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Chrysalis

von

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Der Anblick war so nostalgisch, dass Tetsurou nicht aufhören konnte, zu grinsen. Kenma saß auf seinem Futon, die Nase in seiner PSP vergraben. Hinata hockte trotzdem bei ihm und erzählte gerade wild gestikulierend von den neuen Erstklässlern in seinem Team, klagte über ihre Größe, pries ihre Fähigkeiten an. Seit Tetsurou begonnen hatte, zu beobachten, hatte Kenma kaum zweimal den Mund aufgemacht, aber dass er sich überhaupt beteiligte bei jemandem, den er nicht auf täglicher Basis sah und dadurch gut kannte, war immer wieder ein seltsam beruhigender Anblick.

In einer anderen Ecke des Raumes hatten sich Shibayama, Inuoka und Lev zusammengerottet. Vor einigen Minuten war Fukuroudanis neuer Libero aufgeschlagen, zusammen mit Karasunos Libero und dem hochgewachsenen Erstklässler, der im nächsten Jahr den Job übernehmen würde, sowie Seijohs Libero. Sie hatten Knabberkram mitgebracht – Tetsurou hatte beinahe aufgelacht, weil es ihn so sehr an Komis schlechte Angewohnheiten erinnerte – und saßen jetzt zusammen, knabbernd und in ein lautstarkes, fröhliches Gespräch vertieft. Yaku hätte wahrscheinlich nur zu gerne teilgehabt, aber der war schon seit einer Weile verschwunden, hatte Sawamura und seinen ehemaligen Vize mitgeschleppt, damit sie trotz weitem Heimweg nicht viel zu spät ankamen.

Und zugegeben, wahrscheinlich wäre Lev auch ein Grund gewesen, um Yaku vom Mitreden abzuhalten. Wenn er die viel zu laute Unterhaltung der Zweitklässler richtig belauscht hatte, hatte der kleine Dämon heute schon fleißig Körbe verteilt. Na, zumindest einen. Einen gewaltigen.

 

Eigentlich hatte Tetsurou auch längst losgewollt. Er vermutete, sein Gast wollte es auch, aber es war schwer, auf Ushiwakas Gesicht irgendetwas zu lesen, das über arrogante Ablehnung hinausging. Kenma könnte ihm vermutlich im Detail erzählen, was in dem Hünen vor sich ging; Tetsurou sparte es sich, ihn zu fragen. Er hatte nichtssagend seine Einwilligung gebrummt, als Tetsurou verkündet hatte, auf Bokuto warten zu wollen, und damit hatte er nun mit seiner Einwilligung zu leben.

 

Es konnte nicht ewig dauern, was auch immer Bokuto gerade trieb.

 

Und bis dahin nutzte Tetsurou die Zeit gerne, um einfach zu verinnerlichen, dass sein Team noch funktionierte, dass er ein gutes Erbe hinterlassen hatte, dass Kenma weit besser klarkam als Captain, als der es je erwartet hatte. Bei aller Fremdeinschätzung, Kenma war absolut lausig darin, sich selbst wirklich einzuschätzen. Er traute sich schlussendlich einfach viel zu wenig zu. Aber jetzt, wo Tetsurou einen Tag mit dem neuen Team Nekoma verbracht hatte, war er sich sicher, dass es die beste Idee gewesen war, die er je gehabt hatte, die Jungs dazu zu ermutigen, Kenma zu wählen.

Tetsurou war stolz auf ihn.

„He, Ushiwaka.“

Er grinste, als er seinen Begleiter ansah, der abwartend neben ihm an der Wand lehnte. Nur kurz sah er hinüber, dann ging sein Blick wieder stoisch nach vorn. Es reichte Tetsurou als Signal, weiterplaudern zu dürfen.

„Bist du zufrieden?“

Es gab Fragen, die musste man gar nicht ausformulieren, davon war Tetsurou überzeugt. Er mochte kein Sprachgenie sein, aber das war eine Botschaft, die auch dann ankam, wenn man nicht ausholte, wovon man eigentlich sprach. Heute hatten alle Ehemaligen das Gleiche gedacht.

Ushiwaka gab einen leisen Laut von sich, tonlos, nichtssagend. Er verschränkte die Arme vor der Brust, würdigte Tetsurou immer noch kaum eines weiteren Blickes. Trotzdem war sich Tetsurou sicher – Wunschdenken? –, dass er so etwas wie Anerkennung in dem starren Blick erkannte.

„Sie sind gut.“

 

Ein wenig erinnerte Ushiwaka ihn an Kenma in dieser Sache – nur wenige Worte, aber sie hinterließen Wirkung. Es war aber auch das Gleiche, das Kenma über sein Team sagen würde – und es steckte die gleiche Botschaft dahinter: Sie sind extrem stark.

Tetsurou hätte gern weitergequatscht, aber draußen auf dem Flur hörte er die vertrauten, viel zu lauten Schritte von Bokuto. Die herannahende Ankunft des Anderen ließ ihn zufrieden grinsen. Er stieß sich von der Wand ab, schob die Hände in die Hosentaschen.

„Wir gehen jetzt“, informierte er Ushiwaka, ehe er sich an den bunten Haufen im Raum wandte.

„Yo, Nekoma! Wir sehen uns morgen! Macht es uns gefälligst nicht mehr ganz so leicht, den Boden mit euch zu wischen!“

Er erntete Protestrufe und Gelächter, einen müden Blick von Kenma und Empörung ausgerechnet von Karasunos Chibi, der lautstark verkündete, wie gwah und woah Nekoma doch waren. Weil Inuoka sofort einstimmte, kapitulierte Tetsurou. Mit einem Grinsen, das fast schadenfroh zu nennen war, winkte er Kenma, der sich ruhig alleine mit den beiden Plappermäulern auseinandersetzen durfte, dann ließ er Nekomas Schlafraum hinter sich, um Bokuto zu begrüßen.

Der übrigens viel zu breit und viel zu zufrieden grinste, was Tetsurou ahnen ließ, wo die Verspätung herkam.

Jetzt fehlte nur noch Oikawa.

„Bro~ Wo hast du deinen Gast gelassen?“ – „Der ist bei seinem Team! Ich wollte ihn eigentlich holen, aber ich hab vergessen, wo die pennen.“

Eigentlich sollten sie losgehen, um Oikawa zu holen, aber Bokuto ließ sich von dem Lärm, der aus Nekomas Schlafsaal drang, ablenken und blinzelte interessiert auf die inzwischen geschlossene Tür. Ein paar Sekunden starrte er einfach nur, dann zogen sich seine Augenbrauen zusammen.

