Erschöpft und müde sperrte Michiru die Haustür auf. Sie wollte nurnoch ihre Ruhe haben, eine Tasse Tee trinken und mit Haruka kuscheln. Der Tag war die reinste Hölle gewesen, und jetzt hatte sie sich ihren Feierabend redlich verdient. Kaum dass sie jedoch das große Haus betreten hatte, fielen ihr
beinahe die Ohren ab. In brüllender Lautstärke dröhnte ihr der Krach den Hotaru und Haruka Musik nannten, entgegen.
I'm tired of being what you want me to be
Feeling so faithless lost under the surface
Don't know what you're expecting of me
Put under the pressure of...
Michiru schaltete den CD Player aus. "HEY!!!" schallte es aus zwei verschiedenen Richtungen. Zwei Sekunden später standen ihre Tochter und ihre Freundin auf der Matte. "Schalt das wieder ein!" schimpfte Hotaru und wollte sich an Michiru vorbei zum CDPlayer quetschen. Doch Michiru versperrte ihr den Weg. "Nein, das bleibt aus." sagte sie bestimmt. "Haruka!!" sagte Hotaru flehentlich und schickte Haruka einen Bettelblick. "Schalt wieder ein, Schatz." bat auch Haruka, doch Michiru blieb hart. Sie hatte keine Lust sich nach ihrem anstrengenden tag auch noch mit Krach zubrüllen zu lassen, und das hatten die zwei einfach zu akzeptieren, ob sie wollten oder nicht. "Nein." "Bitte!"
Harukas Bitte klang keineswegs wie eine Bitte, sie hatte einen fordernden Unterton in der Stimme, aber Michiru schüttelte den Kopf. "Toll." murrte Hotaru. "Mein Tag war sehr anstrengend, und ich habe keine Lust mir dieses Gebrüll anzuhören." erklärte Michiru, und ging davon aus die beiden überzeugt zu haben. "Ach, und unser Tag war nicht anstrengend oder wie?" fragte Hotaru beleidigt nach. Michiru ignorierte sie, drehte sich um und stoppte die CD. Sie nahm die neueste CD von Anne-Sophie Mutter aus dem Schrank und legte sie in das zweite Fach des CD-Players. Hotaru war beleidigt in ihr Zimmer zurückgestampft, und Haruka stand hinter ihrer Freundin. Michiru drückte auf Play, und bald schwangen Geigentöne das Wohnzimmer, drangen bis in die letzten Winkel des Hauses und erfüllten Michiru mit Freude und Ruhe. Sie drehte noch ein kleines bisschen lauter, damit Hotaru auch wirklich mitbekam dass "richtige" Musik aus verschiedenen tönen bestand, und nicht aus monotonem Gebrüll. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf Michirus Gesicht, und langsam aber sicher entspannte sie sich, fühlte sich besser. Bis sie sich umdrehte und in Harukas stinksaures Gesicht blickte. "Was ist denn los, Schatz?" fragte Michiru unwissend. "Deine Musik darf laufen, ja?" fragte Haruka eisig. Michiru seufzte. "Schatz, das was ihr euch da angehört habt, das kannst du doch nicht ernsthaft als Musik bezeichnen!" sagte sie, und lachte kurz. Haruka griff an Michiru vorbei zum CD
Player und schaltete Linkin Park wieder ein. "JAWOLL!!" rief Hotaru aus ihrem Zimmer.
I'm tired of being what you want me to be
Feeling so faithless lost under the surface
Don't know what you're expecting of me
Put under...
Michiru schaltete wütend wieder aus. "Sag mal was ist denn los mit dir?? Warum schaltest du einfach meine Musik aus??" fuhr sie Haruka an. "Das gleiche könnte ich dich fragen! Du kommst hier herein und machst UNSERE Musik aus, egal was wir davon halten." entgegnete Haruka im gleichen Ton. "Das war ja wohl etwas ganz anderes." sagte Michiru und verschränkte die Arme vor der Brust. So langsam fing Miss Tenoh an sie zu nerven. "Ach, und wieso?" fragte Haruka. "Weil Linkin Park keine Musik ist, versteh das doch!" "Für DICH vielleicht nicht!" fuhr Haruka sie wieder an. "Bloß weil du die Musik nicht magst heißt das noch lange nicht dass du machen kannst was du willst. Hier sind ZWEI Leute die Linkin Park hören wollen, und du bist EINE die es nicht hören will. Zwei zu eins, du bist überstimmt." "Und trotzdem bleibt die Musik aus." sagte Michiru bestimmt. Haruka schwieg. "Ich verstehe nicht was zur Zeit mit dir los ist, Haruka. Früher hast du nie solche Musik gehört, früher mochtest du Klassik genauso gerne wie ich." Michiru musterte ihre Freundin von oben bis unten. "Und früher hast du dich auch nie so angezogen!" sagte sie vorwurfsvoll. Haruka schüttelte verständnislos den Kopf. "Erstens: Ich mochte solche Musik schon immer. Klassik ist zwar ganz nett, aber ehrlich gesagt geht mir das Gedudel ziemlich auf die Nerven. Zweitens: Was stört dich an meinen Klamotten?"
