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Bruderliebe

von

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Mein Herz klopfte wild in meiner Brust. Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Carsten spürte mein Unbehagen und nahm etwas Abstand zu mir, wenn auch nicht viel.

„Wir haben nie richtig darüber gesprochen.“ Er sprach so einfühlsam wie möglich mit mir, doch ich rutschte nervös auf meinem Platz hin und her. „Hab keine Angst. Ich will dir wirklich nur helfen, all dies zu verarbeiten. Vertraue mir!“, sagte er mit erstaunlich weicher Stimme und legte seine linke Hand auf meine rechte Schulter.

Sollte ich mich ihm anvertrauen, konnte ich das überhaupt? Ich haderte mit mir, suchte nach einem Ausweg. Ein Teil von mir wollte sich an ihn schmiegen und ihm alles gestehen, der andere Teil hatte immer noch Angst. Bevor ich allerdings in einen Konflikt geriet, fiel mir ein, warum ich überhaupt Carsten aufgesucht hatte. Vielleicht war es auch nur eine Schutzmauer, die ich schnell aufbaute, als ihm den wirklichen Grund dafür zu nennen, warum ich von der Brücke springen wollte. Zumal ich spürte, dass ich noch nicht darüber sprechen konnte.

Er merkte meinen inneren Zwiespalt, erkannte, dass ich mich ihm nicht öffnen würde, denn ein Schatten huschte über sein Gesicht.

Ich rückte ein wenig von ihm ab, schüttelte sogar seine Hand etwas ruppig von der Schulter, was nicht ganz meine Absicht war, aber da war es schon zu spät. Carsten missverstand meine ablehnende Körperhaltung komplett und stand auf. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Ein schlechtes Gewissen kam in mir hoch. Das wollte ich nicht! Ich wollte Carsten nicht enttäuschen und kam mir in dem Moment mies vor.

„Warte!“, sagte ich schnell und unterdrückte ein Zittern in der Stimme. Der Alkohol war wie weggeblasen und ich kam mir vollkommen nüchtern vor. „Kann ich dich zuerst etwas fragen? Und setz dich bitte. Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass ...“ Ich brach ab und schaute zu ihm auf. Carsten setzte sich tatsächlich wieder und wartete geduldig wie immer. Die Frage: Wie es mit mir weitergehen wird und ob ich noch bleiben kann?, verschwand in meinem Kopf und etwas anderes machte sich ganz automatisch breit. „Seit wann weißt du, dass du schwul bist?“ Bevor ich überhaupt drüber nachdachte, was ich da machte, war mein Herz schneller gewesen als mein Verstand. Ich wurde nervös, biss mir auf die untere Lippe. Verflucht, warum brachte ich nicht einmal etwas Richtiges zustande?

„Ach, das wolltest du fragen? Nun, ich weiß es erst seit fünf Jahren. Wie ich dir schon erzählte, hatte ich geheiratet und die Ehe lief ganz gut, aber irgendwie fehlte mir was. Meine Frau wollte zudem Kinder.“

„Hattest du nicht in deiner Kindheit was gemerkt?“ Ich war sichtlich irritiert über diese Aussage. Denn eigentlich hatte ich immer gedacht, dass man das sofort an sich merkte, spätestens in der Pubertät sollte es klar sein.

„Nein, du etwa?“ Er überraschte mich, wirkte er auf mich jetzt doch erstaunt darüber.

Ich nickte nur als Antwort. Carsten gab sich vorerst zufrieden, holte ein Bier für sich und mich, doch ich winkte ab, ich hatte genug. Dann setzte er sich wieder zu mir und erzählte locker über sich. Neidisch hörte ich jedes seiner Worte von seiner Kindheit bis zu seinem jetzigen Leben.