 

„Bro… Das ist voll unfair, dass wir nicht hier pennen können.“

Tetsurou schnaubte leise. War es. Aber es war schon genug, dass sie als Außenstehende überhaupt die Schule benutzen durften. Er verstand schon, dass die Verwaltung das nicht auch noch über Nacht haben wollte, dass ein paar verrückter Studenten sich auf dem Gelände herumtrieben.

Aber ja. Er fand es auch unfair.

„Gruppenübernachtungen sind einfach viel cooler, huh?“

Blöde Spiele, nächtliche Mutproben, das Gezeter, wenn irgendwer nachts aufs Klo musste und seinem Schlafnachbarn versehentlich irgendwo gegentrat, wo es wehtat – es gehörte zum Trainingscampgefühl genauso dazu wie gemeinsame Mahlzeiten, quälende Strafaufgaben und schweißtreibendes Training selbst. Für Tetsurou war es auch befremdlich, jetzt nach Hause zu gehen. Vorhin, als Yaku sich verabschiedet hatte, hatte er einen Moment ausgesehen, als wäre er den Tränen nah. Sie waren wohl alle nicht ganz glücklich damit.

Außer Ushiwaka. Den schien überhaupt nichts stören zu können.

 

„Hey hey hey!!!“

 

Bokutos jäher Ausruf ließ ihn aus seinen Gedanken schrecken. In den goldenen Eulenaugen lag das irre Funkeln einer wahnsinnig dummen Idee, und ohne zu wissen, was genau Bokuto von ihm wollte, war Tetsurou schon aus vollem Herzen überzeugt von der Idee. Dieser Blick bedeutete Großes.

„Wir machen unsere eigene Trainingscampübernachtung, Kuroo! Wir nehmen Oikawa und Ushiwaka mit! Und dann rufen wir Yakkun an, dann haben wir unser ganzes Team zusammen, hey hey hey!“

Es war genauso irre, wie Tetsurou es sich vorgestellt hatte, und er grinste selbst wie der Wahnsinn persönlich.

„Das ist perfekt.“

Das klang doch viel, viel besser, als jetzt getrennte Wege zu gehen. Irgendwie schämte Tetsurou sich glatt, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein, aber ohne Bokutos verrückte Brillanz, die an jedem logisch-praktischen Denken vorbeiging, wäre er wohl nicht darauf gekommen. Immerhin, Einzimmerwohnungen waren nicht gerade dafür bekannt, sieben Leute beherbergen zu können.

Aber sollte ihn das kümmern?

Ushiwaka sah zwar aus, als wäre er in etwas besonders ekliges getreten, aber das konnte Tetsurou gekonnt ignorieren. Wenn Bokuto sich freiwillig darauf einließ, mit dem Typen in einem Haus zu schlafen, musste man das ausnutzen! Im Vorfeld war es immerhin eine furchtbare Debatte gewesen und er hatte sich rigoros geweigert, auch nur in Erwägung zu ziehen, Ushiwaka bei sich aufzunehmen.

 

„Jetzt müssen wir nur noch Oikawa finden!“

 

Sie fanden ihn zehn Minuten später, nachdem sie unnötig viele Türen ausprobiert hatten, dreimal an Karasuno vorbeistolperten – Tetsurou staunte nicht schlecht, als er Shida mit dem neuen Captain reden sah – und außerdem Shiratorizawa bei etwas störten, das verdächtig nach Kissenschlacht aussah. Oikawa saß inmitten seiner alten Teamkollegen und auch ohne zu verfolgen, was er sagte, konnte Tetsurou erkennen, dass der Kerl unnötig theatralisch war. Sein Gebaren und seine Mimik waren überzogen, seine Stimme klang weinerlicher als nötig. Vermutlich klagte er über sein grausames Unileben oder irgendetwas ähnlich Dummes.

„Yo, Oikawa! Wir gehen! Hey hey hey!“

Sofort war Oikawas Aufmerksamkeit bei ihnen. Er sprang auf, verschränkte die Arme vor der Brust und reckte arrogant das Kinn vor.

„Das hat aber auch lange genug gedauert, Bokkun!“

Es klang nicht, als würde er mit einem Freund reden. Eher mit einem Bediensteten. Bokuto lachte nur, unbekümmert von dem Tonfall, verkündete, er hatte eben etwas furchtbar wichtiges zu tun gehabt, und nachdem Oikawa sich ebenfalls kurz verabschiedet hatte, machten sie sich endlich auf den Heimweg.

Ein paar Minuten, um zur U-Bahn zu kommen, dann ungefähr zwanzig Minuten Fahrt, und noch einmal ein paar Minuten, um bis zu Tetsurous Wohnung zu kommen. Er hatte ein Sofa, auf dem jemand schlafen konnte, der nicht allzu groß war – am Ehesten also Yaku? –, hatte ein Bett, in dem zwei Personen Platz hatten – da konnte Bokuto gleich mit rein –, und einen aufgerollten Futon im Schrank für Notfälle. Und die Luftmatratze, die einfach viel zu unbequem war, die er nur für seine Einweihungsparty gekauft hatte. Die war auch groß genug für zwei. Wenn Yaku dann noch einen Futon mitschleppte, würde es reichen.

Vorausgesetzt, er kam überhaupt.

„Bokuto! Erleuchte Oikawa mal, was wir geplant haben! Ich sag Yakkun Bescheid!“

 

So hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und musste sich Oikawas Geweine nicht geben. Wenn es jemanden gab, der noch schlechter auf Ushiwaka zu sprechen war als Bokuto, dann war es eindeutig Seijohs ehemaliger Captain.

Das Handy am Ohr übertönte die enthusiastische Erzählung, die ein paar Meter vor ihm stattfand, während er sich langsam weit genug zurückfallen ließ, um ein bisschen Privatsphäre zu bekommen. Es klingelte dreimal, bevor Yaku ans Handy ging.

„Kuroo, hast du mich heute nicht genug genervt?“

Er klang nicht halb so genervt, wie er wohl wollte, deshalb grinste Tetsurou nur, während er einer Straßenlampe auswich, deren gelbes, diffuses Licht den Bürgersteig hell anmalte.

„Niemals. Yakkun~ wir laden euch zu einer teaminternen Trainingscampübernachtung ein! Wollt ihr vorbeikommen?“

Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, dann hörte er etwas, das so klang, als wäre Yakus Hand mit seiner Stirn kollidiert.

