Ich stieß einen Seufzer gegen den verdunkelten Himmel und hoffte inständig, dass sich die schwarzen Wolken über meinen Kopf nicht sofort entluden und mir wenigstens die Chance gaben, in dieses gigantische Gebäude zu treten, ohne das mir das Wasser von allen Haarspitzen tropfte und ich dadurch den teuer aussehenden Boden ruinierte. Ich zog am Saum meiner Jacke, blickte durch die Glasfront und beobachte eine Frau nach der anderen, die geschäftig durch die großzügig geschnittene Empfangshalle stolzierte. Seit ungefähr zwei Minuten betrachtete ich das eilige Auf- und Ablaufen der perfekt aussehenden Männer und Frauen, als wären sie vor Kurzem aus dem neuesten Cover der Vogue entsprungen. Ich hingegen sah aus wie ein Bauerntrampel und das trotz des schicken schwarzen Overalls von Ino. Als ich an diesem Morgen in den Zug stieg, fühlte ich mich overdressed. In diesem Moment war es allerdings das absolute Gegenteil. Mürrisch biss ich auf meine Unterlippe und erst als ich den metallischen Geschmack auf meiner Zunge wahrnahm, straffte ich die Schultern und nahm einen tiefen Atemzug. Ein letztes Mal konzentrierte ich mich auf mein eigenes Spiegelbild. Der Fensterputzer erhielt bei solch überragender Reinigungsarbeit hoffentlich einen vernünftigen Lohn. Ich fing mit einer fahrigen Bewegung eine Strähne ein, die sich aus meinem Dutt verabschiedet hatte und schob sie schnell hinters Ohr. Über mir grollte der Himmel. Was hätte ich nicht alles gegeben, um nicht hier zu stehen. Selbst eine Shoppingtour wäre mir bei Weitem lieber gewesen. Und während ich mich erneut im Fenster betrachtete, machte ich mir innerlich eine Notiz, mich bei Ino zu bedanken, die mir zum klassischen Overall in schwarz riet. „Meine Klamotten wären noch schlimmer gewesen“, wisperte ich und ich kam nicht umhin, ein panisches Lachen erklingen zu lassen. Ich wollte eine zerschlissene Jeans und einen dunklen Pullover anziehen, allerdings fing mich Ino noch an der Tür ab. „So kannst du nicht nach Tokio. Du triffst immerhin nicht irgendwen. Und was, wenn dein Traumprinz dort ist?“, ermahnte sie mich und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihre blauen Augen funkelten und hätte sie nicht ihren rosafarbenen Pyjama mit den Enten getragen, wäre sie sicher noch autoritärer rüber gekommen. Vielleicht hätte sie dann sogar mit meiner Mutter mithalten können. Obwohl die mich im schlimmsten Fall sicher in ein Hotelbodenmuster-Kleidchen gesteckt hätte. Ich schüttelte den Kopf. Es war ein einfaches Interview. „Geh rein und zieh es durch“, hauchte ich und nahm einen tiefen Atemzug, als ich mich in Bewegung setzte.
Meine Schritte hallten auf dem Boden wider, als ich Richtung Empfangsdame ging. Mit einem mulmigen Gefühl blieb ich vor dem Tresen aus Ebenholz stehen und bedachte sie mit einem leichten Lächeln. Meine Großmutter sagte immer, man solle Menschen mit einem gewinnenden Lächeln gegenübertreten und schon sei die halbe Miete gewonnen. Der erste Eindruck zählte immerhin. Mal davon abgesehen, dass meine Haare absolut verpfuscht waren. Vom feinsäuberlichen Dutt am Morgen war dank der langen Zugfahrt, einem kleinen Nickerchen, trotz lautstarker Musik, die ich über die Kopfhörer meines Handys hörte, und des Wetters draußen, überhaupt keine Spur mehr. Ich lehnte mich mit meinem Körper gegen das Holz und trommelte mit dem Finger darauf herum, als mich bereits der giftige Blick von Mrs. Watanabe traf. Ihre Finger stoppten abrupt in ihrer fließenden Tippbewegung auf der Tastatur und sie reckte ihr Kinn noch höher, um mich mit einem extrem genervt klingenden Hüsteln in Empfang zu nehmen. Aus Reflex zog ich meine Finger zurück und starrte verlegen auf die glatte Oberfläche. Den dabei entstandenen Kloß in der Kehle schluckte ich hinunter.
