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Tokyo Bay

Neustart
von

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Kapitel 9
 

Nervös tippten Harukas Finger auf ihrem Biologiebuch herum. Wie sie erwartet hatte, tauchte Michiru erst nach Herrn Katsuki auf, als dieser schon seine Stunde eröffnen wollte. Leise flüsterte die Blondine zu ihrer Sitznachbarin: „Was ist los? Habe ich etwas falsch gemacht?“ Doch sie bekam keine Antwort. Etwas energischer sprach sie weiter: „Michiru, bitte rede mit mir! Ich verstehe das nicht!“ „Tenoh-san! Wenn sie nichts zum Unterrichtsgeschehen beitragen können, sollten sie lieber schweigen!“ „Jawohl, Katsuki-sensei.“, gab die Blondine von sich und sah betrübt zur Tafel auf.

Nachdem es zur Pause geklingelt hatte, wollte die Violinistin wieder davon stürmen, aber Haruka versperrte ihr den Weg. „Michiru, ich weiß nicht, was los ist, aber es tut mir leid! Egal, was ich getan habe, ich wollte dich nicht verletzten! Bitte sag mir, was los ist! Ich ertrage es nicht, wenn du mich so kalt ignorierst. Liegt es an dem Kuss? Ich wollte dir damit nicht zu nahe treten. Es tut mir ehrlich leid!“ Die Künstlerin sah schweigend auf und betrachtete das enttäuschte Gesicht der Pianistin. >Der Kuss?< Michiru merkte, wie sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Sie sah wieder von der Blondine ab und eilte in den Korridor. Ihre Gedanken rasten. Fast hätte sie sich wieder von diesen strahlendgrünen Augen fesseln lassen. Ob es Kikyo auch so ergangen war? Ob auch sie sich in Harukas Augen verloren hatte? Und Sarah? Offenbar hatte sie recht. Der Kuss tat der Leichtathletin leid. Also kann sie es nicht ernst mit ihr gemeint haben. Hatte sie noch andere Frauen in den letzten Wochen getroffen und geküsst? Immerhin wusste Michiru nicht sehr viel über die außerschulischen Beschäftigungen der Läuferin. Wie oft kam sie übermüdet zur Schule? Wie oft hatte sie gesagt, sie wäre noch lange unterwegs gewesen? Ohne weitere Erläuterungen… Hatte sie wirklich trainiert oder war sie tatsächlich nur in der Gegend herum gefahren? War es nicht viel wahrscheinlicher, dass sich die attraktive, junge Athletin mit anderen Frauen getroffen und vergnügt hatte? Haruka machte nicht gerade einen unschuldigen Eindruck… Ihre Komplimente kamen immer so gezielt, so geschickt formuliert… Wie oft hatte sie in den letzten Wochen anderen Frauen gesagt, wie schön sie waren? Und wie vielen Frauen hatte sie überhaupt solche Komplimente gemacht? Diese zärtlichen und liebevollen Worte… Waren sie nur einstudiert? ‚Engel‘… Wie viele Frauen hatte die Rennfahrerin schon als ‚Engel‘ bezeichnet? Eine Träne rollte ihr übers Gesicht, als sich die Musikerin wieder auf ihrer Treppe zum Kunstflur niederließ.
 

