Zum Inhalt der Seite

Digimon 00001100 <Twelve>

Samsara Madness [Video-Opening online]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der König der Vampire

Mit zornumwölkter Miene sah Tageko Jagari in einigem Abstand zu sich stehen, gerade, als die Faust des metallischen Digimons gegen Woodmons Rinde krachte und es im hohen Bogen durch den Gang schleuderte. Natürlich rührte der kleine Schädling keinen Finger, um ihnen zu helfen, Tyrannomon ebenso wenig – aber das machte nichts. Tageko wurde mit diesem hässlichen Digimon auch alleine fertig, das dreist genug war, sich ihnen in den Weg zu stellen. SkullMeramon, verriet ihr die Analyzer-Brille. Auf dem Ultra-Level.

„Woodmon, du musst digitieren“, rief sie und streckte die Hand mit dem DigiVice aus.

Das baumähnliche Digimon glühte auf – und sah mit einem Mal nicht mehr so robust, dafür größer und furchterregender aus. „Spiralblume!“ Die Blumen auf Blossomons Tentakeln rotierten, dass man sie nur noch als verschwommene braune Schatten erkennen konnte. Wie Giftschlangen stießen sie auf das Metalldigimon herab, das die erste Blume wegschlug und vor allen weiteren davonsprang. Mit klirrenden Stiefeln landete es auf dem glatten Boden der Zitadelle.

„Was für ein netter Zeitvertreib.“ Seine Stimme klang heiser, aber nicht menschlich. „LordMyotismon wird es mir hoffentlich gönnen, euch persönlich zur Hölle zu schicken.“ SkullMeramon öffnete den Mund in seiner Metallmaske, und eine blaue Stichflamme schoss daraus hervor.

 

„Links! Nochmal! Jetzt rechts! Wieder links!“

Kouki kam mit den Kommandos kaum nach. Rabbitmon schoss flink wie ein Wiesel zwischen den Beinen des riesigen Digimons hindurch, das es zu zertrampeln versuchte. LordMyotismon ließ die Gänge nahe seines Thronsaals wohl von seinen stärksten Dienern bewachen – auch wenn Kouki dieses Monstrum eher in den Hauptgang gestellt hätte. Es sah aus wie ein übergroßer Elefant ohne Augen, dafür mit metallenem Rüssel. Der Leib war mit struppigem Fell bedeckt, sodass es ein bisschen an ein Mammut erinnerte. Seine schiere Größe füllte den schmalen Gang fast vollständig aus – was es Kouki einerseits unmöglich machte, an ihm vorbeizugelangen, andererseits seinem Gegner kaum Bewegungsfreiraum ließ.

„Wir versuchen was anderes“, rief er, als Rabbitmon unter dem dröhnenden Stampfen der Elefantenbeine keine Gelegenheit bekam, seinerseits anzugreifen. Kouki hielt das DGX-Terminal in der Hand. „DigiArmorEi des Mutes, erstrahle!“

Rabbitmon rollte sich aus der Ein-Mammut-Stampede hervor, wurde kurz zu Gatomon und dann sofort zu Lynxmon, noch ehe es wieder auf den Füßen zu stehen kam. Der erwünschte Effekt trat ein: Das Mammut stieß ein erschrockenes Tröten aus, als plötzlich Flammen an seinen Beinen hochschlugen. Mit einem Satz, den Kouki einem so plumpen Digimon nie zugetraut hätte und der die Wände des Ganges erzittern ließ, brachte es sich in Sicherheit.

„Gut“, rief Kouki erfreut. „Wir brauchen die anderen nicht. Dieses Ding schaffen wir, selbst wenn wir nur zu zweit sind! Wir haben schließlich noch eine eigene Rechnung mit LordMyotismon offen!“

Lynxmon fauchte und sprang das Mammutdigimon mit von sich gestreckten Krallen an.

 

Wieder einmal nippte LordMyotismon an seinem Weinglas, und dabei dachte es nach, wie es den DigiRittern wohl eben gehen mochte. Sie waren den DemiDevimon zwar entwischt, aber gemäß seinem Plan müssten sie sich mittlerweile in den Gängen der Festung verstreut haben, wo sie seine Soldaten pflücken würden wie reife Beeren.

Es saß in dem bequemen Stuhl inmitten seines Thronsaals. Der Saal war riesig, die Decke hoch genug, dass die Lichtstrahlen, die tagsüber durch die schmalen Fensterschlitze kam, LordMyotismon nicht störten. Viel eher sorgten sie für Zwielicht, Zwielicht von der Art, die schwerer mit Blicken zu durchdringen war als Finsternis, an die sich Augen gewöhnen konnte. Zumindest galt das für Digimon – Menschen würden in dieser Halle ohnehin nicht lange genug leben.

