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My love bite on your neck

von

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Love bite 60 - Umzugspläne

Halli hallo ^^

Mann oh Mann. Ist morgen wirklich schon das Jahr rum? Mir kommt es vor, als sei letztes Silvester erst ein, zwei Monate her. Und das, obwohl das letzte Jahr bei uns so turbulent gewesen ist.

Ich möchte mich auf diesem Wege bei euch allen herzlich bedanken. Für all die Reviews, Mails und lieben Worte darin, für eure wachsamen Augen, die mich vor dem Plagiat gewarnt haben (bin immer noch stinkig auf die Tusse *grrr*) und vor allem für die Zustimmung, die meine kleinen Geschichten von euch erhalten.

In den letzten Jahren ist das Schrieben für mich zu einem sehr wichtigen Teil geworden, den ich niemals missen möchte. Dass ich das alle mit euch teilen kann, ist das Tüpfelchen auf dem i ^^
 

So! Genug der Lobhudelei!

Ich wünsche euch einen guten Rutsch, ein gesundes neues Jahr und einen nicht allzu dicken Schädel am nächsten Morgen ;-)

Wir lesen uns im nächsten Jahr. Hoffentlich noch ganz oft ^^

Eure Steph
 


 

Love bite 60 - Umzugspläne
 

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich zum x-ten Mal wiederhole: Ich war noch nie so froh darüber, dass ein Jahr zu Ende geht, wie dieses Jahr. "Du strahlst wie ein kleiner Glückskeks." Ingo, der mir gegenüber sitzt, grinst mich breit an.

"So fühle ich mich auch", gebe ich zu. Wie ein glücklicher Keks, der in der Hitze der Liebe aufgeht und knusprig-golden wird. ... Okay. Das mit dem Knusprig-golden war jetzt nicht so ein guter Vergleich, aber man versteht worauf ich hinaus will, oder?

"Lass mich raten: Das liegt nicht zufällig an eurem baldigen Umzug?"

Lächelnd lege ich den Kopf schief. "Was hat mich verraten?", frage ich ihn.

"So ziemlich alles." Oha. Ich strahle wohl wirklich wie ein goldenes Kekschen.

"Ging es dir nicht so, als du bei Ed eingezogen bist?", will ich von Ingo wissen.

"Schon ... irgendwie. Aber das kann man nicht vergleichen."

"Stimmt", meint Ed, der mit einer Kanne Kaffee und einem Turm bestehend aus drei Tassen zu uns ins Wohnzimmer kommt. "Du bist hier eingezogen, ohne dass wir beide es zunächst bemerkt hatten."

"Beschwerst du dich etwa darüber?" Ingo gibt sich erstaunt.

"Hm na ja ... Langsam habe ich mich an dich gewöhnt", lacht Ed und setzt sich neben ihn auf das Sofa. Ingo nimmt ihm brummelnd die Tassen ab und verteilt sie, während Ed beginnt uns Kaffee einzuschenken.

Zu Besuch bei guten Freunden, heißer Kaffee und selbstgebackene Plätzchen von meiner Mutter. Es gibt nichts Besseres an tristen Wintertagen.

"Der Eckpfeiler jeder glücklichen Beziehung: Gewöhnung", zetert Ingo nach Eds Spruch.

"Darauf trinken wir", grinse ich und hebe die Tasse. Schön heiß die Brühe! Aber nicht nur das. "Hat Ingo den gekocht?" Ich verziehe das Gesicht.

"Klar. Was denkst du denn? Euch trüben Tassen lasse ich doch keinen Kaffee kochen", antwortet Ingo mir.

"Wie hältst du das nur aus?" Die Frage ging an Ed.

Ed zuckt mit den Schultern. "Gewöhnung." Wir drei fangen an zu lachen.

Ich bin gern bei den beiden. Besonders die letzten Tage über. Wenn ich nicht arbeiten musste, war ich meist hier. Entweder in der Werkstatt bei Ed, oder bei Ingo, der sich drinnen im Warmen eingemummelt hat. Er brütet eine kleine Erkältung aus und Ed hat ihm deswegen bis nächstes Jahr Stubenarrest erteilt, was diesem ganz und gar nicht schmeckt. Aber was tut Mann nicht alles für seinen Liebsten, nicht?

"Wisst ihr schon, wann ihr mit dem Einzug beginnen wollt?", fragt Ingo mich mit vollem Mund. Wenigstens die Plätzchen scheinen ihm zu schmecken. Mama wird sich freuen, wenn sie das erfährt.

"Sobald wie möglich. Ich habe mir gestern den Wohnungsschlüssel bei der Maklerin abgeholt. Eigentlich könnte ich meinen Kram schon hinfahren." Zumindest die sowieso schon gepackten Kisten, falls ich etwas Zeit dafür finde.

"Mach doch", meint Ed, der sich die nächste Ladung Plätzchen in den Mund geschoben hat.

"Mal schauen. Dieses Jahr wird das wahrscheinlich nichts mehr, denke ich. Heute habe ich keine Zeit dazu und morgen fahre ich doch nach der Arbeit wieder nach Berlin. Außerdem wäre es gescheiter erstmal die Wohnung umzubauen, bevor wir all unseren Kram dort auspacken." Im Keller unseres neuen Heims werden wir vorerst Meilos Sachen unterbringen müssen. Wo anders ist sonst kein Platz dazu.

"Und wo wohnt ihr solange?" Ingo guckt mich fragend an.

"Bei meinen Eltern." Ich seufze. Nicole mit Meilo unter einem Dach. Das kann ja heiter werden.

