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Dilector Diaboli

von

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1. Kapitel
 

 
 

 

Es erschien mir als der letzte Ausweg. Die letzte Möglichkeit, mir selbst zu helfen.

Meine Mutter hatte wieder an Gewicht verloren. Inzwischen brachte sie weniger als fünfzig Kilo auf die Waage und jeglicher Arzt, der mit ihrem Fall vertraut war, hatte uns bestätigt, dass sie den Kampf gegen den Feind in ihr verlieren würde. Vielleicht noch nicht in diesem Jahr, aber womöglich im nächsten.

Die Chemotherapie hatte ihr letztendlich mehr geschadet als genützt. All diese synthetisch hergestellten Stoffe konnten ihren Körper weiter schwächen, somit dem Feind Futter geben und ihr zudem den kleinen Funken Lebenswillen rauben, der bisher noch in ihr geschlummert hatte. Zu Recht. Sie war so eine starke Frau gewesen, eine, die einen eigenen Willen besessen und sich durch nichts und niemanden unterkriegen hatte lassen. Bis er kam und sich ihr in den Weg stellte, der Krebs, der Einzige, der es verdiente, Teufel genannt zu werden, denn ihm haftete nichts Gutes an. Er existierte nur, um eines mit sich zu bringen: Zerstörung. Tod. Und eine tiefe Verzweiflung und Traurigkeit unter uns Angehörigen.

 

Sie mochte ihren Glauben verloren haben. Sie mochte ihre tristen Tage in ihrem Bett verbringen und darauf warten, dass es endlich vorbei war. Und auch ich wälzte mich nächtelang umher, gefangen zwischen Hoffen und Aufgeben, besaß auch ich keinen Glauben, keinen Glauben an nichts außer an mich selbst und an ihre schon lange besiegte Kämpfernatur. Allerdings fühlte ich mich auf gewisse Weise zum Übernatürlichen hingezogen, zu den Dingen, die wissenschaftlich nie bewiesen worden waren, die aber die Erzählungen so vieler Menschen bestätigten. Das Absolute mochte nicht existieren, aber vielleicht das hohe Schicksal, das uns auf unseren Wegen lenkte. Und wenn etwas existierte, auch wenn es nicht greifbar war, so vertrat ich die Ansicht, dass man sich ihm nicht willenlos ausliefern musste. Schließlich war man - wenn man so wollte - allenfalls sein eigener Gott, der nur die nötigen Informationen brauchte, um zur Tat schreiten zu können.

Hilf dir selbst, so hilft dir Gott.

 

Man hörte viel Schlechtes von diesen Wahrsagern, schimpfte sie Quacksalber und sagte ihnen nach, sie seien nur auf das Geld ihrer gutgläubigen Kunden aus und würden ihnen ohnehin nur auf mehr oder minder jeden zutreffende, äußerst allgemein gehaltene Vorhersagen tätigen. Doch diese Gerüchte hielten mich nicht davon ab, das Internet nach einem Medium in meiner Nähe zu durchforsten. Was hatte ich denn noch zu verlieren? Ich besaß genug Verstand und Lebenserfahrung, um erkennen zu können, wenn mich jemand über das Ohr hauen wollte. Deshalb zögerte ich nicht sonderlich lange sondern wählte die Nummer einer in Stockholm ansässigen Person, deren Geschlecht ich nicht anhand ihres Namens ableiten konnte. Hinter Cari Crow konnte in meinen Augen ein Mann, aber genauso gut auch eine Frau stecken. Erst, als sich eine Stimme mit einem recht tiefen Timbre am anderen Ende der Leitung mit eben diesem doch recht wohlklingenden Namen meldete, war die Sache für mich klar.

Der Wahrsager räumte mir einen Termin am nächsten Tag ein, erwähnte jedoch noch nichts von den Kosten, was ich als Seriosität deutete. Deshalb erschien ich nicht mit sonderlich großem Misstrauen bei der Sitzung, stand dem Ganzen aber dennoch etwas skeptisch gegenüber. Denn man wusste nie, was das Schicksal einem für einen Unsinn flüstern würde.

 

Das Büro befand sich in einem recht ungepflegten Hinterhof, was mich zwar nicht störte, es mir allerdings erschwerte, es ausfindig zu machen.