Michiru zog eine Augenbraue hoch. "Naja, sieh dich doch an. Seit Wochen läufst du in diesen schlabbrigen T-Shirts herum, und diese Hosen...warum kannst du dich nicht wieder so anziehen wie früher?" "Hm, vielleicht weil ich keine Lust mehr habe?" überlegte Haruka. Michiru wollte etwas sagen, doch Haruka fuhr ihr dazwischen. "Es gefällt dir nicht was du siehst, stimmts? Es gefällt dir nicht dass jemand, oder besser gesagt Ich, etwas anders mache als du es gerne hättest, stimmts?" Sie sah Michiru herausfordernd an. Michiru schwieg. Hotaru, die an ihrer Zimmertür lehnte und dem Gespräch lauschte, begann sich Sorgen zu machen. Sich wegen Musik zu kabbeln war normal für die beiden, doch langsam begann die Sache aus dem Ruder zu laufen.
"Was ist so schlimm daran Linkin Park zu hören?" fragte Haruka gerade. "Naja, es ist doch offensichtlich dass das keine Musik ist, und dass dieses Gebrüll nicht gerade gut für den Geist ist. Bei sowas verblödet man doch nur!" antwortete Michiru. "Das denkst DU! DEINE Meinung. UNSERE Meinung ist vielleicht eine andere. UNS gefällt die Musik vielleicht, und bloß weil es dir nicht passt hast du noch lange nicht das Recht uns den Spaß zu verderben. Wenn wir einfach dein Vivaldi-Gedudel ausschalten würden, wäre die Hölle los!" schimpfte Haruka. Langsam wurde Michiru sauer. "Mein Gott, wenn ihr unbedingt dieses Gebrüll hören wollt, dann bitteschön! Aber eines sage ich dir: Es zeugt
nicht gerade von hoher Bildung, wenn du diesen Lärm Musik nennst." "Ach, es zeugt nicht von hoher Bildung?? Was hat denn die Bildung bitteschön damit zu tun??" fragte Haruka. "Naja, ein paar gleiche Noten brüllen, das kann ja wohl jeder. Dazu braucht man keine besondere Begabung. Klassische Musik beansprucht den Geist, fodert die Sinne, klassische Musik ist einfach Bildung." Sie sah Haruka geringschätzig an. "Dass du damit nichts anfangen kannst ist mir klar." Sofort biss Michiru sich auf die Lippe. Das hatte sie nicht sagen wollen. Sie wollte sich entschuldigen, doch an Harukas Blick sah sie dass es dazu bereits zu spät war. "Ach, so ist das." sagte Haruka eisig. "Haruka..." fing Michiru an, doch Haruka unterbrach sie. "Nein, nein, du hast schon Recht. Die gebildeten hören Klassik, die ungebildeten hören eben die entsprechende Musik." "Du musst doch zugeben dass in Linkin Park nicht viel Geist steckt!" versuchte Michiru ihren Standpunkt zu verteidigen, doch damit machte sie alles
nurnoch schlimmer. "Na, dann weiß ich ja jetzt auch was du von mir hältst." sagte Haruka. "Weißt du was dein Problem ist, Michiru?" Haruka sah sie an. "Du meinst du bist was besseres, bloß weil dein Vater zufällig Geld hat, und Macht und Einfluss. Bloß weil du noch nie in der Situation warst dass du nicht wusstest von was du die Rechnungen zahlen solltest, und bloß weil du immer genug zu essen hattest und immer in deinem warmen Bettchen geschlafen hast, meinst du du bist was Besseres. Aber soll ich dir was sagen, Prinzesschen?" Michiru sah zu Boden. "Hochmut, mein Schatz, ist eine Sünde." Damit drehte Haruka sich um, ließ Michiru stehen, ging zur Tür, zog ihre Turnschuhe an, schnappte sich ihre Jacke, und zwei Sekunden später fiel die Tür hinter Haruka mit einem lauten Knall zu. Hotaru zuckte zusammen.
