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Herzenswille

von

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Ein einsamer Reiter

Ein einsamer Reiter durchquerte die Straßen von Paris. Er war von langen Kämpfen gekennzeichnet, hager und verhärmt. Achtsam schielte er in alle Richtungen, aber kein Mensch beachtete ihn. Jeder von ihnen ging seiner Tätigkeit nach.

 

Langsam erreichte er einen großen Marktplatz und zügelte am Rande sein Pferd. Keineswegs wollte er auffallen, obwohl die Lage in Frankreich momentan eher friedlich war. Dennoch prägten grauenvolle Bilder sein Unterbewusstsein, als wäre es gestern geschehen. Im geistigen Auge ließ er sie alle noch einmal aufleben:

 

Die Bastille wurde vom wütenden Volk eingenommen und drei Monate später auch Versailles gestürmt. Weder sie, noch ihr Geliebter waren dabei. Ob sie schon bei dem Sturm auf die Bastille umgekommen war?

 

Nein, unmöglich. Der Reiter schüttelte im Sattel den Kopf. Dieses bürgerliche Mädchen Namens Rosalie hatte später seiner Frau über den Sturm auf die Bastille erzählt und ihr aus dem stürmenden Versailles noch rechtzeitig geholfen. Rosalie hatte seiner Frau beigestanden und nach Anwesen gebracht, nachdem die wütenden Bürger die Königsfamilie aus Versailles in den Tuilerienpalais verbannt hatten. Seine Frau befand sich in einem sehr labilen, geschwächten Zustand und Rosalie kümmerte sich um sie, denn alle Bediensteten des Hauses hatten schon längst das Anwesen verlassen.

 

Rosalie hatte noch viel mehr über sie seiner Frau erzählt und ihr versichert, dass es ihnen gut ging. Und Rosalie hatte noch anschließend hinzugefügt, dass sie verheiratet sei und seine Frau gab ihr durch Rosalie ihr Segen. Aber nicht er! Seine Frau mochte das getröstet haben, aber nicht ihn! Das hatte ihn noch zorniger, verbitterter gemacht. Er hatte sich endgültig von ihr losgesagt und verlor keinen Gedanken mehr an sie, denn es gab Wichtigeres zu tun:

 

Er und die letzten Getreuen seiner Majestät, darunter auch Graf von Fersen und Graf de Girodel, planten eine Flucht für die Königsfamilie aus dem Tuilerienpalais, Paris und dann ganz aus Frankreich. Ein halbes Jahr später, im Juni 1791, war es ihnen gelungen und dabei begegnete er ihr. Graf von Fersen hatte sie und ihren Mann in Arras aufgesucht und darum gebeten, bei der Flucht mitzuhelfen. Sie sagte, sie erfüllte die letzte Pflicht, aber er hatte ihr nicht zugehört und sie nicht einmal eines Blickes gewürdigt.

 

Die Flucht der Königsfamilie lief wie geplant – am Anfang. An ihrem ersten Zielort, wo die Kutschpferde ausgetauscht wurden, entließ der König den Grafen von Fersen – auch sie und ihren Mann. Er wusste nicht, ob er froh sein sollte, dass sie fort war. Die Flucht danach scheiterte, man brachte die Königsfamilie zurück nach Paris und urteilte über sie. Die nächsten Fluchtversuche schlugen auch fehl und dann rollten die Köpfe, die Monarchie war gestürzt und der Adel entmachtet. Nach der Hinrichtung des Königs und später der Königin hielt ihn nichts mehr in Frankreich auf – er hatte sie ja an der Guillotine gesehen und wie sie es zuließ, dass man sie hinrichten wollte. Wie töricht... Und sie hatte Blut gespuckt... Deshalb also war ihr Leben ihr nicht mehr von Bedeutung... Was war aber aus ihrem Mann und ihrem Kind geworden? Wo waren sie? Oder hieß es etwa...

 

Dann hatte man ihr das Haar abgeschnitten – ihr goldblondes, schönes Haar... und plötzlich hatte sie den Blick gehoben und in seine Richtung geschaut – mit dem klaren, stechenden Blick ihrer unergründlichen, blauen Augen! Hatte sie ihn etwa entdeckt? Es hatte zumindest danach ausgesehen...

 

Er konnte das nicht mehr länger ertragen, hatte sein Pferd gewendet und war fortgeritten. Auch wenn ihn ein schlechtes Gewissen geplagt hatte und es ihm im tiefsten Winkel seiner Hartherzigkeit leid tat, er konnte ihr nicht mehr helfen – sie wäre so oder so gestorben... Wenn nicht durch die Guillotine, dann an ihrer Krankheit...

