Zum Inhalt der Seite

Zweimondsaga

~Die Illusion von Gut und Böse~
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

~Der Schatten im See~

Die Sonne steht hoch am Himmel und prasselt unbarmherzig auf uns herab. Kein Baum, kein Strauch oder Felsen in Sicht, der uns Schatten spenden könnte. Meine Pfoten schmerzen, ich habe bestimmt schon fünf oder sechs spitze Steine herausgezogen. Warum kann dieser verdammte Boden nicht so schön glatt sein, wie bei uns auf dem Plateau? Ich schaue in die Ferne.

Der Schneeberg ist noch immer so weit weg, wie zu Beginn unserer Reise. Kommen wir denn gar nicht näher?

Lun-Lun fliegt neben mir her, er sieht kein bisschen erschöpft aus. „Sollen wir wieder zurückgehen?“, fragt er.

Ich schaue hinter uns. Unser Horst scheint mir genau so weit weg zu sein, wie der Schneeberg. „Nein!“, sage ich.

„Dann lass uns zumindest eine Rast einlegen. Ich schau mich mal um!“, sagt Lun-Lun. Er schlägt mit den Flügeln und steigt höher auf.

Ich halte inne und sehe ihm nach. Wie gut er es hat. Ohne mich wäre er sicher längst am Schneeberg angekommen.

Lun-Lun hält in der Luft an, er sieht sich um. Mit der Pranke deutet er direkt vor uns. „Da, da ist ein kleiner See, dort können wir trinken und vielleicht finden wir auch was zu fressen. Ich habe langsam echt Kohldampf.“ Er lässt sich zu mir herabsinken.

Ich versuche in der Ferne etwas zu erkennen, doch für mich ist hier nur staubtrockener Boden ohne Vegetation zu sehen. „Bist du dir sicher, dass da vorn ein See ist?“, frage ich meinen Bruder, als er vor mir zur Landung ansetzt.

„Ja klar, ist auch gar nicht weit.“

„Ja, wenn man fliegen kann vielleicht.“ Mein Blick bleibt an Lun-Luns kräftigem Rücken hängen. Mir kommt eine Idee. Ich mache einen Satz auf ihn zu und klettere ihm zwischen die Flügel.

„Hey, was soll das werden?“, fragt er.

Ich deute mit der Kralle nach Norden. „Los, flieg! Bring uns zu dem See! Flieg so hoch du kannst, damit ich auch weiß, wie das ist!“

„Aber du bist doch viel zu schwer.“

„Versuch es!“

„Na gut.“ Lun-Lun schlägt kräftig mit den Flügeln. Wind erhebt sich um uns herum, er wirbelt den staubtrockenen Boden auf. Mein Fell wird von einer kühlen Priese gelüftet. Das tut gut. Ich recke den Kopf nach vorn, über Lun-Luns Hörner hinweg. Aufgeregt hüpfe ich auf und ab. „Los, hoch, höher!“

Mein Bruder schnaubt, er schlägt kräftiger mit den Flügeln. Seine Pranken lösen sich vom Boden. Eine Staubwolke hüllt uns ein. Stück für Stück kämpft sich Lun-Lun in die Höhe. Die Sicht wird besser, je weiter wir uns vom Boden entfernen. Während der Staub zurück zur Erde fällt, fliegen wir endlich.

„Du, bist echt schwer!“, schnaubt mein Bruder. Seine Flügel schlagen ruckartig, sein Atem geht stoßweise. Wir steigen nur langsam höher.

Die Sicht wird weiter, am Rand des Horizontes zeichnen sich Bäume ab. In ihrer Mitte glänzt es silbrig. Sicher der See, von dem Lun-Lun gesprochen hat.

Ich klettere meinem Bruder auf die Hörner, um noch besser sehen zu können. Ja, da ist ganz eindeutig Wasser zwischen den Bäumen. Ich hüpfe vor Freude.

Mein Bruder wackelt mit dem Kopf, sein Flug wird unruhig. „Hey, hör auf!“, schimpft er. Wild rudert er mit den Flügeln, sein Schwanz schlägt hin und her, um das Gleichgewicht wieder zu finden. Wir verlieren an Höhe. Steil geht es dem Erdboden entgegen.

Ich kralle mich in die Schuppen und beiße mich in Lun-Luns Horn fest. „Zieh hoch, zieh hoch! Der Boden, der Boden!“, kreische ich.

Lun-Lun schlägt kräftig mit den Flügeln, er bremst den Sturz und streckt alle vier Pfoten aus. Seine Ballen berühren die Erde, mit den Hinterpfoten drückt er sich ab und nutzt den Schwung, um wieder in die Luft zu kommen. Es gelingt ihm Abstand zu gewinnen. Wir fliegen.

