Zum Inhalt der Seite

Engelswesen

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die zweite Erzähler-Geschichte
 

Engelswesen
 

"Was wollt ihr heute hören?" fragte der Erzähler. "Etwas über das Volk von unserem König!" schrie eines der kleineren Kinder. "Das Drachengottvolk? Nun, warum nicht." Doch bevor er dazu kam, eine Geschichte auszuwählen, rief Neela eine Frage dazwischen. "Stimmt es, dass das Drachengottvolk Unglück bringt?" Der alte Erzähler sah sie mit seinen altersschwachen Augen an, und sein durchbohrender Blick machte Neele nervös. "Glaubst du das?" "Ich weiß nicht. Die Leute sagen das nur immer." "So, so, die Leute." Der alte Mann schien belustigt. "Und weil die Leute irgendetwas erzählen, glaubst du es gleich?" "Nein, aber..." Der alte Mann hatte ein Einsehen. "Niemand kann Glück oder Unglück bringen, nur weil er einem bestimmten Volk angehört. Aber das Drachengottvolk hat eine unglückliche Vergangenheit." "Atlantis!" rief eine Stimme dazwischen. "Richtig, ich habe euch die Geschichte ja schon einmal erzählt. An diesem unglücklichen Erbe hat Gaia heute noch zu tragen. Und vor allem unser König. Escaflowne, sein Guymelef ist der letzte seiner Art, und er war einer der Gründe, warum Fanelia von den Zaibachern angegriffen wurde."

"Also ist der König schuld, dass meine Eltern gestorben sind." Sagte Neele herausfordernd, obwohl sie wusste, dass sie es sich zu einfach machte. Aber zu ihrer Überraschung stimmte der alte Mann zu. "In einem gewissen Sinn hast du damit Recht, Kind. Aber König Van kann nichts dafür. Die Zaibacher hätten auch so angegriffen." "Und König Van hat sie besiegt!" sagte eines der Kinder "Mit Escaflowne! Er hat es ihnen gegeben!" Der Hass in den Augen der meisten Kinder ließ den alten Mann leise aufstöhnen. Und er konnte es ihnen nicht einmal verübeln, die meisten hier hatten ihre Eltern oder Geschwister bei dem Angriff verloren. "Das hat er. Und er hat für Frieden gesorgt. Niemals wieder soll Krieg das Leben in Fanelia oder einem anderen Land das Leben bedrohen, auch nicht in Zaibach." "Aber sie haben angefangen!" "Ist das ein Grund, auch einen Krieg zu beginnen? Auch in Zaibach gibt es Kinder wie euch. Auch sie haben ihre Eltern im Krieg verloren. Andere haben ihre Eltern noch. Wollt ihr diesen Kindern, die völlig unschuldig an dem sind, was euch wiederfahren ist, ihre Eltern nehmen? Und sollen diese Kinder dann ebenfalls Rache nehmen und vielleicht eure Kinder töten?" Die Kinder schauten betreten zu Boden. Der Erzähler wollte ihnen nicht noch den Rest des Tages verderben. Er hasste es, über solche Themen zu reden, aber irgendwer musste es tun, und er war so ziemlich der einzige, dem die Kinder auch bei solch schmerzhaften Dingen zuhörten.

"Aber ich glaube, ihr wolltet eigentlich etwas anderes hören. Eine Geschichte über das Drachengottvolk. Nun, ich kenne da eine, die mir selbst passiert ist." Die Augen seiner Zuhörer leuchteten auf. Sie wussten, Geschichten, die der alte Erzähler selbst erlebt hatte waren die besten. Auch wenn sie sich nicht vorstellen konnten, wie er alle die unglaublichen Dinge erlebt haben könnte, die er immer erzählte. Sie setzten sich näher zu ihm hin, und eine erwartungsvolle Stille füllte den Raum.
 

"Ich war damals noch ein kleiner Junge, zwölfeinhalb Jahre alt, und lebte mit meinen Eltern zusammen in einem Wald. Wir lebten von dem, was der Wald uns bot und bauten noch etwas Getreide an. Es war ein hartes, einsames Leben, aber wir waren zufrieden. Niemand störte unsere Stille, und falls wir Gesellschaft wollten, konnten wir in das Dorf gehen, das nur eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt war. Eines Tages lag meine Mutter krank im Bett, und mein Vater war zu einer Stadt zwei Tag weit weg gereist, um Medizin zu holen. Also lag es an mir, für meine Mutter zu sorgen. Sie hatte Fieber und fror erbärmlich, also musste ich Holz holen. Ich ging also über unsere kleinen Felder in den Wald. Am Rand lag natürlich nicht viel, da wir das Holz dort natürlich zuerst holten. Ich musste also tiefer hinein.

Schon nach ein paar Minuten hatte ich fast soviel gefunden, wie ich tragen konnte, und beschloss umzukehren. In dem Moment hörte ich ein Schnauben. Ich fuhr erschrocken herum, und in dem Moment spürte ich auch schon wie das Wildschwein mich ansprang und umwarf. Ich war wohl ihren Jungen zu nahe gekommen, jedenfalls war die Bache sehr wütend. Ich schrie und setzte mich verzweifelt zur Wehr, aber ein kleiner Junge hat gegen ein wütendes Wildschwein keine Chance. Schließlich blieb ich regungslos liegen. Ich hatte das Gefühl, sämtliche Knochen müssten gebrochen sein, und in meinem Kopf tobte ein alles verzehrendes Feuer. In diesem Moment hörte ich eine Stimme, die ein unverständliches Wort sprach. Mir schoss noch durch den Kopf "Wer kommt denn in unseren Wald?" dann wurde es schwarz vor meinen Augen.

