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Tribal Soul

Das Tor zu deinen Träumen
von

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Neonrot

Es war ein Tag wie jeder andere. Hätte sie zumindest am liebsten gesagt. Aber diese wahnsinnigen Kopfschmerzen, die sie selbst bis in den Schlaf verfolgt hatten, machten es ihr unmöglich überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen. Mehr als Augenzukneifen und sich stöhnend unter der Bettdecke verkriechen, schien in diesem Moment völlig abwegig zu sein.

Und das konstante und nervige Geschrei direkt neben ihrem Bett machte die ganze Situation nicht unbedingt erträglicher.

 

„Lee, jetzt komm schon! Du kannst doch nicht ewig liegen blieben! Du bist doch sonst nicht so ein Morgenmuffel!“ Schmerz pochte erneut in ihren Schläfen. Hilflos grub sie ihre Finger in das Kopfkissen und hielt die Luft an, bis der Schmerz endlich wieder abebbte. „Eyleen! Jetzt reicht es aber wirklich! Ich gehe gleich ohne dich und dann kannst du zusehen, wie du noch pünktlich zur Uni kommen willst!“

Die Angesprochene ließ ein genervtes Stöhnen hören, wagte es aber trotz der Dringlichkeit in der Stimme ihrer Freundin nicht aus ihrem Bettzeug-Kokon herauszukommen.

„Mia, schrei bitte nicht so! Mein Kopf platzt sowieso schon jeden Moment!“ Selbst bei ihrer eigenen flüsternden Stimme antwortete ihr fast berstender Schädel mit einer eigentlich unmöglichen Intensivierung des Pochens. Stöhnend vergrub sie sich noch tiefer in die unendlichen Weiten ihrer Bettwäsche. „Wie spät ist es?“

„Es ist viertel nach sieben und du weißt, dass wir um acht Uhr in der Universität sein müssen! Wir. Kommen. Zu. Spät! Und das wird unseren Professoren so gar nicht gefallen! Erinnerst du dich an letztes Mal? Die Zusatz-Hausarbeit?“ Dies war der erste Fakt an diesem Tag, der sich einen Weg durch die Schmerzen in ihrem Kopf bahnte. Wenn sie nicht sofort aufstünde, würden sie tatsächlich zu spät kommen und das würde wieder ein großes Chaos verursachen!

 

Mit einem gefluchten „Mist!“ schlug die junge Frau widerwillig die Bettdecke nach hinten und schwang ihre Beine über die Bettkante. Wie erwartet blickte sie sogleich in die schokoladenbraunen Augen ihrer besten Freundin, die natürlich schon vollkommen fertig bekleidet und für die Uni vorbereitet war. Die langen, schwarzen Haare fielen ihr weich den Rücken hinab, das weite schwarze Oberteil mit den lila Streifen und die graue Leggins schmeichelten ihrer Figur und die Brille verlieh ihr wieder diesen – wie Eyleen fand – intelligenten Ausdruck. Mia war alles, was Eyleen immer hatte sein wollen. Verantwortungsbewusst, schlau und für ihre 19 Jahre schon extrem reif. Auch, wenn sie selbst nur zwei Jahre jünger war, kam sie sich neben ihrer Kindheitsfreundin immer vor wie ein kleines Mädchen.

„Einen Kaffee, bitte. Mit extra starker Kopfschmerztablette. Ich gehe duschen. Bin sofort da.“ Sich den Schlaf aus den Augen reibend, schlurfte sie aus ihrem kleinen Zimmer und bog nach rechts in das Badezimmer ab. Ungeschickt schälte sie sich aus ihrem Schlafanzug, ließ diesen achtlos auf die weißen Fliesen fallen und nur einen Moment später prasselte bereits das heiße Wasser der Dusche auf sie ein.

 

Sofort fiel ein großer Teil der Anspannung von ihr ab, die ihren Körper die ganze Nacht festgehalten hat. Eine merkwürdige Spannung, die ein ungutes Gefühl in ihrem Magen hat wachsen lassen, das sie selbst durch den Schlaf hatte spüren können.

Das war definitiv eine von den Nächten, die man am besten schnellstmöglich wieder vergessen sollte.

