Zum Inhalt der Seite

Enderal – Die Suche nach den Trümmern der Ordnung

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Tod der Propheten

Gerade als ich die Augen geschlossen hatte, erschütterte ein Beben die Erde. Erschrocken riss ich die Augen auf. Meine Hände umklammerten Jespar fester, der ebenfalls zusammenzuckte und fluchend die Augen öffnete.

„Was ist das?“, fragte ich verängstigt. Mein Partner war schneller auf den Beinen als ich es ihm zugetraut hätte. Er zog mich hastig nach oben, kleine Steine bröckelten von oben herunter.

„Oh verdammt wir müssen hier raus, sonst fällt uns noch die Decke auf den Kopf!“, rief er panisch und stürmte nach draußen. Er zog mich mit, ich versuchte meine Beine zu ordnen, bevor ich ihm hinterherhechtete.

„Wo willst du denn hin? Wir sind auf einer schwebenden Stadt! Wenn wir abstürzen, sterben wir, egal wo wir sind!“, schrie ich.

„Ich will nach draußen, wo uns die Decke nicht auf den Kopf fällt!“, brüllte Jespar.

Der Weg nach draußen kam mir ewig vor, dabei war er eigentlich kurz.

Ich versuchte, mit Jespar Schritt zu halten, was gar nicht so einfach war, da er immer wieder herunterfallenden Gesteinsbrocken auswich.

Wir kamen nach draußen auf die Plattform, wo Jespar heute Morgen gesessen hatte, als ich nach meiner rasanten Kapselfahrt aufgewacht war.

Der Himmel hatte sich stockfinster gefärbt… Das genaue Gegenteil vom schönen Sonnenaufgang heute Morgen.

Ich blieb wie angewurzelt stehen, Jespar ebenso.

Keinen Schritt mehr ging ich nach vorne.

Überall um uns herum schwebten die Seelen der toten Endraläer.

Es lief mir eiskalt über den Rücken, meine Nackenhaare stellten sich auf, ich zitterte.

„Jespar… was geschieht hier?“, fragte ich verängstigt.

Kommen die Hohen jetzt um uns zu holen? Waren selbst diese Worte des Schwarzen Wächters Lüge gewesen? Gibt es doch kein Entrinnen vor der Läuterung? Werden Jespar und ich hier und jetzt sterben müssen?

„Sieh an… wie verängstigt sie schauen, die Propheten…“

Propheten? War Jespar… etwa auch ein Prophet geworden?

Die Hohen konnten anscheinend meine Gedanken hören, denn sie antworteten beinahe sofort:

„Natürlich. Nachdem du ihn in den Tod geführt hast, den seine Schwester so tadellos ausgeführt hat, wurde er wiederbelebt. Dann haben wir seine Seele für unsere Zwecke geführt, so wie dich, Prophetin.“ Ein grausiges Lachen erfüllte die Luft, ich merkte augenblicklich, wie Jespar sich neben mir versteifte.

„Ihr habt… meine Seele benutzt?“, sagte er ausdruckslos.

„Ihr Schweine!“, brüllte ich, „Und was wollt ihr jetzt tun? Uns töten?“, schrie ich außer mir und riss mich von Jespar los.

Ich war wieder an einem Punkt, der mich wütend, rasend machte. Es war mir egal ob ich jetzt sterben würde oder nicht.

Die Hohen lachten erneut.

„Die Propheten werden sterben das ist sicher, also genießt die Vorstellung“ Die grauenvolle Stimme ließ das Blut in meinen Adern hochbrodeln.

Ich wollte mich nicht umsehen, und doch tat ich es. Ich erkannte Calia und Tealor Arantheal. Viele Menschen, die ich in Enderal immer mal kurz im Vorbeigehen gegrüßt hatte, schwebten vor mir, tot, regungslos, beinahe durchsichtig.

Ein schreckliches Heulen erfüllte die Luft. Ich riss mir beinahe reflexartig die Hände an die Ohren. Die Seelen schwebten dichter zueinander und schienen in eine Art Strudel gezogen zu werden. Jespar und ich verfolgten mit wachsendem Entsetzen wie die Seelen endgültig verschlungen wurden. Ich ging vorsichtig nach vorne und blickte über die Plattform.

Ich konnte Enderal nicht mehr erkennen. Dies lag jedoch nicht an Wolken. Der Geruch verriet mir, dass es Rauch war. Die Welt brannte. Dies war das Finale. Jespar und ich sahen, wie ein neuer Hoher geboren wurde. Aus den Seelen einer Zivilisation, mit Blut beschmiert, aus dem Opfer einer gesamten Menschheit, außer uns beiden.

Jespar stand plötzlich neben mir.

„Wir können es nicht verhindern…“, flüsterte er bedauernd. Ich schüttelte den Kopf.

