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Die 12 Prüfungen der Shina Fay

von

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Prolog

Prolog

Eteria, erster Sommer nach der großen Sonnenfinsternis

Es war still in den Wäldern Eterias. Den ganzen Tag über hatte die Sonne heiß vom wolkenlosen, blauen Himmel geschienen und den Bewohnern des Landes Hitze und Leid beschert. Auch die Elfen, die in den Wäldern lebten, schwitzten um die Wette. Nun aber wurde es Abend, und die Sonne begann hinter den weit entfernten Bergen unterzugehen. Stunde um Stunde färbte sich der Himmel über dem Land mehr und mehr rot. Die Elfenprinzessin White Angel sehnte die Nacht herbei, denn dann würde sie auf der magischen Lichtung im Wald den Mann treffen, der ihr so oft im Traum erschienen war. Ator war sein Name. Auch wie er aussah wusste sie genau. Lange, braune Haare, ein muskulöser Körper, ein hübsches, ovales Gesicht und wunderschöne braune Augen.

Glücklicherweise war heute das große Fest, mit dem das Ende der großen Sonnenfinsternis gefeiert wurde. Und das hieß, dass sich ihr Vater König Etgo sich wieder bis zum Stehkragen besaufen würde. White Angel konnte dies nur Recht sein. Denn so konnte sie sich ungesehen von den Wachen und den anderen Bewohnern des Dorfes unbemerkt von der Feier entfernen und zu ihrem Rendezvous aufbrechen. Doch White Angel musste vorsichtig sein, denn da war noch ihr Sohn Prinz Leto, den sie von einem unbekannten Dunkelelfen empfangen hatte, der sie auf der Durchreise durch Eteria verführt und geschwängert hatte.

Nach der Geburt ihres Kindes hatte ihr Vater seine Tochter verstoßen und wollte erst dann einer Rückkehr zustimmen, wenn White Angel in seinen Augen geläutert wäre. Dies war letzten Sommer geschehen. Leto war zu dem Zeitpunkt schon zu einem jungen Mann herangereift. Doch die Schamanen im Dorf hatten schnell seine dunklen Wesenszüge erkannt und beobachteten ihn mit Argusaugen.

Als die Nacht hereinbrach schlich sich White Angel in die Speisekammer und packte ein paar Stücke kalten Fasanbraten, etwas Brot und Käse und eine Flasche Wein in einen kleinen Stoffbeutel. Sie machte gerade einen Knoten, als sie hinter sich die Stimme ihres Vaters hörte. „So, so. Meine Tochter gedenkt, sich vor der Teilnahme am Fest zu drücken. Wer ist denn der Glückliche?“ „Ator.“ „Der Sohn von Ladril?“ „Eben jener.“ „Jetzt hör mir mal gut zu. Ator ist der Sohn eines Feindes. Wenn Du dich mit ihm einlässt, entehrst du uns.“ „Etgo, alter Freund. Zürne deiner Tochter nicht. Lass sie tun, was ihr von den Göttern auferlegt wurde.“ 01

Diese Stimme erkannte White Angel. Sie gehörte Halgrim, dem ältesten und weisesten aller Schamanen. „Du sprichst in Rätseln Halgrim. Wer hat meine Tochter auserkoren? Und wofür?“ „Du weißt alter Freund, dass ich vor dir schon deinem Vater gedient habe. Und davor deinem Urgroßvater. Ich habe die Zeichen gedeutet Etgo. White Angel wird noch ein Kind zur Welt bringen, das die Elfenvölker Eterias im Kampf gegen die Dunkelelfen einen und führen wird. Ganz so, wie es in der alten Prophezeiung steht.“ König Etgo schlug sich an die Stirn. „Die alte Prophezeiung!“, rief er aus, fasste sich aber wieder. „Und Ator soll der Vater dieses Kindes sein?“ „So haben es die Götter bestimmt.“

Nur widerwillig ließ Etgo seine Tochter gehen, doch Halgrim ließ nicht locker. „Die Dunkelelfen haben deine Tochter nur deshalb ausgewählt, um unseren Clan zu schwächen. Wenn wir uns untereinander nicht vertrauen können und uneins sind, werden wir uns ganz schnell in Scharmützel mit den anderen Völkern verzetteln. Leto soll zusätzlich für Zwietracht sorgen und die Kluft zwischen den Stämmen noch tiefer werden lassen. Nur so können die Dunkelelfen unser Land einnehmen.“, hatte Halgrim erklärt. „Nun gut. Dann soll es so sein. Geh meine Tochter und lass die alte Prophezeiung sich erfüllen.“ So hatte sich White Angel voller Freude auf den Weg gemacht und dabei den schwarzen Falken übersehen, der ihr folgte. Leto, ihr Sohn, hatte ihn hinter ihr her geschickt, um herauszufinden, was seine Mutter vorhatte. Der Falke, ein Geschenk seines Vaters, war sein Spion, eine Verlängerung seiner Augen und Ohren.

Der Falke folgte White Angel unauffällig, doch weit vor der magischen Lichtung, war seine Reise beendet. Ein Schutzwall aus magischer Energie umgab die Lichtung und machte es dem Tier unmöglich der Mutter seines Herren weiter zu folgen.

