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Herzenswille

von

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Hoffnung

Ihre Lunge brannte, das Ungeborene trat im Mutterleib und Oscar hatte Mühe das alles zu verbergen, während sie, umringt von der königlichen Garde, die Zugbrücke der Bastille passierte. Es gab kein Entrinnen, auch wenn sie der ehemalige Kommandant dieser Soldaten war! Sie würden es nicht wagen sie zu töten, aber auch nicht freilassen – das war Oscar bewusst. Denn die Männer befolgten nur den ausdrücklichen Befehl des Königs. Befehl des Königs... Oscar dachte kurz daran, was in den letzten Stunden vorgefallen war: Wie geahnt, hatte man sie nach Versailles gebracht und sofort in den Audienzsaal vor dem König und der Königin geführt.

 

Wie konntet Ihr Euch nur den Aufständischen anschließen? Ihr gehört doch dem Adel an und habt uns als Kommandant des königlichen Garderegiments zwanzig Jahre lang treu gedient!“, erinnerte sich Oscar an verständnisloses und anschuldigendes Wispern von Marie Antoinette, die vielleicht die einzige von den Anwesenden noch immer im tiefsten Winkel ihres Herzens so etwas wie Mitgefühl zu Oscar brachte. Nicht wegen dem Handel und der Situation, in der ihre langjährige Freundin sich befand, sondern ihres Umstandes wegen und weil sie nun kaum was hatte, um durchkommen zu können. Die Königin hätte ihr gerne geholfen, aber sie wusste, dass Oscar es ablehnen würde. Und auch so wäre ihre Hilfsbereitschaft nicht angemessen – nicht nach dem was Oscar in den letzten Stunden angerichtet hatte... Auch wenn Oscar ihren mitleidigen Blick nicht sah, hatte sie es deutlich auf sich gespürt – sie kannte doch Marie Antoinette schon seit fast zwanzig Jahren und das machte es ihrem Herzen noch schwerer. Wie oft hatte sie in der Vergangenheit Ihre Majestät die Augen zu öffnen versucht und sie darauf angesprochen, dass das Volk hungerte und im Elend lebte?! Nichts hatte genützt... Sie ließ sich lieber von den falschen Beratern ausnutzen und kannte kein anderes Leben außerhalb von Versailles. Auch jetzt hatte sie keine Vorstellung, wie schlecht es dem Volk ging, dass die Aufstände wegen Armut und hohen Steuern entflammten und Oscar deshalb die Seiten gewechselt hatte, weil sie das nicht mehr ertragen konnte. Besser gesagt, sie konnte das Leid nicht mehr länger mit ansehen und erst recht nicht, dass mit Waffengewalt gegen die einfachen Bürger vorangegangen wurde und das hatte Ihre Majestät nicht verstanden. Diese Tatsache hatte Oscar wehmütig gestimmt, erinnerte sie sich bitter und ebenso an das verächtliche Grollen ihres Vaters, der gleich nach der Königin seine Stimme erhoben hatte: „Du elende Verräterin! Ich hätte dich doch köpfen sollen, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte!“

 

Oscar hatte weder die Königin noch ihren Vater angeschaut. Mit gesenktem Haupt und gebeugtem Knie hatte sie die harte Worte über sich ergehen lassen und die Zähne zusammengebissen, um ihre Wut und Zorn zu verbergen, weil niemand sie hier verstehen wollte und ihr Vergehen nachvollziehen konnte. Es hätte nichts gebracht, wenn sie sich ihnen widersetzt hätte – sie wäre ganz bestimmt auf taube Ohren gestoßen, wie schon einige Male zuvor... Und auch so wäre sie erst recht nicht zum Wort gekommen, denn nach ihrem Vater hatte der König sogleich sein Urteil gefällt: „Lady Oscar, Ihr habt Eure Loyalität gegenüber uns zum wiederholten Mal in Frage gestellt und wir sind sehr enttäuscht von Euch. Für Euren Verrat müssen wir Euch dem Kriegsgericht übergeben und bis dahin werdet Ihr deshalb vorübergehend in die Bastille gebracht, bis man über Euch entschieden hat. Es tut uns leid, aber wir sehen in diesen unruhigen Zeiten keinen Ausweg mehr.“

