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Aller Anfang

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
(*) Erklärung im Nachwort.

Viel Spaß :) Komplett anzeigen

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Freiheit(en)

So entspannt wie schon lange nicht mehr, lehnte sich der junge Harry Potter zurück, stützte sich auf seinen Händen ab und genoss mit geschlossenen Augen das Gefühl der Sonne auf seinem Gesicht.

Im Großen und Ganzen konnte das hier wirklich als Urlaub durchgehen.
 

Es war wirklich so gekommen, wie Harry befürchtet hatte: Sein Onkel hatte die Familie an den Arsch der Welt gebracht. Hier gab es nichts weiter als einen Leuchtturm und ein kleines windschiefes  Häuschen auf den Klippen, in dem man eigentlich mehr schlecht als recht vor dem Wetter geschützt war. Zudem war ein unterschwelliger, wenn auch nicht weniger penetranter, Geruch nach Fisch im ganzen Haus wahrzunehmen. Kein Wunder, wenn Onkel Vernons Kollege zum Angeln herkam. Das Haus, welches in Harrys Augen eher die Bezeichnung ‘Bretterbude’ verdient hatte, war auch nicht dafür ausgelegt, dass mehr als zwei Personen hier unterkamen. Das war deutlich geworden, als nur ein Schlafzimmer und ein Zweisitzer Sofa im Wohnraum vorgefunden wurde. Was für Harry bedeutete auf dem klammen Boden schlafen zu müssen, während Dudley das Sofa bekam.

Der nächste Nachbar war, wie Harry schätzte, eine Viertelstunde Autofahrt entfernt und das nächste Dörfchen mindestens eine halbe Stunde. Doch dies störte den Potter nicht im Geringsten! Denn hier verspürte er das erste Mal in seinem Leben so etwas wie Normalität, Ruhe und Freiheit. Ja, er musste auch hier die Hausarbeiten erledigen, doch es war bedeutend weniger und somit in seinen Augen nicht erwähnenswert. Auch ließen ihn seine Verwandten größtenteils in Ruhe oder besser gesagt links liegen.

Seine Tante hatte ihn sogar beinahe dankbar angelächelt, als er gestern einen von Dudleys Wutanfällen mit einer aus dem Karton geholten Tafel Schokolade beendet hatte. Nach dem Frühstück war die Familie Dursley heute ins nächste Dorf gefahren, um sicherzustellen, dass ihr Duddy-Spatz auch ja alles hatte und somit versorgt war. Dass er dabei hier zurückgelassen worden war, störte ihn in keinster Weise, denn so kam das Urlaubsfeeling noch viel besser rüber. Hier musste er sich nicht von irgendwelchen Schränken oder dem Sofa fernhalten. Nein, hier war er frei sich drinnen und draußen zu bewegen wie er wollte. Auch wenn er bei solch ‘Dudley unwürdigen Zuständen’, nicht damit rechnete dass sie hier wirklich den Rest der Ferien verbringen würden.
 

Tief einatmend öffnete der Potterspross seine Augen und ließ all die Eindrücke auf sich wirken. Der Geruch des Meeres und der wenigen Gräser um ihn herum. Das Geräusch der Wellen, die sich an den Klippen brachen. Möwengeschrei, welches die Luft erfüllte. Es war einfach herrlich. Ja, anscheinend hatte auch er mal Glück, beschloss er für sich und richtete sich auf um die alte Jacke von Dudley enger zu ziehen. Wohl das erste Mal war es praktisch, dass ihm die Sachen seines Cousins mehrere Nummern zu groß waren, denn so konnte er bequem mehrere Schichten anziehen. Die waren auch nötig, denn während im Rest von England Temperaturen von über 30 Grad Celsius geherrscht hatten, war man hier am rauen Meer im Nirgendwo bestimmt schon froh über 15 Grad. Die auch nur an besonderen, windstillen, Tagen auftraten. Mit anderen Worten: Heute nicht!
 

Fasziniert von den waghalsigen Flugmanövern einer Möwe verfolgte er das Tier, mit einem gleichzeitigen Anflug von Neid, mit den Augen. Wie gerne würde er ebenfalls fliegen können! Das Gefühl der Freiheit und das Wissen einfach alles unter sich zurück zu lassen, musste unbeschreiblich sein. Wie die Welt wohl von da oben wirkte? Sah er für den Vogel ebenso klein aus, wie dieser von seinem Blickwinkel aus? Kreischend verschwand das Tier aus seinem Blickwinkel, als es hinab in Richtung Meer stürzte und Harry richtete seinen Blick wehmütig seufzend auf den Horizont. Das was er da entdeckte, entlockte ihm ein erstauntes “Wow!”

Denn über das Meer rollte unaufhaltsam eine dunkelgraue, gefährlich wirkende Wand auf ihn zu. Die Bezeichnung ‘Wolke’ kam ihm nämlich für dieses hohe Gebilde, einfach zu harmlos vor. Der Wind frischte ebenfalls deutlich auf und versuchte mit starken Böen durch die drei Schichten Kleidung in seine Knochen zu kriechen.

Wenn er noch ein wenig die karge Landschaft erkunden wollte, so sollte er dies jetzt tun bevor das Unwetter losging. Dass diese Monsterwolke nicht nur Regen bringen würde, stand für ihn fest. Ebenso das es eine unruhige Nacht in dem kleinen Holzhaus werden würde.

Ob das wohl ein Zeichen für sein nächstes Lebensjahr war? Schließlich konnte er ab Mitternacht stolz sagen, dass er bereits Elf Jahre alt war.

    Schulterzucken erhob der Junge sich. Was auf oder durch die neue St. Brutus Schule passieren sollte, würde so oder so passieren. Da brachte es nichts über Zeichen oder ‘Was-wäre-wenn’ Gedanken zu machen.

Während er neugierig durch die Natur streifte und Wind und Wetter trotzte, konnte er nicht verhindern, dass sich seine Gedanken ebenso verdüsterten wie der Himmel. Jedes Jahr aufs Neue zogen in der Zeit um seinen Geburtstag diese Art von bitteren Gedanken durch seinen Kopf und hinterließen einen faden Beigeschmack.

