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Find You're Gone

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie angekündigt hier eins der beiden Kapitel, das ich als Fortsetzung zu Find You're Here geschrieben habe. Eigentlich sollte es ja nur dieses Kapitel geben, auch wieder als Songfic, aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
^^°

Eigentlich weiß ich gar nicht so genau, was ich hierzu schreiben soll, daher wünsche ich euch einfach nur viel Spaß beim Lesen und ich würde mich freuen, wenn ihr eure Meinung dalassen würdet. Aber das wisst ihr ja, nicht wahr?

Auch hierbei wieder eine Widmung für meine Muse Aschra, die mir mehrfach geholfen hat, als ich festgesteckt habe - ohne dass sie genau wusste, was ich eigentlich schreibe. Dieses Mal habe ich mich nämlich tatsächlich mal mit Spoilern zurückgehalten, obwohl das für mich eigentlich reichlich ungewöhnlich ist.
;)

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Yami/Atemu

Als ich am nächsten Morgen aufwache, ist die andere Seite des Bettes leer und, wie ich mit einem verschlafenen Tasten feststelle, bereits lange erkaltet. ›Wie jeden Tag‹, schießt es mir durch den Kopf. Dann kehrt die Erinnerung an die letzte Nacht zurück und schlagartig weiß ich wieder, dass der heutige Tag eben nicht wie jeder andere ist. Ich habe dir gesagt, dass ich heute gehen werde. Und ich stehe zu meinem Wort.
 

Mittlerweile hellwach schwinge ich meine Beine aus dem Bett, stehe auf und strecke mich erst einmal ausgiebig, ehe ich mich daran mache, mein Versprechen in die Tat umzusetzen. Ich brauche eine gute Stunde, um zu duschen, mich anzuziehen und meine Habseligkeiten zusammenzupacken. Viel ist es nicht, was ich mitnehmen muss. Meine Kleidung, ein paar Erinnerungsstücke und Fotos, mehr nicht. Deine Geschenke packe ich nicht ein. Ich bin nicht verbittert und lasse sie dir aus Rache oder einem ähnlich dummen Grund. Ich habe schlicht und ergreifend keinen Platz mehr in meiner Tasche. Immerhin bin ich mir noch nicht einmal sicher, wohin ich jetzt gehen will und werde. Außerdem fühlt es sich auch falsch an, etwas von dir mitzunehmen, also lasse ich es bleiben.
 

Einen Moment lang überlege ich, ob ich mich noch von Mokuba verabschieden soll, aber nach einem Blick auf den Wecker auf deinem Nachttisch verwerfe ich den Gedanken gleich wieder. Mokuba ist schon längst in der Uni und ich will wirklich nicht hierbleiben und warten, bis er zurückkommt. Ich denke kurz darüber nach, mich von Yugi oder Joey abholen zu lassen, aber auch diese Idee setze ich nicht in die Tat um. Ich will jetzt niemandem eine langatmige Erklärung geben müssen. Aus diesem Grund schultere ich die Reisetasche mit meinen Sachen und widerstehe dem Drang, mich noch ein letztes Mal in deinem Schlafzimmer umzusehen, bevor ich es verlasse. Auch den Gedanken, dass es dumm von mir ist, zu gehen anstatt zu kämpfen, schiebe ich entschlossen beiseite. Warum auch um etwas kämpfen, was doch eigentlich schon seit langer Zeit verloren ist? Und dreiundzwanzig – das Alter, das in meinem Ausweis steht – ist doch ein gutes Alter für einen kompletten Neuanfang. Ich habe keine Zeit für Melancholie oder Sentimentalität. Außerdem passt beides auch nicht zu mir.
 

Entschlossen ziehe ich erst die Schlafzimmertür und schließlich auch die Tür der Villa hinter mir zu und schlendere dann über den ewig langen weißen Kiesweg zum Tor. Dein Pförtner kennt mich, also öffnet er mir mit einem kurzen Gruß. Ich nicke ihm knapp zu, ignoriere den fragenden Blick zu meinem Gepäck und mache mich auf den Weg. Ein festes Ziel habe ich noch nicht, aber das kümmert mich nicht. Meine Tasche ist nicht schwer und um ehrlich zu sein, ich genieße es, einfach nur zu laufen, ohne viel nachzudenken.
 

Das Piepsen meines Handys, das den Eingang einer Nachricht verkündet, lässt mich schließlich am Eingang des Domino Parks stehenbleiben. Die Nachricht ist von Yugi, der uns beide zum Essen bei seinem Großvater einlädt. Unwillkürlich muss ich schmunzeln. Egal, wie oft du in der Vergangenheit auch abgesagt oder wie rüde du ihn abgekanzelt hast, Yugi wird nicht müde, es doch immer wieder zu versuchen. Yugi wird nie aufgeben, dir zu versichern, dass er dich auch nach all den Jahren noch als Freund ansieht. Und er wird dich auch dann noch so sehen, wenn er erfährt, dass es zwischen uns aus ist. So ist Yugi eben.
 

Ich bin beinahe versucht, zuzusagen, aber noch während ich darüber nachdenke, huschen meine Finger auch schon über die Tasten. ›Sorry, Yugi, ich kann nicht. Ich bin für eine Weile nicht in Japan.‹, lese ich etwas erstaunt meine eigene Antwort. Einen Augenblick lang zögere ich und denke darüber nach, sie zu löschen, aber dann schicke ich sie doch ab. Mit einem Mal ist die Vorstellung, einfach für ein paar Tage oder Wochen zu verschwinden, zu verlockend, um ihr zu widerstehen. Außerdem habe ich mein Gepäck doch schon zusammen, also was hält mich noch hier? ›Wir holen das nach, wenn ich zurück bin. Ich melde mich.‹, verspreche ich Yugi noch, dann schalte ich das Handy aus und mache mich auf den Weg. Und jetzt habe ich auch ein Ziel.
 