„Das ist nicht dein Ernst“, gab der Winzling fassungslos zurück. In seinen Worten schwang neben aller Fassungslosigkeit etwas mit, das Tetsurou fast zweifelsfrei als Lächeln identifizieren konnte, und sein eigenes Grinsen wurde breiter. Selbst so ein kleiner Klotz wie Yaku war eben nicht gegen Nostalgie und Ehemaligenmelancholie gefeit.

„Warte kurz.“

 

Tetsurou wartete. In seinem Ohr hörte er gedämpfte Stimmen. Er war sich sicher, dass er das barsche Lachen von Karasunos Captain hörte, dann kurz darauf einen halbwegs empörten Ausruf von dessen Kollegen. Vor sich schrie gerade Oikawa grell auf, weil Bokuto es wohl endlich geschafft hatte, seinen großen Plan zu verkünden. Ushiwakas Stimme war leiser, dröhnte aber trotzdem durch die abendliche Stille bis zu Tetsurou hinüber, und Bokuto konnte man ohnehin nicht überhören. Die kleine Gruppe sah unglaublich faszinierend und unpassend aus, schon allein in ihrer unterschiedlichen Körpersprache.

Ushiwaka passte überhaupt nicht ins Bild.

Oikawa und Bokuto waren verblüffend harmonisch, aber das hatte Tetsurou schon den ganzen Tag über gemerkt.

„Wir sind in einer Dreiviertelstunde da.“

Er hätte beinahe verpasst, wie Yaku zurück ans Telefon kam.

„Suga-Kun sagt, wir bringen etwas zu essen mit.“

 

Einen kurzen Moment überlegte Tetsurou, ob er es wagen sollte, Alkohol zu kaufen. Dann dachte er daran, was Yaku mit ihm anstellen würde und stellte sich vor, wie ein betrunkener Yaku wohl drauf sein würde. Es war in seiner Vorstellung eine Mischung aus Nekomata-Sensei und gewalttätigem Brutalo, die Tetsurou viel zu besorgniserregend fand, um sie wirklich erleben zu wollen.

Er wagte es nicht.

 

 
 

***

 

 

Sie machten trotzdem einen kleinen Abstecher zum Konbini, als sie in der Nähe von Tetsurous Bude aus der Bahn stiegen. Bokuto wollte Süßigkeiten, Oikawa schloss sich viel zu begeistert an, und Ushiwaka verzog angewidert das Gesicht.

Der gesamte Einkauf war alles andere als verantwortungsbewusst, und weil Tetsurou in der Regel doch auf seine Ernährung achtete, drehte sich ihm ein bisschen der Magen um, als er die Berge an Chips, Süßigkeiten und Esspapier-Ufos – „Bokkun, schau dir das an! Das sind Ufos! Sowas kriegst du in Miyagi überhaupt nicht!“ – „Was, ernsthaft? Hey hey hey, dann musst du welche als Souvenir mitnehmen!“ – sah, die sie nach der Kasse in zwei transparente Plastiktüten schichteten.

Andererseits, sie aßen solchen Unfug schließlich nicht täglich, also wieso nicht? Ab und zu durfte man sich solche Dinge erlauben, wofür lebte man denn sonst?

 

Zuhause angekommen musste Tetsurou erst einmal die Überreste seiner letzten Lern-Session vom Tisch schieben, bevor sie ihre Süßigkeitenberge drauftürmen konnten. Er gab Ushiwaka und Oikawa eine kurze Tour der winzigen Wohnung, um ihnen Bad und Küche zu zeigen und außerdem darauf hinzuweisen, dass der Temperaturregler an der Dusche absoluter Müll war und sie nur die Wahl zwischen eiskalt und kochendheiß hatten.

„Kein Wunder, dass deine Haare so aussehen“, kommentierte Oikawa sofort mit einem angewiderten Blick auf die Dusche. Tetsurou hätte ihm in diesem Moment gern den Hals umgedreht. Er sparte es sich, genauso wie die Erklärung, dass da kein Temperaturregler der Welt half. Und auch sonst nichts. Das brauchte dieser eitle Pfau einfach nicht zu wissen!

Durch den Abstecher zum Konbini dauerte es nicht mehr lange, bis Yaku und Anhang ebenfalls aufschlugen. Weil Yaku sowieso wusste, wo alles war, machte Tetsurou sich nicht die Mühe, die neuen Gäste herumzuführen; Yaku führte sich eh auf, als wäre er hier zuhause, kommandierte Suga in die Küche ab, scheuchte Sawamura mit einer riesigen Tüte voller Futon ins Wohnzimmer, während er noch damit beschäftigt war, seine Schuhe unnötig umständlich auszuziehen.

„Wir haben ein Gastgeschenk dabei“, verkündete er mit einem Kopfnicken auf eine kleine Tüte, die auf Tetsurous Schuhschrank stehen geblieben war. Im gleichen Moment runzelte der Libero die Stirn, als sei er selbst nicht ganz glücklich mit dem Inhalt dieser Tüte.

Tetsurou sah, warum, als er hineinblickte. Er grinste, während Yakus Blick sich weiter verfinsterte.

 

„Es war Suga-Kuns Idee.“

 

 

***

 

 

Es war gut, dass Yaku und seine Gäste vorbeigekommen waren; Tetsurou war sich sicher, dass ihre Anwesenheit die Spannungen zwischen Ushiwaka und Oikawa entzerrte. Das Abendessen – Suga konnte hervorragend kochen! – verlief ohne jede Katastrophe, und schließlich saßen sie irgendwie auf Sofa und Fußboden verteilt um den dankenswerterweise niedrigen Wohnzimmertisch herum.

Ein paar Minuten herrschte friedliche Stille. Ein paar Minuten, dann war Bokutos gesättigte Trägheit vorüber und er beugte sich von seinem Platz auf der Sofalehne aus begierig vor, wieder dieses herrliche Funkeln in den Augen, das Tetsurou viel zu sehr liebte.

„Wir müssen noch irgendwas Cooles machen!“, verkündete er inbrünstig. Es war logisch; den Abend spektakulär ausklingen zu lassen, hatte bei ihnen schon immer zum Trainingscampen gehört. Sei das nun mit einem intensiven Privattraining, einer Mutprobe, einer Kissenschlacht oder irgendeiner anderen coolen Aktion, aber es gehörte einfach dazu, nicht einfach schlafen zu gehen. Yaku stöhnte, weil er die abendlichen Aktionen noch nie besonders gemocht hatte, während Suga verkündete, dass das eine wunderbare Idee war. Sawamura grinste, aber es sah nicht so aus, als wäre er wirklich überzeugt.

