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Bruderliebe

von

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Ich lag noch schlafend im Bett, als es an der Wohnungstür klingelte und ich aus dem Schlaf gerissen wurde. Warum ich wusste, dass es die Tür zur Wohnung war? Sie hörte sich noch eine Spur schrecklicher an als die Haustür unten, die im Gegensatz zu der hier recht harmlos klang. Mein Herz machte sofort einen Sprung, weil ich spürte, dass es Darian war. Daher sprintete ich wie von einer Tarantel gestochen aus dem Bett, konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen und in Empfang zu nehmen.

Die Nacht hatte sich dahingezogen, als ich von der Party nach Hause gefahren war, und da ich keine Handynummer von ihm hatte, konnte ich ihn auch nicht Dauerbelästigen, wie man das als frisch Verliebter so machte. Und ich war in meinen Bruder frisch verliebt, denn seitdem flogen in meinem Bauch nur so die Schmetterlinge. Mein Benehmen war eher einem Teenager zuzuordnen, als einem Endzwanziger. Keine Vernunft – nur noch liebeswütiges Handeln. Auch mein Herz schlug immer schneller vor Aufregung. Ich freute mich, ihn zu sehen, was man kaum in Worte fassen konnte, daher passte es mir nicht, dass meine Mutter bereits aus dem Bad hechtete und wir beinahe zusammengestoßen wären, da kam ich ihr zuvor.

„Guten Morgen, ähm, das wird Darian sein, ich mache auf. Geh ins Bad zurück.“ Und ich meinte das nicht nur apodiktisch, ansonsten …

„Okay!“ Sie verschwand für meinen Geschmack etwas zu stoisch wieder dort hinein, während es das zweite Mal klingelte. Das Geräusch, das eher einem abgemurksten Papagei zuzuordnen war als einem vernünftigen Wohnungsläuten, daran würde ich mich niemals gewöhnen, nervte.

„Die Klingel ist zum Abgewöhnen, damals klang sie doch auch nicht so!“, motze ich. „Ich komme!“, rief ich an die Wohnungstür und hoffte, dass Darian – hoffentlich war er es auch – ein weiteres Klingeln unterlassen würde.

„Doch! Du hast es nur vergessen!“, antwortete meine Mutter aus dem Bad heraus.

Ich ging an die Tür, sah aber zuerst kurz auf die Garderobe. Helmut war schon auf Arbeit. Seine Jacke hing nicht mehr dort. Wäre er noch da gewesen, wäre der Besucher schon längst reingelassen worden, denn er machte immer als Erster auf. Das letzte Jahr noch, dann konnte er in Rente gehen, wie er uns gestern früh stolz mitteilte. Mir war das egal. Ich war nur zu Besuch, und bald würde ich zurückkehren.

Zurückkehren nach Schenefeld!

Ich verscheuchte diese Gedanken rasch, denn ich hatte mir darüber keinerlei Gedanken gemacht.

„Jaden“, begrüßte mich mein Bruder – schüchtern?, als ich die Tür aufgerissen hatte. So kannte ich ihn gar nicht, eine Eigenschaft, die ihn liebenswerter machte. „Die Tür unten stand offen, daher klingelte ich oben“, entschuldigte er sich beinahe.

„Hi!“, antwortete ich ihm. „Diese Klingel weckt Tote auf.“ Ich grinste selbst verlegen, und bemerkte seine dunklen Augenringe. Darian sah müde und übernächtigt aus. Ich wurde rot, weil mir bewusst wurde, wie ich wohl auf ihn wirken musste, verschlafen und ungekämmt – und vor allem konnten wir uns nicht in die Arme fallen, auch wenn unsere Körpersprache ganz anders aussah, denn Darian wurde leicht nervös. Also fiel unsere Begrüßung mit einem zusätzlichen Nicken und Schulterklopfen aus und ich ließ ihn eintreten, als ich auf Seite ging, um die Tür komplett aufzumachen. Verlegen strich ich mir über die Haare, während ich die Tür hinter uns schloss und Darian seine Jacke auszog und dann seine Schuhe.

Ich kam mir derweilen vor wie sechzehn, mitten in der Pubertät und versuchte meine Haare zu ordnen ohne Spiegel, denn so etwas besaß meine Mutter nicht. Es gab nur den einen im Bad. Verdammt, wenn ich doch nur einen Kamm hätte.

„Du siehst gut aus“, hatte er meine Gedanken erraten und lächelte.

