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Are you ready!?

von
Koautor:  Puppenspieler

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Sports day

„Ikkun.“

 

An dem Anblick war so vieles falsch – also nicht falsch, aber ungewohnt –, dass Iku über alles Starren hinweg völlig das Antworten vergaß. Das war Rui. Offensichtlich. Der in der Tür zu seinem Zimmer stand. Um, immerhin hatte Ikus Wecker noch nicht geklingelt, viel zu früh Uhr morgens. Ah, vielleicht träumte er ja einfach noch… Und weil der Wecker noch nicht einmal geklingelt hatte, konnte Iku doch im Grunde wirklich weiterschlafen, nicht wahr? Er brummte vage, spürte, wie ihm die Augen schon wieder zufielen.

„Ikkun.“

Noch einmal. Drängender. Mühsam öffnete er die Augen doch wieder, blinzelte zu Rui hinüber, der mit einem beinahe beleidigten Blick – so weit man das bei Rui überhaupt erkennen konnte – immer noch in der Tür stand. Und immer noch völlig un-rui dabei aussah. Langsam setzte er sich auf, schob die Bettdecke von sich. Es war kühl im Zimmer; keine Heizung eingeschaltet spürte man die morgendliche Herbstkälte von draußen hereinkriechen. Es half Iku dabei, wirklich hochzukommen, wenn er aufstehen musste, aber gerade bereute er es wie jeden Morgen doch ein bisschen mehr als nötig und er schlang bibbernd die Arme um den Oberkörper.

„Bist du jetzt wach?“

Iku lachte schwach, „So halb…“ – Bis er wirklich wach war, würde noch ein bisschen Zeit vergehen. Dafür musste er erst einmal aufs Klo und seine Morgenroutine abspulen, aber danach war er bereit, den Tag zu tacklen! Also, zumindest war er dann wach, aber er war sich nicht sicher, ob er bereit für den Tag war, denn irgendwie… vielleicht waren das ja auch die Nachwehen von Shuns seltsamen Spukgeschichten. Hatte er nicht von Parallelweltenkram erzählt? Anderswelt oder so. Vielleicht hatte Iku versehentlich irgendein Ritual abgespult, um die Anderswelt zu betreten.

Beunruhigender Gedanke.

Ruis leises Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Iku schüttelte hilflos den Kopf, fuhr sich mit einer Hand durch das schlafzause Haar. „Verrätst du mir, was so lustig ist?“ – „Ich hab dich noch nie so müde gesehen.“

Das glaubte Iku ihm allerdings aufs Wort!

Er konnte sich auch nicht erinnern, dass er Rui jemals wach erlebt hatte, wenn er früh morgens aufwachte.

 

Oder dass Rui jemals Sportkleidung getragen hätte.

 

Einmal tatsächlich raus aus dem Bett war Iku schnell munter. Immer noch verwirrt, aber munter. Dass ausgerechnet Rui ihn dann auch noch aufforderte, Sportsachen anzuziehen, ehe er zum Essen kam, war nur noch verwirrender, aber inzwischen war Iku vor allem neugierig, also folgte er der Aufforderung schlicht. In der Küche wartete ein traditionelles, japanisches Frühstück auf ihn, was Iku vermuten ließ, dass Yoru bereits wach war, denn für die Köche war es noch zu früh.

„Guten Morgen, Ikkun.“

War er wirklich. Er stand an die Arbeitsplatte gelehnt da, eine Tasse mit dampfendem Kaffee in den Händen, an der er in kleinen Schlucken nippte. Sein Grinsen war viel zu amüsiert, und genau wie Rui war sein Aufzug ganz schön ungewohnt mit anzusehen. Iku konnte nur noch einmal den Kopf schütteln, als er sich auf seinen angestammten Platz am Küchentisch plumpsen ließ und nach einer Tasse und Kaffeekanne griff.

