Zum Inhalt der Seite

La Vie de Fayette

Beloved Enemies
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

All's Well That Ends Well

Emily war noch ziemlich sauer auf mich, weil ich einfach so ihr Massageöl zweckentfremdet hatte, aber als Rion ihr ein Fotoshooting als Dank für die Hilfe anbot, da war ihr Ärger schlagartig fort und sie war überglücklich darüber. Denn selbst nach diesen ernüchternden Geschichten, die Rion ihr erzählt hatte, wollte sie weiterhin an ihrem Traum als Model festhalten. So waren die Gemüter wieder beruhigt und noch bevor Mum zurückkehrte, fuhr Rion nach Hause, da er am nächsten Tag wieder früh aufstehen musste. Bevor er aber ging, drückte ich ihm noch das Aquarellbild in die Hand. So hatte jeder etwas vom anderen bei sich. Ich hatte die Fotos, er mein Bild. Wir verabschiedeten uns auf eine fast schon innige Art und Weise, die uns selber recht erstaunte und für uns beide doch etwas fremd war. Immerhin waren wir sonst immer das komplette Gegenteil gewohnt. Wenig später kam Seth zum Abendessen vorbei und brachte ein paar Blumen mit. Gleich schon als er mich sah, kam er nicht umhin zu bemerken „Na du siehst ja aus, Fay. Man könnte glatt meinen, du hättest den besten Sex deines Lebens gehabt.“

Natürlich musste ich breit grinsen. Immerhin war mir gerade das Beste seit Wochen passiert und ich musste ihm natürlich davon erzählen. Also gingen wir in die Küche und ich erzählte ihm davon, was alles passiert war. Und als ich ihm die Hintergründe meines Kussproblems schilderte, da hob er erstaunt die Augenbrauen.

„Wow, so erklärt sich auch gleichzeitig die Ursache für dein Problem. Hätte nicht gedacht, dass es sich auch gleich mitlösen würde. Und? Habt ihr eure Beziehung auch gleich gefeiert?“

Ich errötete und wandte den Blick ab, wobei ich mich verlegen räusperte.

„Was glaubst du denn?“ gab ich zurück und sogleich merkte meine Schwester noch an, dass ich ihr Massageöl mit Rosenduft zweckentfremdet habe. Seth schmunzelte darüber und wirkte sichtlich zufrieden, dass sich alles geklärt hatte und ich endlich meine ganzen Komplexe und Zweifel überwunden und diesen Schritt gewagt hatte. Nun galt es nur noch, meiner Mutter das alles zu erklären und zu hoffen, dass sie mich und Rion nicht gleich mit ihrer Fürsorglichkeit erschlug und damit ankam, dass sie schon immer gewusst hätte, dass ihr Sohnemann eine schwule Ader habe. Ich wusste hundertprozentig, dass sie so etwas in der Art tun würde und ich mir dann noch so einiges anhören durfte. In dem Moment ärgerte ich mich schon wieder ein wenig, weil Rion früher gehen musste. So musste ich das letztendlich alleine ausbaden.

„Wann wirst du es deiner Mutter erzählen?“ fragte Seth, als hätte er meine Gedanken gelesen. Nun, wenn ich ganz ehrlich war, wollte ich mir Zeit damit lassen, da ich nicht so wirklich Lust auf die ganze Aufregung hatte, die sie mit ihrer überschwänglichen Begeisterung noch verursachen würde. Es war ja schon schlimm genug, dass sie mir jahrelang damit auf die Nerven gehen musste, dass ich vielleicht mit Seth ganz gut zusammenpassen würde und nicht selten hatte ich mich deswegen mit ihr in die Haare gekriegt, weil ich mir das einfach nicht mehr anhören wollte. „Ich glaube, das mache ich erst, wenn Rion Zeit hat und vorbei kommt. Dann kann ich ihn auch selber noch mal offiziell vorstellen. Aber nächste Woche ist er sowieso weg…“