LordMyotismon ließ das Weinglas los, als es Schritte vom Gang draußen hörte. Es schwebte wie von Zauberhand davon und verschwand in den Schatten des Saals. Das Digimon war gespannt, welcher der sechs DigiRitter sich wohl in den Hauptgang verirrt hatte. Die Schritte kamen näher – aber irgendetwas stimmte daran nicht. Ein DigiRitter samt Partner, das hätte zwei Paar Füße gemacht. Doch da waren eindeutig drei zu hören, als wäre da noch ein Wesen, das sie begleitete … Ehe LordMyotismons übernatürliche Sinne die Schritte der Größe und Gestalt ihrer Verursacher zuweisen konnten, waren seine Gäste schon an dem riesigen, eisernen Tor angelangt, das einen Spaltbreit offen stand. Und tatsächlich schoben sich gleich zwei Menschen hindurch: Ein großer, schlaksiger mit blonden, kurzen Haaren, dem ein Meramon auf dem Fuß folgte, und ein etwas kleinerer, braunhaariger mit einer Narbe quer im Gesicht. Sie traten ein, erstarrten halb, als sie LordMyotismon auf seinem Thron sitzen sahen wie einen Schatten, stellten sich dann aber unweit des Tores auf und sahen entschlossen und grimmig aus.

LordMyotismon seinerseits brauchte nur Sekunden, um seine Überraschung zu überspielen. „Sieh an“, sagte es laut. „Zwei DigiRitter haben den Weg in meinen Thronsaal gefunden, und das Seite an Seite. Ehe ihr nun sterben werdet, verratet mir, wie ihr meiner Attacke entkommen seid.“

Die beiden Jungen sahen sich an. „Attacke? Wovon redet es?“, fragte der mit der Narbe.

„Ist doch egal. Hauen wir ein paar Mal auf es drauf, und es wird nie wieder was reden“, meinte der Blonde. „Wie ich dich kenne, hast du wieder einen oberschlauen Plan, oder? Lass mal hören. Wenn ich ihn gut finde, halt ich mich vielleicht sogar mal dran.“

Nun war LordMyotismon wirklich verblüfft. Was war mit den beiden geschehen? „Wie kommt es, dass ihr euch nicht zerstritten habt? Ich bin mir sicher, dass meine Albtraumwelle euch alle erwischt hat.“

„Es meint sicher diesen seltsamen Lichtblitz“, murmelte der Junge mit der Narbe.

„Also war das doch keine Einbildung?“, sinnierte der andere.

Natürlich hatten sie keine Ahnung, was die Albtraumwelle mit ihnen angestellt hatte. Aber bei diesen beiden hatte sie nicht funktioniert, und ihre Ahnungslosigkeit kam für LordMyotismon einer Beleidigung gleich. „Die Attacke hätte euren Geist verändern, die Ströme in euren Gehirnen umkehren müssen“, erklärte es deshalb. „Ihr hätte beginnen müssen, euch zu hassen. Hat sich eure Gruppe nicht entzweit?“

„Jetzt wo du es sagst, ich hab eine Stinkwut auf die anderen“, knurrte der Blonde.

„Ich auch“, murmelte der andere. „Verstehe. Das war seine Schuld.“

„Ich frage euch ein letztes Mal. Wie kann es sein, dass ihr beide weiterhin gegen mich zusammenarbeiten wollt?“ LordMyotismon wurde langsam ungeduldig.

„Wieso nicht?“ Die DigiRitter schienen ebenso verwirrt wie das Asura. „Du bist unser Feind“, erklärte der kleinere nur.

„Ihr müsstet euch gegenseitig beschimpfen. Ihr müsstet euch verfluchen, euch hassen. Warum tut ihr das nicht?“

„Tun wir doch.“ Der Blonde starrte den anderen ratlos an. „Ich kann Taneo nicht ausstehen. Was ist mit dir?“

„Selbiges. Es ist genau wie immer“, meinte der andere säuerlich. „Aber deswegen werden wir dich trotzdem für all das, was du der DigiWelt angetan hast, büßen lassen.“

„Richtig. Wir verkloppen dich, dann können wir heim und müssen uns für den Rest der Woche nicht mehr sehen. Klingt doch gut, oder?“, fragte der Blonde, und der andere nickte.

Nun war LordMyotismon wirklich sprachlos.