Auf der Lichtung entledigte sich White Angel ihrer Kleidung und wartete auf Ator. Und lange musste sie nicht warten, denn kurz nach ihr erschien der Sohn von Ladril. Auf seinem Handgelenk saß eine Schleiereule. „Die ist für dich.“, sagte er. „Ist die hübsch. Wie heißt sie?“ „Estrelle.“ „Hübscher Name. Aber jetzt sollten wir uns dem zuwenden, weswegen wir uns verabredet haben.“, sagte White Angel und erhob sich. „Du meinst die Prophezeiung?“ „Das hast Du sehr richtig erkannt Ator.“

Nun stand sie im Mondschein vor ihm. Kein Kleidungsstück verhüllte ihren schönen Elfenkörper. Ihre Haut war weiß, wie Alabaster. Ihre blonden Haare fielen offen über die Schultern und bedeckten einen kleinen Teil ihrer wohlgeformten Brüste. In ihren grünen Augen konnte Ator pure Lust erkennen. Bei den Göttern! Er begehrte diese Frau, ebenso wie sie ihn begehrte. 02

Später lag White Angel mit dem Rücken auf dem warmen, weichen Erdboden. Ator lag auf ihr und war völlig außer Atem. Sie hatten sich wild im Schein des Mondes geliebt. Die Schreie von Etgos Tochter hatten Ator noch mehr angespornt und er hatte sie noch härter genommen, bis beide in einem gemeinsamen Orgasmus explodierten. Wellen der Lust rasten durch die Körper der beiden. Dann spürte White Angel, wie sich Ator in sie ergoss. Der Falke, Letos Spion, hatte davon nichts mitbekommen, denn der magische Schutzwall hatte kein Geräusch nach außen dringen lassen. Und so trug es sich zu, dass Leto nie etwas von der Erfüllung der Prophezeiung erfuhr.

Eteria, erster Herbst nach der großen Sonnenfinsternis

Der Frühling war dem Sommer gewichen, und White Angels Bauch hatte sich zu einer Kugel ausgebildet. Nun war jedem im Dorf klar, dass Etgos Tochter ein Kind erwartete. Auch Leto hatte inzwischen begriffen, dass seine Mutter von einem anderen Mann ein Kind erwartete. Also hatte sich die Prophezeiung erfüllt. Verdammt! Und er hatte nichts davon mitbekommen.

Es war ein kühler Herbstabend, als bei White Angel die Wehen einsetzten und sie unter heiligen Dorfeiche zusammenbrach. Ator war sofort bei ihr und fing sie auf. Zahlreiche Heiler und andere Helfer eilten herbei um Etgos Tochter in dieser leidensvollen Stunde beizustehen. Eine Hebamme brachte eine Schüssel mit warmem Wasser und jede Menge Stoffhandtücher mit.

Die Geburt von White Angels Kind war nicht nur schmerzhaft, sie zehrte auch sehr an ihren Kräften. Etgos Tochter gebar eine gesunde Tochter, die den Namen Shina Fay erhielt, was in der Sprache der Menschen „Prinzessin der Eiche“ bedeutet. Nach der Geburt zogen Ator und White Angel in den Wald und lebten dort in einer selbst gebauten Blockhütte, damit ihre Tochter wohl behütet und beschützt von den Geistern des Waldes aufwachsen konnte.

Eteria, erster Winter nach der großen Sonnenfinsternis

Der Winter war ins Land gekommen und Shina Fay hatte gerade laufen gelernt. Zu allem Überfluss hatte sie vor nichts Angst und ging keiner Konfrontation aus dem Weg. Und so kam es, dass an einem kalten Wintertag sich die junge Elfe mit einem Bären anlegte. Shina Fay hatte gerade ein paar Forellen aus dem Fluss gefangen, als der Bär sich ihren Fang holen wollte. Doch die Elfe ließ nicht verjagen. Als sich der Bär zu seiner vollen Größe aufrichtete, brachte sich Shina Fay mit einem Hechtsprung zur Seite in Sicherheit. Nur so konnte sie dem Hieb mit der Pranke entkommen. Sie kletterte auf einen Baum und sprang dem Tier von dort aus auf den Rücken und schlang ihre Arme um 03

seinen mächtigen Hals. Fast den ganzen Tag kämpfte White Angels und Ators Tochter mit dem Bären. Doch schließlich schaffte sie es das mächtige Tier niederzuringen und anschließend mit einem Dolchstoß zu töten. Der Triumphschrei, den sie anschließend ausstieß war sogar noch bis in das Dorf ihrer Mutter zu hören. Ihr Großvater König Etgo fiel von dem Gebrülle schlaftrunken aus dem Bett.

„Wer brüllt denn hier so laut? Noch dazu am späten Abend.“ „Ich befürchte, dass war deine Enkelin, Etgo alter Freund.“ „Shina Fay? Bei den Göttern, was hat diese kleine Göre jetzt schon wieder angestellt?“ „Sie hat sich mit einem Bären gemessen und ihn besiegt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Shina Fay das Kind aus der Prophezeiung ist. Wer sonst könnte im zarten Kindesalter schon einen ausgewachsenen Bären bezwingen und töten?“ „Wohl wahr. Dann wird meine Enkelin wohl bald ihre Kriegerausbildung beginnen.“

Shina Fay sah noch einmal auf das mächtige Tier, dass sie mit eigenen Händen erlegt hatte. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie dies getan hatte. Doch inzwischen war die Nacht hereingebrochen und Etgos Enkelin war nicht mehr in der Lage, den Weg nach Hause zu finden. So furchtlos Shina Fay auch war, doch in diesem Augenblick hatte sie Angst. Sie schalt sich in Gedanken für ihre eigene Dummheit, sich mit dem Bären zu messen. „Warum konnte ich meinen Stolz nicht unter Kontrolle halten? Warum habe ich ihn von mir Besitz ergreifen lassen?“, fragte sie sich immer wieder.

