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Lust'n'Needs II

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Story basiert im Grunde auf diesem Song. Der junge Herr, der das vorträgt, ist Jamie - was er da vorträgt, weiß ich nicht, aber das am Ende da klingt doch stark nach 'Cari, I miss you so'. Daraus und aus dem Titel habe ich was kreiert. Also bitte nicht lachen, falls hier jemand Schwedisch kann und weiß, dass der Herr da über was ganz anderes trällert. ;) Komplett anzeigen

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Final Round

Final Round

 

 

Seufzend fügte Jamie sich in sein Schicksal. Wieso konnte er dem Gebettel seines Bruders auch nie widerstehen? John schien irgendetwas an sich zu haben, dem man partout nichts entgegensetzen konnte. Wahrscheinlich war es sein Hundeblick gewesen, der Jamie ein Okay entlockt hatte. Oder auch die geschwisterliche Zuneigung, die sie beide verband. Ganz sicher aber hatten Jamie nicht seine Argumente überzeugt. Denn er hatte trotz Johns Überredungsversuchen die ganze Sache für eine absolut beschissene Idee gehalten. Aber sein Bruder hatte schließlich auch gut reden - nicht er würde an diesem Abend die Songs vortragen, welche so ziemlich das Intimste darstellten, was seine Seele je ausgespuckt hatte. Jamie bereute es sogar, sich überhaupt dazu überreden gelassen zu haben, die Lieder, welche er in schaflosen Nächten geschrieben hatte, aufzunehmen. Wären sie in irgendeiner Schublade verrottet, hätte er nun nicht vor diesem Problem gestanden.

So, wie Jamie mit den Augen rollte und aufhörte, sich zu verteidigen, schlang sein doofer Bruder fest die Arme um ihn und drückte ihn an sich.

"Danke Mann, die Jungs hätten sonst keine Vorband an diesem Abend gehabt. Du hast ihnen echt den Arsch gerettet."

Das mochte wohl stimmen, hatte die eigentliche Vorband doch kurzfristig abgesagt, weil den Sänger ein kleiner Schnupfen plagte oder so. Ersatz fand sich eben auch in einer musikbegeisterten Stadt wie Stockholm nicht so einfach. Jeder zweite Typ unter vierzig schien hier zwar in einer Band zu spielen, aber die Chance, spontan einen Auftritt zu absolvieren, nahm dann keiner wahr. Typisch. Jamie war somit der Retter in letzter Sekunde. Er würde das Ding schon rocken, irgendwie.

Egal, Scheiß drauf, dachte er sich also plötzlich und straffte die Schultern, nachdem sein Bruder ihn endlich losgelassen hatte. Die Leute, an die seine intimen Songs adressiert waren, würden ohnehin nicht anwesend sein. Rikki war heute Abend bei Dani, Martin hatte mal wieder mit Crashdiet zu tun und Cari wollte ebenfalls irgendetwas mit seiner Freundin unternehmen, wie er mitbekommen hatte. Jamie konnte also in aller Ruhe seine Abrechnungen mit diversen Kumpels vortragen. Niemand würde sich in den Lyrics wiedererkennen. Und bei einem gewissen Song konnte man immer noch annehmen, er würde von einem Mädchen handeln. Einem ganz besonderen Mädchen.

 

Wenige Stunden später gehörte die Bühne nur noch ihm und seinem Bruder, der die Akustikgitarre zupfen würde, während Jamie seine Songs vortrug. Zugegeben, sie mochten alle fast dieselbe Melodie aufweisen, aber dies war eben ein Projekt, welches ausschließlich durch die Texte der Lieder lebte. Ob den Leuten das gefallen würde, bezweifelte Jamie, so wie er in die erwartungsvollen Gesichter starrte, die zu den beiden Männern auf der Bühne emporschauten. Viele von ihnen gerieten allmählich in Partystimmung, was die Bierflaschen in ihren Händen und an ihren Lippen verrieten. Ein Akustikset als Einheizer würde deshalb als ein voller Griff ins Klo enden. Jamie hatte es seinem Bruder ja zu verklickern versucht, aber der hatte sich ja nicht von seinem Plan abbringen lassen. Wie immer. Dieser bescheuerte Sturkopf. Nun würde er schon sehen, was er davon hatte.

Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Jamie sich auf einer Bühne tatsächlich fehl am Platz. Dennoch wollte er das Ganze nun ordnungsgemäß durchziehen. Buhrufe würde er getrost ignorieren, zumindest nach außen hin. Nach innen aber hätte es ihm schon geschmerzt, wenn man sein Herzblut mit Füßen trat. Nichtsdestotrotz kam er sich wie eine dumme Parodie seiner selbst vor, als er zum Mikro griff und sich räusperte.

Ganz der Profi begrüßte er die Menge und ließ sich nichts von seinem schlechten Gefühl anmerken. Wie immer gab er sich tough und selbstbewusst, denn das war das einfachste in Situationen wie diesen. Das Zeigen von Gefühlen brachte einen meistens ohnehin nicht weiter. Er hatte es oft genug miterleben dürfen, auch abseits der Bretter.

Die ersten Akkorde seines Songs über Rikki erklangen und er stieg nach der Augen-zu-und-durch-Methode mit ein. Zum Glück handelte es sich bei dem Lied um eines mit einem eher witzigen Text, sodass hin und wieder gar Gelächter an sein Ohr drang. Beim Martin-Lied schunkelten ein paar angetrunkene Typen sogar im Rhythmus, wofür Jamie ihnen ein anerkennendes Nicken schenkte. Er hätte schließlich nicht erwartet, dass das Publikum die ganze Sache so gut aufnehmen würde. Aber offenbar hielten sie die ganze Nummer wirklich für eine Art Witz - in der Tat nahm Jamie sich selbst auch nicht wirklich ernst, und John erst recht nicht. Allerdings würde der letzte Song nicht halb so heiter wie die beiden davor anmuten, und er würde auch der intimste für Jamie sein. Ein Lied, in welches er seine ganzen angestauten und nie ausgesprochenen Gefühle gesteckt hatte, sollte den Abschluss bilden, und Jamie schloss die Augen, um sich ganz in den Song fallen zu lassen, während John der Gitarre sehnsüchtige Klänge entlockte. Diese wurden bald schon eins mit seinem Gesang, der fast anklagend durch den Club hallte.

Und nein, er handelte ganz sicher nicht von einem Mädchen, denn ein Mädchen wäre nie in der Lage gewesen, ihm solch Freude zu schenken und gleichzeitig so ein Leid zuzufügen. Er besang das Zerissenheitsgefühl, das seine Seele bevölkerte, an jenem Tag, an dem er hatte beginnen müssen, all das zu vermissen, was dieser besondere Mensch ihm geschenkt hatte. Die Worte verließen von ganz allein seine Lippen, und er musste das Ganze nur erneut durchleben, die Wut, den Hass, aber auch diese zarte Liebe, für die er sich heute noch verdammte. Aber er hatte sie ja unbedingt berühren müssen, diese schöne Rose, und natürlich hatte er sich alsbald an den Dornen gestochen, naiv und hungrig, wie er gewesen war. Doch da dies kein Song über sich selbst war, trauerte er viel mehr den Nächten hinterher, den Nächten zu zweit, welche ihn bis zum Morgengrauen in Zärtlichkeit gehüllt hatten. Nie würde er vergessen, wie es sich angefühlt hatte, von diesen Händen berührt und von diesen Lippen geküsst zu werden. So waren die Gefühle für diesen Mann ein wenig ausgeufert, weil in seinem Herzen kein Platz mehr gewesen war für einen weiteren Bruder. Und weil auch in dem Herzen des anderen keine reine Bruderliebe für ihn hauste, egal, wie oft er dies auch bestritten hatte. Doch Jamie wusste mehr über ihn als es ihm lieb war. Jamie hatte es nächtelang spüren dürfen, dieses unglücksselige Biest, welches sich die meiste Zeit gut zu verstecken wusste, obwohl es doch existierte. Nicht umsonst verglich er es mit dem Monster vom Loch Ness. Nicht umsonst sang er diesen Song. Denn hätte keine Hoffnung mehr zwischen den Zeilen mitgeschwungen, so hätte er keine Motivation gehabt, dieses Lied zu schreiben.

Der letzte Akkord verklang, und Jamie hielt das Mikro noch ein wenig näher an seine Lippen, um dann in die andächtige Stille, die nun im Saal herrschte, fünf Worte zu hauchen.

