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The Idol Mafia

von

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Codename: Hesiod

Die Schritte hinterließen ein dezentes Echo auf dem Flur. Es wurde mit jeder Sekunde lauter, bis schließlich jemand mit weißem Hemd und dunkelroter Krawatte vor einer massiven Eichenholztür stand. Mit unruhiger Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Tatsache, dass das Gebäude vollständig klimatisiert war, half aber selbst das nicht wirklich viel. Es war die pure Nervosität, die ihm die Schweißperlen immer wieder aufs Neue in die Augen trieb. Der Mann mit dem glatten, schwarzen Haar atmete mehrmals tief durch und klopfte danach drei Mal an die Türe.
 

Einen Moment lang gab es keinerlei Reaktion aus dem Inneren des Zimmers, bis plötzlich ein gedämpftes

"Kommen Sie herein" nach außen drang. Dem Öffnen der Türe wohnte ein leises Quietschen der Scharniere bei. Zaghaft machte der kleine Bote ein paar Schritte nach vorne und sah sich mit einer schnellen Kopfbewegung um. Drei große Fenster durchfluteten den Raum mit gleißendem Sonnenlicht. Links von ihm aus gesehen, stand an der Wand eine Couchgarnitur, einen halben Meter weiter ein Konferenztisch, der ungefähr Platz für zehn Teilnehmer bot. In einer Linie mit der Tür ragten zwei Regale bis fast unter die Decke empor. Sie waren gefüllt mit allerlei Aktenordnern und Büchern. Die schiere Masse beeindruckte ihn sichtlich. Etwas, das auch den anderen anwesenden Personen nicht entging.

"Es gibt hoffentlich wichtige Gründe, weshalb Sie mich bei meiner Arbeit stören", äußerte sich ein älterer Herr,

welcher an einem Schreibtisch gegenüber der Türe saß.
 

Ein wenig zögerlich drehte sich der Bote in die Richtung, aus der die Stimme kam. Zugleich verbeugte er sich tief, legte die Hände an und verharrte in dieser Position. Kurz darauf trat ein Mann mit schlaksiger Erscheinung an ihn heran. Graue Anzugshose und ein schwarzes Hemd mit Stehkragen hinterließen einen eleganten Eindruck. Ein Henriquatre umschloss den Mund und die linke Seite wies an der Schläfe entlang eine Narbe auf, die sich bis unter das Auge erstreckte. Trotz des üblichen Verblassens war diese jedoch noch immer gut sichtbar, nicht zuletzt wegen seiner kahlrasierten Glatze.
 

„Ah, Isamu-san. Wie ich sehe haben Sie neue Informationen für uns“, dabei deutete er auf die dünne Ledermappe, die Isamu in den Händen hielt. „Ja, natürlich, Akito-san. Bitteschön.“ Zaghaft übergab er die Mappe, ohne zu langen Blickkontakt zu halten. Mit einem leisen Murren überflog der großgewachsene Mann die wenigen Seiten. Eine unmissverständliche Handbewegung signalisierte dem Boten, sich aus dem Zimmer zu entfernen. Es verstrichen einige weitere Minuten, in denen sich Akito eingehender mit den vorliegenden Inhalten befasste.
 

Seine Laune nahm dabei Stück für Stück ab und auf der Stirn bildeten sich tiefe Sorgenfalten. Als er eine gute Viertelstunde später die Mappe beiseitelegte und sich an den Konferenztisch setzte, sprach ihn der ältere Herr von seinem Arbeitsplatz aus an. Er hatte das Geschehen stumm verfolgt und natürlich auch die negative Reaktion mitbekommen.
 

Ein lautes Räuspern war zu hören. „Bitte gib mir eine Übersicht der wichtigsten Details des Vorfalls.“ Mit einem zustimmenden Nicken erhob sich Akito langsam aus seinem Stuhl, rückte diesen wieder an den Tisch und begann mit seiner Zusammenfassung. „Wir haben jetzt die offizielle Bestätigung, dass besagte Daten tatsächlich aus der Zentrale in Mitteleuropa entwendet wurden. Es handelt sich insgesamt um verschiedene Dokumente und Listen, die offenbar nach der Aufbereitung und kurz vor einer routinierten Übertragung an weitere Standorte kopiert wurden. Ein solch unautorisierter Zugriff wurde laut dem Chef der Abteilung für IT-Sicherheit am vergangenen Freitag, den 26. Juni, registriert. Seitdem gab es diesbezüglich keine weiteren Meldungen mehr. Zusätzlich lässt sich dem Bericht entnehmen, dass dieser Diebstahl mit erhöhter Wahrscheinlichkeit nicht von außerhalb durchgeführt wurde. Stattdessen wird eine Vermutung ausgesprochen, dass es sich ebenso um einen oder mehrere Täter aus internen Kreisen handeln könnte. Soweit in aller Kürze.“
 

Im Licht der Sonne stehend, genoss er die Wärme, die ihm über das vom Alter gezeichnete Gesicht strich. Seine ergrauten Haare waren am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden. Gekleidet war er in einem traditionellen Kimono. Der dazugehörige Hakama, ein klassisch weitgeschnittener plissierter Hosenrock, besaß ein mit grauen und dunkelblauen Längsstreifen versehenes Muster. Um die Hüfte herum war der Obi, eine Art Stoffgürtel, gebunden. Dieser hielt den eigentlichen Kimono zusammen. Des Weiteren trug er einen schwarzen Haori, eine bis auf Schenkelhöhe gehende Überjacke. Das Gesamtbild wurde von einem Paar weisen Sandalen einheitlich abgeschlossen.
 

Mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen hatte er den Worten seines Beraters Aufmerksamkeit geschenkt. „Das sind fürwahr äußerst beunruhigende Nachrichten. Es besteht demnach eine Chance, dass sich gleich mehrere potentielle Verräter in unseren eigenen Reihen bewegen. Ein Umstand, den wir keinesfalls ignorieren dürfen. Veranlasse bitte für morgen Vormittag ein Zusammenkommen des vollständigen Beraterstabs, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren.“ „Wie Ihr wünscht, Daichi-dono.“ Mit diesen Worten verließ Akito den Raum.
 

Auf dem Weg zum anliegenden Treppenhaus, begegnete ihm auf halber Strecke ein wohlbekanntes Gesicht. „Hallo, Katsuro-san. Wohin des Weges?“ Mit einer kurzen Verbeugung zur Begrüßung und einem freundlichen, ja fast schon ansteckenden Lächeln, erwiderte der Mann. „Guten Morgen. Ich bin dabei meinem Vater die aktuellen Quartalsberichte zu bringen.“ Demonstrativ klopfte er mit der Hand auf zwei dicke Aktenordner, die er unter dem rechten Arm tragend mit sich führte. „Sehr löblich, aber ich dachte, dass das normalerweise die Aufgabe von Naoko-sama wäre. Oder täusche ich mich?“ „Keineswegs“, gab ihm Katsuro Recht. „Allerdings ist meine Frau mit ihrer Arbeit derzeit vollends ausgelastet. Ich bot ihr deshalb an, ersatzweise einzuspringen.“ Leicht argwöhnisch musterte Akito die Beschriftung der beiden Ordner. Seine Mimik verfinsterte sich zusehends. „Nichts als Probleme“, entwisch es ihm leise. Danach wandte sich Akito postwendend von seinem Gesprächspartner ab und lies ihn alleine zurück. Er wollte verhindern, dass dieser auf seine Reaktion aufmerksam wurde. Katsuro selbst wunderte sich zwar, schenkte dem Verhalten aber keine weitere Beachtung. Wie selbstverständlich betrat er das Zimmer am Ende des Flurs. Und ganz offensichtlich wurde er bereits erwartet.
 

„Katsuro, da bist du ja. Wie vereinbart, fast auf die Sekunde genau.“ Erneut verbeugte sich der junge Mann zur Begrüßung, bewegte sich zielgerichtet auf den Schreibtisch zu, um die verhältnismäßig schwere Fracht abzusetzen. „Hallo, Vater. Du weißt Pünktlichkeit ist eine Tugend“, witzelte er und schnaufte einmal kräftig durch. „Ja, da hast du nicht ganz Unrecht. In der heutigen modernen Zeit offenbart sich mir oftmals der klar erkennbare Verfall verschiedener Werte in unserer Gesellschaft.“ Vorsichtig kramte er in einer Schublade auf der rechten Seite des Schreibtischs herum. „Das Leben wird immer hektischer. Die Zahl der Menschen, die dabei die gebotenen Möglichkeiten verpassen, sich bestimmte obligatorische Eigenschaften anzueignen, steigt unaufhaltsam. Pünktlichkeit ist nur eine von vielen. Ich rede von präzisem Arbeiten, einem gesunden Pflichtbewusstsein, Respekt gegenüber Autoritäten, einer ausgeprägten Selbstbeherrschung, absoluter Loyalität, Zuverlässigkeit sowie dem ungebrochenen Willen Körper und Geist kontinuierlich zu stählen. „ Endlich fand sein Vater, wonach er gesucht hatte. Ein dunkelblaues Etui, aus dem er sich eine Lesebrille mit Goldrand direkt auf die Nase setzte. „Naoko hatte mir vorab telefonisch mitgeteilt, dass mich die neuen Quartalsberichte mit Sicherheit wieder zufriedenstellen würden. Katsuro, nimm doch bitte solange Platz, bis ich mit einer ersten Auswertung fertig bin.“ Schweigend kam er der Aufforderung nach und ließ sich auf der rechten Seite des Konferenztisches auf einem Stuhl nieder, mit dem Rücken zu seinem Vater gerichtet.
 

Während sich Daichi in aller Ausführlichkeit eine Übersicht der Resultate verschaffte, wurde Katsuro unterdessen auf eine rotbraune Ledermappe aufmerksam. Sie war mit Knopf und Kordel verschlossen. Auf der Vorderseite stand „Vertraulich“. Jedoch konnte er zweifelsohne erkennen, dass die Mappe schon mindestens einmal geöffnet worden war. Ein 2 cm breiter Streifen aus Dünndruckpapier, festgeklebt jeweils an der oberen und unteren Innenseite der Mappe, ragte mit den zerrissenen Hälften nach außen. Auf diesen waren unterschiedliche Symbole zu erkennen. Zuerst ein Kamon, ein Familienemblem. Es diente zur Verifizierung der Gültigkeit. Es folgte ein Emblem, das eindeutig auf eine bestimmte Person als Empfänger hinwies. Trotz der Beschädigung war das Zeichen seines Vaters zu erkennen. Zuletzt kam das Emblem des Absenders. Als reiner Schutzmechanismus konzipiert, konnte so ohne größeren Aufwand geprüft werden, ob sich zwischenzeitlich Unbefugte an den Inhalten zu schaffen gemacht hatte. Die entsprechenden Stempel, die unter anderem zur Nachproduktion benötigt wurden, befanden sich ausschließlich im Besitz der betreffenden Personen. Außerdem waren die Siegel durchnummeriert und deren Einsatz lückenlos dokumentiert. Selbstverständlich existierte auch hier ein gewisser Fehlerquotient, der sich allerdings im überschaubaren Rahmen bewegte. Das hatte die lange Zeit, in der dieses Verfahren seit her eingesetzt wurde, gezeigt. Besonders der letzte Teil des Siegels interessierte ihn. „Internationale Informations- und Kommunikationsverwaltung? Eine Nachricht aus dem Ausland. Was mag da wohl vorgefallen sein?“ Aus dem Augenwinkel heraus stellte er fest, dass sein Vater nach wie vor beschäftigt war. Eine gute Gelegenheit also, um sich weitere Einblicke in die vorliegenden Dokumente zu verschaffen.
 

Langsam öffnete er die Mappe und begann zu lesen. Die erste Seite war ein Deckblatt. In der oberen linken Ecke war wieder das Emblem der Abteilung für Internationale Informations- und Kommunikationsverwaltung zu sehen. Es war größer, als jenes auf dem Siegel. Daneben standen Datum, Uhrzeit und der Name des verantwortlichen Sachbearbeiters. Mittig auf dem Papier befand sich die Überschrift. „Erster Statusbericht zum Datendiebstahl vom 26. Juni 2015 in der europäischen Zentrale Frankfurt am Main“, las er in Gedanken. Im Anschluss an das Deckblatt gab es eine grobe Zusammenfassung der Geschehnisse. Ergänzend dazu folgten noch ein halbes Dutzend weiterer Seiten, die allerlei Informationen in wesentlich detaillierterer Form beinhalteten. Eine umfangreiche Aufstellung der gestohlenen Daten war hier mit weitem Abstand das Wichtigste. Den Rest bildeten eine Beschreibung über den möglichen Tathergang, Empfehlungen über zu treffende Maßnahmen und verschiedene Analysen des Datenverkehrs der vorherigen Woche. Für Katsuro nicht wirklich von Bedeutung. Behutsam legte er die Mappe zurück. Gerade rechtzeitig, um nicht von seinem Vater überrascht zu werden.
 

„Katsuro, komm bitte zu mir.“ Er tat wie ihm geheißen wurde. „Es freut mich zu sehen, dass meine Tochter noch immer nicht zu vollmundigen Versprechungen neigt. Ihre Arbeit als Direktorin macht sich bezahlt. Die Leistungen der Schülerinnen bei den letzten Prüfungen haben sich nochmals verbessert. Ein sehr positives Gesamtergebnis.“ „Und sonst?“, hakte Katsuro nach. Daichi lächelte. „Ich bin äußerst zufrieden. Vor 20 Jahren hätte ich es nicht erwartet, aber aus Naokos Projekt ist tatsächlich ein ansehnlicher Bestandteil unseres Rekrutierungssystems geworden. Ich kann mich noch genauestens daran erinnern, als Akito mir empfohlen hatte, diesen Unsinn schnell zu vergessen. Seiner Ansicht nach, hätte das Ganze ohne jegliche Zukunft bleiben sollen. Obgleich ich ziemlich skeptisch war, gibt euch der Erfolg Recht. Wir haben heuer erneut einen Zuwachs an Mitgliedern zu verzeichnen. Es färben bereits viele der Ideen und Methoden, die dank euch auf den Weg gebracht wurden, auf andere Stellen ab.“ Katsuro schüttelte den Kopf. „Es ehrt mich, dass zu hören. Lob gebührt aber in erster Linie Naoko. Schließlich war sie die Initiatorin, welche das Konzept von Projekt Hakysa entworfen und verwirklicht hatte.“ „Du zeigst dich bescheiden. Etwas, das mir an dir schon immer gefallen hat. Die Tätigkeit eines Beraters darf trotzdem nicht unterschätzt werden. Es gab viele Situationen, in denen du ihr den Rücken gestärkt hast. Situationen, in denen sie erst durch deine Unterstützung den nötigen Halt bekam, um wichtige Entscheidungen treffen zu können. Dessen solltest du dir immer bewusst sein. Ich bin davon überzeugt, dass du für meine Tochter unentbehrlich bist. Als Berater und gleichermaßen auch als Ehemann.“ Katsuro konnte es nur schwerlich verbergen, dass ihn diese Worte in eine gewisse Verlegenheit brachten. „In Ordnung. Naoko wartet sicher schon auf mich. Vielen Dank.“ Höflich verbeugte er sich zum Abschied. Daichi klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. „Macht so weiter wie bisher. Ihr erfüllt das Herz eines alten Mannes mit Stolz.“ Bestätigend nickte er seinem Vater ein letztes Mal zu und verließ das Zimmer.
 

Geraume Zeit später saß Katsuro in seinem Auto. Er kam noch nicht mal zum Ausparken, als plötzlich sein Smartphone einen Klingelton in Form einer 8-Bit Melodie verlauten ließ. Schnell zog er das Mobiltelefon aus der Hosentasche. „Kotori, was gibt es denn?“ Zur aktuellen Uhrzeit - es war etwa 12:45 Uhr - hatte seine Tochter gerade Mittagspause. Sie besuchte die zweite Klasse der Oberstufe an der Otonokizaka High School. Derselben Schule, an der auch seine Frau als Rektorin beschäftigt war. „Papa, gut das ich dich erreiche. Ich habe etwas Dringendes mit dir zu besprechen.“ Sie klang aufgeregt und erfreut zugleich. In aller Eile gelang es ihm jedoch nur dem halben Sachverhalt zu folgen. „Und? Was meinst du? Stimmst du zu? Mit Mama hatte ich soweit schon alles geklärt und sie hat grundlegend nichts dagegen einzuwenden. Aber ohne dein Einverständnis wollte sie sich noch nicht endgültig festlegen.“ Katsuro wusste ziemlich genau, dass ein Nein in diesem Moment keine Akzeptanz finden würde. Aber da er jetzt keine Lust dazu hatte, eine unnötig lange Diskussion vom Zaun zu brechen, beschloss er, eine eindeutige Antwort seinerseits nach hinten zu verlegen. „Ich gebe deiner Mutter Recht. Wir sollten uns lieber noch einmal zu dritt ausführlicher darüber unterhalten. Heute Abend wird sich dafür bestimmt ein wenig Zeit finden.“ Das Missfallen der Oberschülerin war deutlich wahrzunehmen. Sie mochte es nicht, sich vertrösten zu lassen und hätte am liebsten noch einen weiteren Versuch unternommen, sofort eine annehmbarere Antwort zu erhalten. Dazu kam es allerdings nicht.
 

„Wo bleibst du denn so lange?“ Die Stimme gehörte einer weiteren Schülerin, die im Türrahmen des Klassenzimmers stand. Anhand der roten Schleife ihrer Uniform war zu erkennen, dass sie die gleiche Klassenstufe besuchte wie Kotori. „Wir wollten doch heute im Clubraum essen. Man wartet mit Sicherheit schon längst auf uns. Beeil dich.“ Mit diesen Worten machte sie einen galanten Hopser zurück in den Flur. „Gut. Bis später, Papa“, verabschiedete sie sich und eilte ihrer Freundin nach. Kurz darauf befanden sich beide auf dem Weg zu besagtem Clubraum. „Wie sieht es aus? Konntest du deinen Vater überzeugen?“ Kotori schüttelte den Kopf. „Aber wenn meine Eltern sich mit ihrer Antwort dem Rest anschließen, dann dürfte es keine Probleme mehr geben.“ „Hört sich klasse an. Ein Auftritt im Ausland. Wie die ganz großen Stars“, murmelte Honoka mit einem breiten Grinsen. „Lass dir das besser nicht allzu sehr zu Kopf steigen“, fing Kotori an, „Niko-chan hatte schon recht überzogen reagiert, als ich von der Einladung erzählte.“ Honoka wich mit einer abwinkenden Handbewegung aus. „Ich weiß, ich weiß. Mit solch kindlicher Vorfreude darf man es nicht übertreiben. Sonst ist die Enttäuschung im Nachhinein nur umso größer.“
 

Ein leises Kichern war zu hören. Nahezu gleichzeitig drehten sich beide nach hinten um. Eine Schülerin mit blondem Haar, gebunden zu einem hohen Pferdeschwanz, lächelte sie fröhlich an. „So etwas ausgerechnet von dir zu hören, das ist irgendwie amüsant. Es beruhigt mich jedenfalls, dass du dich von Nikos Enthusiasmus nicht so einfach mitreisen lässt.“
 

„Hallo, Eri-chan“, begrüßte Kotori ihre Senpai. „Wir haben gerade über die Einladung gesprochen. Eine gewisse Vorfreude lässt sich da wohl nicht gänzlich verbergen.“ „Das stimmt“, pflichtete Eri bei, „dennoch sollten wir uns darüber Gedanken machen, wenn auch deine Eltern ihre Zustimmung gegeben haben. Schließlich gibt es für uns hier noch genügend andere Dinge zu tun.“ Honoka seufzte. „Wenn neben dem Training nicht noch ständig der Unterricht stattfinden müsste, wäre manche Arbeit wesentlich einfacher zu erledigen.“ Beherzt klopfte Eri ihrer Freundin auf die Schulter. „Vergiss nicht: Ohne den Unterricht und ohne die Schule, gäbe es überhaupt keine Arbeit für uns, kein Training und Muse als Gruppe sowieso nicht. Dann hätte ein Auftritt im Ausland keine Zukunft.“
 

In der Tat, sie hatte vollkommen Recht. Und da Honoka es nicht vermochte, dagegen noch etwas einzuwenden, setzten die Schülerinnen ihren Weg fort. Kurze Zeit später betraten sie den Clubraum der „Idollerngruppe“. Was hier zuerst auffiel, waren drei große Regale, die bis auf den letzten Platz mit Zeitschriften, DVD- und Blu-Ray-Boxen, Figuren und diversen Autogrammkarten gefüllt waren. Der ganze Rest dieser durchaus üppigen Sammlung war ordentlich in etlichen Kisten untergebracht und an verschiedenen Stellen endgelagert worden. Zusätzlich hingen mehrere Poster und Wallscrolls an den Wänden, die einige Idol-Gruppen zeigten. Am Ende des Zimmers gab es einen Arbeitsplatz mit einem Computer. Die übrigen sechs Mitglieder saßen an zwei hintereinander gereihten Tischen in der Mitte des Zimmers.
 

