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Sanfte Sehnsucht

von

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White Day

Ungeduldig blickte Jodie auf ihr Handy. Es lag neben ihr auf dem Tisch und immer wieder warf sie einen kurzen Blick darauf. Der Klingelton war auf Vibration eingestellt und dennoch hatte sie das Gefühl, dass sie eine mögliche Nachricht verpasste. Er ließ sie warten – absichtlich oder unabsichtlich. Es war egal. Jodie tippte mit ihren Fingern auf dem Tisch herum. Die Situation war heikel und Verzögerungen konnten sie nicht brauchen. Einer seiner vielen Kontakte hatte neue Informationen, möglicherweise sogar zur Organisation. Jodie wusste nicht viel, da sich Akai in Schweigen hüllte. Jetzt saß sie hier, wartete und wartete. Als hätte sie nichts Anderes zu tun. Aber es war wie immer. Er rief und sie sprang. Wie oft hatte er das schon gemacht? Und wie oft war sie sofort aufgesprungen und kümmerte sich um diese Belange?

Einmal rief er an, damit sie ihr Tablet vorbeibrachte. Sie wechselten einige Wörter, er sah auf das Tablet, murmelte etwas vor sich hin, gab es ihr wieder zurück und verschwand zurück ins Gebäude. Erst später erfuhr sie, dass er in einen Fall verwickelt war. Sie war wie ein Hund der auf das Rufen seines Herrchens wartete. Und obwohl sie sich jedes Mal darüber ärgerte und sich vornahm nie wieder sofort auf so was zu reagieren, kam sie zurück in diese Situation. Sie konnte nicht anders. In ihrem Kopf lief dann ein eigener Film. Sie sah, dass er dringend ihre Hilfe brauchte, in Gefahr war oder die Aufgabe sonst nicht zu einem Abschluss bringen konnte. Das schlimmste war die Gefahr. Die Angst, dass er dabei sterben würde, war viel zu groß. Und deswegen reagierte sie immer auf seine Nachrichten. Die Wahrheit war anders. Sie war einfach der bequemste Weg.

Verärgert nahm sie den Strohhalm ihres Orangensaftes in den Mund, pustete kurz gegen die Flüssigkeit und trank dann. Es dauerte eine ganze Weile bis sie wieder Orangensaft trinken konnte. Es war die Lieblingssorte ihres Vaters – das Getränk das ihr das Leben rettete. Hätte sie damals nicht ein Saftpäckchen für ihren Vater holen wollen, wäre sie im Feuer umgekommen. Sobald sie anschließend Orangensaft sah, fing sie immer wieder an zu weinen. Erst als sie erwachsen wurde, hörte es auf. Und jetzt konnte sie ihn sogar trinken. Jodie sah kurz aus dem Fenster und beobachtete die Menschen.

Sah man ihr die Langeweile an? War er irgendwo draußen und beobachtete sie? Wollte er sich vergewissern, dass ihnen die Organisation nicht auf der Spur war? Vielleicht wusste er sogar, dass sie sich langweilte. Dabei war es nur die halbe Wahrheit. Die Suche nach der Organisation ging nicht so schnell von statten wie erhofft. Seit einiger Zeit waren alle Mitglieder still. Kir meldete sich nicht und auch Bourbon war nicht mehr so häufig anzutreten wie zuvor.

Jodie ließ ihren Blick im Café Poirot schweifen. Das Café gehörte zu den vielbesuchten Lokalitäten in Beika, aber heute war vergleichsweise wenig los. Azusa stand an der Theke und bediente einen anderen Kunden. Bourbon glänzte mit seiner Abwesenheit.

Die FBI-Agentin seufzte. Sie blickte wieder auf ihr Handy und strich über die Oberfläche. Jodie überlegte einen Moment und drückte dann auf den Button mit der Kurznachricht. Habe keine Zeit mehr. Ruf mich nachher an. J. schrieb sie. Mehrere Sekunden sah sie auf die Nachricht und seufzte erneut auf. Auch wenn sie es wollte, sie konnte sie nicht abschicken. Zumindest jetzt nicht.

