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Einmal

Die Tage vor der Hochzeit
von

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Es regnete, als ich ankam. Natürlich regnete es, und es war dunkel. Kalt. Kaum zu glauben, dass ich vor einem halben Tag noch in der Sonne saß, Mandelmilch trank und auf mein Flugzeug wartete, dem Meer zuhörte, und versuchte, mich nicht auf die Zukunft zu konzentrieren.
 

Wenn man oft genug in einem Flugzeug saß, gewöhnte man sich eine gewisse Routine und Gelassenheit an.

Früh genug am Flughafen ankommen und einchecken.

Nicht zu früh kommen.

Eine Zeitschrift für die Reise kaufen. Eine über Technik oder Physik oder Politik. Irgendetwas, dass einem hilft, die Welt um sich besser zu verstehen. Alles andere war Zeitverschwendung.

Einen Kaffee an der einzigen Bar trinken, die normale Preise hat. Dabei das besagte Magazin lesen. Sämtliche Avancen diverser Manager und Businessreisender abwehren, indem man Kopfhörer trägt. Der Bedienung ein angemessenes Trinkgeld geben, sich in der Landessprache bedanken. Lautschrift für Danke zur Not aufs Magazin schreiben.

Rechtzeitig zum Gate gehen.

In der Handtasche versteckten Alkohol mit einer Schlaftablette herunterspülen. Schlafen. Ankommen. Hoffen, dass das Wetter nicht mies war.
 

Aber was erwartete ich eigentlich?

Auf dem Weg, meinen Koffer zu holen, überholte mich eine Mutter mit ihrem Kleinkind auf dem Arm, dass brüllte, als hätte ich ihm gerade seinen Lolli weggenommen. Was nicht der Fall war. So etwas tat man nicht. Aleksei hatte mich immer wieder auf solche Situationen hingewiesen. So etwas tut man nicht.

Ein Mann bestand darauf, dass mein Koffer seiner war, bis ich ihn öffnete. Es war seiner, ich hatte mich geirrt. Aber er war auch nicht ohne Fehler. Vibratoren gehörten nicht nach ganz oben in Koffer.
 

Irgendwann hielt auch ich das korrekte Gepäckstück in den Händen, und tauschte meine zerknitterte Bluse gegen eine frische, saubere auf der Toilette, gemeinsam mit den bequemen Schuhen, und schlüpfte in welche mit etwas mehr Absatz. Der Lippenstift wurde aufgefrischt, die Finger mussten als Bürste herhalten. Ich hatte weder sie noch einen Vibrator ganz nach oben gepackt.

Mein Spiegelbild verwunderte mich.
 

Ich verließ die Toilette, ging gelassen nach draußen, wo ich mir ein Taxi heranwinkte. Der Fahrer verstaute meinen Koffer, hielt mir die Tür auf. Es fühlte sich richtig an.

Anschnallen, Motor anlassen, los fahren. Ich musste mich nur in den Ledersitz sinken lassen. Die Stadt zog an mir vorbei, die bunten Lichter, die Menschen, ihr Leben. Für mich gab es nur das Auto, den Fahrer, und irgendwo in dieser Stadt mein Hotel.

Ich hatte mich geweigert, bei meiner Familie zu wohnen, ein Zimmer zu teilen. Wir standen uns für so etwas nicht mehr nah genug.
 

„Geschäftsbesuch?“, fragte der Fahrer, er hatte eine tiefe, ruhige Stimme.

„Weihnachten“, erwiderte ich, und genoss seine Verwunderung. 7. Jänner. Russische Weihnacht. Doch sie hielt nur kurz, er erzählte mir von seiner Schwester, die einen Russen geheiratet hatte. Es stellte sich heraus, dass er der Bruder meiner Tante war.
 

Vielleicht war das der Grund, warum ich gegangen war. Zu viel Nähe. Zu intensiv. Aber ich wusste, dass es doch nicht der Grund war.
 

Der Taxifahrer verabschiedete mich herzlich, und weigerte sich, mein Geld anzunehmen, ich solle nur Tante Irma und Onke Varov und Cousine Anna und noch mehr Verwandte grüßen, an die ich seit Jahren nicht einmal gedacht hatte.
 

Das Hotel, dass meine Sekretärin gebucht hatte, war schlicht, ruhig, und mitten in der Stadt. Ein Page brachte mein Gepäck fort. Der Portier war diskret, ruhig, und fragte nur mit einem Blick auf meine Hand, ob ich noch einen zweiten Schlüssel brauchte.