Es war unter anderem der Gedanke, dass er ohne seine Lieblingslehrerin niemals erfahren hätte, wann sein Geburtstag war. Die Dursleys hatten ihn all die Jahre vorher erfolgreich erklärt, dass Kinder wie er keinen Geburtstag hatten. Einfach weil er es nicht verdient hatte, weil er nur ein Freak war. Und dann war seine Klassenlehrerin direkt am ersten Tag nach den Ferien angekommen und hatte allen Kindern die in den Ferien Geburtstag gehabt hatten ein kleines Stück Schokolade mitgebracht. Noch immer, nach beinahe vier Jahren, war er ihr dafür dankbar. Genauso, wie auch dafür, dass sie nichts weiter als ein Lächeln auf sein verwirrtes Danke erwidert hatte.

Verkrampft lächelnd trat er ein kleines Steinchen zur Seite, während er die Hände tief in den Jackentaschen vergrub. Damals hatte er noch Hoffnung aus ihren empörten Worten geschöpft, als sie nach Schulschluss den Grund für seine Verwirrung erfahren hatte. Damals hatte seine Lehrerin, als erste Erwachsene, noch geschworen ihm zu helfen. Und was war daraus geworden? Nichts, denn durch Dudleys Schikanen und Unterstellungen, war ihr nichts anderes übrig geblieben als die Schule zu verlassen. Es waren letztendlich auch nur leere, voreilig gesprochene Worte gewesen und nichts weiter. Erwachsene waren eben doch alles nur Lügner. Feige Lügner.

Die einzige Ausnahme war wohl Mrs. Figg. Die alte Nachbarin gab nichts auf das Gerede der Bewohner im Ligusterweg und ebenso wenig auf die Gerüchte, die die Familie Dursley zahlreich gestreut und am Leben erhielten. Sie hatte trotz allem immer ein nettes Wort und einen trockenen Keks für ihn übrig gehabt. Die alte Frau war nicht dumm und so konnte er sich gut vorstellen dass sie ahnte, dass es ihm nicht so gut in der Familie Dursley ging wie viele meinten. Doch sie war klug genug, um ihm keine leeren Versprechungen zu machen.
 

Überhaupt … gehörte es zum Erwachsensein, das man nicht die Wahrheit sagte und nur Dinge tat, die für einen selbst gut waren? Egal ob es Anderen schadete? War dies der Unterschied zwischen Gut und Schlecht? Kindern und Erwachsenen? Nein, so einfach konnte das doch nicht sein, oder? Es gab ja schließlich auch Kinder wie Dudley und Erwachsene wie Mrs. Figg.

Kopfschüttelnd hielt der schwarzhaarige Junge auf einem Erdwall an und blickte auf die karge Landschaft vor sich, auf dem vereinzelte Schafe an Gräsern und Kräutern zupften.

Er konnte die Welt nicht nur in Kinder und Erwachsene, Gut und Böse oder Schwarz und Weiß einteilen. Es musste einfach mehr geben. Der Hinweis aus dem geklauten Brief kam ihm in den Sinn und er wusste einfach er war wahr: Nichts war so wie es schien. Tief seufzend beobachtete er die fressenden und blökenden Schafe und stellte wieder einmal fest, dass Geburtstag nichts mit Freude für ihn zu tun hatte.

Ein lauter Donnerschlag ließ ihn quietschend zusammenzucken und den Blick hektisch in den Himmel richten. Die bedrohliche Wand hatte sich inzwischen über ihn geschoben und wenn er nicht bis auf die Knochen durchweichen wollte, musste er sich beeilen.

So schnell es ging, rannte er in Richtung seines momentanen Wohnortes. Während er über dornige Büsche, Stöcker und Steine sprang, fasste er für sich einen Entschluss: Er würde herausfinden, was es mit ‘Gut’ und ‘Schlecht’ auf sich hatte. Wie sagte Onkel Vernon doch immer zu Dudley? “Mit dem Alter kommt die Weisheit.”
 


 

“Sie müssen handeln, langsam fällt es auf. Was wollen Sie machen, da er nicht auf die Briefe reagiert hat?”, wollte eine leise aber eindringliche Stimme wissen, während sie mit gesenktem Knopf auf dem Boden kniete.

Ein beinahe belustigt klingelndes Schnauben erklang von der vor ihr stehenden Person und die kniende Gestalt konnte nicht verhindern, dass ihr eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Nicht aus Kälte, nein. Sondern aus Furcht. Wenn der Zauberer in solch einer explosiven Stimmung wie jetzt war - einer Mischung aus Wut und diabolischer Freude -, dann wollte die kniende Person nur noch Abstand zwischen ihm und sich bringen. Doch das konnte die Person nicht. Es war einzig die felsenfeste Überzeugung, dass der Andere - momentan - nicht wagen würde ihn anzugreifen einfach weil er ihn brauchte.

“Die Flucht bringt ihnen nichts. Es ist alles vorbereitet und in die Wege geleitet. Harry Potter wird bald in die Zauberwelt treten”, kam es selbstbewusst und zufrieden von dem aus dem Fenster schauenden mächtigen Zauberer.

“Verstehe …”

“Na dann, verschwinde und halte dich an unserer Abmachung. Ansonsten …” Ohne weitere Worte richtete der Stehende seinen Zauberstab auf den Boden vor den Knienden und ließ eine Eisblume erscheinen.

Japsend verneigte sich der zutiefst verschreckte kniende Zauberer und schob sich möglichst unauffällig rückwärts aus dem Raum.

Das kalte und bösartige Lachen, welches hinter der sich schließenden Tür erklang, ließ erneut einen wahren Gänsehautregen über seinen Körper fließen und ein ungutes Gefühl versuchte ins seine Knochen zu kriechen. Ein Feuerwhiskey konnte ihm jetzt bestimmt helfen, seine zittrigen Nerven zu beruhigen.
 


 

Mit Regen musste sich auch der junge Harry Potter herumschlagen. Naja, Unwetter passte eigentlich besser, sinnierte er während er die alte, kratzige Decke enger um sich zog.

Draußen tobten Wind und Regen und ließen das Häuschen immer wieder erzittern und gefährlich knarzen. Die Temperaturen waren arg gefallen, doch noch wollte er nicht in dickeren Sachen schlafen, schließlich wusste er nicht wie kalt es noch werden würde. Zudem hatte ein wenig frieren noch niemanden geschadet, motivierte er sich selbst, während er mühsam versuchte das Zähneklappern zu unterdrücken.

Hätte er doch vorhin nur den Kamin anbekommen!
 