„Ihr seid zu spät. Wir haben bereits mit dem Essen angefangen.“ „Bitte entschuldige Niko-senpai“, sagte Kotori, während sie sich einen der Stühle zurechtrückte. In aller Ruhe nippte das schwarzhaarige Mädchen mehrmals an ihrer Tasse. „Gibt es etwas Neues, was das gestrige Thema anbelangt?“, fragte sie anschließend. Eri verneinte rasch. Vorsichtig stellte Niko die leere Teetasse ab. „Ich verstehe. Es bleibt uns also nichts weiter übrig, als abzuwarten.“ Sie warf der Kohai, die ihr direkt gegenüber saß, einen flüchtigen Blick zu. Beschämt drehte diese daraufhin den Kopf zur Seite. „Ich hoffe sehr, dass die Direktorin uns in absehbarer Zeit positive Neuigkeiten mitteilt. Ansonsten sind Konsequenzen leider nicht auszuschließen.“ Eine andere Kohai näherte sich der Drittklässlerin von hinten und schenkte etwas vom frisch aufgebrühten grünen Tee nach. „Ich kann dir aus erster Quelle heraus versichern, dass wir derzeit keine Aussage zum Ausgang dieser Geschichte treffen können. Hältst du es deshalb für Ratsam, noch mehr Ängste zu schüren?“ „Keineswegs. Aber ich werde gewiss Nichts einfach so beschönigen.“ Mit Genuss nahm sie einen großen Schluck Tee zu sich. Ihre Mimik hellte sich zugleich ein wenig auf. „Ein köstliches Aroma.“
 

„Niko hat Recht. Maki, dein Tee schmeckt hervorragend!“, bemerkte Honoka, nachdem das Mädchen mit den roten Haaren ihr ebenfalls nachgeschenkt hatte. Scherzhaft deutete diese einen Hofknicks an und setzte sich zurück an den Tisch. Die Anführerin von Muse kippelte etwas mit dem Stuhl, ehe sie sich der Gruppe zuwandte. „Ich möchte für alle hier Anwesenden eines klarstellen:", ihre Stimme besaß nun einen unverkennbaren autoritären Unterton. „Es gibt keinen Grund, weshalb wir zum jetzigen Zeitpunkt weiter über diese Dinge sprechen sollten.“ Sie senkte den Kopf und starrte für ein paar Sekunden auf die eigenen Hände. „Keinen einzigen!“ Für wenige Minuten war der komplette Raum in Stille gehüllt. Und plötzlich knallte sie ihre Schultasche auf den Tisch. „Stattdessen…“, die Stimme hellte auf und sie holte ihr Mittagessen hervor, „…solltet ihr lieber gespannt sein, was Kotori-chan interessantes zu berichten hat.“ „Ja, gen… Warte. Was?“ Mit einem gewaltigen Satz sprang Niko von ihrem Platz auf. “Geht es um den Auftritt?” Auch die übrigen Mitglieder von Muse horchten jetzt gebannt. Das Mädchen war mit dem plötzlichen Umbruch vollkommen überfordert. Verzweifelt suchte sie nach Hilfe, abwechselnd bei Eri – sie konnte nur mit den Schultern zucken – und dann wieder bei Honoka, die lediglich herzhaft in ihr Brot biss. „Köstlich“, schmatze sie.
 

„Deine Freundin behauptete also, dass dem Konzert nichts mehr im Wege steht?“, fragte Katsuro. Er sammelte Geschirr und Besteck zusammen, stellte es auf die Kücheninsel und wischte mit einem feuchten Tuch den Esstisch ab. „Nicht wortwörtlich.“ Kotori war leicht genervt. „Eigentlich hatte Honoka sonst überhaupt nichts gesagt. Es war vielmehr eine Notlüge aus der Situation heraus geboren. Sie hatte derart abrupt das Thema gewechselt, dass mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel.“ Ihre Mutter räumte die Spülmaschine ein und setzte sich danach neben ihre Tochter. „Ich gehe stark davon aus, dass sie genau darauf abgezielt hatte“, sagte sie. „Bei allem was passiert ist, war es wohl die richtige Entscheidung, den Fokus auf etwas Angenehmeres zu lenken.“ Tröstend streichelte Naoko ihr über den Kopf. „Keine Sorge. Wir lassen dich mit Sicherheit nicht als Lügnerin dastehen.“ Katsuro stimmte zu. „Das ist vielleicht eine einmalige Chance, die ihr unbedingt nutzen solltet. Insofern möchten wir da natürlich kein Hindernis sein.“ Kotori wirkte spürbar erleichtert über diese Antwort. Dankbar umarmte sie ihre Eltern. „Den Brief habe ich dir auf den Schreibtisch gelegt, Mama. Vielleicht könnten wir morgen…“ „Langsam, langsam“, unterbrach Katsuro. „Wir sprechen zu gegebener Zeit über die nötigen Details. Aber erstmal brauch ich jetzt eine Auszeit“, nuschelte er und begab sich mit einer Zigarette im Mundwinkel auf den Balkon. „Naoko, würdest du mir etwas Gesellschaft leisten?“ „Gerne.“
 

An diesem Abend herrschten draußen angenehme Temperaturen bei 25 °C, in Kombination mit einer zu dieser Jahreszeit eher ungewöhnlich niedrigen Luftfeuchtigkeit. Ein sanfter Wind wehte über den Dächern Tokios und brachte zusätzlich etwas Abkühlung. Katsuro lehnte mit dem Rücken am Geländer. Er zog einmal kräftig an der Zigarette und klopfte die Asche ab. Seine Frau stand neben der Balkontür, mit einigen Metern Abstand zu ihm. „Worüber möchtest du mit mir reden?“, fragte sie direkt. „War das denn so offensichtlich für dich?“, brummte er. „In der Tat, das war es. Du weißt schließlich ganz genau, dass ich den Geruch von Zigaretten nicht ausstehen kann. Du forderst mich immer nur dann auf, dir bei deinen Raucherpausen Gesellschaft zu leisten, wenn du etwas unter vier Augen zu besprechen hast.“ Sie rümpfte die Nase. „Ich wäre froh, wenn du mir jetzt einfach sagen würdest, dass du mit dem Rauchen aufhörst. Aber das wird ja wohl kaum der Anlass für dieses Gespräch sein.“ Katsuro applaudierte begeistert der Scharfsinnigkeit seiner Frau. Er drückte die Zigarette aus und winkte Naoko zu sich heran. „Sag mir, hast du die letzten sechs Tage irgendetwas von deinem Vater gehört? Gab es einen außergewöhnlichen Grund, warum er mit dir in Kontakt getreten war?“ „Nicht wirklich“, antwortete sie. „Das letzte Gespräch, das ich mit ihm geführt hatte, bezog sich auf die Quartalsberichte.“ „Das dachte ich mir schon“, ließ er enttäuscht verlauten. „Was ist los, Schatz?“, hakte sie neugierig nach. „Was weißt du?“ Und so erzählte Katsuro in aller Ausführlichkeit von den Inhalten der rotbraunen Ledermappe, in die er sich während des Aufenthalts im Büro seines Schwiegervaters unerlaubterweise Einsicht verschafft hatte. „Interessant. Wahrlich Interessant“, kommentierte Naoko. „Ein solcher Vorfall ist nicht zu verachten. Die dortige Zentrale befindet sich nach wie vor im Aufbau. Unser Wirkungsbereich im europäischen Raum ist viel zu klein, als dass mein Vater hier lange mit einer Entscheidung über das weitere Vorgehen warten könnte.“ Er wollte sich gerade noch eine zweite Zigarette anzünden aber seine Frau nahm ihm kurzerhand das Feuerzeug ab. „Ich denke genauso“, sagte er und steckte widerwillig die Zigarette zurück in die Schachtel. „Aber uns sind leider die Hände gebunden. Zwar verfügen wir über Informationen, allerdings ohne die Möglichkeit, diese sinnvoll verwerten zu können.“ „Nein, nicht ganz“, widersprach sie zielsicher und gab ihm das Feuerzeug zurück. „Wir werden diese Situation zu unserem Vorteil nutzen. Definitiv.“ Katsuro konnte nicht ganz folgen. „Ich werde dir später alles erklären.“ Naoko zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und ging zurück in die Wohnung.
 

Mit schnellen Schritten betrat sie das Arbeitszimmer und verschloss hinter sich die Türe. Aus einem Stahlschrank holte sie einen Aktenordner – "Teamanalysen und statistische Auswertungen, 2005 bis 2015" - und legte sich diesen auf dem Schreibtisch zurecht. Anschließend wählte sie. Es brauchte einen Moment, bis der gewünschte Gesprächspartner auf den Anruf reagierte. „Ja bitte? Hier Minami.“ „Guten Abend, Vater. Ich hoffe, dass ich dich nicht störe. Akito-san kann ja ziemlich mürrisch werden, wenn es zu Unterbrechungen kommt“, lachte sie und blätterte in den Seiten des Ordners. „Mach dir da keine Sorgen. Es freut mich, wenn du anrufst. Wir können ungestört reden.“ „Gut. Aber nicht über das Telefon.“ Behutsam versank der Aktenordner in ihrer Handtasche und gleichzeitig fischte sie nach den Autoschlüsseln. „Ich würde es bevorzugen persönlich vorbeizukommen. Heute noch. Ginge das in Ordnung?“ Daichi war hörbar überrascht. Das impulsive Verhalten, entgegen der sonst so ruhigen Art seiner Tochter, stimmte ihn nachdenklich. „Naoko, sag mir doch bitte, worüber du so dringend mit mir sprechen musst.“ Sie hielt einen Augenblick inne, griff nach einem weißen, bereits geöffneten Kuvert und musterte freudig die Absenderadresse.
 

„Es geht mir konkret um eine Ausweitung des Tätigkeitsfelds von Projekt Hakysa.

Um es zu präzisieren: Eine verdeckt operierende Spezialeinheit. Einsetzbar im In- und Ausland.“
 

„Codename: Hesiod.“

Jack

Die vergangene Woche war ziemlich verregnet gewesen und noch immer hielt das trübe, ungemütliche Wetter an. Es war ein Montagmorgen wie er unbeliebter nicht sein könnte. Der Großteil der Leute sehnte sich nach einem trockenen, heißen und lichterfüllten Sommer, der jedoch - selbst Ende Juli - weiter auf sich warten ließ. Wo andere anfingen zu jammern, wenn sie sich beim Verlassen des Hauses den Regenmantel überstreifen mussten, gab es ebenso den ein oder anderen seltenen Ausnahmefall, der sich speziell bei solchen Witterungsverhältnissen besonders wohl fühlte. Mit einem guten Buch war es problemlos möglich, den Aufenthalt im Bett um einige Stunden zu verlängern. Zumindest solange, bis ein knurrender Magen dazwischenfunkte. „Ich glaube, dass ich allmählich etwas essen sollte“, dachte er und legte gähnend seine Lektüre beiseite. Langsam erhob sich der Mann, schob die Terrassentür noch ein Stück weiter auf, trottete in das Nebenzimmer und spähte auf die Wanduhr, die links über der Küchenzeile hing. „10:15 Uhr? Dann kann ich mich ja nochmal hinlegen.“ Während vier Scheiben Brot im Toaster verschwanden, holte sich der Mittzwanziger eine Packung Tilsiter und Butter aus dem Kühlschrank. Wenig später saß er bereits kauend an einem alten hölzernen Tisch, der am Ende des Raumes stand und dessen Platte mit etlichen Kratzern übersät war. Genüsslich lauschte er dem Radio: „Für die kommenden Tage ist bis Ende der Woche keine wirkliche Besserung in Sicht. Schuld daran haben vor allem die beiden Tiefs Olga und Petar. Zwischen diesen und einem Atlantikhoch wird am morgigen Dienstag, den 28. Juli, Meeresluft aus polaren Breiten herangetrieben, sodass sich bis auf weiteres das wolkenreiche und recht kühle Wetter fortsetzt. Des Weiteren wird für die Region Unterfranken…“ Zufrieden schaltete er ab, beförderte das Geschirr in die Spüle und wollte sich wieder dem Lesen widmen. Doch der Weg zurück ins Schlafzimmer endete, als plötzlich ein schrilles Läuten durch die Wohnung halte. Gefolgt von einem Rufen.
 

„Hallo, Jack. Bist du schon wach? Hallo?“, kam es mehrfach von draußen. „Ignorier es. Ignorier es einfach“, sprach er mit sich selbst. Eine Minute verging. Zwei Minuten. Drei Minuten. Insgesamt fünf Minuten schrillen Läutens brauchte es, bis ihm schließlich der Kragen platzte. Entnervt trat er in den anliegenden Flur und erkannte durch das Milchglas die Silhouette des Störenfrieds. Kaum war die Türe geöffnet, brüllte er drauf los: „Hast du eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Was soll der Mist? Verzieh dich und geh…“ Schlagartig wurde es ruhig. Vor ihm stand nicht die Person, die er erwartet hatte. Stattdessen sah Jack nun in die tiefbraunen Augen einer jungen Frau, die durch sein barsches Auftreten verängstigt und eingeschüchtert wirkte. Seufzend ging er zwei Schritte nach vorne und zog sie behutsam in die Wohnung. „Es tut mir leid.“ Versöhnend wuschelte er durch ihr pechschwarzes Haar. Anschließend nahm Jack wieder schweigend auf der Sitzecke Platz, sodass der Eingang des Schlafzimmers nun genau in seinem Blickfeld lag. „Lass das alberne Versteckspiel bleiben. Komm endlich da raus“, rief er und stützte seinen Kopf gelangweilt auf der linken Hand ab. Einige Sekunden verstrichen und es passierte rein gar nichts. Solange, bis sich unter einem leisem Knarzen der Dielen ein Mann näherte und sich wie selbstverständlich an das andere Ende des Tisches setzte. Darauf reagierte Jack nicht sonderlich, wohl aber auf das, was sein ungewollter Gast in den Händen hielt. „Ich verstehe wirklich nicht, wie du diesen Schund lesen kannst“, kommentierte dieser verächtlich, blätterte durch die Seiten des Manga und warf ihn völlig ungeniert in die Mitte des Tisches. Das Cover zeigte zwei Mädchen, die mit geschlossenen Augen nah beieinander saßen und Händchen hielten. Ohne irgendeine Regung griff Jack danach. „Ob Schund oder nicht, dass ist vollkommen subjektiv zu bewerten. Du scheinst mir auf jeden Fall nicht viel Sinnvolles mit deinem Überfluss an Freizeit anfangen zu können. Solltest du nicht lieber lernen oder deine Vorlesungen nachbereiten, anstatt mir meine perversen und kranken Vorlieben unter die Nase zu reiben?“, fragte Jack monoton und prüfte sorgsam den Manga auf eventuelle Schäden. „Oder bedienst du diverse Klischees mit voller Absicht?“, setzte er schnell nach und holte drei Becher aus einem Schrank. „Ein Spätburgunder - trocken – bitte“, befahl der Blondschopf und wies seine Begleiterin dazu an, sich ebenfalls zu setzen. Es folgte ein kurzes schmerzerfülltes Stöhnen, als ihm gereizt ein halbvoller Tetra Pak Traubensaft an den Kopf geworfen wurde. „Und den Champagner gibt es gratis dazu“, Jack schwenkte demonstrativ mit einer Glasflasche Mineralwasser.
 

„Bitte, hört auf euch zu streiten“, sagte die junge Frau, nahm ihm vorsorglich die Glasflasche ab und stellte diese, zusammen mit dem Saft, auf den Tisch. „Er ist doch selbst schuld daran, wenn die Terrassentür im Sommer immer den ganzen Tag offen steht. Außerdem ist es nicht das erste Mal, dass ich mir so Zugang zum Haus verschafft habe. Das ist sogar nach all den Jahren noch zu verlockend, als dass man es sich einfach so abgewöhnen könnte. Mal ganz davon abgesehen…“, er schenkte seiner Schwester ein schelmisches Lächeln, „…dass wohl auch andere um die Möglichkeit wissen, auf diese Art und Weise einen heimlichen Besuch abzustatten.“ Mit leicht geröteten Wangen schenkte sie die Getränke ein. „Und du hast dann gleichermaßen nichts dagegen einzuwenden“, ergänzte er und genoss seinen Spätburgunder. „Mag schon sein“, knurrte Jack. „Aber es macht einen erheblichen Unterschied, ob jetzt meine Freundin ungefragt in mein Schlafzimmer platzt, oder ihr grenzdebiler Bruder.“ Der Mann musste herzhaft lachen. „Da hast du Recht. Deswegen studiere ich ja auch BWL. Vielleicht hätte ein duales Studium der Wirtschaftsinformatik mir besser getan. Wobei lieber nicht. Ich wäre wahrscheinlich vor Scham im Boden versunken, wenn ich bereits nach zwei Semestern das Handtuch geworfen hätte. Ja, die Mathematik war noch nie meine größte Stärke gewesen.“ Zwischenzeitlich hatte Jack den Manga zurückgestellt. Die Worte seines Freundes schmeckten bitter. „Hoffentlich erstickst du nicht irgendwann an deinem Sarkasmus“, witzelte er böswillig.
 

Beschwichtigend redete die junge Frau auf ihren Bruder ein: „Wir sind hier, um nach Hilfe zu fragen. Du solltest ihn nicht zusätzlich provozieren.“ „Bitte?“ Er wurde hellhörig. „Mina, was meinst du mit Hilfe?“ Flehend zupfte Fabian an ihrem Ärmel. Sie verstand sofort was er wollte. „Mir ist ein Fehler unterlaufen. Johannes, Matthias und Judith sollten uns heute bei den Vorbereitungen der Generalprobe für den anstehenden Auftritt zum Schuljahresende helfen. Aber ich habe ihnen bedauerlicherweise eine falsche Uhrzeit mitgeteilt. 13:00 Uhr, anstatt 11:00 Uhr. Deshalb sind wir jetzt leider unterbesetzt.“ „Und Aridan kümmert sich um die komplette Technik. Wir möchten ihn nicht noch damit belästigen“, wandte Fabian ein. Argwöhnisch musterte er seine beiden Gäste. „Was wird dann aus unserer Verabredung, Mina? Aus diesem Grund habe ich mir heute doch überhaupt erst freigenommen. Um mit dir auszugehen. Stattdessen soll ich mich nun abrackern, um die Fehler anderer zu beseitigen? Ich hätte meinen Urlaub wohl nicht sinnvoller verschwenden können.“ Ihm war eine gewisse Übellaunigkeit anzumerken. Normalerweise stand es für Jack außer Frage, Freunden und Familienmitgliedern zu helfen. Doch er konnte es absolut nicht leiden, wenn seine Hilfsbereitschaft für selbstverständlich genommen wurde und man ihn darüber hinaus noch anlog.
 

„Es tut mir wirklich leid“, entschuldigte sich Mina und stand von ihrem Stuhl auf. „Heute Nachmittag koche ich dir dann etwas und wir schauen uns alle Filme an, die du möchtest. Das verspreche ich dir“, sagte sie und drückte ihm liebevoll einen Kuss auf die Wange. Allem Unmut zum Trotz stimmte er letztendlich zu. „Gebt mir wenigstens die Zeit, mich umzuziehen“, murrte Jack, holte sich passende Wechselklamotten aus dem Schlafzimmer und verschwand zügig im Bad, das am Ende des Flurs lag. Erleichtert atmete Fabian einmal tief durch. „Schwein gehabt. Das hat geklappt, wie ich es vermutet habe“, gab er selbstzufrieden von sich. „Überstrapazier es aber besser nicht. Sonst kann sich Glück ganz schnell in das exakte Gegenteil wandeln“, wies Mina ihren Bruder mahnend an.
 

Gegen kurz nach 11:00 Uhr erreichten sie die Schule. Diese lag etwa fünf Minuten mit dem Auto von Jacks Haus entfernt. Von einem kleinen Parkplatz aus, führte ein gepflasterter Weg zu insgesamt zwei verschiedenen Gebäuden. Dem Neubau mit gläserner Fassade auf der rechten Seite, stand der größere, mehrteilige Altbau gegenüber. An diesen schloss sich zudem einer der Pausenhöfe an, der dezent mit einer Reihe von Sitzsteinen abgegrenzt war. Die Pause hatte zwar gerade erst begonnen, trotzdem herrschte dort längst reges Treiben und dutzende Grund- und Realschüler tummelten umher. Die Gymnasiasten verbrachten die freie Zeit während des Unterrichts bevorzugt auf der großen Wiese, zu der man über eine Treppe am Ende des Weges gelangte. Dort wurde längst eifrig gearbeitet. Auf einer überdachten Bühne stand Aridan Wensel, der Hausmeister und ein Mitglied der Schulband. Er war damit beschäftigt, zwei sperrige Lautsprecher von einem Transportwagen zu hieven.
 