Dieser verflixte Ring.

Ich schüttelte den Kopf, fragte,wo die Hotelbar war. Ein Gin Tonic würde wohl helfen, mich mehr an daheim zu gewöhnen. Ich setzte mich, fand heraus, dass es kein Tonic Water geben würde, und entschied mich dann doch für Wein.

Eine Stimme, vertrauter als die Alekseis, der mich mit einer Hand voll Diamanten an sich gefesselt hatte, ließ mich aufschrecken.

„Olja?“, fragte sie, meinen Namen in den Mund nehmend, als würde ich mich mit der Aussprache dieses in Rauch auflösen.

Louis und ich hatten uns seit unserem Abschluss nicht mehr gesehen. Ich war erst nach Russland zurück gegangen, gemeinsam mit Aleksei, um unsere gemeinsame Herkunft zu ergründen, und hatte dann dort gearbeitet, wo man mich brauchte. Er war erst auf Reisen gegangen, zumindest hatte er das vor. Unsere Trennung hatte unser gutes Verhältnis zerstört. Vielleicht war es auch besser so, denn auch er trug einen Ring am Finger. Einfaches Gold, in keinem Verhältnis zu dem, was mein Verlobter angeschleppt hatte. Ich lächelte, begrüßte ihn, wir tauschten Höflichkeiten aus. Als ein Kellner den Raum betrat, erinnerte mich ein kurzer Luftzug daran, dass ich noch immer sein Parfum aus allen anderen Gerüchen herausfiltern konnte.

Sein Blick blieb an meinem Ring hängen.

„Aleksei?“, noch eine Frage, ein Name, und ich nickte.

„Bei dir?“, konterte ich, erinnterte mich zu gut daran, dass er seine Trennung damit begründet hatte, keine Beziehung zu wollen.

„Sofie“, erwiderte er, und wirkte schon fast, als würde es ihm Leid tun. Seine Exfreundin.

„Was verschlägt dich hier her?“

„Ihre Familie wohnt hier.“

„Und wo ist sie?“

So ungern ich Sofie sehen wollte, so neugierig war ich. Ich kannte nur Bilder von ihr. Aber er zuckte nur mit den Schultern.

„Sie hat es mir noch immer nicht verziehen. Also, dich.“

„Du hast mein Herz gebrochen.“

„Und ihres, um bei dir sein zu können.“

Ich schwieg, der Schmerz der letzten zehn Jahre lag zu schwer auf meiner Zunge. Der Gedanke an meinen wunderbaren Verlobten, mit dem ich mich jedoch nie so gut verstanden hatte wie mit ihm, aber der geblieben war, schmerzte noch mehr. Das Verhältnis mit ihm hatte ich begonnen, um über Louis hinweg zu kommen. Anschließend hatte er mir zehn Jahre lang keinen Grund gegeben, mich von ihm zu trennen, aber auch keinen, ihn ähnlich zu mögen. Es spielte keine Rolle. Unser Verhältnis funktionierte. Das von Louis und mir hingegen lag in Scherben zu unseren Füßen.

„Wo ist Aleksei?“, fragte er, wohl, um die unangenehme Stille zwischen uns zu zerschneiden. Das musste er von Sofie gelernt haben. Früher hätte er gewartet, bis sie so dick wurde, dass ich keine Luft mehr bekam.

Als Antwort zuckte ich mit den Schultern.

„Betrügt er dich?“, fragte er, und die Frage war zu persönlich.

„Betrügt Sofie dich?“, erwiderte ich, und merkte, wie ihm in diesem Moment bewusst wurde, wie unsicher seine Beziehung war, trotz des Edelmetalls um seinen Finger.

„Du wolltest dich trennen, damals schon.“

„Ja.“

„Und dann?“

„Ich war einsam.“

Es wirkte wie ein Vorwurf, dass ich nicht auf ihn gewartet hätte, stattdessen mein Glück in Aleksei gesucht hatte und irgendwo gefunden hatte, irgendwo auch nicht.

Aber er war es gewesen, der jede Hoffnung zerstört hatte. Ich zerbröckelte unsere Freundschaft, weil ich es nicht wahr haben wollte. Obwohl ich ihn so gut kannte.
 