Zeitgleich mit ihm kamen auch seine Verwandten wieder an ihrem ‘Ferienhaus’ an. Kaum war er fertig damit die Einkäufe und Bestechungsgeschenke des Törtchen mampfenden Dudley ins Haus zu tragen, brach auch schon das Unwetter über sie herein.

Der Wind heulte durch die Ritzen und ließ die im Laufe des Abends zusätzlich angezündeten Kerzen wild flackern. Regen und Hagel knallten gegen die Scheibe und Harry konnte nicht anders als immer wieder einen besorgten Blick in diese Richtung zu werfen, denn er ging fest davon aus, dass eine der dünnen Glasscheiben den Kampf verlieren würde. Doch es war der Strom, der zuerst den Geist aufgab und sich dem Wetter beugte.

Noch während die Familie am Essen war und Harry besorgt an alten Crackern herumknabberte, war das Licht flackernd ausgefallen und der Wohnraum nur noch durch eine Kerze auf dem Küchentisch erleuchtet.

An sich eine ganz romantische Stimmung, wenn der Schwarzhaarige nicht jeden Moment damit rechnete, dass ihnen das Dach wegflog. In diesem Dämmerlicht, eine für ihn noch viel unheimlichere Version, kam es ihm doch so vor als schwollen die Geräusche an, um damit das fehlende Licht auszugleichen. War das nicht ein tropfendes Geräusch? Denn das konnte nur bedeuten, dass dieses Haus doch undicht war und die Nacht wohl bedeutend ungemütlicher wurde als er bisher befürchtet hatte.
 

“Junge!” Die laute Stimme seines Onkels holte ihn aus seinen Gedanken und erst jetzt registrierte er Dudleys panisches Quietschen und Tante Petunias kaum beruhigend klingenden Worte, dass sie weitere Kerzen anzünden würde und eigentlich alles gar nicht so schlimm war. War es auch nicht. Aber versuchte sie sich oder Dudley damit zu beruhigen? Leicht schüttelte er seinen Kopf, ehe er seinen Onkel fragend ansah.

“Mach dich gefälligst nützlich, du Freak. Wegen dir sind wir doch überhaupt erst hier! Sieh zu, dass du den Ofen anbekommst.”

“Ja … ja Sir”, stotterte der Junge eilig, sprang auf und machte sich daran seine Aufgabe zu erfüllen.

Doch wie sollte es auch anders kommen? Das tropfende Geräusch hatte er sich natürlich nicht eingebildet, sondern es kam vom alten Kamin. Stetig lief an den Innenseiten der Regen hinab und tropfte auf die Feuerstelle. Vorsichtig tastete er diese ab und es überraschte ihn nicht, dass das bereitliegende Holz nass war. Es überraschte ihn eher DAS es ihn überraschte. Suchend ließ er seinen Blick wandern, doch auch jetzt war ihm das Glück nicht hold, denn er fand kein Reserveholz.

“Nun was ist Bengel? Bist du zu dumm um einen Kamin anzufeuern?”, kam es gehässig vom Küchentisch.

“Nein, Onkel Vernon. Es ist nur … also … naja …”, stotternd drehte er sich auf den Fersen herum und biss sich unsicher auf die Unterlippe. “Also …” Verdammt, konnte er nicht einmal Glück haben?

“Was ist nun? Wir frieren und ich seh ja das Steak kaum auf meinem Teller!”

“Also … es regnet in den Kamin rein, das Holz ist total nass und es gibt kein Reserveholz.” Kaum hatte er dieses Geständnis über die Lippen gebracht, zog er den Kopf ein. Kein Wunder bei den bisherigen Erfahrungen und dem nun zu erwartenden Donnerwetter. Der beinahe Elfjährige bewahrte sich einzig die Hoffnung, dass sein Onkel es schnell vollbrachte und nicht zu stark zuschlug.

“Bitte … WAS?”, donnerte es auch schon laut vom Küchentisch und das beinahe schrille Klirren des auf den Teller geworfenen Bestecks, ließ ihn die Augen fest zusammenkneifen und die Hände schützend auf seinen gesenkten Kopf legen. Sein Onkel sollte es endlich hinter sich bringen, das war erneut sein beinahe ungeduldiger und doch panischer Gedanke, als auch nach mehreren hektischen Atemzüge nichts passierte. Nicht einmal das Geräusch vom Zurückschieben eines Stuhl war erklungen und so hob er vorsichtig seinen Kopf empor und linste in Richtung Familie Dursley. Der Anblick, der, im Schein mehrerer Kerzen, friedlich essen und tratschenden Familie, ließ ihn sich aufrichten und irritiert den Kopf schief legen.

Was war denn jetzt los?

Als sein Onkel abrupt den Kopf in seine Richtung drehte und ihn mit stechendem Blick fixierte, konnte Harry ein starkes Zusammenzucken nicht vermeiden. Die Angst und bisherigen Erfahrungen saßen einfach zu tief. Denn wenn für ihn eins feststand, dann, dass der Onkel niemals nett werden würde. Das Familienoberhaupt war für ihn das wandelnde Beispiel von Lüge, Missgunst, Verrat, Gewalt und alle möglichen anderen Dinge.

Eine gefühlte Ewigkeit hielt sein Onkel ihn mit dem Blick gefangen, ehe er leise aber doch schneidend die Stimme erhob.
 

“Wirklich … was für eine Schande. Bengel, du bist wirklich für nichts zu gebrauchen. Geh mir aus den Augen, ich bin zutiefst enttäuscht von dir. Aber du beweist wieder einmal, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll. Ich hatte tatsächlich gehofft dass du so langsam verstanden hast, wo dein Platz und was deine Aufgabe ist. Aber anscheinend …” Den Kopf schüttelnd drehte sich der Erwachsene wieder zu seinem Essen und stopfte sich gemächlich ein neues Stück Fleisch in den Mund.
 

Harry hockte immer noch vor dem nassen Kamin und kam sich vor, als hätte ihm gerade jemand eine Bratpfanne vor den Kopf geschlagen. Zuerst registrierte er die Verwirrung, die ihn ob der Worte seines Onkels traf. Wieso, weshalb und warum, waren drei der Fragewörter die ihm durch den Kopf schossen.