„… Irgendwann, ein Freund von mir schmiss eine Party, meine Frau hatte Migräne und blieb zu Hause. Ich war also allein auf dieser Party. Und da war er, ein Mann, der mich immer nur anstarrte.“ Er trank etwas hastig einen Schluck, sodass ein wenig Bier an seinem Kinn herunterlief. Schnell wischte er es weg, wirkte ein wenig unruhig. Das erste Mal, seit ich ihn kannte, dass er sich nicht ganz unter Kontrolle hatte. Etwas hatte ich in ihm wach gerufen. Etwas, dass genauso in ihm schlummerte, wie in mir. Ich wurde lockerer, legte meine Beine auf die Couch zog sie zu mir ran und verharrte in der gemütlichen Position.

„Es hat dich bestimmt nicht nur ein Mann angestarrt. Ich denke, einige Männer werden dich bis jetzt in deinem Leben angestarrt haben. Du siehst nicht schlecht aus mit deinen 41 Jahren.“ Ich senkte beschämt den Kopf. Bis jetzt hatte ich noch nie jemandem ein Kompliment gemacht.

„Du findest mich attraktiv?“, fragte er, ließ seine Stimme beiläufig langweilig erscheinen, doch merkte ich selbst seine Unsicherheit darin.

„I-Ich wollte sagen … ähm, du weißt schon.“ Meine Atmung ging etwas hektisch, mein Puls raste. Was war nur mit mir los, noch vor wenigen Tagen wollte ich mir das Leben nehmen, um Darian endlich vergessen zu können und jetzt? Jetzt fand ich auf einmal diesen Mann richtig interessant.

„Danke!“ Er fixierte mich mit seinem Blick und ich errötete, blieb aber stumm. Mein Kopf arbeitete auf Hochtouren, während er mich weiterhin ansah. Mir wurde ziemlich warm. Und ein Gefühl im Magen, das ich schon lange nicht mehr hatte, kam auf – Schmetterlinge.

„Wo waren wir stehen geblieben?“, fing Carsten nach einer Weile an. Er wollte die peinliche Stille überbrücken, die sich zwischen uns eingeschlichen hatte.

„Du hast von diesem Mann auf der Party, der dich anstarrte, gesprochen.“ Wie ich meine Stimme fand, war mir schleierhaft, aber mich interessierte Carstens Leben immer mehr. Ich wollte seine ganze Lebensgeschichte erfahren inklusive seinem Outing. Mein Hemd klebte mir am Rücken. Warum war mir nur so heiß?

Carsten nickte, ließ mich jedoch keine Sekunde mehr aus den Augen, während er mir seine ganze Geschichte erzählte. Und so berichtete er mir, wie er verführt wurde und er an nichts mehr anderes als an den Mann denken konnte, mit dem er sein erstes Mal verbrachte. Dass Carsten so viel von sich preisgab, schmeichelte mir. So viel Vertrauen einem entgegen zu bringen war für mich auch ein neues Gefühl. Eine Frage lag mir noch auf der Zunge. Und ich hoffte, ich hörte die richtige Antwort, wünschte mir, dass er keinen festen Freund hatte.

„Seid ihr noch zusammen? Ich habe noch nicht …“ Ich brach ab, wurde nervös und rutschte mit meinen Füßen runter von der Couch, setzte mich anständig hin und legte meine inzwischen rastlosen Finger in den Schoß.

Wie kann ich nur so etwas Intimes fragen?, schalt es in meinem Kopf.

„Nein, ich bin Single“, sagte Carsten und ich konnte nur lächeln. Es überkam mich einfach so. Warum freute mich das? Freute mich, dass er noch zu haben war. Hatte ich mich etwa in ihn verliebt?

„Und du?“, fragte er jetzt, seine Stimme klang dabei anders, fast ängstlich.

Ich schüttelte leicht mit dem Kopf, errötete abermals. „Nein, da gibt’s … keinen mehr.“

„Gab es denn einen?“ Jetzt kamen wir an einen Punkt, wo ich über meinen Bruder reden müsste. Doch die Mauer blieb bestehen. Ich wollte, doch konnte ich nicht, auch wenn es der beste Zeitpunkt wäre. Ich wendete das Gespräch in eine andere Richtung ab, kam auf den Punkt, über den ich eigentlich, bevor wir den Film angesehen hatten, mit ihm reden wollte.

„Ich muss mir einen Job suchen, ich habe kein Geld mehr.“ Das war es doch, warum ich hier war, oder nicht?