In diesem Teil von Stockholm hielt ich mich eher selten auf, lebten hier doch eher die sozial Schwachen, zu denen ich mich seit meiner Karriere als Eishockeyspieler nicht mehr zählte. Mein Umfeld glich jenem, welches ich hier vorfand, nicht im Geringsten, und doch fühlte ich mich nicht unbedingt unwohl inmitten der überquellenden Mülltonnen und der speckigen Fußwege, entsprach mir ohnehin eher die Punkattitüde als die eines noblen Bürgers. Deshalb drückte ich auch ohne große Vorbehalte den Klingelknopf, hinter dem ein verblichenes C.Crow prangte.

Die Sprechanlage wurde gar nicht erst betätigt. Als ein Summen ertönte, schob ich mit der Schulter die schwere Tür auf und trat in den Hausflur, der dunkel bleiben sollte. Womöglich hatte der Hausmeister sich seit Jahren nicht mehr um das Auswechseln der Glühbirne gekümmert, genauso wenig, wie eine Putzfrau hier nach dem Rechten gesehen hatte. An den ramponierten Wänden hingen dicke Spinnweben, jeder meiner Schritte knirschte und an dem Geländer hatte ich mir prompt einen Schiefer eingejagt, um den ich mich allerdings nicht weiter kümmerte. Das ganze Haus schien mir ziemlich punkrock zu sein, verwahrlost, heruntergewirtschaftet, ungepflegt. Von ganz besonderem Charme war allerdings die Tür, dessen schief hängendes, an einer Ecke eingerissenes Schild mein Ziel markierte.

Cari Crow. Wahrsager.

Ich ließ mir den Namen auf der Zunge zergehen, während ich darauf wartete, dass man mir öffnete.

Crow, wie die Krähe. Wenn dem nicht so war, dann fiel mir allenfalls noch Aleister Crowley ein, was mir jedoch ein unvermitteltes Schmunzeln entlockte.

Ja, die satanische Bibel, dem Grundlagenwerk der Church of Satan, von der hatte ich bereits gehört, sie jedoch nie gelesen. Und ja, sie stammte nicht von Aleister Crowley, sondern von LaVey, und dennoch war sie das Erste, was ich mit diesem Namen assoziierte. Satanisten, das waren für mich fanatische Menschen, keinen Scheiß besser als Christen, schließlich beteten beide Seiten einen Herrscher an, den es nicht gab. So glaubte ich zumindest. Aber so manche Unwissenheit ließ sich im Laufe des Lebens aus der Welt schaffen. Und dieser Mann, der schließlich vor mir stand und mich aus blassen, dunkel umrandeten Augen anschaute, sollte den Stein ins Rollen bringen. Doch dies ahnte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht.

 

"Guten Tag, kommen Sie doch rein."

Er trat einen Schritt beiseite, damit ich seiner Aufforderung Folge leisten konnte, doch ich verharrte noch ein paar Augenblicke vor der Türschwelle und ließ es mir nicht nehmen, mein Gegenüber ausgiebig zu mustern.

Schwarz schien eindeutig seine Farbe zu sein, eine Sache, die wir anscheinend gemein hatten. Nur hätte ich mich nie im Leben in solch eine figurverhüllende Kutte samt Kapuze geworfen, obwohl der Schatten, den Letztere auf das schmale Gesicht darunter zu werfen vermochte, absolut nicht von schlechten Eltern war. Ganz ohne Frage verlieh sie ihm einen harten Touch, ließ die Züge des Mannes wie gemeißelt wirken und brachte seine Augen auf eine fast unheimlich anmutende Art und Weise zur Geltung. Sie stachen deutlich heraus, und ich wusste, dass sie meine Schritte verfolgten, so wie ich durch den schummrigen Flur tappte und schließlich direkt in einem Wahrsagerbüro ähnlich jenen, die in dümmlichen Filmen vorkamen, landete.

"Bitte setzen Sie sich."

Ich fürchtete bei Weitem keine finsteren Gestalten, aber wenn sie urplötzlich hinter mir standen und ich ihren Atem in meinem Nacken spürte, fühlte selbst ich mich nicht mehr ganz wohl in meiner Haut.

