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Bruderliebe

von

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München, einen Tag nach Jadens Verschwinden!

 

„Jaden?“, rief Darian in die recht stille, dunkle Wohnung. Er hatte für sich und Stefanie ein Hotelzimmer für die Nacht gemietet gehabt und sie hatten sich die ganze Zeit über geliebt – mehr oder weniger war er seinen Trieben nachgegangen. Zudem hatte er mit seiner Stefanie ordentlich gefeiert. Etliches an Bier und Schampus war dabei geflossen. Sein Kopf brummte wie ein ganzer Bienenstock.

„Trink nächstens nicht so viel“, ermahnte ihn Stefanie jetzt.

„Ja, ja“, gab er brummig von sich. Die Wahrheit war aber eine ganz andere; er hatte sich ablenken müssen und da war ihm der Alkohol ganz recht gewesen, wenn nicht immer der Kater am nächsten Morgen so schlimm wäre. Er wollte nicht daran erinnert werden, wie weich Jadens Körper gewesen war. Wie gut er geduftet hatte, wie geschwungen und einladend seine Lippen ausgesehen hatten und wie es gewesen wäre, ihn in dieser Hütte zu küssen? All das beschäftigte ihn seitdem und der Alkohol hatte ihn etwas vergessen lassen. Doch jetzt, wo er zuhause war, kamen die Gefühle zurück. Und noch etwas kam zurück, eine Sehnsucht, die er vorher nicht gekannt hatte. Ja, er hatte Jaden küssen wollen, doch hatte er sich das nicht erlaubt. Er war doch ein Mann. Männer küssten sich nicht, durften das nicht, nicht so jedenfalls.

„Jaden?“ Warum antwortete Jaden ihm nicht? Schlief sein Bruder noch? Um diese Zeit?

Darian sah auf seine Uhr, es war weit nach 12 Uhr.

Er drehte sich achselzuckend zu seiner Verlobten, als diese ihm etwas sagte:

„Darian, schau mal, da liegt Jadens Schlüsselbund?“ Stefanie deutete auf die Schlüssel und klimperte dabei mit ihren langen Wimpern. „Den legt er nie dahin“, gab sie ihm verwundert zu verstehen.

Daraufhin gab er ihr keine Antwort, sondern starrte wie versteinert auf den verwaisten Schlüsselbund. Stefanie hatte Recht, Jaden legte seinen Schlüsselbund niemals so offen hin. Er hatte ihn immer bei sich im Zimmer.

Darians Miene verfinsterte sich merklich.

Das kann nicht sein, nein Jaden, bitte nicht, dachte er und geriet in Panik. Dann stürmte er an Stefanie vorbei und rannte ins Zimmer seines Bruders.

Im Zimmer war es dunkel, der Rollladen noch unten. Es war zu dunkel, um etwas sehen zu können und auch sehr still. Keine Atemzüge waren zu hören, die darauf hindeutete, dass jemand im Zimmer war. Er schaltete das Licht, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, an. Was er sah, war das, was er befürchtet hatte: Jaden war nicht hier.

Dabei öffnete er aus einem Instinkt heraus Jadens Kleiderschrank. Wie er nach einem kurzen Check feststellte, hatte Jaden nicht alles an Klamotten mitgenommen. Doch beruhigte ihn das keineswegs, im Gegenteil. Alles sah nach einem überhasteten Auszug aus, als er die Unordnung im Schrank sah. Von seinem schwarzen Koffer, den er bei seinem Einzug hier dabei gehabt hatte, fehlte ebenfalls jede Spur.

Warum?

Er schloss, innerlich aufgewühlt, den Kleiderschrank und sah auf den Boden, entdeckte Fotoreste, die verstreut herumlagen. Er bückte sich und griff sich eines der zerrissenen Bilder und erkannte sich darauf.

„Oh mein Gott.“ Seine Stimme zitterte, dabei ließ er das Foto aus seinen Fingern gleiten und griff sich ins Haar, unterdrückte die Tränen, die mittlerweile in seinen Augen standen. Er wollte sich nicht vor Stefanie erklären müssen, die jetzt stumm hinter ihm ins Zimmer gekommen war. Den Drang, sich bei Jaden entschuldigen zu wollen, nahm schier überhand.