„Fleißig wie eh und je“, rief Fabian ihm zu. Vorsichtig setzte er seine schwere Fracht ab, hob den Kopf an und sprang zugleich behände von der Bühne. Mit einem verschmitzten Lächeln begrüßte Aridan die drei. „Hallo. Es freut mich euch zu sehen, wenn auch nicht in der Aufstellung, die ich erwartet habe.“ „Es gab Differenzen in der Kommunikation. Wir mussten kurzfristig unsere Personalplanung geringfügig umstellen“, dabei deutete er auf Jack. „Ich verstehe schon“, lachte der Enddreißiger den ehemaligen Gitarristen der Schulband an. „Manch einer besitzt wahrlich Talent beim Musizieren, sucht es aber vergebens in anderen Bereichen.“ Mina konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Als Reaktion darauf zuckte Fabian gleichgültig mit den Schultern. „Solange wir hier sind, um dich wie versprochen zu unterstützen, ist doch alles in Ordnung.“ „Ja. Von dem Detail mal abgesehen, dass wir jetzt nur drei anstatt fünf Leute sind“, merkte Jack trocken an. „Das müssten immer noch mehr als genug sein“, kommentierte Aridan zuversichtlich und teilte jedem ein Paar Arbeitshandschuhe aus. Und in der Tat schafften sie es die verringerte Anzahl an Helfern recht gut zu kompensieren. Zunächst wurden die zwei großen Lautsprecher jeweils an der vorderen linken und rechten Ecke der Bühne platziert. Danach holten sie ein halbes Dutzend Monitor-Lautsprecher, drei Mikrofone, einen Verstärker sowie jede Menge Kabel, die für die vollständige Installation der Tontechnik benötigt wurden, aus einem der Keller des Altbaus. Nachdem alles ausgerichtet war, begann der Hausmeister schließlich mit der fachgerechten Verkabelung der PA-Anlage. Unterdessen saß Fabian auf den Stufen der Bühnentreppe. „Wie geht es eigentlich deiner Tochter?“ „Soweit wirklich gut. Sarah arbeitet jetzt für eine große Firma in Frankfurt. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.“ „Freut mich zu hören…“, er unterbrach das Gespräch und kramte in seiner Hosentasche.
 

„Willst du auch eine?“, Fabian streckte seiner Schwester eine Zigarettenschachtel entgegen. „Nein, danke“, lehnte sie rasch ab. „Du rauchst wieder, Mina?“, hakte Jack nach und verzog angewidert das Gesicht, als er den ersten Tabakgeruch wahrnahm. Sie schüttelte den Kopf und versicherte ihm, dass dem nicht so wäre. „Und wenn sie rauchen sollte“, fing Fabian an und klopfte die Asche ab, „dann ist sie längst alt genug, um das für sich selbst zu entscheiden. Oder etwa nicht?“ „Ich werde dir nicht widersprechen. Dennoch müssen manche Menschen vor bestimmten Dummheiten geschützt werden“, antwortete er und wechselte seine jetzige Position. Der Wind hatte gedreht und trieb nun den Rauch genau in seine Richtung. „Für mich hört sich das vielmehr nach einer Bevormundung an“, entgegnete Fabian pöbelhaft. „Nenn es wie du willst, aber…“ „Seid gefälligst still“, schrie Mina aus heiterem Himmel und unterbrach damit den anbahnenden Streit. „Frikadellen- oder Schnitzelbrötchen?“ Beide verstanden nicht so recht. Als im Hintergrund die Kirchturmuhr zur Mittagsstunde schlug, war es Aridan, der zuerst etwas sagte: „Frikadellenbrötchen, bitte. Zwei Stück.“ Er drückte ihr fünf Euro in die Hand. „Ich werde uns im Supermarkt etwas zum Mittagessen holen. Was wollt ihr haben?“, fragte sie, wartete jedoch keine Antwort ab. „Fabian, du nimmst je eines von beiden. Zwei Frikadellenbrötchen auch für dich, Jack. Ich werde für jeden noch Getränke mitnehmen. 20 Euro sollten dafür ausreichen.“ Ohne Widerworte bekam sie das Geld. Mina setzte eine liebreizende Stimme auf: „Schatz, du lädst mich mit Sicherheit ein.“ Schweigend, fast schon perplex, starrten sie Mina hinterher, als diese die Treppe hinaufstieg. „Du hast Recht“, gab er Fabian ironisch zu verstehen. „Ich bevormunde sie.
 

Mit einem fidelen Grinsen drückte dieser seine Zigarette aus, streckte sich und meinte: „Als Kind war sie ein regelrechter Hasenfuß. Und heute? Sie bietet mir gerne mal die Stirn und ist viel selbstbewusster geworden.“ Jack verschränkte die Arme ineinander und nickte zustimmend. „Einerseits macht sie mich in solchen Momenten sprachlos, andererseits besitzt sie oft genug ein Leck an Selbstvertrauen. Eine gewiefte junge Frau, die gleichzeitig quengeln kann wie ein kleines Mädchen.“ „Und unter Garantie längst nicht so vergesslich ist, wie ihr es seid“, spottete Aridan, der in der Hocke sitzend ein Paar der Monitor-Lautsprecher umgekippt hatte. „Ihr versteht, was hier geschrieben steht?“, er zeigte auf zwei grüne Aufkleber, die mit dem Wort „Defekt“ beschriftet waren. „Ich habe es ausdrücklich betont, dass ihr darauf achten müsst, nur die funktionierenden Geräte herzubringen.“ „Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich lediglich eine Aushilfskraft bin“, witzelte Jack mit einer abwinkenden Handbewegung. „Ich bin eigentlich gar nicht hier, sondern im Urlaub.“ Es setzte einen Hirnbatzl. „Mag sein, allerdings erst nach getaner Arbeit.“ „Wir haben aber alle Lautsprecher mitgenommen. Es gab sonst keine weiteren“, merkte Fabian an. „Ok. Dann liegen sie vermutlich im Keller von Trakt C.“
 

Mit dem Transporthund im Gefolge, betraten sie über eine weitere mehrteilige Treppe, die links von der Bühne aus gesehen lag, den Altbau. Und nur wenig später durchstöberten sie bereits den besagten Keller. In sechs metallenen Lagerregalen waren allerlei Lehrbücher, Landkarten, Plakate und sonstige Unterrichtsmaterialien fein säuberlich einsortiert. Auch eine breite Palette von Büroartikeln fand hier Platz. Ob Papier, Locher, Tacker, Klebstoff, Scheren, Folien, Stifte, Blöcke, Stempel, Lineale, Schnellhefter oder Büroklammern, einfach alles war übersichtlich in roten Plastikboxen untergebracht und beschriftet. Dieser Bestand deckte den Bedarf der Verwaltung und des eigenen, durch Schüler geführten, Schreibwarenladens. Daneben gab es noch eine Vielzahl an Gütern für den alltäglichen Gebrauch, etwa Toilettenpapier, Küchenrollen, Seife, Putzmittel und Gummihandschuhe. An den jeweiligen Regalen hingen Klemmbretter, mit penibel geführten Lagerlisten.
 

„Entnahme vom 22. Juli: vier Aktenordner, sieben Trennstreifen, drei Bleistifte. An seiner krankhaften Ordnungsliebe wird sich wohl nie etwas ändern“, scherzte Fabian leicht gehässig. „Und bei dir sieht es permanent aus wie bei Hempels unterm Sofa. Ich kann mir vorstellen, warum du das hier als krankhaft bezeichnest“, erwähnte Jack beiläufig, während er auf dem Boden kniend zwei schwarze unhandliche Boxen unter einem der Regale hervorzog. „Manchmal ist es eine echte Zumutung, dein Zimmer zu betreten. Sei deiner Schwester ja schön dankbar.“ Er fuhr sich durch das blonde Haar und zog missbilligend die Augenbrauen hoch. „Ich muss doch sehr bitten. Als ob ich Mina dazu zwingen würde, ständig hinter mir herzuräumen. Ich habe ihr bereits öfters gesagt, dass sie das unterlassen soll. Jedes Mal weiß ich am Ende nicht mehr, wo meine Sachen abgeblieben sind“, klagte er und blickte neidisch auf ihn herab. „Dein Glück möchte ich haben. Eine eigene Wohnung erscheint mir wie purer Luxus. Du hast deine Ruhe und niemand schreibt dir Regeln vor.“ „Es hängt immer von der Betrachtungsweise ab“, widersprach Jack mit einem düsteren Gesichtsausdruck. Seiner Stimme mischte sich nun unüberhörbarer Zorn mit bei. „Soll dir wirklich dasselbe Glück widerfahren? Unter den gleichen Bedingungen?“ Er erhielt keine Antwort, keine Entschuldigung aber erkannte eindeutig, dass Fabian seine unbedachten Äußerungen bereute. Rasch trugen die Männer die kiloschweren Gerätschaften aus dem Lager, über das Treppenhaus zum Transporthund. Dort angekommen klopfte Jack ihm ermutigend auf die Schulter. „Sobald du deinen Master-Abschluss gemacht hast und wieder regelmäßig Geld verdienst, kannst du dir bequem die gewünschte eigene Wohnung leisten. Und dort, mutterseelenallein, im eigenen Müll ersticken.“ „Jetzt lass aber mal die Kirche im Dorf“, schnaufte er. Die angespannte Situation begann sich zu lockern und war schon gänzlich verfolgen, ehe tatsächlich daraus etwas Schlimmeres hätte resultieren können. „Ich gehe natürlich davon aus, dass dein Lerneifer dafür sorgen wird, dass das Ganze in der Regelstudienzeit passiert.“ Ein erhobener Daumen bekräftigte seine Vermutung. „Und was ist mit dir? Kein Interesse mehr an einem neuen Studium?“, fragte Fabian und schob den Wagen den Korridor entlang. „Derzeit nicht. Mein Fokus liegt nach wie vor auf dem Sammeln von Berufserfahrung. Danach lasse ich mir alle Wege offen. Es gibt ja zum Beispiel die…“ Ein gedämpfter, dennoch gut wahrnehmbarer Knall war zu hören. Abrupt blieben sie stehen. Es herrschte Totenstille. „Was war das?“ Drei weitere Knalle folgten. „Verdammt, was ist da los?“, fragte Jack erschrocken. Verunsichert rannten sie durch die Türe und standen am Anfang der Treppe.
 

Von dieser Position aus konnte man direkt seitlich auf die Bühne sehen. Bevor ihnen klar wurde, was dort aber genau vor sich ging, ertönte ein gellender Schrei. Entsetzt mussten sie feststellen, dass Aridan von einem Unbekannten mit einer Eisenstange angegriffen wurde. Er lag einige Meter vor der Bühne im Gras, wandte sich vor Schmerzen und musste gerade mehrere harte Tritte in die Magengrube einstecken. Ohne zu zögern hetzten sie die Stufen hinab. “Lass ihn in gefälligst Ruhe“, brüllte Fabian aus Leibeskräften und erlangte damit die Aufmerksamkeit des Angreifers. Überrascht von den heranstürmenden Männern, ließ dieser von seinem Ziel ab und wich ein paar Schritte zurück. Unten angekommen, stellte sich Jack schützend vor Aridan. Fabian prüfte derweil dessen Verletzungen. Äußerlich war zwar nichts auszumachen, die Reaktion beim Abtasten seines linken Armes deutete aber auf eine Prellung, gar einen Knochenbruch hin. „Elendes Drecksschwein“, beschimpfte Jack den grobschlächtig wirkenden Mann, erntete aber lediglich ein hämisches Grinsen zur Antwort. „Was ist dein Problem, Fettgewächs?“ Er schulterte seine Waffe und drehte den Kopf kommentarlos etwas zur Seite. „Ich bin ein bisschen zur Hand gegangen“, grölte er höhnisch. Erst jetzt realisierten sie überhaupt, was für ein Chaos sich auf der Bühne wiederfand. Der Verstärker und ein Großteil der Lautsprecher waren zertrümmert. Scherben der Lichtanlage bedeckten den Boden, zusammen mit etlichen herausgerissenen Kabeln. „Wieso…?“
 

In einem kurzen Augenblick der Fassungslosigkeit versunken, blieb Jack nur der Bruchteil einer Sekunde, um auf den quer angesetzten Schlag mit der Eisenstange zu reagieren. Strauchelnd wich er nach vorne links aus und gelangte so hinter den Schläger. Gleich nachdem er sich wieder gefangen hatte, bohrte sich sein Ellenbogen in dessen Rücken. Das war ausreichend für eine Entwaffnung, ein kräftiger Schubs brachte ihn schließlich zu Fall. Unbarmherzig setzte er mit einem gezielten Tritt gegen den Kopf nach. „Knockout“, befürwortete Fabian schadenfroh. Als der Unruhestifter sich nicht mehr rührte, halfen sie dem Hausmeister vorsichtig auf die Beine. „Wir sollten die Polizei rufen“, ächzte Aridan. An seinem Unterarm bildete sich langsam ein Bluterguss. Traurig betrachtete er das angerichtete Desaster. „Denk nicht weiter darüber nach. Der Typ wird zur Rechenschaft gezogen“, sagte Fabian und war schon im Begriff zu wählen, da landete ein kubischer Kanonenschlag unmittelbar vor seinen Füßen. Erschrocken machte er einen Hopser nach hinten, ehe dieser lautstark explodierte. Weißer Rauch wallte auf und es brauchte einen Moment, bis das Pfeifen aus den Ohren verschwand. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich Jack. Beide bejahten. „Gut. Verschwindet jetzt von hier. Fabian, du musst Mina anrufen und ihr Bescheid geben, dass sie nicht hierher zurückkommen darf.“ Sein Blick war zielgerichtet auf etwas fokussiert, das ihn die Hände zu Fäusten ballen ließ. Fabian war dieser dominante Befehlston durchaus nicht fremd, weshalb er ohne Umwege tat, wie ihm geheißen wurde.
 

„Bravissimo“, applaudierte man Jack begeistert aus Richtung des Neubaus. Ein Mann, gekleidet in schwarzer Anzugshose und weißem Hemd, dazu eine ebenso schwarze Weste tragend, kam ihm entgegen. Seine Sneakers sowie die hochgekrempelten Ärmel, standen im Kontrast zum restlichen Outfit. Das auffälligste Merkmal allerdings, war seine dunkelgraue Melone. „Kaum nimmt die Party an Fahrt auf, kommt derselbe alte Spießer vorbei und vergrault mir die ganzen Gäste“, johlte dieser abschätzig und winkte zwei Handlanger zu sich, die wie treudoofe Hunde heran getrottet kamen. Einer von ihnen abermals bewaffnet. „Gehört solch sinnloser Vandalismus auch zu deinen dürftigen Partys, Luca?“ „Keineswegs. Ich wollte bloß meinen, manchmal zur Impulsivität neigenden, Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, ihre…überschüssige Energie…kontrolliert abzubauen“, seine Stimme nahm nun eine affektierte Besorgnis an: „Sonst wird am Ende noch jemand verletzt.“ Jack blieb beherrscht, wenngleich eine Mischung aus Wut und Nervosität in ihm aufkeimte. Lucas Leute begannen ihn zu umkreisen. „Du widerst mich an. Dein tägliches Brot ist das, nichts weiter.“ „Ich bitte dich,…Chef“, raunte er gelangweilt. „Als ob ich nicht bloß Chancen nutzen würde, die du mir bereitet hast.“ „Deine dogmatische Ansicht wird dir eines Tages das Genick brechen…“ Mit voller Härte drosch ihm einer der Schläger in den Rücken, sodass er das Gleichgewicht verlor und im Gras landete. „Du hast da ein gutes Stichwort gefunden“, lachte Luca bissig. „Ich würde diesem Schauspiel ja gerne beiwohnen, aber es warten noch dringende Geschäfte auf mich.“ Mit einer ironischen Verbeugung verabschiedete er sich. „Bringt ihn nicht gleich um.“
 

Die Eisenstange vergrub sich in der Erde, nur wenige Zentimeter neben seinem Kopf. Es kostete einige Anstrengungen, sich rechtzeitig genug aufzurappeln, um einem weiteren Schlag auszuweichen. Als er aufsah, grinste ihn der Mann diabolisch an. Unentwegt sauste die Eisenstange durch die Luft. Jack war zwar ein wenig schwindelig, doch trotzdem gelang es ihm, sich mit stetigem Rückwärtslaufen dem Radius der Waffe zu entziehen. Er wägte sich schon fast in trügerischer Sicherheit, da holte ihn ein Tritt in die Realität zurück. Mit Glück konnte er sich auf den Beinen halten, erwartete aber, dass ihm sogleich jemand den Schädel einschlug. Zu seiner Verwunderung blieb dies jedoch aus. Stattdessen schien sich der Typ mit seinem Kollegen auf etwas Sinngemäßes wie – „Lass mir auch meinen Spaß“ – verständigt zu haben. Er zog Jack zu sich heran und verpasste ihm eine Kopfnuss, daraufhin trat dieser taumelnd ein paar Schritte zurück. Spottend fuhr man ihn an: „Hast du schon genug? Außer Atem?“ Eine geringfüge Benommenheit gab ihm zu kämpfen. Ungeachtet dessen setzte er ein Schmunzeln auf. „Nein, ich mag es von Frauen geschlagen zu werden.“ Die Provokation trug Früchte. Wild zerrte der Mann mit der rechten Hand an seinem Shirt, holte derweil mit Links aus. „Scheißkerl…“ Damit bot sich die gewünschte Möglichkeit eines Konters. In einer flüssigen Bewegung griff Jack nach dem rechten Arm des Angreifers und warf diesen über seine Schulter. „Hast du schon genug?“, äffte er und versenkte mit voller Wucht seinen Schuh im Gesicht des Gegners. Zufrieden vernahm er zuerst ein Knacken, dann quälende Schreie und zu guter Letzt das Blut, das aus der Nase floss. „Außer Atem?“ Fluchend stürmte indessen der Zweite im Bunde heran, der das Ganze aus der Entfernung beobachtet hatte. Im allerhöchsten Maß auf dessen Waffe konzentriert, bemerkte Jack die Polizeisirenen im Hintergrund zunächst gar nicht. Der Schläger hielt inne und wirkte zusätzlich irritiert, als mehrere Leute sich von der Treppe aus näherten.
 

„Lukas, verdammter Idiot. Komm her“, rief sein Kollege. Er mühte sich ab, alleine vom Boden aufzustehen. Notdürftig versuchte er mit einem Taschentuch gegen die starke Blutung vorzugehen. „Das hat ein Nachspiel, Arschloch.“ Anschließend verschwanden beide über einen Zugang auf der rechten Seite der Wiese, der zum angrenzenden Wald führte. Kurz darauf war Jack von verschiedenen Leuten umringt. „Geht es dir gut? Bist du verletzt?“, fragte Mina aufgelöst. „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, antworte er scherzhaft und sah an seinem Körper hinab. „Was ist mit Aridan?“ Fabian konnte ihn beruhigen. „Der Arm ist gebrochen, ansonsten scheint alles weitestgehend in Ordnung zu sein. Für eine absolute Sicherheit muss er aber erst im Krankenhaus untersucht werden.“ „Das gilt auch für dich, Jack“, befahl die junge Frau, griff nach seiner Hand und schleifte ihn energisch mit sich. „Lass das. Ich kann selbst laufen.“ Die anderen Personen mussten lachen. „Wenn es um seine Gesundheit geht, ist sie manchmal regelrecht aufbrausend“, kommentierte Judith sichtlich belustigt. Zwischenzeitlich wurde der dritte Störenfried von mehreren Polizisten abgeführt. „Ihr habt irgendwie eine gewisse Affinität für prekäre Situationen“, sagte Matthias gelassen. „Die Probe fällt wohl ins Wasser. Aus dem Auftritt wird so schnell leider nichts.“ Er klang hörbar enttäuscht. „Naja, das so etwas passiert, konnte niemand ahnen“, meinte Johannes. „Vielleicht können wir später noch regulär etwas proben.“ „Ich glaube, daraus wird heute nichts mehr“, äußerte sich Fabian. „Mein Schwesterlein wird mit ganz anderen Sachen beschäftigt sein.“
 

Etwa zwei Stunden später saßen Jack und dessen Freundin bereits in einem Bus und befanden sich auf dem Rückweg. Von einigen Prellungen und kleineren blauen Flecken abgesehen, war er glimpflich davongekommen. Mina schien bekümmert, was ihm nicht sonderlich gefiel. Die letzten 30 Minuten hatten sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. „Hör auf dir Sorgen zu machen. Komm her.“ Zögerlich lehnte sie sich an seine Schulter. „Verzeih mir bitte. Ich wollte dich nicht anlügen.“ Er musste herzlich lachen. „Selbst wenn dein Bruder seinen Fehler zugegeben hätte, am Ende wäre es auf dasselbe hinausgelaufen. Und was die Prügelei betrifft: Ich versuche in Zukunft mehr mit Bedacht zu handeln.“ Liebevoll streichelte er über ihren Kopf. „Ich hoffe, dass du dich an dein Versprechen erinnerst und mich heute vorzüglich bekochst. Außerdem schauen wir uns zur Bestrafung Child’s Play 1 und 2 an.“ „Du magst doch gar keine Puppen?“ Er nickte zustimmend. „Und du magst keine Horrorfilme. Wir gehören beide bestraft.“ Gegen 15:30 Uhr kamen sie zu Hause an. Nach den anstrengenden Geschehnissen, freute er sich auf ein wenig Erholung. Dummerweise wurde seine Vorfreude getrübt, denn Fabian wartete schon auf sie. „Wie geht es dem werten Herren?“, begrüßte er geschwollen. „Schlecht. Der Arzt hat mir strikte Bettruhe verordnet. Behellige also bitte jemand anderen.“ „Das habe ich auch vor“, erklärte er fröhlich und übergab Mina einen Brief. „Das wird dich etwas aufmuntern.“ In der Tat dauerte es nicht lange, da strahlte sie förmlich über beide Ohren und versank in purem Enthusiasmus. Jack konnte sich denken, worum es ging. Schweigend öffnete er die Türe, um schnell vor allen Dingen zu fliehen, die seinen friedlichen Nachmittag gefährden könnten. „Es gibt aber noch ein kleines Problem, das wir lösen müssen“, ergänzte Fabian fast beiläufig und flüsterte seiner Schwester etwas ins Ohr. Dann schenkten die Zwillinge Jack einen erwartungsvollen Blick. Dieser blieb in der Tür stehen und seufzte: „Warum nur habe ich ein ungutes Gefühl bei der Sache?“

Ankunft

„Das Meeting endet gegen 17:00 Uhr. Ich könnte also bis heute Abend bei dir sein“, antwortete die junge Frau ihrem Gesprächspartner am Telefon. „Es tut mir leid, aber daraus wird heute nichts. Wir bekommen noch Gäste, das weißt du doch.“ Sie hielt kurz inne und strich sich einige lange rote Haarsträhnen aus dem Gesicht. Eine geringfügige Enttäuschung zeichnete sich ab. „Ok. Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben. Du wolltest mit mir ins Kino gehen, vergiss das bloß nicht, Elias.“ Ein leises Murren war zu vernehmen. „Was ist los… Elias?“ Das Grummeln wurde lauter. „Suchst du vielleicht Streit? Wir hören uns wieder, tschüss.“ Dann legte er auf und sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wie kann man nur so empfindlich sein, wenn es bloß um einen Namen geht?“ Nachdem sie einen schwarzen Aktenkoffer von der Rückbank ihres Wagens geholt hatte und noch einmal aufmerksam dessen Inhalt, in Form verschiedener Dokumente, durchgegangen war, begab sie sich schließlich zügigen Schrittes zum Ausgang des Parkhauses. Auf neun Ebenen bot es rund 2.500 Stellplätze und war stets relativ gut ausgelastet. Vorbei an Hunderten Autos, tief versunken in Gedanken, bemerkte sie erst viel zu spät, dass jemand von rechts her ihren Weg kreuzte. Unter einem leisen Aufschrei landete die junge Frau auf dem Hintern, ihr Aktenkoffer schlitterte ein paar Meter über den Boden.

