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Nightmare Fuel

von
Koautor:  karlach

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Zwischen Zeile und Versmaß

Die Nationalbibliothek von Reveille war grösser als jedes Gebäude, das Alice je in ihrem Leben gesehen hatte. Die gläserne Kuppeldecke schien unmöglich weit von ihren Fingerspitzen entfernt und jeder freie Fleck war mit Büchern gefüllt.

„Wieso sind wir genau hier?“

In fragendem Ton warf sie Oz einen Blick über die Schulter zu. Der junge Mann schien ähnlich beeindruckt wie sie, die leuchtend grünen Augen geweitet und den Mund zu einem kleinen, perfekten O verzogen. Während Gil darauf bedacht schien, ihre kindliche Neugier mit einem tiefen Seufzer abzutun, erhielt Oz ein sanftes Lächeln. Etwas würde das Mädchen sich ja ungerecht behandelt fühlen, wenn sie nicht gesehen hätte, dass er auch bei ihr dieses weiche Etwas in seinem Blick bekam, als würden seine Augen sich von Bernstein in flüssigen Honig verwandeln.

„Die Bibliothek von Pandora hat nicht alle Informationen, die wir brauchen. Viele der offiziellen Schriftstücke werden hier aufbewahrt“, erklärte der Älteste und zupfte den Stoff seines schweren Mantels etwas fester um seine Schultern.

„Hä? Wieso würden wir was brauchen, das Pandora nicht hat?“ Alice zog verständnislos die Augenbrauen zusammen. Die meisten Bücher zu Chains und allem, was den Abyss und die Familie Baskerville betraf, waren entweder im Besitz von Herzog Barma, Pandora, oder dann bei der Tragödie von Sablier vernichtet worden.
 

„Geschichten über Glen Baskerville erzählt man sich schon viel länger als Pandora existiert.“ 

Gil schob sich an ihr vorbei zu einem Regal. „Aber anders als das, was Pandora in den Archiven hat, bewahren sie hier Sagen auf, Halbwahreiten, Volksaberglauben–“

Halbwahrheiten?“ Alice rümpfte die Nase verwirrt.

„Weil hinter jeder noch so hanebüchner Sage angeblich etwas stecken soll, aber–“

„Du hast Halbwahrheiten gesagt“, unterbrach Oz ihn grinsend. Gil seufzte tief.

„Könnt ihr zwei mich kurz ausreden lassen?“

„Wir suchen nach Wahrheiten in Märchen, Alice!“ Verkündete Oz etwas zu laut. An einem der Tische in der Nähe zischte jemand ein unflätiges Wort und Gils Herr zog mit einem verlegenen Lachen den Kopf ein. Alice schien nichtsdestotrotz bereits vollkommen Feuer und Flamme für das Unterfangen. Sie murrte etwas, das nach „kommandier' mich nicht herum, Sklave“ klang, zog Oz aber trotzdem sofort am Handgelenk mit sich mit. Gil blieb etwas baff zurück.

„He, dummes Karnickel–“

„Ruhe, wenn ich bitten darf“, kam es giftig vom Tisch. Gil spürte, wie ihm die Wärme ins Gesicht schoss und mit einem Tippen seines Hutes in einer scheuen Entschuldigung hastete er den beiden Jugendlichen hinterher. Es dauerte keine Minute, bis Alice, Oz im Schlepptau, zurückkam.

„He, Seetanghaar, nach was für Märchen suchen wir denn genau?“
 


 

· · ·
 

Sie durften den schweren Gedichtband, den sie in einer sonnendurchfluteten Ecke der Haupthalle fanden nicht mitnehmen. Fester Bibliotheksbestand, hiess es. Da half es auch nicht, Gil als ein volljähriges Mitglied einer Adelsfamilie vorzustellen. Also setzten sie sich an einen runden Tisch in einem etwas abgeschotteten Teil der Haupthalle, Alice so tief über das Buch gebeugt, dass ihre Nasenspitze das Papier beinahe berührte. Oz beobachtete sie mit einem liebevollen Grinsen, während sie die Wörter laut vorlas und Gil sie gefühlt alle drei Buchstaben unterbrach, um sie zu korrigieren.