„Klar, man sieht immer klasse aus, wenn man bis eben geschlafen hat.“ Ich grinste schief und ließ es dann bleiben, womöglich standen meine Haare mittlerweile noch mehr ab. Mein Grinsen flachte ab, hatte ich mir ernsthafte Sorgen um meinen Bruder gemacht. Gerade als ich fragen wollte, ob alles glatt gelaufen war, da platzte meine Mutter dazwischen. Welch ein Timing! Ich rollte mit den Augen.

„Darian, schön, dass du dich mal wieder blicken lässt. Du hast dich rargemacht, noch nicht einmal von deiner Party hatte ich gewusst. Verlobungsparty, so, so.“ Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn, was mich doch erstaunte. Und woher wusste sie von seiner Verlobungsparty? Von mir bestimmt nicht. „Willst du mit uns frühstücken?“, fragte sie und überging das rot angelaufene Gesicht von ihm, während meines um seines zu wetteifern begann. Mütter hatten es manchmal wirklich drauf, Sachen anzuleiern, die man lieber unter vier Augen erzählen wollte.

„Gerne. Äh, war nur eine Party.“ Er kratzte sich nun verlegen am Kopf.

„Keine Verlobungsparty?“

Darian schüttelte den Kopf.

Man musste nicht erwähnen, dass uns beiden lieber gewesen wäre, wenn meine Mutter bereits arbeiten würde.

„Nun ja – frühstücken wir, ich hab nicht sehr viel Zeit. „Sie schritt in die Küche und holte einen weiteren Teller und Tasse heraus und goss Darian Kaffee ein, während wir schweigend und mit gegenseitigen heimlichen Blicken versehen, Platz nahmen.

Es wurde ein recht monotones Frühstücken, in dem im Prinzip nur meine Mutter fortwährend Darian ausfragte und wie er es fand, dass ich wieder da bin. Mein Bruder antwortete eher mechanisch, ihm war nicht wohl in seiner Haut, besonders dann, wenn meine Mutter mehr über diese Party wissen wollte. Meine Unruhe wuchs, denn … Was war nun bei Miguel und ihm herausgekommen? Neugierde und Angst saßen mir tief im Nacken, daher brachte ich nur ein halbes Brötchen hinunter, der Kaffee hingegen floss in Bächen in den Magen. Meine Mutter hatte eine zweite Kanne aufsetzen müssen. Sie runzelte nur die Stirn, sagte aber zu meinem plötzlich akuten Kaffeekonsum nichts.

Eine halbe Stunde später, die sich wie Kaugummi hingezogen hatte, waren wir endlich alleine, und konnten ungestört reden. Doch bevor wir redeten, beugte sich Darian zu mir, als die Wohnungstür noch nicht richtig ins Schloss gefallen war, und gab mir einen stürmisch langen und äußerst intensiven Kuss, der mir die Sinne raubte und ich leise zwischen seinen Lippen stöhnte. Es war wie ein Überfall, aber einer, der mir sehr gefiel.

Er hatte mich dabei vom Stuhl hochgezogen und mich in seine Arme gerissen. Dann, als Darian von sich aus den Kuss beendete, weil ich nicht in der Lage gewesen wäre, es zu tun, knurrte er wie ein Wolf.

„Typisch für Mütter, egal wie alt man ist, sind sie nervig, in allen Lagen.“

Ich sah ihn verklärt an, ordnete mich und dann grinste ich breit, hatte ich es auch kaum erwarten können, und ja, auch ich fand ihre Anwesenheit eben mehr als störend, aber ich wohnte nicht alleine und war nur Gast hier.

Darian wollte mich erneut küssen, da hielt ich ihn beim erneuten Kuss auf.

„Was?“, fragte er irritiert und ließ mich los. „Willst du keinen Kuss?“ Die Unsicherheit stand in seinem Gesicht.

„Doch “, beruhigte ich ihn sofort. „Aber zuerst will ich wissen, wie es gelaufen ist. Und?“ Mein Geduldsfaden war am Zerreißen.

Darian sah mich verstehend an, schüttelte dann langsam den Kopf. Er hob die Schultern.

„Er hat es nicht gut aufgenommen“, wieder zuckte er mit der Schulter. Und winkte ab. Ich begann inzwischen, mich nützlich zu machen und abzuräumen, die Lebensmittel in den Kühlschrank zu verstauen. All das machte ich nur, um mich abzulenken. In meinem Kopf wirbelte so einiges umher, unter anderem, wie es nun weitergehen würde. Ich räumte das Geschirr in die Spüle, ließ Wasser darauf, um es einzuweichen. Darian half mir, nahm dann meine Hand, als wir fertig waren.