 

Man konnte nicht behaupten, dass Fumiko sich vor Spinnen fürchtete. Ebenso wenig konnte sie verstehen, wie man beim Anblick eines achtbeinigen Tierchens derart in Panik geraten konnte wie zum Beispiel ihre Freundin Aiko. Diese war einmal kreischend auf einen Stuhl gesprungen, als eine Spinne zu ihren Füßen gekrabbelt war. Fumiko war auch gesprungen, allerdings mit dem Absatz auf die Spinne drauf, vornehmlich, um Aikos Geschrei abzustellen. Nein, Fumiko fürchtete sich definitiv nicht vor Spinnen.

Dennoch war es eine Sache, harmlose Insekten zu zertreten, und eine ganz andere, fast selbst von einem riesigen, achtbeinigen Ungetüm zertreten zu werden.

Fumiko war schon ziemlich weit gekommen. Der breite Gang hatte ein paar leichte Biegungen gemacht, aber wenn die Finsterzitadelle nicht gerade so groß war, dass selbst ihre Bewohner auf ihren täglichen Rundgängen mehrere Kilometer zurücklegten, hätte bald ein Ausgang in Sicht kommen müssen. Stattdessen war ein haariges Etwas vor ihr in der Dunkelheit aufgetaucht, so groß wie ein Nashorn. Kouki hatte ihr mal von seiner Begegnung mit einem solchen Wesen erzählt – es war ein Dokugumon.

Fumiko war einem violetten, sicherlich giftigen Sprühregen mehr durch Glück entkommen und hatte dann auf dem Absatz kehrtgemacht. Momentan rannte sie den Gang wieder zurück, den sie eben gekommen war. Sie hörte nur ihre Schritte, die laut auf dem Stein widerhallten, und ihr eigenes, keuchendes Atmen. Die seidigen Spinnenbeine hinter ihr waren fast lautlos.

Sie hatte es aufgegeben, über ihr DigiEi nachzugrübeln. Sie hatte es sogar dieses Mal mit, aber sie wusste, dass es ohnehin nicht schlüpfen würde. Immer wieder geriet sie in Versuchung, sich einfach umzudrehen und den Kampf mit dem Dokugumon aufzunehmen. Ihre sogenannten Freunde würden staunen! Nur die Tatsache, dass keiner von ihnen ihr zusehen konnte, hielt sie vermutlich davon ab. Und die Tatsache, dass es ohne Digimon vermutlich nicht ratsam war, eine gigantische Giftspinne herauszufordern. Der Idiot Renji hätte es vielleicht getan, aber sie würde sich etwas anderes einfallen lassen.

Fumiko biss die Zähne zusammen und rannte weiter. Sie hatte Zeit, bis sie die anderen irgendwo erreichte. Bis dahin musste ihr eine Idee gekommen und das Spinnenvieh tot sein.

 

Renji fand LordMyotismon lange nicht so bedrohlich wie zum Beispiel Orochimon. Das sollte das Digimon sein, das Kouki so übel mitgespielt hatte? Er war wirklich ein Weichei. „Los, Meramon. Zeigen wir’s ihm.“ Wenn Taneo einen Plan hatte, sollte er den gefälligst mit ihren Handlungen abstimmen.

Meramon stieß ein vorfreudiges Fauchen aus. Ein Feuerball verließ seine rechte Hand, dann noch einer seine linke, und beide waren auf LordMyotismon gezielt, das sich wohl zu gut dafür war, von seinem bequemen Sessel auf der kleinen Empore aufzustehen. Dann würden sie es halt im Sitzen fertigmachen.

Das Vampirdigimon hob nur die Arme. Meramons Feuerkugeln zerbarsten wirkungslos an seinen Handflächen. „Ihr überrascht mich immer wieder, DigiRitter“, sagte es ruhig. „Doch hier endet eure Reise. Eure Freunde kämpfen im Moment gegen meine stärksten Diener. Ihr werdet meine Zitadelle niemals wieder verlassen.“ Renji war es herzlich egal, wie es um seine angeblichen Freunde stand. Nur LordMyotismons plötzliches Lächeln, das spitze Eckzähne entblößte, beunruhigte ihn. „Denkst du, ich würde dich nicht spüren?“ Wie beiläufig schlug es nach hinten, als wollte es eine lästige Fliege verscheuchen. Ein dumpfes Geräusch begleitete seinen Treffer. Thunderboltmon, für das menschliche Auge unsichtbar gewesen, wurde davongeschleudert.

Taneo nagte an seiner Daumenkuppe. „War das alles, was Meramon draufhat, Renji?“, fragte er.