„Wieso das denn?“ fragten nun Seth und Emily gemeinsam und ich erzählte ihnen, dass die Ausstellung in Chicago eröffnen würde und er deshalb verreisen musste. „Und danach ist er noch mal für zwei Wochen in Deutschland“, seufzte ich und war ein bisschen deprimiert. Immerhin hatte ich mir ja schon erhofft, dass wir etwas mehr Zeit für uns hätten, wo ich doch sowieso gerade Semesterferien hatte. Und dann war Rion einen ganzen Monat weg. Das war einfach nicht fair. Nach dem ganzen hin und her wäre es doch einfach schön gewesen, wenn wir die Zeit füreinander gefunden hätten, uns näher zu kommen und einander besser kennen zu lernen, nachdem ich ihn als ganz neuen Mensch kennen gelernt hatte. Aber das musste dann wohl erst mal warten.

Mein bester Freund schüttelte den Kopf, als er mich so sah und schien nicht sonderlich viel Verständnis für mein Dilemma zu haben. „Also wenn ich nicht wüsste, dass es biologisch unmöglich wäre, würde ich sagen, dass du schwanger wärst. Bei so extremen Stimmungswechseln… Gerade eben noch grinst du wie ein Honigkuchenpferd und jetzt siehst du aus, als hätte er schon wieder mit dir Schluss gemacht. Was ist denn los?“ Was los war? Na ich war gerade erst heute richtig mit Rion zusammengekommen und was war? Er war nächste Woche weg. Und die Zeit reichte bis dahin einfach nicht, um eine vernünftige Beziehung aufzubauen. Das war doch einfach frustrierend.

„Ich finde es halt scheiße, dass er bald wieder weg ist und dann noch für vier Wochen.“

„Dann frag ihn doch einfach, ob du nicht vielleicht mitkommen kannst“, schlug überraschend Emily vor, die nun gerade dabei war, sich einen Salat zum Abendessen zu machen. „Du hast doch noch knapp zwei Monate Semesterferien und hast doch nichts anderes zu tun, oder? Dann kannst du Rion doch fragen, ob du nicht vielleicht mitkommen kannst. Manchmal hast du aber auch echt ein Brett vorm Kopf…“ Oh Mann, warum hatte ich nicht gleich selbst daran gedacht? Die Idee war klasse! Im Grunde hatte sie ja vollkommen Recht. Wenn Rion schon nicht hier bleiben konnte, dann konnte ich ihn ja nach Chicago begleiten.

„Emily, du bist echt genial!“ rief ich begeistert, doch sie blieb bescheiden und sagte einfach „Wenn du nicht so blind wärst, dann wärst du schon selbst drauf gekommen.“ Und da lag sie ja nicht so ganz falsch. Ich ging ins Wohnzimmer, holte das Telefon und ging dann in mein Zimmer, um die Visitenkarte hervorzukramen, wo auch Rions Handynummer drauf stand. Na hoffentlich klappte es auch und es bestand tatsächlich die Möglichkeit, dass ich mit ihm zusammen nach Chicago reisen konnte. Ich war so aufgeregt, dass ich drei Mal versehentlich die falsche Nummer eingab und mich kaum konzentrieren konnte. Ich war ziemlich hektisch und das war ich zuletzt gewesen, als ich frisch mit Katherine zusammen gewesen war. Es dauerte aber, bis Rion endlich an sein Handy ging und man merkte ihm an, dass er bis zum Hals in Arbeit steckte.