 

Er nahm sein letztes Hab und Gut und floh zusammen mit seiner Frau ins Ausland. Gerade rechtzeitig, denn dann richtete man auch die Offiziere und Soldaten, die dem Königspaar gedient hatten - darunter auch Graf de Girodel.

 

Nun, fast elf Jahre später nach dem Sturm auf die Bastille, war er wieder hier in Frankreich – nach dem letzten Wunsch seiner Frau, die im Exil im Ausland vor Kurzem verstorben war...

 

Der einsame Reiter trieb sein Pferd im leichten Gang an – er wollte in dieser Stadt nicht länger bleiben und sich aufhalten! Auf der Suche nach ihr verließ er Paris. Es gab nur wenige Orte, wo sie sein könnte: Sein Anwesen zählte nicht mehr dazu, denn es war wie viele andere dem Boden gleichgemacht und in Paris, bei dieser Rosalie oder sonst wo in der Stadt, glaubte er sie auch nicht vorzufinden. Also blieb noch das Gut in Arras und das Haus in der Normandie übrig, wenn es überhaupt noch heil vor Plünderungen und Brandschatzung geblieben war. Arras lag näher und er versuchte dort sein Glück. Wenn sie überhaupt noch lebte! Das mütterliche Herz seiner Frau hatte bis zu ihrem Tod daran geglaubt, wo er dagegen seine Zweifeln hatte... Aber gut, er wollte den letzten Wunsch seiner Frau erfüllen – schon alleine, weil es sein Ehrgefühl das von ihm verlangte und deshalb war er wieder hier in Frankreich...

 

 

 

- - -

 

 

 

Spätabends saß er im Gasthof „Zum alten Allas“ an einem abgeschiedenen Tisch – einsam und ungestört, und widmete sich seinem Mahl zu. Die Gaststube war nicht allzu sehr mit Menschen gefüllt. Sie bildeten vereinzelte Grüppchen und unterhielten sich leutselig beim guten Bier über neue Zeiten. Die Hälfte von ihnen bestand aus jungen Burschen, aber allesamt waren sie Bauern – ansehnliche Bauern. Sie ernährten sich schon lange nicht mehr von Kartoffelschalen, sondern betrieben selbst ihre Geschäfte.

 

Unvermittelt hörte er plötzlich ihren Namen und spitzte seine Ohren, wobei er ungerührt dabei weiter aß. Es bestand also doch die Hoffnung, dass sie noch lebte?! Sie hatte hier eine beträchtliche Summe investiert, den Menschen auf die Beine geholfen und belieferte dieses Wirtshaus monatlich mit essbaren Produkten und Wein oder Bier. Woher sie dafür das Geld hatte, wollte er nicht wissen und das interessierte ihn nicht einmal. Aus ihr wurde also eine Geschäftsfrau und alle schätzten sie hier sehr, obwohl sie adliger Herkunft war. Durch ihren Mann gehörte sie aber schon längst nicht dem Adel an und die Geschäfte liefen sowieso auf seinen Namen, wie er aus den Gesprächen der jungen Burschen mitbekommen hatte. So lebte sie also – als Wohltäterin und Gönnerin des einfachen Volkes! Er hatte genug gehört, bezahlte seine Zeche und ging auf sein Zimmer, das er für heute Nacht gemietet hatte.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

In der Normandie fand er ihr Haus auf Anhieb. Sie hatte es ausbauen lassen! Hinter ihm erstreckte sich ein großes Feld - in zwei Flächen aufgeteilt: Auf einer Hälfte wuchsen grüppchenweise Obstbäume und auf der anderen, in Reihen angelegt, Gemüse. Menschen arbeiteten dort – bestimmt freiwillige Einwohner, die sie gut bezahlte. Denn keiner von ihnen sah missgelaunt, abgerackert oder erzwungen aus.

 

Und dann sah er sie! Also hatten die Gefühle seiner Frau nicht gelogen und sie war tatsächlich am Leben! Sie ging mit einer jungen Frau und einem etwa zehnjährigen Knaben aus dem Haus. Sie trug Hose und Ausgehjacke wie ein Mann, aber er erkannte sie schon aus der Ferne. Ihr blondes, lockiges Haar war in den Jahren anscheinend wieder bis zu den Schulterblättern nachgewachsen und leuchtete nur so in dem Sonnenlicht - wie auch das des Jungen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, dass dieser Junge ihr Sohn war. Auch in ihrer aufrechten Haltung und stolzen Erscheinung, hatte sie sich kaum geändert. Sie stieg mit dem Jungen und dem Mädchen in eine Pritsche und fuhr los.