 

Nachdem sie sich gründlich (aber schnell) gewaschen hatte, verließ sie die Dusche sofort wieder. In wenigen Minuten hatte sie sich abgetrocknet und war bereits in ihre Kleidung geschlüpft. Eine einfache dunkelblaue Jeans, ein rotes T-Shirt und eine zur Hose passende, halblange Jeansjacke, die sie gerne als Ersatzpullover benutzte. Das war bei den kalten Temperaturen dieses viel zu nassen Frühlings zwar ein wenig gewagt, aber etwas in ihr hoffte so den Sommer, oder wenigstens den warmen Teil des Frühlings, endlich hervorlocken zu können.

Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie noch einen letzten Blick in den Spiegel. Die leicht gewellten, schulterlangen dunkelblonden Haare glänzten noch ein wenig feucht im Licht der Badezimmerlampe. Meerblaue Augen blickten ihr ein wenig erschöpft entgegen und ihre helle Haut war irgendwie noch blasser als sonst. Aber alles in allem war sie vorzeigbar, fand sie. Zumindest für die Rekordzeit, in der sie sich fertig gemacht hatte. Nicht mal zehn Minuten! Sie war schon beinahe etwas Stolz auf sich!

 

Sie schlüpfte durch die Holztür und lief in die Küche, die sich gleich schräg gegenüber befand. Wie sie erhofft hatte, stand bereits eine große dampfende Tasse Kaffee auf dem kleinen Küchentisch und eine bekannte weiße Tablette wartete ebenfalls auf sie. Sie warf ihrer Freundin, die lässig, aber ein wenig verstimmt, an der Küchenzeile lehnte, einen dankbaren Blick zu und machte sich über ihr „Frühstück“ her.

 

„Mia, jetzt guck mich nicht so an! Ist eben mal passiert“, kam es von der jungen Frau, als sie ihren nun geleerten Kaffeebecher in die Spüle stellte und nach einem Apfel aus der Schale direkt daneben griff.

„Wie lange wohnen wir nun schon zusammen?“ Nach diesem Kommentar fiel es ihr schwer sich das Seufzen zu verkneifen. Jetzt fing sie tatsächlich damit wieder an …

„Knappe zwei Jahre“, meinte die Blonde, die ohne ihre Freundin anzusehen, in den Flur ging, um sich die Schuhe anzuziehen. Doch die schweren Schritte hinter ihr wichen nicht von ihrer Seite.

„Genau! Und seit exakt zwei Jahren muss ich dich in regelmäßigen aus dem Bett jagen, damit wir nicht irgendwo hin zu spät kommen!“ Während Eyleen mit ihren Schnürsenkeln kämpfte, band ihre Freundin ihre langen schwarzen Haare zu einem einfachen Pferdeschwanz zusammen und nahm die bereits an der Haustür bereitstehende Schultasche in die Hand. Danach stemmte sie ungeduldig in Hände in die Hüfte.

„Ja, ja, das weiß ich alles und ich bin dir auch sehr dankbar für alles, was du für mich tust, aber ich mach das wirklich nicht mit Absicht!“ Mit einem schnellen Handgriff schnappte sie sich ebenfalls ihre Tasche, zwängte den Apfel durch deren schmale Reißverschlussöffnung hinein, und huschte zur Tür. „Und du machst das doch sehr gut! Bis jetzt haben wir es eigentlich immer pünktlich geschafft! Na ja, fast“, meinte sie lächelnd, als sie im Hausflur darauf wartete, dass die Schwarzhaarige die Haustür abschloss. Diese seufzte, doch nicht ohne, dass ihre Mundwinkel ein klein wenig zuckten.

„Eine tolle beste Freundin hab ich mir da angelacht!“ Nun war das Lachen klar und deutlich in ihrer Stimme zu hören, auch, wenn sie sich Mühe gab, es bloß nicht auf ihrem Gesicht zu zeigen.

„Selbst schuld!“ Plötzlich lag ein entspanntes Lachen in der Luft, wodurch selbst die Kopfschmerzen auf einmal unwichtig erschienen.