„Ich habe das Gefühl, ihr wollt mich heute allesamt auf die Schippe nehmen.“

Yorus Antwort war nur ein weiteres Grinsen, seine Augen blitzten amüsiert. Iku nahm es hin. Seine Erklärung würde er bekommen, früher oder später.

„Schlafen die anderen noch?“ – „Ich denke, ein paar. Kai-San ist gerade dabei, sie zu wecken.“

Iku hob die Augenbrauen.

„So früh? Wenn Shun ihn dafür nicht verflucht…“

Seine Worte ließen Yoru auflachen. „Ob du es glaubst oder nicht, Ikkun, es gibt Dinge, für die selbst unser Dornröschen von einem Leader gern früh aufsteht.“

 

Iku ahnte irgendwie, dass diese Dinge wohl mit Hajime anfingen und mit unnötigem Unheilstiften aufhörten – und vermutlich in Kombination miteinander am Attraktivsten waren.

 

 
 

***

 

 

Eine halbe Stunde später stand Iku an Ruis Seite in einem nahegelegenen kleinen Stadtpark, und eigentlich war er sich immer noch sicher, dass er träumte – oder in einer seltsamen Paralleldimension gefangen war. Oder in seinem eigenen Wunschdenken?

 

Es war Gesundheits– und Sporttag. Iku wusste das. Weil sich die Idol-Industrie aber nicht unbedingt an normale Feiertage hielt, hatte er trotzdem in wenigen Stunden einen zeitaufwändigen Job, der ihn daran gehindert hatte, das Wochenende zuhause zu verbringen – und außerdem auch am Sonntag einen Job gehabt, der ebenfalls hinderlich gewesen war – und am jährlichen Sportevent seiner Schule teilzunehmen, weil er eindeutig nicht die Zeit gehabt hatte, um zu pendeln.

Er wusste auch, dass mindestens drei Viertel der anderen ebenfalls in wenigen Stunden bei der Arbeit sein mussten, alleine, weil sein eigener Job drei weitere seiner Kollegen mit einschloss.

Kurzum: Er hatte, scheinbar ein bisschen zu frühzeitig, wie es aussah, einen seiner liebsten Feiertage des Jahres abgeschrieben, weil er fest davon überzeugt gewesen war, dass ihm schlicht die Zeit dafür fehlte.

 

„Ikkun.“

Wieder einmal war es Rui, der ihn aus seiner Starre riss. Iku grinste ihn flüchtig an, konnte dann aber doch nicht anders, als wieder zu starren. Er war – völlig überwältigt. Sprachlos. Und er verstand nicht so ganz, wo das nun herkam.

Und wieso da ein Camcorder in Kois Hand war, der fröhlich vor sich hingrinste.

„Ich will wirklich nicht undankbar sein, aber – gibt‘s hierfür eine Erklärung?“

Es gab eine Erklärung, dessen war Iku sich sicher. Eine Erklärung gab es immer, aber ob es daran lag, dass es noch früher Morgen war und seine typischen Aufwachrituale zum Teil ausgeblieben, oder daran, dass er den Kopf voll mit Arbeit und Schulstoff hatte, Iku sah sie nicht. Wahrscheinlich war sie sogar sehr offensichtlich, daran gemessen, dass seine Frage von amüsiertem Grinsen und Lachen beantwortet wurde, ehe schließlich Shun einen Schritt aus der Gruppe vortrat.

Er sah überhaupt nicht mehr furchteinflößend aus in der simplen Sportklamotte, die er trug.

Und es war überhaupt nicht sein Stil. Irgendwie war das unglaublich amüsant. Da, wo Iku sich lange fehl am Platz gefühlt hatte mit den schillernden, auffälligen Idol-Outfits, wo er geglaubt hatte, dass das einfach nicht sein Ding war, dass das nicht zu ihm passte, dass man ihm ansehen musste, dass er sich fühlte wie ein kleines Kind, das Mamas Kleiderschrank geplündert hatte, waren es nun seine Freunde, die teilweise so unpassend aussahen wie – hm. Schillernde Tropenblumen in einer langweiligen, schnöden Eiswüste vielleicht. Gerade bei Shun war es auffällig. Bei Rui beinahe sogar noch mehr. Bei Koi fiel einfach nur ins Gewicht, dass sein Outfit im Vergleich zu sonst viel zu farblos war – irgendwie hatte er es aber geschafft, ein grellpinkfarbenes Schweißband aufzutreiben, das das Gefühl von unpassender Farblosigkeit wieder ein bisschen entzerrte.