Michiru stand da wie vom Donner gerührt. Sie war wütend auf Haruka, weil sie nicht einsehen wollte dass sie es nur gut mit ihr meinte. Sie war wütend auf sich selbst weil sie im entscheidenden Moment ihren Mund nicht hatte halten konnte, obwohl sie genau wusste wie Haruka auf diesen heiklen Punkt reagierte. Eine Tür ging auf, und Hotaru kam ins Wohnzimmer. Ihrem Blick nach zu urteilen musste sie gelauscht haben. Hotaru empfand in Momenten wie diesen eine gewisse Solidarität mit Haruka, das hatte Michiru schon oft zu spüren bekommen. Auch heute hielt Hotaru wie erwartet zu Haruka. Hotaru stand vor Michiru, fertig angezogen mit Jacke und Schuhen, und sah sie an. "Hotaru, ich hab das doch nicht so gemeint, sie hat mich verkehrt verstanden!" versuchte Michiru sich zu verteidigen, doch Hotaru hörte ihr nicht zu. "I wanna run away, Never say goodbye, I wanna know the truth, Instead of wondering why, I wanna know the answers, No more lies, I wanna shut the door, And open up my mind." sagte sie. Michiru zog verwundert eine Braue hoch. "Das war einer der geistlosen Texte
von Linkin Park." erklärte Hotaru spitz, drehte sich um und verließ ebenfalls das Haus.
Michiru setzte sich auf die Couch, lauschte in die Stille des leeren Hauses und ließ die Tränen laufen als sie kamen.
Es war spät am Abend, und weder Hotaru noch Haruka waren nach Hause gekommen. Nervös rührte Michiru in den Töpfen. Sie hatte es nicht länger ausgehalten, und hatte angefangen Abendessen zu kochen. Für wen sie das tat war ihr nicht ganz klar, denn sie selbst hatte keinen Hunger, und sie erwartete auch nicht dass ihre beiden Mitbewohnerinnen zum Essen nach Hause kommen würden. So wie sie Hotaru kannte war sie bei Chibi-Usa, erzählte ihr die Geschichte und sprach mit ihr darüber. Chibi-Usa hatte meistens eine Lösung für Hotaru parat, woher sie die auch immer nahm.
Wie Michiru Haruka kannte würde sie stundenlang draussen herumrennen, schließlich einsehen dass sie überreagiert hatte und wieder nach Hause zurückkomen. Und genau auf den Moment wartete Michiru. Dann war ein vernünftiges Gespräch mit Haruka möglich, ohne dass sie gleich wieder
ausflippte und alles was man ihr sagte missverstand.
Aber Haruka kam nicht. Je später es wurde desto nervöser lief Michiru im Haus herum. Um diese Zeit war sie normalerweise längst wieder da, warum kam sie nicht?? Als die Uhr schließlich halb zwei nachts zeigte, griff Michiru zum Telefon und rief Setsuna an. Es dauerte eine Weile bis der Hörer abgenommen wurde, und eine ziemlich verschlafene Setsuna "Hm?" in den Hörer brummte. "Entschuldige Setsuna, dass ich dich aufwecke....weißt du wo Haruka ist?" fragte Michiru gespannt. "Schau doch mal unter deiner Decke." grummelte Setsuna verstimmt. Michiru ging nicht darauf ein. "Wir haben gestritten, sie ist rausgelaufen und bis jetzt noch nicht wieder hier. Ich dachte sie wäre
vielleicht bei dir oder so." erzählte Michiru. "Nein, hier ist sie nicht. Keine Panik, sie ist alt genug und kann auf sich aufpassen. die kommt schon wieder." versuchte Setsuna sie zu beruhigen. "Na hoffentlich hast du Recht." Michiru verabschiedete sich und legte auf. Sie zögerte ein paar Sekunden, dann wählte sie Hotarus Handynummer. "Hallo." sagte Hotaru barsch. "Hallo Hotaru, weißt du wo Haruka ist?" fragte Michiru, ohne auf Hotarus Ton einzugehen. "Nein. Bis elf oder so war sie hier und hat mit Usagi gequatscht, und dann war sie weg. Wo sie hinwollte weiß ich nicht." erzählte Hotaru. "Danke...Hotaru?" "Ja?" "Es tut mir leid." "Ich weiß. Gute Nacht." "Gute Nacht." Michiru legte auf.
Wo konnte Haruka bloß stecken??