Ich lasse sein Horn los und recke den Kopf in den Wind, meine Zunge lasse ich aus dem Maul hängen. Sie flattert, das fühlt sich wunderbar nach Freiheit an. Meine Krallen löse ich aus seinen Schuppen Bruders und stelle mich aufrecht. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, große mächtige Flügel zu haben. Sie tragen mich durch den Himmel. Ich reite auf dem Wind und …

Wir werden langsamer.

Ich schaue auf. Der Boden ist direkt unter Lun-Luns Pfoten, er berührt ihn mit den Krallen, sie verhaken sich darin. Wir werden so abrupt gebremst, dass sich Lun-Lun überschlägt und ich von seinem Kopf geschleudert werde.

Ich rolle einige Male über mich selbst und bleibe auf weichem Gras liegen. Alles dreht sich, auch die Sonne scheint sich zu überschlagen.

„Au, au, au!“, jammert Lun-Lun. Er liegt wenige Meter vor mir. Sein Blick trifft mich vorwurfsvoll. „So was, machen wir nie wieder, verstanden!“

„Ja, ist ja schon gut“, sage ich und schaue mich um.

Kleine Sträucher erheben sich hinter mit. Das Gras wird zu einem dichten Teppich. Je weiter zurück ich schaue, umso mehr Bäume kommen dazu. Ich halte die Nase in den Wind. Es riecht tatsächlich nach Wasser. Wir sind schon da? Fliegen ist wirklich praktisch. „Komm schauen wir nach, ob es hier was für uns zu holen gibt!“, schlage ich vor und springe auf die Pfoten.

Auch Lun-Lun rappelt sich auf. Er prüft seine Flügel. Von ein paar Schrammen abgesehen, scheinen sie unverletzt zu sein. Langsam kommt er mir nachgelaufen.

Das weiche Gras kühlt meine wunden Pfoten. Als wir die ersten Bäume erreichen, schützt uns ihr Blätterdach vor der Sonne. Wenn uns jetzt noch ein Beutetier über den Weg läuft, ist das der perfekte Ort für eine Pause.

Ich spitze die Ohren. In der Baumkrone direkt über mir summen Stichlinge, der Geruch ihres süßen Honigs steigt mir in die Nase. Ich bin versucht stehen zu bleiben, doch den Stichen dieser Biester habe ich nichts entgegen zu setzen. Es gibt sicher leichtere Beute.

Der Geruch des Wassers wird immer intensiver. Zwischen den Büchen, kann ich es bereits glitzern sehen. Ich beschleunige meine Schritte.

Wir erreichen den See, er breitet sich über den ganzen Horizont aus. Seine Ränder sind mit Schilf zugewachsen. Flossenträger springen aus seinen Tiefen in die Luft. Ihr Schuppen glänzen silbern.

Das ist es – ein Flossenträger. Ich wate ins flache Wasser und ducke mich ins Schilf. Regungslos verharre ich und beobachte die Wasseroberfläche.

Ein länglicher Schatten kommen näher. Das Licht bricht sich in den Schuppen. Was für ein Brocken. Er ist genau so groß wie ich lang bin. Den muss ich einfach haben.

Mir läuft das Wasser im Maul zusammen. „Ja, komm her, nur noch ein kleines Stück“, flüstere ich und grabe meine Krallen in den weichen Boden. Ich werde den Halt brauchen.

„Was machst du da?“, fragt Lun-Lun laut.

Der Flossenträger schlägt mit der Schwanzflosse kräftig aus. Wasser spritzt mir ins Gesicht. In wilder Flucht schwimmt er davon.

Ich drehe mich nach meinem Bruder um, finster sehe ich ihn an. „Du Idiot!“, schimpfe ich.

„Was denn?“

„Da war ein ganz Großer und du hast ihn verscheucht!“

Lun-Lun runzelt die Stirnschuppen, er lässt die Zunge aus dem Maul hängen. „Bäh, Flossenträger!“

Stimmt ja, er mag ja nichts mit Schuppen fressen, doch das dämpft meine Wut nicht. „Ich mag sie aber sehr gern und du bist schuld das er weg ist. Los geh, du störst nur!“ Ich senke den Kopf und stoße meinen Bruder ans Ufer.

Lun-Lun macht einen Satz zurück. „Ist ja schon gut, dann jag du eben diese widerlichen Dinger, mir liegt mehr der Sinn nach etwas mit Fell.“ Lun-Lun schwingt sich in die Luft. Er verschwindet zwischen den Bäumen.

Ich wende mich wieder der Wasseroberfläche zu. Die länglichen Schatten sind weit hinten. Der Flossenträger von vorhin muss sie gewarnt haben. Am Ufer auf sie zu warten, ist sinnlos. Dann werde ich mir das Fell wohl nassmachen müssen. Bei dem langen Weg durch die Sonne ein reizvoller Gedanke.