Wenige Sekunden später saßen wir uns gegenüber. Ich hatte darauf verzichtet, meine Lederjacke abzulegen, womöglich, weil mein Unterbewusstsein darauf aus war, dass ich ohnehin nicht lange hier verweilen würde. Nein, es stimmte nicht, dass ich mich in den Räumlichkeiten nicht wohlfühlte. Im Grunde wirkten sie sogar recht gemütlich, auch wenn der Hauch von Moder an den Wänden zu hängen schien und man das Tageslicht gründlich mit dicken Jalousien ausgesperrt hatte. Wahrscheinlicher war, dass ich mich im ersten Moment tatsächlich an jene verrufene Quacksalber erinnert fühlte aufgrund der sehr klischeehaften Ausstattung des Zimmers. Die obligatorische Glaskugel fand sich auf einem Schränkchen, selbstverständlich verdeckt von einem violetten Seidentuch, zudem ein Globus, von dem ich keine Ahnung hatte, wozu er diente sowie betont böse angehauchte Bilder von dem gehörnten, ziegenköpfigen Satan samt weiblicher Brust und Pentagramm auf der Stirn.

"Das ist Baphomet", sagte der Wahrsager plötzlich, woraufhin meine Blicke wieder sein ernstes Gesicht fixierten. "Baphomet ist der Repräsentant Luzifers in der Church of Satan. Er ist nicht der Allmächtige. Eher so etwas wie...Luzifers Kollege."

Hatte er meine Gedanken mittels seiner magischen Kräfte erhört? Oder hatte mein Blick ausnahmsweise einmal zu viel preisgegeben, mich als Unwissenden entlarvt? Mir blieb nichts anderes übrig, als Spekulationen diesbezüglich anzustellen, denn mir stand nicht der Sinn danach, diesen dunklen Typen zu fragen, wieso er mir etwas von Luzifers Kollegen erzählte. Schließlich ging es hier um etwas ganz anderes...

Als wir eine Weile geschwiegen hatten, verschränkte er seine Finger auf dem Tisch ineinander und schaute mich neuerlich mit seinem einen auf fast unangenehme Weise durchdringenden Blick an.

"Was führt Sie zu mir?"

Also lief es in diesen Establishments wie in den Arztpraxen ab. Man wurde gefragt, wo der Schuh drückte und anschließend fischte das Gegenüber eine passende Diagnose aus seinem Wissensschatz. Im Grunde passte mir dies ganz gut in den Kram, obwohl ich es als irgendwie seltsam erachtete. Doch zunächst musste ich etwas klarstellen.

"Wollen wir uns nicht lieber duzen?", schlug ich locker vor und deutete ein Nicken an. "Jamie."

Ich hätte den Mann auf ungefähr Mitte Zwanzig geschätzt, womit er genauso alt war wie ich. Irgendwie glaubte ich, mich wohler zu fühlen, wenn er mich mit meinem Vornamen anredete als sich der gestelzten Höflichkeitsformel zu bedienen.

"Okay." Er willigte ein und senkte kurz das Haupt, ehe er mir wieder direkt ins Gesicht sah. "Cari. Wie kann ich dir helfen?"

Es fiel mir beileibe nicht leicht, über dieses Thema zu sprechen, nagte es doch Tag und Nacht an meiner Seele und zerriss mir zeitweise fast die Nerven. Doch ich wusste, auf was ich mich eingelassen hatte. Dass ich einen Wildfremden in meine privatesten Angelegenheiten einweihen wollte. Da musste ich nun durch. Außerdem stellte er meine letzte Hoffnung dar.

"Meine Mutter liegt im Sterben", setzte ich an, während meine Blicke über das nachtschwarze Holz wanderten, aus dem die Tischplatte bestand. "Krebs im Endstadium. Jegliche Medikation ist fehlgeschlagen. Die Ärzte geben ihr nur noch ein paar Monate. Wenn überhaupt."

Geduldig hörte Cari mir zu, verzog dabei allerdings keine Miene, wie ich feststellen konnte, als meine Blicke scheu nach irgendeiner Gefühlsregung in seinem Gesicht suchten. Doch da war nichts Auffälliges außer den tiefen, schweigenden Schatten und dem im Gegensatz dazu metallisch funkelnden Piercing in seinem rechten Nasenflügel.

"Ich verstehe", versicherte er mir, nachdem ich geendet hatte und verstummt war. "Und wie glaubst du, dass ich dir helfen könnte?"

"Du bist doch Magier", setzte ich etwas hilflos an und knetete meine schwitzigen Finger unter dem Tisch. "Man kennt doch die Fälle von wundersamer Heilung durch Handauflegen und dergleichen..."

