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Where the rain falls

von

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Reichtum

Wenn man alles verloren hatte, was einem im Leben wichtig war, blieb nichts mehr übrig. Nur eine endlose Leere in der Seele und ein Loch im Herzen, nichts als Unvollkommenheit und Schmerzen. Murphy Pendleton war jemand, der alles verloren hatte. Seine Familie. Nichts war ihm wichtiger gewesen als seine Frau Carol und sein Sohn Charlie, aber sie waren beide fort. Und die Schuld daran trug er selbst, niemand sonst. Er war alleine.

Jeder noch so kleine, flüchtige Gedanke an seine Familie, an die friedlichen Zeiten mit ihr, war für ihn wie ein Stich mitten ins Herz, in dem inzwischen derart viele Löcher klaffen mussten, dass es an ein Wunder grenzte, es überhaupt noch schlagen zu hören. Seine Brust fühlte sich schwer wie Blei an, trotz der Leere, in der sich seine Gedanken oft verirrten und manchmal befürchtete er, sie würden dort für immer verlorengehen. Das könnte er nicht ertragen.

Obwohl Murphy alles verloren hatte, waren ihm wenigstens noch die Erinnerungen geblieben. Sie mochten den Schmerz über seinen Verlust nur vergrößern, doch er hing sehr an ihnen. Für ihn waren sie das kostbarste Gut von allen, kein Geld der Welt könnte den Wert jemals ausgleichen, den sie in seinen Augen besaßen. In dieser schweren Zeit waren sie der einzige Reichtum, den er sich bewahren konnte. Früher hatte seine Familie diese Stellung eingenommen, jetzt gab es nur noch die Erinnerungen an sie.

Gäbe es sie nicht, wäre Murphy längst an dem kalten Gefühl erstickt, das ihm die Kehle zuschnürte und ihm den Atem rauben wollte. Dank diesem letzten Funken Reichtum konnte er sich am Leben halten, statt sich der Verzweiflung hinzugeben und es war ihm möglich nachts in seine zu Träume flüchten, wo die Erinnerungen ihm vortäuschten, die Welt wäre noch in Ordnung. Darauf könnte er nicht verzichten, egal wie schmerzhaft das Erwachen danach am Morgen war.

Es waren diese Träume, die ihm dabei geholfen hatten, sich ein Ziel zu setzen. Ein Ziel, wegen dem er nun hier in dieser Zelle im Ryall State Gefängnis hauste und auf eine Chance wartete, seinen Fehler wieder gutzumachen. Als Verbrecher war er hinter Gitter verbannt worden, aber er würde nicht als einer wieder gehen, im Gegenteil. RS 273A. Seine Gefangenennummer war in Wirklichkeit die Kennziffer von einem Rächer, nicht die eines Verbrechers.

Bis der Tag kommen konnte, an dem er seine Schuld durch eine gute Tat reinwaschen würde, musste er geduldig bleiben und die Zeit irgendwie überstehen, ohne verrückt zu werden. Erstaunlicherweise war Murphy überraschend ruhig, was auch viele der Wärter stets positiv bei ihm anmerkten, vor allem Frank Coleridge. Mit ihm verstand er sich ziemlich gut und der Mann schien sich um ihn zu sorgen. Zumindest bemühte Frank sich darum, Murphy in Gespräche zu verwickeln, vermutlich um ihm das Leben im Gefängnis durch einen guten, sozialen Kontakt angenehmer zu gestalten.

Frank war ein wirklich guter Mensch. Eigentlich viel zu gut und es tat Murphy leid, dass er meistens keine richtige Lust für eine Unterhaltung mit ihm aufbringen konnte. Zu intensiv kreisten seine Gedanken um sein Ziel, seine bevorstehende Rache und ihm war schlicht nicht danach, soziale Kontakte zu knüpfen. An sich mochte er Frank, außerhalb dieser Mauern könnten sie vielleicht sogar richtige Freunde werden, doch daran wollte Murphy nicht denken. Solange es noch etwas zu erledigen gab, konnte er das nicht.