„Und jetzt?“

„Er hat gewusst, was ich für dich empfinde. Er kannte das Risiko. Als Carsten starb, war er beinahe in Panik, darum wollte er, dass wir sofort zusammenziehen. Er hatte Angst, ich würde dann nicht mehr wegwollen und er hatte recht, ich wollte dich nicht auf der Beerdigung alleine lassen.“

„Ich verstehe.“ Mein Hals war wie zugeschnürt, alles ergab irgendwie einen Sinn. Carsten, Darian.

„Wir sollten nur vorsichtig sein“, meinte er weiter und ich wurde hellhörig.

„Wie vorsichtig?“ Wollte Darian, dass ich bei ihm bleibe? Ich wollte mir das nicht ausmalen. Sich zu lieben, war eine Sache, aber das auch durchzuziehen – eine andere. „Wie vorsichtig, will er uns verraten?“, fragte ich mit klopfendem Herzen noch mal nach, weil er nicht darauf geantwortet hatte, sondern einfach Löcher in die Luft starrte. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass wir überhaupt darüber reden würden – über eine Zukunft.

Er löste sich aus der Starre. „Er mag zwar der Gehörnte sein, aber er hat keinen schlechten Charakter. Miguel ist ein feiner Kerl.“ Darian kratzte sich am Kopf, eine Eigenart von ihm, die mir jetzt erst stark auffiel. „Er will mich nur nicht mehr sehen. Fühlt sich gedemütigt – er fühlt sich verarscht. Ich denke aber nicht, dass er uns verraten wird, was hätte er denn davon? Er liebt mich wirklich. Und doch sollte man nicht noch Salz in die Wunde streuen, in dem wir offen vor ihm ...“ Sein Blick war, gesenkt, auf seiner Stirn arbeitete es, ich sah den innerlichen Konflikt, den er mit sich hatte. In dem Moment fühlte ich mich ihm mehr verbunden als jemals zuvor. Ich kannte es von mir, so war es auch bei Carsten gewesen. Wie sich die Wege immer wieder an Zufällen kreuzten.

Darian hatte es zwar nicht direkt ausgesprochen, aber ich wusste, dass er eine Zukunft mit mir wollte.

Unsere Blicke trafen sich und wir gingen ins Wohnzimmer, aber zum Hinsetzen kamen wir nicht, den wir fingen uns stürmisch zu küssen an. Die verlorenen Jahre brachen auf und ein Verzehren des jeweils anderen fand statt. Aber diese Euphorie hielt nicht lange, denn ein schlechtes Gewissen kam auf.

„Halt! Nicht hier“, stoppte ich ihn und er ließ widerwillig von mir ab. Die Erregung stand in seinem Gesicht.

„Warum nicht?“

„Es sollte perfekt sein und in einer angemessenen Umgebung.“ Meine Wangen wurden heiß bei den nicht jugendfreien Gedanken und ich senkte den Kopf. Männlich war was anderes, aber das musste ich ja nicht. Ich war nun mal etwas anders.

„Du hast Recht“, gab er unwirsch nach. „Wir gehen zu mir?“, schlug er vor und nahm mein Gesicht in seine Hände.

„Zu dir?“ Ich verzog missmutig das Gesicht und er nahm seine Hände an sich. „Gute Idee, vielleicht schaut uns dann Miguel zu und kocht als Dankeschön, dass er dich verloren hat, noch für uns.“ Den Humor hatte ich von Carsten.

Und Darian sah mich völlig entgeistert an, dann lachte er, wobei es nicht für ihn komisch sein sollte. „Du und witzig, so kenne ich dich gar nicht.“ Er küsste mich auf die Stirn.

„Ich habe mich geändert.“

„Oh ja, und wahrlich nicht zum Negativen. Carsten hatte dir gut getan, auch wenn es mir nicht schmeckt, war der Weg zu dem Zeitpunkt für dich der richtige“, meinte er anerkennend.

„Carsten ist tot, ich hab ihn sehr geliebt“, stellte ich eines klar und Darians Miene verfinsterte sich. „Aber nicht so wie ich …“, ich ließ den Satz einfach so stehen und küsste ihn mit all meiner Liebe, die ich aufbrachte, sodass er schließlich nachgab. Ich wollte nicht, dass auch noch Carsten zwischen uns stehen würde.

