Dich verloren
Leise dringen die Worte der Rede zu mir durch. Eigentlich sollte ich diese Rede ursprünglich halten, aber das hätte ich wohl nicht überlebt. Jedes Wort das über dich verloren wird, es kommt mir so falsch vor. Es tut so weh, es tut so unendlich weh... Und das ist meine Schuld.
Wer hätte je gedacht, dass es eines Tages soweit kommt mit uns beiden, dass es so endet. Aber was heißt endet, es hat ja nie wirklich begonnen. Oder... hat es das vielleicht doch? Mein Blick wandert langsam gen Himmel. Er war strahlend blau, so wie du ihn am liebsten hattest. Ist es ein Wunder, dass ich jetzt dein lachendes Gesicht vor mir sehe? Nein, ich werde mich vermutlich immer an dich erinnern und an diesen wundervollen Tag, den wir damals hatten. Wir hatten zwar viele Tage, aber dieser Tag wird mir für immer im Gedächtnis bleiben. Ich kann nicht mal wirklich beschreiben was anders war. Im Grunde nichts. Alles um uns herum war wie immer. Nur du, warst nicht mehr "du" für mich. Deine Augen strahlten mehr wie sonst, wenn sie mal wieder auf mir ruhten. Deine Hand war wärmer als sonst, als sie meine umfasste. Ich kann nicht richtig beschreiben was es war, dieses Gefühl, dass mich durchströmte. Oder es tut viel zu weh der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Du warst ja schließlich nur irgendeine Freundin. Nur eine von vielen... ich werde nicht weinen...
Als deine Augen so Gedanken verloren den See absuchten, hätte ich alles auf der Welt getan, um in diesem Augenblick in deinem Kopf zu stecken. Eigentlich wollte ich dich fragen, was du gerade denkst, aber diese Frage kam nie über meine Lippen. Stattdessen musterte ich deine Haare, die leicht im Wind wehten und wie sich das Sonnenlicht in ihnen brach. Mit einem Lächeln stellte ich fest, dass deine Lippen sich langsam stumm bewegten. Redetest du etwa schon wieder mit dir selbst? Warum nicht mit mir? Dabei saß ich doch direkt neben dir. Aber wahrscheinlich konntest du mich in diesem Moment nicht sehen, denn deine Augen verrieten mir, dass du eigentlich ganz wo anders warst... Genauso wie jetzt.
Hast du in diesem Moment vielleicht sogar schon daran gedacht. Sahst du neben mir und dachtest an... Der Gedanke ist zu schrecklich, als dass ich ihn wirklich zulassen könnte. Aber dennoch ist er gar nicht mal so absurd. Kurz zuvor hatten wir noch gelacht - rumgealbert und dann herrschte Stille zwischen uns. Ich fand es nicht unangenehm. Es war auch keine unangenehme Stille sondern eher entspannende Ruhe. Ich hörte die Vögel zwitschern und das Rauschen in den Blättern der Bäume. Was hast du in dem Moment gehört? Den Lärm von der Straße, oder das Gestreite von einem Paar, das gerade vorbei ging. Hast du überhaupt noch diese wunderschönen Dinge gesehen oder gehört, die ich wahrnahm? Ich glaube kaum, denn sonst wärst du wahrscheinlich noch hier.
Warst du wirklich so traurig unter deinem Lachen? Irgendwie kann ich mir das gar nicht vorstellen, auch wenn ich es besser weiß. Aber Trauer würde ich es gar nicht nennen. Du warst eher müde, unendlich müde. Meine Hand fährt wie von selbst in meiner Tasche. Will ich den Brief wirklich herausholen? Nein - Meine Finger zucken zurück. Mein Herz zerspringt auch so schon fast. Das wäre nur Quälerei für mich. Oder wolltest du das ich leide? Hast du ihn mir deshalb geschickt?
Tut mir leid, das wollte ich dir nicht unterstellen. Ich weiß ja im Grunde, warum du ausgerechnet mir einen Abschiedbrief hinterließt. Du wolltest, dass ich dich verstehe... wohlmögliche dir verzeihe. Kann ich das denn? Mein Blick ruht auf deinem Sarg, der noch in der Halterung über dem Erdloch liegt. Kann ich dir verzeihen, was du getan hast? In einiger Entfernung sehe ich wie deine Mutter wieder in Tränen ausbricht. Könnte sie dir verziehen, wenn sie wüsste, dass es kein Unfall war? Würdest du all diese Menschen hier sehen, in schwarzen Kleidern und alle mit Gesichtern, als würde die Sonne nie wieder aufgehen, würdest du es immer noch wollen? Würden sie dir verzeihen?
Ich kann den Worten, die über dich verloren werden, einfach nicht mehr zu hören. Sie wissen doch gar nicht über wen sie reden. Wenn ich es genau bedenke, ich ja auch nicht. Kannte dich überhaupt jemand von uns? Ich hoffe und bete, dass ich dich gekannt habe. Zumindest hast du mir vertraut, mehr als allen anderen, sonst hättest du es mir nicht anvertraut, oder? Du hast mir vertraut, dass ich dir verzeihen würde. Eigentlich sollte ich mich geehrt fühlen, aber das ich mich nicht darüber freuen kann, dürfte wohl klar sein. Obwohl ich mich schon ein wenig freue, dass du mir vertraut hast. Denn Vertrauen bedeutet ja auch...
Der Himmel ist wirklich wunderschön blau. Du hast ihn dir immer so gewünscht. Ist das vielleicht ein letztes Geschenk an dich? Für dich wäre der Himmel bestimmt auch noch öfter so blau gewesen, aber du hast es mir geschrieben. Du konntest selbst dein geliebtes Himmelblau nicht mehr sehen. Ich hätte es dir gern gezeigt, es mit dir neu entdeckt, aber das ist nun vorbei. Nein, es hatte ja nie begonnen.
Ein Rabe hüpft in einem der umstehenden Bäume umher. Sein Gefieder ist so schwarz wie deine langen Haare, die ich nun nie wieder zu irgendwelchen Frisuren zusammenstecken kann. Ich werd es vermissen, das Gefühl deine Haare durch meine Finger gleiten zu lassen und den frischen Duft deines Shampoos... die Skepsis und die Freude in deinem Blick... Ich möchte nicht daran denken, was du geschrieben hast, aber muss es doch... "Es lohnt nicht mich zu vermissen, vergiss mich einfach. Bitte wein nicht um mich, da wo ich jetzt bin, geht es mir besser..." Ich hoffe du hast recht, weil ich sonst verdammt sauer auf dich wäre. Du sagst ich soll dich nicht vermissen, wie soll das gehen? Wie soll ich vergessen, dass du immer für mich da warst, wenn mir mal wieder ein Kerl das Herz gebrochen hat? Wie soll ich vergessen, wie oft wir miteinander gelacht haben? Und wie soll ich vergessen, dass ich... ich kann nicht daran denken, es tut viel zu weh, und das ist meine Schuld, weil ich es mich nie traute zu sagen... nur drei kleine Worte. Und jetzt darf ich nicht mal um dich weinen...