"Jamie." In seiner Stimme schwang etwas ungemein Belustigtes, aber auch fast Fürsorgliches mit. "Auch Magie kann keine Wunder vollbringen. Magie dient viel mehr dazu, die in einem selbst schlummernden Kräfte zu erwecken und den Glauben an sich selbst zurückzubringen. Aber sie kann das Schicksal nicht zerstören."

Diese Aussage gefiel mir selbstverständlich überhaupt nicht. Ich würde diesem Kerl ein Heidengeld zukommen lassen, nur dafür, dass er mich über den wahren Inhalt magischer Anwendungen informierte. Ich wollte den Mund öffnen und meinem Ärger Luft machen, doch er kam mir zuvor.

"Krankheiten stellen stets eine himmlische Bestrafung dar", erklärte Cari mir gelassen. "Hat deine Mutter in ihrem Leben irgendeine große Sünde vollbracht?"

"Nicht, dass ich wüsste."

Ich zuckte die Schultern und beschloss, mich darauf einzulassen, obwohl seine Worte noch immer wie ausgemachter Quatsch für mich klangen.

"Hat sie Gott gelästert?", hakte er nach. "Man muss vorsichtig sein mit dem, was man über den Herrn im Himmel sagt. Er hört alles..."

Was sollte das denn jetzt? Wollte er mir etwa weißmachen, dass es Gott und Teufel, Himmel und Hölle tatsächlich gab? Anscheinend war ich wieder nur an einen Verrückten geraten, dem sein esoterisches Geplänkel längst zu Kopf gestiegen war.

"Gott gibt es nicht", erwiderte ich deswegen fest, woraufhin mein Gegenüber breit zu grinsen begann und seine weißen Zähne entblößte.

"Also bist du es", stellte er amüsiert fest. "Du scheinst mehr auf der Seite der Abtrünnigen zu stehen, mh? Das ist selbstverständlich höchst verwerflich, aber einen Menschen von seinen Überzeugungen abzubringen ist mindestens genauso schwer wie die Christen zu dem richtigen Gott zu bekehren."

Eisern schwieg ich. Das Ganze war mir nicht mehr geheuer. Ich wollte eigentlich nur noch gehen, doch aus irgendeinem Grund blieb ich sitzen und ließ mich weiter von diesem Durchgeknallten einlullen.

"Was passiert ist, ist passiert. Magie kann deine Mutter nicht retten. Aber ich könnte dir sagen, wie deine Zukunft aussehen wird. Würde dir das weiterhelfen?"

Da mir ja gar nichts anderes übrig blieb, zuckte ich hilflos die Schultern und nickte.

"Immer noch besser als nichts", sagte ich.

Zumindest würde ich dann genügend Zeit haben, um mich auf den Tod meiner Mutter vorzubereiten, wenn ich schon jetzt alles offenbart bekäme. Vorausgesetzt, der Kerl laberte keinen Scheiß...

 

Wortlos ging Cari zu einer seiner vielen Kommoden, öffnete den obersten Schub und holte ein Kartenspiel heraus. Misstrauisch runzelte ich die Stirn, so wie er wieder mir gegenüber Platz nahm und begann, die Karten mit geschickten Händen zu mischen. Anschließend breitete er sie auf dem Tisch aus.

"Such dir drei davon aus", wies er mich an, und ich tippte ohne lange zu überlegen auf irgendwelche x-beliebigen Karten, welche Cari kurzerhand nacheinander aufdeckte und zwischen uns in einer Reihe auf den Tisch legte.

"Diese Legeart nennt sich das Drei-Karten-Orakel", erklärte er mir, und ich hätte beinahe verlauten lassen, dass ich darauf nie im Leben gekommen wäre. "Mittels seiner Hilfe wird einem ein grober Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gewährt. Die erste Karte stellt somit die Vergangenheit, die zweite die Gegenwart und die dritte die Zukunft dar. Alles klar?"

Skeptisch starrte ich auf die Motive, die direkt vor mir lagen.

The Fool stach mir besonders ins Auge.

"Ah, die will mir sagen, dass ich in der Vergangenheit in Idiot war", mutmaßte ich, erntete aber ein promptes Kopfschütteln von Cari.