„Wir können Flaschendrehen spielen.“

Es war nicht einmal der Vorschlag, der so unheilverkündend beunruhigend war. Es war Oikawas absolut unschuldiges, harmloses Lächeln, mit dem er die Alkoholflasche hochhob, die Yakus Gruppe mitgebracht hatte.

 

„Hey hey hey!“

 

Natürlich war Bokuto dabei. Natürlich war Tetsurou dabei. Sawamura und Yaku stimmten zu, aber ersterer sah schon vor Beginn des Spiels leidend aus, während zweiterer die Stirn runzelte, als plane er jetzt schon Züchtigungsmaßnahmen für zu übertriebenes Verhalten.

„Ich habe keine Lust, mich euren Kinderspielen anzuschließen.“

Nur Ushiwaka musste Spaßbremse spielen.

„Komm schon, Ushiwaka-Chan~ Oder hast du etwa Angst, zu verlieren?“

Oikawas Stimme troff nur so vor Hohn und Spott und Provokation. Bei Tetsurou hätte es funktioniert. Ushiwaka zuckte nicht einmal mit der Wimper.

„Ich muss mich nicht zum Idioten machen, um besser zu sein als du.“

Es war faszinierend, mit anzusehen, wie absolut hasserfüllt die beiden miteinander umgingen. Freundschaftliche Rivalität war eindeutig etwas anderes als diese Blicke, die auf Oikawas Seite Hass und Abscheu sprühten, und auf Ushiwakas Seite abfälliges Desinteresse.

„Hey, hey… kein Streit bitte!“, mahnte Suga sanft. Er hob mit einem unsicheren Lachen abwehrend die Hände und lächelte Ushiwaka dann gewinnend an. Er pflückte Oikawa die Flasche aus der Hand, ohne hinzusehen und hielt sie auffordernd dem Riesen hin.

„Es gehört dazu, hm? Du kannst immer noch aufhören, wenn es dir zu blöd wird, aber ohne dich anzufangen macht den Sinn einer Teamübernachtung kaputt!“

 

„Ihr seid erbärmlich, wenn ihr den Wert eines Teams daran bemesst, wie geschlossen es idiotischen Schwachsinn macht.“

Die Flasche nahm er trotzdem an.

 

Mit vereinten Kräften brauchten sie keine fünf Minuten, um den Tisch soweit frei zu räumen, dass eine Flasche zum Drehen dort Platz fand. Sie war auch schnell geleert, und bald standen rings am Rand des Tisches sieben Gläser mit Alkohol.

„Also. Wir brauchen Regeln, huh?“

Tetsurou grinste. Er mochte Regeln.

„Wer seine Aufgabe oder Frage nicht erfüllen oder beantworten kann oder will, der muss zur Strafe einen großen Schluck trinken. Sobald der Alkohol leer ist wird jedes Nichterfüllen und Nichtbeantworten damit bestraft, dass man ein Kleidungsstück ausziehen muss. Irgendwelche Einwände?“

Yaku sah aus, als wollte er protestieren, aber dann ließ er es doch bleiben. Tetsurou kannte ihn. So lange spielen wir eh nicht war aber auch ein naheliegender Gedanke.

Nachdem auch sonst niemand meckern wollte, griff Tetsurou die Flasche und reichte sie an Oikawa weiter. Seine Idee, also hatte er die Ehre, beginnen zu dürfen.

 

„Mögen die Spiele beginnen~“

 

 
 

***

 

 

Es fing harmlos genug an.

Es waren die üblichen Späße: unnötig alberne Akrobatik, peinliche Gesangseinlagen, und Fragen, die ein bisschen zu privat waren, um sie zu beantworten, wenn man nicht übermütig und aufgepeitscht war. Es war gewissermaßen schon alt und langweilig für Tetsurou, der sicher nicht mehr nachzählen konnte, wie oft er sich mit solchen und ähnlichen dummen Spielen die Nacht vertrieben hatte. Trotzdem war es lustig; Ushiwaka, Oikawa und die beiden Ex-Krähen brachten frischen Wind in alte Spiele und es war interessant genug, herauszufinden, dass Oikawa ein beeindruckender Sänger war, Ushiwaka es schaffte, nicht mehr als den immer gleichen Ton zu produzieren, egal, was er zu singen versuchte. Sawamura weigerte sich sogar lieber lachend und Suga schien ihm sehr dankbar dafür zu sein.

Tetsurou merkte es sich; sobald sein Glas erst leer war, stand Sawamura sicher sehr anders zu einer kleinen Gesangseinlage.

 

Dass Ushiwaka nicht nach wenigen Minuten das Spiel schon wieder für beendet erklärte, erstaunte Tetsurou. Er hatte nicht erwartet, dass die Spaßbremse sich wirklich lange mitziehen lassen würde. Insgesamt war die Stimmung weit besser als befürchtet; irgendwo auf halbem Wege zwischen Flasche drehen und Aufgabenstellen hatte Oikawa scheinbar vergessen, dass er eigentlich entsetzlich angepisst auf Ushiwaka sein wollte, denn dieses nächste Mal, dass die Flasche auf dem Hünen landete, lachte der Kerl nur fröhlich. Seine Augen leuchteten übermütig, aber nicht bösartig, als er sich lässig auf den Tisch lehnte.

„Erzähl mal, Ushiwaka-Chan~ Warst du kaltherziges Monster eigentlich schon einmal verliebt?“ – „Nenn mich nicht so. Und nein.“

„Waaaaaaaaaaaaas?!“

Natürlich war Bokuto entsetzt. Tetsurou wusste nicht, ob er entsetzt sein wollte oder nur den Kopf schütteln. Es passte zu Ushiwaka und seinem ultimativ nur aufs Volleyballspielen ausgelegten Lebensstil. Oikawa sah auch nicht wirklich aus, als ob die Antwort ihn verwunderte – nur ein bisschen beleidigt. Er hatte sich sicher etwas anderes erhofft, bei aller Erwartung.