"Cari, I miss you so."

Applaus brandete auf, so wie er ehrfürchtig vor seinen eigenen Emotionen den Kopf abwendete und zu Boden starrte. Die Reaktionen des Publikums waren ihm egal geworden. Was zählte war nur dieses Lied und das, was es jedes Mal, wenn er es sang, in ihm auslöste.

Der Drang, nun einfach abzuhauen, sich zu verziehen, wurde übermächtig, und so verschwand er ohne ein Wort des Abschiedes in den Schatten, ließ seinen Bruder allein zurück.

Was er brauchte war nun ein wenig Zeit für sich, um wieder zur Besinnung zu kommen und diesem süßen Albtraum zu entkommen, der durch dieses Lied wieder all seine Gedanken bevölkerte. Nein, er brauchte nicht nur ein wenig Zeit für sich - was er am dringendsten brauchte war ein ordentlicher Schnaps, der ihn zurück in die Realität holen würde. Oder auch noch tiefer in den Abgrund trieb. Wer wusste schon, wie er sich im Rausch fühlen würde? Hauptsache, er tat etwas. Irgendetwas.

 

Mit nach wie vor gesenktem Kopf schlängelte er sich durch die umherstehenden Menschen und ignorierte jene beflissen, die versuchten, ihn auf seinen Auftritt anzusprechen. Er war hinüber, verdammt noch mal, er konnte jetzt nicht irgendwelche Fragen beantworten oder gar fröhlich in Kameras lächeln. Klar, er hasste sich selbst dafür, dass er sich so hängen ließ und nicht wie sonst immer sein Poker Face aufsetzte, doch irgendwann war selbst sein Limit erreicht und er schaffte es nicht mehr, eine Rolle zu spielen.

Mit hastigen Schritten schleppte er sich in Richtung Bar, wurde aber plötzlich von jemandem am Arm festgehalten. Alle Alarmglocken begannen in seinem Kopf zu schrillen, Wut brandete auf. Wer zum Teufel wagte es, ihn zu begrabschen?

Darauf gefasst, diesem penetranten Arschloch die Fresse zu polieren, hob er den Kopf. Seine Hand ballte sich bereits zur Faust und sie entspannte sich auch nicht wieder, als er direkt in die ihn besorgt anschauenden Augen jenes Mannes blickte, der gerade der alleinige Herrscher über seine quälenden Gedanken war.

Trotz der Wut machte sich nun auch blankes Entsetzen in ihm breit. Er sah, wie Caris Lippen sich bewegten, aber er verstand kein Wort von dem, was er sagte.

Er hatte Angst. Angst, dass er den Song über sich gehört haben könnte. Angst, dass er sich nun mit seinen Gefühlen auseinanderzusetzen hatte. Dass er dafür geradestehen musste.

In diesem Moment blieb ihm nur noch die Flucht. Er wollte losrennen, aber Caris Griff um seinen Arm war zu fest, seine Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch. Vor Frustration schrie er los, begann sich zu winden, so lange, bis er an einen warmen Körper gedrückt wurde, der seine Angst ein wenig erstickte. Aber nur ein wenig.

"Ist ja gut", hörte er nun eine allzu vertraute Stimme beruhigend auf ihn einreden, während er in diesen Armen ein Stück Ruhe fand, egal, ob er das wollte oder nicht. "Mann, du bist ja ganz durcheinander. Alles ist gut, Jamie. Alles ist gut."

Nach wie vor atmete er hektisch, aber es wurde besser. So wie immer alles besser wurde, wenn Cari in seiner Nähe war und sein Herz zu hoffen begann. Keuchend presste er seinen Kopf an den Hals seines Freundes und schloss die Augen. Das Gedankenkarussell hörte auf, sich zu drehen. Er kam runter. Aber das sollte nicht bedeuten, dass er Cari irgendein Sterbenswörtchen über seinen Song erzählen würde. Das hatte dieser Typ sich ohnehin nicht verdient.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit beendete Cari die Umarmung, schaute aber Jamie noch immer prüfend an, während die Hände auf seinen Schultern ruhten.

"Bist du jetzt wieder okay?"

Was? Jamie glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können. Ein verächtliches Schnauben entwich ihm.