Eine kurze Taxifahrt später finde ich mich am Flughafen wieder, wo ich mir an einem der unzähligen Schalter ein Ticket für die nächste Maschine nach Kairo kaufe. Geld ist kein Problem. Ich habe in meiner Zeit als aktiver Spieler – egal ob Duel Monsters oder welches Spiel auch immer – genug verdient, um mindestens noch zwei weitere Leben lang keine finanziellen Sorgen haben zu müssen.
 

Ich checke meine Tasche ein und dann heißt es im Wartebereich die Zeit totschlagen, bis mein Flug aufgerufen wird. Ich nutze diese Zeit, um einen Anruf zu tätigen und so sicherzustellen, dass ich in meiner ›alten Heimat‹ abgeholt werde. Zwar ist mein Gesprächspartner einigermaßen überrascht, meine Stimme zu hören und von meinen Plänen zu erfahren, aber er verspricht mir dennoch, seinen Bruder – für einen Moment glaube ich beinahe die alte Anrede ›Meister Malik‹ zu hören, obwohl er sie nicht laut ausspricht – zu informieren.
 

Der Flug ist lang und so langweilig, dass ich die meiste Zeit verschlafe. Ich habe zwar in der letzten Nacht trotz des kurzen Intermezzos eigentlich genug Schlaf bekommen, aber dennoch schaffe ich es nicht, wach zu bleiben. Irgendwann nicke ich ein und werde erst weniger als eine Stunde vor der Ankunft wieder wach. Und obwohl ich es in den letzten Jahren nach dem Duell gegen Yugi in der Grabkammer vermieden habe, nach Ägypten zurückzukehren, kann ich es jetzt ganz plötzlich kaum noch erwarten. Die letzte Stunde vergeht zäh wie alter Kaugummi und ich kann mir ein erleichtertes Aufseufzen nicht verkneifen, als die Maschine endlich landet und ich aussteigen kann.
 

Wie versprochen werde ich am Gate bereits erwartet. Malik, stelle ich mit einem ausgiebigen Blick fest, hat sich kaum verändert. In seinem Gesicht glaube ich eine Mischung aus Vorsicht, Anspannung und einer gewissen Neugier zu erkennen, aber er stellt mir keine Fragen – noch nicht jedenfalls. Fragen werden kommen, dessen bin ich mir sicher. Allerdings werden es wohl weder Malik noch Rishid sein, die diese Fragen stellen. Nein, es ist wahrscheinlicher, dass die beiden ihrer Schwester diese Aufgabe überlassen.
 

"Willkommen in Kairo, mein Pharao", bricht Malik schließlich das Schweigen zwischen uns und ich schüttele mit einem Seufzen den Kopf. "Ich bin schon lange kein Pharao mehr, Malik", korrigiere ich ihn. Er sagt nichts weiter dazu, sondern deutet mir mit einem Nicken an, dass ich mit ihm kommen soll. Ich schultere meine Tasche und folge ihm dann nach draußen in die Hitze zu einem der Parkplätze, auf dem – wie sollte es auch anders sein? – ein Motorrad steht. Ich erinnere mich dunkel, dass Rishid vor Jahren mal erzählt hat, dass Malik sich schon als kleiner Junge ein solches gewünscht hat, kaum dass er wusste, was das ist. Es tut seltsam gut zu sehen, dass er sich diesen Wunsch inzwischen erfüllen konnte.
 

Da das Motorrad weder über einen Kofferraum noch über sonderlich viel Platz verfügt, gleicht die Fahrt zum Haus der Ishtar-Geschwister einem Abenteuer. Kairo ist heiß, laut, staubig, voller Menschen und absolut chaotisch, aber Malik weiß ganz offenbar, was er tut. Er nimmt mir meine Tasche ab und platziert sie vor sich, damit ich mich hinter ihn auf seine Maschine schwingen kann. Ich komme der unausgesprochenen Aufforderung nach, schlinge meine Arme um seinen Bauch und sobald wir nach einer gefühlten Ewigkeit des Hupens und Manövrierens auf engstem Raum endlich die Stadt hinter uns gelassen haben, beginne ich Maliks Faszination für Motorräder zu verstehen. Diese Art der Fortbewegung ist ganz anders als Fliegen oder in einem Auto zu sitzen. Ich fühle einen seltsamen Rausch, den zu benennen mir erst gelingt, kurz bevor Malik die Maschine wieder zum Stehen bringt. Freiheit. So fühlt sich Freiheit an.
 

In bester Stimmung nehme ich meine Tasche entgegen und folge Malik ins Innere des Hauses, neben dem er sein Motorrad abgestellt hat. "Wir verbringen mittlerweile die meiste Zeit hier. Das Grab ist ganz in der Nähe, so dass jederzeit jemand nach dem Rechten sehen kann", erklärt Malik mir, führt mich in ein offenbar leerstehendes Zimmer und lässt mich dann erst einmal allein, damit ich auspacken und mich auch ein wenig von den Strapazen der Reise erholen kann.
 

Dafür bin ich jedoch, wie ich nach dem Auspacken feststelle, viel zu aufgedreht. Ich hatte genug Erholung während des Fluges. Jetzt steht mir der Sinn nach etwas ganz anderem. Ich war so lange nicht mehr in meiner ›alten Heimat‹, dass es höchste Zeit für ein bisschen Sightseeing ist, finde ich. Und genau das werde ich jetzt auch tun – mit oder ohne die Ishtar-Geschwister.
 