Doch plötzlich wurde ihr gewahr, dass sie noch nicht einmal in der Lage war ein Feuer zu machen und diese Erkenntnis traf sie wie ein Fausthieb in den Bauch. Sie ließ sich auf den Boden sinken und fing hemmungslos an zu weinen. Noch nie hatte sich Shina Fay so einsam und traurig gefühlt, wie in diesem Augenblick. In ihrer Verzweiflung faltete sie die Hände zum Gebet und flehte um Hilfe. Doch nichts geschah! Hatten sich die Götter von ihr abgewandt und entschieden, sie ihrem Schicksal allein zu überlassen?

Sie legte sich wieder auf den Boden und weinte. Wie hatte sie es nur soweit kommen lassen können? Doch nun war es zu spät. Sie würde hier und heute sterben. Shina Fay schloss die Augen. Und so bemerkte sie den riesigen Wolf nicht, der den Wald auf der Suche nach Beute durchstreifend aus dem Dickicht auf sie zuging. Der Wolf wollte sich gerade auf die Elfe stürzen, brach seinen Angriff aber abrupt ab. Er hielt die Nase in die Luft und nahm Witterung auf. Etwas näherte sich. Und ehe er es sich versah, tauchte aus dem Nichts ein weißer Säbelzahntiger auf. Auf seinem Rücken: WHITE ANGEL. „Du wirst meiner Tochter nichts antun, du Scheusal.“, rief sie und schleuderte dem 04

Wolf einen Blitz aus magischer Energie hinterher. Mit einem lauten Jaulen floh der Wolf wieder ins Dickicht. Denn mit White Angel konnte er es nicht aufnehmen.

Etgos Tochter stieg von ihrem Reittier und legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter. Sofort beruhigte sich die junge Elfe etwas und sie hörte auf zu weinen. Zumindest vorübergehend. Denn als White Angel ihre Tochter in die Arme nahm fing Shina Fay wieder an zu weinen. „Shina Fay. Mein kleiner Liebling. Es gibt keinen Grund zu weinen.“ „Doch. Ich habe versagt, Mutter. Wegen ein paar lausigen Fischen, habe ich den Weg nach Hause nicht mehr gefunden. Und das nur, weil ich einem Bären zeigen musste, wer hier das Sagen hat.“ „Shina Fay. Du hast den Bären getötet. Weißt du was das bedeutet?“, fragte White Angel. Ihre Tochter schüttelte den Kopf, so dass ihre braunen Haare hin und her flogen. „Es ist dein Schicksal. Die Götter haben dir Mut, Geschicklichkeit und Entschlossenheit mit gegeben. Du wirst die Elfenstämme Eterias einen und im Kampf gegen die Dunkelelfen anführen. Das ist deine Bestimmung.“

Shina Fay sah ihre Mutter fragend an. „Jeder von uns hat seine Bestimmung, die ihm von den Göttern zugedacht wurde. Mir war es bestimmt, dich zur Welt zu bringen. Ator, dein Vater, war dazu auserwählt, dich zu zeugen. Und so, wie dein Vater und ich unsere Aufgaben hatten und haben, so hast auch du deine Aufgabe, die du zu erfüllen hast. Du wirst eines Tages auf dem Schlachtfeld deinem Halbbruder Leto gegenüberstehen. Denn die Zeichen deuten darauf hin, dass er unseren Stamm eines Tages verraten wird. Wenn er sich den Dunkelelfen anschließt, wirst du ihn töten. Dann heißt es du oder Leto.“

„Ziemlich düstere Aussichten.“, sagte Shina Fay. „Du kannst deinem Schicksal nicht davon laufen Shina Fay. Früher oder später musst du dich deinem Halbbruder stellen.“ Shina Fay verstand. White Angel hob ihre Tochter auf ihr Reittier und stieg hinter ihr auf. Dann verließen sie die Lichtung. Shina Fay sah sich noch einmal um und sah den Wolf auf der Lichtung stehen. In seinen Augen loderten Wut und Hass. Am liebsten hätte er Mutter und Tochter verfolgt, doch das Brüllen des Tigers war ihm eine eindeutige Warnung. So blieb er stehen und sah seiner sicher geglaubten Beute nach. „So leicht kommst du mir nicht davon Shina Fay. Eines Tages werden wir wieder aufeinander treffen und dann wird es kein Entrinnen für dich geben.“, dachte der Wolf.

Eteria im Jahr des Bussards

Die Jahre waren ins Land gegangen und aus Shina Fay war eine wunderschöne Elfe geworden. Doch ebenso bemerkenswert wie ihre Schönheit, waren 05

ihre Fähigkeiten im Kampf. So war sie zum Beispiel in der Lage, einen Gegner mit dem Dolch auf 10 Schritte Entfernung zu töten. Sie zog die Waffe blitzschnell aus einem Schaft an ihrem Stiefel und warf den Dolch aus der Drehung des Oberkörpers heraus, ohne dass der Gegner etwas dagegen unternehmen konnte. Auch mit dem Schwert konnte Shina Fay perfekt umgehen. Ihre Schnelligkeit und Wendigkeit gaben ihr die Fähigkeit, mit zwei Schwertern gleichzeitig zu kämpfen, was selbst für die erfahrensten Soldaten verheerend sein konnte. Unübertroffen waren ihre Fähigkeiten mit dem Bogen. Shina Fay konnte ein Ziel noch 150 Schritte Entfernung treffen. All diese Eigenschaften und Fähigkeiten machten Letos Halbschwester zu einer ernst zu nehmenden Gegnerin.