"Ja klar, mir gehts prima!", verkündete er und breitete mit einem gespielten Grinsen die Arme aus. "Da oben auf der Bühne, da hast du doch gerade eben den glücklichsten Menschen auf der Welt gesehen."

Cari schaute ein wenig irritiert drein.

"So war das doch gar nicht gemeint", versuchte er den aufgebrachten Jamie zu beschwichtigen, welcher dieses Mal seiner Berührung wie ein scheues Tier auswich. Sein dabei durch und durch anklagender und tiefgreifend verletzter Blick erschreckte Cari. So hatte er Jamie noch nie gesehen. "Ich wollte doch nur-"

"Schön." Jamie grinste noch immer, aber man sah deutlich, dass dieses Lächeln aus nichts anderem als Verachtung gemacht war. "Dann weißt du ja nun, wie es so in mir aussieht und was ich so über dich denke. Viel Spaß damit. Du darfst nun lachen."

Caris Geduld wurde durch Jamies bitteren Sarkasmus mächtig auf die Probe gestellt, doch er versuchte, sich zu beherrschen. Wenn nun auch noch er austickte, würde ihnen beiden nicht geholfen sein.

"Jamie." Er streckte abermals die Hand aus, zog sie aber zurück, als er sich darauf besann, wie negativ sein Freund auf seine Berührungen reagierte. "Ich...ich wusste doch nicht, dass du...heute Abend so ein Lied vorträgst. Ich wollte dich doch nur überraschen. Außerdem...brauchst du dich doch nicht zu schämen deshalb. Ich-"

"Sorry, ich muss weg", verkündete Jamie plötzlich und machte sich schon wieder daran, Hals über Kopf zu flüchten. Allerdings kam er auch dieses Mal nicht weit, denn Cari war schneller. So einfach wollte der Drummer sich schließlich nicht abservieren lassen. So konnten sie unmöglich auseinander gehen. Ihre Freundschaft war ins Wanken geraten, das wusste er ganz genau, und das war nicht erst heute passiert durch diesen Vorfall. Er spürte, dass sie ein für alle Mal etwas klarstellen mussten, bevor er Jamie noch ganz verlor. Und das, obwohl auch sein Kopf voll von allen möglichen Gedanken war, jetzt, wo er diesen Song gehört hatte, in welchem er sich sofort wiedererkennen konnte.

Voller Bestimmtheit drehte er Jamie an der Schulter herum und hielt seinem trotzigen, provokanten Blick tapfer stand. Er lief somit Gefahr, dass der gereizte Sänger ihm mitten ins Gesicht spuckte, aber das war ihm egal. Nichts war so wichtig wie das, was er ihm mitteilen wollte.

"Jamie, lass uns über alles reden."

Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Cari, so etwas wie Einsicht in dem Blick seines Freundes glimmen zu sehen, aber schnell verschwand diese wieder hinter der undurchdringlichen Maskerade aus Hohn.

"Es gibt nichts zu reden", keifte Jamie, dessen Körper schon wieder zuckte in dem Wunsch, endgültig abzuhauen. Inzwischen klang er fast verzweifelt. "Lass mich endlich in Ruhe, ich will nach Hause."

"Okay, aber dann begleite ich dich", bestimmte Cari. "In dem Zustand lass ich dich nicht alleine. Du bist total drüber, merkst du das eigentlich nicht?"

Der Sänger erwiderte daraufhin gar nichts. Zu Caris Erleichterung aber sagte er auch nichts Gegenteiliges, als er mit ihm nach draußen ging und ihn in sein Auto einsteigen ließ.

 

Jamies Schweigen war nach wie vor eines aus der Bockigkeit heraus geborenes, und hätte Cari nicht ganz andere Dinge im Kopf gehabt, hätte er sicherlich geschmunzelt über diesen sturen Esel, der neben ihm auf dem Beifahrersitz hockte und reglos geradeaus starrte. Oh Mann, Jamie war echt schwierig, vor allen Dingen, weil er nie über seine Gefühle sprach und immer gute Miene zum bösen Spiel machte, aber Cari musste sich eingestehen, dass er selbst auch nicht viel besser war. Er war Profi darin, unangenehme Dinge einfach zu verdrängen und sie aus seinen Gedanken zu verbannen. Und weil Jamie eben genauso undurchschaubar war, kam es vor, dass Cari ihn manchmal falsch behandelte. Auch wenn er es niemals böse meinte. Auf keinen Fall hätte er Jamie jemals mutwillig verletzt. Dafür lag er ihm eindeutig zu sehr am Herzen.