Rastlos wanderte Haruka über den Schulhof. Die türkishaarige Schönheit zu finden, versuchte sie nicht mehr. Sie lief nur aufgebracht und ziellos über den Platz, um sich dann frühzeitig in den Matheraum zu begeben. Dort legte sie ihre Sachen auf ihrem Tisch ab und starrte dann aus dem Fenster. „Schlechter Tag, was?“, ertönte plötzlich eine Jungenstimme hinter ihr. Sie drehte sich um und entdeckte einen schmächtigen, brünetten Schüler in der hintersten Reihe. „Kusaka Katashi.“, stellte sich der Junge auf den fragenden Blick der Blondine hin vor. „Tenoh Haruka.“ „Ja, ich weiß. Wer könnte es nicht wissen?“, schmunzelte er. „Wieso bist du jetzt schon hier? Ich meine, allein. Lange, bevor die Pause um ist. Wo ist Kaioh-san? Ich dachte, ihr wärt zusammen?“, fragte er neugierig, woraufhin die Sportlerin wieder betrübt aus dem Fenster sah. „Nein. Das sind wir nicht. Und offenbar hat Michiru genug von mir.“ „Was ist passiert?“ Haruka schrak zusammen. Katashi hatte sich so leise an sie heran geschlichen, dass ihr sein Spiegelbild in der Fensterscheibe gar nicht aufgefallen war. „Wenn ich das nur wüsste. Seit gestern ist sie so abweisend… Ich weiß nicht, was los ist. Mir tut es nur leid. Egal, was ich getan habe. Sie bedeutet mir wirklich viel…“ Flüchtig sah sie in das Gesicht ihres Klassenkameraden. Wieso erzählte sie ihm das eigentlich? Sie war doch Fremden gegenüber sonst nicht so offen. „Das sieht man dir an.“, gestand der Junge und blickte ihr besorgt in ihr Gesicht. Nachdenklich starrte Haruka ihn an. Diese gütigen, ruhigen, braunen Augen kamen ihr bekannt vor… Lächelnd stellte sie fest, dass Katashi ihrem alten Teamkameraden Sanji sehr ähnelte. „Was?“, fragte er verwirrt. „Ach, nichts. Du erinnerst mich nur an einen Freund aus Nagoya.“ Wieder sah sie aus dem Fenster. „Dann sollte ich mich geschmeichelt fühlen, oder?“, grinste er nach einem Moment des Schweigens. Fragend hob die Rennfahrerin die Augenbrauen „Naja, ich habe gehört, der große Nachwuchsstar des Rennsports, Touma Haruka, schließt nicht mit jedem Freundschaft.“ Verblüfft fuhr die Blondine herum. „Woher weißt du, wer ich bin?“ „Für wie unaufmerksam hältst du mich denn? Ich kenne dich aus etlichen Sportzeitschriften. Zugegeben, ich war etwas skeptisch, als du dich unter einem anderen Namen vorgestellt hast, aber spätestens, als ich dich auf deiner Yamaha gesehen habe, war für mich klar, dass du aus dem Rennsport kommst. Und seinen Nachnamen kann schließlich jeder ändern lassen, oder nicht?“ Resignierend begann die Sportlerin zu lächeln. „Ich gratuliere. Bis jetzt bin ich hier noch niemandem so aufgefallen. Du interessierst dich also für den Motorsport?“, forschte sie nach und vergaß für den Rest der Pause fast ihre Sorgen um die schöne Künstlerin. Erst als Michiru kurz vor Stundenbeginn den Raum betrat, brach Haruka das Gespräch mit ihrem neuen Freund ab. Besorgt seufzend beobachtete sie die Streicherin und begab sich nach einem „Das wird schon wieder.“ seitens Katashi an ihren Platz.

Als Michiru das Klassenzimmer erreicht hatte, ließ sie unauffällig ihren Blick wandern. Etwas überrascht stellte sie fest, dass Kikyo und Junko bereits an ihren Plätzen saßen und Haruka mit dem wohl unscheinbarsten Schüler der ganzen Klasse weiter abseits erzählte. Langsam setzte sie sich an ihren Tisch und beobachtete die Blondine aus den Augenwinkeln heraus.

In den kurzen Pausen zwischen den Stunden tat die Violinistin so, als würde sie wissbegierig etwas nachschlagen, woraufhin Haruka wieder zu dem brünetten Jungen ging und sich mit ihm unterhielt. Was war jetzt los? Hatte sie das Interesse an der Klassensprecherin verloren? Nach der fünften Stunde packte Michiru ihre Sachen zusammen und verließ den Raum, um sich hinter der nächsten Ecke des Korridors zu verstecken. Neugierig lugte sie hervor und beobachtete, wie die Leichtathletin mit Katashi aus dem Klassenzimmer kam und in Richtung des Schulhofes verschwand. Kikyo und Junko waren erst später zu sehen und schienen den Weg zur Cafeteria einzuschlagen. Hatte sie sich doch geirrt? Am liebsten wäre sie in die nächste Schwimmhalle gefahren, um ihre Gedanken fort zu spülen. Im Wasser konnte sie immer ihre Sorgen vergessen und all ihre Probleme ordneten sich von selbst, um sich danach manchmal sogar aufzulösen. Nachdenklich wanderte die Geigerin zu ihrem nächsten Unterrichtsraum. In den nächsten beiden Stunden stand Psychologie auf ihrem Plan, also würde sie Haruka erst morgen wiedersehen.