Nachdem ich mich noch kurz umgezogen habe – schwarze Kleidung ist in einem Land wie Ägypten eindeutig die falsche Wahl, also entscheide ich mich für eine helle Hose und ein ebensolches Shirt –, verlasse ich das Gästezimmer wieder und finde mich, kaum dass ich den Wohnbereich betrete, nicht nur mit Malik, sondern auch mit Rishid und Ishizu konfrontiert. "Willkommen zu Hause, mein Pharao", begrüßen mich auch die beiden verbliebenen Ishtar-Geschwister, aber ich verkneife es mir, sie ebenso zu korrigieren wie Malik. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ohnehin nichts, was ich sage oder tue, die Drei davon abbringen wird, mich als das zu sehen, was ich in meinem alten Leben einmal war – auch wenn dieses ›alte Leben‹ inzwischen mehrere tausend Jahre zurückliegt.
 

"Ich würde mir gerne das Grab ansehen", teile ich den Dreien daher einfach nur meinen Plan mit. Ishizu nickt. "Wie Ihr wünscht", sagt sie und wechselt einen kurzen Blick mit ihren Brüdern. "Ich muss leider gleich wieder zurück ins Museum, aber Malik und Rishid werden Euch begleiten", beschließt sie. Einen Moment lang warte ich darauf, dass Malik protestiert – ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr er seine Pflicht als Grabwächter früher immer gehasst hat; immerhin hat diese Abneigung erst seine dunkle Seite und damit beinahe das Ende der Welt heraufbeschworen –, aber nichts dergleichen passiert.
 

"Wenn wir jetzt losfahren, dann können wir vor Anbruch der Nacht wieder zurück sein." Damit wendet Malik sich ab, um vorauszugehen. Rishid und ich schließen uns ihm an. Dieses Mal nehmen allerdings wir nicht das Motorrad, das für drei Leute auch definitiv nicht genügend Platz bietet, sondern steigen in einen Geländewagen, der vor dem Haus der Ishtars steht. Rishid fährt, Malik hat es sich auf dem Beifahrersitz bequem gemacht und so habe ich den Rücksitz ganz für mich alleine.
 

Anfangs sieht die vorbeiziehende Landschaft nicht viel anders aus als in Tokio auch – nur die Kleidung und die Leute unterscheiden sich, aber nicht die Betriebsamkeit und der Lärm –, aber nach einer Weile verschwinden Menschen und Häuser und machen Platz für eine unendlich scheinende Weite aus goldgelben Sanddünen unter strahlend blauem, wolkenlosem Himmel.
 

Unwillkürlich rücke ich näher ans Fenster, als die ersten Pyramiden in Sichtweite kommen. Mit einem Mal packt mich ein so starkes Gefühl von Heimweh, dass ich nur unter Aufbietung all meiner Willenskraft ruhig im Wagen sitzen bleiben kann. Am liebsten würde ich die Tür aufreißen, rausspringen und einfach in die Wüste hinauslaufen, aber ein letzter Rest gesunder Menschenverstand warnt mich, dass das Wahnsinn wäre. Für Unvorbereitete ist die Wüste heute noch genauso tödlich wie sie es auch schon während meines ersten Lebens war.
 

Trotzdem kann ich mich den Rest der Fahrt, die für meinen Geschmack viel zu langsam vergeht, kaum beherrschen. Sobald der Wagen endlich zum Stehen kommt, bin ich auch schon ausgestiegen, wende mein Gesicht der gleißenden Sonne zu und schließe die Augen. Ich breite die Arme aus, atme tief durch und mich überkommt ein Friede, wie ich ihn schon seit Jahren nicht mehr gespürt habe. ›Zu Hause‹, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. ›Ich bin zu Hause. Endlich.‹
 

Wie lange ich so stehenbleibe und stumme Zwiesprache mit meiner alten Heimat und den ebenso alten Göttern halte, denen ich früher gehuldigt habe, weiß ich nicht. Erst Rishids leise Stimme holt mich wieder zurück in die Gegenwart. "Ihr werdet euch einen Sonnenbrand holen, mein Pharao", macht er mich auf etwas aufmerksam, woran ich gar nicht gedacht habe, und ich kann nicht anders: ich muss lachen. Diese ganze Situation ist so unglaublich absurd, dass ich diesen Ausbruch nicht verhindern kann.
 

Ich beeile mich jedoch, mein Amüsement wieder unter Kontrolle zu bringen. Malik, der das Ganze aus einiger Entfernung beobachtet, sieht mich skeptisch an. Er sagt jedoch auch jetzt nichts, sondern wendet sich einfach nur ab und tritt auf den steinernen Eingang zu meinem Grabmal zu. Mit einem leichten Kopfschütteln vertreibe ich das letzte bisschen unangebrachte Erheiterung und folge ihm dann gemeinsam mit Rishid.
 

Im Vergleich zu der draußen herrschenden Hitze ist es im Grab selbst geradezu kalt. Die Luft riecht ein wenig abgestanden und staubig, aber weit weniger unangenehm, als ich erwartet hatte. Offenbar, geht es mir durch den Kopf, nehmen die Ishtar-Geschwister ihre Aufgabe, sich um das Grabmal zu kümmern, sehr ernst. Alles in den steinernen Gängen, durch die wir gehen, wirkt sauber und aufgeräumt. Man sieht diesem Ort definitiv nicht an, wie alt er ist – jedenfalls nicht, wenn man es nicht weiß.
 