 

Er machte sich daran, in eine Parklücke direkt vor Jamies Haus einzubiegen, doch da begann Jamie plötzlich etwas zu murmeln.

"Wir fahren zu dir. Können ja noch ein Bier zusammen trinken."

Cari schaute ihn verwundert an, leiste aber natürlich keine Widerrede. Eigentlich hatte er fest angenommen, dass der andere nun allein sein wollte nach all dem, was ihm an diesem Abend widerfahren war, aber so konnte man sich täuschen. Jamie änderte seine Meinung hin und wieder recht schnell, und vielleicht hatte er nun eingesehen, dass es vernünftig war, über alles in Ruhe zu reden. Auch wenn es manchmal wehtat.

 

Zum Glück hatten die beiden Männer in Caris Wohnung sturmfrei. Wenn seine Freundin nicht kurzfristig für die Nachtschicht eingeteilt worden wäre, hätten sie das Biertrinken besser in Jamies Wohnung verlegt, aber so würden sie die ganze Nacht ungestört sein.

Der Sänger nahm zugleich ohne nachzufragen auf der Couch im Wohnzimmer Platz, wissend, dass er sich bei Cari stets ganz wie zu Hause fühlen durfte. Wahrscheinlich traf das auch auf eine Situation wie diese zu. Zumal Cari gar nicht sauer oder irritiert wirkte. Jamie konnte also hoffen, dass er ihn trotz des dämlichen Liedes nicht abservieren würde. Und so wie er in das ihn anlächelnde Gesicht seines Freundes blickte, als er ihm eine kühle Bierflasche reichte, meinte er zu wissen, dass sich alles zum Guten wenden würde.

Oh Mann, als ob das Leben ein verdammtes Märchen gewesen wäre...

 

Jamie vermutete, dass sich ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen breit machen würde, so wie Cari sich neben ihn setzte, seine Flasche köpfte und anschließend ein paar gierige Schlucke hinunterstürzte. Eigentlich wollte er dieses Gespräch überhaupt nicht, hatte er doch keine Kraft dafür, aber irgendwie musste der Scheiß ja mal aus der Welt geschafft werden. Sonst würde er noch in fünfzig Jahren zwischen ihnen stehen, und das wollte er auf keinen Fall.

Lange musterte er Cari, sich dabei verbietend, ihn allzu sehr zu bewundern, dann begann er einfach zu sprechen. Was hatte er schließlich noch zu verlieren?

"Ich würde auch gerne so locker damit abschließen können wie du."

Cari senkte die Bierflasche und sah ihn dezent verwundert an, wodurch Jamie sich dazu berufen fühlte, einfach weiterzusprechen.

"Tja, aber mir geht das eben nicht am Arsch vorbei." Er hob die Schultern, dabei hilflos lächelnd. "Ich denke jeden verdammten Tag daran...und daran, was hätte daraus werden können..."

Offenbar wollte Cari etwas dazu sagen, denn sein Mund öffnete sich mehrmals, nur um sich gleich wieder zu schließen. Ja, Jamie wäre an Caris Stelle auch nichts eingefallen. Die Lage war für ihn sicherlich genauso blöd. Doch er war ja derjenige gewesen, der hatte reden wollen. Über damals. Über ihr erstes Mal, das sie mit Siebzehn gemeinsam erlebt hatten. Über die nachfolgenden Wochen, in denen sie von außen betrachtet so etwas wie ein Paar gewesen waren. Über all die Nächte, die so schön gewesen waren, dass Jamie gar nicht anders konnte, als sie zu vermissen. Sie und die damit einhergegangenen Gefühle. Verdammt, er hatte Caris zärtliche Seite kennenlernen dürfen, und zudem wusste er nun, dass er ein fantastischer Liebhaber war. Dem Höhepunkt in seinen Armen näher und näher zu kommen, das war einfach unvergleichlich gewesen. Ein Gefühl, das ihm keine der Frauen nach ihm hatte schenken können.

Beschwichtigend hob er die Hände, als er ein wenig aus diesen Gedanken auftauchte.