Ich laufe ins Wasser bis nur noch mein Kopf herausschaut.

Das kühle Nass dringt durch mein Fell, mein überhitzter Körper erschaudert. Ich brauche einen Moment um mich an die neue Temperatur zu gewöhnen. In der Ferne springen die Flossenträger, als wollten sie mich verhöhnen. Na denen werde ich es zeigen. Ich mag nicht fliegen können, aber im Schwimmen macht mir keiner etwas vor. Noch ein kräftiger Atemzug, dann stürze ich mich kopfüber in den See. Mein seidiges Fell legt sich eng an den schlanken Körper. Ich ziehe die Beine ein. Einem Ohnebein gleich schlängle ich mich durch das Wasser und werde immer schneller. Eine Gruppe Flossenträger ist direkt voraus. Kräftiger schlage ich mit meinen langen Schwanz.

Die Flossenträger schauen in meine Richtung, sie erstarren.

Ich suche mir den bunten aus, mit der zu kleinen Seitenflosse, es ist der große von eben. Das Maul weit aufgerissen, ziehe ich meine Pranken im letzten Moment nach vorn und schlage sie in das Fleisch meiner Beute. Meine Zähne grabe ich tief in das Muskelfleisch des Nackens. Warmes Blut füllt meine Mundhöhle, es schmeckt herrlich.

Der Flossenträger zappelt, er schlägt wild um sich.

Noch fester packe ich ihn im Genickt und schlage auch meine Hinterpfoten in seinen Körper. Ich ziehe meine Krallen durch sein Fleisch und reiße ihm die Flanken auf, wieder und wieder. Sein Blut färbt das Wasser um uns herum rot. Eine Wolke aus Wohlgeschmack umgibt uns. Je weiter ich in seinen Köper vordringe, umso weniger wird seine Gegenwehr. Schließlich ist kein Leben mehr in Flossenträger, dafür ein schwebe ich in seinem Blut. Zufrieden mit mir schaue ich mich um. Wo war gleich noch mal das Ufer?

Durch die Blutwolke hindurch kann ich einen Schatten aus der Tiefe aufsteigen sehen. Etwas Großes steigt auf. Ein langer Körper, mit seidigem weißem Fell. Er hört gar nicht mehr auf, reicht aus den tiefen bis unter die Wasseroberfläche. Gewundene Hörner geben einen Hinweis auf den Kopf des Giganten. Unter ihnen sitzen zwei große hellblaue Augen, sie starren mich an.

Ich lasse vor entsetzten den Flossenträger los. Er sinkt in die Tiefe.

Was da vor mir im Wasser steht, das sieht aus wie mein erwachsenes Spiegelbild. Das gibt es doch nicht, oder doch? Ich kann nicht wegsehen. Diese blauen Augen, das weiße Fell, die langen Barthaare und die gewundenen Hörner. „Vater?“, formt mein Maul eine stumme Frage.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Regina_Regenbogen
2020-06-12T18:53:15+00:00 12.06.2020 20:53
Ich finde es cool, dass du den verschiedenen Tieren Namen gegeben hast, die zu der Weltsicht der Protagonisten passt, also Nagezhn statt Hase und Flossenträger statt Fisch. :)
Antwort von:  Regina_Regenbogen
12.06.2020 20:53
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht! 😀
Antwort von:  Enrico
14.06.2020 08:42
Das mit den Tiernamen fand ich selbst auch mal was anderes. Eigentlich hätte ich dann den Drachen und Löwen auch noch einen eigenen geben können, aber naja^^, da sollte dann keine Verwirrung aufkommen, was gemeint ist. Freut mich sehr, dass auch dir die Geschichte so gut gefallen hat.
Von:  Boahencock-
2020-06-12T06:56:40+00:00 12.06.2020 08:56
Damit hab ich jetzt nicht gerechnet! Ein neues Kapitel.🙂🙂🙂

Was soll ich sagen. Sie ziehen es anscheinend durch. Um an den Berg zu kema.
Er sieht sein erwachsenes Spiegel Bild?🤔🤔🤔🤔
Na da bin ich gespant wie es weiter geht.😼😉😼
Antwort von:  Enrico
14.06.2020 08:41
Ja, deine vielen Kommentare zur Geschichte waren mir ein Ansporn zumindest das unfertige Kapitel zu beenden. Danke dafür.
Antwort von:  Boahencock-
14.06.2020 09:15
Ist ja auch sehr interesant,.wenn mir was gefählt dann lese ich es zu 100% zu Ende und käse ein Komi da.😼😉


Zurück