"Hm ...", macht Ingo und kaut lautstark das nächste Gebäckstück kurz und klein. "Silvester in Berlin ... Das wäre doch was ..." Er schaut rüber zu Ed, während ich mich fast am Kaffee verschlucke. Ingo denkt doch nicht ernsthaft darüber nach, mit nach Berlin kommen zu wollen? An jedem anderen Tag gern, aber doch nicht an Silvester! Vor allem wegen Meilos Auftritt.

"Hör auf damit Ingo!", grummelt Ed seinen Partner an und stupst ihm mit dem Ellenbogen leicht in die Seite. "Jag Nic doch nicht so einen Schrecken ein." Äh ... was? "Ingo macht nur einen Scherz", richtet sich Ed nun an mich. "Wir haben doch schon lange eigene Pläne für den Jahreswechsel, und außerdem wissen wir, dass du viel lieber allein mit Meilo bist." Ich lächle schmal, denn Ed schenkt mir noch einen wissenden Blick.

Ich habe ihm davon erzählt, dass Meilo einen Auftritt hat, und da Ingo nichts von Meilos Alter Ego weiß, wäre es blöd zu erklären gewesen, wieso Meilo noch so spät Abends arbeiten muss. Zwar nicht schwer, aber ich hasse es, meine Freunde belügen zu müssen. Zumal ich das bei Menschen, die mir sehr am Herzen liegen, nicht besonders gut kann.

"Immer verdirbst du mir meine Späße", motzt Ingo Ed an. Dieser lächelt nur schmal.
 

Während die beiden sich weiter scherzhaft necken, beobachte ich sie still dabei. Besonders Ed. Er sieht viel gelöster aus als sonst. Er grinst auch ständig, was er eigentlich selten tut. Meist lächelt er bloß leicht, was nicht heißen soll, dass Ed ein Miesepeter wäre. Ed ist eben eher der ruhige, in sich gekehrte Typ. Heute allerdings ist er es nicht, und wenn ich so an die letzten Tage zurückdenke, ist er schon die gesamte Woche über irgendwie anders. Man könnte sogar sagen, er war die Tage über beinahe in Plauderlaune. Auch Eds und Ingos gegenseitigen Blicke sind arg verdächtig, finde ich. Dieses Leuchten ...

"Bei euch alles in Ordnung?", unterbreche ich schließlich ihr kleines Techtelmechtel, weil ich da so eine leise Ahnung habe.

Beide gucken mich an, als seien sie kleine Eichhörnchen und ich ein gefräßiger Fuchs. "Klar ist alles in Ordnung mit uns", antwortet Ingo. "Wieso fragst du?"

"Ihr seid so anders ... so ... flauschig." Habe ich gerade flauschig gesagt? Aber dieses Wort beschreibt ihr Verhalten eigentlich ganz gut. Ich bin knusprig und sie sind flauschig. Ich glaube, ich habe noch einen leichten Knacks von den Feiertagen … Aber wie es aussieht, habe nicht nur ich etwas von der Weihnachtszeit zurückbehalten. "Ist an den Feiertagen irgendwas interessantes passiert?" Neugierig mustere ich die zwei Turteltäubchen.

"Nichts, was dich momentan etwas anginge", meint Ed spitz, lächelt mich jedoch frech an.

Ich grinse dreckig zurück. Was auch immer zwischen den beiden ist oder geschehen ist, es freut mich, dass Ed deshalb so verändert ist. "So, so", schmunzle ich. "Wenn das so ist." Ich trinke mit großen Schlucken meine Tasse leer und stehe auf. "Dann will ich euch mal nicht weiter stören."

"Das tust du doch gar nicht." Ed stehen ebenfalls auf. "Bleib doch noch! Ich wollte dich nicht vergraulen."

"Schon gut Ed", winke ich ab. "Das hast du nicht, aber ich denke, ich habe euch die letzte Zeit über genug mit meiner Anwesenheit belästigt. Außerdem habe ich noch einiges zu tun drüben." Habe ich nicht, doch das müssen die zwei nicht wissen. Das ändert jedoch nichts daran, dass ich wirklich ganz schön oft bei ihnen zu Besuch war. Vielleicht zu oft. Die beiden wollen sicher auch mal unter sich sein, genau wie ich mit Meilo den Jahreswechsel allein und ungestört verbringen möchte. Also lasse ich die Turteltäubchen mal in Ruhe zusammen mit ihrem kleinen Weihnachts-Geheimnis turteln.

"Wir sehen uns dann nächstes Jahr", verabschiede ich mich von ihnen, drücke jeden noch einmal und sehe zu, dass ich Land gewinne. "Guten Rutsch ihr zwei." Und weg bin ich.
 

Draußen ist es ungewöhnlich still. Kein Auto fährt auf der Straße, als ich sie überquere. Angenehm. Leider ist die Stille bald wieder vorbei. Als ich die Wohnung meiner Eltern betrete, ist die dortige Geräuschkulisse ohrenbetäubend.

"Mama?" Ich schaue mich suchend im Wohnzimmer um. Niemand zu sehen.

"Niclas?" Rechts neben mir raschelt es und eilige Schritte kommen auf mich zu. Meine Mutter kommt auf mich zu und zieht sich dabei ihren Mantel an. "Wie gut, dass du wieder da bist. Du musst mich in den Supermarkt fahren."

Hinter ihr taucht Nicole auf. "Ich komme mit!"

Ich fühle mich, als hätte mich gerade ein vollbesetzter Schulbus überrollt. "Wie, einkaufen? Jetzt?"