Zuerst musste er seine Schuld begleichen, was ihn hoffentlich auch innerlich so zur Ruhe brachte, wie er es äußerlich war. Ein neues Leben hatte er sich nicht verdient und er wollte sich auch gar nicht von seinen Erinnerungen trennen, an denen er sich klammerte, wie ein kleines, hilfloses Kind. Früher oder später könnten die Bilder der Vergangenheit sonst verblassen und durch andere ersetzt werden, allein die Vorstellung war für Murphy unerträglich. Nein, nichts und niemand durfte ihm das wegnehmen, seinen Reichtum musste er verteidigen. Um jeden Preis.

Murphy war gerade damit beschäftigt, etwas in ein Buch zu schreiben, das er dank Frank samt Kugelschreiber behalten durfte, wie auch immer er das geschafft hatte. Bestimmt hatte seine gute Führung dabei eine tragende Rolle gespielt. Noch wusste er selbst nicht so recht, ob er es als Tage- oder simples Notizbuch bezeichnen sollte, allerdings half es ihm dabei, tagsüber etwas Zeit mit schreiben voranzutreiben. Am Anfang hatte er nur schweigend auf dem Bett in seiner Zelle gesessen und abwesend die Wand vor sich angestarrt, das nagte auf Dauer aber an dem Verstand – und die Zeit schien dabei eher rückwärts statt vorwärts zu laufen.

Plötzlich ertönte ein lauter, metallischer Knall an den Gitterstäben zu seiner Zelle und Murphy schreckte auf. Sofort huschte sein Blick zur Seite, Richtung Ursprung des Lärms, und er musste sich beherrschen, nicht laut zu seufzen, als er sah, wer da gerade vor seiner Zelle stand. Wärter George Sewell, das genaue Gegenteil von Frank. Ein Mensch, mit dem man freiwillig nichts zu tun haben wollte, in seiner Nähe wirkte die Atmosphäre automatisch angespannt und nahm eine penetrante, kalte Note an. Der prüfende Blick und das undefinierbare Funkeln in den braunen Augen von Sewell machten es nicht gerade besser.

„Schlafenszeit, Cupcake“, sagte er mit scharfer Stimme. Seine Lippen deuteten ein amüsiertes Grinsen an und er fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkelbraunes, glatt frisiertes Haar. In seiner Uniform und durch die Position auf der anderen Seite der Gitter musste dieser Mann sich gerade unbeschreiblich wichtig vorkommen. „Ich fürchte, du wirst das Buch über deine tragische Lebensgeschichte heute nicht mehr beenden. Gleich wird es für euch zappenduster.“

Cupcake. Wie sehr Murphy es hasste, wenn Sewell ihn so nannte, das war ein grauenvoller Spitzname und obwohl er darauf achtete, sich die Abneigung gegenüber diesem Titel nicht anmerken zu lassen, blieb der Wärter unheimlich beharrlich. Womöglich hatte Sewell einen sechsten Sinn dafür entwickelt, Gefangene zu durchschauen, egal wie perfekt eine Maske auch sein mochte, die ihm vorgespielt wurde. Im Falle von Murphy war sie nicht mal gespielt, sein Wesen war von Natur aus ruhig und er war froh darum, nicht leicht reizbar zu sein.

„Verstanden“, erwiderte er nur knapp auf Sewells Worte und schloss das Buch, das auf seinem Schoß lag. Eine tiefe Ruhe lag in Murphys Stimme. „Danke für den Hinweis.“

Dieser Dank war nicht mal halb so ehrlich gemeint, wie es klang, aber Sewell lachte auch nur kurz darüber. „So umgänglich wie immer.“

Erneut schlug er mit seinem Schlagstock gegen die Gitterstäbe, diesmal nur sacht und er warf ihm dabei einen eindringlichen Blick zu, den Murphy problemlos verstand. Von seiner Seite aus folgte nur ein Nicken, das Sewell bestätigen sollte, was er wissen wollte und daraufhin ging der Mann auch endlich wieder seiner Arbeit nach, indem er die nächsten Gefangenen bei ihren Tätigkeiten unterbrach. Murphy wartete so lange, bis die Schritte des Wärters endgültig in der Ferne verhallten und schüttelte dann seufzend den Kopf.