Während ich Malik, der mit einer Fackel vor mir geht, folge, driften meine Gedanken unwillkürlich in die Vergangenheit und ich erinnere mich, wie ich mein Grabmal zum allerersten Mal inspiziert habe. Damals waren die Arbeiten daran noch in vollem Gange und die Wände waren übersäht von den Vorzeichnungen für die Bilder, die sie heute zieren. Und obwohl ich mich damals bei dem Duell gegen Yugi geweigert habe, mich hier auch nur ein wenig umzuschauen, kann ich mich jetzt gar nicht sattsehen an all den Inschriften, die alle möglichen verschiedenen Szenen aus meinem Leben darstellen – ein Leben, das schon so unendlich lange zurückliegt und an das ich mich auch heute noch nicht vollständig erinnern kann.
 

Trotzdem kann ich nicht umhin zu schmunzeln, als mein Blick auf ein Bild fällt, das mich selbst als Kind mit gesenktem Kopf vor meinem Vater kniend zeigt. Irgendwie sieht mein Abbild ein wenig schuldbewusst aus, finde ich. Aber vielleicht liegt das auch nur daran, dass ich mich nur zu gut daran erinnere, wie viel Unsinn ich als kleiner Junge angestellt habe. Meistens war Mana dabei – entweder als Anstifterin oder als Komplizin – und der arme Mahaado hat jedes Mal aufs Neue vergeblich versucht, uns beide zur Räson zu bringen.
 

Der Gedanke an Mahaado stimmt mich ungewollt melancholisch, aber ich schüttele dieses Gefühl schnell wieder ab. Immerhin ist Mahaado in gewisser Weise ja auch heute noch ständig an meiner Seite – als Karte zwar nur noch und nicht mehr als Mensch, aber das ist trotzdem besser als nichts, finde ich. Auch jetzt habe ich mein Deck dabei und der Schwarze Magier ist – wie immer – die oberste Karte. Und irgendwie ist das Wissen, meinen ältesten und besten Freund nicht vollständig verloren zu haben, auch heute noch seltsam tröstlich.
 

Malik und der Fackelschein verschwinden vor mir um eine Ecke und der kurze Moment der Dunkelheit, bevor Rishid und ich ihn eingeholt haben, bringt mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. "Wir sind fast da", lässt Rishid mich wissen und ich nicke nur, denn mein Blick wird beinahe magisch angezogen von der großen Steintafel, die vor einer der Wände der eigentlichen Grabkammer steht. Darauf eingemeißelt ist nicht nur mein altes Ich, sondern auch Setos. Die beiden stehen sich gegenüber, jeder eine Hand erhoben, und als mir auffällt, dass ich diese Geste unbewusst kopiere, lasse ich meine Hand schnell wieder sinken.
 

Mit einem Mal wird meine Kehle eng und mein Herz wummert viel zu schnell. Da sind plötzlich so unglaublich viele Erinnerungen, die auf mich einstürze – Erinnerungen an Seto und mich, aber auch Erinnerungen an Seth, dass mir für einen kurzen Moment schwindelig wird. Wir haben so viel geteilt – Seto und ich, Seth und ich –, aber erst jetzt, in diesem Augenblick, wird mir wirklich klar, dass beide ab heute kein Teil meines Lebens mehr sind. Mit der Entscheidung, die ich in der letzten Nacht getroffen habe, habe ich nicht nur den Mann, mit dem ich die letzten fünf Jahre geteilt habe, aus meinem Leben verbannt, sondern auch die Reinkarnation meiner allerersten – unglücklichen – Liebe.
 

Eine Hand, die mich am Arm packt und aufrechthält, verhindert, dass ich von den Erinnerungen und der Erkenntnis überwältigt zu Boden sinke. Ich blicke zur Seite und finde mich mit Malik konfrontiert, der mich mustert. In seinen Augen glaube ich eine Spur Besorgnis zu erkennen, aber sicher bin ich mir nicht. "Ist alles in Ordnung, mein … Atemu?", verbessert er sich hastig und mein Herzschlag, der sich gerade wieder etwas beruhigt hatte, gerät gleich wieder aus dem Takt. Wie lange hat mich jetzt niemand mehr bei meinem wahren Namen genannt? In Japan, meinem anderen Zuhause, hat sich ›Yami‹ mittlerweile so eingebürgert, dass selbst Yugi immer diesen Namen benutzt – und das, obwohl er, genau wie unsere anderen Freunde, weiß, dass dieser Name genauso wenig echt ist wie der Ausweis, den ich benutze.
 

"Ja, ich … Es geht mir gut", höre ich mich selbst krächzen und der Ausdruck in Maliks Augen wandelt sich von besorgt zu skeptisch, aber trotzdem lässt er mich los, als ich ihm andeute, dass ich wieder alleine stehen kann. "Vielleicht war das ein bisschen zu viel auf einmal", erklingt Rishids Stimme von schräg hinter mir, doch ich schüttele nur den Kopf und straffe mich. Der Augenblick der Schwäche ist vorbei. "Nein, es ist okay. Ich möchte auch noch den Rest sehen."
 

Deshalb bin ich schließlich hergekommen. Ich wollte mich endlich meiner Vergangenheit stellen, die ich trotz des wiedererlangten Wissens bisher verdrängt habe, so gut ich konnte. Ich wollte einfach nur ein ganz normaler Mensch sein, aber hier in meinem alten Grab wird mir bewusst, dass ich das eben nicht bin. Wie normal ist es auch schon, nicht nur die Welt durch ein Kartenspiel gerettet zu haben, sondern dazu auch noch ein anderes Leben geführt und ein zweites, neues Leben gewährt bekommen zu haben? Wie normal ist es, sein eigenes, jahrtausendealtes Grab zu besuchen? Der üblichen Definition von ›normal‹ entspricht das jedenfalls ganz sicher nicht.
 