„Aber jeder Mensch ist doch irgendwann mal verliebt!!! Das gehört zum High-School-Leben dazu, Ushiwaka!“

Tetsurou lachte. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass Bokuto keinerlei Verständnis von Verliebtheit gehabt hatte, keinerlei Begriff davon, dass er verknallt war, bis kurz vor Ende des letzten Schuljahres. Und auch dann war es schlussendlich nicht Bokutos Verdienst gewesen, dass die Erkenntnis kam, sondern Akaashis; mit dem Jahresende im Nacken hatte er sich endlich dazu durchgerungen, Bokuto seine Gefühle zu gestehen. Die natürlich erwidert wurden, daran hatte an diesem Punkt wohl niemand – Akaashi inklusive? – mehr gezweifelt. Es war vorher nie ein Thema gewesen, aber mit diesem Gespräch kam bei Bokuto die selbstverständliche Erkenntnis, dass er Akaashi sehr, sehr liebte, und eigentlich nutzte er seitdem jede Gelegenheit, es herumzuposaunen.

Dass er es gerade nicht tat, lag wohl nur daran, dass ihn Ushiwakas Lieblosigkeit so sehr entsetzte.

„Vielleicht hast du ja einfach noch nicht den Richtigen gefunden!“, lamentierte er weiter. Er lehnte sich zu Ushiwaka hinüber, um ihm auf die Schulter zu klopfen, doch Ushiwaka lehnte sich gerade so weit zur Seite, dass Bokutos Hand ins Leere griff. Einen Moment blinzelte der eulenhaft, verwirrt, sah von Ushiwaka zum Rest der Tischgesellschaft und wieder zurück, dann richtete er sich wieder ordentlich auf. Blinzelte wieder.

 

Tetsurou überlegte, ob er darauf hinweisen sollte, dass das Spiel noch lief, oder ob er es bleiben ließ. Die Entscheidung nahm ihm netterweise Suga ab, als der sich ins Gespräch einmischte:

„Aber sag, Ushijima-Kun. Wie müsste denn jemand sein, in den du dich verlieben kannst?“ – „Kompetent“, war die absolut nicht hilfreiche Antwort. Ushiwaka hielt inne, die Stirn kaum merklich gerunzelt. Dachte er gerade ernsthaft darüber nach?

Offensichtlich, denn dem Stirnrunzeln folgte schließlich noch eine weitere Erwiderung: „Jemand, der die Dinge, die er tut, ernstnimmt. Ich kann keinen Menschen respektieren, der mit einer halbherzigen Arbeitshaltung an seine Pflichten und Interessen herangeht. Oder aus sentimentalen Gründen Dummheiten begeht.“

Sein Blick huschte kurz in Oikawas Richtung hinüber, dessen eigene Augen ablehnend funkelten. Der Moment war schnell genug vorüber, dass Tetsurou überhaupt nicht entschlüsseln konnte, was da zwischen den beiden abgegangen war, aber für einen winzigen Augenblick hatte er den Eindruck gehabt, in dem Dialog und anschließenden schweigenden Blickaustausch hätten zwischen den Zeilen die Worte unter anderen Umständen hätte ich dich lieben können gesteckt.

Vielleicht war ihm das halbe Glas Alkohol aber schon zu sehr zu Kopf gestiegen.

 

„Hey, wir sollten weitermachen, oder? Ushiwaka können wir auch später noch verkuppeln~“

 

Besagter Ushiwaka nahm die Aufforderung an, griff nach der Flasche, und weiter ging das Spiel. Die erste Frage nach Verliebtheit hatte eine Pforte geöffnet, die von harmlosen, kindischen Scherzen zu jugendlichem Übermut führte. Tetsurou zweifelte nicht daran, dass bald noch mehr Fragen und Aufgaben in die Richtung kommen würden – trotzdem machte er sich keine Sorgen, als Ushiwakas Flaschendreh auf ihm endete.

Ushiwaka war harmlos.

„Was ist das Dümmste, das du je getan hast?“

Ushiwaka war nicht harmlos. Tetsurou stöhnte unglücklich, raufte sich durchs Haar. Er sah, dass Oikawa es kommentieren wollte und warf ihm einen vernichtenden Blick zu, noch ehe er den Mund aufmachen konnte. Es brachte den Anderen immerhin dazu, nur spöttisch zu lächeln, ehe er mit einem lässigen Kopfschwung seine eigene Frisur wieder perfekt in Form brachte. Angeber.

„Ich habe gewettet“, verkündete er tragisch, denn Tetsurou war ein Mann von Ehre, und das bedeutete, er nahm solche Spiele ernst. Dass seine Antwort reichlich mau war, war eine andere Sache, aber Ushiwaka hatte schließlich nicht nach Details gefragt. Bokutos neugieriger Eulenblick fragte nach Details, aber Tetsurou ignorierte ihn, so gut er konnte.

Am Ende war die drehende Flasche ja doch viel interessanter – für den Moment.

 

 
 

***

 

 

Das Thema Liebe blieb hängen. Suga war der nächste, der es aufgriff, als er sich mit einem wirklich freundlichen Grinsen zu Bokuto hinüberlehnte.

„Bist du verliebt?“ – „Natürlich! Akaashi ist einfach toll, hey hey hey!“

Natürlich war Akaashi toll. Tetsurou hatte schon zahllose Male davon gehört, wie toll Akaashi war, wenn er nicht gerade eine entsetzliche Spaßbremse war. Er zweifelte daran, dass irgendjemand der Anwesenden wirklich geil darauf war, die Geschichten ebenfalls zu hören, also mischte er sich ganz nonchalant ein:

„Wie wäre es, wenn wir alle reihum die Frage mal beantworten, damit sie unser Spiel nicht in die Länge zieht?“ – „Bro! Das ist genial! Das machen wir!!!“ – „Ich bin auch für Kuro-Chans Idee!“

Weil Suga sie ebenfalls großartig fand und es Ushiwaka schlicht egal war, waren die beiden Skeptiker Yaku und Sawamura so drastisch überstimmt, dass es beschlossene Sache war. Tetsurou grinste immer noch.

„Die Regeln gelten immer noch – wer sich weigert, zu antworten, muss trinken.“

Aber eigentlich lag in dieser Weigerung genug Antwort, dass Tetsurou sich nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand so dumm war, wirklich zu trinken. Suga tat es trotzdem, mit einem strahlenden Funkeln in den Augen und einem nonchalanten Grinsen, ehe er zwinkernd verkündete, dass das sein Geheimnis sei. Kein besonders gut gehütetes Geheimnis und Tetsurou vermutete, dass die ganze Aktion rein zur Show diente – und vielleicht als Ausrede dafür, zu trinken. Er konnte es nicht einschätzen; hinter der harmlos lächelnden Fassade mit dem Leberfleck steckte ein verblüffend gefährlicher Kerl. Er bereute inzwischen sehr, dass er sich damals nur die Nummer von Karasunos Captain erschlichen hatte. Er hätte sicher viel Spaß mit Suga haben können.