„McAlister…“, meldete er sich und klang etwas abgelenkt. Als ich ihn grüßte und meinen Namen nannte, wurde sein Ton deutlich freundlicher, wobei er aber sich die Bemerkung nicht verkneifen konnte „Ach Fayette, hast du etwa wieder Sehnsucht nach mir?“

Ich gab ein Grummeln zur Antwort und nannte ihm den Grund meines Anrufs, wobei ich ihn auch gleichzeitig fragte „Geht es denn, dass ich dich nach Chicago begleiten kann, oder ist das zu kurzfristig?“ Bei meinem Glück in den letzten Wochen rechnete ich ja nicht so wirklich damit, dass es tatsächlich klappen könnte. Wenn Rion mit dem Flugzeug nach Chicago flog, würde es schon etwas schwieriger werden und ich wusste das auch. Aber ich wollte zumindest den Versuch wagen. Rion nahm die Idee positiv auf, auch wenn er nicht überschwänglich begeistert klang, aber er war eben auch nicht der extreme Gefühlsmensch wie ich, sondern auch deutlich ruhiger. Trotzdem war deutlich zu hören, dass er sich über diese Idee freute. „Klar, kein Problem. Ich organisiere dir noch ein Ticket und buche das Hotelzimmer um. Würdest du auch mit nach Berlin fliegen, oder hast du zeitlich Engpässe?“ Da ich mir keine Termine genommen hatte, verneinte ich die letzte Frage und antwortete, dass ich gerne mitfliegen würde. Zugegeben, ich war noch nie in Europa und konnte kein einziges Wort Deutsch, aber da Englisch ja sowieso eine Weltsprache war, konnte ich mich ja vielleicht dann doch irgendwie verständigen. Aber allein die Vorstellung war aufregend. Ich würde zum ersten Mal in einem Flugzeug fliegen und dann auch noch nach Chicago und dann nach Deutschland… mit Rion. Wenn ich noch vor drei Wochen gewusst hätte, was mir alles passieren würde und dass ich jetzt ausgerechnet mit Rion zusammen war und nächste Woche mit ihm verreisen würde, dann hätte ich gelacht und es nicht geglaubt. Warum denn auch? Immerhin hatte ich da noch Katherine hinterhergetrauert. Nun gut… es war nicht so, dass meine Gefühle für sie gänzlich erloschen waren. So leicht war es ja auch nicht und ebenso wenig glaubte ich, dass sie mir jemals gänzlich egal sein würde. Sie würde immer einen Platz in meinem Herzen haben, immerhin war sie eine wunderbare junge Frau und die beste Freundin, mit der ich je zusammen war. Sie hatte mich wirklich geliebt und ich sie auch, aber es war einfach vorbei mit uns beiden und eine Beziehung zwischen uns würde auch nicht mehr möglich sein. Natürlich bedauerte ich das, aber ich war auch auf der anderen Seite froh, dass ich diese Entscheidung getroffen hatte.

„Okay, ich werde auch noch ein Ticket für dich nach Berlin buchen.“ Als ich das hörte, fiel mir noch etwas ein, was ich auch sogleich fragte. „Wie viel kostet der Spaß?“

Ich rechnete damit, dass ich das Geld, welches ich für das Fotoshooting verdient hätte, komplett geschluckt wurde. Aber Rion meinte nur, dass er das schon übernehmen würde. Geld war eines der Dinge, über die er sich dank dem Erbe seiner Adoptivfamilie überhaupt keine Sorgen machen musste. Denn da die McAlisters keine eigenen Kinder gehabt hatten und auch die Eltern seiner Adoptivmutter nicht mehr lebten, war er der Alleinerbe geworden. Und den Rest hatte er sich hart erarbeitet. Aber so wie ich Rion einschätzte, war ihm das Geld nicht sonderlich wichtig. Er brauchte es nur, um sich ein anständiges Leben aufzubauen. Ein gemütliches Haus nach seinen Vorstellungen, eine gute Ausrüstung für seinen Beruf und ein eigenes Atelier. Mehr schien er nicht zu brauchen. Trotz des Reichtums lebte er dennoch sehr bodenständig und hatte anscheinend nie vergessen, woher er kam. Auch wenn er es am liebsten vielleicht vergessen würde, aber es zeichnete auch ein Stück weit seinen Charakter aus. Immerhin hatte er ja selber zu mir gesagt, dass ihm das Geld nichts bedeutet, wenn er dadurch einsam war und niemanden hatte. Und ich konnte ihn da auch verstehen. Deshalb machte es ihm auch überhaupt nichts aus, mich nach Chicago und nach Berlin einzuladen. Wenn das die einzige Möglichkeit für uns war, die vier Wochen lang nicht voneinander getrennt zu sein, dann waren wir beide einer Meinung. Da Rion noch viel zu tun hatte, musste er das Gespräch beenden und ich wünschte ihm noch eine gute Nacht.