„Hä? Aber ist ein Borogove?“ Alice stierte Gil an, als wäre er für die farbenfrohe Wortwahl des Gedichts zuständig, das sie studierten.

Und wie er sich da in der Wärme sonnte, wurde es zunehmend schwer, die Augen offen zu halten. Als Oz' Lider zufielen, war alles, was in seinem Kopf übrig war Alices Stimme, wie sie stockend von Jabberwock erzählte.
 

Beware the Jabberwock, my son!

The jaws that bite, the claws that catch!

Beware the Jubjub bird, and shun

The  Bandersnatch!
 


 

· · ·
 

Es war warm, als Oz die Augen öffnete. Der Gang stand in Flammen, das Knistern und der Rauch allgegenwärtig. Genau so wie die Schreie, die entfernt durch das Anwesen zu hallen schienen.

Als er einen Schritt tat, rutschte er beinahe aus. Der Boden unter seinen Füßen war blutbefleckt, keine drei Handbreit entfernt lag ein Dienstmädchen, Gesicht auf den Boden gedrückt. Sie regte sich nicht. Oz erinnerte sich an den Ort, an die karmesinroten Vorhänge, an das Porträt des weisshaarigen Mannes, das am Ende des Ganges hing, durch einen Schnitt am unteren Ende der Leinwand entstellt. Er war bereits hier gewesen; Sablier, wisperte sein Verstand.

Sablier, das brennende Anwesen der Herzogsfamilie Baskerville. Das Massaker vor einhundert und zehn Jahren. Er wollte laufen, fort von den Schreien, fort vom Rauch, der in seiner Kehle kratzte und dem Blut, das langsam durch den Stoff seiner Schuhe sickerte.
 

Vor dem Fenster schoss etwas vorbei; ein riesiger, schuppenbewachsener Körper. Im Licht der Flammen sah er wie glühende Kohlen aus; der Druck sprengte die Glasscheibe. Oz hob gerade rechtzeitig den Arm, um sein Gesicht vor den Scherben zu schützen. Kühle Nachtluft schlug ihm entgegen. Etwas pfiff draussen, laut und durchdringend, wie der Jagdfalke, den er als Kind auf dem Hof von einem von Onkel Oscars Freunden gesehen hatte.

Oz rannte, zum Fenster und ignorierte, wie das kaputte Glas in seine Handflächen schnitt, als er sich auf den Fensterrahmen stützte, um ins Freie zu schauen. Keine zehn Meter unter ihm hielt ein geflügeltes Biest, beinahe in einem horizontalen Flug, und stiess ein lautes Brüllen aus. Aus der Ferne kam ein weiterer Pfiff. Die riesigen, schwarz gefiederten Flügel liessen Funken aufstäuben.
 

And as in uffish thought he stood,

The Jabberwock, with eyes of flame,

Came whiffling through the tulgey wood,

And burbled as it came!
 

„Oz!“ Alices Stimme riss ihn aus seiner Starre und das Biest drehte den Kopf ruckartig in seine Richtung. Das Monster hatte grosse, runde Augen mit geschlitzten Pupillen, lodernd rot. Für einen Augenblick schien die Luft zu Molasse zu werden und Oz spürte, wie sein Herzschlag zu rasen begann. Adrenalin strömte in jede Faser seines Körpers und er fühlte sich wie ein Hase vor einem Jagdhund – ausgeliefert, hoffnungslos. Er liess sich auf die Knie fallen, ignorierte, wie die Scherben ihn durch den Stoff seiner Hose zwickten.