"Hinter den Bildern verbergen sich keine solch offensichtlichen Botschaften", sagte er und tippte mit dem Zeigefinger auf eben den Narren. "Die Esoterik lehrt uns, dass das Göttliche stets in uns selbst zu finden ist und nicht in der Außenwelt, wie viele Menschen glauben. Der Narr zum Beispiel soll eine Ermutigung darstellen. Er erinnert uns daran, dass wir unsere naturgegebene Neugierde nicht unterdrücken sollen. Allerdings beinhaltet er auch stets eine gewisse Unreife." Er hob den Finger, um mich zum Schweigen zu bringen, und ich schloss auf seinen Befehl hin sofort den Mund. "Das gesamte Leben besteht darin, an sich selbst und seinen Erfahrungen zu wachsen, wozu es allerdings vonnöten ist, seine Komfortzone zu verlassen und sich für neue Erfahrungen zu öffnen. Wenn der Narr wie in diesem Fall die erste Tarotkarte im Legesystem ist, steht er für einen Neubeginn, für dich wichtige Ziele und neue Erfahrungen."

Das Ganze kam mir trotz der sehr ausführlichen Erklärung noch sehr spanisch vor, hatte ich doch keine Ahnung, auf was ich all diese Dinge beziehen sollte. Zumal sie etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hatten...doch für welchen Neubeginn und welche bedeutenden Erfahrungen hatte meine Vergangenheit den Grundstein gelegt?

"Sehr rätselhaft", gab ich meinen Kommentar ab. "Und was soll mir das nun sagen?"

"Das musst du selbst herausfinden", meinte Cari bedeutungsschwanger, was mir allerdings ein Schnauben abrang. Verarschen konnte ich mich auch alleine.

"Weiter", forderte ich dennoch, woraufhin Cari mir einen kurzen, prüfenden Blick zuwarf, der mein Herz in die Höhe springen ließ und dann fortfuhr. Mit einer Karte namens Der Hierophant.

"Oh, das ist ja interessant." Mein Gegenüber schmunzelte. "Der Hierophant weist auf die eigenen Glaubenssätze und Überzeugungen hin. Er erinnert dich daran, dass die großen Mächte dir helfen werden, deine Ziele zu erreichen, aber nur, wenn du selbst an sie glaubst."

"Ein gutes Omen", mutmaßte ich in Anbetracht meiner Mutter. "Also muss ich mich zusammenreißen?"

"Sieht ganz danach aus", bedeutete mir Cari mit einem kecken Augenzwinkern, mit dem er genauso gut ein Mädchen hätte anmachen können. "Versuche dich darauf einzulassen, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die wir nicht erklären können."

"Das tue ich längst", sagte ich. "Aber die großen Mächte..."

"Auch sie gibt es", verkündete er deutlich, was mich zum Schweigen verdonnerte. Dafür folgte mein Blick seinem Zeigefinger, der nun auf der dritten und letzten Karte, der Zukunftskarte, zum Liegen kam.

The Hermit.

"Der Eremit kennzeichnet eine Phase in deinem Leben, auf den du dich auf dein wahres Selbst konzentrieren solltest. Hin und wieder gelangen wir an Punkte, an denen alles zusammenzubrechen scheint. Und wenn wir keinen Halt haben, den wir zum Beispiel in einer Person finden, die uns unterstützt, kann es vorkommen, dass wir in eine tiefe Depression stürzen und sogar den letzten Lebensmut verlieren. Aber auch ohne solch einen Ankerpunkt sind wir nicht alleine, denn wir haben noch uns. Uns und unser inneres Licht."

"Das zielt alles darauf, dass wir unser eigener Gott sind, habe ich das Gefühl", begann ich zu überlegen. "Aber wieso faselst du dann von Gott im Himmel und Teufel in der Hölle, wenn wir das Absolute in Wirklichkeit in ins selbst tragen?"

Einmal mehr hatte Cari nicht mehr als ein beinahe mitleidiges Schmunzeln für mich und meine Unwissenheit übrig.

"Der innere Gott entscheidet sich grundlegend von den großen Mächten", setzte er an und schob sich eine seiner langen, schwarzen Haarsträhne aus dem Gesicht. "Er ist weitaus stärker, aber auch zerstörbarer als Gott und Teufel zusammen. Und zudem ist er nur für dich existent, aber für niemand anderen. Du bist sein einziger Jünger, während die großen Mächte viele Anhänger haben."