Dann begann er so langsam das Gesagte wirklich zu verstehen und zu verarbeiten und so wurde die Verwirrung zu Wut. Harry hatte schließlich eben jenes Steak, welches sein Onkel in sich reinstopfte, eingepackt. Genauso die Pommes und Tante Petunias heiß geliebten Salat. Doch nicht nur das, denn er hatte das Essen ebenso ZUBEREITET! Den Tisch gedeckt. Das Häuschen so gut es ging gesäubert. Und er sollte zu nichts zu gebrauchen sein? Vielleicht sollte er einfach in den Streik gehen, wenn die nächste Mahlzeit anstand. Oder dem dicken Erwachsenen Chili ins Essen schmeißen. Oder abgeschnittene Zehennägel. Augenblicklich entstand ein Bild vor seinen Augen, wie er seine Zehennägel auf den Teller seines Onkels warf und dieser schließlich die knusprige Beilage lobte. Gleichzeitig jagte eine Gänsehaut vor Ekel über seinen Rücken und ein beinahe irres Lachen entschlüpfte seinen Lippen, als er sich aufrichtete.

“Hör auf zu lachen und verschwinde!”

Diese kalte Aufforderung ließ das heiße Gefühl der Wut in ihm ansteigen. Mühsam hielt er einen höhnischen Kommentar mit zusammengebissenen Zähnen zurück und drehte sich abrupt in Richtung der zerfledderten Couch auf der anderen Seite des Raums. Nur am Rande registrierte er, dass er die Hände so sehr zu Fäusten geballt hatte, dass ihm die Fingernägel in die Hand schnitten. Doch es war ihm egal. Eigentlich sogar ganz willkommen, denn so konnte er seine brodelnde Wut wenigstens irgendwie rauslassen.

    Alles in ihm schrie danach, den Anderen auf die fehlende Logik und die Ungerechtigkeit hinzuweisen, doch er wusste: Es würde ihm nichts bringen. Das kurzzeitige euphorische Gefühl, durch so eine Aktion, war die unweigerlich folgenden Konsequenzen nicht wert. Konsequenzen, die er sich in diesem Moment nicht einmal ansatzweise vorstellen wollte.

Mit steifen Bewegungen schritt der Potter-Spross zu seinem provisorischen Nachtlager und ließ sich zähneknirschend darauf fallen.

Wer glaubte sein Onkel zu sein, dass er sich so gegenüber Harry benehmen konnte?

So … ungerecht. Typisch Erwachsene, stellte er wieder einmal für sich selbst fest.

Noch eine ganze Zeit lang gab er sich seinem Hass und der Wut hin, ehe er sich aufrappelte und noch einmal ins Bad verschwand, um sich für die Nacht fertig zu machen, während das Wetter anscheinend immer noch dabei war Weltuntergang zu spielen.
 

Und jetzt lag er hier. Es war kalt und durch die Geräusche des Sturms unheimlich. Der alte schmale Streifen Teppich, den er sich heimlich aus einer staubigen Ecke geholt hatte, war nicht nur unbequem weil hart und dünn, nein. Dadurch dass er so dünn war, war es nicht nur die kalte Luft um ihn herum, nein die Kälte kroch auch von unten an ihn heran und verhinderte effektiv, dass er in den Schlaf abdriften konnte. Längst war die Wut auf seinen Onkel verraucht und stattdessen hatte sie sich inzwischen gegen ihn selbst gerichtet.

Denn während er hier lag und irgendwie versuchte an Wärme zu kommen, war ihm eins bewusst geworden: Die Worte hatten ihn so wütend gemacht, weil sie ihn verletzt hatten.

Erschrocken hatte er feststellen müssen, dass es eine Sache war verbale und körperliche Attacken zu ertragen und eine ganz andere, so offensichtlich abgelehnt zu werden, nachdem es in letzter Zeit ja relativ gut lief.

    Wie konnte er auch so dumm sein und sich so etwas wie Hoffnung auf ein einigermaßen normales Leben zu machen? Da war er wirklich ganz der dumme Bengel gewesen, den ihn seine Verwandten immer schimpften. Eben ein wahrhaftiger Freak! Er musste es doch wirklich besser wissen und doch … doch war er so leichtgläubig und war auf das falsche Spiel der Dursleys reingefallen. Er war der Freak, der niemals wirklich zur Familie dazu gehörte. Er war das schwarze Schaf. Der Sonderling, der auf eine Schule für Bekloppte ging. Er war nur ein dummer Junge, der sich einfach nur stark einen Platz im Leben wünschte, an dem er mehr für jemanden war, als Putzhilfe und Koch. Seufzend blickte er auf die kleine, laut tickende, Wanduhr und stellte fest, dass er in nicht mal mehr fünf Minuten Geburtstag hatte. Sehnsüchtig fixierte er die Uhr und wünschte sich, der Minutenzeiger würde sich schneller bewegen. Es war, als würde dieser extra langsam vorwärtsschreiten, denn Harry konnte seinen Geburtstag kaum noch erwarten.

Jedoch aus anderen Gründen als bei seinen Altersgenossen. Für ihn war es nicht die Aussicht auf Partys oder Geschenke, sondern das Wissen, dass diese düsteren und schmerzenden Gedanken nachlassen und schließlich verschwinden würden.
 

Drei Minuten noch, wie ihm ein erneuter erwartungsvoller Blick auf die Uhr verriet. Ein Grollen ließ ihn automatisch in Richtung Fenster blicken, auch wenn das Sofa, auf dem der schnarchende Dudley lag, seinen Blick blockierte. Schulterzuckend tat er das Geräusch als ins Meer stürzende Felsen ab. Tief durchatmend versuchte er ein wenig zur Ruhe zu kommen und schloss die Augen. Diese in seinen Augen verrückte Art der Freude würde ihn in Kombination mit der Temperatur und dem Lärm sonst bis zum Morgen wach halten. Doch ein erneutes Grollen - oder war das ein Donnern? - ließ ihn diese wieder aufreißen und sofort wanderte sein Blick zur munter tickenden Wanduhr.
 

Zwei Minute noch. Ein Blitz tauchte das Innere der Hütte in bizarres Licht und sofort folgte ein lauter Donnerschlag, der den Schwarzhaarigen zusammenzucken ließ.

Bilder entstanden in seiner Vorstellung, wie der Blitz in das Holzhaus einschlug oder die Felsen so weit ins Meer stürzten, dass auch der Leuchtturm und das Haus ins Meer fielen. Eine Vorstellung die den jungen Potter trocken schlucken ließ, während er sich auf den Bauch drehte. Mit einem schiefen Lächeln begann er einen Kuchen mit Kerzen, in den Staub vor sich, zu zeichnen.