Aber hey. Das konnte man alles nachholen!

 

Yakus Antwort auf die Frage war ein so vehementes Nein!, dass Tetsurou ihm keine Sekunde lang glaubte. Er war noch nie ein guter Lügner gewesen, und nach allem, was Tetsurou heute gehört hatte, glaubte er ihm noch weniger.

„Bist du sicher?“, fragte er amüsiert nach und hob die Augenbrauen. Yaku bestätigte noch einmal inbrünstig. Hey. Niemand konnte Tetsurou Gemeinheit nachsagen. Er hatte ihm die Wahl gelassen.

„Bro! Das müssen wir ändern! Das ist ja genauso schlimm wie Ushiwaka!“

Tetsurou grinste breit, als Yaku erbleichte.

„Bro… Wir könnten Ushiwaka und Yakkun verkuppeln!“

Das war nicht, worauf Tetsurou hinausgewollt hatte. Der verdammt dumme Kommentar hatte nicht nur Yakus Gesicht total zum Entgleisen gebracht, sondern auch so ziemlich jeder der anderen Anwesenden guckte dumm aus der Wäsche. Selbst Ushiwakas Gesicht verzog sich. Tetsurou konnte kaum noch atmen vor Lachen.

Auch wenn, objektiv betrachtet, Yaku vielleicht gar keine so schlechte Wahl für Ushiwaka war. Er war ernsthaft, ehrgeizig, und die meiste Zeit einfach ein viel zu grober kleiner Klotz, um sentimentale Dummheiten zu begehen. Auf der anderen Seite war das ein Pärchen, das sich Tetsurou nicht einmal vorstellen wollte, und Yakus Charakter war zu einhundert Prozent inkompatibel mit Ushiwaka. Bei der ersten Erwähnung seiner Körpergröße wäre es doch vorbei.

„Ich hab da eine bessere Idee, Bro… Wusstest du, dass Yakkun heute–“ – „Kuroo Tetsurou. Ich warne dich.“

Yaku klang wütend. Ernsthaft wütend. Wütend genug, dass Tetsurou fürchten musste, dieses Gespräch nicht ohne blutige Nase zu verlassen, wenn es weitergehen würde. Er schielte auf das Glas vor Yakus Nase hinunter. Noch relativ voll.

Na, mal sehen, wie er zu dem Gespräch stand, wenn es relativ leer war.

 

Um das Thema zu wechseln, drängte Tetsurou dazu, ihre Fragerunde wieder aufzunehmen; Sawamura bestätigte, dass er verliebt war. Er wurde mehr als verlegen dabei und grinste schief. Er war damit das genaue Gegenteil von Oikawa, dessen Antwort nur vor Arroganz troff:

„Ich bin nicht verliebt. Die Leute verlieben sich in mich.“

Tetsurou wusste, wenn er ebenfalls verneinte, dann würde Bokuto keine Ruhe mehr geben, weil er unbedingt kuppeln wollte. Und er konnte verzichten, dass der Idiot auf die Idee kam, ihn wahlweise mit Ushiwaka oder mit Yaku verkuppeln zu wollen, denn er lebte in der felsenfesten Überzeugung, dass keines von beidem funktionieren könnte, nicht einmal in einem abgedrehten Paralleluniversum. Die Wahrheit sagen fiel also im Grunde genommen raus, wenn er nicht zur neuen Attraktion des Abends werden wollte, und ehrlich, das wollte er nicht, denn es gab so viel bessere!

Lügen wollte er auch nicht.

Also… Er sah auf sein Glas hinunter. Eigentlich konnte er es nicht fassen, dass er die Suga-Variante in Erwägung zog. Die Botschaft dahinter wäre interpretativ eindeutig, aber gleichzeitig war Tetsurou sich relativ sicher, dass Bokuto es erst einmal ruhen lassen würde, immerhin hätte Tetsurou seine Pflicht damit erfüllt und klar signalisiert, dass er zu dem Thema nichts zu sagen hatte. Bisher hatte Bokuto jedes Trinken relativ kommentarlos hingenommen. Also, warum nicht?

Tetsurou trank.

„Brooo!!!“

Bokuto sah ihn an, die Augen weit aufgerissen, ungläubig. Er machte den Mund auf, als wolle er protestieren, doch dann stockte er. Ließ den Blick wandern. Erkenntnis dämmerte auf seinem Gesicht und er nickte, hob vielsagend die Augenbrauen.

Was auch immer genau er sich gerade ausgedacht hatte, Tetsurou wollte es nicht im Detail wissen – aber es rettete ihn vor weiteren Fragen.

 

 
 

***

 

 

„Bro! Du musst irgendjemanden anrufen und so tun, als wärest du sein heimlicher Verehrer!“

Tetsurou fand seine Idee großartig. Bokuto auch, so wie er grinste. Vor allem schien er schon eine sehr genaue Idee zu haben, wen er anrufen wollte. Er griff nach seinem Handy, hantierte kurz daran herum, dann hielt er es sich ans Ohr, begierig darauf wartend, dass abgenommen wurde. Tetsurou warf einen kurzen Blick auf die Uhr, und er hatte tatsächlich kurz Mitleid mit dem Opfer, ehe er noch breiter grinste.

„Hey hey hey!!! Ich bin–“

Weiter kam Bokuto nicht, dann hielt er inne, stutzend, blinzelnd. Er hob langsam den Blick und sah ratlos in die Runde.

„Konoha hat aufgelegt…“

Tetsurou brach in lautes Gelächter aus, genau wie Oikawa, Suga und Sawamura. Yaku erstickte sein Prusten in einem dieser seltsamen Esspapier-Ufos, auf die Oikawa so sehr abfuhr. Ushiwakas Mundwinkel zuckten. Ob aus Genervtheit oder Amüsement, das konnte Tetsurou nicht erkennen.

„Versuch es nochmal, Bro. Aber subtiler.“

Bokuto sah aus, als hätte er keine Ahnung, was subtil bedeutete, aber er versuchte es wirklich noch einmal. Drückte das Handy ans Ohr, begann unruhig zu hibbeln, und als schließlich jemand abhob, brüllte er sofort los: „Hey– ich bin dein heimlicher Verehrer!!!“

Diesmal kam wohl Reaktion, denn Bokuto riss die Augen weit auf. Er nahm das Handy vom Ohr, starrte es mit hochgezogenen Augenbrauen angestrengt an. Er runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf – und legte auf. Vermutlich, jedenfalls legte er das Handy dann zurück an seinen Platz.