Ungeduldig wartete sie auf den Unterrichtsschluss. Als es endlich zum Ende der Doppelstunde klingelte, packte Michiru ihre Sachen in ihre Tasche und rannte förmlich auf den Schulhof. Unauffällig sah sie sich um und stellte fest, dass das Harukas Motorrad schon verschwunden war, also stellte sie sich auf den Parkplatz und wartete. Einige Minuten vergingen, bis endlich ein roter Alfa Romeo in der Einfahrt erschien und neben ihr zum Stehen kam. Mit einem breiten Lächeln stieg ein schwarzhaariger, blauäugiger junger Mann aus und begrüßte seine kleine Schwester, die auf ihn zu lief, um ihn zu umarmen. „Hallo, Mamo-chan! Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen!“, strahlte die Schülerin. „So stürmisch hast du mich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr empfangen! Ist alles in Ordnung, Michi?“ Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Lass uns erst mal von hier verschwinden. Im Moment bin ich nur froh, dass die Schule für heute vorbei ist.“, lächelte sie und stieg ins Auto. Verdutzt sah ihr Mamoru nach und setzte sich schließlich wieder hinters Steuer.

Nachdem Michiru ein Magenknurren nicht unterdrücken konnte, schlug er vor, sie zum Mittagessen einzuladen, was der Künstlerin nach der Mittagspause ohne ihr Essen gerade recht kam.

In einem um diese Uhrzeit ruhigen Restaurant bestellten sie Tee und ein Nudelgericht für Michiru, sowie einen Eisbecher für Mamoru. „Also. Was gibt´s Neues?“, wollte der Schwarzhaarige wissen. „Naja, Hotaru geht es gut… Sie fragt mich fast jeden Tag, ob wir nicht zusammen spielen könnten. Ich frage mich, wo ihr Talent her kommt.“, schmunzelte die Streicherin. „Setsuna geht es wie immer und Papa siehst du beim Verlag ja fast noch häufiger als ich ihn zuhause…“ „Eigentlich wollte ich wissen, was es bei dir Neues gibt.“, stellte Mamoru klar und sah seine Schwester, die seinem Blick auszuweichen schien, durchdringend an. „Was soll schon sein? Alles wie immer.“ Michiru fand die Tasche, die an dem Stuhl eines Gastes am Nachbartisch hing, viel zu interessant, weshalb ihr Bruder wissend lächelte. „Vater sagte, du wärst in letzter Zeit auffallend gut drauf.“, sagte er, währenddessen er dankend den soeben gebrachten Tee entgegen nahm. „Erzählst du mir, warum das so ist? Ich würde mich gerne mit dir freuen.“ Betrübt sah die Künstlerin jetzt auf ihr Teeglas. „Das muss er dir wohl letzte Woche erzählt haben, oder? Seit Samstagabend ist das nämlich nicht mehr der Fall.“, murmelte sie. Der Blick des jungen Verlegers änderte sich. „Michi, auch wenn ich nicht mehr bei euch wohne, kannst du jeder Zeit zu mir kommen, wenn du jemanden zum reden brauchst, das weißt du doch, oder?“ Die Violinistin seufzte leise und sah ihrem Bruder dann in die Augen. „Ok, also… Es gibt da eine neue Schülerin in meiner Klasse, Haruka. Und ich glaube, ich habe mich ein wenig in sie verguckt…“, gab sie leise von sich. Zu Mamoru hatte sie so viel Vertrauen, wie zu keinem anderen Menschen. Egal worum es ging, ihm konnte sie wirklich alles anvertrauen. Deshalb versuchte Michiru gar nicht erst, um irgendwelche Details drum herum zu reden. „Aber das ist doch ein Grund zur Freude, oder nicht?“, überlegte er vorsichtig. „Ja, eigentlich schon. Bis Freitag war ja auch alles in bester Ordnung. Aber ich glaube, sie… hat nicht so viel Interesse an mir, wie ich an ihr.“, fuhr die Schülerin fort. Nach einem Moment der Stille sah sie in das fragende Gesicht ihres Bruders auf. „Sie hat anscheinend eine andere. Denke ich zumindest…“, erklärte sie und seufzte erneut, bevor sie weiter sprach: „Wir waren am Freitag in einem Café und ich glaube, da haben wir eine Ex-Freundin oder so getroffen. Jedenfalls war sie so komisch Haruka gegenüber. Und sie hat mich so abwertend angesehen… Und am Samstag habe ich Haruka gesehen, wie sie mit Kikyo-san, unserer Klassensprecherin, unterwegs war. Kannst du dir das vorstellen? Sie ist noch nicht mal einen Monat hier in Tokio und macht sich gleich an drei Frauen ran. Und ich bin auch noch so blöd und verliebe mich gleich in sie.“ Beschämt stützte sie ihre Stirn an ihrer Handfläche ab.