Bei Arata sah es auch seltsam aus. Bei Haru. Nicht, weil Iku ihm keine Sportlichkeit zutraute, sondern weil Haru für ihn einfach eher der Buchhaltertyp war. Klar, mit der Brille und dem Organisationstalent…

 

Irgendwie war das liebenswert.

 

Aber die Überlegung hatte Iku völlig von Shuns Erklärung abgelenkt. Er blinzelte, als ihm bewusst wurde, dass er von den Worten des anderen so ziemlich gar nichts mitbekommen hatte, lachte verlegen auf.

„Ehm, Shun-San, könntest du das wiederholen?“ – „Was, du hast mir nicht zugehört? Ikkun, das verletzt mich aber. Ich weiß nicht, ob ich je wieder so schöne Worte finde, um dir unsere Liebe begreiflich zu machen…“

„Was Shun damit sagen will“, begann Kai schmunzelnd. Er trat neben den schmollenden Kerl, legte ihm kumpelhaft eine Hand auf die Schulter, „Er hat seinen eigenen Text wieder vergessen.“ – „Kai. Meine Liebe zu Hajime nimmt eben mein ganzes Sein ein, da gehen andere Dinge schon einmal verloren. Aber wo du schon hier bist, darfst du gern für mich übernehmen. Ist das nicht großzügig von mir.“ – „Total.“

Die Erklärung, die schließlich von Kai kam, war wirklich unglaublich simpel: Sie würden ihren eigenen Gesundheits– und Sporttag zelebrieren. Nichts Großes, schon alleine, weil die Zeit nicht reichte, und tolle Preise gab es auch nicht. Staffellauf, Tauziehen, und Kiba-sen, wenn sie am Ende echt noch genug Energie und Zeit dafür übrig hatten. Teams waren durch ihre Bands sowieso schon eingeteilt, und die Gewinnerband bekam am Ende das Recht darauf, ihr nächstes Ausflugsziel für einen geschlossenen gemeinsamen freien Tag zu bestimmen – ohne Vetorechte. Ein verdammt großer Preis, wenn Iku so daran dachte, wie die wenigen gemeinsamen freien Tage bisher gelaufen waren. Im Vorfeld hatten sie sich beinahe totdiskutiert, weil zwölf verschiedene Leute immerhin zwölf verschiedene Meinungen hatten.

 

„Es war Kais Idee“, murmelte Rui an seiner Seite, gerade, als Kai mit seiner Erklärung geendet hatte, „Als ich ihm von deinem Projekt erzählt habe, wollte er das gleich organisieren. Weil das doch auch typisch japanisch ist.“

War es? Iku hätte es nicht gewusst. Wäre es nicht viel besser, wenn überall auf der Welt solche Feiertage existieren würden?! Er grinste schief, verlegen, resigniert. Er sah wirklich den Wald vor lauter Bäumen nicht in dieser Sache. Und obendrein hatte Kai ihm nun doch geholfen, obwohl Iku das eigentlich nicht gewollt hatte – und er konnte nicht einmal so tun, als wäre er nicht glücklich darüber.