„Hä? Ich hör wohl nicht recht. Wessen Digimon wurde denn eben fortgeklatscht?“

Taneo zeigte ihm einfach die kalte Schulter und wandte sich direkt an Meramon. „War das alles?“

„Ha! Wirst du gleich sehen!“ Angestachelt schleuderte das Flammendigimon weitere Feuerkugeln auf Myotismon, das diese mühelos abwehrte und nur überheblich weiterlächelte. Es griff seinerseits nicht an, sondern schien abzuwarten und sich eine geeignete Strategie auszudenken.

Und genau dieses Denken war sein Fehler. Das erkannte sogar Renji.

Plötzlich erstarb das Lächeln des Vampirdigimons. Das war genau in dem Moment, als ein riesiger, glühender Schatten hinter ihm auftauchte, und in dem Licht der folgenden Ausradierkralle sah Renji, wie zumindest der hübsche Sessel sich in Staub auflöste. Dann zwang die plötzliche Helligkeit ihn, die Augen zusammenzukneifen. Meramon hörte mit seinem sinnlosen Bombardement nicht etwa auf, sondern verstärkte noch seine Bemühungen, so lange, bis auch Renji wieder etwas sah.

Im ersten Moment konnte er sich gar nicht auf seine Sinne konzentrieren. Etwas in seinem Unterbewusstsein blitzte auf, ganz kurz nur, als wäre eine Luftblase in seinem Geist geplatzt, die etwas anderem den Platz weggenommen hatte, der nun wieder davon gefüllt wurde. Plötzlich konnte er klarer denken als noch vor einem Moment – und er stieß einen lautlosen Fluch aus. Er hatte seine Freunde in Gedanken beschimpft. Hatte ihnen Dinge unterstellt, die sie nicht verdienten, selbst Kouki und Fumiko. Sogar Taneo kam ihm plötzlich nicht mehr so abstoßend vor. Er hatte gewusst, dass LordMyotismon einen Trick angewandt hatte, um sie alle auseinanderzubringen, aber erst jetzt, da der Bann gebrochen war, begriff er das Ausmaß des Zaubers.

Und er begriff, dass ihm seine Freunde doch etwas bedeuteten. Mehr, als er sich immer hatte eingestehen wollen. Denn das waren sie – Freunde. Irgendwie. Renji ballte die Fäuste, wütend auf sich selbst, weil ihn dieser Gedanke so unvorbereitet traf, nachdem sie sich erst vor kurzem in die Haare gekommen waren. Und wütend auf LordMyotismon. Für einen Moment hoffte er, dass das Asura noch lebte, damit er es sein konnte, der ihm den Garaus machte.

Er sah sich die Verwüstung an, die Cyberdramon hinterlassen hatte. Der Marmorboden war aufgebrochen, als hätte ein riesiger Wurm darin gewütet. Von dem Sessel war tatsächlich nichts mehr zu sehen, von LordMyotismon auch nicht mehr gerade viel. Taneo ließ ein nachdenkliches Geräusch hören, als er es ebenfalls bemerkte.

 

Jagari hatte irgendwann beschlossen, dass Tageko alleine nicht fähig war, dieses Digimon zu bezwingen. Obwohl sie ihn wütend angezischt hatte, sie und Blossomon allein machen zu lassen – oder vielleicht gerade deswegen –, hatte er Tyrannomon angewiesen, mitzumischen. Das Metalldigimon hielt sich selbst gegen zwei Gegner gut, aber ihr Teamwork war auch grottenschlecht. Genauso wie Jagari Tageko den alleinigen Triumph nicht gönnte, eckten auch ihre Digimon immer wieder aneinander an.

Bis plötzlich etwas in Jagaris Bewusstsein aufflammte und er und Tageko sich verdattert anstarrten. Was hatten sie einander eben noch zugeschrien? Sie mussten von Sinnen gewesen sein.

Und sie bekamen sogar die Gelegenheit, in Ruhe darüber zu sprechen. Das Metalldigimon zuckte plötzlich zusammen und schien zu horchen. Dann verschwand es. Einfach so. Die metallverstärkten Gliedmaßen begannen in einem Gelb aufzuglühen, das mit dem Licht der Digitation absolut nichts zu tun hatte, dann wurde es durscheinend. Auf seiner Stirn glühte ein sternförmiges Symbol auf, das eben noch nicht dagewesen war. War es dieses Zeichen, das es verschlang?

Nachdem der Stern als Letztes erloschen war, sahen sich Tageko, Blossomon, Jagari und Tyrannomon ratlos an. Ihr Weg war plötzlich frei.