Nach einer kleinen Denkpause holte Mamoru tief Luft. „Weißt du denn, dass es eine Ex-Freundin war? Und wenn sie erst seit ein paar Wochen hier lebt, hat sie sich von Kikyo-san vielleicht nur die Stadt zeigen lassen, meinst du nicht? Ich kenne sie ja nicht, aber wenn sich meine kleine Schwester zum ersten Mal überhaupt verliebt, kann sie kein allzu schlechter Mensch sein, oder?

Erzähl doch mal was über sie. Wie hat sie es geschafft, ausgerechnet dir den Kopf zu verdrehen?“ Langsam begann Michiru zu reden. Sie ließ nichts aus, nicht das Kribbeln bei ihrer ersten Begegnung mit der Pianistin, nicht die Umarmung nach dem Streit mit Hiro und nicht die Motorradfahrt zur Schwimmhalle. Schließlich berichtete sie von dem gemeinsamen Freitagnachmittag und träumte nur noch abwesend vor sich hin. Still lächelte ihr Mamoru zu und ließ sie in ihren Gedanken, bis der Kellner mit ihrem Essen und seinem Eisbecher kam.

„Also ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich nicht für dich interessiert.“, meinte er, als die Violinistin offenbar wieder in die Realität gefunden hatte. „Ich bin mir nicht sicher, was die Sache mit dieser Amerikanerin zu bedeuten hat, aber ich glaube nicht, dass Haruka etwas von Kikyo-san will. Michi, du hast endlich jemanden gefunden, der dir etwas bedeutet. Und es hört sich für mich danach an, als würdest du auch ihr etwas bedeuten! Ich weiß nicht, ob sie in dir nur ihren Schützling sieht, oder vielleicht doch mehr. Aber tu mir bitte den Gefallen und gib nicht einfach auf! Sprich mit ihr! Hör dir an, was sie zu sagen hat und vielleicht ist das alles nur ein dummes Missverständnis.“ Sein Blick duldete keine Widerrede „Okay.“, nickte Michiru langsam. „Ich rede morgen mit ihr.“

Nachdem sie einen Moment lang abwesend auf das Eis ihres Gegenübers gestarrt hatte, trat plötzlich ein Grinsen in ihr Gesicht. „Schokoeis mit Sahne, Schokosoße und Schokosplitter. Das kann nicht gesund sein, Mamo-chan.“ „Natürlich ist es das! Schokolade macht glücklich und glücklich macht gesund.“
 

Egal, wie schnell sie auch fuhr, der Wind schaffte es nicht, Harukas Gedanken zu ordnen. Nach Stunden des Umherirrens gab sie schließlich auf und machte sich auf den Weg zurück zum Hotel. Unkonzentriert versuchte sie ihre Hausaufgaben zu erledigen. Schließlich legte sie sich mit rasenden Kopfschmerzen ins Bett. Erst spät in der Nacht fand die Blondine endlich in einen unruhigen Schlaf und so fühlte sie sich am nächsten Morgen ganz und gar nicht fit. Stöhnend schleppte sie sich ins Bad und anschließend zum Bäcker, um sich ein Brötchen für die Fahrt zur Schule zu kaufen. Sie war spät dran, also hievte sie sich direkt ins Klassenzimmer und setzte sich neben die bereits anwesende Michiru. Schweigend warteten sie darauf, dass Frau Ogata endlich die Stunde eröffnete. Als es zum Stundenwechsel klingelte, nahm die Geigerin ihre Tasche und erreichte zügig den Korridor, wo sie plötzlich stehen blieb. Mit gesenktem Blick drehte sie sich um und lehnte sich gegen die Wand. Nach etlichen Schülern erschienen schließlich Haruka und Katashi in der Tür. Schweigend sah die Violinistin die Blondine an, woraufhin Katashi dieser einen aufmunternden Klaps auf die Schulter gab und mit den Worten „Ich geh schon mal vor.“ verschwand.