„Kai-San ist wirklich toll.“ – „Uh-hu.“

Aber es erstaunte Iku wirklich, dass Kai es geschafft hatte, sie alle zu mobilisieren. Rui hätte er es nicht wirklich zugetraut, wenn er ehrlich war. Arata auch nicht unbedingt, der wirkte in der Regel einfach nicht wie jemand, der sich besonders davon mitreißen ließ, sich sportlich betätigen zu müssen. Und außerhalb vom Tanzen glaubte Iku, dass die wenigsten von ihnen wirklich sportlich engagiert waren. Kai. Aber dass der ein extrem guter Fußballer war, das wusste jeder von ihnen. Koi und Kakeru waren Wildfänge, natürlich mochten sie Sport. Und You war auch ein prinzipiell sportlicher Typ. Dann gab es das allgemeine Mittelfeld, und eben die Leute wie Rui oder Arata, von denen Iku sich nur sehr schwer vorstellen konnte, wie sie sich an einem sportlichen Event beteiligten.

An und für sich wäre das sicher auch ein spaßiges Konzept für irgendein TV-Programm. Ein Sportwettbewerb oder so. Allerdings war Iku mit dem Gedanken nicht glücklich, dass sich dabei der ein oder andere von ihnen ein bisschen zu sehr zum Deppen machen könnte; er wollte niemanden vorführen.

 

 
 

***

 

 

Staffellauf, normalerweise, wurde auf einer Strecke von viermal hundert Metern gelaufen. Es war einfach so. Weil sie zu sechst und nicht zu viert waren, hatte Kai sich die Freiheit herausgenommen, die Regeln umzuschreiben und die Strecke auf sechsmal hundert Meter zu verlängern. Zusätzlich hatten sie keine ordentliche Laufbahn, sondern lediglich den relativ unebenen Parkweg. Ordentliche Markierungen gab es auch nicht – aber bunte Straßenkreide, die genauso taugte. Irgendwie.

Es war herzerwärmend unprofessionell.

Immerhin war Staffellauf an sich wirklich einfach. Iku konnte trotzdem überhaupt nicht abschätzen, welches Team gewinnen würde. Mit ihm und Kai hatte Procella definitiv zwei Mitglieder, die ziemlich gut darin waren, ziemlich schnell von A nach B zu kommen. Dafür dürften Shun und Rui das recht gut wieder ausgleichen, und wie es um Yorus Kondition bestellt war, wusste Iku gar nicht, er glaubte aber, sich vage zu erinnern, dass sie nicht gut war. You schätzte er relativ gut ein, soweit er das von ihrem letzten Fußballspiel noch in Erinnerung hatte – Gleiches galt aber auch für Koi und Kakeru, die beide sicher nicht langsam waren. Und Hajime konnte doch alles – es wäre ein Wunder, wenn er hier so einfach scheiterte. Haru und Arata hingegen waren wohl etwas weniger gut dabei, und Aoi… hm. Sah nicht aus wie ein großer Läufer. Alles in allem also eher ausgeglichene Verhältnisse, wenn Iku sich da nirgendwo drastisch verschätzt hatte.

 

Er hatte sich verschätzt.

 

Shun war bedeutend schneller, als er erwartet hätte. Ob das einfach immer so war, oder nur daran lag, dass sein Gegner Hajime war (Kai hatte das geschickt eingefädelt!), konnte Iku allerdings nicht ganz beurteilen. Jedenfalls endeten die beiden so ziemlich gleichauf, obwohl Hajime echt nicht langsam war. Darüber hinaus allerdings lief es ziemlich so, wie er erwartet hatte. Da kamen keinen Überraschungen mehr, und nachdem Shun so bedeutend besser abgeschnitten hatte als vorhergesagt, reichte es, damit Procella den ersten Sieg des Tages einheimsen konnte.

„Beim nächsten Mal kriegen wir euch!“

Immerhin konnten die Verlierer noch lachen. Koi sah jedenfalls nicht sonderlich verschmollt aus, während er Wasserflaschen aus einer Tasche angelte und jedem entgegenwarf, der auch nur halbwegs so aussah, als wollte er gern eine haben.

„Es ist sowieso unfair“, fuhr er fort, als er selbst eine halbe Flasche geleert hatte. Er wischte sich die letzte Feuchtigkeit vom Mund und funkelte anklagend in Ikus Richtung.