Die Nachricht, dass ich tatsächlich mit Rion zusammen verreisen konnte, versetzte mich in eine richtig euphorische Stimmung und ich strahlte übers ganze Gesicht. Das blieb natürlich nicht verborgen, als ich zurück in die Küche kam und so brauchte ich auch nicht noch extra zu sagen, dass ich mit Rion mitreisen konnte. Mein Gesicht sagte mehr als Worte. Auch Emily grinste zufrieden und kam dann mit der Idee „Während du weg bist, kann ich mir ja gleich ein Extrazimmer für meine Klamotten einrichten.“

Ich redete ihr den Gedanken sofort wieder aus und erklärte, dass sie sich diesen Schwachsinn schön aus dem Kopf schlagen könne. Doch Emily wäre nicht sie, wenn sie sich so einfach den Mund verbieten lassen würde. Stattdessen warf sie mir einen provokanten Blick zu und grinste verschlagen. „Du kannst doch bei Rion einziehen.“

Manchmal konnte meine kleine Schwester wirklich ein Teufel sein. Aber wenigstens hielt sie die Klappe, als Mum nach Hause kam und uns fragte, wie unser Tag so war. Ich sagte erst mal nicht, was zwischen mir und Rion heute passiert war und ließ den Tag erst mal in Ruhe ausklingen. Seth und ich machten es uns gemütlich und schauten uns ein paar Horrorfilme an, wobei wir bei Chips und Cola auch ein wenig miteinander redeten und die Versuche meiner Mutter, uns irgendwie miteinander zusammenzubringen, eher amüsiert belächelten. Während wir so da saßen und uns Filme ansahen, konnte ich immer noch nicht so wirklich glauben, dass ich mit Rion zusammen war und nächste Woche mit ihm verreisen würde. Ich hatte dann die Chance, endlich mal Chicago zu sehen und sogar nach Deutschland zu fliegen. Das alles geschah so schnell und plötzlich, dass ich es noch nicht ganz wirklich für mich verarbeitet hatte. Meine Gedanken kreisten immer und immer wieder um die Geschehnisse der letzten Stunden. Das alles wirkte wie ein verrückter Traum und fühlte sich noch gar nicht so real an. „Irgendwie ist das schon komisch, Seth“, murmelte ich schließlich, nachdem eine lange Weile nichts gesagt worden war und ich so meinen Gedanken nachging. „Da hat es so lange gedauert, bis es endlich zwischen mir und Rion richtig geklappt hat und jetzt… irgendwie geht mir das alles jetzt ziemlich schnell.“

Mein bester Freund dachte kurz nach und musste mir Recht geben. Aber dazu meinte er auch „Du bist eben jemand, der nicht lange fackelt, wenn der Funke endlich übergesprungen ist. Und nach dem Frust der letzten drei Wochen kann ich es ja auch verstehen, dass du auch dein neues Liebesglück genießen willst. Mir ist es ja auch nicht anders ergangen, als ich mit Raphael zusammengekommen bin. Und wie geht er mit deinem Problem um?“

Etwas unsicher zuckte ich mit den Schultern und meinte „Er geht ganz locker damit um und wenn ich ihn küsse, schaffe ich es sogar, bei Bewusstsein zu bleiben. Naja, mir wird zwar immer noch komplett schwarz vor Augen und mein Kreislauf gibt den Geist auf, aber ansonsten geht es irgendwie besser als vorher.“

„Vielleicht, weil du keine Angst vor dem Küssen hattest?“

Es erstaunte mich manchmal, wie gut mich mein bester Freund durchschauen konnte. Manchmal hatte ich echt den Eindruck, dass er mehr über mich wusste, als ich über mich selbst. Das konnte auch echt gruselig sein.