"Ja jetzt", trompetet meine Mutter und wickelt sich einen Schal um.

"Warum muss ich fahren?"

"Weil Werner noch unterwegs ist, und du der Einzige mit einem fahrbaren Untersatz bist."

"Dann nimm doch meine Karre und fahr selbst", schlage ich schlecht gelaunt vor. Einkaufen. Und das einen Tag vor Silvester. Zusammen mit meiner Mutter und Nicole. Der Albtraum überhaupt!

"Du weißt, dass ich nicht mit Schaltung fahren kann." Vorwurfsvoll guckt mich meine Mutter an.

"Selbst schuld. Hättest ja nicht auf einem Auto mit Automatikgetriebe fahren lernen müssen." Meine Mutter stemmt kommentarlos ihre Hände in die Hüften. Wehren zwecklos. "Also gut", stöhne ich und gebe mich geschlagen. "Gehen wir gassi fahren."

Nicole kichert. "Gassi fahren. Wer kommt an die Leine?"

"Du, wenn du nicht brav bist", knurre ich. Sie streckt mir die Zunge raus, stopft sich ihre Kopfhörer in die Ohren und stampft auf die Wohnungstür zu.

"Schafft ihr zwei es immer noch nicht euch zu vertragen?" Ich zucke mit den Schultern. Eigentlich gehen wir ganz gesittet miteinander um, finde ich. Meine Mutter sieht das wohl nicht so, denn sie seufzt, lächelt dann aber. "Nun zieh nicht so ein Gesicht, Schätzchen", blafft sie mich an.

"Nenn mich nicht Schätzchen!" Mütter!

Aus ihrem Lächeln wird ein Lachen und sie legt einen Arm um meine Schultern. "In Ordnung mein kleiner Spatz." Oh Manno!

"Mama!"
 

Nicole und meine freche Mutter ins Auto verfrachtet, düsen wir Richtung Supermarkt. Letztere kramt nervös in ihrer Handtasche herum. "Wo hab ich nur den Einkaufszettel hingesteckt? ... Ah da ist er!"

Ich schiele kurz rüber. "Scheiße ist der lang! Was willst du denn alles einkaufen?"

"Na alles, was wir für die Silvesterfeier brauchen", antwortet sie mir unbeeindruckt.

"Welche Menschenmassen erwartest du denn?"

Sie legt die Einkaufsliste zurück in ihre Tasche und zählt alle eingeladenen Gäste mit den Fingern auf. Am Schluss ist sie bei 15 Leuten. Sie, Papa und Nicole noch nicht mit eingerechnet.

"Wie gut, dass ich nicht dabei bin", sage ich. "Auf diesen Trubel kann ich gut verzichten."

"Ob Silvester in Berlin ruhiger verläuft, bezweifle ich aber", erwidert meine Mutter.

"Es kommt drauf an, wo man in Berlin ist." In Meilos Armen zum Beispiel. Das wird vielleicht nicht weniger Turbulent, aber mit Sicherheit viel entspannter ...

"Schon klar", motzt mein Schwester-Herzchen hinter uns auf der Rückbank. "Reib es mir noch unter die Nase."

"Was?" Was hat die denn wieder?

"Du darfst bei Meilo sein, und ich darf mit den alten Schnarchnasen auf den Jahreswechsel warten." Arme Nicole. Sie tut mir gar nicht leid. Hehehe.

"Alte Schnarchnasen?" Mama dreht sich empört nach hinten. "Das Alt verbitte ich mir, junge Dame! Außerdem sind deine Freundinnen auch da."

"Ja. Aber wir dürfen ja nicht weg."

"Natürlich dürft ihr das. Solange ihr um hab 12 wieder Zuhause seid."

"Na eben! Wir verpassen ja das Beste. Dann brauchen wir auch gar nicht weg." Im Rückspiegel sehe ich, wie Nicole einen beleidigten Schmollmund zieht und dabei auf ihrem Handy herumtippt.

Nicole würde den Silvesterabend gern im Jugendtreff verbringen, doch Papa ist dagegen. Er weiß schon wieso. Hinter dem Gebäude hängen die älteren Jugendlichen herum, trinken, rauchen und stellen lauter Unsinn an. Letztes Jahr hat jemand sämtliche Briefkästen in der näheren Umgebung des Jugendtreffs in die Luft gejagt. Logisch, dass Papa seine kleine Tochter dort nicht hingehen lassen will. Hinterher landet sie mit Alkohol- und Rauchvergiftung im Krankenhaus. Womöglich noch mit einer Fingerlosen Hand oder Schlimmeres.

"Ich bin ganz auf Papas Seite. Was da teilweise beim Jugendheim abgeht, ist nichts für dich. Das ist viel zu gefährlich." Wow! Ich klinge wirklich schon wie mein Vater.

"Woher willst du denn das wissen, hä?"

"Ich weiß es eben", brumme ich und bekomme von Mama einen mehr als fragenden Blick. "Ich war auch mal ein Jugendlicher", erkläre ich ihr.

"Ich hoffe, du hast nichts angestellt."

"Nicht so, wie du jetzt womöglich denkst." Ich grinse frech.

Nein, so etwas wie Briefkästen in die Luft jagen habe ich nicht getan. Ich trieb mich viel lieber in abgelegeneren Gegenden auf. Vorzugsweise nicht alleine und nicht ganz so jugendfrei ... Hach ja, Tommy. Mein erster Silvesterkuss.