„Ich meine, du bist Leichtathlet! Natürlich bist du schnell! Und Kai-San hätte Profi-Fußballer werden können! Wir haben in dieser Sache doch gar keine Chance gegen euch! Wir sollten beim nächsten Mal einen Wettbewerb ausrufen, der fairer ist! Oder unfair euch gegenüber. Sowas wie…“

Es war offensichtlich, dass er keine Ahnung hatte.

„Wie wäre es mit Kellnern?“, schlug Kakeru grinsend vor, „Oder Haustiere einfangen. Oder Kisten stapeln. Regale einräumen. Inventur machen…“ – „Kakeru-San! Niemand will einen Wettbewerb im Teilzeitjobben! …außer dir.“

„Wie wäre es mit einem Wettbewerb darüber, wer von uns die tiefste Liebe empfindet?“

Shuns Idee stieß eindeutig nicht auf Begeisterung. Hajime warf ihm einen kurzen, aber eindeutig unbegeisterten Blick zu, der ihm aber nur ein sanftes, melodisches Lachen entlockte.

„Keine Sorge, Hajime. Ich meinte nicht einmal speziell unsere Liebe… aber ich bin mir sicher, Procella würde trotzdem gewinnen.“

 

Natürlich fühlte sich Koi, so als Valentinskind, das ständig auf Liebe und Kitsch hinuntergemünzt wurde in seinem Image, furchtbar angegriffen von der Implikation, dass Gravi liebloser sein könnten, und prompt begann er eine völlig unnötige Diskussion mit Shun darüber, die immerhin – völlig nichtssagend blieb.

Iku war wirklich froh darum!

 

Kaum auszudenken, was da ausgeplaudert werden könnte, das ihren Managern am Ende nur vorzeitig ergraute Haare bescherte.

 

 
 

***

 

 

Waren sie für den Staffellauf zu viele gewesen, so waren sie fürs Tauziehen strenggenommen nicht genug. Acht Leute sollten es pro Mannschaft sein, und die hatten sie einfach nicht, aber schlussendlich – war das auch egal. Es war nicht, als wollten sie an einer offiziellen Veranstaltung damit teilnehmen. Iku kannte das ganze Spielchen noch aus den letzten Jahren, die er an entsprechenden Sportevents in der Schule teilgenommen hatte, und eigentlich hätte er gedacht, dass jeder wusste, worum es ging.

Rui wusste es nicht. Hajime bat ebenfalls um Regelauffrischung, weil er zu lange nicht mehr mitgemacht hatte.

An sich war es simpel. Man hatte ein Seil, man hatte zwei Mannschaften, die an dem Seil zogen, auf dem Seil waren Markierungen, die die Mitte markierten und den Bereich, ab dem eine Mannschaft verloren hatte. Die Mitte des Seiles wurde über einer Markierung am Boden ausgerichtet, und von dem Punkt aus wurde – ja, gezogen. Wenn die Bodenmarkierung mit einer der Seitenmarkierungen des Seils übereinstimmte, hatte das entsprechende Team, das so weit zur Mitte hin gezogen worden war, verloren.

Es gab natürlich noch viel mehr Regeln. Es gab bestimmte Zugpositionen, die nicht erlaubt waren, und dies und das und jenes, und eigentlich war Tauziehen auch nichts, das man mit roher Muskelkraft gewann, sondern mit Taktik und einem sinnvollen Rhythmus, aber die Details waren für einen Haufen Laien eher müßig. Interessanter war da die Sicherheitspredigt, die von Kai noch kam. An und für sich sollte nichts passieren, und das Seil, das er besorgt hatte, war auch definitiv zum Tauziehen geeignet, aber trotzdem sollten sie lieber Vorsicht als Nachsicht walten lassen, es nicht übertreiben mit dem Kraftaufwand, und im Zweifelsfall bei der ungewohnten Anstrengung lieber irgendwann aussteigen, als dass sie sich irgendwo ernsthaft wehtaten.