 

Schnellen Schrittes drängten sich die beiden Freundinnen durch die Menschenmassen, die sich gemächlich über den Fußweg schoben. Männer mit Anzügen und Aktenkoffer und Frauen in Rock und Bluse, deren Pfennigabsätze nervig auf dem Gehweg klapperten. Schon oft hatten sie darüber geflucht, dass ihre Schule ganz in der Nähe eines Industriegebietes lag, in dem es von verschiedenen Bürokomplexen nur so wimmelte. Autos, wohin das Auge blickte, die sich nur langsam über die verstopften Straßen quälten und Fußgängerampeln, die ganz klar den Straßenverkehr den Fußgängern vorzogen. Wer da nicht schnell und risikobereit war, stand gerne mal mehrere Minuten lang an den einzelnen Fußgängerüberwegen.

„Was hast du jetzt nochmal?“, brachte Eyleen kurzatmig hervor, als sie geschickt einem im Weg stehenden Bürotypen auswich.

„Die Müller. Politische Theorie. Wie jeden Mittwoch um diese Uhrzeit.“ Die Blondine grinste, als sie die kurz angebundenen Sätze ihrer Freundin hörte. Mia war nicht gerade die sportlichste, weshalb sie es umso mehr hasste, sich beeilen zu müssen.

„Du weißt, dass ich mir nicht mal meinen eigenen Stundenplan merken kann, geschweige denn deinen. Ich weiß nur, dass wir nach meiner Basis der Volkswirtschaftslehre-Vorlesung eine Runde Makroökonomie zusammen genießen und dann endlich wieder nach Hause gehen können!“ Das Geräusch der Schritte hinter ihr verstummte, was die Blonde innehalten ließ. Tatsächlich hatte Mia sich gegen eine große Backsteinmauer gelehnt, wobei sie schwer atmend die Hände in die Hüfte stemmte. Ihr Gesicht leidend verzerrt. Wahrscheinlich hatte sie gerade nicht unbedingt angenehme Seitenstiche.

„Endlich ist gut“ keuchte sie und rollte genervt die Augen. Im Gegensatz zu Eyleen nahm Mia ihr Studium mehr als ernst. Der Traum, einmal Lehrerin an einem Gymnasium zu werden, begleitete sie schon ihr ganzes Leben. Eyleen hingegen …

 

„Jetzt komm schon! Wir sind doch schon fast da! Ich sollte dich wirklich öfter mit zum Laufen nehmen, damit du endlich mal in Form kommst!“, grinste die Jüngere, die mit dem Thema Kondition bisher noch nie Problem gehabt hatte, und verdrängte die nervigen Gedanken an die Zukunft aus ihrem Kopf. Aber nur, weil sie gut laufen konnte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie wirklich sportlich war. Alle Sportarten, die mehr verlangten, als nur die Füße zu bewegen, lagen ihr ganz und gar nicht.

„Nerv mich nicht.“ Eyleen lachte über die halbherzige Beschimpfung, als Mia möglichst würdevoll an ihr vorbei ging und dabei krampfhaft versuchte ihre Erschöpfung zu überspielen.

 

Nur wenige Meter weiter betraten sie das – wie beide fanden – eintönige Schulgelände mit dem großen, quadratischen und in Grautönen gehaltenen Hauptgebäude. Nur das Schild, was direkt am Eingang thronte, ließ erkennen, dass das keine alte Militärkaserne war, sondern eine Universität.

Drinnen wirkte der ganze Komplex sofort viel angenehmer. Helle Steinfliesen auf dem Boden und verschiedene, bunte Farben an den Wänden, dazu eine weiß gestrichene Galerie, die über Treppen aus dem Vorraum zu erreichen war. Bänke reihten sich an den Wänden und boten den Studenten eine warme Sitzgelegenheit zum Quatschen und Notizen austauschen. Leuchtstoffröhren, die in modern wirkenden Lampenschirmen von der Decke hingen, tauchten alles in ein helles, aber nicht unangenehmes Licht. Die Glaskästen, die die Wände säumten und die Neuigkeiten und Informationen rund um die Universität beinhalteten, wurden wie immer völlig ignoriert.

Auch Eyleen und Mia hielten sich hier eigentlich ganz gerne auf. Dieser Ort war immer noch privater, als der Rest des Campus. Ein kurzes Treffen zwischen ihren Vorlesungen war schon zu ihrem täglichen Ritual geworden.

 

„Dann wollen wir mal …“, murmelte die Blondine ohne große Begeisterung. Mia hingegen schien schon ihre ersten Kommilitonen entdeckt zu haben und winkte ihnen durch den Raum hinweg zu.