Ich kann es gar nicht erwarten, in diesem Jahr den wundervollen Brauch mit Meilo zu vollziehen. Der Beginn unseres gemeinsamen Lebens. Ich werde ganz kribbelig, wenn ich daran denke. Meilo ... bei mir ... ohne ständige Autofahrerei und Telefonate als einzigen Kontakt.

Meine Mundwinkel zucken nach oben und ohne dass ich es will, fange ich an, den Song, der im Radio läuft, mitzupfeifen.

Meine gute Laune hält jedoch nur so lange an, bis ich auf den vollen Supermarktparkplatz einbiege. Da ist die Hölle los!
 

Es gibt für mich nichts schlimmeres als volle Parkplätze, auf denen jeder, der einen freien Platz sucht, fährt, als sei er ein todessüchtiger Irrer auf Alkoholentzug. Mein Stresspegel jagt durch die Decke und in Gedanken verbeiße ich mich in mein Lenkrad und schimpfe dabei meine Mutter an, die mir das hier eingebrockt hat.

"Ganz schön was los hier", wundert sie sich. Ach erzähl!

"Höchst merkwürdig", sage ich sarkastisch. "Und das, obwohl erst morgen Silvester ist." Das musste jetzt sein. Irgendwie muss ich mir ja Luft machen, damit ich mich nicht auch in einen todessüchtigen Irren verwandle und mit Vollgas in eine Reihe Einkaufswagen rase.

"Jetzt murre nicht die ganze Zeit über herum. Halt lieber die Augen nach einem Parkplatz offen." Mama gibt mir einen Klaps auf den Oberschenkel. Keinen Plan ob der aufmunternd gemeint war. Falls ja, verfehlt er sein Ziel. Und weil selten ein Unglück allein kommt, beginnt im Radio der Song von Keith und seinem widerlichen Nachfolger zu dudeln.

"Uhhh! Mach mal lauter!", kommt's von den hinteren billigen Plätzen. Ich drehe am Knopf. Aber nicht, um lauter zu machen, sondern um das Radio ganz auszuschalten. "Ey!"

"Ruhe. Ich muss aufpassen, dass ich niemanden umniete hier", blaffe ich Nicole an und muss schon eine Vollbremsung hinlegen.

Ein Kind kam einfach zwischen den parkenden Autos rausgerannt. Ich konnte noch gerade so bremsen. "Fuck!" Können die nicht mal auf ihre Bälger aufpassen?!

"Das war knapp", schnauft meine Mutter entsetzt und greift sich erschrocken an die Brust. Auch mein Herz donnert schnell. Was für ein Schreck!
 

Endlich einen Parkplatz gefunden, steigen wir aus und laufen auf den Eingang zu. Während Nicole und ich durch die Schiebetüren gehen, holt meine Mutter einen Wagen.

Genervt schaue ich mich in der Obstabteilung um. Nicole dagegen macht das Zeitschriftenregal unsicher. Soll ich raten nach was sie Ausschau hält?

Derweil ist meine Mutter auch drinnen angekommen. "Niclas? Nimmst du den Einkaufswagen?" Was auch sonst?

Auf eine Antwort wartet sie erst gar nicht, drückt mir den Wagen gegen die Rippen und stolziert zum Gemüse. Noch genervter zockle ich ihr nach.

Der Einkaufswagen quietscht dabei wie eine Horde Mäuse und das vordere linke Rad flattert unaufhörlich. Tief durchatmen Nic. Alles wird gut. … Irgendwann … Vielleicht.

"Wo ist deine Schwester?" Mama sieht mich kurz an, wendet sich dann wieder dem Broccoli zu.

"Wo wohl? Meinen Mann angeifern." Meine Mutter lacht. "Ich finde das gar nicht lustig", beschwere ich mich. "Wie soll das bloß werden, wenn Meilo übermorgen bei uns wohnt?"

"Das wird schon klappen."

"Meinst du? So optimistisch bin ich da nicht."

Anscheinend hat der Broccoli der Begutachtung meiner Mutter ohne größere Mängel bestanden, denn eine dicke Tüte voll landet im Einkaufswagen. "Nicole hat sich doch schon längst damit abgefunden, dass du ihren Superstar an Land gezogen hast."

Ich verziehe das Gesicht. "Ihren Superstar an Land gezogen? Hör auf so zu reden. Ist ja gruselig. Als sei ich hier das Groupie." Sie grinst, dann werde ich weiter vorwärts gejagt. Quietschend und mit einem flatternden Rad dackle ich ihr nach.

Was anschließend folgt ist schlimmer als jede Folter. Überall Menschen, plärrende Kinder und andere Einkaufswagenfahrer, die einem in die Hacken donnern, oder sich dreist an einem vorbei zwängen und dabei alles touchieren, was Rollen hat. Selbst vor den Gehhilfen armer Omas machen manche nicht Halt. Das reinste Irrenhaus!

Meine Mutter lässt das augenscheinlich alles ziemlich kalt. Gelassen arbeitet sie ihren Einkaufszettel ab, scheucht mich hier hin, dann dort hin, wieder zurück, weil wir im vorigen Regal etwas vergessen haben. Die Lebensmittel stapeln sich bald schon im Wagen und ich bekomme Probleme das Teil zu fahren, da dass flatternde Rad immer wieder blockiert.

"Ma? Was willst du denn noch alles kaufen? Du kaufst ja fast den gesamten Supermarkt leer." Kann es sein, dass ich mich quengelig anhöre? Ja, kann es. Aber ich habe auch alles Recht der Welt dazu, quengelig zu sein.