Ich nahm einen tiefen Atemzug und richtete meine Aufmerksamkeit auf sie. „Hallo. Sakura Haruno. Ich habe einen Termin mit Mr. Hyuga.“
Ihre Mundwinkel zuckten, als sie die Brille auf ihrem Nasenrücken zurecht schob und mit ihren perfekt manikürten Fingernägeln etwas in den Computer eintippte. Meine Augen huschten kurz über meine eigenen Nägel und ich wünschte mir für mindestens zwei Sekunden, ich wäre vor drei Tagen mit zu Temaris Termin bei der Nageltante mitgegangen. Mist. Ich schnaubte und ignorierte den Blick, den mir die Empfangsdame schenkte. Das hier war eine mir völlig fremde Welt.
„Ms. Haruno? Ich würde Sie bitten, Platz zu nehmen. Mr. Hyuga wird sich aufgrund der Wetterlage verspäten.“ Ihre Stimme klang hoch und ein wenig schrill. Mit einem kurzen Nicken deutete sie auf die dunkle Ledercouch.
„Danke“, hauchte ich und versuchte so gerade wie möglich auf den hohen Schuhen zu laufen. Das Bedürfnis meine Ballerinas aus der Tasche zu holen, verbannte ich aus meinem Körper. Diese Blöße würde ich mir sicher nicht geben. Fehlte eigentlich nur noch, dass ich über etwas stolpere und plötzlich Mr. Grey höchstpersönlich vor mir stand.
Ich ließ mich mit einem tiefen Atemzug auf das Möbelstück fallen und der Geruch von Zitrone stieg in meine Nase. Draußen huschten eilig die Menschen von rechts nach links und schienen so schnell wie möglich nachhause kommen zu wollen, was kaum verwunderlich war. Dicke Regentropfen rannen an der Glasfront hinab, während sich die einzelnen Bäume dem starken Wind beugten und der Himmel immer schwärzer wurde. Nicht mal zehn Pferde würden mich vertreiben. Wenigstens war es in diesem imposanten Gebäude warm. Kein Vergleich zum Zug, dessen Heizung definitiv eine Wartung benötigte. Ich spielte mit dem Reißverschluss meiner Umhängetasche und richtete meinen Blick auf den schicken Boden, der sicher teurer war als das ganze Haus, in dem Ino und ich wohnten. Mir entfloh ein Schnauben und ich fischte mein Mobiltelefon aus der Tasche.
Keine neuen Nachrichten
Enttäuscht schob ich die Unterlippe vor und öffnete das Nachrichtenfeld. Ich schrieb Ino, dass ich nun auf dem Sofa wartete, das mehr wert war, als ihr gesamter Kleiderschrank und lächelte, als ein „Das ist nicht möglich“ als Antwort kam. Ich kicherte fröhlich. Das Gefühl wurde aber zerschlagen, als das ermahnende Hüsteln von Mrs. Watanabe zu mir drang. Ein Seufzen erklomm meine Kehle. Wieso waren Stadtmenschen nur immer so angespannt?
Zehn Minuten später war alles wie zuvor: ich saß noch immer auf der Couch, die bequemer aussah, als sie tatsächlich war. Ohne Getränk. Ohne nette Leselektüre. Ohne Inos Textnachrichten, denn die vergnügte sich jetzt beim Brunchen mit Temari und Sai. Der Tag war eine Katastrophe. Ich erhielt nicht mal eine Antwort auf meine Weck-SMS an Sasuke. Das Bedürfnis ihm erneut zu schreiben, schob ich mit einem energischen Zischen in die hintersten Ecken meines Kopfes. Ich wollte ihn nicht nerven. Am Ende verschreckte ich ihn noch. Aber die Langeweile und das Ärgernis wuchsen und wuchsen. Meine Augen huschten kurz zur Brillenträgerin hinter dem Tresen, die mich keines Blickes würdigte. Ich schien pure Luft zu sein. Hoffentlich behandelten sie die Besucher sonst besser, aber vielleicht lag es wirklich an diesem Wetter. Das machte alle ganz verrückt. Selbst mich langsam. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so heftig werden würde. Wieso wechselte ich auch immer den Sender, sobald Nachrichten kamen? Ich musste das künftig unbedingt ändern. War nicht verwunderlich, dass der Zug fast leer war. Allein das hätte schon Zeichen genug sein sollen. Mürrisch überkreuzte ich die Beine und tippte auf die neu eingetroffene Nachricht. Ich lachte leise, als ich Inos „Schick ein Foto von den Hotties aus der Großstadt!“ las. Das steigerte meine Laune erneut. Was würde ich nur ohne meine Blondine machen?
Als die Tür sich öffnete und ein kalter Windstoß meinen Körper umhüllte, schaute ich neugierig auf. Meine Augen huschten über den Neuankömmling und ich spürte das Lächeln, das an meinen Mundwinkeln zupfte. Wenn eine Spezies auf Erden es schaffte, innerhalb weniger Augenblicke etwas zu analysieren, dann waren das eindeutig Frauen.
Zwischen den ganzen Vogue-Menschen wirkte sie mit ihren dunkelblauen Gummistiefeln und dem olivgrünen Anorak wie ein normaler Mensch und sofort war sie mir sympathisch. Jedenfalls sympathischer als alle anderen in diesem Gebäude. Ich hoffte, dass sie netter in Empfang genommen wurde als meine Wenigkeit. Ihre Schuhe quietschten ein wenig auf dem glatten Boden und als sie vor dem Tresen zum Stehen kam, erhielt sie tatsächlich ein Mini-Lächeln von Mrs. Watanabe. Dabei dachte ich, dass die Empfangsdame das nicht konnte. Sie sah ja schon fast nett aus. Mit einem Nicken in meine Richtung deutete sie auf mich und als die Dunkelhaarige sich zu mir drehte, stockte mir ein wenig der Atem. Sie war wirklich hübsch. Ihre Augen leuchteten in einem hellen Blau und auf ihrem schlanken Gesicht lag ein sanftes Lächeln. Sie warf ein kleines Dankeschön in Richtung der Empfangsdame, kam auf mich zu und wirkte dabei wie eine kleine Elfe.
„Sie sind Ms. Haruno, nicht wahr?“ Die Dunkelhaarige blieb vor mir stehen und schob eine Strähne, die sich ins Gesicht verirrte, beiseite. Bevor ich antworten konnte, hielt sie mir bereits ihre kleine Hand entgegen. „Hinata Hyuga. Mein Cousin Neji rief mich an und bat mich Sie in Empfang zu nehmen.“
Ich stand auf und ergriff die mir dargebotene Hand, die angenehm warm war.
„Leider wird es ihm nicht möglich sein, heute herzukommen. Das Wetter ist furchtbar, wie Sie sicher schon erkennen konnten. Die ganze Stadt will zeitgleich in ihre Häuser, bevor es richtig losgeht.“ Ich nahm ihr den entschuldigenden Blick zu hundert Prozent ab.
Ich nickte und versuchte die Worte zu verarbeiten. Alle gingen nach Hause. Ganz Tokio?
Mein Blick schweifte erneut nach draußen. Der Himmel war dunkler als zuvor, dabei hätte ich nie gedacht, dass das möglich wäre. Ein lautes Donnergrollen ließ mich zusammenzucken.
„Ich würde ihnen vorschlagen, Sie fahren ebenfalls zurück. Sind Sie mit dem Auto hier?“, fragte sie. Ihr Interesse war echt und in mir breitete sich ein kleines Glücksgefühl aus. Ein normaler Mensch in diesem Schicki-Micki-Gebäude. Das war beruhigend. Aber sie war eine Hyuga. Seine Cousine. War sie dann nicht auch ein Promi?
„Ms. Haruno?“
Ihre sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Einfach nur Sakura“, entgegnete ich und schenkte ihr ein echtes Lächeln. Falls ich mich nicht irrte, schwebte ein feiner rötlicher Schimmer über ihren Wangen und mein Herz hüpfte in der Brust. Sie war definitiv ein „normaler“ Mensch. „Ich bin mit dem Zug hier“, erklärte ich weiter.
„Oh“, entfuhr es ihr. „Die Züge werden nicht mehr fahren.“
Erschrocken riss ich die Augen auf.
Hinata sah bestürzt aus. „Es soll ein Taifun kommen. Alle Bürger sind aufgefordert, schnellstmöglich in ihre Häuser zu gehen.“
Ich schnaufte und schlug mir die Hände vors Gesicht. „Das kann doch alles nicht wahr sein“, knurrte ich gegen meine Handflächen.
„Hinata!“
Ich zuckte unter der lauten Stimme zusammen und starrte in den Eingangsbereich, indem ein breit grinsender Blondschopf sich wie ein begossener Pudel schüttelte, um den Regen los zu werden. „Ich hab alles im Auto. Lass uns schnell abhauen, bevor es losgeht.“
Mein Mund klappte auf und ich betrachtete den blonden Schopf, die sonnengebräunte Haut und die orange Regenjacke. Seine Stimme hallte in meinen Ohren wieder und angestrengt fragte ich mich, woher ich sie kannte. Mit schnellen Schritten kam er uns näher und bei jedem Millimeter wuchs Hinatas Röte auf dem Gesicht. Sie sah niedlich aus. Da war das Ärgernis über das geplatzte Interview und dem widerlichen Wetter draußen fast schon vergessen.
„Naruto, du hättest im Auto warten können“, hauchte sie. Ihre Augen glitzerten fröhlich.
Er grinste breit, blieb vor ihr stehen und schob eine Strähne von ihrer Stirn.
„Ich bin ein Gentleman.“ Seine meerblauen Augen sprühten nur so vor Liebe, als er sie betrachtete.
Ich fühlte mich ein wenig fehl am Platz und wippte unbeholfen vor und zurück.
„Entschuldigt bitte, wenn ich störe… aber hätte einer mir vielleicht die Nummer eines Taxis? Ich will ungern die Nacht auf dem Bahnhofsgelände verbringen“, warf ich ein. Narutos Aufmerksamkeit lag nun auf mir. Wahnsinn. Konnte ein Mensch so blaue Augen haben? Ich dachte Hinatas Augenfarbe wäre bemerkenswert, aber seine? Wow.
„Kennen wir uns?“, fragte er und kratzte sich am Kinn.
Ich hatte ein Déjà-vu. Ich verlagerte mein Gewicht aufs rechte Bein und musterte sein glattes Gesicht. Ich hatte ihn definitiv noch nicht zuvor gesehen. Allerdings kam mir seine Stimme wahnsinnig bekannt vor. „Hm“, murmelte ich. Als mein Handy in meiner Hand vibrierte, zuckte ich erschrocken zusammen.
„Geh ruhig ran, vielleicht ist es wichtig“, lachte Naruto.
Ich nickte dankend und spürte das Kribbeln in meinen Fingern, als Sasukes Name auf dem Display auftauchte. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Im nächsten Moment stoppte ich und sah abwechselnd von Handy zu Naruto. „Naruto, oder?“, fragte ich.
Wieder ertönte sein helles Lachen. „Jap, der bin ich.“
„Kann es sein, dass du der Naruto bist?“
Er legte seinen Kopf schief und zog die Augenbrauen hoch. „Äh… ich komm gerade nicht mit.“
Hinata zupfte an ihrem Ärmel. „Naruto, kennst du sie vielleicht tatsächlich?“
„Du kennst nicht zufällig einen Sasuke?“, warf ich ein.
Narutos Augen weiteten sich überrascht und er musterte mich erneut.
Ich befeuchtete meine Lippen. Wie groß war schon die Wahrscheinlichkeit in einer Großstadt auf den besten Freund der Internetbekanntschaft zu treffen? In Tokio. Der Landeshauptstadt. Bei einem Unwetter. Mir entfloh ein Lachen, als es bei ihm Klick zu machen schien.
„Sakura. Du bist Sakura“, bemerkte er und sein Gesicht hellte sich auf. „Damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Teme hat gar nicht gesagt, dass du hierher kommst.“ Naruto lachte und stupste Hinata an. „Hey Hinata. Das ist Temes Sakura.“
Ich errötete und schon im nächsten Moment lag Narutos Arm um meine Schultern. „Wie klein die Welt doch ist. Ich hab ja sowieso damit gerechnet, dass wir uns irgendwann begegnen, nur dachte ich nie, dass es so schnell geht.“ Er gluckste. „Hah, wenn ich das Teme erzähl. Der wird vielleicht Augen machen. Wär er lieber zuhause geblieben.“