Rishid und Malik nicken nur auf meinen Wunsch hin. Dieses Mal ist es Rishid, der die Fackel nimmt und vorausgeht. Vorbei an der Steintafel, die mich vor wenigen Minuten noch so überwältigt hat, führt er seinen Bruder und mich durch ein ganzes Labyrinth von Gängen. Hier sind die steinernen Wände nicht mehr mit Bildern übersäht, sondern nur noch mit Inschriften. Ich überfliege sie flüchtig und erkenne darin die Götterlegenden, mit denen ich aufgewachsen bin: Ras allnächtlicher Kampf gegen Apophis, der Tod des Osiris, die Zeugung des Horus und schließlich dessen Sieg über Seth, der seinen Vater Osiris getötet hat. Ich erinnere mich an die unzähligen Zeremonien und Opferungen, denen ich während meiner Regierungszeit beigewohnt und teilweise sogar als oberster Kultherr vorgestanden habe.
 

All diese Erinnerungen treten jedoch in den Hintergrund, als wir endlich unser eigentliches Ziel erreichen. Rishid tritt zwei Schritte zur Seite, um Malik und mir den Zugang in die eigentliche Grabkammer nicht zu versperren. Im flackernden Fackellicht wirkt der Raum seltsam surreal mit all seinen Möbeln und der Einrichtung, die mehr wie ein Gemach in einem Palast wirkt als wie ein Grab. Für einen Moment sieht es beinahe so aus, als würden all die Grabbeigaben und besonders die Uschebtis sich tatsächlich bewegen, aber diesen Gedanken tue ich gleich darauf als Unsinn ab. Das ist nur eine optische Täuschung durch den Fackelschein, nichts weiter.
 

Nach kurzem Zögern betrete ich die Grabkammer. Rishid und Malik bleiben hinter mir zurück. Keiner der beiden spricht und ich bin dankbar für das Schweigen, das mir die Möglichkeit gibt, mich wieder zu sammeln. Gedankenverloren streichen meine Finger hier über einen geschnitzten Stuhl, da über eine hölzerne, mit Intarsien aus inzwischen patiniertem Kupfer versehene Truhe, nehmen hier einen der Uschebtis zur Hand und spielen dort kurz mit einem Kamm aus Elfenbein. Es gibt auch Gold – Schmuck, Münzen – und andere wertvolle Metalle und Edelsteine, aber für diesen Reichtum habe ich keinen Blick übrig, als ich endlich den im Zentrum des Raumes befindlichen Sarkophag erreicht habe. Die goldene Totenmaske zeigt unverkennbar mein Gesicht und ich schlucke, um den Kloß in meinem Hals loszuwerden. Das Wissen, dass unter all diesem Stein tatsächlich meine ›sterblichen Überreste‹ ruhen, ist auf eine seltsame Art sehr verstörend. Fast bin ich versucht, Malik und Rishid zu bitten, mir zu helfen, den Deckel des Sarkophags zu lüften, damit ich einen Blick hineinwerfen kann, aber schlussendlich tue ich es doch nicht.
 

Wie lange ich vor dem Sarkophag stehe und ihn einfach nur betrachte, die Inschriften lese und in meinen Erinnerungen versinke, weiß ich nicht. Eine sanfte, beinahe schon fragende Berührung an meiner Schulter ist es, die mich schließlich wieder in die Realität zurückbringt. "Ich denke, wir sollten jetzt gehen, mein Pharao. Es ist schon reichlich spät", murmelt Rishid mit gesenkter Stimme, als wolle er die Ruhe meines alten Körpers nicht stören. Ich werfe noch einen letzten Blick auf den Sarkophag, dann nicke ich, straffe mich und wende mich entschlossen ab, um zu gehen.
 

Wieder übernimmt Rishid die Aufgabe, vorauszugehen und den Weg auszuleuchten. Malik hält sich neben mir und reicht mir nach den ersten paar Metern schweigend ein etwas zerknittertes Taschentuch. Erst durch diese Geste merke ich, dass mir Tränen über das Gesicht laufen. Mit einem halb dankbaren, halb beschämten Lächeln nehme ich das Stück Stoff entgegen, tupfe mir die Spuren von den Wangen und zerknülle das Taschentuch dann unschlüssig zwischen meinen Fingern. Soll ich es Malik zurückgeben oder nicht? Ich weiß es nicht und ich bringe es nicht über mich, ihn jetzt danach zu fragen.
 

Nach der im Grab herrschenden Kühle kommt mir die inzwischen doch deutlich zurückgegangene Temperatur draußen dennoch unglaublich drückend vor. Trotzdem atme ich mehrmals geradezu hektisch ein und aus, um meine Lungen mit sauberer, trockener Wüstenluft zu füllen und die aufgewühlten Gefühle, die mich jetzt nach diesem Grabbesuch in ihren Klauen haben, zumindest ein wenig in den Griff zu bekommen. Die Ishtar-Brüder lassen mir alle Zeit der Welt und ich bin ihnen dafür ebenso dankbar wie für die Tatsache, dass sie beide bereits zum Jeep vorgegangen sind und mir so ein paar ungestörte Minuten einräumen, um mich wieder zu sammeln.
 