"Gleich, Schatz. Nur noch zur Fleischtheke."

"Oh nein!" Zur Fleischtheke? "An solchen Tagen ist da doch immer der Teufel los!"

"Oh doch mein Lieber. Aber falls es dich beruhigt, danach können wir wieder nach Hause fahren", sagt meine unerbittliche Einkaufslisten abhakende Mutter und bahnt sich ihren Weg zur Fleischtheke.

"Jippie."
 

Normalerweise freue ich mich immer, wenn ich recht behalte, aber dieses mal hätte ich gern unrecht behalten. Bei der Fleischtheke ist wirklich der Teufel los. Er hat die Gestalt einer ewig langen Schlange angenommen. Einer aus Einkaufswagen, genervten wartenden Kunden und schreienden Kindern. Und genau so eines habe ich direkt vor mir, als ich mich neben meiner Mutter in die Schlange eingereiht habe.

Ich schätze das kleine Ding auf ca. zwei Jahre. Der Farbe der Kleidung nach ein Mädchen. Eins, mit einem sehr, sehr lauten Organ. Es sitzt in dem ausklappbaren Kindersitz und schreit sich die Seele aus dem Leib. Der Vater versucht es händeringend zu beruhigen, zieht Grimassen, fuchtelt wild mit seinen Händen herum, doch all das hilft nichts.

Ich kann das kleine Schreibündel verstehen. Ich würde auch schreien, wenn es nicht extrem bekloppt rüber kommen würde. Hinterher ruft jemand die Polizei und man führt den verrückt gewordenen Nic ab. Dann wird es nichts mit Silvester in Berlin zusammen mit Meilo. Also lieber still leiden, das schreiende Kind gleichzeitig beneiden und verfluchen, und hoffen, dass die Fleischereifachverkäuferrinen ihre Kundschaft schnell abfertigen. Zeit ist Geld, Mädels!

Und wo wir gerade von schreienden Kleinkindern und Mädels reden: "Hier seid ihr ja!" Eine abgehetzte Nicole materialisiert sich neben uns. "Ich such euch schon seit Stunden."

"So lange sind wir hier noch gar nicht", brumme ich. "Obwohl es mir so vorkommt."

"Immer noch so miese Laune?" Ich nicke Nicole schwach zu. "Dann heitert dich das hier vielleicht auf." Eine kunterbunte Teeniezeitschrift schiebt sich in mein Blickfeld. Und zwischen all den Bunten Schriften und kleinen Bildern, prangt ein zucker-bunter Keith Kandyce groß auf der Titelseite.

"Wieso soll mich das aufmuntern?", frage ich Nicole knurrend.

Sie zuckt mit den Schultern, die Zeitschrift senkt sich. "Nur halt so", meint sie und blättert die Seiten durch. "Da ist ein großer Artikel über ihn drinnen. Zusammen mit diesem Jared. Die wollen uns den Neuen unter allen Umständen schmackhaft machen." Sie lacht auf. "Als ob sie uns so einfach abspeisen könnten. Obwohl Jared ganz gut bei uns ankommt."

"Euch?" Ein bisschen belustigt schaue ich erst Nicole, dann den Artikel an, den sie aufgeschlagen hat. Dieser ist auch knallig bunt gehalten.

"Ja uns. Die Hardcore-Keith-Fans." Oh Mann! Weg ist mein Schmunzeln.

"Lass das nicht Meilo hören. Sonst macht er sich wieder Gedanken."

"Über was denn?"

"Über euch", antworte ich.

"Ach du meinst, weil morgen das letzte Mal ist, dass …"

"Eben das", würge ich sie ab. "Und jetzt Klappe. Das Thema ist hier Tabu." In der Schlange tummeln sich auch Teenager herum. Weibliche Teenager. Da könnten welche von 'denen' dabei sein und mithören. Ein bisschen gesunde Paranoia hat noch keinem geschadet.

Nicole hebt Zeigefinger und Daumen zum Mund und zieht einen imaginären Reißverschluss zu. Braves Kind. Sie lernt dazu.
 

Die Schlange geht nur langsam voran. Jeder Kunde hat Extrawünsche, will etwas zugeschnitten haben, oder etwas, dass die Bedienung erst von hinten herholen muss. War ja klar! Murphys Gesetz schlägt mal wieder zu.

Als wir dann kurz davor sind drangenommen zu werden, wiege ich mich schon in freudiger Erwartung, hier endlich wegzukommen, doch da habe ich mich leider geschnitten.

Die Frau vor uns hört gar nicht mehr auf mit ihren Bestellungen, während ihr Baby weiter munter herumplärrt. Ihr Man hat schon längst aufgegeben, das Kind vom Heulen abzuhalten.

150 Gramm Aufschnitt, 200 Gramm Salami, von der Bärchenwurst auch noch 100 Gramm, und so weiter und so fort. Alles schön in Scheiben geschnitten, extra verpackt und nochmal abgewogen, damit auch ja kein Gramm zu viel in der Tüte landet. Ich knirsche mit den Zähnen und tippe unruhig mit dem linken Daumen auf dem Griff des Einkaufswagens herum. Ich springe der Kuh gleich an die Gurgel! Ich schwöre!

Auch Nicole schnaubt, schüttelt den Kopf und verdreht ihre Augen. "Kein Wunder, dass die so dick ist", brummelt sie.

Ich grinse verstohlen. Mama zischt ihr dagegen ein "Psst!" zu. Am liebsten hätte ich gesagt, dass Nicole doch Recht hat, aber ich halte die Klappe. Auf ein Drama vor der Fleischtheke habe ich wirklich keine Lust.