„Irgendwie schon“, gab ich zu, wobei er mit einem Schmunzeln meinte „Du bist in mancher Hinsicht wie ein offenes Buch, Fay. Dir sieht man sofort an, was dir so durch den Kopf geht.“

Ja, ganz im Gegensatz zu Rion. Der verstand es hingegen wahrhaft meisterhaft, sich bloß nichts anmerken zu lassen und seine wahren Gedanken zu verbergen. Naja… meistens jedenfalls. Es gab durchaus Momente, in denen ich sehen konnte, was er wirklich fühlte, aber es kam auch ganz auf die Situation an und ob er wirklich wollte, dass man ihn durchschaute. Er hatte einen Weg gefunden, das zu kontrollieren. Ich hingegen war da wohl ziemlich leicht zu durchschauen und wie ein offenes Buch für andere. Und das war auch nicht immer gleich zum Vorteil.

„Für mich ist das Ganze auch echt ziemlich verrückt“, gab Seth zu und trank einen Schluck kaltes Dosenbier. „Ich meine… wann passiert es denn schon, dass man sich ausgerechnet in den Typen verliebt, der einen immer herumgeschubst hat? Wenn ich es nicht selbst erlebt hätte, ich würde nicht glauben, dass es so etwas wirklich gibt. Scheint wohl so, als würde der Spruch Gegensätze ziehen sich an ja doch irgendwie zutreffen. Immerhin seid ihr beide doch ziemlich verschieden. Du trägst deine Gefühle immer deutlich nach außen, bist in vielen Sachen sehr unsicher und du bist ein sehr emotionaler Mensch. Rion hingegen ist da eher der introvertierte Typ, der sich nichts anmerken lässt und eher der stille Einzelgänger ist, so wie du ihn mir beschrieben hast. Du hingegen bist ein typischer Gesellschaftsmensch, der die Nähe zu anderen braucht. Ich will dir die Beziehung nicht schlecht reden, aber dir ist schon klar, dass ihr aufgrund dessen, weil ihr so verschieden seid, auch auf Schwierigkeiten stoßen werdet, was die Beziehung zwischen euch betrifft.“

Ja, das war mir auch schon klar. Und ich wusste, dass diese kleinen Zankereien zwischen uns bleiben würden. Aber so schlimm war das jetzt nicht für mich. Streitereien gehörten zu einer Beziehung ja auch dazu und wenn ich ganz ehrlich war, dann sorgte ich mich viel mehr darum, wie meine Bekannten es auffassen würden, wenn sie erfuhren, dass ich mit einem Mann zusammen war. Nun, einfach würde es nicht werden, das hatte ich schon am Beispiel von Seth erfahren. Aber es würde schon irgendwie klappen. Irgendwie… Der Wille war da und ich war auch bereit, die Konsequenzen zu tragen, die meine Entscheidung mit sich brachte. Nicht alle würden mit Begeisterung reagieren und natürlich würde es auch von manchen Seiten Ablehnung geben. Ganz zu schweigen davon, wie sehr es Katherine verletzen würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Wenn ich ganz ehrlich war, fürchtete ich mich auch ein Stück weit vor der Reaktion der anderen, aber ich würde es trotzdem durchziehen. Immerhin war Rion bereit, dasselbe für mich zu tun.