 

Oscar hatte keinen Widerstand geleistet, als die königlichen Soldaten sie abführten und unter dem Kommando von Graf de Girodel zur Bastille brachten. Zugegeben, Oscar hatte schon erwogen, auf dem Hinweg auszureißen und zu fliehen. Jedoch wäre sie in ihrem Umstand und ohne ihre Waffen nicht weit gekommen. Obwohl es draußen bereits die Dunkelheit des späten Abends herrschte, aber sie musste an ihr Kind denken, das mit kleinen Tritten in ihrem Leib sich erneut bemerkbar machte... Ihr und Andrés Kind! Was ihr Mann und ihre Soldaten jetzt wohl machten? Hatten sie es alle zu den Barrikaden unverletzt und unversehrt geschafft?

 

Oscar hoffte darauf sehr und mitten auf dem Weg zu dem Gefängnis beschlich sie plötzlich der Verdacht, dass sie verfolgt wurden. Es wäre schön, wenn dem so wäre. Ihre Wächter würden dann bestimmt aus dem Hinterhalt angegriffen werden und ihr somit zur Flucht verhelfen. Wer diese Verfolger sein würden, interessierte Oscar in dem Augenblick nicht. Denn im Sturm des Gefechts würde man sie nicht beachten oder die Angreifer würden ihre Männer aus der Söldnertruppe sein, die nach ihrem Oberst suchten... So malte sich Oscar unterwegs die Möglichkeiten ihrer Flucht aus, aber es geschah nichts... Oder hatte sie sich getäuscht und es gab keine Verfolger? War das etwa nur ihre Einbildung, ein Hirngespinst?

 

Nun führte man sie bereits in die Festung, die schon seit Jahrzehnten für politische Gefangene als Staatsgefängnis diente - sehr passend für sie, und sie gab endgültig die Hoffnung auf eine Flucht auf. Man führte sie bis den innere Kern und ließ sie in eine muffige Zelle herein. „Ihr solltet froh sein, dass der König Euch die Gnade gewährt und Euer Leben verschont“, meinte de Girodel und nahm ihr die Fesseln ab. Das war das erste Mal, dass er seit Versailles und bis hierher mit ihr gesprochen hatte. Es war ihm bestimmt noch immer unbegreiflich, was sie getan hatte.

 

„Vorübergehend.“ Oscar blieb kühl und ruhig. „Ihr wart doch dabei, als er sein Urteil fällte.“

 

Victor seufzte schwer. Er hatte schon mehrere Male versucht seine Liebe aus seinem Herzen zu verbannen, aber seine tiefen Gefühle konnten einfach nicht von dieser Frau loslassen. „Ihr müsst verstehen, Lady Oscar, es gibt doch so viel zu tun.“

 

„Das eigene Volk niedermetzeln zu lassen?“, höhnte sie.

 

Girodel verstand die Abscheu nicht, die aus ihrer Stimme zu hören war und die sich auch in ihrem eisigen Blick widerspiegelte. Das schmerzte mehr als die Ablehnung seines Heiratsantrages vor wenigen Monaten! Dennoch appellierte er auf die alte Kameradschaft zu ihr mit dem letzten Hoffnungsschimmer und versuchte sie daher etwas mit Nachdruck aufzuklären: „Das sind Verräter, Lady Oscar und es wäre doch auch Eure Pflicht, die Aufständischen zu bekämpfen. Aber stattdessen habt Ihr die Seiten gewechselt.“

 

War er etwa auch so verblendet, wie die meisten Adligen von dem monarchistischen Regime und merkte nicht, was er da sagte? Oscar holte tief Luft, in ihren Lungen rasselte es wieder und es würde nicht lange dauern, bis der Husten kommt... Das wäre aber nicht gerade passend. Langsam atmete sie aus, zog ihre Augenbrauen noch strenger zusammen und konterte betonend und energisch zurück: „Ich kämpfe nicht gegen meine Mitbürger und richte meine Waffen auch nicht gegen unschuldige Menschen - das habe ich Euch schon mal gesagt!“