„Lee, ich muss los. Wir sehen uns später!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte die Schwarzhaarige los und ließ ihre Freundin allein zurück.

Sofort ging Eyleen im Meer der Studenten vollkommen unter. Sie war nicht sonderlich beliebt und hatte auch nicht viele Freunde. Im Gegenteil. Die einzige gute Freundin war Mia. Alle anderen duldeten sie bestenfalls. Doch sie wusste, dass es eigentlich ihre eigene Schuld war. Wirklich Mühe, etwas an der Situation zu ändern und Freunde zu finden, gab sie sich nämlich nicht. Aber das war okay so. Sie brauchte nichts und niemanden. So war es schon immer und so wird es auch immer bleiben.

 

Der Geräuschpegel schwoll rasch an, als sie die breiten Holztüren durchschritt und ihr sofort die leicht abgestandene Luft des Raumes in die Nase kroch. Dutzende Menschen drängelten sich zwischen den schweren Holzbänken und unterhielten sich über alles Mögliche, von dem Eyleen aber nicht ein Wort verstand. Und als sie schon beim Betreten des Hörsaals mit einem neckenden „Hey Goldlöckchen!“ begrüßt wurde, konnte sie einen genervten Seufzer nur mit sehr viel Mühe unterdrücken.

„Ah, das Schwänzer-Trio. Auch mal wieder da? Mit euch hätte ich ja im Leben nicht gerechnet!“ Ohne sie groß eines Blickes zu würdigen, quetschte Eyleen sich in eine der bereits gut gefüllten Holzbankreihen und ließ sich auf einem Klappstuhl am äußeren Ende der Sitzreihe nieder. Ihre Jacke und die Tasche ließ sie unachtsam auf den Boden fallen. Sofort schienen die Jungs sich – zufälligerweise – in genau dem Moment überlegt zu haben, sich direkt hinter der jungen Frau auf die letzten drei freien Stühle niederzulassen und dabei einmal – ebenfalls zufälligerweise – mit Schwung gegen ihre Rückenlehne zu stoßen. Das leise Knacken, was ihr Hals bei der abrupten Bewegung von sich gab, ignorierte sie gekonnt.

„Wir möchten natürlich auch was in diesem interessanten Fach lernen.“ Natürlich. Und nebenbei noch jeden ärgern, den sie in die Finger bekamen. Heute war wohl mal wieder sie selbst an der Reihe.

„Sehr löblich“, meinte die Blonde sarkastisch und tat so, als wollte sie sich noch mal die wichtigsten Informationen des letzten Unterrichtsblocks ansehen. Der Griff in die Umhängetasche erinnerte sie an ihr noch nicht gegessenes Frühstück und widmete sich nebenbei ihrem leeren Magen. Sie hoffte einfach, dass die drei bemerkten, dass damit das Gespräch beendet war.

„Wir nehmen unsere Ausbildung eben sehr ernst!“ Wenn die anderen beiden Jungs in diesem Moment nicht wie kleine Schulmädchen gekichert hätten, hätte sie ihnen vielleicht sogar geglaubt. Doch so beschloss sie einfach ihre Ohren zuzuklappen und möglichst laut mit den Blättern in ihrem Block zu rascheln und geräuschvoll ihren Apfel zu essen. „Du kennst uns eben einfach noch nicht gut genug, Eyleen. Wir sind ja auch erst am Anfang des ersten Semesters. Vielleicht sollten wir uns einfach mal etwas besser kennenlernen.“ Ein kalter Schauer huschte bei seinen Worten über ihren Rücken, der nicht der durch ein geöffnetes Fenster gesenkten Raumluft zuzuschreiben war, und sie gab sich Mühe ein Schaudern zu unterdrücken. Sie hatte schon so viele Horrorgeschichten über das Trio gehört, dass sie es auf jeden Fall vorzog, diese nicht persönlich bestätigt zu bekommen.

 

Als plötzlich die Gespräche um sie herum verstummten und der Professor den Unterricht eröffnete, gab auch Eyleen sich der Ruhe hin und schaltete ihr noch immer pochendes Gehirn ab. Die Kopfschmerzen hatte sie auf dem Weg zur Uni beinahe vergessen gehabt, doch nun schoben sie sich erneut penetrant in den Vordergrund. Die Tablette hatte nicht sonderlich gut geholfen. Oder ihre Wirkung bereits wieder verloren. Beides war möglich.