Ich erwachte, und mein erster verwunderter Gedanke galt der Tatsache, dass ich noch lebte. Ich öffnete vorsichtig die Augen und musste blinzeln, denn ein Strahl goldenen Sonnenlichts blendete mich. Nachdem sich meine Augen an das helle Licht gewöhnt hatten, schaute ich mich um. Ich lag in einem kleinen Zimmer, dessen hölzerne Wände zu einem großen Teil mit herrlich bunten Stoffen verhangen waren. Durch das offene Fenster fiel das Sonnenlicht auf das Bett, in dem ich lag, und leise konnte ich das Plätschern eines Baches hören. Dann durchzuckte mich der Schmerz, und jetzt erst bemerkte ich, dass ich einen Verband um meinen Oberkörper hatte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zu meinem Zimmer, und eine Frauenstimme sagte überrascht "Oh, du bist ja wach! Wie schön. Ich freue mich, dass es dir besser geht." Die Frau hatte lange, schwarze Haare, und auf der weißen Robe die sie trug, waren merkwürdige Muster in Gold und rot, die wie Schriftzeichen aussahen. Am auffälligsten aber waren ihre Augen. Im ersten Moment hatte ich mich erschrocken, und ich hatte auch ein bisschen Angst, aber ihre Augen strahlten eine solche Kraft, Güte und Weisheit aus, das ich auf der Stelle sicher war, dass mir von ihr keine Gefahr drohte. Im Gegenteil. Sie war es, die mich gerettet haben musste, sagte mir mein erst jetzt einsetzender Verstand. Schließlich lag ich in ihrem Haus, und ihre Stimme war die, die ich gehört hatte, bevor ich das Bewusstsein verlor.

"Mein Name ist Villia. Wie fühlst du dich?" Mein Kopf brummte, ich wusste nicht, wo ich war, und sämtliche Knochen in meinem Körper schienen gebrochen zu sein. "Ganz gut. Wo bin ich?" Sie lachte, als ob sie meine Lüge durchschaut hätte, und setzte sich neben mich auf das Bett. "In meinem Haus, ein ganzes Stück von da, wo ich dich gefunden habe. Erinnerst du dich, was passiert ist?" Das konnte ich allerdings. Jeder Zentimeter meiner sicherlich vollkommen blauen Haut erinnerte mich daran. "Ein Wildschwein hat mich angegriffen. Ich bin wohl den Jungen zu nah gekommen." "Wahrscheinlich." Meine Aussage schien sie zufrieden zu stellen, und mit einem ernsteren Gesicht schlug sie meine Decke zurück und betrachtete die Verbände. "Die müssen gewechselt werden." Mir graute bei dem Gedanken. Das lief bestimmt nicht schmerzfrei ab. "Schon?" fragte ich daher und erntete ein Lachen von meiner Ärztin. Sie hatte wirklich eine schöne Stimme, und ihr Lachen klang wie das Plätschern das Baches vor meinem Fenster.

"Schon ist gut. Du liegst schon drei Tage in diesem Bett." "Drei Tage?" rief ich erschrocken, und richtete mich auf. Zumindest versuchte ich das, aber mir wurde schnell klar, dass das ein Fehler war. Ich stöhnte laut auf, und Villia drückte mich sanft zurück. "Und du wirst so schnell auch nicht wieder herauskommen, befürchte ich." So wie ich mich im Moment fühlte, würde ich wohl nie wieder aufstehen. "Meine Eltern. Sie werden sich Sorgen machen! Sie suchen mich bestimmt schon überall. Oh Gott! Meine Mutter! Sie ist doch krank! Ich sollte doch Holz holen, damit sie nicht so friert!" ich redete noch eine Weile wirres Zeug vor mich hin, bis mir Villia mit sanfter Gewalt ein bitteres Getränk einflößte, dass mich nach Sekunden ins Reich der Träume schickte.

Als ich das nächste mal aufwachte, stand die Sonne dicht über dem Horizont, und warf einen rosanen Schein in mein Zimmer. Ich stellte fest, dass meine Verbände gewechselt waren, und dass meine Schmerzen fast verschwunden waren. Vorsichtig richtete ich mich auf. Schwindel erfasste mich, so dass ich versucht war, mich sofort wieder hinzulegen, aber ich biss die Zähne zusammen. Nach einer Weile machte ich die Augen wieder auf, und die Welt blieb, zwar wacklig, aber sicher an ihrem Platz. Hinter der Tür hörte ich auf einmal das Klappern von Tellern und Töpfen, und in meine Nase stieg der Geruch von herrlich gebratenem Fleisch. Mein Magen zog sich so schmerzhaft zusammen, dass er einen neuen Schwindelanfall verursachte. Als er vorüber war, schaute ich sehnsüchtig zur Tür. Mir grauste bei dem Gedanken an die unendlichen zwei Meter bis dorthin, aber keine Macht der Welt würde mich hier im Zimmer halten können, so ausgehungert war ich. Ich stand also mühsam auf, schleppte mich zur Tür und stieß sie auf.