„Shu, ich hoffe, du hast einen guten Grund mich warten zu lassen“, murmelte sie zu sich selbst.

Scheinbar war sie dabei ein wenig lauter oder machte den Eindruck, dass sie irgendwas wollte. Azusa kam an ihren Tisch. „Darf ich Ihnen noch etwas Bringen?“

Jodie sah zu ihr. „Nein, danke“, sagte sie ruhig. Sagen Sie mal, ist heute irgendein besonderes Ereignis oder warum sind hier kaum Menschen?“

„Hmm?“ Azusa sah sich um. „Ach so…heute ist White Day.“

„Ja, klar…wie konnte ich das vergessen“, murmelte die Agentin.

„Oh. Entschuldigung“, kam es sogleich von der Kellnerin. „Der White Day ist wie der Valentinstag. Am Valentinstag verschenken die Frauen und Mädchen hier Schokolade an ihre Herzensmänner. Am White Day ist es genau anders herum. Die Männer, die zum Valentinstag Schokolade bekamen, schenken den Frauen die sie mögen Schokolade. Bei Paaren wird es dann auch etwas mehr als Schokolade. Naja…“

„Stopp, stopp“, entgegnete Jodie sofort. „Es tut mir leid, ich hab mich eben falsch ausgedrückt. Ich weiß, was der White Day ist. Ich hatte nur vergessen, das der Tage heute anliegt.“

„Verstehe. Dann bin ich etwas übers Ziel hinausgeschossen.“

Jodie sah wieder aus dem Fenster. „Manchmal beneide ich diese Mädchen dort draußen. Sie sind noch so unschuldig und glauben an die eine, wahre Liebe.“

„Da sagen Sie was.“

Jodie musterte die Kellnerin. „Bekommen Sie heute etwas geschenkt?“

Azusa schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht wissentlich. Und Sie?“

„Sieht auch eher schlecht aus“, antwortete Jodie ruhig. Sie hatte nur ein einziges Mal etwas zum White Day bekommen. „Wissen Sie was? Ich nehm noch einen Kaffee.“

„Bring ich Ihnen sofort.“
 

Jodie sah erneut aus dem Fenster. Die Mädchen liefen aufgeregt nebeneinander her. Manche hielten Schokolade in der Hand als wollten sie zeigen, dass sie begehrt wurden. Andere unterhielten sich miteinander. Eine weitere Gruppe von Mädchen ließ den Kopf hängen und wieder andere wollten schnell nach Hause. Scheinbar erwartete sie dort ein Geschenk. Wie Jodie bereits erwähnte, beneidete sie diese Mädchen. Sie waren noch unschuldig und hatten ihr ganzes Leben vor sich. Ihr Herz war heil und sie waren offen für die große Liebe.

Und was war mit ihr selbst? Obwohl bereits Jahre vergangen waren, hing ihr Herz noch immer an diesem einen Mann. Er ließ sie nicht los egal was sie machte. Immer wenn sie dachte, darüber hinweg zu sein, sah ihn und befand sich erneut im Strudel der Gefühle. Jodie wusste, dass es keine Absicht war und dennoch passierte es immer wieder. Sie seufzte leise.

Obwohl der Auftrag wichtig war und sie die Organisation genau so dringend festnehmen wollte wie die anderen Agenten, stellte sie manchmal alles in Frage. Wäre die Organisation nicht gewesen, wäre sie möglicherweise noch immer mit Shu zusammen. Er hätte sich nicht von ihr getrennt – zumindest nicht mit seinen Beweggründen. Kein anderer Auftrag wäre so wichtig gewesen, dass er seine Gefühle hinten angestellt hätte. Auf der anderen Seite wusste Jodie aber auch nicht, ob sie überhaupt mit Shu zusammen gekommen wäre. Ohne Organisation würde ihr Vater vielleicht noch leben. Eventuell hätte sie auch einen ganz anderen Beruf erlernt. Keiner wusste, wie sich die Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft auswirkte. Konnte die Änderung einer Situation alles ändern?