 

„Verdammter Mist“, fluchte sie und rieb sich das leicht schmerzende Gesäß. „Sind Sie in Ordnung?“, fragte eine weibliche Stimme. Ein Mädchen mit blonden, zu einem Pferdeschwanz gebunden, Haaren streckte ihr eine Hand entgegen. „Ja, alles bestens“, gab sie zurück und lies sich aufhelfen. Penibel klopfte sie den Staub von ihrem Rock ab. Unterdessen hob das Mädchen den Koffer auf und übergab diesen mit einem freundlichen Lächeln. „Bitteschön, der gehört Ihnen, Frau Wagner.“ „Woher weißt du denn wie ich heiße?“, fragte sie hörbar verdutzt. „Von dem Namensschild“, dabei deutete sie mit einem Finger auf die eigene Brust. „Ach ja, stimmt.“ Rasch prüfte die junge Frau die Uhrzeit, nur um festzustellen, dass sie doch später dran war, als gedacht. „Entschuldige bitte, dass ich in dich reingerannt bin. Aber es scheint dir ja glücklicherweise nichts passiert zu sein. Ich muss jetzt los.“ Einen Augenblick lang winkte das Mädchen der flüchtigen Bekanntschaft nach, bis ihr Smartphone klingelte. Am anderen Ende der Leitung meldete sich jemand mit den Worten: „Hast du schon alles erledigt?“

 

Im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens herrschte der typische Hochbetrieb. Unzählige Passagiere waren mit dem Check-in beschäftigt: Sie gaben das Gepäck auf, besorgten sich die Bordkarten, ließen die notwendigen Sicherheitskontrollen über sich ergehen und warteten zuletzt auf den Aufruf ihres Fluges. Die meisten der Passagiere hatten die eigentliche Reise noch vor sich. Andere dahingegen waren längst erfolgreich am gewünschten Ziel angekommen.

 

„Wow. Das ist ja riesig“, sagte Honoka begeistert. Sie klebte förmlich an einer der großen Fenster des Terminal 1, gemeinsam mit Niko und Rin. Von dort aus hatte man eine nahezu perfekte Sicht auf das imposante Gebäude, das direkt über dem Fernbahnhof errichtet wurde. „In der Tat, es ist riesig“, stimmte Umi zu. „Aber das ist bei weitem nicht das Interessanteste.“ Niko verdrehte die Augen und seufzte: „Spar dir die Details, bitte.“ Doch sie war in ihrer Euphorie nicht mehr zu bremsen: „The Squaire ist ein architektonisches Meisterwerk. Erbaut in nur vier Jahren, als eine Kleinstadt in einem einzigen Gebäude und aus aller Welt schnell und unmittelbar erreichbar. 65 Meter breit, 45 Meter hoch und mit 660 Metern doppelt so lang wie der Eiffelturm hoch ist. 86 Säulen tragen dieses gewaltige Bauwerk mit seinen rund 350.000 Tonnen Gewicht. Es bietet auf mehr als 146.000 Quadratmetern genügend Platz für Hotels, Büros namhafter Unternehmen, Gastronomie und Geschäfte“, zitierte sie aus einem imaginären Reiseführer, ohne auch nur einmal Luft geholt zu haben. „Das ist fast schon ein kleines Wunder.“

 

„Wir können dort einkaufen gehen und mit dem Zug weiterreisen“, fasste Niko leise zusammen. „Der ganze Rest ist doch unwichtig.“ „Banausin“, schnaubte Umi aus heiterem Himmel, sodass ihre Senpai ein wenig zusammenzuckte. „Wenn wir schon in anderen Ländern Urlaub machen, dann ist es verdammt wichtig, sich mit den örtlichen Begebenheiten auseinanderzusetzen. Sehenswürdigkeiten dienen nicht nur als bloße Anschauungsobjekte. Wir sollen nach Möglichkeit von ihnen lernen. Beispielsweise über die hiesige Kultur, Geschichte und…“ Ihre Ansprache wurde von einem kurzen Klatschen unterbrochen.

 

Nozomi, die zusammen mit Eri geringfügig abseits stand, zeigte mit dem ausgestreckten Arm in Richtung eines breiten Durchgangs, der das Terminal 1 mit The Squaire verband. „Umi, ich finde es durchaus lobenswert, dass du dich vorab so eifrig informiert hast. Aber für den Anfang wäre es wohl besser, wenn wir diese Sehenswürdigkeit erstmal aus der Nähe begutachten würden, ehe wir davon lernen können. Wir müssen ja ohnehin zum Fernbahnhof.“ Ihr blieb nicht wirklich die Zeit, um eine Antwort zu finden, denn der Großteil der Reisegruppe war bereits mit Sack und Pack vorneweg gelaufen. Etwas missmutig folgte Umi den anderen. „Nimm dir das nicht so zu Herzen“, beruhigte Eri sie. „Abhängig davon wie alles verläuft, haben wir ja nebenher noch die Chance, die Stadt und alles Sehenswerte zu besichtigen.“ „Schlimmstenfalls holen wir das ansonsten im Winter nach“, ergänzte Nozomi beiläufig. Aus ihrer Handtasche zog sie einen Camcorder und begann damit alles zu filmen, was ihr vor die Linse sprang.

 

Knappe 10 Minuten später fand sich die Gruppe auf einem der zentralen Plätze von The Squaire wieder. Insgesamt gab es fünf dieser lichtdurchfluteten Atrien, die allesamt offen angelegt, mit zahlreichen Sitzplätzen ausgestattet und von äußerst gepflegten Grünflächen umgeben waren. Diese Miniaturparks boten direkte Anbindung an eine Vielzahl von Geschäften. Erschöpft saßen die neun Mädchen beisammen und beratschlagten über das weitere Vorgehen. „Der nächste Zug fährt in etwa 45 Minuten“, sagte Umi und prüfte vorsichtshalber den Fahrplan. „Das wäre dann die ICE-Verbindung in Richtung Hauptbahnhof?“, fragte Kotori und nahm einen Schluck aus ihrer Wasserfalsche zu sich. „Stimmt. Von dort dauert es dann noch etwas mehr als eine halbe Stunde, bis wir unser eigentliches Ziel erreicht haben.“ „Vorausgesetzt natürlich, dass alle Verbindungen relativ pünktlich sind“, fügte Niko halb gähnend hinzu. „Wieso sollten sie das nicht sein?“, wunderte sich Rin. „Deutschland ist doch ein fortschrittliches Land genauso wie Japan. Und bei uns haben die Züge fast nie eine nennenswerte Verspätung.“ Sie lächelte und griff freudig nach einem Sandwich, das Hanayo ihr reichte. „Manchmal ist deine Naivität fast schon niedlich“, seufzte Maki und streichelte Rin sanft durch das orangefarbene Haar, die daraufhin leicht den Kopf zur Seite neigte und die Zuwendung sichtlich genoss. „Wir sollten unsere Zeit aber auf keinen Fall mit bloßem Warten verschwenden“, merkte Honoka an und sprang zugleich voller Elan von ihrem Sitz auf. „Sehen wir uns doch ein bisschen um. Es gibt hier bestimmt einige interessante Dinge  zu entdecken.“ Eri nickte ihr stumm zu. Die Oberschülerin erntete für diesen Vorschlag eine breite Zustimmung, zumal sich der Aufenthalt mittlerweile unfreiwillig um 10 Minuten verlängert hatte.

 

„Ich bleibe hier und gebe derweil auf unser Gepäck Acht“, entschied Nozomi, während sich die restlichen Mitglieder von µ‘s in kleinere Gruppen aufteilten. „Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?“, hakte Maki nach. „Auf Ebene 2 gibt es ein sehr schönes Café. Begleite uns doch.“ „Nein, nein. Ohne zusätzliches Gepäck geht es sich leichter einkaufen. Danke für das Angebot. Das passt schon“, erwiderte Nozomi. „Außerdem…“, sie beobachtete Niko, die mit verschränkten Armen und einer gewissen Ungeduld zu warten schien, mit einem zufriedenen Grinsen, „…will ich niemandes traute Zweisamkeit unnötig stören.“ „Du bildest dir da etwas ein“, mauschelte Maki verlegen. „Jetzt komm schon. Du hast gehört, was sie gesagt hat“, raunte das schwarzhaarige Mädchen, griff nach der Hand ihrer Freundin und zog sie bestimmend mit sich.

 

Bis beide aus dem Sichtfeld von Nozomis Camcorder verschwunden waren, hatte Eri schweigend daneben gesessen. „Du magst es, die Schicksalsgöttin zu spielen, nicht wahr?“, lachte sie und drückte eine Hand auf die Linse der Kamera,  um nicht gefilmt zu werden. „Ja, wir sind Götter. Aber nicht die Moiren, sondern die neun Musen. Beschützerinnen der schönsten Künste, die je geschaffen wurden“, entgegnete Nozomi mit einem Augenzwinkern und tippte ihrer Sitznachbarin auf die Nasenspitze. „Unser aller Schicksal ist vorherbestimmt. Trotzdem kann es nicht schaden von Zeit zu Zeit die recht eindeutigen Wege anderer zu ebnen.“ Liebevoll strich Nozomi mit der Hand über die Wange ihrer Freundin und sagte: „Bitte, sei vorsichtig.“ Eri erhob sich und band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz. „Mach dir keine Sorgen. Wir sehen uns später.“

 

In der Zwischenzeit hatten Hanayo und Rin ein Feinkostgeschäft ausgemacht, das auch viele verschiedene Spezialitäten aus Fernost im Angebot führte. „Mmh, lecker“, murmelte Rin und verstaute einige Packungen Ramen in einem grünen Einkaufskorb. Danach ging sie weiter zur üppigen Obst- und Gemüseabteilung. Hier verblieb sie aber nicht sonderlich lange. Europagras, Viereckige Bohnen und Balkapaublätter zählten nicht unbedingt zu ihren Favoriten. 15 Minuten später hatte Rin schließlich die wichtigsten Zutaten beisammen, die für eine wohlschmeckende Nudelsuppe von Nöten waren. „Ramen, Bambussprösslinge, Seetangblättchen, Sojasoße, Dashi-Brühe“, wiederholte das Mädchen in Gedanken, während ihr ein wenig das Wasser im Mund zusammenlief. „Den Rest kaufe ich später.“ Sie hielt Ausschau nach Hanayo, konnte diese aber im ersten Augenblick nirgendswo ausfindig machen. Allerdings wusste Rin ziemlich genau, wo sie abgeblieben sein müsste. Und schon ein paar Gänge weiter bestätigte sich der Verdacht der Oberschülerin.

 

„Hilfe! Helft mir!“, unter größten Mühen versuchte Hanayo einen 35 Kilo schweren Sack weißen Reis aus einem Regal über ihren Kopf zu hieven. „Was machst du denn da, Kayo-chin?“, fragte Rin angstvoll, legte ihren Einkaufskorb ab und half ihr rasch dabei, nicht von der eigenen Leibspeise erschlagen zu werden. Nachdem die Gefahr erfolgreich gebannt war, schnaufte sie einmal kräftig durch und wandte sich lachend an ihre Freundin: „Du liebst weißen Reis, das ist mir durchaus bewusst. Aber selbst für deine Verhältnisse ist das etwas zu viel.“ „Zu… zu viel?“, wiederholte Hanayo gehemmt und warf aus dem Augenwinkel heraus einen flüchtigen Blick hinter sich. Rin staunte nicht schlecht über zwei weitere Säcke Reis, die bereits unten am Regal lehnten. „Kayo-chin, wolltest du wirklich über 100 Kilo weißen Reis mit dir herumschleppen?“ Schweigend wich das Mädchen zunächst der Frage aus. „Ähm… nun ja…“, stammelte Hanayo, als plötzlich ein weiterer Sack umkippte und aus dem Regalfach direkt vor Rins Füßen landete. Überrascht hob sie diesen auf und lächelte. „Jetzt verstehe ich. Du hast lediglich nach den kleineren Varianten gesucht, die auch leichter zu transportieren sind.“ Sie präsentierte einen Sack Reis, der gut fünf Kilo fasste. „Ähm…nun ja…Nicht ganz…also… sie liefern auch…“, Hanayo kam über ein Herumdrucksen nicht hinaus, als Rin sie kurzerhand mit sich zerrte. „Wir müssen zur Kasse.“ Zwar versuchte Hanayo noch Widerstand zu leisten, doch am Ende blieb nur ein trauriger Blick zurück, gefolgt von einem leisen wimmern: „Aber…Mein Reis…“

 

An einem runden Esstisch saßen zwei Gäste vor einem gut besuchten Café, denen gerade ihre Bestellung serviert wurde. Begeistert über die Stücke Frankfurter Kranz, steckten sie dem Kellner ein Trinkgeld zu. Eine der beiden jungen Frauen bot ihrer Freundin mit der Gabel ein Stück ihres Kuchens an, die zugleich das Angebot annahm und genussvoll das Gesicht verzog. Andere, die diese Szene beobachtet hatten, stocherten stattdessen nur lustlos im eigenen Kuchenstück herum.

 

„Was ist los, Niko?“, fragte Maki und setzte ihre Kaffeetasse zurück auf den Unterteller. Sie erhielt keine Antwort, außer einem leisen Grummeln. Etwas bereitete Niko deutliches Unbehagen. Das Mädchen hatte sich von Maki abgewandt und blickte bloß auf die zerkleinerten Überreste ihrer Donauwelle. Seit sie bestellt hatten, wechselten sie kein Wort mehr miteinander. „Anstatt den Kuchen zu malträtieren, solltest du ihn lieber essen. Er schmeckt hervorragend.“ Niko reagierte nicht und schob bloß den Teller beiseite. Anschließend legte sie ihre Arme auf den Tisch und stützte den Kopf auf diese. Gelangweilt schwenkte Maki unterdessen ihre Tasse umher und schaute dem Kaffeesatz beim Wandern zu. „Du bist jetzt schon eine ganze Weile so schlecht gelaunt. Woran liegt das?“, hakte sie schließlich vorsichtig nach. Vergebens hatte sie dabei den Blickkontakt zu ihr gesucht. Es schien ein gewisser Groll in Niko zu keimen, denn nur einen Moment der Stille später entgegnete diese lautstark: „Du bist manchmal schrecklich gemein, weißt du das?“ Sie erhob sich aus dem Stuhl und musterte ihre Freundin missmutig. Das rothaarige Mädchen wirkte überrascht. „Wie soll ich das jetzt verstehen? Was habe ich denn getan?“ Niko legte etwas Bargeld auf den Tisch und drehte genervt den Kopf zur Seite. Sie seufzte enttäuscht: „Du bist nicht nur gemein, sondern stellenweise ungewohnt schwer von Begriff.“ Sie nahm ihre Handtasche und ging. „Ich werde zusammen mit Nozomi auf die anderen warten.“

 

Einige Sekunden verblieb Maki verständnislos auf ihrem Platz sitzen, bis sie ihr schließlich völlig überstürzt hinterherlief. Auf halber Strecke rempelte das Mädchen dabei eine Frau an, die ebenso rotes Haar hatte wie sie und einen schwarzen Aktenkoffer bei sich trug. Nach einer halbherzigen Entschuldigung, die die junge Frau offenbar nicht verstand, da sie auf Japanisch ausgesprochen wurde, setzte Maki ihren Weg fort. Sie erreichte Niko kurz vor dem Aufzug und hielt diese am Arm fest.

 

„Hey. Bleib stehen. Jetzt warte doch mal“, flehte sie fast schon förmlich, als Niko vehement versuchte, sich aus dem Griff zu lösen und demonstrativ kein Interesse daran zeigte, ihren Worten auch nur einen Funken Aufmerksamkeit zu widmen. „Wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann sag es mir. Wo liegt das Problem?“ Sie hielt inne und drehte sich langsam zu Maki um. Ihre Augen besaßen einen leicht kühlen Ausdruck. „Wenn ich es dir erst erklären muss, dann hat das Ganze keinen Sinn“, antwortete sie vollkommen beherrscht. Maki umklammerte noch immer ihren Arm, drückte derart grob zu, dass es wehtat, wenngleich es kein körperlicher Schmerz war. Vielmehr wuchsen innerlich gewisse Zweifel heran, die Niko sorgenvoll auf die derzeitige Situation blicken ließen. Sie sollten Händchen halten, ganz friedvoll und vielleicht etwas zaghaft. Stattdessen bahnte sich ein Streit in aller Öffentlichkeit an, und es schien nicht so, als dass das Mädchen – ihre Freundin – überhaupt wusste, was der eigentliche Grund für diese Aufregung war. „Vielleicht hätte ich mich noch mehr bemühen müssen.“ Mit einem kräftigen Ruck konnte sich Niko letztendlich aus dem Griff befreien. „Ich werde zusammen mit Nozomi auf die anderen warten“, wiederholte sie nochmals. Niko sprach es nicht direkt aus, doch ihr garstiger Tonfall verriet unmissverständlich, dass sie aktuell alles wollte, außer Makis Gesellschaft. Wütend über die harsche Behandlung lehnte sich diese gegen das Geländer hinter ihr. Gleichgültig beobachtete sie den Aufzug, bis er in der unteren Ebene verschwand. „Dann mach doch was du willst“, murmelte Maki erzürnt und begab sich auf den Rückweg zum Café. Jedoch hielt sie an, als plötzlich jemand von der anderen Seite aus nach ihr rief. „Maki-chan“, es handelte sich dabei um Rin, die vor dem Eingang eines Feinkostgeschäfts stand. Auch Hanayo war bei ihr. Sie hielt einen kleinen Sack Reis in den Händen. Maki wollte sich nichts anmerken lassen und hoffte sehr, dass die beiden nichts von dem mitbekommen hatten, was gerade passiert war. Mit einem gezwungenen Lächeln winkte sie ihnen zu.

