen.“

Urnues Gesicht verdunkelte sich. „Mir nicht.“, entgegnete er kühl und wischte ihm damit das nette Lächeln wieder von der Backe. „Du bist doch dieses Arschloch Akomowarov, oder!?“

„Ich sehe, du kennst mich bereits.“

„Ja. Die wichtigsten von euch Verbrechern, mit denen mein Schützling verkehrt, sind mir geläufig. Ihr seid Genii-Mörder und schlimmeres.“

„Urnue, halt deinen vorlauten Rand, sonst setzt´s was!“, gebot Ruppert und funkelte ihn finster an.

„Lass nur. Irgendwie hat er ja Recht.“, meinte Victor schulterzuckend.

„Kein Wort zu irgendjemandem! Du hast ihn nicht gesehen! Und jetzt sieh zu, daß du fort kommst, du Seuche!“, befahl Ruppert streng.

Mit einem Augenrollen und einem Kopfschütteln verschwand Urnue wieder durch die Tür, durch die er gekommen war. Ohne einen weiteren Kommentar.

Victor zeigte sich erstaunt. „Du schickst deinen Genius Intimus weg?“

„Wieso nicht?“

„Er sollte dich vor mir beschützen, falls ich eine Gefahr für dich bin.“

„Du wirst einen Teufel tun, mir was anzuhaben. Du brauchst mich noch. Und der neugierige Rotzlöffel muss nicht alles wissen, was wir zu besprechen haben. Jetzt komm schon rein. prochodi.“, grummelte Ruppert und ging voraus.

Victor ließ seinen Mantel im Flur zurück und folgte ihm seufzend ins Wohnzimmer. Er fand es nicht okay, wie Ruppert seinen Genius Intimus behandelte.

„Ich nehme nicht an, daß du schon was gegessen hast!?“, hakte der Bankenbesitzer ein wenig misslaunisch nach.

„Nein, um ehrlich zu sein nicht.“
 

„Victor?“, versuchte Urnue auf sich aufmerksam zu machen, als er mit einem Teller voll belegter Brötchen ins Wohnzimmer kam, um den ungebetenen Gast wunschgemäß zu bewirten. Aber der lag verdreht seitlich auf dem Sofa und reagierte nicht. „Victor! ... He! ... Ist er ohnmächtig?“, wollte er von Ruppert wissen.

„Nein, nur völlig am Ende. Er hat seit Tagen nicht geschlafen.“ Ruppert griff nach einer Schnapsflasche und schraubte sie auf. Er wusste inzwischen, wie Victors Flucht verlaufen war, gipfelnd in einem halbtägigen Flug über das Meer und einer darauffolgenden, stundenlangen Suche nach Rupperts Haus. So genau hatte der arme Kerl Rupperts Adresse dann wohl auch nicht mehr gewusst. „Hier in meinem Haus ist er das erste Mal wieder soweit in Sicherheit, daß er sich´s leisten kann, zu schlafen wie ein Stein. ... Lass ihn einfach liegen.“

Urnue krachte den Teller etwas schlecht gelaunt auf den Couch-Tisch. „Stört es dich gar nicht, ihn hier zu haben?“

„Was willst du jetzt von mir hören, Urnue?“, gab Ruppert ruhig zurück und goss sich einen Scotsch ein. „Tod und Teufel sind hinter ihm her. Erwartest du ernsthaft, daß ich ihn wieder auf die Straße werfe? Gerade jetzt?“ Der Scotsch wanderte vom Glas ungesehen weiter in Rupperts Kehle.

„Verbrecher halten zusammen, was?“

„Halt deine vorlaute Klappe, wenn du keine Ahnung hast.“, brummte Ruppert humorlos und goss sich nochmal nach. Nebenbei musterte er abwechselnd seinen Genius Intimus und Victor abschätzend. „Rück mal nen Satz Klamotten von dir raus, Urnue. Bei deiner Statur passt er da sicher besser rein als in meine.“

„Sag mal ...“, begehrte Urnue empört auf und deutete vorwurfsvoll auf den Gast. Seine wütend-hilflose 'hast-du-überhaupt-eine-Ahnung-wer-der-Kerl-ist?'-Frage blieb ihm angesichts Rupperts drohenden Blickes aber im Hals stecken.

„Was!?“

„Ach nichts.“, grummelte Urnue und trollte sich. Brachte nichts.



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