Wie in jedem Jahr mussten sich die besten Kämpfer ihres Jahrgangs in einem Turnier miteinander messen. Der Sieger durfte sich einen Bogen aus dem Holz eines Baumes seiner Wahl anfertigen. Entsprechend groß war der Ehrgeiz. Besonders bei Shina Fay. Sie wusste genau, was sie wollte. Ihren Bogen sollte es kein zweites Mal geben.

Die erste Disziplin wurde mit dem Dolch ausgetragen. Dabei galt es, ein bewegliches Ziel in Form einer Strohpuppe zu treffen, die mittels spezieller Mechanismen in der Lage war, zurückzuschießen, wenn man daneben warf. Shina Fay durfte es als erste versuchen. Blitzschnell zog sie ihren Dolch und drehte sich um die eigene Achse und warf den Dolch. Dieser verfehlte sein Ziel nicht. Er traf die Puppe mitten in die Kehle. Für ihren ärgsten Widersacher Vader lief es nicht so gut. Er wurde von einem Armbrustbolzen an der rechten Schulter gestreift, nachdem sein Dolch das Ziel verfehlt hatte. Richtig übel wurde es für Meandor. Er wurde durch einen Pfeil ins Herz getötet. Diesen Wettbewerb entschied Shina Fay für sich.

In Runde 2 mussten die Teilnehmer im Schwertkampf gegeneinander antreten. Shina Fay musste sich zuerst mit Seetha messen. Diese hatte rote, kinnlange Haare grüne Augen und war für eine Elfe erstaunlich kräftig gebaut. Auch ihr Gesicht wies wenig von einer Elfe auf, denn es war rundlicher, als das von Shina Fay. Wie ihr Gegenüber hatte auch sie grüne Augen. Doch sie war schlanker und damit graziler im Körperbau. Ihre braunen Haare waren oberarmlang und normalerweise trug sie diese auch offen. Aber für den Schwertkampf hatte Shina Fay die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Da Shina Fay nicht den Eröffnungskampf bestreiten musste, hatte sie Zeit ihre Gegnerin zu beobachten. Seetha führte einen Bi-Händer mit langer Klinge. Damit hatte sie einen leichten Vorteil bei der Reichweite. Diesen konnte Shina Fay durch ihre Schnelligkeit und Wendigkeit ausgleichen. Außerdem 06

hatte sie aufgrund ihrer zwei Damaszener-Schwerter einen Vorteil bei der Verteidigung. Diese Schwerter waren ein Geschenk ihres Großvaters väterlicherseits. Als nächstes sah sich White Angels Tochter die Rüstung ihrer Gegnerin und deren Zubehör an. Seetha setzte auf einen massiven und schweren Brustpanzer aus Zwergenstahl. Dazu kamen zwei Armschienen. Shina Fay hingegen trug eine Rüstung aus dem wesentlich leichteren, aber robusteren Elfenstahl. Dazu trug sie von der Farbe zum Grün ihrer Rüstung passend, Arm- und Beinschienen.

Als Shina Fay sah, wie ihre Gegnerin die Schienen testete, war sie alarmiert. Denn als Seetha eine Hand zu einer Faust zusammenzog, wurden durch einen geheimen Mechanismus zwei Stahlspitzen freigesetzt. Auch die Stahlspitzen wurden getestet, denn als Shina Fays Vater Ator an Seetha vorbeiging, stieß diese ihm die Waffe in die Wade. Das Gift, das auf diese Weise injiziert wurde, wirkte schnell. Shina Fay konnte nichts tun und musste hilflos zusehen, wie ihr Vater starb. An ihre Mutter gewandt sagt Seetha: „Ich habe dir deinen Mann genommen White Angel. Und als nächstes nehme ich dir deine Tochter!“ Shina Fay war gewarnt.

Nach fünf vorangegangenen Kämpfen traf sie dann auf Seetha. In Shina Fay brodelte es vor Wut. Sie wollte Rache für ihren Vater. Doch durch die Stunden, die sie mit Halgrim und ihrem Großvater Etgo verbracht hatte, wusste White Angels Tochter, dass Rache die Seele vergiften und einen selbst unvorsichtig werden lassen konnte. Soweit wollte sie es aber nicht kommen lassen. „Du fragst dich sicher, warum ich dich töten will.“, sagte Seetha. „Nein. Du hast meinen Vater getötet. Mich kriegst du nicht.“ „Abwarten.“ Seetha hob ihr Schwert und ging in die Verteidigungsstellung. Dabei hatte sie ein Knie leicht gebeugt und ihren Oberkörper leicht zur Seite gedreht. Ihre Gegnerin zog ihre Damaszener-Schwerter und kreuzte die Arme.