„Guten Morgen.“, sagte die Pianistin leise und setzte sich langsam in Bewegung. Erst wenige Meter vor dem Chemieraum fand Michiru ihre Stimme wieder. „Wenn du nichts anderes geplant hast, würde ich in der Pause gerne mit dir über etwas reden.“, sprach sie leise und setzte sich schnell an ihren Platz, ohne auf die Antwort der Sportlerin zu warten. Mit einem mulmigen Gefühl setzte sich auch die Leichtathletin.

Auffallend langsam packte Michiru ihre Unterlagen zusammen, sodass Haruka bereits vor der Tür auf sie wartete. Als letzte verließ die Malerin den Raum und starrte verlegen auf den Boden vor ihrer Mitschülerin, die sie betrübt ansah. Nach einer gefühlten Ewigkeit seufzte die Blondine und schlug ihrem Schützling vor, ihr Gespräch an der frischen Luft zu führen. Schweigend liefen sie zu dem ruhigsten und entlegensten Platz des Schulhofes, wo sich die beiden Schülerinnen auf ihre Bank setzten. Wieder vergingen Minuten, bis Haruka die Stille durchbrach. „Michiru, ich weiß nicht, was ich getan habe. Ich kann nur immer wieder sagen, dass es mir leid tut, sollte ich dich irgendwie verletzt haben. Aber bitte hilf mir, dich zu verstehen!“ Sie wandte sich ihrem Engel zu und versuchte ihren Blick zu treffen. „Ich bin am Verzweifeln. Ich dachte, Freitagnachmittag hätte dir genauso viel bedeutet, wie mir. Ich wollte dir mit meinem Abschiedskuss nicht zu nahe treten. Bitte vergib mir.“, flehte sie und die Violinistin sah endlich auf. „Das ist es nicht. Ich… habe dich am Wochenende mit Kikyo-san gesehen.“, sprach sie endlich. Nachdenklich legte die Blondine ihre Stirn in Falten. Nachdem sie tief Luft geholt hatte, redete Michiru schließlich weiter: „Was ist da zwischen euch? Ich meine, ich dachte… Ich dachte, ich wäre dir wichtig. Und da treffen wir erst eine offensichtliche Ex-Freundin von dir, die du noch nicht länger als zwei Wochen kennen kannst und gleich am nächsten Tag sehe ich dich mit der Nächsten. Ich dachte nur,… ich kenne dich… Aber im Prinzip bist du nicht anders als Kawashima. Schmeißt dich an jede attraktive Frau, die dir über den Weg läuft und nutzt es aus, wenn sie deiner charmanten Art und deinen grünen Augen verfallen…“ Wieder sah die Künstlerin von Haruka ab. >Tenoh, du bist so ein Idiot! Ich wusste, das mit Sarah war ein Fehler.< Die Leichtathletin stand auf. Langsam stellte sie sich ihrem Engel gegenüber und kniete sich direkt vor ihr auf den Boden. Vorsichtig nahm sie die Hände ihres Schützling in ihre eigenen und sah ihr in die niedergeschlagenen Augen. „Es tut mir leid, dass ich dich nicht gleich richtig aufgeklärt habe. Ich sagte ja bereits, dass Sarah zur Zeit im gleichen Hotel wie ich untergebracht ist, aber ich habe dir verschwiegen, dass ich sie an der Hotelbar kennen gelernt habe. Wir haben zusammen Wein getrunken und ganz sicher hatte sie noch die Absicht, mich auf mein Zimmer zu begleiten. Aber das hat sie nicht! Ich habe sie abgewiesen, ganz ehrlich! Ich gebe zu, ich habe mit ihr geflirtet und in Nagoya hätte ich sie auch mit genommen, aber als ich an dich gedacht habe, taten mir meine Gedanken leid! Also habe ich die Rechnung bezahlt und bin gegangen. Allein. Als sie uns am Freitag gesehen hat, war sie wohl eingeschnappt und hat vermutlich angenommen, ich wäre mit dir zusammen und hätte sie wegen dir versetzt – was ich im Prinzip ja auch getan habe – und ich denke, deshalb hat sie dich auch so abwertend angesehen. Am liebsten hätte ich ihr diesen abfälligen Blick ausgetrieben, aber ich habe befürchtet, dann würdest du von dem Abend an der Hotelbar erfahren und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, weil du mir nicht glauben würdest.