Der angrenzende Raum war etwa dreimal so groß wie meine Kammer. Er diente sowohl als Ess- als auch als Wohnzimmer. Mehr bekam ich nicht mit, denn auf dem Tisch in der Mitte stand das Essen, und mein Blick verengte sich, bis ich nur noch volle Teller sah. Ich setzte tapsend einen Fuß nach vorne, da rief eine Mädchenstimme erstaunt "Mutter! Er ist wach!" Villia drehte sich vom Herd um, und blickte mich erstaunt an. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich es schaffen würde, aufzustehen. Ich wiederum drehte mich zu der Stimme, die einer Person gehören musste, die ich noch nicht kannte. In der Tür nach draußen stand ein schmächtiges, kleines Mädchen, etwa so alt wie ich, das sich die Haare trocknete, die sie sich wohl gerade gewaschen hatte. Sie hatte schulterlanges, blondes Haar, eine Stupsnase, und unzählige Sommersprossen im Gesicht. Verwirrt schaute ich von ihr auf Villia und wieder zurück. Dieses Mädchen sollte ihre Tochter sein? Sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Auf einmal fing die Welt wieder an zu wanken. Ich sah staunend zu, wie der Boden immer näher kam. Kurz bevor ich aufschlug, spürte ich kleine, kräftige Hände, die mich auffingen, und gleich darauf die Villias, die mich einfach hochhob und in mein Bett trug.

"Das hast du nun davon." Meinte das Mädchen tadelnd und rechthaberisch, als ob sie ihrer Mutter sagen wollte "Siehst du, ich habe dir gleich gesagt, er ist ein Dummkopf." Villia reagierte nicht darauf und forderte ihr Tochter nur auf, etwas zu essen zu holen. "Das war wirklich nicht sehr klug von dir." "Ich hatte Hunger." Sie nickte "Kein Wunder, nachdem du so lange nichts gegessen hast. Aber du wirst trotzdem noch eine Weile hier liegen bleiben müssen. Wie heißt du eigentlich? Das hast du noch gar nicht gesagt."
 

Der Geschichtenerzähler stockte und schaute nachdenklich auf seine Zuhörer. "Nein, das geht nicht. Ich habe einmal geschworen, niemandem meinen Namen zu verraten." Neela zog einen Schmollmund. "Das wissen wir. Aber warum?" Der Erzähler zupfte an seinem Bart. "Das hat einen guten Grund. Hmm. Ich glaube, ihr werdet ihn im Verlauf der Geschichte erfahren. Aber irgendeinen Namen muss ich ja nehmen. Weißt du was?" Ein schalkhaftes Glitzern trat in seine Augen. "Ich werde deinen nehmen, Neela. Bloß von hinten. Aleen. Klingt gar nicht mal so schlecht." Neela machte ein Gesicht, als ob sie einen Löffel Zucker geschluckt hätte, und feststellen musste, dass es Salz war, was sie zum Ziel einer Menge gutmütigen Spotts ihrer Freunde machte. "Aber lasst mich jetzt weiter erzählen." Der alte Mann nahm noch einen Schluck Tee aus seiner Tasse, und fuhr dann fort.
 

"Aleen. Ich heiße Aleen." "Ich heiße Villia, wie du ja schon weißt. Und das dort" sie zeigte auf das Mädchen, das gerade mit einem großen Teller durch die Tür kam "ist meine Tochter Aerie." Aerie- ein schöner Name, passt irgendwie gar nicht zu diesem Mädchen, dachte ich. Aerie stellte den Teller auf den Tisch neben mein Bett und ging wieder. "Ich werde schon essen." Sagte sie, und deutlich war zu hören, was sie nicht gesagt hatte "Du kannst ja inzwischen dieses Baby füttern." Das musste Villia zwar nicht, aber dafür noch ein paar Mal Nachschub holen. Ich aß mehr, als jemals zuvor in meinem Leben. Nachdem ich mich vollgestopft hatte, fielen meine Augen zu, und ich erwachte erst wieder am nächsten Morgen.

Eine Weile blieb ich liegen, die Augen geschlossen, und lauschte auf die Geräusche, die von draußen hereinkamen. Doch dann schoss mir auf einmal ein erschreckender Gedanke durch den Kopf. Meine Eltern. Ich war seit mehreren Tagen weg. Gestern hatte Villia mich einschlafen lassen, aber heute würde das nicht passieren.

Ich stand auf, was immer noch eine große Anstrengung war, auch wenn ich mich besser fühlte als am Tag zuvor. Als ich in den Wohnraum trat, war niemand dort. Aber durch die offene Tür hörte ich zwei leise Stimmen. Ich ging hinaus, und im ersten Moment stockte mir der Atem. Das Haus lag an einem Strand, direkt neben dem Bach, den ich ja schon gehört hatte. Der Strand gehörte zu einem wunderschönen, saphirblauen See, der zwischen bewaldeten Hügeln versteckt war. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Der einzige größere See, von dem ich wusste, lag fast drei Tagesreisen entfernt, etwas weiter sogar noch als die Stadt. Mein Vater hatte mir gesagt, dass der See verwunschen sei, und deshalb niemand dort wohnte. Aber wo war ich dann?