Einmal mehr eine Aussage, die in sich so logisch klang, dass ich auch von selbst darauf gekommen wäre. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass die komplette Sitzung mir keinerlei Offenbarungen unterbreitet hatte. All das, was Cari mir hier erzählt hatte, selbst seine vagen Weissagungen, hätte ich mir genauso gut allein mit etwas theoretischem Wissen über die Materie zusammenklamüsern können, weshalb ich mich bereits daran machte, mich resigniert von meinem Stuhl zu erheben und das sinnlose Gespräch zu beenden. Allerdings hatte ich einmal mehr nicht mit Cari gerechnet, welcher urplötzlich eine Information für mich bereithielt, die selbst mich hellhörig werden ließ.

"Okay, okay, du willst deiner Mutter unbedingt helfen", fasste er zusammen, nachdem ich mich wieder ihm gegenüber gesetzt hatte und mein abwartender Blick seine Züge studierte. Skeptisch hob er eine Augenbraue an. "Aber auch um jeden Preis?"

Ich vermutete, dass er mir diese Extrainformation separat auf Rechnung setzen würde, und da ich sicherheitshalber ohnehin über Viertausend Kronen mit mir führte und nichts mehr zu verlieren hatte, fühlte ich mich berufen, getrost zu nicken.

"Gut, dann hör zu." Cari legte seinen Kopf schief und betrachtete mich eingehend, so, als würde er versuchen, mich einzuschätzen. Wie tief meine Hemmschwelle sinken würde, wenn es sich um meine Mutter handelte. Was für ein Ausmaß an esoterischem Schwindel ich ihm abkaufen würde.

Er faltete neuerlich die Hände auf dem Tisch.

"Das Schicksal mag unabwendbar sein, nicht zu manipulieren, aber die großen Mächte sind es. Es gibt eine einzige Möglichkeit, den Fluch des Unbarmherzigen abzuwenden. Du musst es lediglich schaffen, den Dunklen auf deine Seite zu ziehen und seinen Schutz heraufzubeschwören. Dann kann dir nichts mehr passieren. Denn das Verderben ist stärker als das Licht. Das Böse wird immer in der Lage sein, das Gute zu zerstören. Sei dir dessen bewusst..."

"Und was muss ich tun?", wollte ich etwas ungehalten wissen, da mich seine so dramatisch formulierten Sätze zusehends zu nerven begannen. Doch als mich einmal mehr Caris Blick traf und mir dieser direkt in die Augen stach, brachte ich abermals kein weiteres Wort über die Lippen. In Hypnose, ja, darin konnte ihm womöglich niemand das Wasser reichen...

"Pass auf." Er knaupelte auf seiner Lippe herum, ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen, bis er erneut an mir hängen blieb. "Während der ersten Vollmondnacht des Jahres musst du drei Schamhaare des Teufels in einem Glas aus zwei Teilen Wasser und einem Teil seines Spermas zu dir nehmen. Solltest dir dieses Kunststück gelingen, so bist du befreit von all den himmlischen Bestrafungen."

Er hatte mir ja schon viel Schwachsinn erzählt, aber das schlug dem Fass eindeutig den Boden aus. Ja, ich war der festen Überzeugung, mich verhört zu haben!

"Ich soll was?", hakte ich fassungslos nach und zog die Stirn kraus, machte ein Gesicht wie einer, der sein Gegenüber akustisch nicht verstanden hatte. "Das ist nicht dein Ernst."

Cari jedoch nickte langsam.

"Wenn ich es doch sage."

Eine Weile lang hockte ich kopfschüttelnd auf meinem Sitz und versuchte, das eben Gehörte zu verarbeiten, mich mit ihm zu arrangieren. Doch das fiel mir selbstverständlich schwer. Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass ich es hier nicht nur mit einem Geisteskranken, sondern auch mit einem Perversen zu tun hatte. Nie im Leben hätte ich diesen schwachsinnigen und gleichzeitig ekelhaften Rat befolgt. Zumal er in meinem Universum überhaupt nicht funktionieren konnte...dies war rational einfach nicht erklärbar!

"Du lügst", sagte ich ihm offen ins Gesicht und hob mein Kinn. "Außerdem gibt es keinen Teufel. Schließlich hat er sich mir noch nicht persönlich vorgestellt."