Nach etwas Geduld und gelangweilten Blättern in Nicoles Teenagerzeitschrift, sind wir endlich dran.

Mama bestellt alles, was sie für das morgige Essen noch benötigt, dann können wir uns zum Glück auf den Weg zu Kasse machen. Hier ist ebenfalls viel los, aber wenigstens arbeiten die Kassiererinnen zügig und schieben alles im Eiltempo über den Scanner. Ich stelle mich an, während Nicole und Mama noch schnell die Eistruhe plündern.

Aufs Band kann ich noch nichts legen, daher lehne ich mich gegen den Wagen und studiere die Filmtitel des DVD Ständers neben mir. Alles schon gesehen oder totaler Mist.

Plötzlich klingelt es in meiner Hose. Mein Handy.

Meilos Konterfei grinst mich vom Display her an. Erfreut hebe ich ab. "Hey du", melde ich mich.

/Hallo mein Süßer./ All der Stress der vergangenen Stunde ist vergessen. /Wollte mal hören, ob für morgen alles steht./

"Stehen?", lache ich. "Wenn du mir ein paar Minuten gibst …"

/Das meinte ich nicht/, kichert mein Schatz. /Ich wollte wissen, ob du schon weißt, wann du ungefähr ankommst./

"Ach so. Sag das doch." Natürlich wusste ich von Anfang an, wie er das gemeint hat. "Um kurz nach zwölf düse ich los. Sobald ich aus dem Weinkeller komme. Wann genau ich dann bei dir bin, kann ich noch nicht genau sagen. Kommt auf den Verkehr an."

/Okay. Für alle Fälle hast du ja meinen Zweitschlüssel./

"Hab ich." Den hatte er mir bei meinem letzten Berlin-Aufenthalt ganz hinterlistig an meinen Schlüsselbund gehängt.

/Vergiss ihn nur nicht. Den muss ich noch abgeben./

"Weiß ich doch."

"Entschuldigung. Ich muss mal hier durch." Ein junger Mann drängelt sich erst an mir, dann weiter an den Anstehenden Supermarktbesucher vorbei.

/Bist du unterwegs?/, fragt Meilo.

"Ja. Ich wurde zum Einkaufen verdonnert. Meine Mutter und Nicole sind auch hier."

/Grüß mal./

"Mach ich nachher." Ich schaue mich um. "Sie stehen vor der Eistruhe und diskutieren die Eissorten aus." Immer das Selbe mit den beiden.

Meilo lacht. /Dann lass sie mal diskutieren. Telefonieren wir heute Abend nochmal?/

"Logisch. So um sieben?"

/Alles klar. Ich warte vorm Telefon./

"Tu das", kichere ich. "Bye."

/Bye, bye./
 

Mein Handy wandert zurück in die Hosentasche. Gerade rechtzeitig. Nicole und meine Mutter kommen zurück und vor mir räumt sich glücklicherweise Kassenband. Das Ende unseres nervigen Einkaufstrips steht uns kurz bevor. Heureka!

Meine Mutter fängt an, alles aufs Band zu legen. Nicole rührt wie immer keinen Finger, also gehe ich meiner Mutter zur Hand. Es ist nicht zu fassen, wie viel Zeug sie gekauft hat! "Da hast du dir aber ganz schön was vorgenommen", sage ich zu ihr und betrachte den Berg an Lebensmitteln vor uns. "Ist das alles für morgen?"

"Nicht nur. Aber da wir ab nächsten Jahr ein Maul mehr stopfen müssen, brauchen wir mehr Vorräte."

"Ein Maul mehr?" Wir klingt denn das nun wieder? "Mama. Du musst Meilo und mich nicht mit durchfüttern. Wir kaufen unseren Kram selbst."

"Zu spät", grinst sie mich an und räumt ein Glas Senf aufs Band.
 

Das Bezahlen geht ratzfatz (Mama bezahlt immer bar. Sie hasst es, mit Karte zu zahlen). All die Einkäufe im Auto verstaut, machen wir uns auf den Heimweg.

Inzwischen ist es halb drei Nachmittags. Bald ist der Tag vorbei und morgen ist der große Tag. Keith wird sterben. Es lebe Meilo!

Zuhause schleppen wir alles in die Wohnung. Auch Nicole muss helfen, was keine großen Begeisterungstürme bei ihr auslöst. Sie ist eben doch noch ein pubertärer Teenager.

"Wie schnell Nicole laufen kann", sage ich zu meiner Mutter, die mit mir zusammen in der Küche steht. Wir räumen die Lebensmittel in die Schränke, und mein liebes Schwesterlein hat sich klammheimlich aus dem Staub gemacht.

"Sie hat noch einiges zu tun", meint meine Mutter.

"Was denn? Im Bett liegen und pennen?" In dem Alter braucht man anscheinend viel Schlaf. Liegt sicher an den Hormonen.

"Sie räumt ihr Zimmer um."

"Wow. Schwerstarbeit", schnaube ich sarkastisch. "Will sie noch mehr Platz schaffen, um bunte Bildchen aufzuhängen?" 'Von meinem Mann', füge ich gedanklich hinzu.

"Ganz im Gegenteil." Hm? Ich schaue Mama fragend an. "Sie will die ganzen Bilder abhängen."

Ich fange an zu lachen. "Veräpple mich nicht! Das würde sie doch niemals machen."

"Dann geh, nachsehen. Sie hat schon viel geschafft." Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Als ob Nicole ihre heißgeliebten Keith-Bildchen abhängen würde. Das ich nicht lache. Ha!
 