Zuerst umkreisten sich Seetha und Shina Fay. Sie belauerten sich, wie zwei Raubtiere, die sich um Beute stritten. Jede versuchte die Stärken und Schwächen der anderen ausfindig zu machen. Doch durch ihre Beobachtungen war die Enkelin von Ladril klar im Vorteil, denn sie wusste um Seethas geheime Waffen. „Worauf wartest Du Shina Fay? Mach schon! Greif an!“ „Komm du doch, Hitzkopf.“, sagte White Angels Tochter süffisant. Und mit diesen Worten hatte Shina Fay ihr Ziel erreicht. Sie hatte Seetha aus der Reserve gelockt. Denn als die Elfe der Halbelfe den Rücken zukehrte, stürzte sich Seetha mit einem lauten Schrei auf ihre Gegnerin, ihren Bi-Händer über den Kopf erhoben. Shina Fay riss die Arme hoch und kreuzte die Klingen. 07

Mit einem lauten Klirren traf die Klinge des Bi-Händers auf die Klingen der Damaszener-Schwerter. Durch diese Aktion raubte die Elfe der Halbelfe den Angriffsschwung. Seetha trat ein paar Schritte zurück um sich zu sammeln. Wie konnte es sein, dass Ladrils Enkelin diese Attacke vorausgesehen hatte? Viel Zeit zum Nachdenken hatte die Halbelfe nicht. Denn nun ging Shina Fay zum Gegenangriff über. Mit einer blitzschnellen Bewegung durchbrach sie Seethas Abwehr und kreuzte die Klingen am Hals ihrer Gegnerin. „Das ist für meinen Vater, Miststück.“, zischte Shina Fay, bevor sie Seetha die Kehle durchschnitt. Auch den Wettbewerb im Schwertkampf konnte Etgos und Ladrils Enkelin für sich entscheiden. Doch noch war das Turnier nicht gewonnen. Denn es wartete noch das Bogenschießen.

Und dort trennte sich die Spreu vom Weizen. Rondolf, der Sohn Ghodi, war im Bogenschießen ein absoluter Versager. Denn er traf keinen seiner drei Versuche und schied in der ersten Runde aus. Auch Nila, Shina Fays einstige beste Freundin aus Kindertagen schaffte es nicht in Runde 2. Neben Rondolf und Nila waren noch vier weitere Kandidaten in Runde 1 ausgeschieden. In dieser Runde schied überraschend Aalgrim, Halgrims Sohn aus. Ihn hatten viele in der Endrunde gesehen. Auch Nalia, Shina Fays Cousine schied aus. Auch sie war als heiße Kandidatin im Finale gehandelt worden. Nach Aalgrim und Nalia erwischte es noch zehn weitere Teilnehmer.

Dann kam das Finale. Vier Teilnehmer waren noch übrig. Darunter Vader und Shina Fay. Und gleich im ersten Wettbewerb kam es zum Aufeinandertreffen der Titanen. Shina Fay musste gegen Vader ran. „Ich muss zugeben, dass du mit Dolch und dem Schwert hervorragend umgehen kannst. Vielleicht mache ich dich zu meiner Leibwächterin.“ „Hau du mal nicht so auf den Putz Vader! Du tust ja grad so, als ob du schon gewonnen hättest.“ „Ich hab schon gewonnen, du weißt es nur nicht. Jetzt pass mal gut auf Shina Fay, bei mir kannst du noch was lernen.“

Shina Fay hatte Vader das ganze Turnier über sehr genau beobachtet. Er war ein ernst zu nehmender Gegner. Also durfte sie ihn zu keinem Zeitpunkt unterschätzen. Ator, ihr Vater, hatte es ihr am Morgen des Turniers eingeschärft. „Du musst Vader im Auge behalten. Der Bursche ist mit allen Wassern gewaschen.“, hatte Vater gesagt. Und wie Recht er hatte, zeigte sich jetzt beim Bogenschießen. Sein erster Schuss auf 35 Schritte Entfernung traf mitten ins Schwarze. Nun war White Angels Tochter an der Reihe. Sie legte einen Pfeil in den Bogen, hob diesen an und spannte die Sehne. Dann schoss sie. Ihr Pfeil traf ebenfalls ins Schwarze. Nur mit dem Unterschied, dass sie Vaders Pfeil in der Mitte spaltete. 08

Beim nächsten Versuch wurden die Scheiben um 25 Schritte nach hinten auf 60 Schritte versetzt. Vader durfte wieder als erster ran. Sein Pfeil traf nur den äußeren Ring der Scheibe. Shina Fay hingegen traf mitten ins Schwarze. „Da geht doch was nicht mit rechten Dingen zu Shina Fay! Du betrügst!“ „Wird Zeit, dass dich mal jemand von deinem hohen Ross holt.“ „Wir werden sehen. Wir werden sehen.“ Im letzten Durchgang wurden die Scheiben auf 150 Schritte versetzt. Vader durfte als erster. Doch bei 100 Schritten fiel sein Pfeil auf den Boden. Shina Fay hingegen traf ins Schwarze. Auch Vaders zweiter und dritter Pfeil trafen die Scheibe nicht, während Shina Fays Pfeile die Scheibe in der Mitte trafen.