 

Vom Hals abwärts hatte sich LordMyotismon in Daten aufgelöst. Sein Kopf jedoch schwebte knappe zwei Meter über dem zersplitterten Boden und musterte seine Feinde ungerührt. „Sieh an“, brachte das Digimon ohne Mühe über die Lippen. „Ich dachte mir, dass die DigiRitter nicht zu unterschätzen sind. Nun gut. Ich werde euch als würdige Gegner anerkennen.“

„Buhuu, dein Kopf alleine ist ja so furchteinflößend!“, spottete Renji.

Mit einem Mal flammte direkt vor ihren Füßen etwas auf, das Taneo in dem Halbdunkel, das einem Augenschmerzen bereitete, noch nicht bemerkt hatte: Ein Mosaik, das in den Marmor eingelassen war und das die Konturen eines stilisierten Sterns nachbildete. Und ebendieser Stern glühte nun in unheimlichem Licht.

Und er spuckte etwas aus.

Als würden sie von unten durch den Boden geschoben, wuchsen drei Digimon aus dem Mosaik. Da waren ein Mann mit blauer Haarmähne und einer Metallrüstung, ein gepanzertes Mammut und eine gigantische, haarige Spinne. Und damit nicht genug, erschien im nächsten Moment eine blauweiße Masse: Ein Schwarm aus Bakemon und den DemiDevimon, denen sie im Raum mit den Fernsehern begegnet waren.

„Ich nehm alles zurück“, murmelte Renji.

„Ich werde meinen Sieg auskosten“, erklärte LordMyotismon. „Ihr dürft euch nun mit meinen Häschern die Zeit vertreiben. Ich lasse es mir nicht nehmen, die Macht, die ich durch einen von euch erhalten habe, an euch auszuprobieren. Die Unzulänglichkeit meiner Albtraumwelle habe ich nicht vergessen. Wir werden sehen, ob ihr meinen Attacken auch noch entkommen könnt, wenn ich erst auf das Mega-Level digitiert bin.“

Das Einzige, an das Taneo noch denken konnte, war ein stiller Fluch. Dann stürzten sich die feindlichen Digimon mit lautem Geheul auf sie.

 

„Hörst du das?“, rief Kouki. Sie waren auf dem Weg zum Thronsaal – so hoffte er. Aus der Richtung, in die er auf Nefertimons Rücken unterwegs war, ertönten eindeutig Schreie und Kampfgeräusche.

„Das müssen die anderen sein“, sagte Nefertimon überflüssigerweise.

Kouki machte sich schwere Vorwürfe. Wie hatte er nur so dumm sein und zulassen können, dass sie sich trennten? Dass er in einer Art Trance gewesen sein musste, machte es nicht besser. Er hoffte inständig, dass es den anderen gut ging.

 

Cyberdramon pflügte wie der Sensenmann persönlich durch die dunkle Fledermauswolke. Seine glühenden Krallen zogen nichts als gähnende Leere nach sich, durch die noch einige Datenreste flogen. Taneo schien nach wenigen Sekunden wieder seinen kühlen Kopf zurückgewonnen zu haben. Renji hoffte für ihn, dass er nicht vergessen würde, dass das nur durch Meramon möglich gewesen war. Das Flammendigimon hatte die ersten Geister zerlegt, die sich auf sie gestürzt hatten, und die Spritzen geschmolzen, die die DemiDevimon geschleudert hatten. Ohne Meramon stünde Taneo jetzt nicht mehr aufrecht.

Im Moment brüllte Taneo Cyberdramon Befehle zu. Für Renji war alles zu hektisch geworden. Es war kein Problem für ihn, bei einem Fußballspiel mit zweiundzwanzig Spielern am Feld den Überblick zu behalten. Aber die Digimon, die hier in der Halle ohne Sinn und System herumschwirrten, mussten auf die Hundert zugehen.

„Wir müssen durchbrechen!“, rief Taneo Renji irgendwann zu. „LordMyotismon versucht zu digitieren!“

„Das sagt sich so leicht!“, ächzte Renji. Sie taten seit Sekunden, die ihm wie Stunden vorkamen, nichts anderes, als sich immer weiter zum Tor zurückdrängen zu lassen. Rings um sie herum prasselten Spritzen auf den Boden. Cyberdramon dezimierte die feindlichen Ränge immer weiter, aber die ließen sich davon nicht einschüchtern und griffen die DigiRitter mit allem an, was sie hatten. Meramon kam kaum mit seinen Attacken hinterher. Alles rings um Renji kreischte und heulte und zerbarst und zerklirrte – der Lärm schmerzte in den Ohren. Und nur Glück hatte bisher verhindert, dass sie ein Opfer der giftigen Spritzen wurden.