"Denk jetzt aber ja nicht, dass ich mit dir zusammen sein will", erklärte er hektisch. "Es ist total okay, dass...sich die Zeiten geändert haben, ja? Ich bin gerne dein Kumpel-"

"Jamie, du musst dich nicht erklären." Caris Blick wurde weich, ja fast schon zärtlich, aber auch irgendetwas Wehmütiges glaubte Jamie darin zu erkennen. "Ich tue es ja auch nicht. Du weißt selber genau, weshalb ich das irgendwann nicht mehr konnte."

"Ja ja", murmelte Jamie, der nun den Blick senkte. "Weil du Johanna kennengelernt hast. Weil du eigentlich nicht auf Männer stehst."

Cari fasste nun den Mut, um seine Hand auf Jamies Knie zu legen.

"Nein, das stimmt so nicht ganz", revidierte er die Worte des anderen, was diesen verwundert aufschauen ließ. "Ich habe auf dich gestanden. Ich habe auf einen Mann gestanden."

"Nur hast du ihn nicht geliebt." In Jamies Augen blitzte ein bitterer Schalk auf. "Bloß gut, ich dich nämlich auch nicht."

Sorge ließ Cari die Stirn runzeln. So oft wie Jamie beteuerte, dass er keine tiefer greifenden Gefühle für ihn hegte, versuchte er sicher nur, sich selbst etwas vorzumachen. Dabei hatte Cari schon damals etwas ganz anderes bei Jamie wahrgenommen. Etwas, das hauptsächlich dafür verantwortlich gewesen war, dass er das Verhältnis beendet hatte.

Er hatte gespürt, dass Jamie auf dem besten Weg gewesen war, sich in ihn zu verlieben. Seine Augen hatten bei ihrem letzten Mal nicht mehr lügen können. Allerdings war dieses letzte Mal auch für Cari der beste Sex gewesen, den sie je gehabt hatten. Das letzte und das beste Mal...und man sollte doch schließlich aufhören, wenn es am schönsten war, oder?

 

Sie schwiegen eine ganze Weile. Jamie knaupelte angespannt an seinem Lippenpiercing herum, während Cari sich inzwischen irgendwie ratlos an seiner leeren Bierflasche festhielt. Irgendwann blickte der Sänger ganz ohne Scheu in seine Richtung.

"Und, wie fandst du eigentlich das Lied?"

Er klang dabei, als erwartete er kein positives Resümee, aber Caris Antwort sollte ihn überraschen.

"Es war auf traurige Weise wunderschön", erwiderte er mit vor Ehrfurcht leiser Stimme, und Jamie suchte in seinen Augen nach einer Spur Ironie, welche er jedoch ums Verrecken nicht fand. Dafür entdeckte er etwas, das ihm so vertraut war, das ihn so sehr an früher erinnerte. Etwas, das ihm immer das Gefühl vermittelt hatte, angekommen zu sein. Heimgekehrt zu sein.

"Ehrlich?", hakte er überflüssiger Weise nach, aber anstatt dass Cari nickte, erhob er sich plötzlich und kramte in einer Schublade herum. Als er sich wieder zu Jamie auf die Couch gesellte, hielt er zwei schwarze Kerzen in der Hand. Eine steckte er in die Öffnung von Jamies Bierflasche, die andere in die seiner eigenen. Aus seiner Hosentasche pfriemelte er ein Feuerzeug, mit dessen Flamme er die Dochte entzündete. Kurz darauf wurde der Raum in ein weiches, gemütliches Licht getaucht.

"Auch ich kann romantisch sein", schmunzelte Cari seinem Freund ins Gesicht, der das Lächeln nur halbherzig erwiderte, da er viel zu sehr damit beschäftigt war, fasziniert das Spiel der Schatten und des Lichtes in den Augen seines Freundes zu beobachten. Alles an ihm war wieder so unaussprechlich schön, genau wie damals. Doch auch in der Zeit dazwischen hatte er nie aufgehört, schön in Jamies hingerissenen Augen zu sein. Der Sänger hatte es nur nie mehr zugelassen, sich dies so offen einzugestehen. Aber in dieser Nacht wollte er es wenigstens vor sich selbst zugeben. Genau, wie er wollte, dass seine Seele endlich von jenem Schmutz bereinigt wurde, welcher ihn schon jahrelang quälte.