„Das hier wird unser Neuanfang“, meinte Darian ernst. Ich nickte zustimmend und er sprach weiter. „Du hast aber Recht, wir müssen warten, zumindest, bis Miguel weg ist.“ Er setzte sich frustriert in den Sessel, ich nahm gegenüber auf der Couch Platz.

Mir erging es nicht anders, würde ich doch viel lieber diese Lippen kosten in einer richtigen Umgebung und … ich konnte es kaum glauben, ich wollte mit ihm schlafen. Mein Körper verriet es mir trotz der schlimmen Vergangenheit.

Ich versuchte, die damaligen Gedanken zu verdrängen.

„Deine Verlobung, war das wirklich nur Miguels Idee?“ Wenn ich mich wirklich auf Darian einlassen würde, dann mussten alle Zweifel beseitigt werden.

„Es gehören immer zwei dazu“, gab er ehrlich von sich, was ich ihm, auch wenn mir die Antwort nicht ganz so passte, hoch anrechnete.

„Bereust du es?“ Nervös beobachtete ich jede Regung an Gefühlen in seinem Gesicht und die Frage schien ihm nicht bekommen zu sein, denn sein Blick verfinsterte sich.

„Jaden, das, was ich zu Miguel gesagt habe, das meinte ich auch so. Diese Verlobung war ein Hilfeschrei gewesen. Und doch hätte ich mich mit ihm verlobt, hätte man mich nicht aufgehalten … so wie du mit Carsten ... Sein Tod bedeutet im Endeffekt für uns eine zweite Chance.“

Ich nickte und die Tränen traten in meine Augen. In dem Moment fand ich das Leben nicht fair, Carsten hätte noch leben sollen und … was dann? Ich malte mir nicht weiter aus, wie es dann verlaufen wäre. Aber nun war es so. Die Würfel waren neu gefallen und dies hier war ein Neuanfang. Lange und intensiv sahen wir uns in die Augen. Die Erregung war uns beiden anzusehen. Aber wir würden warten, warten auf den richtigen Zeitpunkt. Es sollte etwas Besonderes werden, dazu mussten wir nicht weiter darüber reden, es war eine stille Übereinkunft. Zudem musste ich aus der Wohnung. Es würde uns ablenken, uns nicht anschauen zu müssen und die Erregung des anderen zu vermuten.

Ich zog mich um und Darian wartete geduldig im Wohnzimmer. Wir einigten uns auf die Innenstadt Münchens. Wir zogen unsere Jacken an, Darian noch seine Schuhe. In der Zeit hinterließ ich eine kurze Nachricht auf einem Zettel, dass ich in der Stadt war und sie nicht auf mich warten sollten, wenn es dann doch spät werden würde.

Ich legte die Mitteilung auf den Küchentisch, stellte ein Glas auf eine Ecke des Papieres, sodass es nicht beim Öffnen einer Tür vom Tisch geweht wurde, und gingen dann.

Wie viele noch von der alten Nachbarschaft in der Gegend wohnten, wusste ich nicht, im Haus waren es immerhin fast alle, die mich kannten. Nur zwei neue Namen waren hinzugekommen, daher waren Darian und ich auf der Hut, was die Öffentlichkeit anging. Nach außen waren wir Brüder und benahmen uns auch so, denn es kam uns bereits Frau Weber entgegen, die unter der Wohnung von meiner Mutter wohnte, und begrüßte uns freundlich. Mir wurde immer bewusster, dass verliebte Blicke – alles, was zum Verliebtsein dazugehörte, etwas war, was wir nur hinter dicken Mauern ausleben durften. Selbst unseren Eltern gegenüber würden wir niemals etwas erzählen dürfen. Niemals! Sie durften es niemals erfahren!

Es waren kaum Wolken am Himmel, als wir an die frische Luft kamen und die Sonne schien uns in unsere Gesichter. Sie ließ die Luft angenehm erwärmen, als wir an der Haltestelle auf eine S-Bahn warteten, die uns in das Stadtzentrum bringen sollte. Das Auto wollte ich nicht nehmen und Darian war zu mir mit der Bahn gekommen. Vielleicht würden wir etwas trinken gehen, es gab noch so viel zwischen uns zu reden, waren wir doch erst am Anfang. Und so kamen wir schließlich an unser Ziel, dem Marienplatz. Wie erwartet war es auf dem Platz und rund um den Brunnen herum brechend voll. Die Menschenmenge wurde mir zu viel, was Darian schmunzelnd bemerkte.

„Ich habe Durst, zudem sind zu viele Menschen unterwegs, was meinst du?“, meinte Darian und ich grinste.

„Okay, dann lassen wir mal unsere Vergangenheit aufleben.“ Wir suchten uns eine Lokalität, eine, die wir beide kannten, und jeder von uns bestellte sich ein schönes Weißbier, ganz gegen die Jahreszeit üblich, als wir einen Platz für uns fanden und eine hübsch aussehende blonde langhaarige Bedienung unsere Bestellung entgegennahm. Sie warf Darian einen vielsagenden Blick zu und ich schmollte sofort.

„Warum musst du nur so aussehen?“, muffelte ich schlecht gelaunt. Mir wurde meine Erscheinung bewusst. Graue Augen, kleine Figur.

„Tja, du willst doch auch, dass ich dir gefalle, oder nicht.“ Seine grünen Augen blitzen vor Vergnügen.

„Tze“, gab ich nur von mir, wurde aber schnell wieder sanfter, er hatte ja recht, ich benahm mich wie ein Eifersüchtiger, trotzdem blieb ein gewisser Neidfaktor hängen, den ich nicht ganz abstellen konnte.

Wir erhoben beide unsere Gläser und prosteten uns zu. Lange war es her, dass ich solch ein Bier getrunken hatte und so nahm ich einen kräftigen Schluck und schleckte den Bierschaum von den Lippen. Mir tropfte der Schaum aufs Kinn. Ich wischte ihn mit einer Serviette weg.

„Mann, du trinkst wie eine Frau“, tadelte mich Darian und ich grinste nur.

„Das gefällt dir doch?“

„Ja, scheiße, es gefällt mir – auch. Beides, wenn du weißt, was ich meine.“

„Beides?“ Musste ich mir doch um die Bedienung Sorgen machen, die mir zu oft für meinen Geschmack fragte, ob alles recht wäre. Dabei tranken wir nur Bier, wenn es auch recht früh für die Uhrzeit war. Es gerade elf Uhr.

Darian nickte. „Ja, beides. Als ich mich von Stefanie trennte, dachte ich, ich wäre nur schwul, bin ich auch, aber ich finde Frauen nach wie vor sehr anregend. Du hast beides.“

„Aber ...“, wollte ich protestieren, kam aber nicht weiter zu Wort.

„Nichts aber. Du brauchst demnach auf diese Tussi an Bedienung nicht eifersüchtig werden, ich finde gar nichts an ihr, aber an dir.“ Er sah mich abschätzend an und ich wurde rot unter seinen Blicken und nervös zwischen meinen Beinen.

„Wir wissen so wenig voneinander“, sagte ich schließlich, als ich mich wieder gefasst hatte und am liebsten hätte ich meine Hand in seine gelegt, um ihn dann zu meinem Schritt runter zu führen. Schlimm, dass man so reagieren musste. Die Tussi hinter mir war mir inzwischen egal geworden.

„Erzähl von dir und der Zeit, als ich in Hamburg war.“

„Auf das stoßen wir an.“

„Auf was?“ Ich lachte, denn ich verstand gar nichts, wir erhoben erneut unsere Gläser.

„Na, auf meine historischen fünf Jahre.“ Und unsere Gläser klirrten aneinander.

Darian erzählte mir, nachdem wir erneut einen großen Schluck tranken, wie es ihm in dieser Zeit so ergangen war, und ich erfuhr Einiges. Unter anderem, dass er wieder mit seinem Studium angefangen hatte, gut, ich wusste nicht, dass er jemals damit aufgehört hatte. All diese Dinge waren für mich neu, auch dass er als Kellner jobbte. Als ich nach seiner Arbeit fragte und warum er heute nicht arbeitete, antwortete er nur, dass er sowieso ein paar Tage freihatte.

Nun wusste ich Einiges, als er fertig war. Es war klar, dass er nun von mir etwas hören wollte und ich erzählte von der Zeit unserer Trennung, aber nicht von meinem Selbstmordversuch und auch nicht, wie ich Carsten kennengelernt hatte. Es gab Dinge, die musste man nicht hervorholen, vielleicht eines Tages – ich wusste es nicht.

 

 

©Randy D. Avies 2014



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