Der ganze Tag verschwamm vor ihren Augen und sie ließ es geschehen. Sie wusste nicht, was ihr Professor in den 90 Minuten erzählt hatte. Sie wusste nicht einmal mehr, wie sie den Hörsaal verlassen und sich mit Mia in einem anderen Raum getroffen hatte. Und auch in dieser Unterrichtsstunde konnte sie kaum einen klaren Gedanken fassen. Etwas lag ihr schwer im Magen. Irgendwie fühlte sie sich unwohl und … eigenartig. Doch erklären konnte Eyleen sich das alles nicht.

Wahrscheinlich lag es an ihren Kopfschmerzen, dass sie sich wünschte, diesen blöden Tag einfach hinter sich lassen zu können. Morgen wäre bestimmt alles wieder normal. So, wie es immer war.

 

„Hey, Lee. Ich weiß nicht, ob du überhaupt da bist oder ich heute früh doch alleine losgegangen bin und du nur meiner Einbildungskraft entspringst, aber egal was es ist, ich würde jetzt eigentlich gerne nach Hause gehen.“ Beim Klang ihres Spitznamens schreckte die Blondine auf. Ein wenig verwirrt sah sie sich in dem mittlerweile komplett leeren Raum um, bis ihr Blick auf dem Gesicht der Schwarzhaarigen neben ihr hängen blieb. Ihr rechter Ellenbogen stützte sich auf dem Tisch vor ihr ab, damit sie ihren Kopf darauf auflegen konnte. Ruhig sah sie ihrer jüngeren Freundin entgegen. Eine Augenbraue fragend hochgezogen. Außer ihnen waren alle wohl schon längst gegangen und eine angenehme Stille hatte sich über sie gelegt. Es dauerte noch einige Sekunden, bis die Angesprochene verstand, was eigentlich los war. Sogleich entwich ihr ein tiefer Seufzer.

„Sorry, Mia. Ich stehe heute einfach irgendwie komplett neben mir. Keine Ahnung warum.“ Das Massieren ihrer pochenden Schläfe brachte leider nicht den gewünschten Erholungserfolg.

„Ja, das habe ich bereits bemerkt. Ich kopiere dir nachher meine Notizen. Dann war der Tag für dich wenigstens nicht ganz umsonst gewesen.“ Ein dankbares Lächeln huschte über Eyleens Gesicht, als sie ihren nicht einmal angefassten Block wieder zurück in die Tasche steckte und sich unter dem Knacken einiger Gelenke erhob.

„Was würde ich bloß ohne dich tun?“ Mia lächelte.

„Sei froh, dass wir das wohl nie erfahren werden.“

 

An der frischen Luft fühlte sie sich sofort wieder wacher. Die Kopfschmerzen schienen erneut ein wenig abzuklingen, als der Duft nach Frühling ihre Lunge füllte. Tatsächlich hatten sich die schon seit Tagen über der Stadt hängenden Regenwolken verzogen und der Sonne mitsamt kleiner, weißer und flauschiger Wolken Platz gemacht. Die angenehmen knapp 20 Grad ließen die Blondine ihre Kleiderwahl vom Morgen nicht bereuen.

„Ich wusste gar nicht, dass es heute so schön werden sollte!“, kam es von Eyleen, die sich erst einmal genüsslich der Sonne entgegenstreckte.

„War auch eigentlich nicht so angesagt.“ Der leicht skeptische Unterton in Mias Stimme ließ sie schmunzeln. Es klang beinahe so, als würde ihre Freundin nur darauf warten, dass in Sekundenschnelle Wolken aufzogen, jemand kurz „Reingelegt!“ ruft und sie plötzlich doch im Regen standen.