 

Er verfolgte sie mit großem Abstand, bis zu einem Friedhof. Die Kutsche hielt dort an, sie stieg mit den beiden aus und besuchte mit ihnen ein bestimmtes Grab. Er runzelte die Stirn. Wer war da gestorben? Doch nicht etwa ihr Mann? Er hatte ihn weder auf dem Feld, noch an dem Haus gesehen. Und soweit er sich erinnerte, war sie seit klein auf nur mit ihm zusammen...

 

Er wartete, bis sie mit den beiden den Friedhof verließ, in die Droschke einstieg und wegfuhr. Dann trieb er sein Pferd an, stieg aus dem Sattel und besuchte selbst das Grab. Nicht ihr Mann lag dort begraben, sondern dessen Großmutter. Ein einfaches Begräbnis, mit dem Namen der alten Haushälterin auf dem Grabstein und frische, auf die Erde gelegte Blumen. Er hielt eine kurze Schweigeminute, kehrte dann zu seinem Pferd zurück und ritt fort, zu ihrem Haus zurück.

 

Die Droschke war nirgends mehr zu sehen, dafür aber die junge Frau mit dem Knaben auf dem Hof. Er stieg aus dem Sattel, führte sein Pferd hinter sich an den Zügeln und kam auf die zwei zu.

 

„Guten Tag, Monsieur.“, begrüßte die junge Frau ihn freundlich. „Wie kann ich Euch helfen?“

 

Er räusperte sich in die Faust, bevor er im rauen Ton sagte: „Ich will Oscar sprechen.“

 

„Ich heiße auch Oscar!“, hörte er den Jungen an ihrer Seite sagen und sah ihn genauer an. Grünblaue Augen betrachteten ihn neugierig und standhaft.

 

„Monsieur meint sicherlich nicht dich, sondern deine Mutter.“, sagte die junge Frau sanft und schenkte ihre Aufmerksamkeit dann gleich wieder ihm. „Verzeiht, aber Madame Oscar ist noch unterwegs und kommt später nach. Soll ich ihr etwas ausrichten? Oder möchtet Ihr lieber im Haus auf sie warten?“

 

„Ich warte!“, beschied er knapp. „Ich habe nicht den langen Weg auf mich genommen, um gleich zu gehen, ohne sie gesprochen zu haben!“

 

„Und wer seid Ihr?“, fragte der Junge unerschrocken, bevor die junge Frau den Gast in das Haus einlud.

 

Dieser sah auf ihn herab – streng und mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ich war früher ein General. Mein Name ist Reynier de Jarjayes und ich bin Vater deiner Mutter.“

 

Die Augen der jungen Frau weiteten sich vor Unglaube, die des Jungen leuchteten dagegen freudig. „Ihr seid also mein Großvater! Maman hat über Euch vieles erzählt!“

 

„Ach ja?“ Reynier war von dem Verhalten des Jungen überrascht und war zugegebener maßen auch bewegt. Dieser nickte eifrig und stellte sich aufrecht. „Möchtet Ihr in den Pavillon unseres Gartens?“

 

„Liebend gern, mein Junge.“ Etwas in dem sonnigen, unbeschwerten Gemüt seines Enkels bewog den strenggesonnenen General zu lächeln. Die junge Frau geleitete ihn in den Pavillon des Blumengartens, der hinter dem Haus lag und ließ ihn dort mit ihrem Schützling alleine, während sie Tee für den Gast zubereite. Keiner der beiden wusste, dass sie dabei aus der Entfernung beobachtet wurden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chrizzly
2016-08-19T19:17:56+00:00 19.08.2016 21:17
Wunderbar. Also echt. Das war jetzt echt ein Kapitel. Erste Sahne 😍😍😍 mehr kann ich nicht sage. Einfach nur toll.
Antwort von:  Saph_ira
19.08.2016 21:19
Danke, danke, dankeschön! :D ;D
Von:  YngvartheViking86
2016-08-16T17:48:26+00:00 16.08.2016 19:48
Ein sehr schönes Kapitel.
Nun weiß man was über die Jahre passiert ist, aber dennoch mache ich mir etwas Gedanken um Andre.
Ich kann den Abschluss kaum erwarten :)
LG Chris
Antwort von:  Saph_ira
16.08.2016 20:04
Dankeschön. :D
Aber wieso machst du dir um André Gedanken? Im Grab war ja seine Großmutter.
Liebe Grüße,
Ira


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