Damit war Vader draußen. Wütend zerbrach er seinen Bogen. „Wie war das, von dir kann ich noch was lernen?“ „Halts Maul Shina Fay. Deinetwegen wird mich mein Vater ins Exil schicken.“ „Dann wirst du meiner Mutter sicher bald nachfühlen können Vader. Denn mein Großvater Etgo hat meine Mutter verstoßen, nachdem sie meinen Halbbruder zur Welt gebracht hatte.“ „Leto?“ Shina Fay nickte. „Ganz ehrlich. Dem trau ich weniger als einer halben Tüte Knoblauch. Der ist mir nicht ganz koscher.“ Vaders Vater kam dazu, mit dessen Pfeilen in der Hand. „Mit deinen Pfeilen stimmt was nicht. Irgendwer hat da nachgeholfen.“ „Shina Fay war es bestimmt nicht.“ „In diesem Punkt hast du Recht mein Sohn. Shina Fay hat damit nichts zu tun.“ „Ich würde auf Seetha tippen.“ „Die Halbelfe, die du getötet hast?“ „Ja. Wer schon mit Tricks arbeiten muss, dem trau ich alles zu.“ „Mit Tricks?“ „Ja. In ihren Armschienen sind Stahlspitzen versteckt, die ein schnell wirkendes Gift beinhalten. Ich hab es gesehen, als Seetha meinen Vater getötet hat.“

Als am Abend die Sonne unterging war das Turnier entschieden. Shina Fay hatte gewonnen. Das Holz für ihren Bogen sollte aus dem alten Mammutbaum stammen, an dem der Ältestenrat immer zur Versammlung rief. Ihre Mutter war natürlich strikt dagegen, doch der Rat der Ältesten erhob keine Einwände. Aus einem der unteren Äste, wählte Shina Fay einen 4 Ellen langen Ast aus. Danach fertigte sie eine Zeichnung an, damit sie wusste, wie ihr Bogen aussehen sollte. Ihre neue Waffe sollte an den Enden gebogen sein, damit die Sehne leichter eingehängt werden konnte. Außerdem sollte der Bogen in der Mitte eine Griffmulde bekommen, damit Shina Fay besser zielen konnte. Den Köcher für ihre Pfeile fertigte sie aus Hirschleder. Bei den Pfeilen setzte Shina Fay sowohl auf die konventionellen, als auch auf die Giftpfeile. Die Federn stammten von einem Bussard, den sie erlegt hatte. Die Schäfte für die Pfeile gewann White Angels Tochter aus Schilfrohren. Die Spitzen wurden von einem Schmied aus Elfenstahl geschmiedet. Aus dem selben Leder wie der Köcher wurden die Schutzkappen für die Giftpfeile fertig gestellt mit deren Hilfe 09

die Spitzen abgedeckt werden sollten.

Schließlich war der Bogen fertig und Shina Fay nahm ihn Augenschein. Und was sie sah, erfreute sie. Der Bogen war nicht rund, wie ein Bogen der Menschen, sondern sah zerklüftet aus und war rundherum mit vielen schönen Schnitzereien verziert. Auch die Griffmulde fehlte nicht. Shina Fay wollte ihn gerade in die Hand nehmen, als Halgrim vor sie trat. „Nicht so stürmisch junge Lady. Du bist noch nicht bereit für diesen Bogen.“ Die Prinzessin starrte den alten Schamanen entgeistert an. „Was redest du da für einen Unsinn Halgrim? Ich habe das Turnier gewonnen.“ „Das ist richtig Shina Fay. Doch der Sieg macht dich nicht automatisch zum Stammesführer. Nur wenn du das Zeichen deines Clans, den roten Habicht, auf dem linken Schulterblatt trägst, dann wird dir der Bogen vielleicht gehören. Es sei denn, die Hohepriesterin der Elfen, die zur alljährlichen Feier nach dem Turnier anreist, verweigert ihre Zustimmung.“

Als der Abend hereinbrach erreichte der Tross von Netanya, der Hohepriesterin der Elfen das Dorf von Shina Fay. Diese trug mittlerweile das Clanabzeichen, von dem Halgrim gesprochen hatte auf dem linken Schulterblatt. Denn sowohl ihr Großvater König Etgo und der Ältestenrat hatten der Ernennung zugestimmt.

Die Leibgarde Netanyas hatte sich im Halbkreis um den Festplatz postiert und wartete auf weitere Befehle. „Bildet die Gasse!“, befahl der Hauptmann. Sofort scherten zwei Soldaten aus der Formation aus und reihten sich hinter ihren Kameraden wieder ein. Und dann kam Netanya auf einem Schimmel durch das Spalier geritten. Wie immer barfuß und mit einem Baumwollkleid bekleidet. Ihre blonden Haare reichten bis zu den Hüften und ihre braunen Augen strahlten Güte aus.

Shina Fay kannte Netanya schon von früheren Besuchen. Sie freute sich natürlich, die Hohepriesterin zu sehen. Allerdings fürchtete sie, den Bogen, den sie sich so sehr wünschte und für den sie so hart gekämpft hatte, am Ende doch nicht in den Händen zu halten. Netanya bemerkte den Kummer der jungen Elfe. „Shina Fay. Es ist lange her, dass wir miteinander gesprochen haben. Damals warst du noch ein Kind. Ich erinnere mich, wie ich dich und deine Eltern damals besuchte und du mir voller Stolz erzählt hast, dass du ganz allein einen Bären getötet hast.“ „Habt Ihr Zweifel an der Geschichte?“ „Nicht im geringsten. Ich bin bereit dir meine Zustimmung zu geben. Aber zuerst muss ich in deine Seele sehen.“

Shina Fay verstand. „Du musst tun, was ich von dir verlange. Ohne wenn und aber.“ „Wie Ihr wünscht.“ „Schließe deine Augen.“ White Angels Tochter schloss die Augen. Dann legte Netanya ihre rechte Hand an Shina Fays Stirn 10

und schloss ebenfalls die Augen. „Öffne deinen Geist Shina Fay.“ Die Elfe tat, was die Hohepriesterin von ihr verlangte. Vor ihrem geistigen Auge sah Netanya Shina Fays Vergangenheit. Den Tag, als sie mit dem Bären gekämpft hatte. Doch sie sah auch den Wolf, der es auf Shina Fay abgesehen hatte. Sie sah, wie er sie all die Jahre verfolgt hatte.