Eine Nacht hatte alles begonnen. Damals, als wir beste Freunde gewesen waren, innerhalb von Augenblicken, so, wie es nur Jugendliche sein konnten, die das erste Mal von daheim fort waren. Wir wickelten unser Leben um einander, verflochten es. Irgendwann beichtete er mir, dass er sich von Sofie trennen wollte, seiner Freundin, dem Teil aus seinem Leben, den er nie erwähnte. Als ich für ein Wochenende nach Hause musste, nutzte er die Chance und trennte sich, nur, um es sofort zu bereuen. Wir tranken Wein gemeinsam, viel Wein. Irgendwann hielt er meine Hand, und es kam zu einem Kuss.

So peinlich uns die Angelegenheit am Morgen war, blieb es nicht dabei. Wir verloren uns in einer Beziehung, die über dem stand, was wir von unseren Eltern, unseren Freunden kannten, ohne Definitionen, ohne Grenzen.
 

Aber ich hatte zu viel Angst in zu verlieren, und versuchte in einer Nacht, ihn an mich zu binden. Er, der sagte, dass er mich liebte, dass ihm unsere Freundschaft so wichtig war, sagte Minuten später, dass er alles nur begonnen hatte, weil er mir weh tun wollte. Im Nachhinein, um mir Schmerz zu ersparen. Es gelang ihm nicht, und Aleksei, stets in mich verliebt, sah seine Chance. Ich ließ mich darauf ein. Und er ließ nicht mehr los.
 

„Ich hatte damals Angst, Olja.“

„Ich auch. Ich wollte dich nicht verlieren.“

„Ich wollte dir keine Hoffnungen machen.“

Mein Blick blieb an meinem Ring hängen, einer Prinzessin würdig. Er wirkte falsch an meiner Hand, manchmal nahm ich ihn ab, weil er so störte. Ich bevorzugte Schlichtheit, und er war so groß.
 

„Hast du mich eigentlich geliebt, Louis?“

„Ja.“

„Tust du es noch?“

Er schwieg, und sah genau wie ich auf meinen Ring. Aleksei und Sofie wären mit einander vermutlich glücklicher als mit uns, aber es war zu spät für Reue.
 

Wir bestellten noch mehr Wein.
 

Es kam wie es kommen musste. Er fragte mich, ob ich ihm bei der Auswahl seiner Krawatte für den kommenden Tag helfen könne, und ich stimmte zu.

Wir schliefen mit einander, beide etwas aus der Übung, unsere Körper seltsam vertraut, und doch so anders. Weniger fest.

Erst waren wir vorsichtig, fast schüchtern, aber wir hatten nichts vor einander zu verbergen, und ich lehnte an ihm wie früher, lag auf seinem Arm, er strich mein Haar aus dem Gesicht, es war länger und hatte wieder die natürliche, dunkle Farbe, die die blonden Strähnen ersetzt hatten.

„Woran denkst du gerade?“

Die Frage, die er mir immer gestellt hatte, immer wieder. Die ich immer wieder anders beantwortet hatte.

„An dich.“

Ob er wieder gehen würde. Ob er Sofie von der Nacht erzählen würde, oder noch schlimmer, Aleksei. Aus Schuldgefühl, oder einfach, um ihm zu zeigen, dass er mich immer noch jederzeit haben konnte. Ob er, so unwarscheinlich es auch war, mitkommen würde nach Hause, oder wohin es uns auch verschlug, und wir unsere Ringe einfach Aleksei und Sofie schicken würden, mit einer Entschuldigung, und uns nicht einmal verabschieden würden. Ich könnte ihm den Olivenhain zeigen, den Mandelbaum, das Meer, er mir seine kleinen Spiele, mit denen er mich immer erfreut hatte. Aber das würde er nie tun. Zu pflichtbewusst.

„Woran denkst du, Louis?“, fragte ich, und sprach dabei seinen Namen auch noch das erste Mal aus.

„An dich“, erwiderte er, strich über meinen Arm.
 

Drei Monate später heiratete ich Aleksei, ein Wochenende bevor Louis Sofie das Ja-Wort geben sollte. Es war eine schöne Hochzeit, meine riesige, verstreute Familie hatte sich in Russland zusammengefunden, all unsere Freunde kamen, und uns wurde nach und nach bewusst wie schlecht unser Russisch wirklich war. Aber das spielte keine Rolle. Aleksei hatte noch nie so glücklich gewirkt, so glücklich, dass sogar ich mich für ihn freuen musste.

Eine Woche später kam eine Karte von Louis, aus Versehen nach Spanien geschickt, die uns gratulierte. Aleksei lachte darüber, und ich mit ihm. Wir schickten ihm dennoch ebenfalls eine.



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