Dann prallte irgendetwas gegen das fliegende Cyberdramon – Renji hatte nur den Eindruck von blitzendem Metall und blauen Flammen – und das Blatt wendete sich. Plötzlich griff ein halbes Dutzend blauer Hände nach Meramon, umklammerte seine flammenden Glieder. Falls Bakemon Schmerzen spüren konnten, musste es ungeheuerlich brennen, aber sie blieben stur. Meramon versuchte hilflos freizukommen, aber es konnte sich nicht mehr bewegen.

Was Renji und Taneo in freie Schusslinie brachte.

Sofort löste sich ein Schemen aus dem dunkelbunten Wirbel und eine massige, pelzige Gestalt stürmte unter lautem Elefantentröten auf sie zu. „Spring du nach rechts“, murmelte Taneo gehetzt, als sie den Boden unter ihren Füßen erzittern spürten.

„Machst du Witze?“, entfuhr es ihm. Diesem Ding da, ausweichen? Unmöglich!

Als es so nah war, dass es unmöglich noch die Richtung ändern konnte, versuchte er es doch. Sein Herz pochte so schnell, seine Sinne waren derart überfordert, dass er gar nicht die Zeit hatte, sich zu fürchten. Renji warf sich mit aller Kraft zur Seite, landete hart auf dem Marmor, rollte sich ab, sprang wieder auf und sah über die Schulter zurück. Taneo lag ein paar Meter entfernt auf dem Boden, aber er war auch gesprungen, nicht umgerannt worden. Und genau genommen hätten sie sich sogar das sparen können.

Ein roter Dinosaurier war plötzlich im Thronsaal aufgetaucht und dem Mammut buchstäblich in die Stoßzähne gefallen. Renji hätte nie gedacht, dass er sich einmal freuen würde, Tyrannomon zu sehen. Jagaris Partner hatte den Elefanten mit sehnigen Armen gepackt und versuchte ihn von sich wegzudrücken.

„Leute!“

Er sah Jagari und Tageko durch den Torflügel kommen, der nun weiter geöffnet war. Dahinter schob sich auch Blossomon in den Thronsaal und schoss sofort einige seiner rotierenden Blumen ab, um die Bakemon zu pulverisieren, die Renji und Taneo zu nahe kommen wollten. Jagari winkte aufgeregt und lief sogar zuvorderst.

„Habt ihr uns etwa vergessen?“ Der Kleine strahlte übers ganze Gesicht. Offenbar machte ihm sein Heldeneinsatz wesentlich mehr Spaß als Renji, dem alle Knochen wehtaten.

Selbst Tageko gestattete sich ein leichtes Schmunzeln.

In dem Moment bäumte der Elefant sich auf und stieß Tyrannomon einfach fort. Sofort war Blossomon an seiner Stelle und malträtierte den Dickhäuter mit seinen Spiralblumen. Tyrannomon rappelte sich unter Jagaris Anfeuerungsrufen wieder auf und übergoss die Bakemon, die Meramon festhielten, mit einem feurigen Hauch. Teamarbeit konnte ja doch ganz nützlich sein. Renji reihte sich in die rufenden DigiRitter ein, die ihre Digimon mit Worten und Befehlen – in Taneos Fall – unterstützten. Und zum ersten Mal fühlte er sich als dieser Gruppe zugehörig.

 

Kurz nachdem Mammothmon endlich zu Staub zerfiel wie die Tiere, denen es nachempfunden war, gelang es auch Cyberdramon, die Oberhand im Kampf gegen SkullMeramon zu gewinnen – vornehmlich, weil es fliegen konnte. Dennoch digitierte es zurück, kaum dass das feurige Metallskelett in seine Einzelteile zersprungen war. Tageko schätzte schnell die Lage ab. Die Wolke aus Bakemon und DemiDevimon, die sie noch von LordMyotismon trennte, war eindeutig lichter geworden. Es war weniger als eine Minute her, seit sie den Thronsaal erreicht hatten.

„LordMyotismon!“, schrie Taneo. „Wir müssen es erwischen! Es will digitieren!“

„Es will was?“, ächzte Tageko. Der schwebende Kopf war auch ihr aufgefallen – er war auch nicht zu übersehen. Mittlerweile glühte er nämlich, und es war diesmal eindeutig das Licht der Digitation, auch wenn seine Farbe mehr und mehr ins Blutrote verlief.

Tyrannomon stampfte eben Dokugumon in Grund und Boden, als Tageko hinter sich Schritte hörte. Schwer atmend und mit gerötetem Gesicht kam Fumiko hereingelaufen. Tageko war erleichtert; also musste sie nur noch hoffen, dass auch Kouki wohlauf war.