„Du hast meine Zustimmung Shina Fay. Doch vorher musst du noch den Wolf töten, vor dem dich deine Mutter damals beschützt hat. Er hat dich die ganzen Jahre über verfolgt. Nur wenn du dich ihm stellst und ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber trittst, bist du dieses Bogens würdig.“ Shina Fay nickte. Sie starrte in den Wald, der sich zur linken des Dorfes erstreckte. Denn von dort hatte sie das Heulen des Wolfes gehört. Zuerst war es weit entfernt zu hören gewesen. Jetzt war es schon viel näher. Shina Fay wusste sehr gut, was das zu bedeuten hatte. Der Wolf war auf dem Weg zu ihrem Dorf.

Es war bereits Nacht, als Shina Fay im Dickicht zwei rote Augen diabolisch aufleuchten sah. Dann trat der Wolf aus dem Wald in das Dorf. Er war groß und grau und Furcht einflößend. „Hallo Shina Fay. Lange nicht gesehen und doch wieder erkannt.“, sagte der Wolf. „Was willst du hier?“ „Ahnst du es nicht? Wäre deine Mutter damals nicht gewesen, hätte ich dich schon damals getötet. Leider hat deine Mutter mich um eine leckere Mahlzeit betrogen. Deshalb muss sie sterben. Denn niemand betrügt Fenrir um seine Beute und kommt ungestraft davon.“

Mit diesen Worten machte Fenrir einen Satz und griff White Angel an. Ehe diese sich wehren konnte, war er schon über ihr und biss ihr die Kehle durch. „Und jetzt zu dir. Du stehst nach wie vor auf meinem Speisezettel ganz oben. Aber ich will dir die Chance geben, dich zu verteidigen.“ „Dann lass es uns hinter uns bringen. Warten ist mir nämlich zu wieder.“ „Gut. Sehr gut. Mach dich bereit Shina Fay!“

Shina Fay zog ihre Schwerter und kreuzte wie schon im Kampf gegen Seetha die Arme. Elfe und Wolf umkreisten einander, belauerten sich, um den besten Zeitpunkt für den Angriff zu ergattern. Fenrir machte einen Satz nach vorn, doch Shina Fay duckte sich und rollte sich auf die Seite. Aus der Bewegung heraus verpasste sie dem Wolf eine Schnittwunde im rechten Bein. Fenrir heulte vor Schmerz auf. „Das wirst du noch bereuen Shina Fay.“ „Bereuen tu ich, dass ich nicht schon damals mit dir gekämpft habe.“

Wieder griff der Wolf an, doch die Elfe war wieder schneller und schlitzte ihm die Flanke auf der linken Seite auf. „Na gut. Ganz wie du willst. Bis jetzt habe ich nur mit dir gespielt Shina Fay. Aber gleich ist es aus mit dir.“ 11

„Du stinkst ja geradezu vor Überheblichkeit, Du Pappnase!“ Fenrir kochte innerlich vor Zorn. Erst die beiden Wunden, die ihm Shina Fay beigebracht hatte, dann verhöhnte sie ihn auch noch. Was für eine Schmach für ihn. Er versuchte einen letzten Angriff. Er drehte Shina Fay den Rücken zu und ging in den Wald zurück. Doch einen Augenblick kehrte er zurück und rannte auf Shina Fay zu, so gut sein verletztes Bein es zuließ. Genau darauf hatte die Elfe gewartet. Sie machte nun selbst einen Satz, tauchte unter Fenrir weg, kreuzte ihre Klingen am Hals des Wolfes und schnitt ihm die Kehle durch. Dann rollte sie sich nach rechts weg, bevor der Wolf auf dem Boden aufschlug und regungslos liegenblieb.

Netanya klatschte in die Hände. „Wahrlich, Shina Fay, du bist nicht nur eine würdige Stammesführerin, sondern auch eine würdige Anführerin. Ich bin sehr stolz auf dich. Nimm den Bogen, für den Du so hart gekämpft hast. Du hast ihn dir mehr als verdient.“ Die Einwohner des Dorfes wollten gerade mit der Feier anfangen, als Halgrim, der Schamane in den Kreis trat. In der einen Hand trug er Ators Bogen „Traumfänger“, in der anderen hielt er ein Pergament, das den letzten Willen von Shina Fays Vater enthielt. Den Bogen gab er seinem Adepten, was man bei den Menschen als Lehrling bezeichnen kann, und entrollte anschließend die Schriftrolle. „Ich verlese nun, Kraft meines Amtes, den letzten Willen von Ator, Sohn des Ladril.“, sagte er. „Hiermit verfüge ich, Ator, Sohn von Ladril, dass mein Bogen „Traumfänger“ an meine Tochter Shina Fay weitergegeben werden soll. Er ist ihr an ihrem 25. Geburtstag zu überreichen.“, las der alte Schamane vor. „Ich werde „Traumfänger bis zu diesem Tag aufbewahren.“