Ich fand keine Antwort, dafür hatte der Gedanke an meinen Vater wieder meine Angst geweckt. In diesem Moment hörte ich Aerie sagen "Unser Pflegling ist aufgewacht." Wieder lag dieser unbestimmte Spott in ihrer Stimme, der mich fast rasend machte, aber dafür war jetzt wirklich keine Zeit. Ich ging zu den beiden, die gerade die Wäsche im Bach wuschen. "Guten Morgen!" rief Villia mir fröhlich zu, doch ich hatte keinen Grund zur Freude "Ich muss zu meinen Eltern. Sie werden mich schon überall suchen. Vielleicht denken sie sogar, dass ich tot bin." Vor Villias Gesicht zog eine dunkle Gewitterwolke. "Das ist unmöglich. Du bist viel zu schwach um einen solch weiten Weg zu gehen." "Ich fühle mich gut, und so weit kann es ja nicht sein, sonst hättest du mich nicht hierher bringen können." Sie richtete sich kerzengerade auf, und sagte mit einer gewissen Schärfe in der Stimme "Du fühlst dich gut, weil du noch nichts getan hast. Du hältst keine Stunde Marsch aus. Außerdem..." Sie zögerte "Außerdem weiß ich nicht genau, wo du hin müsstest." "Bring mich einfach zu der Stelle, wo du mich gefunden hast." Bösartig warf Aerie ein "Wo dich meine Mutter vor einem Wildschwein gerettet hat, meinst du wohl."

Langsam fing ich an, dieses Mädchen zu hassen. Sie musste es mir ja nicht gerade unter die Nase reiben. Villia war wohl der gleichen Meinung und gab ihrer Tochter einen leichten Klaps. Dann schaute sie mich traurig an und schüttelte den Kopf. "Ich kann dich nicht dorthin bringen. Ich weiß nicht, wie ich diesen Ort finden soll. Ich war seit mehreren Tagen auf Kräutersuche, als ich auf dich gestoßen bin. Da ich dabei keine bestimmte Richtung habe, weiß ich den Weg nicht. Und zurück habe ich mich an der Sonne orientiert. Die Hügel hier sieht man weit weg, es besteht also keine Gefahr, an ihnen vorbei zu laufen. Ich war ein ganzes Stück südlich, als ich sie sah."

Ich hatte keine Ahnung, warum sie das alles erzählte. Ich wollte doch nur nach Hause. "Du hast drei Tage hier in der Hütte gelegen, aber davor habe ich dich genauso lange auf einer Trage durch den Wald gezogen. Es ist jetzt genau eine Woche her, dass ich dich gefunden habe, fast auf die Stunde genau. Ich habe keine Ahnung, wo ich dich gefunden habe." Sie schaute mich mitleidig an, während mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Eine ganze Woche? Ich bemerkte nicht, wie Aerie ihre Mutter verwundert ansah. Wenn ich darauf geachtet hätte, hätte ich vielleicht weiter gebohrt, und es eher erfahren, aber so stand ich nur regungslos da. Eine ganze Woche, irgendwo im nirgendwo, und kein Weg zurück bekannt. Ich weiß nicht, was den ganzen Tag über passiert ist. Ich werde wohl geweint haben, denn ich war sehr verzweifelt. Und ich muss wohl auch was gegessen haben, denn am nächsten Tag fühlte ich mich schon wieder ein ganzes Stück stärker, aber nur körperlich. Der Gedanke, dass meine kranke Mutter auch noch eine solche Angst um mich haben musste, brach mir das Herz.
 

Als ich mich am nächsten an den Tisch setzte, war nur Aerie da, die mir wortlos etwas zu Essen hinstellte, und dann hinausging. Sie kam wieder herein, gerade als ich mit Essen fertig war. "Zieh mal dein Hemd aus, ich will mir deinen Verband ansehen." "Meinen Verband?" "Ja, die Wunde müsste dabei sein, zuzuwachsen, und es ist nicht gut, wenn ein Verband dabei im Weg ist." "Ich glaube, das sollte besser deine Mutter machen." "Hast du Angst?" "Ich habe vor gar nichts Angst!" sagte ich wütend. "Aber ich würde lieber von jemandem verarztet werden, der versteht was er tut." Aerie sah mich seltsam an. "Aber bis jetzt ist der Verband doch gut, oder?" "Ja." "Und der davor auch?" "Ja, und darum will ich auch nicht, dass du daran herumpfuscht." Endlich hatte ich es ihr gegeben. Dachte ich. "Und wer hat dich wohl verbunden, als meine Mutter völlig erschöpft zurückkam und sofort einschlief, na?" fragte sie mit süßem Blick, und die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel. "Genau." Sie machte keinerlei Anstalten, ihre Schadenfreude zu verbergen, und ich lief rot an wie eine Tomate. Ohne weitere Wiederworte tat ich, was sie befahl. Mit geübten Griffen entfernte sie den Verband.

"Meine Mutter ist übrigens nicht da. Im nächsten Dorf ist ein Kind schwer erkrankt, und jemand hat sie schon ganz früh heute morgen geholt. Sie ist die beste Heilerin, die es gibt." Sagte sie stolz. "Ich hoffe, ich werde auch mal so gut." Ich staunte über sie. Aerie war auf einmal wie ausgewechselt. Mit sanften Fingern betastete sie meine Wunde, und strich sich manchmal gedankenverloren ihre blonden Strähnen aus dem Gesicht. Sie war vollkommen in ihre Aufgabe versunken. "Dachte ich's mir doch. Das tut jetzt etwas weh." Sie hatte nicht einmal ausgesprochen, als ich auch schon einen heftigen Schmerz spürte und zusammen zuckte. "Hör auf, dich wie ein Baby anzustellen." Kam ihr Spott hervor "Das tut weh." "Pah. Memme. Halt das mal fest." Sie drückte mir eine Schale in die Hand und zerdrückte darin eine Anzahl Kräuter. Dann strich sie den Brei über meine Wunde. Ich biss die Zähne zusammen, konnte aber nicht verhindern, dass ich ab und zu vor Schmerzen zischend einatmete. Abschließend legte Aerie mir noch einen neuen Verband um. Dann trat sie einen Schritt zurück, und betrachtete ihr Werk kritisch. "War doch gar nicht so schlimm." "Wenn du nicht so grob gewesen wärst." Sie streckte mir die Zunge raus und meinte "Leg dich lieber wieder hin." "Ich bin doch kein Schwächling!" protestierte ich, um den letzten Rest Würde zu bewahren, wie es Jungen in meinem damaligen Alter nun mal so machen, wenn sie so von einem Mädchen behandelt werden. Obwohl ich zugeben musste, dass sie gute Arbeit geleistet hatte. Aber anscheinend kannte sie sich auch mit meiner "Würde" aus, wie mir ihr hinterhältiges Grinsen verriet. "Dann komm mal mit. Ich habe eine Aufgabe für dich." Ich zögerte einen Moment, aber ein Rückzug war nun nicht mehr möglich.