„Glück gehabt, würde ich sagen. Kann ja auch mal-“ Ihre letzten Worte waren bloß noch ein Flüstern und gingen im Lärm des Berufsverkehrs unter. Ihre Beine wurden schwer, bis sie plötzlich ihren Dienst ganz versagten und sie mitten auf dem Bürgersteig innehielt. Die Menschen, die mit wütendem Gemurmel an ihr vorbei drängten und sie dabei nicht besonders sanft anrempelten, bemerkte sie kaum. Etwas war anders. Etwas, was ihre volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein kleiner Laden, dessen neonrote Beleuchtung überhaupt nicht in diese Umgebung aus modernen, farblosen Bauten passen wollte. Seit wann war der hier? Sie kannte doch die Umgebung mittlerweile ziemlich gut! Hatte sie dieses Gebäude jedes Mal übersehen? Doch das konnte sie sich kaum vorstellen. Die Buchstaben TRIBAL schienen sich beinahe in ihre Augäpfel zu brennen.

 

„Lee? Was ist denn los? Du bist plötzlich so blass. Ist was passiert? Geht es dir nicht gut?“ Da waren diese Worte. Diese Stimme, die sie kannte, direkt vor ihr. Und doch konnte sie ihre Freundin nicht sehen. Ihr Blick lag reglos auf dem kleinen Gebäude, das wirkte, als würde es jeden Moment von den zwei angrenzenden gläsernen Büroriesen zerquetscht werden. So, als hätte es sich einfach unerlaubt dazwischen gedrängt.

„Dieses Geschäft … Seit wann …? Woher …?“ Ihre Worte waren leichter als die Luft selbst. Wieso interessierte sie das überhaupt? Wieso konnte sie nicht einfach desinteressiert mit den Schultern zucken und weiter gehen? Warum stand sie immer noch wie angewurzelt auf der Stelle, als hätte sie einen Geist gesehen?

„Ein Geschäft? Was denn für ein Geschäft? Außer denselben Büros, die hier schon seit Jahren stehen, ist hier absolut nichts. Sag mal, bist du jetzt völlig übergeschnappt?“ Eyleen antwortete nicht. Ihr Mund war staubtrocken. Dieses seltsame Gefühl vom Morgen kroch wieder durch ihre Eingeweide und ließ ihren Magen Achterbahn fahren. Immer wieder las sie dieses Wort, sah die durchdringende rote Farbe der Beleuchtung, die schwarz getönten Frontscheiben dieses einfachen Betonklotzes und diese kleine, schlichte Metalltür. Sekündlich wuchs die Anspannung in ihr. Etwas zog sie in diese Richtung, etwas Starkes und Mächtiges. Etwas … Unnatürliches. Etwas, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte.

 

Plötzlich verstummten alle Geräusche um sie herum und es war, als wäre sie ganz alleine auf der Welt. Kein Brummen von Autos, keine Schritte auf bröckeligem Asphalt, keine Stimmen, keine beste Freundin.

Ihre Bewegung kam ihr surreal vor. Als würde sie in Zeitlupe laufen. Und dabei lag immer dieses Geschäft in ihrem Blick. Alles andere erschien auf einmal völlig unwichtig. Nur noch eins zählte …

 

Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus und im nächsten Moment war alles Schwarz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  RhapsodosGenesis
2015-02-03T19:18:01+00:00 03.02.2015 20:18
(Bitte fuer Kommi und Empfehlung! :3 Und ich freue mich auf das Fantasy-Abenteuer - auch wenn ich keinen Zweifel hege, dass d u das realistisch [nervenaufreibend, glaubwuerdig, gewaltig] hinbekommen wirst xD
Und das erste Kapitel hoert ja schon bei meinem Lieblingsthema auf! Kapitel zwei?? WO ist Kapitel 2!? Da ist gerade einfach so ein komisches Geschaeft mit Leuchtreklame aufgetaucht, das da eindeutig nichts zu suchen hat! >O<"')

Und da faengt es schon wieder fabelhaft an!

Gut, ich nehme an, dass der Prolog der Traum war, der fuer die Kopfschmerzen und andere Nebeneffekte verantwortlich ist. Das ist schlecht. Richtig schlecht.
Lee, komm zu dir und geh WEG von da! Ich will ja gar nicht wissen, was dich dahinter erwartet! Rote Leuchtreklamen sind viel zu einschuechternd fuer diese Welt X,x
Wo ist Mia? Was passiert da mit der Zeit beziehungsweise mit Lees Gedanken? Mia soll sie festhalten! Mia muss da sein!
Ich will nicht, dass sich der Satz da oben von wegen "Hoffentlich werden wir das nie herausfinden muessen" bewahrheitet ;.; Sie haette ja gleich sagen koennen: "Du wirst gleich sehen >:D" ... wenn sie es gewusst haette :'(