Bevor ich Nicoles Zimmer betrete, klopfe ich an. "Nicole?"

"Hä?" Ich verdrehe die Augen.

"Das heißt wie bitte. ... Kann ich reinkommen?"

"Klar." Neugierig öffne ich die Tür. Weit bekomme ich sie nicht auf. "Pass auf. Mein Kleiderschrank steht hinter der Tür", ruft Nicole mir zu. Oookay ...

Ich drücke mich durch den Türspalt und stehe vor besagtem Schrank. "Warum steht der hier?", will ich von ihr wissen. Ein sehr ungünstigster Platz für einen Schrank, finde ich.

"Ich brauche Platz. Mein Bett soll dort hin, wo der Schrank war."

"Na dann ..." Erstaunt schaue ich mich um. Die Bilder sind tatsächlich weg! Dort wo sie an die Wand geklebt waren, sind jetzt helle Flecke und Reste von Klebestreifen zu sehen. "Wo sind all die Bilder?"

"Hier." Sie zeigt auf eine Kiste.

"Du machst die ins Altpapier?"

"Was? Nein! Die hebe ich auf", keift meine Schwester mich an. Wäre auch ein Wunder gewesen.

"Und warum hast du die überhaupt abgemacht?" Sie zuckt mit den Schultern und schaut verlegen weg. Langsam fange ich an zu verstehen und grinse breit.

"Etwa weil Meilo kommt?"

"Quatscht!", braust sie auf. Treffer versenkt.

"Und die Aufsteller? Wo machst du die hin?"

"Weiß ich noch nicht." Beinahe hilflos guckt sie sich in ihrem Zimmer um. "So viel Platz habe ich ja nicht." Hm. Mir kommt eine Idee.

"Hör mal. Mama und ich haben darüber nachgedacht, was aus meinem Zimmer wird, wenn ich wieder ausziehe."

"Soll das nicht ein Gästezimmer werden?"

"Wir haben doch die große Ausziehcouch im Wohnzimmer. Und unten im Raum neben Mamas Nähstube steht zur Not noch das alte Ehebett unserer Eltern. Platz für Gäste ist genug da."

"Und was wird dann aus deinem Zimmer?"

"Nimm du es", antworte ich. "Papa könnte einen Durchbruch machen. So wäre dein Zimmer doppelt so groß." Nicole starrt mich ungläubig an.

"Echt?", haucht sie mit großen Augen.

"Echt." Tatsächlich haben wir genau das gestern Abend miteinander besprochen. Für mein Zimmer gibt es keinen Verwendungszweck mehr. Vor meinem Einzug nach Kilians Rausschmiss diente es eigentlich nur als Abstellraum. Größtenteils für meine alten Möbel, da bei Kilian dafür kein Platz war, doch die kann ich jetzt in unserem Haus unterbringen.

"Das ist ja cool!", ruft Nicole und springt mir entgegen. Mir fliegen fast die Ohren weg. "Danke! Danke, danke!" Sie drückt sich an mir vorbei durch die Tür und weg ist sie.

Leicht verdattert bleibe ich zurück. Wie überschwänglich und nett Nicole sein kann, überrascht mich immer wieder.
 

Unschlüssig schaue ich mich in dem kleinen Zimmer um. Es ist total vollgestopft. Und ich rede ausnahmsweise mal nicht von dem ganzen Keith-Kram.

Neben Bett und Schrank verstopfen noch drei Bücherregale und ein Schreibtisch das Zimmerchen. Platz zum Laufen ist nur wenig. Jetzt noch weniger, weil alles durcheinander steht. Auf dem Bett türmen sich Kleidungsstapel. Sicher, damit sie den Kleiderschrank verrücken konnte. Neben dem Bett steht der mit Bildern gefüllte Karton nebst den Pappaufstellern. Langsam gehe ich darauf zu und schaue in den Karton hinein. Fein säuberlich liegen sie da. Lauter geschminkte Versionen von meinem Schatz.

Das erinnert mich an vergangenen Sommer. Wie ich diese Bilder das erste Mal angesehen habe. Hätte ich damals gewusst, dass dieser tuntige Typ eines Tages der Mann an meiner Seite wird, dann hätte ich diese Bilder mit ganz anderen Augen gesehen. Vor allem hätte ich nicht so abfällig über ihn geredet.

Ich nehme eins der Bilder aus dem Karton und betrachte es. Es ist aus einer Zeitschrift ausgeschnitten worden. Mit stechenden Blick schaut Meilo in die Kamera. Heiß. Trotz Keith-Look. Der Blick ist unverkennbar der von Meilo. Meinem Meilo ...

Vom Flur her dringt ein weiterer Freudenschrei Nicoles. Wetten, sie hat mit Mama geredet, die ihr meine Geschichte bestätigt hat? Hoffentlich flippt Nicole jetzt nicht total aus. Wenn sie etwas will, kann sie sehr hektisch und ungeduldig werden.
 

Das Bild flattert mir aus den Händen zurück in den Karton. Seufzend verlasse ich das vollgestopfte Jugendzimmer und laufe ins Wohnzimmer. Keiner da.

Ich haue mich auf die Couch und stelle den Fernseher an. In der Küche höre ich noch immer Nicole quietschen und mit Mama reden. Vielleicht hätte ich ihr noch nichts von den Plänen erzählen sollen ...

"Nic?"

"Hm?" Nicole steht plötzlich vor mir.

"Darf ich in dein Zimmer?"