Es lief nichts zwischen uns. Das verspreche ich dir! Sie hat mir überhaupt nichts bedeutet! Es war nur der Wein, der mich überhaupt dazu gebracht hatte, mit ihr zu sprechen.“ Nachdenklich sah Michiru in die Augen ihres Gegenübers. „Und was ist mit Kikyo-san?“ Lächelnd seufzte die Blondine. „Mit ihr ist überhaupt nichts. Sie ist einfach eine Freundin. Nicht mehr und nicht weniger. Sie und Junko-san waren die ersten, die auf mich zu kamen. Und sie haben mich darin unterstützt, Kawashima die Stirn zu bieten. Eigentlich wollten sich die beiden mit mir am Wochenende treffen, aber da Junko-san keine Zeit hatte, habe ich Kikyo-san eben abgeholt und war mit ihr allein unterwegs. Du kannst mir glauben, dass mir dieser eine Nachmittag mit ihr nicht annähernd so viel bedeutet hat, wie jede einzelne Sekunde mit dir.“

Nach einem langen Moment des Schweigens trat schließlich ein Lächeln auf Michirus Gesicht. „Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mich so aufgeregt hat.“, gestand sie leise und eine Träne rann ihr über ihre Wange. Erleichtert stand Haruka auf und zog Michiru in eine Umarmung. „Mir tut es leid. Ich hätte dir nichts verheimlichen sollen.“, flüsterte sie in die gewellte, türkisfarbene Mähne ihres Schützlings.

„Du findest mich also charmant?“, grinste die Blondine frech am Pausenende auf dem Weg zum Geschichtsraum, woraufhin sie leicht von der jüngeren Schülerin in die Seite geboxt wurde. „Ich sagte, die anderen verfallen deiner charmanten Art. Von mir habe ich nichts gesagt.“, schmunzelte die Violinistin und begegnete plötzlich Kikyos besorgtem Blick, als sie das Klassenzimmer betraten. Eine leichte Röte legte sich auf ihre Wangen. Verlegen sah sie auf den Boden und zog Haruka hinter sich her zu ihrem Patz. Verwundert schaute sich die Rennfahrerin um und erkannte schließlich die Klassensprecherin. Grinsend zwinkerte sie ihr zu, woraufhin sich die Brünette erleichtert von ihr abwandte und ihrer besten Freundin etwas zu tuschelte.

In der Mittagspause schlenderten Haruka und Michiru in die Cafeteria, wo sie Katashi allein an einem abseitsgelegenen Tisch erkannten. Nachdem sie sich ihr Essen geholt hatten, setzten sie sich zu ihm und ernteten einen überraschten aber erleichterten Blick. „Wie ich sehe, ist zwischen euch alles wieder in Ordnung?!“, grinste er breit und reichte der Künstlerin daraufhin die Hand. „Kusaka Katashi.“ „Ich weiß. Immerhin gehen wir seit Jahren in dieselbe Klasse.“, zwinkerte sie. „Das schon. Ich war mir aber nicht sicher, ob du mich überhaupt kennst. Schließlich gehe ich davon aus, dass Hara-san und Kawashima auch nicht wissen, wer ich bin.“ „Die beiden sind auch sehr oberflächlich und nicht wirklich aufmerksam, wenn es nicht gerade um Geld geht.“, bemerkte die Violinistin und begann ihren Salat zu zerpflücken. Ohne zu fragen nahm ihr Haruka die lästigen Pilze ab und sortierte dafür die Sojabohnen aus ihrem eigenen Gemüse, um sie der Jüngeren zu geben. Schmunzelnd beobachtete Katashi den Tausch. „Ihr versteht euch ja blendend.“, erwähnte er unschuldig, weshalb sich auf den Wangen der Schülerinnen eine leichte Röte bildete und sie sich verlegen ihrem Essen widmeten.