Während Kai redete, hatte Arata wohl das Internet um Antworten bemüht, denn schließlich begann er, aus Berichten vorzulesen, wie die Verwendung von nicht fürs Tauziehen geeigneten Seilen dazu geführt hatte, dass hier und da ganze Gliedmaßen abgetrennt worden waren, als die Seile rissen.

Aoi hielt ihm nach nicht einmal zwei Sätzen den Mund zu.

 

Niemand schien traurig darüber zu sein.

 

Es war geradezu faszinierend, wie lange es eigentlich dauerte, bis sie sich mit dem Seil wirklich koordiniert hatten. Bis sie ausgelotet hatten, wie viel Abstand zwischen den einzelnen Teammitgliedern sein musste, damit man sich nicht versehentlich den Ellenbogen sonstwohin rammte, oder auf die Füße trat. Und wie viel Abstand es maximal sein durfte, damit man sich zur Sicherheit gegenseitig abfangen konnte, wenn jemand stürzte. Im Zuge dessen musste natürlich auch erst einmal herausgefunden werden, wer eigentlich Stolperpotential hatte, und wer standfest genug war, um entsprechende Stolperer aufzufangen. Schlussendlich hatte Gravi sein Sorgenkind Kakeru, der direkt vor Hajime positioniert wurde, und Procellas Sorgenkind Rui hatte Kai im Rücken.

Dieses Mal war sich Iku aber recht sicher, dass sie gewinnen würden. Nicht, weil Gravi schlechter waren, oder schwächer, sondern aus dem ganz banalen Grund, dass er mit Kakeru in der Reihe schon die gesamte Aufstellung von Gravi stolpern und in den Dreck fallen sah. Bei Kakerus Glück…

 

Vielleicht sollte Iku die Prognosen lieber sein lassen.

 

Am Ende war es sein eigenes Team, das verlor. Weshalb genau, das konnte Iku nicht einmal festmachen – Gravi hatte wahlweise mehr Kraft, einen besseren Zugrhythmus, oder was auch immer, jedenfalls gewannen sie.

„Sieht aus, als könnten wir uns einen neuen Wettbewerb sparen, huh?“, kommentierte You spöttelnd. Er sah angefressen aus, ob das daran lag, dass er sich beim Tauziehen so unglücklich angestellt hatte, dass seine Handflächen jetzt aufgeschürft waren, oder eher daran, dass er ein schlechter Verlierer war – na, wahrscheinlich beides.

„Wir werden trotzdem gewinnen.“

„Und selbst wenn nicht, dann haben wir auch nichts verloren“, gab Yoru sanft zurück. Er hatte irgendwoher eine Salbe aufgetrieben. Er streckte auffordernd die freie Hand nach You aus. Mit einem Seufzen und einem genervten Blick legte der Rotschopf seine eigene Hand, die gerötete Handfläche nach oben, in Yorus und ließ sich bis auf alle bösen Blicke brav versorgen.

„Wir verlieren unsere Ehre, Yoru. Und gewinnen ein scheußliches Ausflugsziel.“ – „Du übertreibst. Außerdem ist die Hauptsache doch, dass wir zusammen rauskommen, hm? Wir haben sowieso viel zu wenig Gelegenheit dazu. Ich wäre selbst dann noch glücklich, wenn wir uns ein sterbenslangweiliges Museum angucken würden. Über… ich weiß nicht. Stacheldraht oder so.“

Nicht, dass es so etwas Albernes geben würde!