Sie führte mich hinunter zum See, und deutete auf ein Netz, dass dort am Strand lag. "Nimm das eine Ende, wir werden uns jetzt was zum Essen fangen." Ich hatte noch nie Fische gefangen, erst recht nicht auf diese Art. Ich musste ins Wasser gehen, möglichst weit von ihr entfernt. Dann kamen wir in einem Bogen aufeinander zu. Dann klatschten wir auf das Wasser und scheuchten die Fische in Richtung Strand. Dabei schlossen wir das Netz, und bewegten uns in das seichtere Wasser. Je enger wir das Netz zogen, desto mehr Fische tummelten sich darin. Schließlich zogen wir das Netz auf den Strand, wobei nur die großen Fische auf dem nassen Sand zurück blieben. "Die Maschen sind so groß, dass alle kleineren Fische durchkommen. Wir wollen ja nicht alles leer fischen. Außerdem machen die kleinen soviel Arbeit."

Ich ließ mich erschöpft in den warmen Sand sinken. Aerie schmunzelte "Was denn, das hat dich schon erledigt?" Sie wirkte vollkommen glücklich, und ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. "Überhaupt nicht." Ich stand auf, und packte das Netz, um die Fische herauszuholen. In diesem Moment geschah es. Die Luft fing an zu flimmern, kleine gelbe Flecke zuckten vor meinen Augen, und mein Magen machte Saltos. Ich spürte noch das Kratzen in meinem Gesicht, dann verlor ich das Bewusstsein. Der letzte Gedanke war "Sand? Wie kommt denn Sand in mein Gesicht?"
 

Als ich aufwachte, lag ich im Bett. Unklar war mir, wie ich dorthin kam. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Darum hatte ich also das Gefühl, dass etwas auf mir lastete. Aeries Kopf lag auf meinem Bein, und drückte schmerzhaft auf eine kleine Wunde. Ich setzte mich hin, und Aerie schreckte hoch. "Aleen! Du bist wach!" Staunend registrierte ich, dass sie geweint hatte. Ihre Augen waren gerötet, und die Spur ihrer Tränen zeichnete sich deutlich auf ihrem Sommersprossigen Gesicht ab. "Es tut mir so leid!" "Was denn?" frage ich verwirrt, aber sie redete ohne Pause weiter. "Ich hätte dich nicht aufstehen lassen dürfen. Du warst viel zu entkräftet, und dann auch noch das mit dem fischen. Es tut mir so leid. Es ist alles meine Schuld. Ich hätte es nicht zulassen dürfen. Aber du hast mich so geärgert..." Ich nahm ihre Hand "Sch! Ist ja gut. Ich bin doch in Ordnung." "Nein, bist du nicht! Du bist zusammen gebrochen, und das ist meine Schuld. Ich war so stolz, als meine Mutter mich gelobt hat, dass ich dich so gut verbunden habe, und dann mache ich so eine Dummheit." "Hör auf damit!" sagte ich, mehr belustigt, als ärgerlich. "Ich habe ja schließlich mitgemacht. Und ich sollte wohl am besten wissen, wie es mir geht."

Aerie stand halb wütend, halb verlegen auf. "Nein, solltest du nicht. Ich bin für dich verantwortlich gewesen." "Jetzt hör auf damit. Am besten, wir vergessen es. Schließlich sind wir beide Schuld. Und wenn du aufhörst, dir Vorhaltungen zu machen, werde ich es bestimmt auch nicht." Sie zögerte und stand eine Weile mit sich kämpfend da, doch dann lachte sie auf einmal und meinte fröhlich. "Einverstanden. Ich werde uns etwas von dem Fisch machen, den wir gefangen haben. Die meisten sind zwar entwischt, aber ein paar lagen schon auf dem Strand. Und du rührst dich nicht aus dem Bett!" befahl sie mit energischer Stimme. "Ich will nicht, dass du noch einmal zusammen brichst." Dann rauschte sie aus dem Raum, und ich schaute ihr verwundert nach. Sie schien sich tatsächlich Sorgen um mich zu machen. Es war nicht auszuhalten. Erst gehässig, dann fürsorglich, dann sarkastisch, dann wieder lachend, heulend, und jetzt überschäumend. Sollte einer aus diesem Mädchen schlau werden!
 