Ich spürte, wie Seth eine Hand auf meine Schulter legte und als ich ihn fragend ansah, lächelte er zufrieden und meinte nur „Du schaffst das schon, Fay. Immerhin steht deine Familie ja zu dir und du hast selbst den Mut aufgebracht, über deinen Schatten zu springen. Aber weißt du, Fay… wenn ich so über euch beide nachdenke, scheint ihr ja gerade wegen eurer Gegensätze ganz gut zusammenzupassen.“

Hieraufhin fragte ich ihn, wie er denn darauf kam. Und so erklärte er mir: „Na überleg doch mal: du als recht emotionaler und unsicherer Charakter brauchst eben jemanden, auf den du dich verlassen kannst und der dir Halt gibt. Und Rion scheint ja jemand zu sein, der quasi eine starke Hand hat und der immer die Kontrolle bewahren kann. Ganz egal was auch kommt. Und vielleicht tut dir das ja auch mal ganz gut und du musst dich nicht so dermaßen unter Druck setzen.“

„Manchmal ist es echt gruselig, wie gut du mich durchschauen kannst, mein Lieber“, gab ich zurück und konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Nun, vielleicht war es halt so, dass ich in vielen Dingen leicht berechenbar und zu durchschauen war. Dann gehörte das einfach zu meinem Charakter dazu. Daran ließ sich halt nichts ändern. Aber es stimmte schon, dass es mich ja doch irgendwie anzog, dass Rion quasi das Gegenteil war. Dass er nicht so einfach zu durchschauen war und dass man manchmal rätseln musste, was ihm gerade durch den Kopf ging. Es hatte etwas sehr Faszinierendes an sich und natürlich hatte ich bei ihm das wohlige Gefühl, ich könnte in seinen Armen liegen und mich voll und ganz auf ihn verlassen. Das alles war wirklich eine ganz neue Erfahrung für mich und ich musste mich zum allerersten Mal nicht so unter Druck setzen, meiner Rolle als Mann gerecht zu werden. Vielleicht war das auch ganz gut so. Alles andere hätte ja nur für die üblichen Komplexe bei mir gesorgt, was ja nicht wirklich so gesund für mich gewesen wäre. „Sag mal Seth, hättest du je gedacht, dass alles mal so kommen würde?“

„Nicht so wirklich“, gab mein bester Freund zu. „Aber du warst ja auch schon immer für die eine oder andere Überraschung gut.“

Dem konnte ich kaum widersprechen. Immerhin hatte ich mich mit dieser Entwicklung ja auch selbst ziemlich überrascht. Aber dann war da noch etwas, was ich noch unbedingt klarstellen wollte. Darum sah ich Seth fest an und erklärte ihm „Nur weil ich jetzt mit einem Kerl zusammen bin, heißt das noch lange nicht, dass ich auf dein Ufer wechsle, okay? Also komm mir bloß nicht wieder mit der Idee an, du könntest mich in eine Schwulenbar mit reinschleifen, okay? Das eine Mal war eine Ausnahme gewesen.“

„Schon klar“, sagte Seth nur und versicherte mir, dass er sowieso nicht vorgehabt hatte, mich da wieder reinzuschleppen. Dieses eine Mal hatte mir auch wirklich gereicht und ich hatte auch nicht wirklich vor, diesen Besuch zu wiederholen. „Aber du kannst mir Rion ja mal vorstellen, damit ich ihn auch mal persönlich kennen lernen kann. Nach allem, was du mir so erzählt hast, würde ich ihn schon mal ganz gerne in Natura sehen.“

Natürlich war ich sofort dabei, immerhin hatte mir Seth ja auch schon Raphael vorgestellt und ich hoffte ja auch, dass er sich gut mit Rion verstand. „Womöglich hat Rion ja Zeit, bevor wir nach Chicago fliegen.“

„Ja, das wäre nicht schlecht. Aber sag mal Fay, wie steht es denn eigentlich mit Katherine? Trauerst du ihr immer noch nach, oder bist du schon über sie hinweg?“

Zugegeben, es tat mir immer noch weh, dass es zwischen uns vorbei war und ich gab das auch offen und ehrlich zu. Aber es war nicht so, dass ich es wirklich bereute. Ich war schon froh über diese Entscheidung.