„Bro! Da war Komi dran! Aber ich hab doch Konoha angerufen!“

 

„Oh! Jetzt wo du es sagst, Bokuto-Kun… als ich die beiden angerufen habe, um sie einzuladen… haben sie nicht beide etwas von einer Verabredung gesagt? Weißt du noch, Daichi?“ – „Ja, stimmt. Ich hab‘s nur nicht aufeinander bezogen.“

Suga und Sawamura hatten keine Ahnung, was sie angerichtet hatten. Tetsurou wusste es allerdings.

Er war auch der Einzige, der nicht zusammenschreckte, als Bokuto völlig explodierte in der Erkenntnis, dass Konoha ein Date hatte – und dann auch noch das Trainingscamp für dieses Date sausen ließ.

„Das muss ich sehen! Konoha hat doch keine Ahnung, wie man ein Date hat!“ – „Broooo! Das Trainingscamp. Das kannst du deinem Team doch nicht antun!“

 

Tetsurou fühlte sich ein kleines bisschen schlecht für das Argument. Ein winziges bisschen. Aber es zog, und wie sagte man doch so schön? Der Zweck heiligte die Mittel.

 

 
 

***

 

 

Der Anblick von Ushiwaka war unbezahlbar, wie er um ein Uhr morgens zurück ins Wohnzimmer kam, mit einer von Tetsurous Schürzen – Scherzgeschenke zum Einzug, die Tetsurou dann einfach zu benutzen begonnen hatte, denn ehrlich, beim Kochen waren sie nützlich – umgebunden und einer Tasse in der Hand, keine Miene verzogen. Er hatte allen Ernstes, ganz wie seine Aufgabe es verlangte, in diesem albernen Aufzug um Mehl beim Nachbarn gebeten.

Und es bekommen.

Er sah nicht einmal aus, als hätte es ihm allzu viel ausgemacht. Er stellte die Tasse in die Küche, zog die Schürze aus, kam dann zurück, um die Flasche zu drehen. Sie blieb auf Bokuto stehen, der seinerseits Urheber dieser großartigen Aufgabe gewesen war.

„Deine Aufgabe ist es, irgendeinen der Anwesenden zu küssen.“

Vielleicht hatte es ihm doch etwas ausgemacht.

Bokuto war völlig empört. Er sah Ushiwaka an, als wäre er von allen guten und schlechten Geistern verlassen, dann riss er sich ohne jedes Zögern das Shirt vom Leib.

„Ich kann Akaashi nicht fremdgehen!!!“, verkündete er inbrünstig und in einem Tonfall, als hätte Ushiwaka gerade ihn und seine ganze Familie absichtlich aufs Tiefste beleidigt.

 

Dass er keine willkürlichen Typen küssen konnte, hinderte ihn allerdings nicht daran, die Aufgabe einfach weiterzugeben.

Oikawa war das Opfer, das nun küssen sollte, was die Flasche ihm auswählte. Die Flasche schien Oikawa nicht zu mögen, denn sie machte Halt, als sie Ushiwaka erreichte.

„Nein.“

Oikawa schüttelte vehement den Kopf. Seine Wangen waren gerötet vom Alkohol. Er schob beleidigt die Unterlippe vor, verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte noch einmal den Kopf.

„Nein! Mein Tag war schon beschissen genug, das brauch ich nicht auch noch!“

Tetsurous erster Reflex – Themenwechsel. Er hatte Oikawas Theatralik den ganzen Tag über oft genug in Aktion gesehen, und er wollte sich gar nicht vorstellen, was da für eine dramatische Rede jetzt auf sie zukam, wenn sie ihn reden ließen. Auf der anderen Seite war Tetsurou einfach unglaublich sensationsgeil – konnte er sich so eine Chance wirklich entgehen lassen?

Nein. Konnte er nicht.

„Was ist los, Oikawa?“ – „Kuro-Chan!“

Auch wenn der Spitzname echt nervte. Tetsurou schnaubte.

„Denk dir nen anderen Spitznamen aus, oder ich hör dir nicht zu.“ – „Kurocchi!“

Nicht besser, aber… Tetsurou seufzte, lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und hob auffordernd die Augenbrauen.

„Ja, erzähl uns, was los ist, Oikawa!!! Wir können bestimmt helfen!“

 

Die Geschichte, die Oikawa erzählte, war so wirr und konfus, dass sie Tetsurou Kopfschmerzen bereitete. Sie begann irgendwann vor Ewigkeiten, als Oikawa noch ein kleiner Junge gewesen war und sich mit einem Kind aus der Nachbarschaft angefreundet hatte, nachdem der Junge ihm sein Schmetterlingsnetz an den Kopf geworfen hatte.

„Und das nur, weil ich den blöden Käfer verscheucht habe! Ich hab das nicht absichtlich gemacht!!!“

Es dauerte eine ganze Weile, bis Tetsurou begriff, dass dieser böse, gewalttätige Kerl, von dem Oikawa nach eigener Aussage selbst nicht mehr wusste, wieso er mit ihm befreundet war, Seijohs ehemaliges Ass Iwaizumi war. In Oikawas Litanei klang er tatsächlich nicht sonderlich sympathisch, und trotzdem beteuerte der Kerl immer wieder, dass sie beste Freunde waren und eigentlich alles immer zusammen gemacht hatten. Bis zur Universität; sie gingen jetzt getrennte Wege, und ganz grausamerweise hatte Oikawa seinen Freund jetzt schon wochenlang nicht mehr gesehen.

Das Ende vom Lied war, dass er unglaublich beleidigt war, dass Iwaizumi auf den letzten Drücker das Trainingscamp doch abgesagt hatte.

Tetsurou, so unfassbar es für ihn selbst war, hatte verblüffend viel Verständnis für Oikawas Drama. Gut, er war es immer gewöhnt gewesen, ein Jahr ohne Kenma zu verbringen, einfach wegen ihres Altersunterschieds, aber trotzdem wurde ihm jedes Mal unwohl, wenn er Kenma zurückließ. Vor allem dieses Mal, wo es einfach… endgültig war. Kenma würde einen ganz anderen Weg einschlagen als Tetsurou, wenn er erst mit der Schule fertig war, und so sehr Tetsurou das guthieß und unterstützte, die Vorstellung, nicht mehr da zu sein, um Kenma zu unterstützen, war befremdlich und einfach nicht schön. Es gehörte einfach dazu. Auch wenn Oikawas Freundschaft auf einer etwas anderen Basis aufbauen mochte, konnte Tetsurou absolut verstehen, wieso es schlimm war.