„Das ist das kleinste Problem, aber du hast gekonnt das Thema gewechselt.“

Konnte es sein oder war er wirklich enttäuscht? Ich sah Carsten an, las in seiner Mimik. Ja, er war enttäuscht, denn unmerklich hatte sich sein Gesicht verfinstert und er sah ernst aus. Das schlechte Gewissen plagte mich.

„Irgendwann erzähle ich dir, warum ich mich umbringen wollte, nur nicht heute, bitte!“, versuchte ich mich halbwegs zu entschuldigen.

Er nickte. „Ich habe dafür Verständnis, ich dachte nur, weil ich so viel von mir erzählte … und wir so locker miteinander umgehen, dass …“ Er räusperte sich. „Du brauchst Zeit, die bekommst du. Und das mit der Miete … das übernehme ich weiterhin, bis du einen neuen Job hast. Was schwebt dir denn vor?“ Er hatte mich am Arm gedrückt, wollte mir damit signalisieren, dass ich keinen Fehler gemacht hatte. Dankbar darüber brachte ich ein kleines Lächeln hervor. Doch dann wurde mir wieder einmal bewusst, wie wenig ich doch aus meinem Leben gemacht hatte.

„Ich habe nichts gelernt. Bis jetzt schlug ich mich mit Gelegenheitsjobs herum. Keine Ahnung.“ Ich schämte mich. Er war so gebildet – wie Darian und ich ein Versager.

„Es ist niemals zu spät, von vorne anzufangen. Niemals.“ Carsten war ein Stück näher gerutscht. Er spürte, wie ich es zuließ, mich nicht sträubte, im Gegenteil. Dann kam er noch ein wenig näher und ich verlor mich in seinen Augen, während mein Herz laut und schnell in der Brust pochte. Carsten rutschte so langsam zu mir, bis sich unsere Nasenspitzen berührten. Die ganze Zeit über war ich nicht zurückgewichen, keinen Millimeter. Meine Augen wanderten runter zu seinen Lippen, die nicht üppig waren, doch unheimlich einladend aussahen. Ich roch sein teures Aftershave, gewürzt mit dem über den Tag angesammelten Körperschweiß. Er roch so gut. Mir wurde richtig schwindelig.

„Darf ich dich küssen, Jaden?“, fragte er mich rau.

Ich nickte leicht, was für ihn völlig ausreichte. Er legte seinen Kopf etwas schräg und seine Augen brannten direkt auf meinen bebenden Lippen. Bevor ich darüber grübelte, was wir hier überhaupt taten, küsste er mich sanft, fast schon jungfräulich auf die Lippen. Unsere Münder öffneten sich fast gleichzeitig und unsere Zungen trafen sich auf halbem Wege. Der leichte Biergeschmack, den wir beide hatten, störte mich nicht im geringsten, ganz im Gegenteil. Ich ertrank regelrecht in meinen Emotionen.

Mittlerweile lag ich in seinen starken Armen und um mich herum drehte sich alles. Jedoch viel zu schnell wurde der Kuss beendet und ich war im Rausch, im Taumel. Es war mein erster richtiger Kuss seit Langem überhaupt. Schnell wurde mir bewusst, so einen hätte ich mir immer von Darian gewünscht.

„Ich bin froh, dass ich dich vorher gefunden habe.“ Carstens Stimme bebte vor Erregung.

„Ich bin froh, dass du mich gerettet hast.“ Das war ich und wie.

Sein Atem streifte meine Wange. „Ich auch, oh Gott, du weißt nicht, wie froh ich darüber bin.“ Dann legte er fordernd seinen Mund auf meine Lippen und unsere Zungen vereinigten sich erneut.

 

 

 

©Randy D. Avies 2012 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Veri
2015-08-22T09:05:19+00:00 22.08.2015 11:05
Kawaiiiiiii \(//∇//)\
Omg wie schön (((o(*゚▽゚*)o)))
Antwort von:  randydavies
22.08.2015 16:30
Ja, ich mag Carsten... den mag ich wirklich! *seufz* ganz mein Alter! :D


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