Leider helfen Tabletten einem wobl nicht in jedem Fall :'( DAs laesst dann darauf schliessen, dass da irgendetwas passiert, was nicht natuerlich ist ... Und auch wenn ich fuer Eyleen echt hoffe, dass sie da re htzeitig wegkommt, interessiert es mich einfach nach wie vor brennend, was da dahinter liegt! Und wie und ob das mit dem Traum zusammenhaengt! Das ist so mystisch >< Und es ist echt beunruhigend, dass sie auf jeden Fall nichts dagegen machen kann, was mit ihr abgezogen wird - dass sie es ja nicht einmal so direkt merkt!
Und was ist schwarz?! D:>
So viele Fragen. So wenig Antworten. Will weiterlesen ;.;

Okay, diesmal haben wir es dann wohl mit einer jungen Studentin zu tun! Gut zu wissen. Lee erscheint mir scho zjemlich sympathisch - vor allem, wenn sie bei Mia ist. Wenn sie bei Menschen sind, denen sie vertrauen, sieht man einfach den wahren Charakter der Figuren - wobei sie ihre Schlagfertigkeit auch bei laestigen Bolzsn behaelt. Gut fuer sie!
Auch wenn es die drei komischen Jungs wohl nicht so interessieren wird :0

Und ich muss Lee und Mia ja wirklich dafuer loben, dass sie wirtschaftliche Faecher studieren! Und dass Mia sich da auch so dafuer interessieren kann. Lee wuensche ich hingegen ganz schnell ein Ziel (oder eine andere Studienrichtung xD)
... Na ja. Zumindest wuerde ich das tun, wenn da nicht noch immer diese Geschaeftssache waere. Irgendetwas sagt mir, dass ich ihr sehr, sehr bald einfach dieses normale Leben zurueckwuenschen werde!
Oder ich versuche es mal wieder mit Optimismus: Alles wird besser! Was ist schon so eine gruselige Tuer - ausser vielleicht der Weg ins Glueck!
Ich werde hlffentlich herausfinden, ob und welche Variante zutrifft. Es sind beide beunruhigend x,x
Mia soll Lee aufwecken :'( Wie immer :(

Was lernen wir alzo daraus? Ricjtig! Ich mag deine Charaktere jetzt schon! Mal schauen, was aus ihnen wird. Auch die Geschichte zieht mich schon in ihren Bann, einfach durch die ungewisse Gewissheit, dass da jetzt etwas kommen m u s s! Waere es ein Buch, haette ich schon gespickt x//D
Aber das geht ja leider noch nicht xD

Und einen ganz wichtigen Teil hab ich im ersten Kommi vergessen: Der Schreibstil! Keine Ich-Form! Bitte nicht falsch verstehen - in BrD ueberwiegen alle anderen Fakten, sodass ich die Ich-Form ignorieren kann ... *Trauma*! Aber hier findet gerade die perfekte Version der dritten Person statt! Die Gefuehle und Gedankenwelt ist so offen, dass man den Charakter verstehen und gut nachvollziehen kann, waehrend auch die Umgebungsbeschreibung gut einfliesst - naemlich so dezent, dass man sich genug darunter vorstellen kann, ohne dass du zu weit ins Detail gehst!
Diesen Schreibstil koennte ich einfach den ganzen Tag lesen!
Vor allem, wenn die Handlung dann noch an so einem Punkt stockt. Waere es ein Buch, haette ich schon laengst gespickt XD
Aber so muss ich wohl aufs naechste Kapitel warten!
Voller Unruhe und schlechter Vorahnung.

Aber ich bin dann schon aufs Ergebnis gespannt! Grossartige Leistung und weiter so - bis zum naechsten Kapitel!