Sobald ich mir sicher bin, dass ich zumindest wieder einigermaßen ich selbst bin, mache ich mich ebenfalls auf den Weg zu dem Geländewagen. Rishid und Malik warten dort und unterhalten sich leise miteinander, wenden sich aber beide sofort mir zu, als sie mich kommen sehen. Beide sehen mich mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis an und ich schaffe es tatsächlich, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zwingen. Rishid wirkt erleichtert, aber aus Maliks Blick spricht noch immer eine deutliche Spur Skepsis. Ich zerdrücke das Taschentuch, das ich noch immer in der Hand habe, noch ein wenig mehr. Das entgeht ihm nicht, doch er sagt auch jetzt nichts dazu und ich bin absurd dankbar dafür.
 

Wie auf der Herfahrt setze ich mich auch jetzt wieder auf die Rückbank des Wagens, schnalle mich an und schaue aus dem Fenster, aber ich nehme weder die Dünen noch den sich immer weiter verdunkelnden Himmel wirklich bewusst wahr. Stattdessen versinke ich in meinen Gedanken und Erinnerungen und komme erst wieder in der Wirklichkeit an, als Rishid den Wagen vor dem Haus der Ishtar-Geschwister parkt. Gemeinsam mit den beiden steige ich aus, zögere jedoch vor der Haustür. Ich möchte jetzt am liebsten etwas alleine sein, weiß aber nicht, wie ich das aussprechen soll, ohne undankbar zu wirken oder direkt wieder Besorgnis bei meinen Gastgebern zu wecken.
 

Rishid, der gerade die Tür aufgesperrt hat, entgeht mein Zaudern offenbar nicht. Er wechselt erst einen kurzen Blick und dann auch ein paar Worte mit seinem Bruder, die ich, weil die beiden offenbar Arabisch miteinander sprechen, nicht verstehen kann. Malik nickt kurz und wendet sich dann mir zu, während Rishid bereits das Haus betritt und die Tür hinter sich schließt. "Manchmal, wenn ich nachdenken oder etwas alleine sein will, mache ich einen kurzen Ausflug. Nur lange genug, um meinen Kopf wieder freizukriegen", teilt er mir mit und in seiner Stimme schwingt deutlich hörbar der Vorschlag mit, es ihm gleichzutun. Ich schlucke erst einmal den Kloß in meinem Hals herunter, ehe ich antworte.
 

"Das … klingt gut", ringe ich mir ab und Malik nickt, als hätte er nichts anderes erwartet. "Ihr … Du solltest dir besser eine Jacke holen. Nachts ist es hier sehr kalt", lässt er mich wissen, aber noch ehe ich auch nur einen Schritt in Richtung des Hauses machen kann, um den Vorschlag in die Tat umzusetzen, wird die Tür auch schon wieder geöffnet und Rishid erscheint im Türrahmen. In der Hand hat er zwei Jacken und ich erkenne eine davon als meine, die ich heute Morgen in einem völlig anderen Leben eingepackt habe. Die zweite Jacke gehört offenbar Malik, der sie gleich entgegennimmt und überzieht. Dann sieht er mich auffordernd an und sobald ich seinem Beispiel gefolgt bin, tritt er zu seinem Motorrad.
 

Wie bereits heute Mittag schwinge ich mich hinter Malik auf seine Maschine, sobald er aufgestiegen ist, und schlinge die Arme um seinen Bauch. Er sagt noch etwas zu Rishid, das ich nicht verstehe, aber ich achte auch nicht weiter darauf. Ich konzentriere mich nur auf das Vibrieren des Motorrads unter mir und Maliks Wärme vor mir, während er sich in den abendlichen Verkehr einfädelt. Nach einigen halsbrecherischen Manövern lassen wir schließlich die Stadt hinter uns, aber Malik schlägt nicht den Weg zum Grab ein, sondern nimmt eine andere Route.
 

Ungefähr eine halbe Stunde fahren wir schweigend durch die immer dunkler werdende Nacht. Die Straße ist kaum noch als solche zu bezeichnen. Sie gleicht mehr einem zufälligen Pfad als einer der gepflasterten Straßen, die ich aus meinem Leben in Tokio kenne. Malik scheint jedoch genau zu wissen, wo er hin will und wie er dorthin kommt, also stelle ich keine überflüssigen Fragen, sondern halte mich einfach schweigend an ihm fest. Ich werde schon noch früh genug sehen, was sein heutiges Ziel ist. Sein Taschentuch habe ich immer noch in der Hand.
 

Irgendwann schließlich, als ich schon beinahe damit rechne, dass diese Fahrt über kurz oder lang am Haus der Ishtar-Geschwister enden wird, stellt Malik seine Maschine doch noch ab. Etwas unwillig lasse ich ihn los, steige ab und er tut es mir nach. Um uns herum ist es stockfinster – besonders, als Malik auch noch den Motor seines Motorrads abstellt und somit den Scheinwerfer zum Erlöschen bringt –, aber ich kann trotzdem ein paar grobe Umrisse von Dünen erkennen. Ein Stück vor uns ragen einige Felsen auf und auf diese steuert mein schweigsamer Begleiter zu.
 

In Ermangelung einer besseren Alternative folge ich ihm und finde mich nur wenige Minuten später auf einem felsigen Plateau wieder. Maliks Hand auf meinem Brustkorb verhindert, dass ich einen Schritt zu viel mache und damit in die Tiefe stürze, die ich in der Dunkelheit gar nicht gesehen habe. Mein Herz rast aufgrund des Schrecks, beruhigt sich aber recht bald wieder. Ich tue es Malik gleich, der sich in der Zwischenzeit an die Felskante gesetzt hat und seine Beine in den Abgrund – hier geht es sicher wenigstens zwanzig Meter in die Tiefe, wenn nicht sogar noch mehr – baumeln lässt.
 