Das Mädchen lehnte sich an den Torflügel und rang nach Luft. „Leute“, brachte sie hervor. „Tut … mir leid.“

„Keine Ursache“, meinte Tageko, die genau verstand. In dem Moment löste sich das letzte DemiDevimon in Daten auf. Nur noch der Kopf von LordMyotismon trennte sie von ihrem Sieg – und der war doch wohl einfach zu zerstören!

„Ihr solltet euer Ende einfach einsehen“, ließ das Asura eben vernehmen. „Ich habe bis zum Äußersten gewartet, doch ihr lasst mir keine Wahl.“

„Schnappt es euch!“, rief Taneo heiser. Selbst Kokuwamon in seinen Armen flatterte noch einmal in die Höhe. Alle ihre Digimon liefen oder flogen auf LordMyotismon zu, bereit, es mit ihren Attacken plattzuwalzen – als der schaurige Kopf plötzlich etwas tat. Waren das Fledermäuse, die plötzlich vor ihm aufflatterten? Noch mehr Digimon?

Nein – es war mehr als das. Schnell wie Schatten breiteten sich die Wesen im ganzen Raum aus und stahlen Tageko die Sicht. Egal, die Flügel der kleinen Biester waren nicht einmal zu spüren, es würde vorübergehen.

Die Finsternis blieb.

Erst dachte Tageko, sie würde immer noch von dunklen Schwingen umwirbelt werden. Als sie die erschrockenen Laute der anderen hörte, klammerte sich plötzlich eisige Panik an ihre Kehle. Die Fledermäuse waren nirgends mehr zu sehen – aber vor ihren Augen blieb alles schwarz! Sie war blind!

Tageko hörte Jagari entsetzt aufschreien, dann ein Poltern, als jemand oder etwas zu Boden fiel. Sie selbst taumelte vor Schreck, versuchte, sich irgendwo festzuhalten, fand aber nichts. Nur seelenlose Schwärze umgab sie. Wären die Geräusche nicht gewesen, hätte sie sich mutterseelenallein gefühlt.

„Kokuwamon!“, hörte sie Taneo brüllen. „Schnapp es dir!“

Als Antwort kam nur LordMyotismons Lachen – aus verschiedenen Richtungen. Tageko zuckte zusammen. Das Asura klang ganz nah … Wo war es? Sahen die Digimon es etwa auch nicht?

„Du Feigling!“, schrie Renji irgendwo neben ihr. „Hast du sonst nichts drauf, dass du ständig so billige Tricks anwenden musst?“

Das Lachen wurde nur lauter. Etwas zischte, etwas krachte, aber LordMyotismon lachte unerschütterlich weiter. Tageko klopfte das Herz bis zum Hals. War diese … Dunkelheit vor ihren Augen irreparabel? Spielte das überhaupt noch eine Rolle, wenn das Asura erst das nächste Level erreicht hatte? So machtlos hatte sie sich noch nie gefühlt.

 

LordMyotismon beobachtete, wie seine Opfer hilflos im Raum umherwankten. Die DigiRitter waren ohne ihr Augenlicht wie Neugeborene. Ihre Digimon versuchten blindlings nach ihm zu schlagen oder schossen Attacken in die Luft, aber sie würden sich eher gegenseitig verletzen, als dass sie LordMyotismon gefährlich werden konnten.

Es hatte seine magischen Spiegel überall im Thronsaal erscheinen lassen. Jeder einzelne nahm seine Stimme auf und gab sie wieder. Während LordMyotismons Kopf ruhig durch die Halle schwebte, hatten seine Feinde keine Ahnung, wo genau es sich befand. Es hatte alle DigiRitter und ihre Digimon in seinem Nachtraub eingefangen – alle bis auf den erbarmungswürdigen Jungen mit seinem verstümmelten Salamon. LordMyotismon erinnerte sich daran, dass es nicht weiter als bis zu Gatomon digitieren konnte. Selbst wenn die beiden noch auftauchen würden, konnte dieses kümmerliche Digimon seinen Kopf nicht erreichen. Zur Sicherheit schwebte es nur wenige Zentimeter unterhalb der Saaldecke, weit, weit über den geblendeten Digimon.

Und LordMyotismons Digitation war fast vollkommen, das spürte es. Schon sah es seine eigene Gestalt verschwimmen, größer und breiter werden, immer noch rötlich leuchtend, aber bald würde es feste Form annehmen, die DigiRitter vernichten und ganz nebenbei das mächtigste seiner Art sein. Der Gedanke gefiel ihm …

Plötzlich nahm es ein fremdes Digimon hinter sich wahr. Im ersten Moment glaubte LordMyotismon, seine bevorstehende Digitation würde seine Sinne täuschen, doch als es den Kopf wandte, flog da tatsächliche ein Digimon auf es zu, das gar nicht da sein dürfe – es flog!