„Es tut mir leid, das hatte ich nicht gewollt“, flüsterte er so leise, dass seine Verlobte die Worte nicht hören konnte. Darian wusste genau, dass seine Einsicht zu spät kam, dass sie von Jaden nicht mehr gehört werden konnten.

Stefanie wollte ihre Hand auf die Schulter ihres Verlobten legen, ihn trösten, da wandte er sich von ihr weg. „Lass mich alleine“, sagte er nur. Dabei bedacht, seine Stimme nicht weinerlich klingen zu lassen, doch merkte er, dass er ihr nichts vormachen konnte.

„Was war in der Hütte los?“, fragte sie scharf nach.

„Nichts!“, blaffte er sie an, wurde aber dann sanfter, als er ihren verletzten Gesichtsausdruck sah.

Was konnte sie dafür. „Entschuldige meine schroffe Art. Es ist zwischen uns nicht so gelaufen, wie es sollte“, fügte er hastig hinzu, fasste sie kurz sanft am Arm.

„Habt ihr euch doch nicht vertragen?“ Sie schien erstaunt darüber.

„Nein.“ Er seufzte, wenn Stefanie nur den wahren Grund wüsste. Jaden war fort. War fort, wegen ihm. Jaden hatte ihn verlassen. Der Schmerz darüber saß tief. Tiefer als er sich jemals eingestehen wollte. Was hatte er angerichtet? Sollte er ihn suchen, sich entschuldigen?

Den Drang, hinauszulaufen und sich an einem Strohhalm zu klammern, ihn wenigstens überall zu suchen, nahm überhand, doch spürte er im Gegenzug: Jaden wollte das nicht. Er wollte ihn nicht mehr sehen und er konnte es ihm nicht einmal verübeln. Für alles, was er ihm an Gemeinheiten gesagt hatte, war diese Reaktion verständlich. „Loch ist Loch!“ Das hatte er ihm an den Kopf geworfen, und eigentlich das Gegenteil gemeint. Warum hatte Jaden den Status ändern müssen?

Warum konnte es nicht zwischen uns so bleiben? Warum bist du nicht mehr in meiner Nähe?

Darian verstand die Welt nicht mehr. Er verstand sich nicht mehr. Ihm fehlte die Nähe zu Jaden jetzt schon immens.

Er atmete tief durch. „Es ist besser so. Wir werden heiraten, mein Bruder hätte so oder so irgendwann ausziehen müssen. Es legt sich wieder, er braucht nur Abstand, das ist alles.“ Glaubte er diesen Mist tatsächlich, was er da von sich gab?

„Wenn du meinst? Er kam mir nur sehr bedrückt vor? Vielleicht ist er bei seiner Freundin?“

„Nein, denn dann hätte dich Susan schon angerufen. Es ist besser so? Für uns alle.“ War es das?

Jaden hatte nie ein Wort darüber verloren oder erwähnt, dass er in ihn verliebt war – und er, er war Jaden ausgewichen, all die Jahre über. Er hatte es die ganze Zeit immer gut unter Kontrolle gehabt, seine Zuneigung geleugnet. Schon beim ersten Aufeinandertreffen hatte er gewusst, dass er mehr für Jaden empfand.

Als seine Mutter noch lebte, wurde er so erzogen, dass die gleichgeschlechtliche Liebe etwas Unrechtes und Perverses war. Daher hatte er sich diese Gefühle gegenüber seinem Bruder verboten, gar unterdrückt. Doch auf der Hütte, da konnte er nicht mehr anders. Jaden war nun mal mehr für ihn, als er sich wirklich eingestehen wollte und konnte. Niemals hatte er geglaubt, dass Jaden so ähnlich fühlen würde – Niemals!

Und jetzt?

Jetzt war er einfach verschwunden, aber wohin, und das ohne Geld? Ohne Geld hatte er keine Chance. Da kam ihm ein Gedanke. Mit einer Vorahnung im Bauch ging er in die Küche überprüfte das Haushaltsgeld und sein Verdacht, dass sein Bruder für immer gegangen war, bestätigte sich. Jaden hatte das ganze Geld an sich genommen – für einen Neustart etwa? Ja, so musste es sein, alles andere hätte keinen Sinn ergeben, denn Jaden war keiner, der ohne Grund jemanden bestehlen würde.

Darian war gefrustet und Stefanie war für seinen Geschmack zu schweigsam. Ahnte sie vielleicht etwas von seinen Gefühlen?