„Ich glaube nicht, dass man so schnell über eine alte Liebe hinweg ist. Immerhin… Katherine und ich waren wirklich glücklich miteinander und wenn dieser Vorfall in der Mensa nicht gewesen wäre, dann wären wir jetzt wahrscheinlich immer noch zusammen. Ich dachte wirklich, meine Gefühle für sie wären weg, wenn ich erst mit Rion zusammen bin, aber da habe ich wohl falsch gelegen. Ich hoffe, sie wird mich nicht hassen, wenn sie erfährt, dass ich mit einem Mann zusammen bin.“

„Tja, damit wirst du wohl eventuell leben müssen, wenn sie die Wahrheit erfährt.“

Er hatte leider Recht und ich wusste, dass sie es nicht gerade mit Begeisterung aufnehmen würde, wenn sie die Wahrheit erfuhr. Aber damit musste ich halt leben.

„Dann ist es halt so“, sagte ich nur. „Aber das wird auch nichts an meiner Entscheidung ändern. Rion steht hinter mir, also sollte ich das gleiche für ihn tun. Irgendwie schaffen wir das schon. Und zum Glück weiß ich ja, dass ich auf dich zählen kann, oder?“

„Auf jeden Fall!“ Wir stießen mit unserer zweiten Dose Bier an und unterhielten uns noch lange Zeit. Dann schließlich, als wir uns den Film „Texas Chainsaw Massacre“ ansehen wollten, kam Emily dazu und fragte, ob sie mitgucken durfte. Da wir nichts dagegen hatten und Seth Emily als eine Art Schwester eh ins Herz geschlossen hatte, stimmten wir zu. Da sie keinen Alkohol trank, hatte sie eine eiskalte Cola dabei und so saßen wir bis knapp drei Uhr morgens in meinem Zimmer und schauten uns allerhand Horrorfilme an. Dann verabschiedete sich Seth und auch Emily ging ins Bett. Auch ich zog mich um und legte mich im Anschluss ins Bett, um ein bisschen Schlaf zu finden. Doch so wirklich schlafen konnte ich nicht. Ich konnte auch nicht sagen wieso. Wahrscheinlich wirkte noch die ganze Aufregung nach, weshalb ich keine Ruhe fand. Mir war, als würde ich immer noch Rions Stimme hören, die mir leise diese drei kleinen Worte ins Ohr flüsterte. Selbst jetzt noch konnte ich seine Berührungen auf meiner Haut spüren und den Duft seines Aftershaves riechen. Und als ich dann doch irgendwann endlich in den Schlaf fand, da stahl sich mir ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen und ich begann von der Reise nach Chicago zu träumen.
 

Am nächsten Tag kam Rion vorbei, da er wohl gestern seine Geldbörse bei uns vergessen hatte. Es brauchte eine ganze Weile, bis wir sie gefunden hatten, da das Ding nämlich bei unserem wilden Techtelmechtel unter mein Bett gerutscht war und es erst mal dauerte, bis wir überhaupt auf die Idee kamen, dort zu suchen. Rion wirkte ein wenig übernächtigt und das sah man ihm deutlich an. Er war ein wenig blass und hatte Augenringe, war aber dennoch bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Von ihm erfuhr ich, dass Mallory inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Nachdem sie aufgrund einer heftigen Panikattacke eingeliefert werden musste, hatte Rion sie besucht und zum Glück war alles in Ordnung bei ihr. Dafür aber hätte sie eine heftige Auseinandersetzung mit ihren Eltern gehabt und sie sei kurz nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus mit dem Auto losgefahren, weil sie nach Dark Creek wollte. Ich hatte nie davon gehört, aber vermutlich war es irgendein kleines Kaff. Auf meine Frage, was sie dort wollte, zeigte sich Rion ebenfalls ein wenig ratlos.

„Genaues hat sie mir nicht gesagt. Sie meinte nur, sie wolle dort nach ihrer Familie suchen. Offenbar hat sich herausgestellt, dass die Whitmores gar nicht ihre richtigen Eltern sind, sondern sie als Kind adoptiert haben. Naja, ich wollte mich auch nicht weiter in ihre Angelegenheiten einmischen.“

Na wenigstens hatte diese heftige Panikattacke bei ihr keine bleibenden Schäden hinterlassen. Auch Rions Handverletzung ging es besser und wie sich herausstellte, war es wirklich nur eine oberflächliche Schnittverletzung, die nicht einmal genäht werden musste.