Nach der letzten Unterrichtsstunde schlenderten Haruka und Michiru als letzte aus dem Raum und wanderten langsam nach draußen. Ein starker Regen hatte eingesetzt, also holte die begabte Künstlerin einen Schirm aus ihrem Spint und hakte sich auf dem Weg zum Parkplatz bei der Blondine ein. „Bei dem Wetter willst du doch nicht allen Ernstes mit dem Motorrad fahren?!“, stellte sie fest, als sie die Maschine erreicht hatten. „Warum denn nicht?“, zuckte die Blondine mit den Schultern und streckte ihren freien Arm unter dem Schirm hervor. „Ich bin schon bei schlechterem Wetter gefahren. Willst du mitkommen?“ Die Violinistin schüttelte energisch den Kopf. „Nein danke, ich bevorzuge den Bus. Das Wasser ist zwar mein Element, aber nur, wenn es nicht von oben kommt.“ Zügig nahm sie der Leichtathletin den Schirm ab, als sie feststellte, dass sie sich immer noch an ihrer Mitschülerin festhielt. „Hey! Wie unhöflich…“, beschwerte sich die Blondine, als sie plötzlich im Regen stand und machte noch einen Schritt auf Michiru zu. „Entschuldige bitte. Aber ich dachte, dir macht das Wetter nichts aus?!“, schmunzelte die Künstlerin und sah unschuldig in die Augen ihres Gegenübers. >Dieser Blick…< Haruka konnte ihrem Engel nichts entgegen bringen. Viel zu sehr wurde sie von dem strahlenden Türkis gefesselt, das sich bei genauerem Hinsehen in verschiedene tiefe Blau- und Grüntöne aufspaltete. Langsam hob sie ihre Hand, um der Künstlerin sanft über ihre Wange zu streichen. Verloren in den grünen Augen der Pianistin schmiegte sich die Violinistin der liebevollen Berührung entgegen. Schließlich gab sie ihrem Verlangen nach und ließ sich in die Arme der Blondine fallen. Sofort umklammerte die Leichtathletin ihren Schützling und legte ihre Wange auf deren Scheitel ab. „Es tut mir leid, dass ich dich in den letzten Tagen so kalt ignoriert habe.“, entschuldigte sich die Schönheit. Sie merkte, wie sie Haruka noch enger an ihren Körper drückte. Unhörbar seufzend schloss sie die Augen und atmete ruhig den Rosenduft ihrer Mitschülerin ein.

Schweigend standen die beiden jungen Frauen auf dem Parkplatz, bis der Regen nachließ und ein kräftiger Windzug an Michirus Schirm zerrte. Enttäuscht sah die Künstlerin auf. „Ich schätze, wenn du dir keine Erkältung einfangen willst, solltest du jetzt fahren. Bevor es wieder regnet, meine ich…“, erklärte sie leise und löste sich langsam aus der Umarmung. „Okay.“ Harukas Hand ruhte immer noch in der Taille ihres Engels. Einen Momentlang lächelte sie noch still in das Gesicht der Schönheit und setzte sich dann schließlich ihren Helm auf. „Dann bis morgen.“, verabschiedete sie sich etwas niedergeschlagen und startete ihre Maschine. Verträumt sah ihr die Violinistin nach, bis die Rennfahrerin aus der Einfahrt verschwunden war. „Bis morgen…“, flüsterte sie abwesend zu sich selbst und machte sich gedankenverloren auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: Tidus17
2015-12-23T18:54:38+00:00 23.12.2015 19:54
Okay meine Frage wurde beantwortet. Manchmal kommen mir die zusammenhänge noch zu chaotisch vor, am besten verständlicher schreiben. Doch ansonsten ist alles fließend :)
Von:  beatjoker
2015-09-18T11:08:27+00:00 18.09.2015 13:08
Sooo süß bin froh das die beiden das auf die Reihe bekommen haben. Freue mich wen es weiter geht


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