„Warum hat uns Jaden bestohlen?, fragte sie, aber Darian blockte ab.

„Komm“, sagte er schließlich. „Jaden macht einen Neustart, und dazu brauchte er Geld und wir machen auch einen. Wir sagen allen, dass wir bald heiraten wollen.“ Er setzte ein trügerisches Lächeln auf und Stefanie fiel auf seine Scharade herein. „Morgen wird gleich ein Termin dafür angesetzt.“ Dann küsste er sie, worauf sie sich willig in seinen Armen anschmiegte.

„Schön“, meinte sie wenige Minuten später, nachdem Darian sie aus seinen Fängen entließ. Sie nahm beschwingt das Telefon an sich und war binnen weniger Sekunden im Nebenzimmer verschwunden, um die Neuigkeiten all ihren Freunden mitzuteilen, wie auch ihren Eltern. Sie rief auch Susan an, fragte aber nicht nach, ob Jaden vielleicht doch bei ihr war. Stefanie war sich sicher, ihre Freundin hätte gefragt, warum er dann bei ihr mit einem Koffer aufgetaucht wäre. Sie verschwieg ihr jedoch Jadens Verschwinden, wollte sie sich nicht ihre gute Laune verderben lassen. Sie mochte zwar Jaden, doch die Streitereien zwischen ihrem Verlobten und ihm waren in letzter Zeit zu häufig aufgetreten. Vielleicht war es wirklich besser so, dass Jaden einen Neuanfang startete. Ihre Freundin freute sich wie erwartet mit ihr mit und sie plauderten über die bevorstehende Hochzeit.

Darian wollte alleine sein.

An diesem Tag, gegen Abend, hatte Darian Stefanie endlich überzeugen können, zu ihren Freundinnen zu gehen, um die Neuigkeit mit ihnen zu feiern. Anfänglich wollte sie ihn nicht alleine lassen, da sie kein gutes Gefühl dabei hatte. Wirkte er doch recht niedergeschlagen und zum Teil abwesend, wenn sie ihn was fragen wollte. Irgendetwas stimmte hier nicht, dessen war sie sich sicher, doch kam sie nicht dahinter, was es genau war. Auf das Thema Bruder ging er jedoch nicht mehr näher ein, als sie es noch einmal von sich aus anschneiden wollte.

Als Stefanie endlich weg war und Darian nun alleine in der Wohnung stand, überrollte ihn der Schmerz auf grausamste Art und Weise. Er krümmte sich, hielt sich seinen Bauch und schlug leicht mit dem Kopf gegen die Wand.

„Verdammt Jaden, wo bist du nur?“ Natürlich bekam Darian keine Antwort. Die Wohnung blieb totenstill, nur sein eigener Atem war zu hören. Als der erste innere Schmerz weg war, ging er ins Wohnzimmer. Den Kater von gestern vergessen, fiel sein Blick sofort auf die Bar. Er nahm sich zielgerichtet eine volle Flasche Whiskey heraus. Gierig trank er in großen Schlucken und die scharfe Flüssigkeit entfaltete schnell ihre Wirkung. Er betrank sich im Stehen. Irgendwann ließ er die halb volle Flasche fallen, die nun mit einem dumpfen Schlag über den Teppich rollte und die restliche Flüssigkeit in die Auslegeware sickern ließ. Doch davon nahm Darian keine Notiz, auch den Gestank, der einem sofort in die Nase stieg, ignorierte er. Schwankend ging er schließlich in Jadens Zimmer zurück, besah sich noch einmal die Schnipsel, schmiss sie im betrunkenen Zustand weg. Er wollte nicht, dass Stefanie sie in die Hände bekam. Danach legte er sich schwerfällig und wie ein eingerollter Kater in das Bett seines Bruders, atmete noch den schwachen Duft von ihm ein.

„Verzeih mir Jaden – ich konnte nicht anders“, murmelte er immerzu, während die Tränen seine Wangen hinabliefen. Irgendwann, der Alkohol hatte ihn genügend beruhigt und träge werden lassen, schlief er ein. Er bemerkte nicht, dass Stefanie doch früher zurückkam und ihn verwundert und in Sorge betrachtete, als sie ihn nach kurzer Suche im Zimmer seines Bruders vorfand. Sie fragte sich, warum er dort lag, und nicht in ihrem gemeinsamen Bett. Darian selbst bekam die Anwesenheit seiner Verlobten nicht mit, schlief tief und fest und träumte von seinem Bruder.