Villia kam erst am nächsten Mittag zurück. Wäre sie nicht so müde gewesen, wäre ihr sicherlich etwas aufgefallen. Aber sie hatte sich die ganze Nacht durch um ein krankes Baby gekümmert, und war nun total erschöpft. Sie legte sich sofort hin und schlief den ganzen Tag und die ganze Nacht. Aerie kümmerte sich aufopferungsvoll um uns beide, und überrascht stellte ich fest, dass ich mich jetzt sogar freute, wenn sie bei mir war. Sie war zwar immer noch so unerträglich schnippisch, aber ich glaube, nach ein paar Tagen im Bett hält man fast jede Gesellschaft aus, Hauptsache, man ist nicht allein.
 

Wieder war ein Tag vergangen, und ich hielt es nicht mehr aus. "Ich will zu meinen Eltern." Sagte ich fest entschlossen. Villia lehnte ab "Du bist noch zu schwach." "Das ist mir egal. Wenn ihr mir nicht helft, gehe ich alleine." "Du weißt doch gar nicht, wo du suchen sollst." "Aber ich kann bestimmt jemanden finden, der die Stadt kennt, und von dort kenne ich den Weg zu uns." Villia stand auf, und sah aus dem Fenster. Ich sah, wie ihre Hand zitterte. Sie schien es auch zu bemerken, und verschränkte ihre Arme. Dann drehte sie sich zu mir um, und sah mir in die Augen. Ein seltsamer Ausdruck stand in den ihren, den ich damals nicht zu deuten wusste. Heute weiß ich, es war Angst. Angst und Mitleid. Wegen dem, was sie mir sagen musste, aber nicht konnte. Wieder drehte sie sich um. Leise sagte sie "Wenn ich dich nicht aufhalten kann, werde ich mitkommen." "Danke." Sagte ich glücklich. "Danke mir nicht zu früh." Ich weiß nicht, ob sie das wirklich sagte, oder ob ich es mir heute bloß einbilde. Aber selbst wenn sie es tatsächlich gesagt hat, habe ich nicht darauf geachtet. Ich war so froh, endlich zu meinen Eltern zu können...
 

Der Geschichtenerzähler atmete tief aus, und trank langsam seinen Tee. Sein Blick schien in sich hineinzugehen, und die Kinder wurden unruhig. "Alles in Ordnung?" fragte Neele, und der alte Mann schreckte auf. "Wie? Ja! Ja, alles in Ordnung. Nur die Erinnerung. Das passiert alten Menschen manchmal." Er lachte und stellte die Tasse wieder auf den Tisch neben sich. "Wo war ich stehen geblieben? Ach ja."
 

"Am nächsten Morgen brachen wir auf. Aerie hatte darauf bestanden, mit zu kommen. Über die Reise gibt es nicht viel zu sagen. Wir machten oft Pausen, da ich immer noch ziemlich geschwächt war. Am dritten Tag, schon spät am Nachmittag, kamen wir zu einer Stelle, die ich kannte. "Die Kreuzung kenne ich, von hier aus weiß ich den Weg." Natürlich gab es keinen Weg zu unserem Haus, und wir mussten uns durch den Wald schlagen. Dann, endlich, standen wir vor unserem Haus. Ich lief darauf zu und rief nach meinen Eltern, aber niemand antwortete. Ich öffnete die Tür, und blieb erschrocken stehen. Alles lag verstreut auf dem Boden. Ich spürte, wie Villia hinter mich trat. "Wo sind meine Eltern?" fragte ich verzweifelt. Villias trauriger Blick jagte mir einen eisigen Schauer über den Rücken. In diesem Moment musste ich gewusst haben, was los war, aber glauben wollte ich es nicht. Villia musste es wohl gefühlt haben, denn sie führte mich wortlos auf die Rückseite des Hauses. Hölzerne Kreuze, aus unbearbeiteten Ästen ragten über zwei charakteristischen Erdhaufen auf. Die Erde war nass vom Regen am Vormittag, und die ersten grünen Punkte auf ihnen erweckten einen Eindruck von beginnendem Leben. Ein grausiger Gegensatz zu dem, was diese Erdhügel bedeuteten.

"Ich weiß nicht, wer es war." Sagte Villia leise hinter mir. Erstaunt registrierte ich, dass ihre Stimme zitterte. Ich konnte hören, wie sie mit den Tränen rang. Ich weinte nicht. "Nachdem ich dich gefunden und versorgt hatte, habe ich mich auf die Suche nach deinen Eltern gemacht. Es hat nicht lange gedauert, bis ich dieses Haus gefunden habe. Aber alles was ich für sie tun konnte war, ihre... leblosen Körper zu begraben." Sie verschluckte das Wort Leichen. Ich spürte, wie sie ihre Hände auf meinen Körper legte, aber es fühlte sich an, als ob es der Körper von jemand anderem wäre. "Aber warum? Was haben sie getan? Meine Mutter war doch krank, und mein Vater..." Endlich hatte mein Herz verstanden, was mein Verstand schon lange begriffen hatte. Ich warf mich in die Arme von Villia, die mich festhielt, während meine Tränen ihren Hals hinunter liefen. Die Verzweiflung schüttelte meinen Körper und meine Finger krallten sich in Villias Rücken, dass sie anfing zu bluten. Aber sie sagte kein Wort und hielt mich einfach nur fest. Dann spürte ich, wie mich auch Aerie umarmte, und voller Unwirklichkeit schoss mir der Gedanke durch den Kopf, warum sie, die noch so jung war, so etwas sehen musste. Dabei waren es meine Eltern, die dort lagen. Ich war es, der jeden verloren hatte, den er geliebt hatte."
 