 

„Drei Stück? Wieso musstest du denn gleich drei Käsekuchen kaufen?“, fragte Umi verwundert, als Kotori mit einem äußerst zufriedenen Lächeln die Konditorei verließ. „Einer ist ein Begrüßungsgeschenk für unseren Gastgeber und der zweite Kuchen ist für uns selbst. Zum Kaffee passt er hervorragend.“ „Und was ist mit dem Letzten?“ „Der ist für mich“, erwiderte Kotori kurz und knapp. „Du bist ein regelrechter Vielfraß, Kotori-chan“, kam es von Honoka, die unmittelbar hinter ihr stand. Sie bediente sich gerade schmatzend an einer Tüte, gefüllt mit unterschiedlichen Sorten von Gebäck. „Wenn du das alles isst, wirst du wieder dick“, mahnte Umi und versuchte ihr vorsichtshalber die Tüte abzunehmen. Das gelang aber mehr schlecht als recht, da Honoka einfach vor ihr weglief. „Bleib gefälligst stehen.“ „Nein, kauf dir deine eigenen Plätzchen.“ Kotori amüsierte sich derweil prächtig. „Die beiden benehmen sich wie Kinder. Süß“, dachte sie und beobachtete gelassen ein paar Passanten, die nur Kopfschüttelnd an ihnen vorbei gingen. „Mach dir keine Sorgen. Etwas das so gut schmeckt, kann gar nicht dick machen“, lachte Honoka und wedelte im Rennen mit der Tüte umher. „Das ist die dümmste Ausrede, die ich seit langem gehört habe.“ Mit einem Mal blieb Honoka stehen, derart abrupt, sodass Umi fast mit ihr zusammengestoßen wäre. Sie drehte sich zu dem Mädchen um. „Hör mal, Umi-chan“, begann die Oberschülerin plötzlich mit einer lieblichen Stimme zu sprechen und griff noch einmal in die Tüte, ehe sie diese Umi überließ. „Ich handle gerne so, wie du es von mir möchtest. Aber dann erwarte ich auch, dass du dementsprechend konsequent bist.“ Sie nahm das Plätzchen in den Mund und zog Umi vorsichtig zu sich heran. Mit halb geöffneten Augen sowie einem nun mehr verführerischen Lächeln, umfasste Honoka zärtlich das Gesicht ihrer Freundin. „Warte…bitte…“, Umis Wangen färbten sich schlagartig rot, ihr Herz raste förmlich. Ihre Stimme zitterte: „Das… kann… ich nicht.“ Nervös senkte sie ihren Blick, wandte den Kopf leicht ab. Zwei männliche Schaulustige – sie standen etwas Abseits – hatten ganz offensichtlich Gefallen an diesem Bild gefunden. Auch Umi war dies nicht entgangen. „Honoka… das… ist…“, letztlich musste sie kapitulieren. Mit noch immer knallroten Wangen entfernte sich Umi einige Schritte. Es war ihr deutlich anzusehen, wie peinlich das alles für sie war. Nachdem die beiden Männer allerdings das Interesse verloren hatten, beruhigte sie sich und fand zumindest einen Teil ihrer gewohnten Standhaftigkeit wieder.

 

„Das war absolut niederträchtig von dir“, klagte Umi. „Dass du in der Öffentlichkeit derart schamlos sein kannst, stimmt mich mehr als bedenklich.“ Honoka zuckte lediglich mit den Schultern. Genügsam aß sie das letzte Plätzchen, dass ihr noch verblieb. „Unter anderen Umständen gefällt dir das sonst eigentlich.“ Sie kam nicht umhin, Umi ein schadenfrohes Grinsen zu schenken. „Spar dir das“, raunte das blauhaarige Mädchen verlegen und stopfte die Tüte in ihre Hosentasche. „Ich konfisziere die Plätzchen.“ Kotori, die währenddessen schweigend aber nach wie vor amüsiert zugesehen hatte, erinnerte die beiden schließlich daran, auf die Uhrzeit zu achten. „Fast vergessen“, warf Honoka ein und zückte ihr Smartphone. „Geht ihr schon mal vor. Ich komme dann gleich nach.“ Sie nickten zustimmend. „Wir warten am Gleis auf dich“, rief Kotori Honoka zu, die sich nun langsam auf eine abgelegene Ecke nahe der Konditorei zu bewegte. Dort wählte sie eine der gespeicherten Nummern aus ihrem Adressbuch und prüfte gleichzeitig aufmerksam ihre unmittelbare Umgebung. Als wenig später der Anruf angenommen wurde, erkundigte sich Honoka gezielt bei ihrem Gesprächspartner: „Hast du schon alles erledigt?“ 

 

Die neun Mädchen hatten Glück gehabt. Die Verspätung des ICE erhöhte sich nicht weiter, sodass sie ihren Anschlusszug rechtzeitig erreichten, der dann seinerseits pünktlich den Frankfurter Hauptbahnhof verließ. Auf dem letzten Abschnitt der Reise, die wohl doch ermüdender war als gedacht, schlief der Großteil der Gruppe. Niko und Maki saßen erneut getrennt voneinander. Ein Umstand, der Aufmerksamkeit erregte. „Niko-chan, ist etwas zwischen euch vorgefallen?“, fragte Nozomi mit Bedacht. „Das geht dich nichts an“, antwortete die Oberschülerin zögernd und lenkte ihren Blick aus dem Fenster. Gleise, Signale, Landschaften – alles raste mit hohem Tempo an ihnen vorbei. Eri musste die Neugierde ihrer Freundin im Zaum halten, da diese sich wohl nicht so ohne weiteres abspeisen lassen wollte. „Ich schätze, dass sie sich wieder gestritten haben. Du solltest ihnen jetzt erst einmal etwas Ruhe gönnen“, flüsterte sie Nozomi zu. Bevor diese anders hätte reagieren können, bemerkten beide, dass Niko nun ebenfalls eingeschlafen war. „Bist du denn überhaupt nicht müde, Eri?“, hakte Nozomi nach, als sie ein herzhaftes Gähnen vernahm. „Ein wenig schon, doch allzu lange dauert es nicht mehr, bis wir ankommen. Du kannst aber noch etwas die Augen zu machen.“ Dem Angebot folgte Nozomi dankend und lehnte sich behutsam an Eris Schulter.

 

Unter dem leisen Surren des Zuges war das Schnarchen von einigen der Mädchen gut zu hören. Ansonsten herrschte eine vollkommene Stille. Außer ihnen befand sich niemand mehr im Abteil, was vor allem daran lag, dass die Klimaanlage einen Defekt aufwies. Die warme, verbrauchte Luft stand im Raum und sorgte für einen eher unruhigen Schlaf. Es war stickig und selbst die geöffneten Fenster schafften keine wirkliche Abhilfe. Dafür war es schließlich viel zu heiß. „Nächster Halt: Kalda(Main). Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“, ertönte eine monotone, dezent rauschende Durchsage aus den Lautsprechern. Vorsichtig weckte Eri die anderen und begann damit, das Gepäck aus der Ablage über den Sitzen zu nehmen. Verträumt rieb sich Kotori noch die Augen, als sie ihren gelben Koffer in den Schoß gedrückt bekam. Sie sah nach links und stellte fest, dass Hanayo, Rin und Maki bereits dabei waren, das Abteil zu verlassen. Umi achtete inzwischen darauf, dass nichts vergessen wurde. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen kam der Zug im überschaubaren Bahnhof zum Stillstand. Zugleich sprangen die Türen auf und eine große Menge an Passagieren trat auf den Bahnsteig. Einen kurzen Moment später gab der Schaffner bereits das Signal zur Weiterfahrt und in Windeseile war der Zug hinter der nächsten Kurve verschwunden. In der Nähe eines Schaukastens, in dem der Fahrplan samt diversen Informationszetteln ausgehängt war, sammelte sich die Gruppe.

 

„Sonderlich viel ist hier ja nicht los“, stellte Niko enttäuscht fest. Umi pflichtete ihr bei: „Du hast Recht. Um nach dem ersten Eindruck zu urteilen, scheint es hier nicht wirklich aufregend zu sein. Aber genau deswegen ist dieser Ort auch so ideal, um als Basis für unsere Arbeit zu dienen.“ Mit Händen tief in den Jeanstaschen vergraben, kickte Niko lustlos eine zerdrückte Getränkedose gegen einen Abfalleimer. „Das mag schon sein. Trotzdem finde ich es nicht gerade berauschend. Das ist mit Sicherheit eines dieser winzigen, öden Dörfer, für die sich kaum jemand interessiert“, sagte sie spöttisch und untersuchte die Umgebung rund um den Bahnhof. Hinter dem dritten und letzten Bahnsteig gab es einen kleinen Laubwald. Ein schwacher Wind blies durch die trockenen Baumkronen und brachte das Geäst zum Wanken. Über den wenige Meter entfernten Bahnübergang fuhren vereinzelt Autos und sporadisch gesellten sich ein paar Fußgänger sowie Fahrradfahrer hinzu. Sie waren ganz alleine auf dem Bahnsteig. Nicht eine Menschenseele hatte um diese Uhrzeit Interesse daran, auf einen Zug zu warten, erst recht nicht während der Ferienzeit. „Wenn wir über einen möglichen Urlaub sprechen, dann kann das durchaus langweilig sein“, merkte Umi an, die Nikos Blick gefolgt war. „Behalten wir jedoch unser primäres Ziel im Auge, so ist es wahrscheinlich eine der optimalsten Ausgangslagen, die wir bekommen konnten. Dieser Ort erscheint still, friedvoll und unscheinbar. Zumal wir uns frei und gefahrenlos bewegen können.“ Sie holte ihr Smartphone hervor und verschickte ein PDF-Dokument an den Rest der Gruppe. „Ich habe einmal die relevantesten Informationen zusammengetragen. Dazu gehören unter anderem: Fahrzeiten von Bus und Bahn zu den umliegenden Ortschaften und Städten; Öffnungszeiten der wichtigsten Ämter sowie Adressen von Supermärkten, Post, Zoll und weiteren potenziell wichtigen Geschäften.“

 

„Und eine Liste mit Sehenswürdigkeiten darf selbstverständlich auch nicht fehlen“, stellte Niko kopfschüttelnd fest. Umi hatte nun ein freudiges Funkeln in den Augen.  „Es ist äußerst wichtig, sich auf seinen Reisen zu bilden.“ Belehrend erhob sie den Zeigefinger. „Es gibt hier zum Beispiel einen jahrhundertealten öffentlichen Backofen, genannt Backes. Bis 1937…“  „Hör bloß auf damit“, unterbrach Niko meckernd. „Du wirfst in blanker Euphorie nur wieder mit den unnötigsten Details um dich.“ „Banausin“, schnaubte Umi und stemmte beleidigt ihre Hände in die Hüfte. „Wenn wir hier schon Urlaub machen, dann sollten wir auch von den Sehenswürdigkeiten profitieren. Von ihnen lernen. Über die hiesige Kultur, Geschichte und…“ Sie stoppte, da Eri und Nozomi sie freundlich daran erinnerten, was denn das – von ihr selbst erst vor wenigen Minuten angesprochene – primäre Ziel ihres Aufenthalts sei. Nach kurzer Überlegung räusperte sich Umi mehrfach. Niko und die anderen Mädchen grinsten sie herzlich an. „Natürlich dient diese Liste vorrangig nur der äußerlichen Darstellung unsererseits als ganz gewöhnliche Touristen“, erklärte sie kleinlaut. „Weitere Verwendungsmöglichkeiten sind nur als positiver Bonus aufzufassen.“ Unter einem allgemeinen Gelächter konnte es Umi schlecht verbergen, dass ihr etwas die Schamesröte ins Gesicht stieg.

 

„Jetzt hört schon auf zu lachen“, setzte Eri mit ernstem Ton den Versuch an, die Gruppe wieder zu beruhigen. „Wir sollten uns allmählich nach unseren Gastgebern erkundigen.“ Beschwichtigend, mit einem Augenzwinkern, klopfte sie Umi auf die Schulter. „Eigentlich wollten uns diese vom Gleis abholen. So stand es zumindest in der letzten E-Mail, in der wir die nötigen Details festgemacht hatten.“ Eri schaute auf eine der großen Bahnhofsuhren. „Sie sind jetzt 15 Minuten über der vereinbarten Zeit. Ich bin mir aber sicher, dass sie bald hier sein werden. Am besten laufen wir ihnen ein Stück weit entgegen.“ Mit vollem Gepäck machten sie sich also auf den Weg zur Vorderseite des Bahnhofs. Über eine Treppe gelangten sie zu einer entsprechenden Unterführung. Doch auf halber Strecke hielt Rin, die ganz am Ende hinter den anderen herlief, plötzlich inne: „Wartet mal.“ Verwundert drehten sich alle zu ihr um. „Was ist los?“, fragte Kotori besorgt. „Hast du etwas vergessen?“ „Nein. Ich habe nichts vergessen. Aber…“, mit ausgestrecktem Arm deutete sie der Reihe nach auf jedes einzelne der Mädchen und schließlich auf sich selbst. „…5, 6, 7, 8“, zählte sie lautstark. Wortlos verharrten die Mitglieder der Gruppe noch einen kurzen Augenblick, bis der Funken letztendlich übersprang, und die anfängliche Verwirrung sich in eine Mischung aus Panik und Fassungslosigkeit wandelte.

 

„Wo ist Honoka abgeblieben?“, fragte Maki als erste in die Runde. Zur Antwort bekam sie jedoch nur ein Schulterzucken von Hanayo und Rin. Gleichermaßen schien der Rest nicht minder ratlos zu sein. „Ab Frankfurt Hauptbahnhof war sie definitiv noch bei uns“, meldete sich Niko. „Ihr war es zu warm gewesen“, fiel Umi ein. Ihre Stimme zitterte vor Aufregung. „Honoka hatte das Abteil gewechselt. Sie war müde und konnte bei der Wärme nicht schlafen. Sie hatte deshalb einen der Wagons aufgesucht, in der die Klimaanlage noch funktionierte. Wie konnte ich das nur vergessen?“ „Umi, beruhige dich. Honoka kann durchaus auf sich selbst aufpassen. Du solltest sie anrufen“, sagte Nozomi gelassen. Das Mädchen stimmte ihr zu. Angespannt wartete sie darauf, dass ihr Anruf angenommen wurde. Einen Moment später hatte sie tatsächlich Glück.

 

„Honoka? Bist du da?“, es gab keine Reaktion. Lediglich ein ständiges Klopfen, nein, fast schon ein regelrechtes Trommeln war zu hören. Als ob jemand kontinuierlich gegen etwas schlagen würde. Zusätzlich vernahm Umi nun auch eine Stimme. Sie klang gedämpft und gehörte definitiv nicht Honoka. „Es spricht jemand. Aber ich kann es nicht verstehen“, teilte Umi den anderen mit. „Lass mich bitte mal hören“, bat Eri und nahm Umis Smartphone. Aufmerksam lauschte sie den Worten: „Hallo? Polizei! Bitte öffnen Sie die Türe, sonst müssen wir uns gewaltsam Zutritt verschaffen. Hören Sie mich? Hier ist die Poli…“ Abrupt wurde aufgelegt und die Verbindung unterbrochen. Und dann herrschte Totenstille. In Ruhe erzählte Eri, was sie eben gehört hatte. „Polizei? Was ist denn passiert?“, fragte Hanayo. „Ich weiß es nicht“, antwortete Eri unsicher. „Aber wir sollten versuchen, dass wir das schnellstmöglich herausfinden.“ Gerade wollte sie die Wahlwiederholung starten, da rief jemand aus der Richtung des Eingangs nach ihnen: „Hi there. Are you the members of µ's?“    

Sizilianische Gastfreundschaft

Traditionell schlug der Markt „Bella Italia“ seine Zelte für zwei Wochen im Aschberger Hauptbahnhof auf. Und zwar wortwörtlich. Direkt in der großen Eingangshalle befanden sich drei Zelte, gehalten in den Farben Grün, Weiß und Rot, an denen ein breites Sortiment von verschiedenen italienischen Spezialitäten verkauft wurde. Seien es Wurst, Käse, Nudeln, Brot, Gebäck oder Desserts – für Liebhaber der mediterranen Küche gab es eine breite Auswahl an Produkten zu finden. Dicht an dicht drängelten sich die Leute an der Auslage. Entweder aus bloßer Neugierde, um die ein oder andere Kostprobe zu vertilgen, sich freundlich beraten zu lassen oder um ihre Einkaufslisten abzuarbeiten.

 

„…Finocchiona Sbriciolona, 7 Stück. Zwei Laib Provoletta und drei große Ciabatta“, wiederholte der Mann und verstaute alles in zwei braunen Weidenkörben. „Du willst dieses Jahr offenbar eine ganze Fußballmannschaft versorgen“, lachte er, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und nahm das Geld entgegen. „Von wollen kann hier keine Rede sein, Pietro“, seufzte Jack genervt und prüfte noch einmal sorgfältig seine Einkäufe. „Mina und ihr Bruder haben mich – mehr oder weniger – dazu genötigt. Wir haben die nächste Zeit einige Gäste im Haus. Eine Gruppe aus Japan.“ „Was dir ganz offensichtlich nicht wirklich zu gefallen scheint“, stellte Pietro fest und verschränkte die Arme. „Sind das zufällig eure Ehrengäste für das diesjährige Winterfestival?“ Jack nickte. „Das war eine äußerst unerfreuliche Überraschung für mich. Aus heiterem Himmel durfte ich erfahren, dass, zu einem möglichen Besuch im Winter, nun ebenfalls ein garantierter Urlaub im Sommer hinzukommt. Und zu allem Überfluss muss ich sie auch noch beheimaten.“

 

Pietro Costa konnte nur verwundert den Kopf schütteln. Der gebürtige Sizilianer, 52 Jahre alt, war der Geschäftsführer des lokalen Supermarktes „Bella Italia“. Dieser war in der ganzen Stadt für seine Vielfalt an italienischen Spezialitäten bekannt. Über die Sommermonate – seit nunmehr zehn Jahren – kampierte der Markt außerdem abwechselnd in verschiedenen Städten des Landkreises Aschberg. Seitdem wuchs der Bekanntheitsgrad kontinuierlich, ebenso die Anzahl von neuen und nicht minder treuen Stammkunden. Zu diesen zählte auch Jack. Er und Pietro kannten sich bereits seit vielen Jahren. Damals, aus gegebenem Anlass, waren Jacks Onkel, Tante und seine Cousine nach Kalda gezogen. Sein Onkel war gelernter Koch und hatte zuvor lange Zeit erfolgreich in einem namenhaften Hotel in Darmstadt gearbeitet. Es mochte für manchen Außenstehenden wie ein Rückschritt wirken, eine sichere und gut bezahlte Arbeitsstelle gegen eine wacklige Selbstständigkeit einzutauschen, doch mit seinem eigenen kleinen Restaurant konnte sich Jacks Onkel schließlich einen lang gehegten Traum erfüllen.

 

„Was sagen eigentlich Hanna und Alphonse zu all dem?“, fragte Pietro eher beiläufig, während er Jack den Rücken zuwandte, um einer älteren Dame einen Teller mit aufgespießten Käsestückchen zu reichen. Dabei fiel ihm ein recht junger Mitarbeiter der DB-Sicherheit auf. Dieser lief nervös vor dem Eingang eines Treppenhauses auf und ab, nicht unweit von den Zelten entfernt. „Habe ich den nicht schon einmal gesehen?“, dachte Pietro und stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab. Als der Mann zwei Polizeibeamte bemerkte, die sich aus der Richtung des angrenzenden Busbahnhofs näherten, lief er ihnen eilig ein Stück entgegen. „Was da wohl los ist?“ Nach einem kurzen Wortwechsel verschwanden alle drei aus Pietros Blickfeld und betraten das Treppenhaus über eine rote, offenstehende Doppeltüre. Er hätte nur allzu gern gewusst, was die Polizei auf den Plan gerufen hatte. „Ob es Ärger gibt? Vorhin war…“ „Hallo. Hörst du mir überhaupt zu?“, hakte Jack verärgert nach. Seine Neugierde hatte praktisch alles andere um ihn herum ausgeblendet. Für einen Moment hatte Pietro sogar vergessen, dass er sich inmitten einer Konversation befand. „Tut mir leid. Tut mir leid. Ich habe mich ablenken lassen“, lachte der Italiener, drehte sich um und machte mit den Händen eine halbherzig abwehrende Geste. „Würdest du es bitte noch einmal wiederholen?“ Jack schnaubte und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Der Rest meiner Familie stellt sich natürlich auf die Seite von Mina und Fabian.“ „Ich halte es für eine gute Idee. So könnt ihr euch vorab noch besser kennenlernen“, zitierte er missmutig und völlig überspitzt seine Tante. „Aber ob ich überhaupt Lust dazu habe, irgendwelche Pop-Sternchen in spe meinen ganzen Urlaub lang zu bespaßen, danach hatte mich im Vorfeld selbstverständlich niemand gefragt.“

 

Seelenruhig kramte Pietro in zwei Kisten unter einem der Tische herum. Er griff sich gut ein Dutzend der teuren Wildschwein-Salamis und füllte damit die Lücken in der Auslage auf. Anschließend wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu, dessen Stimmung sich offenbar im Minutentakt verschlechterte. Zumindest dem permanenten Grummeln nach zu urteilen. „Was ist denn so schlimm daran? Du wirst über die nächsten Wochen von vielen jungen Frauen umgeben sein. Das ist eher ein Anlass zur Freude, oder nicht?“ Pietro schenkte Jack ein schelmisches Lächeln, der daraufhin lediglich gleichgültig mit den Schultern zuckte. „Erstens sind es junge Mädchen. Ich mache mir nichts aus Minderjährigen. Aber ich kann es durchaus verstehen, dass die Italiener hier nicht immer eindeutig zu differenzieren wissen. Zweitens bin ich mit meiner Beziehung unterdes vollends zufrieden“, antwortete der Mitzwanziger beherrscht und zog einen Apfel hervor. Gleichzeitig verfinsterte sich seine Miene zusehends. 