 

©Randy D. Avies 2012



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Veri
2015-08-25T16:25:12+00:00 25.08.2015 18:25
Omg :(((((
Egal wie seine Gefühle sind, das entschuldigt leider nichts :(
Antwort von:  randydavies
26.08.2015 15:45
Man kann ihm gar nicht verzeihen, stimmts? Ist eine schwierige Situation... mal schauen wie es weiter geht... es sind wieder frische Kapitel hochgeladen! :)
Von: AomaSade
2015-08-25T09:27:52+00:00 25.08.2015 11:27
Hallo randydavies,

ich verfolge deine FF von Anfang an. Mir gefällt dein Schreibstil. Das Thema Geschwisterliebe ist interessant. Es gibt nicht sehr viele Geschichten mit diesem Inhalt. Der größte Unterschied zu anderen Geschichten ist wohl, dass die Charaktere durch ihre Kindheit, Familie und Nähe noch tiefer emotional verbunden sind, sich tiefer verletzen können und darum noch mehr leiden. Du hast den Konflikt zwischen den Brüdern sehr gut herausgearbeitet. Jahrelange unerwiderte Liebe mit so einem Bruch - ich kann Jadens Selbstmordversuch nachvollziehen. Schön ist, dass er endlich sein Glück gefunden hat. Aber hat er mit seinem Bruder richtig abgeschlossen? Überraschend hast du jetzt Darians Sicht dargestellt, nachdem bei Jaden alles richtig läuft. Das finde ich gut, denn seine Gründe und Handlungen lagen bisher im Dunkeln. Und du hast in dieser Hinsicht meinen Wissensdurst gestillt. Denn wer lässt seinen erwachsenen "missratenen" Halbbruder bei sich auf unbestimmte Zeit zusammen mit der eigenen Freundin wohnen? Da sind garantiert Gefühle über die Bruderliebe hinaus involviert. Aber ich glaube immer noch, dass sich beide Brüder treffen müssen, um alles zu klären. Denn Geschwisterliebe erlischt nie, sie wird aufgrund des Missbrauchs vielleicht sehr viel leiser, aber etwas bleibt. So sind wir Menschen gepolt, die Familie ist "heilig". Du bringst mit deiner Geschichte diese möglichen Abgründe in einer Famile ans Licht und das machst du auch sehr gut. Deine Charaktere leben. Das macht deine FF so anziehend.
Vielen Dank, dass du immer drei Kapitel hochlädst. Das ist immer eine schöne Menge Lesestoff auf einmal. Bitte mach weiter so.

Liebe Grüße
AomaSade
Antwort von:  randydavies
25.08.2015 17:37
Hallo AomaSade!
Wow, was für ein toller Kommentar! Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Nein, da hast du wohl recht, wobei ich das nicht weiß, da ich nicht lese, sondern ich schreibe... beides kann ich nicht machen. Fange ich zu lesen an, dann schreibe ich Jahre nicht mehr. Momentan bin ich wieder in einer Schreibphase, wobei diese Geschichte hier schon fertig ist. Ich habe sie damals vor sechs Jahren angefangen zu schreiben und was eigentlich anders von mir angedacht war entwickelte sich zu einer"Bruderliebe" Geschichte. Und du bist da sehr nah am richtigen Weg was deine Vermutun angeht. Mehr verrate ich nicht, denn es ist noch nicht einmal Halbzeit in dieser Geschichte, die insgesamt 48 Kapitel beinhaltet. Ich werde mich bemühen sie sehr schnell hochzuladen. Zumindest wollte ich sie noch vor dem Urlaub hier komplett hochgeladen haben. Ich freue mich dass ich es geschafft habe Charaktere zu erfinden mit denen man sich zwar nicht immer idendifizieren kann aber mit ihnen mitleiden oder mitlachen kann. Das war/ ist für mich immer wichtig. Darum brauche ich auch immer so furchtbar lange bis mal eine Geschichte fertig geschrieben ist.
Dann bin ich gespannt wie du die Geschichte im Ganzen sehen wirst, ob sie für dich stimmig war und so weiter.
Liebe Grüße Randy


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