Leto kochte innerlich vor Wut. Wie konnte man ihn nur so bevormunden? Zuerst hatte man ihn um sein Recht betrogen, den Clan zu führen, das ihm als Älteren von Rechts wegen zugestanden hätte und ihm seine jüngere Halbschwester vor die Nase gesetzt. Jetzt sollte er noch nicht einmal den Bogen bekommen. „Einspruch!“, sagte er. „So und warum?“ „Ich beanspruche den Bogen für mich. Als Wiedergutmachung.“ „Für was forderst du Wiedergutmachung Leto?“, fragte sein Großvater Etgo. „Die Führung des Clans sollte eigentlich dem Ältesten zustehen. Und das bin ich! Stattdessen wird das Gesetz gebrochen und man setzt mir meine wesentlich jüngere Halbschwester als neue Clanführerin vor die Nase. Und jetzt soll sie auch noch „Traumfänger“ bekommen. Auch wenn Ator nicht mein Vater ist, verlange ich, dass der Bogen an mich geht. Das ist nur gerecht.“ „Du bist zur Hälfte ein Dunkelelf. So gesehen, hast du keinerlei Ansprüche. Weder auf die Führerschaft des Clans, noch auf Ators Bogen.“ „Schluss jetzt!“ Netanya hatte das Wort ergriffen. Alle wandten sich ihr zu. „Das Orakel muss entscheiden.“, sagte sie. 12

Plötzlich wurde der Festplatz des Dorfes in weißes Licht getaucht. Eine in weiß gekleidete Frau stand in dem Lichtkreis. „So hört nun durch mich die Entscheidung der Götter. Wir sind der Meinung, dass Leto kein Anrecht auf den Bogen und die Führerschaft des Clans hat.“, sagte das Orakel. Leto war verärgert, während Shina Fay neue Hoffnung schöpfte. „Doch wir sind auch zu der Einsicht gelangt, dass du, Shina Fay noch nicht bereit für diese Bürde bist, die dir dein Vater durch das Vererben seines Bogens an dich aufgeladen hat. Du bist noch nicht reif genug dafür. An deinem 25. Geburtstag wirst du mit der ersten von zwölf Prüfungen beginnen. Bestehst du sie, werden dir die Götter „Traumfänger“ zusprechen. Solltest du jedoch scheitern, wird der Bogen von den Göttern einbehalten, damit sichergestellt bleibt, dass der Bogen nicht in die falschen Hände fällt.“

Eteria im Jahr der Kobra

Der Winter war dem Frühling gewichen. Der Frühling dem Sommer, der Sommer den Herbst und der Herbst wieder dem Winter. Shina Fay war in all den Jahren weiter gereift und hatte an Erfahrungen gesammelt. In dieser Zeit hatte es sich auch zugetragen, dass Leto angefangen hatte, die Elfen Eterias zu verraten. Denn immer öfter hatte Shina Fay Spione oder Kuriere abgefangen und deren geheime Botschaften an Netanya weitergeleitet.

Es war die Nacht, vor Shina Fays 25. Geburtstag, als Leto sich davon schleichen wollte. Doch seine Halbschwester konnte ihn noch rechtzeitig stellen. „Du kannst nicht entkommen, Leto. Sämtliche Posten sind alarmiert. Du würdest es noch nicht einmal bis zur Grenze schaffen.“ „Und wie willst du mich aufhalten? Etwa mit deinem Bogen, oder deinem Dolch? Du bist weder mir, noch den Kräften der Dunkelelfen gewachsen.“ Damit löste sich Leto vor den Augen seiner Halbschwester in Luft auf und verschwand.

An ihrem 25. Geburtstag empfand Shina Fay keine Freude. Die erfolgreiche Flucht ihres Halbbruders ließ ihr keine Ruhe. Sie hatte das Fest schon vor Stunden verlassen. „Immer diese Sauferei.“, hatte sie gedacht. Es klopfte an der Tür ihres Zimmers. „Herein.“ Netanya betrat den Raum. „Feierst du nicht mit den anderen deinen Geburtstag?“ „Nein. Leto konnte fliehen. Hat sich einfach vor meinen Augen in Luft aufgelöst.“ „Verstehe. Und du nimmst das jetzt persönlich.“ „Netanya, wir reden hier nicht über irgendeinen Verräter. Und das weißt du genau.“

„Ja ich weiß. Ich bin eigentlich nur hier, um dir zu sagen, was dich auf deiner ersten Prüfung erwartet Shina Fay.“ 13
 

„Soll ich Leto wieder einfangen?“ „Nein. Weit im Süden, an der Grenze zum Reich der Oger treibt ein Berserker sein Unwesen. Sein Name ist Gnorm. Er überfällt die Karawanen und sorgt dafür, dass unsere Truppen keinen Nachschub mehr bekommen. Du musst ihn unschädlich machen, Shina Fay. Ich setze mein vollstes Vertrauen in dich.“ „Ich werde dich nicht enttäuschen Netanya. Ich werde diesen Berserker ausschalten.“

Am nächsten Morgen wollte Shina Fay aufbrechen. Doch Netanya wollte sie nicht gehen lassen, ohne ihr noch den Säbelzahntiger ihrer Mutter White Angel, Tarzon, und Estrelle die Schleiereule als Begleiter mitzugeben. „Einst gehörten Tarzon und Estrelle deiner Mutter. Jetzt sollen sie immer an deiner Seite stehen.“ Und an dieser Stelle beginnen die zwölf Prüfungen von Shina Fay.



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