Der Erzähler schaute sich seine Zuhörer genau an. Hatte er ihnen zuviel zugemutet? Sie waren schließlich noch Kinder. Aber sie alle hatten den Krieg erlebt, und viele von ihnen hatten dabei auch ihre Eltern verloren. Vielleicht würde es ihnen helfen zu wissen, dass ihm etwas ähnliches passiert war.
 

"Wir hätten dort vielleicht noch eine Ewigkeit gestanden, doch das Schicksal wollte es anders. "Da sind noch welche!" "Das muss das Gör sein!" riefen plötzlich zwei Stimmen. Villia drehte sich erschrocken um. Ein halbes Dutzend Reiter preschte auf uns los, die Schwerter gezogen, und die Hufe ihrer Pferde zerfetzten das sprießende Getreide. "Flieg, Aerie!" rief Villia "Flieg?" fragte ich mich noch, dann riss sie mich hoch und lief auf den seltsamen Hügel zu, der sich auf einer Seite einer uralten Mauer gebildet hatte. Er war nicht sehr hoch, vielleicht eineinhalb Meter, und auch nicht wesentlich breiter, aber er rettete uns wohl das Leben. Villia kletterte darauf, mich immer noch umklammert, und dann sprang sie einfach herunter. Ich war noch so geschockt, dass ich dem näherkommenden Boden fast unbeteiligt entgegen sah. Das wird meiner Verletzung nicht gut tun, waren meine Gedanken. Nur noch Zentimeter trennten uns von der harten Grasnarbe. Dann ruckte es, und ich flog über den Boden. Ja, ich flog. Ich konnte es nicht glauben. Villias wunderschöne weiße Flügel hielten sie und mich in der Luft. Einen kurzen Augenblick lang sah ich Aerie, die hinter ihrer Mutter herflog. Und in diesem Moment wusste ich, dass sie ihren Namen zu Recht trug."
 

Die sanfte Stimme des Erzählers schwieg, und sofort brachen die Fragen der Jüngeren über ihn hinein, die keine Geduld aufbringen konnte. "Sind sie wirklich geflogen?" "Wer waren die Männer?" "Warum waren deine Eltern tot?" "Was ist dann passiert?" Und viele Fragen mehr.
 

"Nun, viel gibt es nicht mehr zu erzählen. Die Mörder meiner Eltern waren Soldaten. Mein Vater hatte sich über ihren Anführer beschwert, und dafür wurde seine Familie ausgelöscht. Jedenfalls flogen wir zum See zurück. Ich hatte kein Gefühl für den herrlichen Flug, in meinem Herzen herrschte nur Trauer. Wir landeten vor dem Haus, und ich sackte in mich zusammen. Ich habe keine Erinnerung an die folgenden Tage, außer einigen Bildern ohne Zusammenhang. Dann kam die Stunde, in der ich zum ersten mal seit vielen Tagen wieder das Haus verließ. Das heißt, nicht zum ersten Mal. Villia erzählte mir, dass ich mehrmals versucht hatte, wegzulaufen, um meine Eltern zu rächen, und dass sie mich nur mit Mühe festhalten konnte. Ich habe dabei Aerie auch ein blaues Auge verpasst, dass noch Wochen lang sichtbar war. Ich habe mich zu Tode geschämt. Mit der Zeit verging der größte Schmerz, aber vergessen kann ich es nie. Wie dem auch sei, an dem ersten Tag, an den ich mich wieder erinnern kann, fragte ich die beiden, wer sie seien. Ich hatte noch nie vom Drachengottvolk gehört, außer dass sie mit einem Fluch beladen sein sollten. Villia erzählte mir die Geschichte von Atlantis, die ich euch erzählt habe, und die Geschichte ihres Lebens.

Sie erzählte mir von der Erschaffung Gaias und dem Untergang der Atlanter, der Verfolgung ihres Volkes und ihrem Fluch. Ich habe oft überlegt, ob es wirklich einen Fluch gibt. Am Tag als ich Villia traf, starben meine Eltern. Aber ohne sie wäre ich tot. Vielleicht besteht der Fluch darin, dass immer sie es sind, die erscheinen, wenn Menschen sterben. Aber sie töten nicht, im Gegenteil, sie retten. Auch mit König Van ist es so. Fanelia wurde zerstört, aber Gaia gerettet.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte, nachdem meine Eltern tot waren, und so boten mir Aerie und Villia an, mit ihnen zu leben. Ich lernte ihre Heilkunst, und mit der Zeit wurde Villia zu meiner Mutter. Aerie- nun, ich weiß nicht, wann es angefangen hat, aber wir verliebten uns ineinander. Aus dem kleinen, schlaksigen, mit Sommersprossen übersätem Mädchen wurde eine wunderschöne junge Frau. Ihr Lachen war klar wie der See, und ihre Seele rein wie weißer Schnee. Dann kam der Tag, als mir auch diese beiden genommen wurden.