"Ähm. Ja. Klar."

"Cool!" Fröhlich hüpft mein Schwesterlein davon. In ihrer rechten Hand einen Zollstock.

"Oh Mann", brumme ich, schalte den TV wieder aus und laufe ihr nach.

Als hätte ich es vorhergesagt. Nun flippt sie aus.

Ich bin kaum in meinem Zimmer, da sehe ich sie auch schon vor einer der Wände stehen. Den Zollstock ausgebreitet, misst sie deren Länge und notiert sie sich in ihrem Handy.

"Du weißt schon, dass Meilo und ich hier noch eine Zeit lang wohnen werden", informiere ich sie.

"Ja", sagt sie halb abwesend, ganz konzentriert auf ihr Tun. "Aber ich will schon mal überlegen, wo ich was hinstelle." Innerlich raufe ich mir die Haare. Ich hätte es ihr noch nicht sagen sollen! "Mama meinte, die Zwischenwand kann ganz raus. Das ist nur eine Rigipswand."

"So so ..." Baufirma Nicole zeigt ja vollen Einsatz. "Dann messe mal schön weiter." Nix wie raus hier. Soll sie eben anfangen zu planen, aber bitte ohne mich.

Diesmal gehe ich in die Küche. "Freu dich Mama. Deine Kinder schmieden beide Umzugspläne", sage ich zu meiner Mutter, die über einem Kochbuch brütet, und lasse mich auf einen Küchenstuhl fallen. "Nicole wuselt mit einem Zollstock in der Hand in meinem Zimmer herum."

"Und?", fragt sie mich schleppend. Das Rezept muss ja spannend sein.

"Sag ihr mal bei Gelegenheit, dass ihr Zimmerausbau noch ein paar Wochen warten muss."

"Lass sie doch. Sie freut sich riesig auf ein größeres Zimmer. Du weißt doch, dass sie schon lange herumschmollt, weil sie nur so wenig Platz für sich hat."

"Du meinst so wenig Platz für Keith", verbessere ich sie. Endlich dreht sie ihren Kopf zu mir, anstatt weiter ins Kochbuch zu starren. "Wetten, sobald ich weg bin, hängen die Bilder wieder an der Wand?"

"Dann hängen sie eben." Ich brumme missmutig. Mama fängt an zu grinsen und kommt zu mir an den Küchentisch. "Sag mal, könnte es sein, dass du eifersüchtig bist?" Wie bitte?!

"Eifersüchtig? Ich? Auf was?"

"Darauf, dass deine Schwester immer noch an deinem Lover hängt."

"So ein Unsinn!", zische ich, schaue aber nach unten und mustere die Tischdecke. So ganz Unrecht hat meine Mutter leider nicht. Es stößt mir immer noch auf, dass Nicole Meilo anschmachtet.

"Na ich weiß nicht … Dich regt das alles zu viel auf."

"Pff!"

"Falls es dich tröstet, Nicole hat einen Freund."

Überrascht richte ich meinen Blick wieder auf meine Mutter. "Echt?" Sie nickt. "Doch nicht etwa der Typ, von dem sie die ganze Zeit über geschwärmt hat?"

"Genau der." Was sagt man dazu? Nicole hat einen Freund! Und dann auch noch ihren Schwarm. Wie sie das nur hinbekommen hat?

"Der Arme", scherze ich, was meine Mutter nicht so lustig findet. Sie straft mich mit einem bösen Blick. "War nur ein Scherz!"

"Hoffentlich. Nicole ist nämlich noch ziemlich unsicher und empfindlich in dieser Sache. Das ist ihre erste richtige Beziehung." Die Wörter Schwester und Beziehung wollen in meinem Verstand nicht so recht zusammenpassen, aber nun gut. Ich freue mich für meine kleine Nicole.

"Habt ihr ihn schon kennengelernt?"

"Noch nicht. Papa weiß noch nichts davon." Oha. Der große Häuptling wird nicht leicht zu besänftigen sein. Sein kleines Mädchen wird erwachsen und hat einen festen Freund. Das wird ihm wieder einige graue Haare bescheren. Die ersten grauen Strähnen hat er damals von mir bekommen, als wir ihm sagten, dass ich ihm niemals eine schöne Schwiegertochter mit nach Hause bringen werde. Er war nicht sauer deswegen, aber er hatte daran zu knabbern, auch wenn er das niemals zugegeben hat.

"Wann wollt ihr es ihm sagen?"

"Das muss Nicole wissen."

"Wie?" Ich mache große Augen. "Du hältst dich da raus?" Ein einfaches Nicken ihrerseits. "Seit wann hältst du dich aus den Liebesangelegenheiten deiner Kinder?"

Sie stürzt die Lippen. "Bei Nicole muss man behutsam vorgehen. Du weißt doch, wie schnell sie beleidigt ist und in die Luft geht."

"Danke, dass du bei mir ebenfalls so behutsam warst", erwidere ich eingeschnappt und verschränke beleidigt die Arme vor der Brust.

Ich bin nicht wirklich beleidigt, aber überrascht. So viel Zurückhaltung hätte ich meiner Mutter niemals zugetraut.

"Wenn ich Zeit habe, bemitleide ich dich vielleicht mal", 'tröstet' meine Mutter mich und steht wieder auf, um weiter im Kochbuch zu blättern.

"Danke. Sehr nett von dir." Sie lächelt mir zu und ich beschließe, mich mal wieder meinem Programm zu widmen. Vorausgesetzt, Nicole ist fertig mit Ausmessen.
 

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