Dann drehte er den Kopf und suchte sein Umfeld nach Alice ab. Er fand sie nirgends. Eine plötzliche Angst überkam den jungen Mann; was, wenn ihr etwas zugestossen war? Was, wenn ihr Ruf ein Hilfeschrei gewesen war?
 

Alice war gut dafür ausgerüstet, auf sich aufzupassen, doch jedes Mal wenn Oz sie weinen sah, erinnerte er sich daran, dass auch sie manchmal nur ein Mädchen ohne Erinnerungen war. Ein Mädchen mit einem scheinbar bodenlosen Magen, einer riesigen Sense und einer gleichermassen grossen Klappe, aber auch ein Mädchen, das sich auf ihn verliess und ihn brauchte.

Aus Angst davor, das Monster vor dem Fenster auf sich aufmerksam zu machen, krabbelte Oz zum Ende des Ganges. Sobald er ausser Sichtweite des Fensters war, rappelte er sich mühselig auf. Dieses Mal spürte er die Schnitte und Glasstücke, die die Scherben in seiner Haut hinterlassen hatten. Es war einerlei.

Oz rannte.
 


 

· · ·
 

„Oz, hörst du mir zu?“

Ein Biss in die Wange und Oz fühlte, wie er ganz ruckartig wieder bei Sinnen war. Ausser seinem malträtierten Gesicht waren seine Handflächen und Knie in Ordnung; der Raum war hell und Alice stand neben seinem Stuhl, die Hände in die Hüften, ein selbstzufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. Gil zeterte, unglücklich darüber, wie sie noch immer nicht zu begriffen haben schien, dass ein Kuss nicht das Gleiche war, wie jemanden zu beissen.

Sich die Wange reibend blinzelte Oz, noch immer etwas desorientiert. Es fühlte sich fast etwas so an, als könnte er noch das Brüllen des Biests in seinen Knochen nachhallen spüren, das Prasseln des Feuers hören, den Rauch riechen. Und dann lehnte sich Alice vor, so, dass ihre Gesichter kaum noch eine Handbreit auseinander waren.
 

„Du bist ja ganz blass! Was ist los?“

Gil schien besorgt, er war von seinem Stuhl aufgesprungen und schneller um den Tisch herum, als dass Oz seinen Namen sagen konnte.

„Oz, ist alles okay?“

Eilig schüttelte der junge Mann den Kopf und lehnte seine Stirn an Alices, eine Hand nach Gils ausgestreckt.

„Alles in Ordnung. Ihr beide seid einfach zu schnell besorgt!“

Alice sog hörbar Luft ein uns plusterte sich auf, ihre Wangen rötlich. „Schwachsinn! Ich will nur nicht, dass ich darunter leide, weil es meinem Sklaven nicht gut geht!“

„Ich bin um dein Wohlergehen besorgt, lenk doch nicht so einfach ab!“, protestierte Gil. Seine behandschuhten Finger umklammerten Oz' fest.

„Alles in Ordnung. Ich hab nur schlecht geträumt.“
 

And hast thou slain the Jabberwock?

Come to my arms, my beamish boy!

O frabjous day! Callooh! Callay!

He chortled in his joy.
 


 

· · ·
 

Die Bibliothekarin warf sie am Ende doch beinahe heraus. Sie seien zu laut, hiess es.

„Ich wette, die Schachtel könnte es mit dem Jabberwock aufnehmen“, murrte Alice als sie sich von Gil aus dem Gebäude ziehen liess. Oz musste lachen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jeon_Jungkook
2017-02-03T21:15:20+00:00 03.02.2017 22:15
guilhiöoljigiuöhinoiöniöo!!!!!!!
 
 
ich liebe die ff!!
 
Das Trio interagier so wunderschön miteinander und du fängst so herrlich Alice Kindlichkeit, Oz... nun ja Oz eben und Gils Aufpasserei auf den Kindergarten. Besonders die Stelle mit dem Kuss hat mir besonders gefallen. Es war eben typisch Alice und ...
 
*inner fangirl Modus*
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