Jodie schüttelte den Kopf. Die Vergangenheit konnte keiner rückgängig machen. Jetzt stand die Zukunft im Vordergrund. Auch wenn sie dieses Jahr nicht mehr die Liebe erlebte, konnte es im nächsten Jahr anders aussehen. Vielleicht fand sie einen Weg. Sie musste nur daran glauben und lange genug durchhalten. Und selbst wenn es keine Liebe war, ein kleines Geschenk in Form von Schokolade wäre auch nicht schlecht gewesen. Gerade jetzt konnte es ihr Selbstvertrauen nur stärken. Sie erinnerte sich noch immer gern an den ersten und letzten gemeinsamen Valentinstag mit Shu. Damals befand er sich mitten im Training als Scharfschütze. Nicht nur, dass sie ihre Beziehung geheim hielten, sie hatten auch so gut wie gar keine Zeit füreinander. Am 14.2 machte er es aber möglich. Am Abend kam er zu ihr und sie verbrachten die Zeit bis zum nächsten Morgen in ihrem Schlafzimmer. Und trotz allem ließ es sich der Agent nicht nehmen und überraschte seine Freundin mit einer Kette. Und Jodie wäre nicht sie selbst, wenn sie sich nicht mit den Bräuchen der japanischen Kultur auseinander gesetzt hätte. Da sie es nicht schaffte zum Valentinstag Schokolade selbst zu machen, versuchte sie sich am White Day daran – und scheiterte. Mit einer Waffe konnte sie umgehen, aber in der Küche war sie nicht einsetzbar. Manchmal wünschte sie sich die Anfänge ihrer Beziehung zurück. Mit einem Lächeln, gepaart mit einem Hauch Traurigkeit blickte sie auf ihr Handy. Warum hatten die schönen Momente in ihrem Leben immer einen bitteren Nachgeschmack?

Nachdenklich blickte Jodie wieder auf ihr Handy. Sie hatte noch immer keine Nachricht – wahrscheinlich hatte er sie vergessen oder ihm war etwas Wichtigeres dazwischen gekommen. Jodie seufzte leise auf. Sie hatte über eine halbe Stunde gewartet. Aber nun reichte es.

Azusa kam wieder an ihren Tisch. „Ihr Kaffee“, sprach sie. „Kann ich Ihnen auch etwas zu Trinken bringen?“

Irritiert sah Jodie auf den Platz gegenüber. Sie blinzelte und war überrascht ihn zu sehen. „Seit wann…bist du hier?“

„Eine Weile“, antwortete Shuichi ruhig und sah zur Kellnerin. „Kaffee, schwarz, bitte.“

Jodie steckte das Handy in die Tasche. „Du hast mich warten lassen“, meinte sie dann.

„Ich musste sichergehen, dass sich die Informationen nicht als falsch erweisen oder als Falle.“

Jodie musterte ihn. Sofort spannte sich ihr Körper an. „Und?“

„Keine Falle“, sagte er ruhig. „Aber der Hinweis hat sich als Fehlschlag entpuppt. Einer meiner Informanten sah eine Gestalt auf die die Beschreibung der Organisation passt. Ich war heute dort. Die mögliche Zielperson ist Bestatter. James überprüft ihn gerade. Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir uns keine Sorgen machen müssen.“

Jodie seufzte. „Na toll“, murmelte sie. „Dann stehen wir wieder bei Null.“

„Tja…“ Akai zuckte mit den Schultern. „Machen wir das Beste draus.“

„Und wie soll das aussehen?“ Jodie überlegte gespielt. „Ich weiß. Du kannst damit anfangen, dass du mich zum Essen einlädst.“



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