Anschließend legte er sich richtig ins Bett, platzierte den Kugelschreiber seitlich neben sich und ließ das Buch auf seiner Brust ruhen, wo er es mit einer Hand weiterhin festhielt. Ziellos glitten seine Augen über die Decke, ohne sie richtig wahrzunehmen. Schlafenszeit war etwas, worauf Murphy jeden Tag sehnsüchtig wartete, denn es brachte ihn näher zu der Hoffnung, dass seine Erinnerungen an seine Familie ihm schöne Träume bescheren würden. Es klappte nicht immer, einige Nächte schlief er auch einfach traumlos durch, doch er wollte nicht aufgeben.

Heute Nacht werde ich ganz bestimmt von ihnen träumen.

Während diesem Gedanken drückte Murphy das Buch noch fester an sich und schloss die Augen, noch bevor die Lichter gelöscht wurden, um so schnell wie möglich einzuschlafen. Wenige Augenblicke später war er wirklich in einem Traum verschwunden, exakt zu dem Zeitpunkt, als Dunkelheit in dem Gefängnis ausbrach.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Flordelis
2015-02-15T18:33:29+00:00 15.02.2015 19:33
*Hände reib*
Also, damit ich nicht üüüüüüüüberall beim Kommentieren hinterherhinke, fange ich mal hier an~.

Erst einmal mag ich den Titel, weil er so schön an meinen angelehnt ist. ♥
btw. ja, als ich dir die Wörter gab, hatte ich gehofft, dass es was zu Downpour wird. XD
Ich mag dein Cover, das ist echt cool~. Ich hab ja nur ein fremdes Bild geklaut, du hast dir mal wieder Mühe gemacht. ♥
Und du hast sogar Steckbriefe~. Darüber habe ich auch nachgedacht, aber ich fand kein gutes für Fletcher. >_>
Ich mag deine Steckbriefe jedenfalls. 。◕‿‿◕。

Jetzt fange ich mal mit der Story an~.

Armer Murphy. Q____Q
Ah und da entdecke ich schon das erste Wort~.
Jedenfalls finde ich schön dargestellt, wie zerbrochen Murphy ist, weil er nun weder Charlie noch Carol hat. Man spürt, wie wichtig ihm die beiden waren.

> Seine Gefangenennummer war in Wirklichkeit die Kennziffer von einem Rächer, nicht die eines Verbrechers.
So awesome. Dieser Satz ist großartig. ♥
Ich liebe ihn. Du schaffst immer irgendwelche Sätze, die man nur lieben und großartig finden kann.

Frank Coleridge! TT_____TT
Ich finde es schön, dass er hier auch erwähnt wird.
Frank ist so großartig, deswegen liebe ich es im Spiel so sehr, wie seine Auftritte dort gestaltet werden, sowohl vergangenen als auch seine gegenwärtigen.

> und er wollte sich auch gar nicht von seinen Erinnerungen trennen, an denen er sich klammerte
an die er sich klammerte ;3

Ja, verteidige deinen Reichtum, Murphy! Q_____Q
Du kannst es schaffen!

Aha, das Buch!
Interessant, dass du es geschafft hast, es nicht nur in eine FF einzubauen, sondern ihm auch einen vernünftigen Bezug zur Story (oder eben den anderen Charakteren) zu geben. Finde ich gut~.

Sewell! ಠ_ಠ
Den gibst du gut wieder, gratuliere.
Gott, ich kann den Kerl nicht ausstehen. >_>

Awwwwwwwwwwwwwwwww, das hat mir gefallen. ♥
Hach, Murphy. ♥
Also bislang finde ich es gut, du kriegst es mal wieder schön hin, Stimmungen einzufangen und widerzugeben. Selbst Sewell ist dir gut gelungen.
Ich bin schon gespannt, wie es weitergehen wird und Murphy wohl so träumt. :3


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