Da Rion schon mal hier war, nutzte ich natürlich die Gelegenheit und ging mit ihm zusammen ins Wohnzimmer, wo meine Mutter gerade am Laptop saß und irgendwelche Shopseiten durchsuchte. Ich stellte ihr Rion noch mal offiziell als meinen Freund vor, mit dem ich nun zusammen war und die Reaktion fiel so ungefähr aus, wie ich es geahnt hatte: sie war natürlich komplett aus dem Häuschen, umarmte mich stürmisch und meinte natürlich, sie hätte es schon immer irgendwie im Gefühl gehabt, dass so etwas kommen würde, weil Mütter so etwas eben halt fühlen. Ich war ein klein wenig genervt über den ganzen Aufstand und hätte am liebsten etwas gesagt. Vor allem als sie meinte, sie würde uns in dieser schwierigen Zeit beistehen. Doch Rion legte einen Arm um meine Schultern, lächelte etwas amüsiert und meinte nur zu mir „Lass ihr ruhig den Spaß.“

Und mich ließ auch der Verdacht nicht los, dass Rion diese familiäre Atmosphäre irgendwie genoss und auch seinen Spaß dabei hatte. Sonderlich überraschen würde es mich ja nicht, nachdem er so lange Zeit vollkommen zurückgezogen gelebt und niemanden an sich herangelassen hatte. Und wir beide waren froh, dass meine Familie das alles positiv aufnahm. Emily hatte es ja schon längst gewusst gehabt und da Rion sowieso zu ihren Idolen zählte, war sie natürlich selber vollkommen begeistert davon. Zusammengefasst konnte man ja eigentlich wirklich von einem Happy End reden. Und ja, es war verdammt kitschig und so romantisch, dass man echt noch einen Ausschlag davon bekommen konnte. Aber das interessierte mich eh keine Sekunde lang. Für mich zählte einfach, dass ich endlich ein einziges Mal in meinem Leben meine ganzen Sorge, Zweifel und Komplexe bekämpft und den Mut aufgebracht hatte, einen so großen Schritt zu wagen. Und auch wenn es die letzten Wochen nicht wirklich einfach war und ich mir vieles schwerer gemacht hatte als unbedingt nötig, so hatte ich doch etwas wichtiges für mich selbst gelernt: es war nicht nötig, mich selbst für all die Dinge zu hassen, die so viele Menschen an mir kritisierten. Sei es meine viel zu feminine Erscheinung, dass ich nicht der Größte war und dass ich mit einem mädchenhaften Namen bestraft war, der allen Ernstes „kleine Fee“ bedeutete. Diese Dinge waren eben ein Teil von mir und auch wenn ich jeden Morgen gleich nach dem Aufstehen zehn Dinge an mir aufzählen konnte, die ich an mir hasste, so konnte ich jetzt eigentlich dankbar für diese zehn Makel sein. Denn auch wenn sie oft der Grund für so manche Hänselei waren, so konnte ich dennoch stolz auf sie sein. Immerhin waren ja genau diese zehn Dinge an mir, die ich immer so verdammt hatte, der Grund dafür, warum sich Rion in mich verliebt hatte. Und dank ihnen hatte er mich selbst nach 12 Jahren noch nicht aufgegeben.

Es hatte natürlich lange mit uns beiden gebraucht, bis wir endlich da standen, wo wir jetzt stehen und wo wir einander endlich verstanden und unsere Gefühle erwidern konnten.
 

Ja… zum ersten Mal in meinem Leben war ich stolz darauf, so zu sein, wie ich war. Und ohne Rion hätte ich das wohl nie geschafft. So verrückt wie das auch klang. Wer hätte gedacht, dass ein einfaches Foto so viel zu bewirken vermag?



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück