Prolog
Liebe ist wie ein Virus.
Es ist egal wie alt man ist, wie lange man bereits das Single-Dasein pflegt oder wie oft man mit gebrochenem Herzen durch die Welt geschritten ist, es wird immer eine Chance geben, dass Mr. oder Mrs. Oh-Verdammt-Nochmal-Richtig einfach um die Ecke spaziert.
Und mal ehrlich, es ist doch eigentlich total unwichtig, wie man aussieht, wie alt man ist, denn es ist nie-nie-nie zu spät, sich zu verlieben.
Ganz deutlich ist das für mich an meiner Großmutter erkennbar, die vor kurzem damit begann, einen 90-jährigen Herrn zu daten. Sie ist 84. Und für 84 ist sie verdammt scharf. Oder mein Nachbar. Nach einem hundsmiserablen Date, kontaktierte ihn doch tatsächlich eine ehemalige Klassenkameradin. Sie trafen sich und er schwärmt noch immer davon, wie überaus schüchtern sie war, dabei aber so zuckersüß, dass er sie sogar bei der Verabschiedung nicht alleine lassen wollte und sie tatsächlich fragte, ob er nicht noch mit rein könne. Nicht um mit ihr zu schlafen, sondern vielmehr um mit ihr die ganze Nacht zu reden, zu lachen und sich wohl zu fühlen. Es funkte zwischen ihnen und ganz schnell war er sogar ihr erster Kuss, und das mit 34 Jahren. Dann zogen sie zusammen und er heiratete sie. Das ist jetzt vier Jahre her und sie schauen sich noch immer mit diesem gewissen Leuchten in den Augen an.
Meine Cousine verliebte sich auf einem vierstündigen Flug, den sie aufgrund einer Geschäftsreise auf sich nehmen musste. Sie sprach die ganze Zeit mit ihrem Sitznachbarn und sie tauschten am Flughafen die Nummern. Sie erzählt noch heute immer wieder davon, wie sie mit sich selbst haderte, ob sie ihm schreiben oder es doch lieber lassen solle. Immerhin meldete er sich nicht bei ihr. Bis sie sich durch Zufall nur eine Woche später auf dem Rückflug in derselben Sitzreihe befanden. Sie warf ihre Zweifel über Bord, als er sie mit diesem besonderen Lächeln zu einem gemeinsamen Essen einlud. Jetzt sind sie verlobt.
Was spricht also dagegen, dass ich mich mit 26 Jahren in eine Internetbekanntschaft verliebe?
Liebe kann jedem passieren. Ganz unverhofft und plötzlich und mit all dem Kribbeln und Verrückt werden vor Glücksgefühlen; und von dem ganzen Hin und Her im Bauch wird dir ganz schwummrig und… hach. Was erzähle ich auch. Liebe passiert. Das weiß ich.
Denn mir ist sie passiert.
Auch wenn meine ganze Familie und meine Freunde völlig anderer Meinung sind. Weil es nicht möglich ist, sich in eine Person zu verlieben, die dir völlig fremd ist, die du nie gesehen hast und nie direkt vor dir stehen hattest.
Menschen fühlen sich in der Regel vom jeweils anderen angezogen, aufgrund gemeinsamer Ideen, Lebensträume und ähnlicher Wertvorstellungen.
Für all das ist es aber nicht zwingend notwendig, dass Person A und B sich direkt gegenüber stehen. Egal welches Medium genutzt wird, ob per direkter Rede oder Chat oder Voicemails… das hat nichts damit zu tun, ob die Liebe kommt oder nicht. Es gibt keine Standards und es gibt keine Vorschriften, wenn es um das geht.
Ich glaube, ich hätte niemals eine so tiefe und emotionale Ebene mit ihm erreichen können, wäre ich ihm auf der Straße begegnet. Man kann sogar behaupten, dass kein face-to-face-Kontakt gewisse Vorteile mit sich bringt. Immerhin wird man schon nicht nur aufs Äußere reduziert und man lernt sich im Vorfeld auf einer ganz anderen Ebene kennen.
Aber es gibt durchaus einen bitteren Beigeschmack an der ganzen Sache.
Liebe ist wie ein Virus.
Sie kommt plötzlich und manchmal verschwindet sie genauso schnell und dann tut es weh. Dann schmerzen alle Glieder und das Herz zieht sich zusammen und in den Augen brennen die Tränen, während Magensäure gluckernd deine Speiseröhre verätzt.
Alles ist echt. Nichts ist erfunden.
Ich habe mich verliebt. Ein Virus hat dafür gesorgt, dass ich mich verliebt habe.
Und irgendwie fand ich den Virus im Netz…