Das wäre doch ein Tod der eines Freak würdig war, oder nicht? Am Geburtstag verbrennen oder ertrinken. Dieser Gedanke kam ihm, als erneutes Donnern das Haus erzittern ließ.
 

Eine Minute noch. Das Knallen, Grollen, Rauschen und Donnern hörte nicht auf. Der Innenraum war abwechselnd hell von Blitzen erleuchtet oder in tiefste Dunkelheit getaucht. Wie konnten die Dursleys bei dem Wetter bitte schlafen? War ja schon beinahe beneidenswert, so ein tiefer Schlaf.

Schmunzelnd begann der junge Schwarzhaarige von Zehn an rückwärts zu zählen. Gleich war es endlich so weit.

3 … 2 … 1 … “Happy Birthday, Harry”, flüsterte er und pustete seine Staubkerzen fort.

Im gleichen Moment ließ ein erneutes Donnern die Hütte erzittern. Wobei … irgendwie klang das mehr wie ein Hämmern. Nun schien die Geräuschkulisse auch seinen Cousin aus dem Verdauungsschlaf zu holen, denn dieser fragte nach einem Schmatzen mit schwacher Stimme, warum Harry so einen Lärm veranstaltete.

“Ich bin das ni …” Doch weiter kam der nun Elfjährige nicht, gab doch die Eingangstür nach einem erneuten Schlag einfach nach und fiel mit einem lauten Knall in den Innenraum.
 

Jetzt waren sich die beiden Cousins ausnahmsweise einmal einig. Denn beide konnten sie ein Aufschreien nicht verhindern, als sie im Rahmen der Eingangstür eine riesige Gestalt ausmachten. Synchron sprangen die beiden auf, um Abstand zwischen sich und dem Fremden zu bringen. Während Harry sich einfach an die andere Raumwand drückte, und hoffte von der dort herrschenden Dunkelheit verschluckt zu werden, stolperte Dudley in Richtung Treppe, die zum Schlafzimmer seiner Eltern führte.

    “Was ist denn hier los? Warum macht ihr so einen Lärm?”, hörte er seinen Onkel wütend fauchen. Dudleys gestotterter Erklärung hörte er schon nicht mehr zu, war er doch viel zu fixiert auf die große Gestalt, die sich jetzt umständlich durch die Tür hineinbewegte. Die immer wieder aufzuckenden Blitze ließen den Kerl wirklich nicht freundlicher aussehen, stellte Harry nur am Rande fest. Immer weiter betrat der Fremde das kleine Haus, ehe er im Licht der einzigen wild flackernden Kerze auf dem Küchentisch stehen blieb. Was Harry da sah, ließ ihn die Augen aufreißen. Dieser Typ war ein RIESE! Ein Riese mit langen Haaren und einem verzottelten, ungepflegten Bart. Dadurch sah man vom Gesicht einzig die Augenpartie. Augen, die in dem wenigen Licht schwarz wirkten. Kleidungstechnisch fiel Harry auf den ersten Blick der ledrige schwarze Umhang auf. Oder war es vielleicht doch ein Zelt? Bei der Größe dieses Fremden würde es den Jungen nicht wundern.

Was wollte der Mann hier?
 

“Wer sind Sie? Verschwinden Sie oder ich schieße”, hörte er seinen Onkel keifen und sah dass dieser mit verkniffenem Gesichtsausdruck ein Gewehr auf den fremden Mann richtete. Doch dieser ignorierte das Dursley Oberhaupt, schnaubte und bückte sich schließlich um die Tür wieder in die Angeln zu drücken. Merkwürdiger Kerl. Da richtete jemand eine Waffe auf ihn und er reagierte gar nicht darauf.

Schließlich drehte sich der Riese wieder zu der Familie herum und sagte freundlich: “Könnte ‘ne Tasse Tee vertragen. War keine leichte Reise….” (*)

Damit bewegte er sich hinüber zur Couch und ließ sich darauf nieder. Laut ächzend beugten sich die Federn des Sofas und Harry konnte ein belustigtes Schmunzeln nicht verhindern. Er konnte die Protestschreie des Sofas quasi hören und zu dem war das hier einfach eine sehr abstruse Situation. Oder war er vielleicht eingeschlafen und das Ganze hier nur ein Traum? Verstohlen kniff er sich in den Arm und biss sich auf die Unterlippe, als der Schmerz seinen Arm flutete. Nein, also kein Traum, sondern dass alles passierte hier gerade wirklich! Neugierig trat er aus den Schatten heraus und an den Mann heran, während sein Onkel immer noch mit dem Gewehr drohte und irgendwas von Hausfriedensbruch stammelte. Doch ein kurzer Blick zu seinem Verwandten bestätigte, dass er sich die Angst in der Stimme nicht nur eingebildet hatte. Das Gewehr zitterte in den Händen inzwischen so sehr, dass der Erwachsene damit wahrscheinlich nicht mal treffen würde, wenn er direkt vor dem Fremden stand.

Wieder setzte sein Onkel zu Protest an, während sich Petunia und Dudley hinter ihm versteckten, doch der Fremde blaffte den Dursley einfach an den Mund zu halten und bezeichnete den Anderen zu dem als Oberpflaume (*1). Doch das Tüpfelchen auf dem I war es, als der Riese einfach nach hinten griff, seinem Onkel das Gewehr entriss und einen Knoten hinein machte. Trocken schluckend und mit großen Augen trat der Potter wieder einige Schritte zurück, denn diese deutliche Zurschaustellung von Kraft, fand er dann doch unheimlich. Vor allem weil der Mann ziemlich genervt wirkte.

“So Harry … ich bin ja schließlich wegen dir hier.”
 

Oh verdammt! Er hatte es zwar irgendwo in seinem Unterbewusstsein geahnt, aber es aus dem Mund des Fremden zu hören, war doch noch mal etwas anderes. Vor allem war ihm klar, dass dies mächtig Ärger mit den Dursleys geben würde sobald der Riese weg war.

Kurz bevor sie losgefahren waren, hatte ihm sein Onkel noch versprochen, dass er in Dudleys zweites Zimmer ziehen durfte, nun, das konnte er jetzt wohl knicken. Nicht nur dies, sondern er konnte auch froh sein, wenn sein Onkel ihn nicht in den Keller sperrte oder die Drohung mit dem Hals umdrehen wahr machte. Er konnte sich wahrscheinlich glücklich schätzen, wenn er zu Beginn des neuen Schuljahres wieder richtig sitzen konnte. Allein der Gedanke an den breiten, Nieten besetzten Gürtel ließ einen Schauer über seinen Rücken wandern.
 

Harry hörte wie der Fremde etwas davon sagte dass er beim letzten Mal noch ein Baby gewesen wäre, er seinem Vater ähnlich sah und die Augen seiner Mutter hatte.

Fragend legte er seinen Kopf schief. Woher kannten seine Eltern SO einen Typen? Naja, wenn er der Aussage seiner Verwandten glauben durfte, waren auch seine Eltern Verrückte. Komischerweise nahm ihm das Wissen, dass dieser Fremde seine Eltern kannte, einen ganzen Teil der Angst von ihm sodass er wieder näher trat.

    “Dir jedenfalls Harry …” Mit diesen Worten begann der Riese geschäftig in den Weiten seines Umhangs zu suchen. Stumm beobachtete Harry den Mann und spürte wie Neugierde in ihm aufkam. “... einen sehr herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hab hier was für dich - vielleicht mal zwischendurch mal draufgesessen, aber er schmeckt sicher noch gut.” (*2)Mit einem freundlichen Lächeln und zwinkernd reichte der Fremde ihm einen großen Karton, der an einigen Stellen etwas eingedellt war.

“Da … danke”, schaffte der Schwarzhaarige kratzig zu stottern, ehe er nach einem aufmunternden Nicken seitens des großen Fremden behutsam den Karton öffnete.

Der saftig wirkende Schokoladenkuchen der sich Harry präsentierte, ließ ihm erneut beinahe die Augen aus dem Kopf fallen. So etwas hatte er bisher nur in der Fernsehwerbung oder im Schaufenster der Bäckerei gesehen. Der sollte wirklich für ihn sein? Hatte der Riese sich nicht vielleicht vertan? Doch noch während er sich dies fragte, fiel sein Blick auf den grünen Zuckerguss, der die Worte “Herzlichen Glückwunsch, Harry”(*3) ergab. Anscheinend war es genauso wenig ein Irrtum, wie das Ganze hier ein Traum.
 

Schüchtern lächelte er den Riesen an und stellte den - allein schon vom ansehen Diabetes verursachenden - Kuchen auf ein kleines Tischchen um die Hände freizuhaben. Zudem machte er sich keine Illusion darüber, dass er auch nur ein Stück von dem Kuchen abbekam. Entweder Dudley riss ihn sich unter den Nagel, oder seine Verwandten schmissen ihn einfach mit einem gemeinen Lachen weg. Doch ihn machte allein diese Geste des für ihn Fremden froh. “Danke”, sagte Harry mit nun deutlich festerer Stimme und trat vor das Sofa. “Sag mal … wer bist du eigentlich?” Woher er den Mut nahm, wusste er gerade selber nicht, nur dass in ihm alles danach schrie den Mann in den Arm zu nehmen, um sich zu bedanken. Ob der Bart wohl weich war oder so rau wie er aussah? Ok … wie war das noch mit dem Verrücktsein? Ganz wie es sich für einen Freak gehörte, stellte er sich solch unpassenden Fragen. Die St. Brutus Schule war vielleicht ja doch nicht so verkehrt.

    Glucksend antwortete der Andere, “Ach, ganz vergessen mich vorzustellen. Rubeus Hagrid. Hüter der Schlüssel und Wälder, oder besser gesagt Ländereien, von Hogwarts”, und streckte dem Schwarzhaarigen die große Hand hin. Deutlich konnte Harry den Stolz aus der Stimme dieses Hagrids heraus hören. Einen kurzen Blick auf seine blassen und wie ein Fisch auf dem Trockenen japsenden Verwandten werfend, schlug er in die prankenähnliche Hand ein und stellte sich ebenfalls formhalber vor. Neugierig legte er den Kopf schief, denn der Mann hatte etwas gesagt, was er vorher noch nie gehört hatte und seine Neugierde war schon immer größer gewesen, als ihm gut tat. “Hagrid, du sagtest was von Hogwarts … was meinst du damit?”

    Der Griff um Harrys Hand festigte sich, als der Riese sich mit gefährlicher Langsamkeit kurz zu den Dursleys herumdrehte und grollte. Der Potter spürte deutlich, dass ihn seine Neugierde wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte und zog hektisch seine Hand zurück, als Hagrid seinen mitgebrachten Schirm packte und daraus eine Flammenkugel in den Kamin schoss. Mit großen Augen beobachtete der Junge das nasse Kaminholz, welches innerhalb von Sekunden fauchend und zischend anfing zu brennen. Blinzelnd streckte er seine klammen Finger aus und spürte die Wärme des Feuers auf seiner Haut, sodass Harry es wieder nicht als Traum abtun konnte. Und ganz ehrlich gesagt wollte er das auch gar nicht. Denn dafür war die Situation hier gerade irgendwie viel zu cool! Unheimlich, aber sehr cool.

“Du weißt nichts über Hogwarts, den Ort, den auch deine Eltern besucht haben?”, erklang die leise Frage, die mehr nach einer Feststellung klang, von Hagrid und so blickte er über die Schulter zurück und entschuldigte sich mit einem möglichst versöhnlichen Lächeln.

Gleichzeitig wünschte er sich weit weg, denn Hagrids Ausstrahlung war wieder so … gefährlich wütend.

“Dir … tut … es … leid? Dir? VERNON DURSLEY!”
 

Und mit diesem Ausbruch erfuhr er in den nächsten Minuten Informationen die er nicht einzuordnen wusste.

Zauberer und Muggle.

Hogwarts, die größte Schule für Hexerei und Zauberei Englands.

Seine Eltern, die ebenfalls Zauberer gewesen waren und nicht, wie seine Verwandten ihn immer glauben lassen hatten, bei einem Verkehrsunfall gestorben waren.