„Wobei das sicher tatsächlich interessant wäre“, kommentierte Aoi erheitert, „So etwas sieht man immerhin nicht alle Tage. Dagegen ist so ein normales Kunstmuseum doch fast schon zu gewöhnlich, hm?“

 

„Wie wäre es mit einem Henta–“ – „Arata-Kun, nein!!!“

 

 
 

***

 

 

Trotz der langen Vorbereitung zum Tauziehen blieb noch genug Zeit für den dritten Wettkampf. Kiba-sen, was ungefähr Kavallerie-Schlacht bedeutete, war ein ziemlich gängiger Wettkampf in Schulsportevents. Ein Team, das üblicherweise aus vier Leuten bestand – wieder waren sie zu viele –, war so positioniert, dass ein Teammitglied von den anderen dreien getragen und gestützt wurde. Das Gegnerteam war genauso aufgebaut. Die beiden Spieler, die oben waren, trugen wahlweise ein Stirnband oder einen Hut. Ziel des Wettkampfs war es, das gegnerische Team entweder zum Umsturz zu bringen, oder Stirnband oder Hut zu entfernen.

Um das Verletzungsrisiko einzudämmen, hatten sie Hüte bekommen. Große, peinliche, bunte Hüte, die sich hervorragend mit ihren ordentlichen Sportoutfits bissen, aber Iku fand es wenn überhaupt nur lustig. Immerhin war dieses Mal auch die Teamaufteilung einfach – die Kleinsten und Leichtesten kamen nach oben, sprich, Kakeru und Rui. Denen übrigens die Hüte überhaupt nicht standen, und natürlich mussten solche Unruhegeister wie Koi erst einmal einen ganzen Haufen Fotos machen.

 

„Eeeeeh! Haru-San hat seine Essenz abgelegt!“

 

Kakerus beinahe panischer Ausruf ließ Ikus Aufmerksamkeit von seinem eigenen Team zu den Gegnern hinüberwandern. Der Blondschopf mit dem albernen Hut zeigte in Harus Richtung, der gerade tatsächlich mit einem verdutzten Blinzeln und der Brille in der Hand statt auf der Nase da stand.

„Nun… ja. Natürlich.“

Er kniff kritisch die Augen zusammen. Iku grinste, weil Haru offensichtlich aufgegeben hatte, noch irgendetwas gegen Kois und Kakerus albernem Runninggag tun zu wollen. Er packte die Brille in ihr Etui, dann zog er ein zweites aus der kleinen Sporttasche, die er bei sich hatte – und setzte sich die darin befindliche Brille auf.

„Uwaaaaaaah! Haru-Sans Essenz hat sich verdoppelt!“ – „Nein, Koi. Das ist meine Ersatzbrille. Du erinnerst dich sicher noch an sie.“

Iku erinnerte sich zumindest noch. Er erinnerte sich auch noch an Harus seltsame Erklärung, dass seine eigentliche Brille ja so viel bequemer sei, obwohl beide das genau gleiche Modell waren.

„Aber warum ist jetzt der Doppelgänger von Haru-Sans Essenz da? Ist das eine neue Ablenkungstaktik?“

Haru seufzte, runzelte unwillig die Stirn. Iku bemerkte, wie Hajime ein Grinsen hinter seiner Hand versteckte, während Koi und Kakeru sowieso nur noch der Schalk aus den Augen blitzte.

„Nein. Meine Brille–“ – „Haru-San!!!“ – „Schön, na gut. Meine Essenz ist einfach viel bequemer als das Ding hier. Also bringe ich sie in Sicherheit. Für den Fall, dass etwas kaputt geht, ist es nicht so schlimm.“

 

„Ich werde den Unterschied nie verstehen“, murmelte Iku kopfschüttelnd in sich hinein. Er hatte es versucht, ernsthaft. Wenn er sich vorstellte, er hätte zweimal das gleiche Paar Laufschuhe, aber eines besser eingelaufen als das andere, dann war das natürlich ein Unterschied. Aber konnte man Brillen überhaupt eintragen? War das wirklich möglich? Er hatte noch nie eine Brille auf der Nase gehabt.

Trotz Sportschuh-Vergleich wurde es einfach nicht glaubhafter.

„Ich versteh ihn“, gab Rui neben ihm leise zurück. Iku sah zu seinem Partner hinüber, der ihn über die Krempe seines Huts hinweg groß anblinzelte.