Eine Weile spricht keiner von uns ein Wort. Dann ist es Malik, der das Schweigen bricht. "Hierher komme ich immer dann, wenn mir alles zu viel wird und ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Die Wüste hilft mir jedes Mal wieder dabei, meine Prioritäten neu zu ordnen", sagt er leise, sieht mich dabei aber nicht an. Stattdessen betrachtet er den pechschwarzen Nachthimmel, der hier von Milliarden von Sternen erhellt wird. So viele Sterne gibt es in Tokio nicht zu sehen.
 

Ich beobachte dieses Schauspiel ebenfalls eine Weile, drehe dann jedoch den Kopf leicht zur Seite und betrachte stattdessen meinen Begleiter. Er hat sich wirklich nicht sehr verändert in den Jahren, die seit unserer letzten Begegnung vergangen sind. Vielleicht ist er noch ein wenig größer geworden, seine Schultern sind möglicherweise etwas breiter, aber ansonsten sieht er immer noch genauso aus wie der wütende Sechzehnjährige aus meiner Erinnerung.
 

"Darf ich … dir eine Frage stellen?", wird meine Musterung unterbrochen und ich muss schmunzeln, als Malik nicht zum ersten Mal über die ungewohnt vertrauliche Anrede stolpert. Noch immer scheint er mich mit ›mein Pharao‹ ansprechen zu wollen, aber ich bin froh, dass er es doch nicht tut. Immerhin liegt dieser Teil meines Lebens, wie mir der heutige Grabbesuch gezeigt hat, eindeutig in meiner Vergangenheit.
 

"Sicher", gebe ich die Erlaubnis und Malik atmet noch einmal tief durch, ehe er sich dazu durchringt, mich anzusehen. "Warum bist du hergekommen? Ich meine, warum heute?", will er dann wissen und ich versuche einen Moment lang, dem bohrenden Blick standzuhalten, wende aber schlussendlich doch das Gesicht ab und starre nun meinerseits in die samtschwarze, mit winzigen Glitzersternen gesprenkelte Finsternis. "Ich … Das war eine spontane Entscheidung", antworte ich ausweichend und über meine Lippen kommt ein abgrundtiefes Seufzen.
 

"Ich habe in der vergangenen Nacht mit Seto Schluss gemacht", meine Beziehung war kein großes Geheimnis; Setos Outing und die damit verbundenen Nachrichten haben vor gut vier Jahren immerhin weltweit für Schlagzeilen gesorgt, "und als ich unterwegs war, hat Yugi mir geschrieben und Seto und mich zum Essen bei seinem Großvater eingeladen. Eigentlich wollte ich erst zusagen, aber dann … irgendwie … Ich habe ihm abgesagt mit der Info, dass ich eine Zeitlang nicht in Japan sein würde. Ich wusste vorher gar nicht so genau, wohin ich eigentlich gehen wollte, aber ganz plötzlich war da die fixe Idee in meinem Kopf, hierher zu fliegen und mir endlich einmal das Grab anzusehen, also bin ich zum Flughafen gefahren, habe mir ein Ticket besorgt und Rishid angerufen. Den Rest kennst du", schließe ich meine Erzählung und wieder senkt sich Schweigen über uns beide.
 

"Es tut mir leid", sagt Malik schließlich nach mehreren Minuten, in denen wir beide es wieder einmal vermieden haben, einander anzusehen. "Das muss es nicht", erwidere ich und auf meine Lippen stiehlt sich ein schiefes Lächeln. "Genau genommen haben Seto und ich schon lange einfach nur noch nebeneinander her unter dem gleichen Dach gelebt. Ich hätte mich genauso gut schon vor drei Monaten oder erst in einem Jahr von ihm trennen können. Wir haben uns schon lange nicht mehr geliebt", erzähle ich und wundere mich insgeheim ein bisschen darüber, dass ich Setos Untreue mit keinem Wort erwähne. Dann allerdings wird mir klar, dass mir das eigentlich gar nicht wichtig ist. Hätte er mich am Anfang unserer Beziehung betrogen, hätte es mir wahrscheinlich das Herz gebrochen, aber in den letzten Monaten – vielleicht sogar schon in den letzten ein, zwei Jahren – hat er mir dafür einfach nicht mehr genug bedeutet.
 

Wieder folgt ein minutenlanges Schweigen, ehe Malik erneut das Wort ergreift. "Ist es so denn irgendwie … ich weiß nicht … einfacher?", will er wissen und ich muss gestehen, dass ich von dieser Frage etwas überrumpelt bin. Mein Mund öffnet und schließt sich mehrmals, ohne dass auch nur eine einzige Silbe über meine Lippen kommt. "Ich weiß es nicht", muss ich schließlich zugeben. Ich habe keine Ahnung, ob eine Trennung schlimmer ist, wenn man den Anderen noch liebt. Ich kann da nur Vermutungen anstellen.
 

"Ich schätze schon, dass es ohne tiefere Gefühle einfacher ist, sich zu trennen, aber ich bin mir nicht sicher", füge ich noch hinzu und fahre mir seufzend durch die Haare. "Es tut jedenfalls nicht weh, wenn es das ist, was du wissen willst. Es ist eher ein bisschen so, als hätte ich mich von etwas befreit. Was nicht bedeutet, dass es nicht auch gute Zeiten gab." Früher jedenfalls mal.
 