LordMyotismon öffnete verblüfft den Mund, als es ein Nefertimon durch die kalte, staubige Luft des Thronsaals auf sich zuschießen sah, und auf dem Rücken saß der Junge, Kouki, dessen Digimon eigentlich jede Möglichkeit der Digitation hätte genommen sein sollen! Unmöglich!

LordMyotismon spürte, wie sein Gesicht sich auflöste, bereit, in die nächste Form hinüberzugleiten – und es wusste, dass es verwundbar war. Für eine halbe Sekunde verspürte das Asura, das sich als das schrecklichste der zwölf sah, selbst Schrecken. „Nachtraub!“, stieß es hervor, um die neuen Feinde ebenfalls in Dunkelheit zu hüllen, doch im selben Moment spreizte Nefertimon die Vorderpranken.

Rosettastein!“ Die Stimme hallte von den Wänden des Thronsaals und sogar von den Spiegeln wider, war wie ein donnernder Applaus für einen Sieg, der eigentlich LordMyotismons hätte sein sollen. Und wie der Donner einem Blitz folgt, folgte die Stimme den leuchtend roten Steinen, die aus Nefertimons Beinschonern schossen und sich genau zwischen LordMyotismons Augen bohrten.

Es stieß einen hässlichen Schrei aus, als das Rot seiner Digitation plötzlich erstickt wurde und es fühlte, wie seine Gestalt nun zu verschwinden, nein, entzweizubrechen begann. Kurz verdoppelte sich das Bild vor seinen Augen, als das Nefertimon mit wehenden, majestätisch weißen Schwingen vorbeirauschte. LordMyotismon hatte den Eindruck, dass der Junge auf seinem Rücken noch etwas sagte.

„Das waren wir dir schuldig.“

LordMyotismon spürte, wie unsichtbare Kräfte es auseinanderrissen, und dann befand es sich selbst in ewiger Finsternis.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das war's mal wieder. Übrigens, ich bin neugierig - habt ihr unter den neuen DigiRittern eigentlich irgendeinen Favoriten oder irgendeinen, den ihr gar nicht leiden könnt? ;) Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Fuchspinsel
2017-05-11T08:13:06+00:00 11.05.2017 10:13
Wieder ein sehr schönes Kapitel ^^
Antwort von:  Fuchspinsel
11.05.2017 10:18
Gibt es eigl einen Unterschied zwischen Myotismon und LordMyotismon?
Puh... das mit dem Liebling is immer so ne Sache... Am Anfang hab ich ja Kouki und Taneo am liebsten gehabt, hat sich aber im Laufe der Geschichte geändert. Mittlerweile mag ich alle ganz gern (auch Renji, va. wenn er im Idiotenmodus ist xD) Ich liebe einfach das Team Renji und Taneo xD Hab mich fast bepisst vor lachen xD
Theoretisch könnte ich alles aufzählen, was ich an welchem Charakter besoders mag, oder hasse... aber dann wird der Kommi wieder so lang >.< Wenn dus aber trz wissen willst, dann kann ich das auch ausführen xD
Solangsam dännerts mir, warum es "Digimon twelve" heißt... DAchte ursprünglich ja, dass das mit den Digirittern und ihren Partnern zu tun hat (also insegamt sind das ja auch 12 xD)
Antwort von:  UrrSharrador
29.05.2017 13:29
Danke :)
Gute Frage ... Ich habe LordMyotismon aus dem V-Tamer-Manga, da hat es andere Attacken als Myotismon, also jene, die es auch in dem Kapitel einsetzt. Damals hab ich in der Digipedia recherchiert und da sind sie als zwei verschiedene Digimon gelistet worden. Mittlerweile hat das aber jemand geändert und alles unter Myotismon zusammengefasst ... Für Twelve würde ich sagen, ja, es sind verschiedene Digimon. Vom Aussehen her sind sie gleich, nur dass LordMyotismon keine Pupillen hat xD
Ok, verstehe^^ Klar, würde mich sehr interessieren :) Wenn du mir die Zeit opfern magst xD
Jep, es ist eigentlich eine Anspielung auf die Asuras^^ Zufälligerweise wurden es dann auch 6 DigiRitter + Digimon :D
Von:  EL-CK
2017-05-10T14:35:37+00:00 10.05.2017 16:35
Ich mag Fumiko und Tageko (Girl-Power) ^^
und LordMyotismon... der hat's verdient XD
Antwort von:  UrrSharrador
29.05.2017 13:21
Alles klar^^ Danke für deinen Kommi :)


Zurück