 

„Genug von mir“, sagte Jack und hauchte den Apfel an, bevor er diesen gründlich an seinem Shirt abrieb. Pietro verschränkte seine Arme und klopfte nervös mit einem seiner Füße auf den Boden. Von seiner lässigen Haltung, ebenso dem neckischen Grinsen, war nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen plagte ihn jetzt eine gewisse Anspannung, er war verstummt und wich jedem direkten Augenkontakt aus. Jack nutzte die Gelegenheit und biss kräftig in den Apfel hinein. Schmatzend wandte er sich an seinen Freund: „Viele Obstsorten sind schmackhaft, saftig und äußerst vitaminreich. Ich persönlich präferiere Äpfel. Wusstest du das schon?“ Pietro nickte. „Dann bin ich beruhigt. Fast hätte ich geglaubt, du wüsstest den Wert dieser Köstlichkeiten nicht mehr zu schätzen.“ Mit dem Oberarm wischte sich Jack den Fruchtsaft aus den Mundwinkeln. Seine Stimme besaß einen unverkennbaren ernsten Unterton. „Die Ernte im nächsten Jahr wird mit Sicherheit ertragreicher ausfallen. Es kann nicht allzu gesund sein, diesem süßen Fallobst auf Dauer widerstehen zu müssen.“ Einige Sekunden lang betrachtete Jack den, zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmten, Apfelgriebs von allen Seiten. Lässig warf er ihn dann über den Tresen vor sich. „Behalte ihn!“, lachte er beinahe höhnisch. „Als eine Art Erinnerungshilfe, falls das denn wieder einmal notwendig sein sollte.“ Angewidert hob Pietro das abgenagte Stück Obst vom Boden auf. „Ich werde mich darum kümmern“, gab er letztlich kleinlaut von sich. Jacks Gesichtsausdruck hellte sich auf.

 

„In Ordnung. Belassen wir es dabei. Jetzt sei so gut und gib mir sechs Packungen deiner hausgemachten Gobbettis.“ Verwundert tat Pietro, wie ihm geheißen wurde. Seine Anspannung konnte er noch nicht in Gänze wieder ablegen, dennoch war er froh, dass Jack offenbar das Thema wechseln wollte. „Du hast wahrlich einen gesegneten Appetit“, meinte er scherzhaft und packte alles zu den restlichen Einkäufen hinzu. „Es sind meine Lieblingsnudeln. Da habe ich lieber eine Packung zu viel auf Lager als zu wenig. Zudem ich befürchten muss, dass mir in den nächsten Wochen die Haare vom Kopf gefressen werden.“ „Kann es sein, dass du einmal mehr einen Hang zu überflüssigem Pessimismus hast? Anstatt sich über seine Gäste zu beschweren, ehe du diese überhaupt kennengelernt hast, solltest du sie lieber mit offenen Armen empfangen. Spiel nicht das trotzige Kind“, mahnte Pietro ernsthaft und übergab ihm die beiden Weidenkörbe. „Würde die typisch italienische Gastfreundschaft auf mich abfärben, bloß weil ich bei dir einkaufe, dann wäre das eine tolle Sache. Tut sie aber nicht!“, raunte Jack missmutig und zückte seinen Geldbeutel. In seinem Blick lag etwas Erwartungsvolles. „Was bin ich dir schuldig?“ Pietro schüttelte den Kopf. „Die Nudeln sind ein Geschenk. Gehen aufs Haus.“ „Ein Geschenk?“, hakte Jack interessiert nach. Schnell verschwand der Geldbeutel wieder in der Hosentasche, wechselte den Platz nun mit seinem Smartphone, dass die ganze Zeit über ausgeschaltet war. „Ich hoffe, dass das stimmt.“ Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Bestechungen sind mir nämlich stets zuwider“, merkte er scheinheilig an und zeigte sich höchst amüsiert. „Interpretiere es einfach wie du möchtest“, erwiderte der Italiener ruhig und entsorgte den Apfelgriebs im Mülleimer. „Auf jeden Fall wünsche ich…“

 

„Warte bitte mal kurz!“, unterbrach Jack plötzlich und prüfte eingehend die Liste der entgangenen Anrufe auf seinem Smartphone. Er stellte fest, dass seine Freundin gut ein dutzend Mal versucht hatte ihn zu erreichen. Zuletzt vor weniger als fünf Minuten. Für gewöhnlich würde er das einfach stillschweigend hinnehmen, auf einen weiteren Anruf warten oder selbst die betroffene Person zu einem späteren Zeitpunkt kontaktieren. Allerdings war es ein absolut untypisches Verhalten von Mina, derart hartnäckig zu sein. Zumindest was das Telefonieren anging. Sie und Jack sahen sich nahezu täglich, da beide nicht nur im selben Ort, sondern auch in derselben Straße wohnten. In der Tat fiel die Anzahl ihrer Anrufe recht spärlich aus. Anrufe ohne einen triftigen Grund gab es praktisch nicht. Und genau deshalb machte Jack sich Sorgen. Es musste mit erhöhter Wahrscheinlichkeit irgendetwas vorgefallen sein, weshalb sie so konsequent versucht hatte ihn zu erreichen. Schnell wählte er. Es brauchte lediglich ein paar Sekunden, bis das Gespräch auf der anderen Seite angenommen wurde.

 

„Jack? Ein Glück, dass du zurückrufst. Wir haben ein Problem“, erzählte Mina hektisch, aber zugleich merklich erleichtert „Immer mit der Ruhe. Geht es dir gut? Ist bei euch alles in Ordnung?“ „Ja… Nein… Es ist…“ „Mina, wie sieht es aus? Hast du ihn erreicht?“, rief ihr jemand aus der Distanz zu. „Ich telefoniere gerade mit ihm“, gab sie zügig zur Antwort. Dessen ungeachtet, dass das Rufen bei Jack nur sehr schwach ankam, erkannte er trotzdem, dass es sich um Fabian handelte. Rasch wanderte sein Blick zu einer der Bahnhofsuhren. „Warte bitte kurz!“ Einen Moment lang hallten Schritte umher. Offenbar verlagerte Mina den Standort des Gespräches. Nach und nach konnte Jack weitere Stimmen im Hintergrund vernehmen, die wild durcheinanderredeten. Ein wirres Gemisch aus Dialogfetzen setzte sich durch, zwar viel zu undeutlich, als dass er diese hätte verstehen können, doch eines ließ sich mit Sicherheit sagen: Es waren ausnahmslos weibliche Stimmen. Mina befahl den dort anwesenden Personen in nahezu akzentfreiem Japanisch etwas, dass Jack in etwa mit „Seid bitte leise!“ übersetzen konnte. Dies war sozusagen das letzte Indiz, das Jack gebraucht hatte, um definitiv zu wissen, was die Ursache für diese Aufregung war.

 

Dem Versuch, sich erklären zu lassen, was eigentlich vorgefallen war, kam er schlichtweg zuvor: „Mina, besteht die Chance, dass etwas mit unseren Gästen nicht stimmt?“, fragte er gelangweilt und hoffte innerlich, dass sie es sofort verneinen würde. „Wie… Woher weißt du das?“ Sie klang hörbar überrascht. „Also doch. Verdammt!“, dachte Jack und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er schnaufte genervt und hakte weiter nach: „Was ist passiert? Fass dich kurz! Keine Einzelheiten!“ „Ein Mädchen aus der Gruppe, Honoka Kousaka, ist verschwunden. Sie hatte während der Fahrt geschlafen und wurde nicht rechtzeitig geweckt, als die anderen in Kalda ausstiegen.“ „Ich verstehe. Und jetzt wisst ihr nicht, wo sie abgeblieben ist, richtig?“ „Ja. Ich glaube aber, dass sie sich irgendwo im Hauptbahnhof Aschberg aufhalten muss.“ „Und was genau bringt dich zu dieser Vermutung? Sie könnte ebenso gut bereits früher ausgestiegen sein“, meinte Jack. „Unwahrscheinlich. Der Rest der Gruppe hatte sie umgehend angerufen, nachdem das Verschwinden auffiel. Zu diesem Zeitpunkt müsste der Zug längst in Aschberg angekommen sein. Sonoda-san erzählte mir, dass Kousaka-san zwar auf den Anruf reagiert hatte, allerdings ohne sich auf irgendeine Art und Weise bemerkbar zu machen. Weiter sagte sie, dass lediglich ein wiederholtes Klopfen zu hören war. Und…“

 

Pietro lauschte Minas Worten aufmerksam, soweit dies beim geschäftigen Treiben um sie herum überhaupt möglich war. Er hatte zwischenzeitlich den Verkaufstand verlassen und sich zu Jack gesellt, der ein wenig abseits, in der Nähe eines DB-Informationsschalters stand. In leicht gebückter Haltung, fast schon am Kopf des anderen klebend, folgte er mit einem Ohr neugierig dem Gespräch. „Polizei? Bist du dir sicher?“ „Definitiv. Sonoda-san konnte sonst nichts wirklich verstehen, mit Ausnahme des Ausrufs Polizei. Dieser soll wohl ein paar Mal gefallen sein, ehe das Telefonat abrupt abbrach“, antwortete Mina. „Warum haben sie nicht einfach ein Gepäckstück verloren? Dann hätte ich schon längst aufgelegt. Stattdessen kommt selbstverständlich einer der liebenswerten Gäste abhanden. Vielleicht hat die Polizei sie ja im Fundbüro abgegeben“, murmelte Jack sarkastisch. Es interessierte ihn in diesem Moment nicht im Geringsten, was dem Mädchen widerfahren sein könnte. „Hast du etwas gesagt?“, fragte Mina vorsichtig nach. „Nein, nichts Wichtiges. Um zum Thema zurückzukommen: Gehe ich recht in der Annahme, dass du aufgrund des Klopfens vermutest, dass sie sich eventuell irgendwo eingeschlossen haben könnte?“ „Du triffst den Nagel auf den Kopf. Theoretisch hätte Kousaka-san bereits zuvor in Ozenheim aussteigen können. Dort gibt es jedoch nur ein kleines Verwaltungsgebäude und keine öffentlichen Räume für Reisende. Zumal..“ „Ja, das weiß ich selbst. Ich sagte keine Einzelheiten. Entweder verweilt sie also noch immer im Zug oder eben nicht. Sie könnte sich irgendwo im Bahnhof Aschberg oder in dessen unmittelbarer Umgebung befinden“, schlussfolgerte Jack gereizt und mit deutlich lauterer Stimme, sodass ein paar Passanten verwundert die Köpfe hoben.

 

Er senkte sein Smartphone und lief zielstrebig ein Stück weit nach links, bis er einen breiten Korridor einsehen konnte. Dieser verband die Eingangshalle mit dem Busbahnhof. Zahlreiche Leute waren dort unterwegs, gemächlich oder hetzend. Etliche standen vor den Eingängen verschiedener Geschäfte, unterhielten sich lautstark oder warteten auf jemanden. Bei diesem ständigen Kommen und Gehen war es nahezu unmöglich, eine bestimmte Person gezielt ausfindig zu machen. Doch das wollte Jack auch gar nicht. Vielmehr fokussierte er eine rote Doppeltüre auf der linken Seite des Korridors. „Das kann kein Zufall sein“, dachte er und winkte Pietro zu sich heran. „Mina? Bist du noch dran?“ Seine Freundin antwortete nicht sofort, sondern erst mit einer geringfügigen Verzögerung: „Bin ich.“ Sie war leiser geworden, klang eingeschüchtert. Jack fuhr sich erneut durch die Haare und schnaufe mehrmals kräftig durch die Nase. Mit der größtmöglichen Geduld versuchte er sich jetzt auf das Wesentliche zu konzentrieren, seinen Ärger herunterzuschlucken und sich zu beruhigen. Es missfiel ihm, nein, er hasste es abgrundtief, wenn er Mina gegenüber die Stimme erheben musste. Jack wollte das Gespräch schnell zu einem Ende bringen, da sein Bauchgefühl ihm sagte, dass er längst wusste, wo Kousaka-san sich aufhielt. „Verzeih meinen harschen Tonfall. Ich bin mir sicher, dass ich bald mit dem Mädchen zurück sein werde.“ Damit legte er auf, ohne eine weitere Reaktion abzuwarten.

 

Pietro verschränkte ein ums andere Mal die Arme und lehnte den Kopf ein Stück zur Seite. „Ich habe nur einige Bruchstücke dessen mitbekommen, worüber ihr gesprochen habt. Ihr sucht jemanden?“, fragte er, obgleich die Antwort bereits bekannt war. Es benötigte keinen Hellseher, um zu erahnen, was Jack in diesem Augenblick für einen Verdacht hegte. „Sie sind dir ebenfalls aufgefallen? Ich rede von den Polizisten“, hakte Pietro nach. „In der Tat. Das sind sie.“ „Und du glaubst, dass diese etwas mit deiner Angelegenheit zu schaffen haben?“ „Höchstwahrscheinlich“, bejahte der Mitzwanziger trocken. „Aber sag du mir doch, ob ich mit meiner Vermutung richtig liegen könnte.“ „Mmh? Was meinst du?“ „Bevor ich hierher kam, ist da etwas Ungewöhnliches vorgefallen? Hat sich vielleicht jemand besonders auffällig verhalten?“ Nachdenklich kratzte sich Pietro am Hinterkopf. „Da fragst du mich ja was. Ich bin schon seit Stunden hier. Glaubst du, dass ich allen Ernstes darauf achten kann, was hier so alles am Rande passiert, wenn ich permanent dutzende Kunden bedienen muss?“ „Nein, aber ich spreche auch nicht von Stunden, sondern erstmal nur von den letzten 30 Minuten. Gab es da etwas, dass dir in Erinnerung geblieben ist?“ Langsam schloss der Italiener die Augen, konzentrierte sich und dachte angestrengt darüber nach. „Ja, da gibt es tatsächlich etwas. Und jetzt weiß ich auch wieder, wo ich den Jungspund heute schon einmal gesehen habe.“ „Jungspund?“, wiederholte Jack. „Na, den Typen der DB-Sicherheit. Ich hatte gerade einem älteren Herrn die Einkäufe gepackt und übergeben. Kaum wandte ich mich jedoch dem nächsten Kunden zu, hörte ich ein lautes Aufschreien. Der Sicherheitsmann war direkt in den Herrn hineingerannt und dabei hatte sich ein Großteil von dessen Einkäufen quer über den Boden verteilt. Er ignorierte völlig, was passiert war. Rannte einfach weiter, ohne sich zu entschuldigen und ohne zu helfen. Zwar hatte ich ihm noch nachgerufen, allerdings vergebens. Im Nachhinein betrachtet, macht mich das ziemlich wütend.“ „Verständlich. Kannst du mir sagen, wie er auf dich gewirkt hatte?“, fragte Jack und lief zur roten Doppeltüre hinüber. Pietro folgte ihm. „Er schien recht aufgeregt und hektisch. Keine Ahnung, woher er kam. Aber er verschwand irgendwo in Richtung Busbahnhof.“

 

Diese Informationen reichten Jack vollkommen. Bevor er das Treppenhaus betrat, bat er Pietro noch darum, auf seine Einkäufe Acht zu geben. „Ich kümmere mich derweil um diesen Störenfried.“ In dem übersichtlichen, quadratischen Raum, der mit beigen Fliesen überzogen war, gab es zur einen Seite hin eine gläserne Front mit einer automatischen Türe und somit eine direkte Anbindung nach draußen. Zwei sperrige, alte Fahrkartenautomaten, an denen die Displays zerkratzt waren und die Farbe bereits abblätterte, befanden sich vor dem Treppenlauf zu den oberen Etagen. Nach unten hin mündete eine weitere Treppe in einem kurzen Gang, an dessen Ende der Toilettenraum lag. Es herrschte eine seltsame Stille. Schritt für Schritt nährte sich Jack der Türe. Er konnte sich nicht helfen, doch irgendetwas sollte hier eigentlich ganz anders sein. Ein stetiges Klopfen; rufende Stimmen; Lautstarke Erklärungsversuche, die jemand mit Müh und Not in englischer Sprache von sich gab. Derartige Dinge zu hören, hatte Jack längst erwartet, als er nun endlich im Toilettenraum stand.

 

Ein beißender Geruch reizte seine Nase. Es stank fürchterlich. „Der Ammoniak muss die Woche im Angebot gewesen sein“, dachte er und hielt sich angewidert mit der Hand die Nase zu. Vor ihm erstreckte sich eine Drehsperre, nach einem Wegzoll lechzend, dahinter gab es jeweils einen Bereich für Männer und einen für Frauen. Grummelnd griff er nach seinem Geldbeutel. Aber die Suche nach einer passenden Münze endete, ehe sie überhaupt richtig begonnen hatte. Plötzlich starrten ihn vier Augenpaare an. Sie gehörten insgesamt zwei Mitarbeitern der DB-Sicherheit und zwei Streifenpolizisten. Die Gruppe verharrte einen Moment lang an Ort und Stelle, bis schließlich einer der Beamten das Wort erhob: „Treten Sie bitte beiseite! Sie behindern eine polizeiliche Maßnahme.“ Der stämmige Mann besaß eine brummende Stimme und den Dienstgrad eines Polizeioberkommissars. Sein Blick schien etwas wie „Leg dich bloß nicht mit mir an“ zu sagen. Normalerweise hätte Jack in dieser Situation einfach gehorcht und die Leute schlicht von dannen ziehen lassen. Es war jedoch die fünfte Person im Bunde, die ihn daran hinderte. Sie stand zwischen den Polizisten und umklammerte beinahe krampfhaft die Riemen einer zinnoberroten Schultertasche, die in Form eines Kreises mit rosafarbenen Herzchen bestickt war. Selbst die Schieber des Reißverschlusses hatten die Form von zwei goldenen Herzen. Das braune Haar fiel in einigen Strähnen über zwei tiefblaue Augen, die unmissverständlich etwas Flehendes vermittelten: „Bitte hilf mir!“
 

Das anhaltende Zischen der Hydraulikbremsen, das während der Einfahrt eines Zuges ertönte, ließ Oskar jedes Mal aufs Neue außer Rand und Band geraten. Fröhlich rannte er am Bahnsteig auf und ab. Zahlreiche Passagiere kreuzten seinen Weg und alle wurden sie mit einem freudigen Bellen begrüßt. Neugierig versuchte er dem Durcheinander aus menschlichen Beinen zu folgen, beobachtete die Leute dabei, wie sie schnellstmöglich ausstiegen und in alle Himmelsrichtungen verschwanden. Kaum jemand registrierte den betagten, aber quickfidelen Hund. Nur die wenigsten hatten einen Augenblick lang Zeit, um Oskar zumindest einmal liebevoll über den Kopf zu streicheln und sein langstockhaariges Fell, gemeinsam mit dem wunderschönen rötlich-cremefarbenen Muster, zu bewundern. Nachdem das Treiben auf dem Bahnsteig allmählich nachließ, beruhigte sich auch Oskar ein Stück weit und lief zielstrebig auf einen älteren Herrn zu. Dieser stand vor einer der geöffneten Doppeltüren des Regionalzuges. „Na, wie sieht es aus, mein Freund? Alles klar?“, fragte er und wuschelte seinem Hund mit beiden Händen durch das Fell. „Du hast deinen Spaß. Das merke ich“, lachte er und kramte ein Taschentuch hervor. Die Sonne war dieser Tage unerbittlich gewesen. Zur stehenden Hitze gesellte sich zudem noch eine schier unerträgliche Schwüle. „Puh, das ist ja nicht auszuhalten.“ Mehrfach wischte sich der Mann den Schweiß von der Stirn. „Ich glaube, wir sollten uns nach einer kühleren Unterkunft umsehen. Was meinst du?“, fragte er und hielt Oskar ein paar Hundekuchen hin. Dieser bellte einige Male, als ob er die Frage bejahen wollte.