Wahrscheinlich würde Tetsurou nicht viel anders reagieren, wenn Kenma ihn einfach so sitzenließ.

 

„Ist nicht, als wäre sein Fehlen ein Verlust“, kommentierte Ushiwaka trocken. Tetsurou erwartete, dass Oikawa widersprechen würde, aber stattdessen nickte der Kerl wild.

„Das hab ich ihm auch gesagt!“ – „Du hast was.“

Wenn selbst Yaku so fassungslos war, dann war doch offensichtlich, was für eine Schnapsidee das war! Es war unfassbar, dass jemand, der so viel emotionale Intelligenz wie Oikawa besaß, solche Dummheiten machen konnte.

„Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nicht brauche“, wiederholte der Kerl und zog beleidigt die Nase hoch, „Und dass Ushiwaka eh besser ist als er.“

„Du bist ein Idiot“, verkündete Yaku ohne jede Gnade. Oikawas Protest ignorierte er eiskalt, während er aufstand und verkündete, dass er aufs Klo musste. Dass er gar nicht aufs Klo ging, sondern in die Küche, ignorierte irgendwie jeder, genauso wie die Tatsache, dass er einfach nicht mehr zurückkam. Offensichtlich hatte da jemand keine Lust auf große Gespräche über Gefühle.

Tetsurou verstand das vollkommen; er hätte auch keine Lust darauf, würde er vor seinen eigenen davonlaufen.

 

„Yakkun hat Recht, Oikawa-Kun“, kommentierte Suga sanft, nachdem sie einige Minuten nur schweigend dagesessen hatten. Oikawa sah ihn mit geradezu hasserfülltem, feuchtem Blick an.

„Du hast keine Ahnung! Ihr habt doch alle keine Ahnung!“ – „Erleuchte uns“, forderte Sawamura. Oikawa sackte unzufrieden auf seinem Platz zusammen. Er angelte eines der Ufos hervor und begann, es mit den Fingerspitzen zu zerrupfen, als brauchte er eine Ausrede, weshalb er sich nur halbherzig auf das Gespräch konzentrierte. Tetsurou verkniff sich ein leises Seufzen, weil sein Magen sich genau diesen Moment aussuchte, um ihn daran zu erinnern, dass er langsam hungrig wurde.

„Hey, Bro!“

Er stieß Bokuto in die Seite. Der Kerl war völlig fixiert auf Oikawas Drama gewesen und schreckte zusammen, ehe er sich Tetsurou zuwandte.

„Ich hab Hunger. Du kennst doch den Konbini hier um die Ecke, ne? Hol mal Yakkun aus der Küche und nehmt Ushiwaka mit und holt uns allen etwas zu futtern?“ – „Aber–“

Bokuto unterbrach seinen eigenen Protest. Wahrscheinlich, weil er auch hungrig war. Er warf noch einen unschlüssigen Blick in die Runde, dann sprang er auf und trat zu Ushiwaka hinüber, um ihm kräftig auf die Schulter zu klopfen – diesmal traf er.

 

„Hey hey hey! Wir gehen einkaufen! Los, wir müssen noch Yakkun holen!“

 

 
 

***

 

 

„Iwa-Chan ist ein Idiot.“ – „Das wissen wir schon“, erwiderte Suga geduldig, „Du wolltest uns etwas Neues erzählen.“

Oikawa war still. Er runzelte angestrengt die Stirn, schob die Unterlippe vor. Bei allem Theater sah er ehrlich verletzt aus, und irgendwie tat es Tetsurou wirklich, wirklich leid. Beste Freunde waren ein Thema, das er nur zu gut nachvollziehen konnte.

„Iwa-Chan hat keine Zeit für mich! Er hat mich schon zweimal versetzt, seit wir mit der Uni angefangen haben, und jetzt das hier!“

Er gestikulierte wild in den Raum hinein, wobei er die pulvrige Füllung seines Ufos verstreute. Bei dem Gedanken an all das Chaos, das er morgen aufräumen durfte, wurde Tetsurou ein bisschen flau im Magen. Seine Wohnung war ja nie perfekt aufgeräumt, aber dieses Schlachtfeld war selbst ihm viel zu viel.

„Was erwartest du? Ihr geht zur Uni, vielleicht jobbt noch einer von euch nebenbei, was weiß ich, und ihr wohnt in verschiedenen Städten. Sei doch froh, dass ihr euch überhaupt so oft seht.“

Oikawa sah zu Sawamura hinüber, als wollte er ihn umbringen. Kurz schien er in Erwägung zu ziehen, ihm die Überreste seiner Süßigkeit an den Kopf zu werfen, dann steckte er sie sich lieber selbst in den Mund. Eine Antwort bekam der andere gar nicht. Sawamura seufzte, tauschte einen Blick mit Suga, der auch nur die Schultern zuckte. Beide sahen nicht aus, als hätten sie besonders gute Ideen, wie sie mit dem jammernden Oikawa umgehen sollten.

Tetsurou, bei allem Verständnis, war auch ein bisschen überfordert. Oikawa benahm sich wie eine eifersüchtige Freundin– 

 

„Oi. Oikawa.“ – „Kurocchi.“

Noch ein feindseliger Blick. Was an Tetsurous Gesicht war es, dass Oikawa sofort wusste, dass er nicht mögen würde, was er hörte? Tetsurou wusste es wirklich nicht. Diese Leute, die jeden Gedanken vom Gesicht und aus jeder Geste herauslesen konnten, waren einfach unheimlich auf ihre Art. Wäre er es nicht sowieso wegen Kenma gewöhnt, er würde vermutlich einen großen Bogen um sie machen.

„Du bist verknallt.“

„WAS?!“

„Oh. Das ergibt Sinn.“

Oikawas und Sugas Reaktionen hätten nicht weiter auseinanderliegen können.

„Ich bin nicht– Kurocchi!“

Es war offensichtlich, dass Oikawa wusste, dass er log. Genauso offensichtlich wie die Tatsache, dass er nicht darüber sprechen wollte. Tetsurou schüttelte seufzend den Kopf. Er warf Suga einen fragenden Blick zu. Der Kerl nickte ergeben – es hatte keinen Zweck, hier weiterzumachen. Trotzdem lächelte er aufmunternd, so als hätte er noch einen Plan in der Hinterhand, dem er mehr Erfolg zusprach. Er klatschte grinsend in die Hände.

 

„Aber sagt mal, Jungs! Wollen wir nicht nachher alle noch Kontaktdaten tauschen?“

 

Tetsurou war absolut dafür.



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