Sein darauffolgendes Grinsen schaffte es, mich beinahe in Rage zu versetzen.

"Oh, ich denke doch", verkündete er und bleckte seine weißen Eckzähne. Im nächsten Moment jedoch fuhr er wieder seine Mitleidstour und schaute mich aus großen, treuherzig blickenden Hundeaugen an. "Du wirst doch nicht denselben Fehler machen wie all die Leute, die nur an das glauben, was sie mit ihrem angeblich so gesunden Menschenverstand erklären können? Jamie, Jamie, ich hätte dich für intelligenter gehalten. Du fühlst dich doch zur Dunkelheit hingezogen, mh?" Er lehnte sich zu mir vor und schmunzelte. "Du bist doch ein kleiner Sünder...das verrät mir bereits dein Blick...so aufmüpfig und entschlossen..."

Um wieder etwas zur Beherrschung zu gelangen, räusperte ich mich kurz und beschloss, dass ich mir dennoch nähere Auskünfte bezüglich dieser Verbrüderung mit der Dunkelheit geben lassen würde. Schließlich lag es letzten Endes ganz bei mir, ob ich seinen Worten Folge leistete oder nicht. Sollte er also ruhig mit der Sprache herausrücken. Meine Neugierde hatte er ohnehin geweckt, das konnte ich nicht einmal abstreiten.

"Und wo meinst du finde ich diesen Teufel?", hörte ich mich sagen und schüttelte gedanklich über diese Frage den Kopf. In der Hölle, würde die Antwort lauten, vermutete ich, doch anscheinend wusste ich doch so viel weniger, als ich geglaubt hatte.

"In deinem Kopf, in deinen Träumen", erwiderte er betont weise klingend und zog einen Zettel aus dem Stapel, der sich auf seinem Schreibtisch türmte. Anschließend griff er zu einem Kugelschreiber und begann, etwas auf dem Papier zu notieren. Dann reichte er es mir und ich überflog sofort jene Zeilen, die in Caris etwas krakeliger Handschrift verfasst worden waren.

 
 

Vater unser, der du bist in der Hölle,
 

Geheiligt werde dein Name.
 

Dein Königreich ist gekommen.
 

Dein Wille ist geschehen.
 

Auf der Erde wie in der Hölle.
 

Wir nehmen in dieser Nacht das uns rechtmäßig Zustehende,
 

Und betreten nicht den Pfad der Schmerzen.
 

Führe uns in Versuchung.
 

Erlöse uns von der falschen Frömmigkeit.
 

Denn dein ist das Reich
 

Und die Kraft
 

Und die Herrlichkeit
 

In Ewigkeit.
 

Shemhamforash!
 

 
 

"Aha, das Vaterunser der Verdammten", stellte ich fest und faltete das Blatt zusammen, damit ich es in meiner Hosentasche verschwinden lassen konnte. "Und wozu könnte es mir nützlich sein?"

"Du wirst es wissen, wenn es so weit ist", tätigte Cari wieder einmal eine seiner vagen Andeutungen, die alles und gleichzeitig nichts aussagten. Da ich ahnte, dass ich ihm ohnehin nicht mehr entlocken konnte, ließ ich die Sache auf sich beruhen und ging zum finanziellen Teil des Geschäftes über.

"Wie viel verlangst du?"

"Eigentlich Dreitausend", antwortete er, schlug dann aber wissend seine Lider nieder und schenkte mir einen koketten Blick. "Solchen attraktiven Jungs wie dir gewähre ich allerdings einen Sonderpreis. Gib mir Zweitausend, und deine Schuld ist beglichen."

Ohne einen Kommentar zu diesem recht offensichtlichen Kompliment abzugeben griff ich in meine Hosentasche und blätterte die gewünschte Summe auf den Tisch. Anschließend erhob ich mich.

"Danke", sagte ich, wusste allerdings nicht, ob ich es auch so meinte. Ohne mich umzuschauen steuerte ich die Tür an. "Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen, Jamie", hörte ich die Stimme Caris hinter mir sagen und ich wurde das Gefühl nicht los, dass eine gewisse Häme in ihr schwang. Oder aber, dass hinter all diesen vielseitig interpretierbaren Worten viel, viel mehr steckte, als man auf den ersten Blick vermuten mochte.

Wie Recht ich mit dieser Einschätzung haben sollte, zeigte sich bereits in der darauffolgenden Nacht...



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