„Haru-Sans Essenz strahlt viel heller als der Ersatz.“

…was auch immer das bedeuten sollte. Iku lachte hilflos auf, „Ist das so?“ – „Aber natürlich, Ikkun. Das hat Rui ganz richtig erkannt.“

Irgendwie wurde es nur nicht viel überzeugender dadurch, dass Shun zustimmte. Aber irgendeinen Sinn würde es schon haben. Haru war niemand, der unnötiges Theater um nichts veranstaltete.

 

Immerhin, nachdem Haru seine Brille gewechselt hatte, waren sie bereit für ihren Wettkampf. Ihren Wettkampf, der nach nicht einmal fünf Minuten vorbei war. Den Wettkampf, der so vollkommen unspektakulär endete, dass Haru sich jede Sicherheitsvorkehrung hätte sparen können. Den Wettkampf, in dem all das Unglück, das Kakeru bisher vermieden hatte, tatsächlich noch zum Tragen kam, als ihm der Hut beinahe schon ohne jedes Zutun vom Kopf flog.

Ein bisschen war Iku enttäuscht.

Ein bisschen war es Iku aber gar nicht möglich, allzu enttäuscht zu sein, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, über die völlig bedröppelten Gesichter der Gravi-Mitglieder zu lachen, die ihr Pech der Reihe nach nicht so ganz fassen konnten.

Eigentlich war es ja lustig.

Und es war in jedem Fall ein voller Erfolg! Sowohl als kleiner Sporttag, als auch als Abschluss für Ikus kleines Videotagebuch, denn natürlich hatte der Camcorder all die Zeit fleißig von seinem Platz aus mitgefilmt. Beim Tauziehen und Kiba-sen von einer Parkbank aus, auf ein paar aufgetürmten Taschen thronend, beim Staffellauf darüber, dass Hajime, der mit Shun gemeinsam als erster losgelaufen war, die ganze Strecke mit dem Camcorder noch mit zurückgelegt hatte. Die Fans würden es mögen, oder? Trotz mit Sicherheit teilweise schlechter Tonqualität – und Videoqualität, spätestens im Staffellauf, aber auch die wenig dynamische Perspektive war nicht gerade ein Anzeichen für eine hochwertige Produktion.

Aber es steckte Liebe drin. Viel Liebe. Iku war wirklich, wirklich stolz auf das ganze Projekt, und er war stolz, dass er so unglaublich tolle Freunde hatte, die ihn so selbstverständlich unterstützt hatten.

Mehr konnte er sich wirklich nicht wünschen!

 

„Vielleicht sollte ich mir extra einen Job suchen, wenn Procella unseren freien Tag bestimmen.“

Aratas träge Stichelei ließ Ikus Sinnieren zu einem Ende kommen. Er lachte, ließ sich den Camcorder von Yoru geben, der sich inzwischen dahinter versteckt hatte und schloss zu Arata auf – da kamen nun sicher Retourkutschen.

„Wirst nicht fehlen“, war Kois dreiste Antwort. Er grinste sonnig, „Ich erzähl dir dann von all den coolen Sachen, die du verpasst hast~!“

„Oh, aber wirklich, Arata-Kun. Du wirst viel verpassen. Ich habe schon großartige Ideen für unseren nächsten freien Tag.“

„Shun.“

„Hm~?“

Hajime sah nicht begeistert aus. Er fuhr sich mit einer Hand durch das unordentliche Haar, während er den anderen kritisch musterte. Das Blitzen in Shuns Augen verriet Iku, dass zwischen den beiden gerade ein Gespräch auf einer Ebene stattfand, die für ihn überhaupt nicht zugänglich war. Wahrscheinlich war er im Endeffekt sogar froh darum.

„Schau nicht so, Hajime. Auch wenn dein missbilligendes Gesicht natürlich atemberaubend ist~ Aber du hast keinen Grund dazu.“

„Shun.“

„Wirklich nicht! Meine Ideen sind wunderbar, vertrau mir.“

 

Shun. Ein Love Hotel ist kein Ausflugsziel.“



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