Doch am schwersten wog bei ihm die Erkenntnis, dass er jahrelang eingeredet bekommen hatte ein Freak zu sein und jetzt wusste er, dass er einfach nur ein Zauberer war und seine Verwandten nicht. In der Welt der ‘Muggle’ war er der Freak, doch nun wusste er, dass es einen Ort in der Welt gab, wo er ganz normal sein konnte. Wie schafften es die Magier nur, dass bisher nichts davon durchgedrungen war, denn Harry konnte sich gut vorstellen, welche Aufregung herrschen würde. Gerade bei Leuten wie seinen Verwandten, die in den letzten Minuten klar gemacht hatten dass sie davon wussten, es aber nicht duldeten und davon wissen wollten. Plötzlich standen all die Prügel und die Strafen in einem anderen Licht für Harry. Sein Onkel hatte versucht die “Spinnerei” aus ihm herauszuprügeln. Finster stellte er fest, dass dieses Verhalten einem Exorzismus irgendwie recht nahekam.

Nur am Rande nahm er wahr, wie Hagrid, nachdem er Harry seinen Brief von Hogwarts übergeben hatte, eine Antwort auf einen Streifen Papier schmierte, eine zerzauste Eule aus seinem Umhang zog und diese in den etwas abgeebbten Sturm hinaus warf.

“Schafft sie das auch?”, erkundigte er sich mit Blick auf die geschlossene Tür, was ihm ein erneutes Glucksen einbrachte.

“Mach dir um die mal keine Sorgen. Unsere Posteulen sind starke Wesen, egal wie klein sie sind. Die wird ein wenig nass werden, aber das wars auch.”

Glücklich lächelnd drehte sich der Potter wieder zu Hagrid herum und nickte. Dieser hatte sich inzwischen wieder auf die ächzende Couch gesetzt und nippte an seinem zubereiteten Tee.

Das war wirklich der beste Geburtstag seines ganzen bisherigen Lebens!
 


 

Über den Rand seiner großen Tasse beobachtete Hagrid den schmächtigen, schwarzhaarigen Jungen. Wirklich, die Ähnlichkeit zu seinen Eltern war erstaunlich. Nicht nur im Optischen, nein. Die Frage gerade hätte durchaus von Lily stammen können. Sie war ebenfalls der Typ Mensch gewesen, der mit einem Lächeln ganze Massen für sich gewann und immer an das Wohl der Anderen dachte. James war da ganz anders gewesen. Ein wahrer Schlingel. Nun es würde sich zeigen, von wem Harry mehr Charaktereigenschaften geerbt hatte. Kurz zog sich sein Herz bei der Erinnerung an die Potters schmerzlich zusammen, doch dann ertönte wieder diese unangenehme Stimme der Oberpflaume Dursleys in seinem Rücken und Wut machte sich in ihm breit. Diese …. Muggle, hatten dem kleinen Harry nichts über seine Eltern und seine wahre Natur verraten. Hagrid konnte sich vorstellen, dass sie nicht gut auf Ausbrüche von wilder Magie bei Harry reagiert hatten. Doch er weigerte sich schlicht und ergreifend weiter darüber nachzudenken. Der deutliche Unterschied zwischen dem schmächtigen Jungen und dessen fetten Cousin war für ihn Beweis genug. Zudem musste er sich schon so zusammenreißen, nicht einige Flüche auf die Familie abzufeuern. Zumal er ja nicht einmal zaubern DURFTE.

    Hagrid hatte dessen kindliche Verwirrung, aber auch die Erleichterung deutlich im Gesicht gelesen, als er die Wahrheit erzählt hatte. Doch noch etwas. War es Wut … Verachtung … oder vielleicht Hass gewesen, was er gesehen hatte? Oder sollte er sagen gespürt, denn er hatte eine kleine Welle Magie von dem Jungen ausgehend gespürt.

Schmunzelnd gluckste der Halbriese, denn er war sich bewusst, dass nun spannende Jahre auf die gesamte Zauberwelt zukam.

Er hatte den kleinen Potter damals aus den Trümmern geborgen. In seinen Armen waren die kläglichen Schreie verebbt und tief in seinem Mantel versteckt hatte das Baby geschlafen. Es war für ihn, als wenn er Harry somit das ganze Leben schon kannte. Nun war dieses Würmchen zu einem Jungen herangewachsen, der in einem abgewrackten und zu großen T-Shirt und einer dünnen Hose im Schein des Kamins stand und die Wärme geradezu aufzusaugen schien. Nein, er würde den Kleinen hier nicht zurücklassen, sondern entgegen seiner Vereinbarung jetzt schon mit in die Zauberwelt nehmen. Vielleicht war es auch gar nicht so verkehrt, denn dann konnte sich der Schwarzhaarige schon daran gewöhnen.

“Harry”, versuchte er die Aufmerksamkeit des nachdenklich wirkenden Potter zu erreichen.

“Ja?”

“Pack deine Sachen, du kommst mit mir mit. Wir müssen ja schließlich noch deine ganzen Sachen kaufen.”

Große Augen, die augenblicklich ein hell strahlendes Grün zeigten, blickten ihm entgegen, ehe er Kleinere schnell nickte und in eine dunkle Ecke huschte. Mit zusammengebissenen Zähnen beobachtete der Halbriese wie sich Harry mehrere Schichten seltsamer Muggelkleidung anzog.

“Das lasse ich nicht zu!”, schrie in diesem Moment Vernon Dursley und machte sich stapfend daran auf den Potterspross zuzugehen.

Grollend erhob sich Hagrid und richtete seinen Regenschirm, den er heimlich anstatt eines Zauberstabes nutzte, auf den fetten Muggle. “Wag es dich auch nur einen Schritt weiter zu gehen, Oberpflaume. Ich nehme den Jungen mit, ob es dir passt oder nicht. Was willst du schon gegen mich ausrichten?” Herausfordernd blickte er den blass gewordenen Muggle an.

“Und du …”, damit richtete er seinen Schirm auf den Sohn der Dursley, der sich an Harrys Torte genüsslich tat, und schoss einen Ringelschwanz-Zauber auf diesen ab. “ … wirst so vielleicht lernen, dass man weder isst wie ein Schwein, noch sich einfach an den Geschenken Anderer bedient.”
 


 

Einen überraschten Aufschrei nicht verhindern können, schlug Harry sich eilig die Hand vor den Mund um wenigstens das irre Gelächter zu unterdrücken, welches sich seine Kehle hinauf bahnte. Aber mal ehrlich, wer konnte es ihm verübeln? Da stand der panische Cousin mit einer Hand in Harrys Torte und die andere an seinem Hintern, an dem ein kleines rosa Ringelschwänzchen gewachsen war.