 

Das saß und zerrte an Girodels Ehrgefühl – wenn sie ein Wortgefecht dieser Art haben wollte, dann sollte sie es auch bekommen! „Und ich habe Euch gesagt, wir warten, bis sie zu den Waffen greifen und dann werden wir gegen sie kämpfen! Nun scheint es einzutreten. Aber wir werden schon siegen! Ob mit Euch oder ohne Euch, das braucht Euch nicht mehr zu kümmern!“

 

Zu der Abscheulichkeit und Verachtung gegenüber ihrem ehemaligen Untergebenen und seinen Worten gesellte sich auch Argwohn in Oscar. „Was macht denn Euch so sicher?“

 

„Die Kanonen auf der Bastille sind bereits auf die Stadt gerichtet und bei Sonnenaufgang wird das Feuer eröffnet.“ Victors Mundwinkel zuckten leicht, als Oscars Augen sich weiteten und ihre Lippen ungläubig die Frage formten: „Wie bitte?“

 

Das war wie eine Genugtuung für ihn, wie ihre Gesichtszüge immer mehr entgleisten. „So lautet der Befehl, Lady Oscar.“, betonte er trocken und da platzte Oscar der Kragen. „Das ist unmenschlich!“, warf sie ihm erbost vor und bewegte sich mit geballten Fäusten auf ihn los. Sofort spürte sie den eisernen Griff von beiden Seiten an ihren Oberarmen der Soldaten und musste gezwungenermaßen sich selbst Einhalt gebieten. Sie durfte hier kein Gefecht riskieren und ihr blieb nichts anderes übrig, als Girodel nur böse anfunkeln. „Und habt Ihr nicht gesagt, Ihr würdet aus Liebe zu mir auch die Seiten wechseln?“

 

Ach, stimmt, das hatte er wirklich gesagt. Nun... Sein Blick glitt von ihrem feinen Antlitz auf ihre leicht gerundete Leibesmitte. „Das hätte ich selbstverständlich getan, wenn Ihr Euch nicht mit einem Mann vereint hättet! Ihr habt Euer Wort gebrochen, dass Ihr niemals das Leben einer Frau führen würdet und das ist für mich das schlimmste Vergehen! Deshalb kann auch ich nicht zu meinem Wort stehen.“ Girodel wandte sich ab. „Ihr entschuldigt mich, ich muss an meinen Posten als Kommandant der königlichen Garde zurück.“ Er gab seinen Männern einen Wink und diese schoben die versteifte Oscar in die Zelle herein, machten schnell die Tür zu und folgten ihrem Kommandanten.

 

Wie grässlich! Sie hätte doch auf dem Weg hierher Reißaus nehmen und fliehen sollen! Aber was hatte sie denn von Girodel erwartet? Dass er sie gehen lassen würde? Hatte sie so sehr auf seine Gefühle zu ihr appelliert, dass sie sein wahres Wesen nicht erkannte?

 

Oscar schlug wütend gegen die eiserne Tür mit ihren Fäusten. Übelkeit überkam sie aufs Neue und ihre Lunge brannte noch mehr. Der Bluthusten war zurückgekehrt und nahm ihr den Atem weg. Mit jedem Keuchen und Würgen wurde sie schwächer, ihre Beine gaben nach, ihre Arme schlangen schützend um den Bauch, sie selbst glitt langsam zu Boden und blieb bis zum Morgengrauen bewusstlos liegen.

 

Als Oscar zu sich kam, erzitterte der Boden und die Wände in ihrer Zelle. Draußen, durch das vergitterte Fenster, erscholl der Kanonendonner und laute Stimmen der Menschen – einfachen Menschen. „Sie stürmen die Bastille...“, murmelte Oscar und wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht.

 

 

 

- - -

 

 

 

„Nachladen und Feuer, Männer!“, brüllte Alain den Befehl an seine Kameraden und schob schon die nächste Kugel zu der abgefeuerten Kanone.