"Aber in den letzten Monaten und Jahren hatten wir uns einfach immer weniger zu sagen. Wir haben uns im Laufe der Zeit mehr und mehr auseinandergelebt. Und in der letzten Nacht ist mir endgültig klargeworden, dass es so auf Dauer nicht weitergehen kann – für mich nicht und auch für Seto nicht. Wir haben uns gegenseitig einfach nicht mehr gutgetan", fahre ich fort und wieder entkommt mir ein Seufzen. Die Erwähnung von Yugis Einladung hat mich daran erinnert, dass ich ihm vielleicht langsam mal mitteilen sollte, was Sache ist und wo ich bin, damit er sich meinetwegen keine unnötigen Sorgen macht.
 

"Ist es dir recht, wenn wir langsam zurückfahren?" Fragend sehe ich Malik an. "Ich sollte Yugi anrufen und ihm sagen, wo ich bin", schiebe ich als Erklärung hinzu und Malik nickt knapp, ehe er sich aufrappelt und mir dann seine Hand hinhält, um mir ebenfalls aufzuhelfen. Ich lasse mich von ihm hochziehen und schlinge dann fröstelnd meine Arme um mich, als mir doch mal auffällt, wie empfindlich kalt es ist. Über Maliks Lippen huscht ein kurzes Grinsen und als ich das sehe, strecke ich ihm sehr erwachsen die Zunge heraus. "Jaja, lach du mich ruhig aus. Ich bin dieses Klima eben einfach nicht mehr gewöhnt", schmolle ich ein wenig und bringe damit etwas fertig, was mir vorher noch nie gelungen ist: Malik lacht.
 

Einen Moment lang beobachte ich einfach nur überrumpelt, wie er sich vor Lachen krümmt, dann lasse ich mich von seiner Heiterkeit anstecken. Dabei nehme ich mir vor, dass das hier nicht das letzte Mal sein wird, dass ich Malik diese Geräusche entlocke. Er hatte bisher immer viel zu wenig zu lachen in seinem Leben. Immerhin hat seine Familie sich seit Jahrtausenden um mein Grab gekümmert – eine Aufgabe, die gerade er nicht freiwillig übernommen hat. Es wird also wirklich allerhöchste Zeit, denke ich bei mir, während ich mich hinter Malik auf sein Motorrad schwinge und mich wie schon auf der Herfahrt an ihm festhalte, dass ich diese Loyalität belohne. Noch weiß ich zwar nicht, wie ich das bewerkstelligen soll, aber mir wird schon etwas einfallen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist - wie auch das andere - übrigens noch nicht betagelesen. Wer also Fehler findet, immer her damit, dann kann ich sie noch ausmerzen.

Man liest sich!

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2016-07-01T07:03:30+00:00 01.07.2016 09:03
(;◔ิ‿◔ิ)~♪♬ Hi,

ah, ich glaube das Atemu die Frage von Seto hier beantwortet, warum er es so lange bei ihm ausgehalten hat. In dem Grabmal erklärt Atemu ja bei dem Bild von ihm und Seht, das es seine erste unglückliche Liebe war, das ist für mich so ein wenig der Knackpunkt, warum er bei ihm geblieben ist.

Bei vielen Sachen ist es gut die zweite Meinung/Sicht zu hören. Deshalb fand ich es auch gut, das hier Yamis sicht auch noch mal gezeigt wurde. Und wie „Hals über Kopf“ er gegangen ist, ohne zu wissen wohin.

Die Entscheidung nach Ägypten zu gehen, scheint er gut getroffen zu haben. Weil mit dem letzten Absatz sieht es so aus, als wenn er eine neue Aufgabe für sich gefunden hat. Und so süß wie Malik sich verhält mit dieser Mischung aus Oh-Pharao und das er ihn als „Kumpel“ ansehen soll, fand ich sein Verhalten echt niedlich. Auch hat mir sehr gefallen, wie du es beschreibst, das das Land und die Natur dem Gemüht ruhe bringt und man sich neu ordnen kann.

Liebe Grüße, Jyorie

Antwort von: Karma
01.07.2016 11:47
Und noch mal danke.
:)

Eigentlich ist dieses Kapitel hier noch vor dem Seto-Kapitel entstanden.
^^°
Allerdings hing ich irgendwann mittendrin fest, hab's meiner Muse geschickt, damit sie mir inspirationstechnisch unter die Arme greifen kann, und während des Abschickens fiel mir dann auf, dass es ja irgendwie blöd ist, wenn man nur aus Yamis bzw. Atemus Sicht erfährt, wie es nach der Trennung weitergeht. Also musste ich natürlich Seto auch noch schreiben.
*drop*

Ich fand die Idee, Yami einfach drauflos gehen zu lassen, irgendwi passend - genau wie diesen plötzlichen Geistesblitz, in seine "alte Heimat" zurückzugehen. Und es hat irgenwie ziemlich viel Spaß gemacht, die ganze Sache mit dem Grab zu schreiben - obwohl diese Atemu-Seth-unglückliche-Lovestory-Geschichte gar nicht geplant war. Dieser Teil hat sich echt verselbstständigt.

Malik mag ich persönlich auch sehr gerne. Und es hat Spaß gemacht, diese Zerrissenheit zwischen seiner Pflicht und seinem neuen Leben zu schreiben.

Ich glaube, Heimat hat für jeden Menschen etwas Tröstliches. Manchmal merkt man nicht mal wirklich, wie sehr einen irgendwas niederdrückt, bis man zu Hause ist, einmal tief durchatmet und dann spürt, wie die Sorgen von einem abfallen. Freut mich, dass das, was ich ausdrücken wollte, auch so rübergekommen ist.
:)

Freut mich, dass es dir gefallen hat und dass du dir die Zeit genommen hast, mir deine Meinung dazulassen. Danke!
<3


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