In einer entfernten Stadt in den Sümpfen war eine unbekannte, tödlich Krankheit ausgebrochen. Wir eilten dorthin um zu helfen. Schnell waren auch wir angesteckt, aber keiner von uns hat je an der Richtigkeit unseres Handelns gezweifelt. Dann fand meine kleine Aerie tatsächlich ein Heilmittel. Viele Menschen konnten gerettet werden, aber Aerie und Villia nicht. Ich weiß nicht, ob das Heilmittel bei ihnen nicht wirkte, da sie keine Menschen waren, oder ob die Krankheit bei ihnen deswegen schlimmer war. Drei Tage, nachdem sie das Heilmittel gefunden hatte, starb Aerie, und mit ihr auch ihre Mutter. Mein Schmerz war noch größer als beim Tod meiner Eltern. Das zweite Mal starb meine Familie. Die Stadtbewohner ehrten sie, aber ich hielt es nicht aus. Mit ihnen war alles gestorben, dass ich hatte. Sie waren die letzten gewesen, die wussten wer ich war, und so schwor ich mir, dass mein Name zusammen mit ihnen sterben sollte. Seit diesem Tag habe ich meinen Namen nicht mehr ausgesprochen, und ich werde es auch bis zu meinem Tod nicht tun. Einem Monat nach ihrem Tod schwor ich dies, und verließ die Stadt, die sie gerettet hatten, aber die mir alles nahm. Ich reiste durch die Länder, um zu helfen, wo immer jemand krank war. Als ich zu alt wurde, ließ ich mich hier nieder.
 

Der Geschichtenerzähler beendete seine Geschichte, und die Kinder um ihn herum schauten ihn teils traurig, teils verwirrt an. Normalerweise erzählte er keine traurigen Geschichten, und diese war auch anders als alle, die er ihnen jemals erzählt hatte. "Neela!" Das Mädchen schreckte hoch und schaute ihn verwirrt an, unschlüssig, was er von ihr erwartete. "Du hast mich gefragt, ob das Drachengottvolk Unglück bringt. Ich kann dir keine eindeutige Antwort geben. Die Zeit mit Aerie war die Glücklichste in meinem Leben." Schmerz ließ seine Stimme rau und undeutlich werden. "Und die Zeit ohne sie die Unglücklichste. Aber weder für das eine, noch für das andere kann sie etwas, außer der Tatsache, dass sie existierte.

Das Drachengottvolk trägt den Fluch in sich, idealistisch zu sein, und immer das beste zu wollen. Darum treffen sie immer wieder auf Tod und Zerstörung. Die Menschen erinnern sich daran, und halten sie für diejenigen, die den Tod bringen, aber meist ist es der Tod, der sie holt. Machmal sind sie erfolgreich, manchmal nicht. Und manchmal irren sie sich auch. Aber ich habe keinen von ihrem Volk getroffen, der wirklich böse war."
 

Nachdem die Kinder gegangen waren, stand der alte Mann auf, und holte eine zweite Tasse, die er auch mit Tee füllte. Dann setzte er sich wieder, und sprach in die leere Luft "Das ist noch nicht das Ende der Geschichte." Die Tür zum Nebenraum öffnete sich, und eine verhüllte Gestalt trat ein, einen Umhang um die Schultern, und eine Kapuze, die ihr Gesicht verdeckte. Die Gestalt setzte sich an den Tisch, dem alten Mann gegenüber und sagte. "Diese Geschichte hast du mir nie erzählt." "Nicht dir und niemand anderem, außer einer Person. Aber wie gesagt, sie geht noch weiter. Es muss wohl Schicksal gewesen sein, dass ich mich in Fanelia zur Ruhe setzte, denn nur wenige Wochen darauf kam Varie und heiratete den König. Bei der Geburt ihres ersten Kindes war ich zugegen, denn man kannte meinen Ruf als Heiler. Varie muss wohl gemerkt haben, woher ich mein Wissen hatte. Ein paar Tage später rief sie mich zu sich. Ich war geschockt und wütend, als sie mir auf den Kopf zu sagte, dass ich jemanden ihres Volkes gekannt haben müsste. Es hat zu sehr weh getan. Zuerst stritt ich ab, und wollte schon gehen, aber dann sprach sie meinen Namen aus. Sie erzählte, dass ihr Vater ihr einmal von Villia und Aerie erzählt habe. Und von mir. Es sollte ihr wohl die Angst nehmen. Sie wusste, wen sie einmal heiraten würde, denn es war seit Jahrtausenden vorausbestimmt. Einer ihrer Söhne würde Gaia retten oder für immer zerstören. Wie, wusste niemand, aber dass es so sein würde wurde nicht bezweifelt. Varie hatte Angst vor den Menschen, die ihr Volk jagten, und ich war wohl ein Beispiel, dass es auch Liebe zwischen unseren beiden Völkern geben konnte."

"Aber woher wusste ihr Vater davon?" fragte die Gestalt. "Der Vater von Varie war- der Bruder von Villia." "Der Bruder von Villia?" Die Gestalt schwieg überrascht. "Aber das heißt ja..." "Richtig. Villia war die Schwester des Vaters deiner Mutter- deine Großtante. Und ihre Tochter war meine Frau." Van schaute ihn mit einem seltsamen Blick an. "Das hast du mir nie erzählt." "Ich musste Varie schwören, ihre und meine Geschichte nicht zu erzählen, bis das Schicksal ihrer Kinder erfüllt, und Gaia entweder gerettet, oder auf immer verloren war." Schweigend saßen die beiden noch eine Weile da, und schauten gedankenverloren in das knisternde Kaminfeuer. Dann erhob sich Van. "Danke, dass du es mir jetzt erzählt hast. Ich bin sehr froh darüber. Du hast mir sehr geholfen." Wieder vermummte er sich, und ging durch den Hintereingang davon. "Viel Glück, junger König." Wünschte ihm der Erzähler leise, und trank den letzten Rest des inzwischen kalt gewordenen Tees.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2004-05-10T14:33:41+00:00 10.05.2004 16:33
du kennst ja meine meinung zu der FF, aber trozdem noch mal, da ich es einfach nicht oft genug sagen kann, WUNDERSCHÖNNNNNNNNN, aber traurig *schluchz*


Zurück