 

Die Wagons wurden von einem dezenten Rütteln durchzogen, es zischte und dann hatte der Regionalzug seine Endstation, den Aschberger Hauptbahnhof, erreicht. Dort verweilte er für die nächsten 45 Minuten, bis zur Rückfahrt nach Frankfurt. An den meisten Ausgängen gab es ein wildes Gedrängel, da niemand sich den Vortritt nehmen lassen wollte. In Windeseile waren die Abteile nahezu menschenleer. Lediglich ein paar vereinzelte Personen blieben auf ihren Plätzen zurück, besonders jene, die seelenruhig schliefen und sich scheinbar von nichts und niemanden dabei stören ließen. Und doch gab es Dinge, die selbst gestandene Tiefschläfer aus den schönsten Träumen reißen konnten. „Yukiho, ich will Tee… Äh? Mmh? Was...“ In vollkommener Entspannung saß Honoka auf einer Sitzbank am Ende des Abteils. Der Vorteil einer Vierer-Sitzgruppe war der, dass das Mädchen bequem die Füße hochlegen konnte. Mit halb geöffneten Augen beugte sie sich ein Stück weit nach vorne, sodass sie aus dem Fenster sehen konnte. Es war ein lautes Bellen, das Honoka geweckt hatte. Ein Hund, dessen Fell ein wunderschönes rötlich-cremefarbenes Muster aufwies, machte sich begeistert über mehrere Leckerlis her, die ihm ein älterer Herr reichte. Lautstark bedankte sich der Vierbeiner und stützte sich an den Beinen des Mannes ab. Dann betraten beide den Wagon.

 

Einem herzhaften Gähnen folgte eine schnelle Handbewegung, um den angesammelten Speichel aus dem Mundwinkel zu entfernen. Behäbig erhob sich das Mädchen, streckte die Arme gen Himmel und blickte anschließend im Abteil umher. Links von ihrer Sitzbank aus gesehen, kennzeichnete ein unscheinbares Schild eine Toilette, die sie zugleich aufsuchte. Der winzige Raum bot gerade mal genug Platz für ein kleines Waschbecken mit einem Spiegel sowie die Toilette selbst. Ansonsten konnte man sich bestenfalls auf der Stelle drehen. Gegenüber der Türe befand sich ein Schiebefenster aus Milchglas, das bis zum Anschlag geöffnet worden war, sodass die heiße Luft ungehindert in den Raum strömen konnte. Prinzipiell mochte Honoka das warme Wetter des Sommers, aber die Temperaturen innerhalb dieser Sardinenbüchse glichen mittlerweile einem Saunaaufenthalt. „Wieso gibt es hier keine Klimaanlage?“, beschwerte sie sich wehleidig und versuchte mit etwas Wasser gegen die Müdigkeit anzukämpfen, was aber eher von mäßigem Erfolg gekrönt war. Sie stützte sich am Waschbecken ab und sah in den Spiegel. Das hellbraune Haar fiel in einigen Strähnen über ihre blauen Augen, die noch immer von einer gewissen Schläfrigkeit gezeichnet waren. Kraftlos ließ sich das Mädchen auf die geschlossene Toilette sinken. Sie wusste längst, dass sie eigentlich gar nicht hier sein sollte. Ein tiefes Seufzen entfuhr ihr, während sie das Smartphone zückte. Und wenn Honoka es nicht besser wüsste, würde sie glauben, dass genau in diesem Augenblick eine Art telepathische Verbindung bestehen musste. Kaum dachte sie daran, sich beim Rest der Gruppe zu melden, klingelte auch schon ihr Smartphone. „Hoffentlich schimpft Umi nicht allzu sehr mit mir“, lachte sie trocken und verharrte einen Moment lang mit den Augen auf dem Display. Die Anzeige des Akkustands lag bei nur noch 2%.

 

Als Honoka schließlich den Anruf annahm, donnerte es fast zeitgleich mit einem so gewaltigen Schlag gegen die Türe, dass sie vor Schreck zusammenfuhr. Unsicher darüber, wer oder was diesen Krach verursacht haben könnte, fokussierte das Mädchen die Türe. Das Smartphone hatte sie gesenkt, der Anruf lief bereits. Vielleicht hatte sie kurzzeitig Umis Stimme vernommen, vielleicht aber auch nicht. Sie war abgelenkt. Es klopfte. Immer und immer wieder, bis von außen ein gedämpftes Rufen ertönte, dass sie jedoch nicht verstand: „Hallo? Polizei! Bitte öffnen Sie die Türe, sonst müssen wir uns gewaltsam Zutritt verschaffen. Hören Sie mich? Hier ist die Polizei. Jetzt machen Sie verdammt nochmal die scheiß Türe auf!“ Es brauchte rund zwei Minuten, dann hatte Honoka sich vom ersten Schrecken erholt. Fortan ignorierte sie das Rufen und warf stattdessen einen Blick auf ihr Smartphone. Das Display war schwarz, die Stimme verstummt und die Verbindung unterbrochen.

 

Unter schnellen Schritten stiegen zwei Männer die Treppe zur Unterführung hinab. Diese war unter anderem über die Rückseite des Bahnhofs erreichbar und bildete die direkte Anbindung zu den jeweiligen Bahnsteigen. Einer von ihnen hastete durch den breiten Gang, auf dem sich allerlei Leute bewegten. „Hey, Jim. Warum hast du es denn so eilig?“ Der großgewachsene Mann blieb stehen und wartete auf seinen Begleiter, der, im Gegensatz zu ihm, ganz gemächlich lief. „Halt‘s Maul, Lukas. Ich werde bald noch verrückt. Nur weil es hier keine Apotheke in der Nähe gibt, muss ich jetzt noch länger ohne diese verdammten Schmerzmittel ausharren“, fluchte er. „Wenn mir dieser Bastard wieder unter die Augen kommt, werde ich Gleiches mit Gleichem vergelten. Besser noch: Ich belasse es nicht bei der Nase, sondern zertrete ihm die komplette Visage.“ Lukas hatte Jim mittlerweile überholt und stand nun vor dem Treppenlauf, der zu den Gleisen 7 und 8 führte. Die Worte, die sein Bruder da von sich gab, kümmerten ihn nicht sonderlich. Er spielte sich nur wieder unnötig auf. „Du bist selbst schuld, wenn du dir mehr Tabletten einwirfst, als es der Arzt verordnet hat. Und jetzt hör auf damit, große Reden zu schwingen, und komm her. Ich habe keinen Bock darauf, mich noch länger dieser Hitze auszusetzen.“ Murrend folgte Jim der Aufforderung. „Halte dich besser zurück. Zumindest bis dein krummer Zinken wieder verheilt ist“, lachte Lukas spöttisch und zog dabei an seiner eigenen Nase. Sein Bruder reagierte deutlich gereizt und ballte demonstrativ die Fäuste: „Ich teile brüderlich, wenn du nicht bald das Maul hältst.“

 

Bevor es noch zu einem handfesten Streit kam, behielt Lukas weitere Witze und Spötteleien lieber für sich. Zufrieden stellte er beim Betreten des Regionalzuges fest, dass sie einen Wagon erwischt hatten, in dem tatsächlich die Klimaanlage funktionierte. Er ließ seinen Blick durch das Abteil schweifen, entdeckte dabei aber lediglich einen älteren Herrn. Dieser saß ganz in der Nähe des Einstiegs und streichelte einem Hund, der friedlich neben ihm schlief, über den Kopf. „Das ist ja widerlich“, sagte Jim und musterte den Mann verächtlich. „Schau dir die Hose an, total verdreckt und Löcher hat sie auch. Und was soll dieses überdimensionale Shirt? Ekelhaft.“ Lukas hinderte seinen Bruder mit ausgestrecktem Arm daran, zu dem Mann hinüber zu gehen, um dann seiner aufbrausenden, streitsüchtigen Art freien Lauf zu lassen. Er war schon immer der cholerische Typ gewesen, der oftmals das  Handeln dem Denken vorzog. „Lass das! Du kannst von Glück reden, dass die Polizei uns das letzte Mal nicht erwischt hat. Denk doch einmal nach. Wenn du jetzt für Ärger sorgst, dauert es schlimmstenfalls ewig, bis du an deine Schmerzmittel kommst.“ „Pah. Von mir aus“, meckerte Jim und lief in die Richtung der Toilette, die am anderen Ende des Abteils lag. Am liebsten hätte er sich etwas Spaß gegönnt. Nicht zuletzt, um sich abzureagieren. „Mmh? Was haben wir da?“ Auf einer der schmalen, seitlich angebrachten Gepäckablagen befanden sich ein Reisekoffer und eine zinnoberrote Schultertasche. Interessiert griff Jim nach der Tasche und hielt sie zugleich in den Händen. „Mal sehen, ob wir etwas Brauchbares finden“, dachte er und wollte gerade den Reißverschluss aufziehen, als sein Bruder ihn am Arm packte.

 

„Ich sagte, du sollst keinen Ärger machen. Und das heißt auch, dass du deine gierigen Finger vom Gepäck der anderen Fahrgäste zu lassen hast, verstanden?“, mahnte Lukas eindringlich. Mit einem Ruck befreite sich Jim aus der laschen Umklammerung. „Du mutierst zu einem regelrechten Spießer“, raunte er und hängte die Tasche über einen der vorderen Sitze. „Lässt du mich wenigstens meine Geschäfte alleine erledigen? Oder willst du mir sogar das Vergnügen nehmen, einen dampfenden Haufen in die Welt zu setzen?“, fragte er Lukas schroff und bekam prompt ein Kopfschütteln zur Antwort. „Das ist nicht notwendig“, erklärte dieser gelassen und deutete auf das Drehschloss der Türe, das anhand eines roten Streifens den Zustand „Besetzt“ erkenntlich machte. Obwohl dies lediglich eine Lappalie darstellen sollte, kochte die angestaute Wut in Jims Körper nun endgültig über und entlud sich schlagartig, indem er aus voller Kraft mit Armen und geballten Fäusten gegen die Türe der Toilette hämmerte. Verwundert über den plötzlichen Lärm, lehnte sich der ältere Herr zur Seite und schaute in die Richtung der beiden Männer. Lukas verdeckte jedoch die Sicht auf seinen Bruder. „Was zum Teufel ist denn in dich gefahren?“, flüsterte er, aber Jim ignorierte ihn und schlug weiterhin gegen die Türe. „Vergiss es. Du erzeugst damit nur unnötige Aufmerksamkeit. So erreichst du rein gar nichts.“ „In der Tat. Dann lass es mich doch einmal auf einem subtilerem Wege probieren.“ Das Klopfen endete, es herrschte Stille, bevor Jim unverhofft zu rufen begann: „Hallo? Polizei! Bitte öffnen Sie die Türe, sonst müssen wir uns gewaltsam Zutritt verschaffen. Hören Sie mich? Hier ist die Polizei. Jetzt machen Sie verdammt nochmal die scheiß Türe auf! Ansonsten sehe ich mich dazu gezwungen, von meiner Dienstwaffe Gebrauch zu machen!“ Die Aktion blieb erfolglos, nichts passierte.

 

Lukas schien perplex. Hatte sein einfältiger Bruder wirklich geglaubt, mit einer solch unglaubwürdigen Masche jemanden hinters Licht führen zu können? Wer wäre derart geistig unterbelichtet, dieses Auftreten, dieses Gebrülle einem echten, leibhaftigen Polizisten zuzuordnen? Reagierten selbige nicht zunächst etwas besonnener, freundlicher und nur im äußersten Notfall lautstark oder vielleicht sogar aggressiv? „Jim, dein grenzdebiler Plan ist gescheitert, jetzt setzt dich verdammt noch mal hin“, schrie Lukas nun seinerseits, da ihm allmählich der Geduldsfaden riss. Abermals packte er ihn am Arm. „Ich kann tun und lassen was ich will, also halt‘s Maul“, schnauzte Jim und stieß seinen Bruder von sich, sodass dieser einige Schritte den Gang hinunter stolperte. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich wieder fangen, sonst wäre er mit dem älteren Herrn zusammengestoßen, der sich scheinbar besorgt den beiden Streithähnen genähert hatte. „Entschuldigen Sie bitte, aber ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragte der Mann zaghaft. „Verpiss dich, scheiß Penner“, brüllte Jim und wäre beinahe auf ihn losgegangen, wenn sich nun nicht noch eine weitere Person einmischen würde: „Was soll denn dieser Aufruhr?“, ertönte es ein ganzes Stück weit hinter ihnen. Ein Mitarbeiter der DB-Sicherheit näherte sich. Da es keine Zwischentüren gab, welche die einzelnen Wagons voneinander abgrenzten, war es größtenteils problemlos möglich, den kompletten Zug entlang zu sehen.

 

„Hervorragend! Jetzt haben wir genau den Effekt provoziert, den ich eigentlich vermeiden wollte. Was willst du dem Typen jetzt erzählen?“, fragte Lukas in einem leichten Anflug von Panik und überlegte, wie sie sich in dieser Situation erklären sollten. „Nur die Ruhe. Ich weiß, was wir machen“, sagte Jim, lief schnurstracks an seinem Bruder vorbei, griff nach der Schultertasche und drückte sie dem alten Mann in die Hände. „Ein kleines Geschenk. Und jetzt halt gefälligst die Klappe!“, drohte er und hielt ihn am Arm fest. Auf ein Neues begann er zu rufen: „Hey. Sie da. Helfen Sie uns. Wir haben hier einen Dieb erwischt.“ „Was? Aber was soll das?“ Sichtlich irritiert und verängstigt, versuchte sich der Mann mit Leibeskräften aus Jims Griff zu lösen, dieser drückte als Reaktion aber nur umso fester zu. Mittlerweile war der Mitarbeiter der DB-Sicherheit im benachbarten Abteil angekommen und die Worte hatten seine Aufmerksamkeit erregt. „Lassen Sie mich los! Ich habe nichts getan.“ „Noch nicht. Der Vorsprung darf nicht allzu groß werden.“ Lukas mochte diese abstruse Idee nicht besonders, stellte sich aber trotzdem ein wenig mehr in den Gang, um die Sicht auf die beiden zu verdecken. Gleichzeitig drehte Jim seinem Bruder den Rücken zu, lies die Klinge aus einem  Klappmesser hervorspringen und führte diese an die Halsschlagader seines Opfers. Ein Wimmern war zu hören: „Bitte nicht. Ich..“ „Sobald ich dich loslasse, rennst du davon. Am besten in den Bahnhof oder über die Gleise. Nur weit weg von hier. Verstanden?“ Der alte Mann zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, seine Atmung war flach, das Gesicht bleich, mit den unverkennbaren Zeichen einer Todesangst. Rasch verschwand das Messer wieder in der Hosentasche. Danach lockerte Jim zuerst seinen Griff und ließ schließlich gänzlich los. Und dann, wie aufs Stichwort, rannte der vermeintliche Dieb, so schnell ihn seine Beine trugen. Bloß Weg von diesem Gewalttäter, der ihn noch bis vor Sekunden die Kehle hätte durchschneiden können. Er flüchtete aus dem Zug, stolperte die Treppe hinunter, rempelte in der Unterführung einige Passanten an und stand binnen kürzester Zeit in der Eingangshalle des Aschberger Hauptbahnhofs. Dort angekommen, hetzte er an insgesamt drei Zelten vorbei, um die sich etliche Personen drängelten. Erwartungsgemäß nahm der Sicherheitsmann sofort die Verfolgung auf.

 

Die beiden Brüder blieben alleine zurück. Selbstgefällig lächelte Jim. „Ich wusste, dass das klappen würde.“ Lukas konnte das Ganze nicht so einfach auf die leichte Schulter nehmen. Eine gewisse Erleichterung machte sich aber dennoch breit. „Das war mir ein Ticken zu riskant. Du bist und bleibst ein verfluchter Hitzkopf.“ Jim zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Es hätte mich interessiert, ob die Tasche etwas Wertvolles hergegeben hätte. Aber als Ausgleich haben wir jetzt immerhin das ganze Abteil für uns“, gähnte er und pflanzte sich der Länge nach gemütlich auf die eine Hälfte der Vierer-Sitzgruppe gegenüber der Toilette. Die Beine überschlug Jim und legte sie lässig auf die Armlehne, die zum Mittelgang zeigte.  In der Aufregung hatte er sogar ein wenig seine Schmerzen vergessen können. „Es wird Zeit, dass wir endlich von hier wegkommen.“ Kaum hatte er den Satz beendet, öffnete sich die Türe und vor ihm stand ein junges Mädchen mit hellbraunen Haaren. Sie trug einen schwarzen Rock, dazu ein schlichtes, weißes Shirt und darüber eine rosafarbene Strickjacke. Abwechselnd musterte sie zuerst Lukas, als nächstes die Gepäckablage und zuletzt Jim. Sie schenkte den beiden Männern ein Lächeln, dann erkundigte sie sich freundlich: „Do you know where my bag is?“

 

Es ließ sich nicht bestreiten, dass in der Stimme des Polizisten ein Hauch von Übellaunigkeit zu vernehmen war. „Hören Sie schlecht? Sie behindern eine polizeiliche Maßnahme.“ Nein, Jack hörte die Worte klar und deutlich. Er wollte keinesfalls für Ärger sorgen, aber das, was er hier gerade sah, verwunderte ihn doch ziemlich. Sollte er sich dermaßen getäuscht haben? War das Offensichtliche die ganze Zeit über eine bloße Finte gewesen? Ungläubig rieb er sich die Augen, verändert hatte sich allerdings nichts: Vor ihm stand keine 16-jährige Oberschülerin, sondern ein Mann um die 50, vielleicht auch etwas älter. Seine Kleidung war schmutzig und abgetragen, die dunkelbraunen Haare passten farblich zu seinem ungepflegten Schnauzbart. Es ergab ein ulkiges Bild, wie dieser Mann so dastand und diese feminin anmutende Tasche, die wohl nicht seine eigene sein dürfe, umklammerte. „Und jetzt?“, fragte sich Jack in Gedanken, während er händeringend nach einer Antwort suchte. Einem Scanner ähnlich, tasteten seine Augen den Mann ab. Dabei bemerkte er erst, wie ängstlich dieser auf ihn wirkte, hinzu kam ein ausgeprägtes Zittern und eine sichtbare Anspannung. Nach wenigen Sekunden fand er dann tatsächlich etwas, das ihm weiterhelfen könnte. Nebst den Herzen waren noch die Initialen „HK“ in einer Ecke der Tasche aufgestickt. Selbst wenn damit nur eine neue Vermutung gestützt werden sollte, riskierte Jack es trotzdem.

 

„Das Ganze ist ein riesiges Missverständnis. Der Mann ist wahrscheinlich unschuldig“, fing er an und erntete umgehend einige misstrauische Blicke. „Wovon reden Sie überhaupt?“, hakte der ältere der beiden Sicherheitsleute nach. „Mein Kollege hat diesen Herrn verfolgt und ihn letztendlich auf der Toilette stellen können. Es handelt sich eindeutig um einen Dieb.“ Jack merkte, dass er nicht wirklich ernst genommen wurde und setzte deshalb alles auf seine Trumpfkarte. „Sie müssen mir zuhören. Ich kann Ihnen alles erklären. Ich weiß woher diese Tasche stammt.“ Der stämmige Polizeioberkommissar knurrte förmlich, war aber letztendlich derjenige, der ihm zumindest eine Chance geben wollte, seine Aussagen zu beweisen. „Bitte, erklären Sie sich.“ Jack war erleichtert und hoffte sehr, dass er sich nicht ein zweites Mal irrte. „Öffnen Sie die Tasche. Darin müssten Sie einen Reisepass finden, der einem 16-jährigen Mädchen gehört. Sie ist Japanerin und heißt Honoka Kousaka. Sie hat braunes Haar mit einem Seitenzopf und blaue Augen.“ Der Polizeioberkommissar nahm die Tasche vom Beschuldigten entgegen. Zunächst wühlte er eine ganze Zeit lang herum und Jack rechnete bereits mit dem Schlimmsten. Doch dann hielt er ein rotes, dünnes Buch in den Händen, das die Aufschrift „Japan Passport“ trug. Er klappte den Reisepass auf, prüfte und bestätigte alle Angaben zur Person als wahrheitsgemäß. „Nun gut. Es stimmt, was Sie sagen. Jetzt möchte ich aber gerne wissen, woher Ihnen diese Informationen bekannt sind“, verlangte er und übergab die Tasche seinem Kollegen. Daraufhin erklärte Jack, dass das Mädchen Teil einer Reisegruppe wäre, die über die nächsten Wochen bei ihm zu Gast sein würde. Der langen, ermüdenden Reise geschuldet, war sie dann ungewollt mit dem Zug weitergefahren und hier im Aschberger Hauptbahnhof gelandet. Wenig später erfuhr er schließlich von seiner Freundin, die den Rest der Gruppe in Empfang genommen hatte, was genau passiert war. Weiter erzählte er, dass es ein kurzes Telefonat gab, bei dem sich die Vermisste jedoch nicht selbst zu Wort gemeldet hatte. Stattdessen fiel einige Mal der Ausruf „Polizei“. Deshalb lag die Vermutung nahe, dass sie sich Ärger eingebrockt und nun irgendwo aus Angst eingeschlossen haben könnte. Bevorzugt in einer Toilette.