Die Schreie wurden immer lauter, es fühlte sich an, als ob mein Trommelfell platzen würde. Ich wusste nicht, was ich noch tun konnte. Dies war das Ende. Ich dachte, Jespar und ich hätten das Schlimmste schon überstanden, aber ganz offenbar wollten die Hohen das Exempel vor unseren Augen zu Ende statuieren. Ich klammerte mich an Jespar. Ich hatte Angst, dass er auch noch von den Hohen in den Strudel gezogen wurde.

 

Um uns herum wütete ein Sturm. Pflanzen, Steine und sogar Tiere flogen durch die Gegend und wir mussten aufpassen, von nichts getroffen zu werden. Wir duckten uns, der Wind wurde immer heftiger. Die Schreie zerfetzen uns nun fast die Ohren, bis plötzlich - Stille.

Auf einmal war der Sturm weg. Die Wucht der plötzlichen Windstille riss Jespar und mich von den Beinen und wir flogen ein ganzes Stück nach hinten. Meine Ohren pfiffen und wir rappelten uns langsam auf. Die Seelen hatten sich zu einem bläulichen Klumpen verdichtet und leuchteten auf einmal hellweiß, ein heller Ton erklang, der langsam immer lauter wurde. Meine Augen taten augenblicklich weh und ich musste sie zusammenkneifen. Der Ton verwandelte sich zu einem Schrei, der plötzlich verstummte. Ich schien taub zu sein, ich konnte gar nichts mehr hören.

 

Die Welt war stehengeblieben. Ich spürte, wie ich atmete, hörte in mir dass ich atmete, doch mehr vermochte ich nicht hören. Meine Augen öffneten sich langsamer als ich es beabsichtigte. Wurde die Zeit angehalten? Ein Vogel, der durch die Luft flog, erstarrte im Himmel, doch er stürzte nicht ab. Es war, als ob jemand ein Portrait malen wollte und die Welt bat, dafür stillzustehen. Ich sah langsam empor und die Seelen waren nicht mehr als einzelne Menschen erkennbar, sondern als große Kugel, alles war ineinander verschmolzen. Ich hielt den Atem an, ertastete erneut Jespars Arm.

 

In diesem Moment erbebte mein Körper und ich war dazu gezwungen, mich augenblicklich zusammenzukrümmen. Mit Jespar schien dasselbe zu geschehen. Die Stimme des neuen Hohen hallte in meinem Körper, in meinen Knochen wider: „Und hiermit sterben die Propheten… klein und unbedeutend seid ihr, wie winzige Käfer, die wir zerquetschen…“ Mir blieb die Luft weg und ich merkte, wie mein Herz immer schneller schlug. Würde ich jetzt sterben? Ich dachte die Hohen hatten in der Sternenstadt keine Gewalt? Ich dachte, wir wären hier sicher…

„Ihr prophezeit nicht mehr den Untergang einer Generation, sondern ihr habt sie selbst gesehen, unsere Macht bezeugt. Deswegen taufen wir unsere Spielfiguren um: Ihr seid ab heute Zeugen. Und jetzt lebt euer erbärmliches Leben, versucht zu ändern, was ihr nicht ändern könnt. Und glaubt bloß nicht, dass ihr einzigartig schlau gewesen seid… Die nächste Läuterung wird kommen. Und sie wird euch treffen. Ihr seid nicht die ersten Zeugen, die gescheitert sind. Also lebt und bäumt euch gegen uns auf. Wir werden euch im Blick behalten… bis ihr fallen werdet. Dann werden wir euch auffangen in unserer Dunkelheit, euch dem roten Wahnsinn übergeben und euch mit der nächsten Läuterung verschlingen. So wie immer. Unsere Macht ist in diesem Zyklus wieder gestiegen, dank euch. Lebt euer unsterbliches Leben… wir werden uns wiedersehen.“

 

Die Kugel breitete sich aus, schoss in den Himmel empor und löste sich vor unseren Augen auf. Selbst die Sonne schien von dem Ereignis traumatisiert zu sein, denn es fing an in Strömen zu regnen. Trotzdem rührten wir uns nicht. Irgendwann verließ mich meine Kraft. Ich sank auf die Knie, in diesem Moment zog mich Jespar in seine Arme. Wir waren beide durchnässt, aber wir hielten uns einfach nur fest. Ich merkte gar nicht, wie ich anfing zu weinen. All diese Gefühle, all der Druck, der auf mir lag, alles kam in diesem Moment aus mir heraus. Der Regen spülte all meine Tränen weg. Die Luft roch nach Rauch. Dies war der Regen, der Enderal, die ganze Welt von den Flammen befreite, sie löschte und aus der Asche eine neue Welt erschuf. Jespar und ich hatten das Ende einer Generation gesehen, und wohnten jetzt einem neuen Anfang bei.

 

Wir sind die Zeugen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Ami_Mercury
2018-10-13T18:00:23+00:00 13.10.2018 20:00
Brrrrr! Gänsehautfeeling - die hätten echt abgeschossen gehört, na ja, die Hoffnung stirbt zuletzt!


Zurück