 

„Aber wehe, wenn ihr mir Oscar trifft!“, rief ihm André besorgt zu und bekam sogleich von ihm die Antwort: „Die Gefängniszellen befinden sich im inneren Teil der Festung!“

 

„Oscar, halte durch, du bist gleich frei“, wiederholte André die Worte wie eine Losung bei jeder abgefeuerten Kugel, die die hohe Mauern der Bastille traf und sie zum Bröckeln brachte. Bis zum Nachmittag hörten die Kanonendonner nicht auf und dann wurde die weiße Flagge gehiesst. Die Bastille war gefallen, die Menschen stürmen herein, befreiten die Gefangenen und nahmen sich die Besatzung vor. André fand seine Oscar bei einer der Zellen und schloss sie in seine Armen. Keine Worte zwischen ihnen waren nötig, um die Freude auszudrücken, die sie dabei gerade empfanden.

 

„Wir müssen hier weg.“, drängte Alain. „Die Menschen drehen durch.“

 

Etwas entgegen zu setzen hatten sie nichts. Draußen sahen sie das Ausmaß des Sieges: Die ganze Besatzung der Bastille wurde hingerichtet und ihre Köpfe auf Picken aufgespießt und durch die Stadt getragen. In ihrem Siegesrausch und Euphorie, merkten sie nichts von Oscar und ihren beiden Begleitern. Zu dritt erreichten sie Bernards Wohnung und Sophie fiel schluchzend in die Arme ihres Schützlings. „Gott sei Dank, Ihr lebt!“

 

„Ich sagte doch, dass ich zurückkommen werde“, versuchte Oscar sie zu beruhigen.

 

„Wie geht es nun weiter?“, meinte nun Rosalie.

 

„Wir verlassen die Stadt und ziehen nach Arras“, entschied Oscar und auch André nickte zustimmend. Wobei er doch noch ein kleines Bedenken hatte – in Arras würde bestimmt auch der Aufstand herrschen. „Aber ist das nicht zu gefährlich?“, fragte er deshalb zwiegespalten und bekam von seiner Frau gleich die Antwort: „Nicht gefährlicher als hier, in Paris.“ Dann stand es also fest!

 

„Ich werde Euch begleiten, wenn Ihr gestattet“, schloss sich Alain mit an. Und nicht nur er. Während sie ihre Sachen packten und sich zum Aufbruch vorbereiteten, kamen noch andere Söldner, die überlebt hatten mit dazu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  fahnm
2016-08-14T22:31:33+00:00 15.08.2016 00:31
Ein Tolles Kapitel
Antwort von:  Saph_ira
15.08.2016 19:15
Dankeschön :-)
Von:  chrizzly
2016-08-06T09:44:32+00:00 06.08.2016 11:44
Toll toll. Wird es in Aras hoffentlich etwas ruhiger. Nicht das es noch Komplikationen mit dem Baby gibt. Wieder toll geworden. Kussi😘😘
Antwort von:  Saph_ira
07.08.2016 20:14
Dankeschön herzlich für deinen Kommentar und mal sehen, ob alles in ordnung bei den beiden sein wird. ;-)
Liebe Grüße und Kussi zurück :-*
Von:  Saavik1701
2016-08-06T00:49:18+00:00 06.08.2016 02:49
Gott sei Dank, sie haben sich wieder und Oscar ist in der Bastille nichts passiert!
Dann hoffen wir mal, das auf dem Weg nach Arras nicht zu viel passiert und Oscars Tuberkulose nicht noch schlimmer wird und sie und das Kind am Ende gefährdet!

LG, Nicky

Antwort von:  Saph_ira
07.08.2016 20:12
Das hoffe ich auch und vielen lieben Dank für deinen Kommentar. ;D
Liebe Grüße,
Ira
Von:  YngvartheViking86
2016-08-05T19:53:52+00:00 05.08.2016 21:53
Wohooo, Oscar ist frei und Beide haben bis hierher überlebt.
Mal sehen was auf die Truppe och zukommt, bis sie Arras erreichen :)
LG cris
Antwort von:  Saph_ira
05.08.2016 21:56
Oder ob sie Arras erreichen. XD Viellen lieben dank für deinen Kommentar. ;-)
Liebe Grüße,
Ira :-)


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