"Weißt du, was mir am meisten zu schaffen macht?" Seine Stimme war nun ebenfalls leiser geworden, aber Cari konnte ihn gut verstehen, da er direkt neben ihm saß, sein Oberschenkel und sein Oberarm an dem des anderen. "Dass wir uns nie wirklich voneinander verabschieden konnten. Dass das, was zwischen uns war, einfach von heute auf morgen aufgehört hat zu sein. So, als hätte man eine Kerze ausgeblasen."

Behutsam legte Cari den Arm um seine Schultern und zog seinen Freund näher an sich heran. Dieser lehnte sich bereitwillig an ihn, und gemeinsam betrachteten sie voller Hoffnung die brennenden Kerzen. Ob sie denn ein Symbol darstellten, fragte Jamie sich. Oh, er wünschte es sich so sehr. Er wünschte es sich mehr als alles andere auf der Welt, musste er überwältig feststellen.

"Jamie...du wirst für immer mein Prinz bleiben, verstehst du?" Cari hielt sein Kinn gegen den Kopf seines Freundes gelehnt. "Die Zeit wird daran nichts ändern. Genauso wie keine Frau das kann. Es wird nie einen anderen Mann für mich geben. Du bist der Einzige, den ich je so nahe an mich herangelassen habe."

Auch Cari spürte es nun, dieses Kribbeln in seiner Magengegend. Seine Finger streichelten sacht über den nackten Oberarm Jamies, in dem aufkeimenden Wunsch, ihn überall berühren zu können, diesen wundervollen Mann, nach dem er sich noch immer so sehr sehnte. Nein, es hätte ihm noch nicht einmal genügt, ihn zu streicheln und zu liebkosen - er wollte am liebsten mit ihm verschmelzen und machen, dass er nie wieder traurige Lieder über ihn singen musste. Jamie durfte nicht mehr traurig wegen ihm sein. Was war er denn für ein Freund, wenn er ihn unglücklich machte?

Der schöne Sänger drehte nun den Kopf und schaute ihn mit halb geschlossenen Lidern an. Man musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, nach was der junge Mann sich nun verzehrte. Stumm flehten seine Blicke Cari an, ihn noch einmal, nur einmal zu küssen, und der Drummer verstand ihn, so wie er ihn damals schon ohne Worte verstanden hatte.

Der Kuss katapultierte sie in die Vergangenheit zurück, in eine Zeit der Unbeschwertheit, in der alle Probleme fern gewesen waren und sie sich dafür so unglaublich nah. Sie waren jung gewesen, sie hatten noch nicht viel von der Liebe gewusst, und doch hatten sie sich begehrt, wie Jugendliche es eben taten, wild und ungestüm und ohne einen Gedanken an das Morgen. Und noch immer schmeckten Caris Lippen nach dieser grenzenlosen Freiheit und Geborgenheit, die Jamie so vermisst hatte, als hätte er ein Bein verloren. Er ließ sich von seinem Freund umfangen, und doch war es nicht intensiv genug, es dürste ihm nach mehr. Wenn man einmal angefangen hatte zu essen, dann wollte man nicht mehr damit aufhören, bis man satt war. Und Jamie würde lange nicht satt sein. Viel zu lange hatte er hungern müssen, um dass ihm ein einziger Kuss gereicht hätte.

 

Cari wusste, dass er seinen Freund nicht gehen lassen durfte, bis er nicht mit einem durch und durch zufriedenen Lächeln neben ihm lag. Deshalb löste er sich von ihm, um kurzerhand die Kerzen auszupusten und sich dann zu erheben. Auffordernd streckte er Jamie die Hand hin, welche er voller funkelnder Begierde im Blick ergriff. Als sie gemeinsam in das angrenzende Zimmer taumelten und sich gemeinsam auf das Bett fielen ließen, wusste Jamie, dass sich sein Herzenswunsch in dieser Nacht erfüllen würde. Dass Cari ihn ihm erfüllen würde. Dass es so sein würde wie damals. Dass er sich heute in Ruhe von ihm verabschieden konnte, während er auf seinem Schoß saß und sich in seiner Ekstase an ihn klammerte. Ein letztes Mal würde er für ihn schreien und es dann gut sein lassen. Für immer. Weil er sich einreden würde, dass es funktionierte, einem Gefühl wie der Liebe Gute Nacht zu sagen.



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