 

In Ruhe hatte der Polizist den Ausführungen Gehör geschenkt. „Das klingt soweit durchaus plausibel. Nur wie passt der Tatverdächtige in die Geschichte hinein, den wir stattdessen hier vorgefunden haben? Und wieso hatte er die Tasche der Gesuchten bei sich?“ „Das sind berechtigte Fragen. Ich kann Ihnen hierzu allerdings keine nähren Details nennen. Ich bin mir aber sicher, dass wir diese schnell in Erfahrung bringen werden“, bekräftigte Jack und wandte sich an den Mitarbeiter der DB-Sicherheit, der den vermeintlichen Dieb verfolgt hatte: „Wo sind Sie dem Dieb begegnet?“ „Im Regionalzug, der demnächst wieder nach Frankfurt fährt. An Gleis 7. Während einer meiner Routinekontrollen vernahm ich urplötzlich Lärm und Schreie aus den vorderen Abteilen. Dort fand ich zwei Männer vor, von denen mir einer auf halber Strecke zurief, er hätte diesen Herrn beim Stehlen besagter Tasche erwischt. Ich war lediglich ein Stück weiter gelaufen, da rannte er auch schon weg und ist eben am Ende hier auf die Toilette geflüchtet.“ „In Ordnung. Sie hatten also nicht selbst gesehen, was passiert war, sondern reagierten und schlussfolgerten nur entsprechend. Eventuell wurde ihm ja etwas angehängt.“ „Moment mal“, widersprach der Polizeioberkommissar, hob seine Dienstmütze an, um sich am Kopf zu kratzen. „Das sind alles Spekulationen. Davon halte ich nichts. Dieter, du bringst den Beschuldigten zum Streifenwagen“, ordnete er an und sein Kollege nickte einstimmig. „Bis wir die Sache vollständig geklärt haben, steht er nach wie vor unter dringendem Tatverdacht. Und Sie kommen mit mir!“, befahl er Jack und trat durch die Drehsperre. „Zumindest das Mädchen müsste sich noch in der Nähe des Zuges aufhalten. Gegebenenfalls auch die beiden Männer. Das würde die Ermittlungen in diesem Fall deutlich erleichtern.“ Bevor Jack weiter darüber nachdenken konnte, standen sie bereits wieder in der Eingangshalle. Einer der Polizisten lief zusammen mit den zwei Sicherheitsleuten in die Richtung des Busbahnhofes davon. Pietro war auf die kleine Gruppe aufmerksam geworden, doch Jack signalisierte ihm rasch, dass er warten soll und sie bald wieder zurück wären. Anschließend machte er sich gemeinsam mit dem Polizeioberkommissar auf den Weg zum Bahnsteig.

 

Unter einem schweren, langgezogen Seufzer warf Honoka einen Blick auf die Bahnhofsuhr. Angestrengt dachte sie darüber nach, wie denn gleich nochmal der Name des Ortes lautete, an dem sie eigentlich hätte aussteigen sollen. In einem Schaukasten hing zwar der Fahrplan, aber von den zahlreichen Haltestellen wollte ihr keine so wirklich bekannt vorkommen. Sie schnaufte genervt. Das Haar klebte ihr in schweißnassen Strähnen auf der Stirn – kein Wunder bei den schier unerträglichen Temperaturen, die an diesem Nachmittag vorherrschten. Mit einem leichten Unwohlsein setzte sich das Mädchen auf einen der metallenen Stühle, die sich ganz in der Nähe des Schaukastens befanden. „Meine Tasche ist weg. Der Akku ist leer. Ich habe kein Geld und auch nichts zum Trinken“, zählte Honoka in Gedanken all die Dinge auf, die bisher schiefgelaufen waren. „Und als ob das noch nicht genug wäre…“, sie blickte an ihrer geschlossenen Strickjacke hinab und zupfte mit den Fingern am Schieber des Reißverschlusses, „…kann ich nicht einmal im Ansatz etwas gegen diese Hitze unternehmen.“ Müde und ebenso verzweifelt, versank Honoka noch tiefer im Stuhl, als sie plötzlich ein Winseln von der Seite vernahm. Oskar, der Harzer Fuchs, war auf den Stuhl neben ihr gesprungen und schien den Unmut zu teilen. Er schenkte dem Mädchen einen traurigen, gar besorgten Blick, als wollte er fragen: „Ist alles in Ordnung?“ Das heiterte sie zumindest ein bisschen auf. „Du wartest auch auf ein kleines Wunder, nicht wahr?“, scherzte Honoka, streichelte dem Hund am Rücken entlang und verschränkte anschließend die Arme hinter dem Kopf. „Warum muss ich bereits am ersten Tag in so einen Schlamassel geraten?“ Sie lächelte ein Stück weit gequält. „Naja, noch schlimmer geht es wohl nicht. Außer ich werde verhaftet“, lachte das Mädchen trocken. „Frau Kisuka?“, ertönte eine brummende Stimme aus Richtung der Treppe. Es brauchte eine Sekunde, bis Honoka den stämmigen Polizisten in seiner Uniform erkannte. Jetzt lächelte sie erst recht gequält. „Sind Sie Frau Kisuka? Homaku Kisuka?“, hakte er auf Englisch nach. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie ihm antworten sollte. Von den Initialen einmal abgesehen, hatte der Name nicht mehr viel mit dem ihren gemein. „Ich heiße eigentlich…“ „Honoka Kousaka. Das ist nicht so schwer. Ho-no-ka Kou-sa-ka. Wenn Sie schon nach einer bestimmten Person fragen, dann bitte mit dem richtigen Namen.“

 

Die Stimme gehörte einem Mitzwanziger, leger gekleidet, in schwarzer Jeans und einem grauen Shirt, der knapp zwei Meter hinter dem Polizisten auftauchte. Seine blauen Augen blieben förmlich an Honoka haften. „Ich spreche Ihnen meinen vollsten Respekt aus, Herr Polizeioberkommissar. Sie haben in der Tat eine exzellente Spürnase.“ Der Beamte konnte es nicht leugnen, dass er sich geschmeichelt fühlte. „Das macht die jahrelange Berufserfahrung aus. Da schärft sich der Blick für auffällige Personen“, erzählte er mit leicht stolzgeschwellter Brust. „Bei diesen Massen an Japanern ist das wahrlich eine Meisterleistung“, kommentierte der junge Mann sarkastisch. „Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich Sie endlich gefunden habe, Kousaka-san“, sagte er und reichte dem Mädchen seine Hand zur Begrüßung. „Mein Name ist Jack Doyle. Meines Zeichens Babysitter vom Dienst und ihr Gastgeber für die nächsten Wochen.“ Mit einem herzlichen Lachen und vielleicht sogar ein paar kleinen Freudentränen, erwiderte sie die Geste. Honoka war erleichtert, dass jemand nach ihr gesucht hatte. Für einen ersten, längeren Dialog blieb allerdings keine wirkliche Zeit, da der Polizist nun darauf drängte, den Sachverhalt endgültig aufzuklären, um damit die Ermittlungen abzuschließen. „Wäre es denn möglich, dass wir das an einem anderen Ort besprechen könnten? Sie stehen mit Ihrem Streifenwagen doch sicher auf dem Busbahnhof. Das wäre dann für mich dieselbe Richtung, um zum Parkhaus zu gelangen. Unterwegs könnte ich noch gleich meine Einkäufe mitnehmen.“ Der Polizist grummelte etwas, war aber ansonsten mit seiner Bitte einverstanden.

 

Zurück in der Eingangshalle machte Jack einen Zwischenstopp beim Markt „Bella Italia“. Pietro hatte schon auf sie gewartet und überreichte seinem Freund dessen Weidenkörbe. „Ihr habt sie also gefunden. Geht es ihr gut? Ist soweit alles in Ordnung?“ „Ja, jetzt schon. Ich hatte ehrlich gesagt befürchtet, dass das Ganze noch weiter ausarten könnte, nachdem ich mich bereits einmal geirrt hatte.“ „Ist es aber nicht. Verschwende keine Gedanken an etwas, was hätte passieren können. Falls du die nächsten Tage einmal Zeit hast, besuch mich doch im Markt und erzähl mir die ganze Geschichte in Ruhe und in allen Einzelheiten. Am besten bringst du auch deine Gäste mit. Ich würde sie gerne kennenlernen. Sie sind herzlich eingeladen“, erklärte der Italiener und winkte Honoka zu, die nach einem raschen, herzhaften Gähnen eilig zurückwinkte. Jack nahm das Angebot dankend an und verabschiedete sich von Pietro.

 

Der grün-silberne BMW stand in einer Ecke des Busbahnhofs, relativ nah am Parkhaus. Zu Fuß waren es dorthin nur wenige Minuten. Der zweite Polizist war via Funk bereits über den neusten Stand der Dinge in Kenntnis gesetzt worden. Nur von dem Hund wusste er nichts, der aufgeregt kläffte und gezielt an der linken hinteren Türe des Streifenwagens kratze. Dahinter saß der vermeintliche Dieb, der mit verschiedenen Gesten versuchte, Oskar zu beruhigen. „Erzählen Sie!“, befahl der Polizeioberkommissar und deutete mit ausgestrecktem Finger auf den Insassen. „Erklären Sie mir bitte, wie dieser Mann an Ihre Tasche gelangen konnte.“ Honoka verschränkte die Arme und überlegte einen Moment, zuckte jedoch am Ende lediglich mit den Schultern. „Das kann ich nicht beantworten. Ich habe den Herrn zuvor noch nie gesehen. Ich hielt mich im Zug für einige Zeit auf der Toilette auf und als ich diese wieder verlassen hatte, habe ich festgestellt, dass meine Tasche verschwunden war. Zu diesem Zeitpunkt war ich alleine im Abteil gewesen.“ Anhand des Murrens konnte sie eindeutig erkennen, dass die Antwort wohl nicht dem entsprach, was man sich erhofft hatte zu hören. „Dieter, was wissen wir über den Tatverdächtigen?" „Sein Name lautet Paul Lissken. 56 Jahre alt. Keine Vorstrafen. Der Beschuldigte lebt aktuell in einer Sozialwohnung, Ecke Friedrichstraße. Laut eigener Aussage hatte man ihn dazu genötigt, sich zusammen mit der Tasche vom Zug zu entfernen. “ „Mmh. Das könnte einer der beiden Männer gewesen sein, die den angeblichen Diebstahl bemerkt haben sollen. So weit, so gut“, murmelte der Polizeioberkommissar. Er nahm die Schultertasche, die noch auf dem Beifahrersitz verweilte, und übergab diese dem Mädchen. „Prüfen Sie bitte sorgfältig, dass Ihnen nichts abhandengekommen ist.“ Sie tat, wie ihr geheißen wurde. Jack konnte beobachteten, dass sich in Honokas Gesicht eine ausgeprägte Anspannung löste, nachdem sie feststellte, dass nichts fehlte. „Da es keine Zeugen gibt, lässt es sich aktuell nicht klarstellen, in welchem Zusammenhang der Tatverdächtige mit einem möglichen Diebstahlsdelikt in Verbindung gebracht werden kann. Es bleibt die Option, dass Sie eine Strafanzeige gegen Unbekannt stellen“, belehrte der Polizeibeamte. „Das möchte ich nicht“, antwortete sie strikt. „In Ordnung. Dieter, du kannst den Mann jetzt wieder laufen lassen.“ Es sah ganz danach aus, als wäre der Polizeioberkommissar froh darüber, dass er sich nicht weiter mit diesem Anliegen beschäftigen muss. Mit einem gut gemeinten Rat an Honoka, in Zukunft besser auf das eigene Gepäck Acht zu geben, verabschiedete er sich und anschließend fuhr der Streifenwagen vom Busbahnhof ab, in Richtung Innenstadt.

 

„Es tut mir äußerst leid, dass diese Göre Ihnen derartige Umstände bereitet hat“, entschuldigte sich Jack. „Bitte machen Sie sich keine Sorgen“, entgegnete Paul gelassen, während er seinen Hund hinter den Ohren kraulte. Oskar genoss die ihm geschenkte Aufmerksamkeit in vollen Zügen. „Sie tragen keine Schuld, also belassen wir es dabei.“ Das wollte Jack allerdings nicht. Er ging nun seinerseits neben dem Mann in die Hocke, stellte einen der Weidenkörbe vor sich und holte zwei Packungen der Gobbettis hervor und dazu passend ein Glas mit Pesto „Siciliano“. „Geschmacklich eine perfekte Kombination. Ich denke da werden Sie mir zustimmen“, lachte er und drückte Paul die Sachen in die Hände. Dieser zeigte sich überrascht und wollte zunächst nicht annehmen, aber Jack gab zu verstehen, dass er ein „Nein“ nicht akzeptieren würde. Es war ihm ein bisschen unangenehm, doch am Ende bedankte sich Paul mehrmals, verabschiedete sich von beiden und lief gemeinsam mit Oskar, der sich zuvor nochmals von Honoka streicheln ließ, zurück in den Bahnhof. „Das ist sehr nett, dass du ihm die Sachen geschenkt hast“, sagte sie und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Geschenkt? Das dürfen Sie ruhig glauben, Kousaka-san. Sie werden am Ende für alle Unkosten aufkommen. Das garantiere ich Ihnen.“ Enttäuscht senkte Honoka den Kopf. Er klang gerade viel unfreundlicher als noch vor wenigen Minuten. „Wir sollten jetzt endlich zusehen, dass wir nach Hause kommen.“

 

Nach knappen 10 Minuten hatten Jack und dessen Begleiterin die dritte Etage des Parkhauses erreicht. Dort angekommen, verstaute er in Ruhe die Einkäufe im Kofferraum seines schwarzen Ford Mondeos. Honoka stand ein Stück weit Abseits und reagierte erst gar nicht, als er nach ihrem Gepäck fragte. „Hören Sie mich? Kousaka-san?“ Das Mädchen wirkte bekümmert. Etwas schien ihr Sorgen zu bereiten. Er trat an sie heran und plötzlich verbeugte sich die Oberschülerin, sodass ihr Kopf fast schon gegen seine Brust drückte. „Es tut mir leid. Ich wollte niemanden Ärger machen.“ Jack wunderte sich doch sehr. Mit einer Entschuldigung hatte er nicht gerechnet. Für einen Augenblick verharrten beide in dieser Position. Ungeachtet dessen, dass ihm der Aufenthalt der Mädchen – angezettelt durch seine Freundin und deren Bruder – nach wie vor nicht sonderlich gefiel, wollte er ebenso wenig, dass die nächsten Wochen von einem Mantel der Übellaunigkeit umhüllt wurden. Zumal ihre Entschuldigung aufrichtig klang. „Dass wir Freunde werden, wage ich zu bezweifeln. Aber zumindest grundlegend sollten wir miteinander auskommen. Was meinen Sie, Kousaka-san?“ „Honoka! Du kannst mich gerne beim Vornamen nennen. Es klingt doch reichlich komisch, ständig beim Nachnamen genannt zu werden.“ Sie hatte den Kopf erhoben und offensichtlich zu ihrer üblichen Frohnatur zurückgefunden. „Ich denke, ich belasse es erstmal beim Nachnahmen“, lehnte Jack gleichgültig das Angebot ab. Daraufhin blies Honoka ein wenig ihre Backen auf, verschränkte die Arme und blickte zur Seite. „Schmollt sie etwa?“, dachte er und konnte dabei ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken.

 

„Wir sollten jetzt wirklich los. Die anderen machen sich sonst nur unnötige Sorgen“, sagte Jack und wischte sich mit dem Oberarm den Schweiß von der Stirn. Im Parkhaus hatte sich die Hitze bereits genauso eingenistet, als stünden sie mitten unterm freien Himmel. Sein Rücken war klitschnass, obwohl er nur ein kurzärmliges Shirt trug. „Ist es Ihnen in der Jacke denn nicht etwas zu heiß?“, fragte er Honoka eher beiläufig und öffnete die Fahrertüre. „Nein, nein. Alles bestens. Ich mag die Wärme“, bekräftigte sie rasch. „Ganz wie Sie meinen.“ Langsam fuhr Jack mit dem Auto nach rechts aus der engen Parklücke heraus und kam ein paar Meter weiter vorne zum Stehen, sodass seine Begleiterin genügend Platz zum Einsteigen hatte. Während er ausparkte, nutzte Honoka die Gelegenheit, öffnete ungefähr bis zur Hälfte ihre Strickjacke und betrachtete das darunter liegende Shirt eingehend. Ein Lächeln, mit einem sanften Hauch diabolischer Zufriedenheit, umspielte ihre Lippen. Der eigentlich weiße Stoff war auf Brusthöhe dezent rot gesprenkelt, an der Hüfte, wo das Shirt über ihren schwarzen Rock ragte, prangten zwei eingetrocknete, blutige Handabdrücke. Mittlerweile war sie optimistischer und zuversichtlicher denn je, die anfänglichen Sorgen schwanden derart schnell, dass sie eigentlich gar nicht mehr existent waren.

 

Schließlich eilte das Mädchen zum Auto und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Die Klimaanlage sorgte indes für angenehm kühle Temperaturen. Bevor Honoka es womöglich vergessen sollte, gab es noch eine Sache, die klargestellt werden musste: „Ich bin dir einen Gefallen schuldig“, erinnerte sie Jack und hielt demonstrativ ihre Schultertasche in die Höhe. „Du hast mir wahrscheinlich das Leben gerettet.“ Er verstand nicht ganz, was sie damit sagen wollte. „Das Leben gerettet? Sie besitzen einen Hang zur Übertreibung“, lachte der Mitzwanziger. Honoka gähnte, lehnte sich zurück und starrte für ein paar Sekunden auf die eigenen Hände. „Nein, ich übertreibe nicht. Ich meine es todernst“, dachte das Mädchen und im selben Atemzug schloss sie die Augen und schlief ein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Phinxie
2016-08-11T17:27:32+00:00 11.08.2016 19:27
Hallöchen :3

Der liebe Lazoo hat mich auf deine FF hier aufmerksam gemacht und obwohl mich weder das FanDom noch deine Inhaltsangabe übermäßig begeistert hat, habe ich aufgrund von Lazoos Rat mal reingeschnuppert :3

Mir ist sofort dein deutlich niveauvoller, ansprechender Schreibstil aufgefallen (das btw auch schon in der Inhaltsangabe ^^)
Ich mag ihn, du beschreibst detailreich und ausgiebig und selbst ich, die mit Japan und der ganzen Kultur wenig bis gar nichts anfangen kann, merke, dass du dich damit auseinander gesetzt hast, um es möglichst authentisch rüber zu bringen. Man findet sich gut in die Geschichte rein, aber du beschreibst auch nicht ZU ausschweifend, sodass dem Leser schnell langweilig wird.
Über die Charaktere kann ich jetzt wenig sagen - da es ist um eine FF handelt, werden es wohl Charaktere aus den jeweiligen Mangas/Animes sein und nun ja. Ob du sie so beschreibt, wie sie sind, weiß ich nicht, aber ich gehe mal stark davon aus, denn dein Schreibstil verrät mir, dass du nicht einfach so drauf los schreibst, sondern dir auch Gedanken machst ^^

Am Anfang sind da ein, zwei unschöne Absätze, aber die stören nur minimal den Lesefluss. Ich nehme mal an, es hat etwas mit dem Format zu tun, auf dem du in World tippst, das hatte ich auch schon mal^^ Also kein Qualitätsmangel, keine Sorge, ich wollte dich nur drauf aufmerksam machen :3
Ein paar Kommasetzungsfehlerchen sind drin, aber so wenige, dass man sie getrost übersehen kann, und Rechtschreibfehler habe ich ebenfalls so gut wie gar keine gefunden: Also insgesamt ein gutes, fehlerfreies Schriftbild, das kann nicht jeder von sich behaupten!

Was mir noch deutlich positiv aufgefallen ist, sind die Absätze, die du machst :3
Absätze sind immer gut, das gestaltet das Kapitel übersichtlicher und dem Leser tun beim Lesen nicht so schnell die Augen weh, wegen einer ganzen Wand von Text xD
Aber auch wenn ich diene Absätze jetzt positiv anspreche, würde ich dir ans Herz legen, auch mal Absätze innerhalb zu machen.
Momentan sieht man in deinem Kapitel nur einen Block, Absatz, Block, Absatz.
Es wäre schön, wenn innerhalb deiner Testblöcke auch noch ein paar Absätze wären (aber keine ganze Zeile, sondern eher diese Zeilenumbrüche, falls du verstehst, was ich meine xD).
Das macht das Lesen noch einmal angenehmer :3

Ansonsten habe ich keinerlei Kritik mehr (entschuldige, wenn ich zu dem Inhalt an sich wenig gesagt habe, aber es ist wirklich nicht meins :/ ) :3

Liebe Grüße,
Nymphy ^_^

Von:  HaruhiSou
2016-01-09T07:38:47+00:00 09.01.2016 08:38
Hi. Ich bin über den Zirkel Fanfiction Feedback-Club auf deine FF gestoßen.
Es war ein sehr spannender prolog.
Dein Schreibstil ist sehr niveauvoll und wie ich sehe hast du dich auch mit der japanischen Kultur auseinander gesetzt.
Ist ja nicht in jeder FF der Fall ;)
Der Prolog hat das was ein Prolog haben muss. Er lässt viele Fragen offen, regt zum nachdenken und weiter lesen an ;)
Antwort von:  Haio
09.01.2016 10:34
Vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich zu hören, dass dir der Prolog gefallen hat. Ich gebe mein Bestes, um auch die nachfolgenden Kapitel mit gleicher Qualität abzuliefern. ,-)


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