“Wow”, hauchte er, während er sich die Lachtränen aus den Augen wischte und wieder versuchte wieder normal zu atmen. “Cool”, teilte er Hagrid seine Meinung mit. der prompt rot wurde und sich Harrys Gepäck schnappte.

“Danke … nur … nur sag es keinem. Eigentlich darf ich nicht zaubern”, gestand Hagrid ihm, als sie gemeinsam zur Tür gingen. Doch Harry blickte nur kurz über die Schulter zurück zu seinen Verwandten, die panisch um den quietschenden Dudley rum standen.

Mit einer wegwerfenden Handbewegung blickte er wieder zu Hagrid empor. “Ganz ehrlich, er hat es verdient … also wie kommen wir jetzt hier weg?”

Genau so war es nämlich seiner Meinung nach. Dieses kleine Schwänzchen spiegelte die Charaktereigenschaften seines Cousins einfach genauso gut wieder, wie das Aussehen. All die Gemeinheiten, die Dudley ihm angetan hatten, waren nun auf ihn zurückgefallen. Kurz gönnte er sich ein triumphierendes Grinsen, während Hagrid wieder einmal die Tür einfach aus der Halterung riss und hinaustrat.

“Na, mit dem Motorrad natürlich.”
 

Als Hagrid dies gesagt hatte, hatte Harry sich ernsthaft den Kommentar verkniffen, ob dieser sich den Kopf gestoßen hatte. Doch nun sah er dies anders! Mit Magie schien selbst Unmögliches möglich zu sein, denn anders konnte sich der Junge nicht erklären wie es kam, dass er nun auf einem Motorrad DURCH DIE LUFT raste. Eingewickelt in den großen und leicht muffig riechenden Umhang des Riesen, saß er vor Hagrid und beobachtete fasziniert wie die Lichter immer kleiner wurden, bis sie nur noch einzelne Tupfen in der Schwärze unter ihnen waren. Eigentlich müsste ihm das alles hier Angst machen, doch dieses Gefühl wollte einfach nicht bei ihm aufkommen. Dafür war das hier einfach viel zu cool, toll, genial … magisch. Hatte er sich nicht erst gestern gefragt, wie die Welt aus Vogelperspektive wirkte? Nun hatte er immerhin einen Einblick. Die Welt wirkte fremd und gleichzeitig bekannt. Riesengroß und weit, jedoch gleichzeitig klein, weil man innerhalb kürzester Zeit ganze Städte überquerte. Der Abstand zum Boden war etwas bedenklich und Harry war sich sicher, dass nicht einmal diese zauberhafte Magie einen vor dem Tod bewahrte, doch das alles konnte sein Hochgefühl nicht mindern. Als sie die dicke, trübe und irgendwie erdrückend Wolkendecke durchbrachen, schrie der Schwarzhaarige seine Freude laut heraus.
 

“Na, du scheinst ja kein bisschen Angst zu haben”, ertönte es schmunzelt hinter ihm und der tiefe Bass von Hagrid gab ihm ein kribbeliges Gefühl im Rücken.

Eifrig schüttelte er seinen Kopf, während er gegen die aufgehende Sonne anblinzelte. “Nein. Warum sollte ich auch?”

“Naja … ich dachte halt wegen dem Fliegen. Weiss ja nicht ob du Höhenangst hast. Ist ja alles neu. Kennst mich ja nicht”, gab der Riese hinter ihm in kurzen Sätzen zurück.

Erneut schüttelte Harry seinen Kopf und versuchte sich so gut es ging zu dem Freund seiner Eltern herumzudrehen.

“Ich vertraue dir.” Unsicher lächelte er den eigentlich Fremden an und zuckte mit den Schultern um klar zu machen das er auf nicht wusste warum. Ehe er wieder voran schaute, sah er noch die aufgerissenen Augen und das beinahe seelige Lächeln.

    Eine ganze Weile schwiegen die beiden, ehe Harry erneut den Kopf zurückdrehte. “Sag mal …, du Hagrid?”, versuchte er zaghaft die Aufmerksamkeit des Riesen zu erlangen.

“Ja, Kleiner?!

“Können wir vielleicht noch mal nach Hause fliegen? Also ich meine in den Ligusterweg. Ich … ich würde gerne noch ein paar Sachen mitnehmen.”

Als er sah, wie Hagrid die Stirn in Falten zog, kam ein ungutes Gefühl in ihm auf. Was wenn … nein, das konnte nicht sein? Oder war vielleicht ‘der Wunsch Vater des Gedanken’, wie Onkel Vernon es immer sagte? Hatte er Hagrid vielleicht wirklich einfach nur missverstanden?

“Ich … ich … also ich muss doch bis zum Ende der Ferien nicht wieder zu den Dursleys, oder?” Harry schaffte es einfach nicht seine aufsteigende Sorge - und wenn er ehrlich war auch Panik - aus seiner Stimme herauszuhalten, als er sich traute seine Gedanken auszusprechen. Unsicher begann er auf seiner Unterlippe herumzukauen und zuckte zusammen, als Hagrid eine große Hand auf seinem Kopf ablegte.

“Hmmm. Nein, denke du musst die Drei erst mal nicht sehen. Frühstens nächstes Jahr.”

Dankbar schloss der Kleinere seine Augen und atmete erleichtert aus. Er hatte Hagrids Aussage doch nicht falsch verstanden. Er kam weg von den Dursleys und somit weg von einer Strafe. Es schien, als wenn dieses neue Lebensjahr viel besser für ihn lief, als bisher.

“Na dann, auf ins Muggle Gebiet!”, riss ihn die Stimme seines neuen Freundes aus seinen glückliches Gedanken. Denn das war der große Mann mit dem zotteligen Haaren: Ein neuer Freund. Ein Jahr älter und schon zählte er ganze zwei Lebewesen auf diesem Planeten zu seinem Freundeskreis. Nämlich die Schlange Sanara und den riesengroßen Hagrid. So unterschiedlich die beiden waren, bei beiden hatte Harry irgendwie sehr schnell gewusst, dass er ihnen vertrauen konnte und sie gemocht.

Glucksend kuschelte er sich tiefer in den Mantel. Er war wahrlich ein Freak.

 

~~~

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
[Bewusste Zitate aus dem ersten Buch Kapitel "Der Hüter der Schlüssel"
(*) = Seite 54, Ende
(*1) = "Oberpflaume" Seite 55, Zeile 17
(*2) = Seite 55, Zeile 24 -28
(*3) = Seite 55, Zeile 32+33]
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