Liebe Gruesse
Geni
Antwort von:  MarySae
03.02.2015 20:43
(Hihihi, und ich werde mir große Mühe geben, deine Erwartungen auch zu erfüllen! xD Was wäre das Leben ohne ein bisschen Drama? :3
Ach und Kapitel 2 ist genau hier! *fies grins* Tja, ich überlege noch, was der beste Zeitpunkt für Kapitel 2 ist ... Eigentlich ist die 1 nicht sonderlich aussagekräftig. Egal von welchem Standpunkt.
Aber kann ich einfach mal so drei Kapitel )ich zähl mal den Prolog mit) auf einmal raushauen? Ich will mir nicht gleich die potentiellen Leser wieder vergraulen ^^'
Aber ich denke, es wird keinen Monat dauern. Wie gesagt, es geht gut vorran, also kann ich meinen Vorsprung von 3 Kapiteln auch erstmal halten.
Daher dürfte die zwei schon ziemlich bald kommen :D)

Aber zurück zum eigentlichen Kommentar:
Freut mich sehr, dass dir auch das erste (langweilige *hust*) Kapitel schon mal gefällt! :D
Viel passiert ist ja wirklich noch nicht. War ja erst die Einleitung. (Wobei es eine ganze Weile dauern wird, bis die Grundlagen der Idee erklärt sind. Ich habs diesmal nicht zu leicht gemacht. xD Ich hoffe nur, dass man mir auch folgen kann ^^')

Tja, wie Mia und Eyleen sich entwickeln ist auch noch nicht ganz fest. Ich denke, da werde ich mich von der GEschichte leiten lassen ^^
Und die zwei werden bei weitem nicht die einzigen Charaktere sein, denen man öfter begegnet :)
Eigentlich blöd. Ich hab immer noch meine Probleme, mehrere Charaktere gleichzeitig rumlaufen zu lassen, weil ich ein wenig Angst habe, sie zu "gleich" werden zu lassen. Sie sollen immerhin alle unterschiedlich und einzigartig sein. Das fällt mir wirklich nicht leicht :/
Na, mal sehen. Wenn ich sie alle gut ausarbeite, wirds schon klappen :)

Nein, diesmal keine Ich-Form. Hat mich aber ein kleines (großes) Stück Überwindung gekostet. In kleinen Oneshots liebe ich das, aber für große Storys mit vielen Strängen ist das für mich eine echte Herausforderung. Ich hatte am Anfang auch ganz schön damit zu kämpfen gehabt xD Mittlerweile geht's aber zum Glück...

Alles klar, dann noch mal Danke für dein Kommentar! :D
Freu mich wahnsinnig, dass ich auch bei TS deinen Kommentaren wieder entgegenfiebern und sie voller Freude lesen kann! <3

LG, Mary :3
Von: Platan
2015-02-02T16:01:04+00:00 02.02.2015 17:01
Oooh, also ich bin WIRKLICH sehr gespannt auf das nächste Kapitel! Dieser Spannungsaufbau mit dem Laden am Ende war echt genau nach meinem Geschmack, solch mysteriöse Dinge liebe ich total. ♥
Das Kapitel hat mir insgesamt gut gefallen. Man hat einen guten Eindruck in den Alltag von Lee und Mia bekommen, mir gefällt die Art, wie ihre Freundschaft dargestellt sehr. Ich bin übrigens seeehr baff, dass Lee es in 10 Minuten geschafft hat zu duschen ... TEACH ME! XD *will das auch können*
Die Kopfschmerzen müssen echt heftig sein, da hat mir die arme Lee echt die ganze Zeit leid getan. ;( (nicht mal die Tablette hat geholfen! DX)
Boah, und diese drei Jungs ... die haben mich echt aufgeregt. =_=
Ich habe an sich auch nur eine einzige Kritik, die aber wohl eher Geschmackssache ist und das wäre, dass du oft "Schwarzhaarige/Blonde", schreibst, obwohl die Namen der beiden ja zu Beginn schon bekannt sind, das wirkt auf mich dann immer ein wenig komisch und störend. Ist aber, wie gesagt, wohl eher eine Geschmackssache. ;)
Alles andere hat mir sehr gut gefallen! Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, was es mit diesem Laden auf sich hat. :3
Antwort von:  MarySae
02.02.2015 18:33
Was Cliffhanger angeht, bin ich wirklich eine ziemlich gemeine Spezies. Da wird es bei mir einige geben :3
(Da hab ich schon so manchen in den Wahnsinn mit getrieben xD)

Schön, dass dir das Kapitel gefallen hat! :D
Leider passiert noch nicht viel, aber ich musste ja irgendwie anfangen ab dem nächsten Kapitel wird's auch etwas interessanter, versprochen! :)

Oh je, das kommt bei mir öfter vor ._. Ich will nicht jedes Mal entweder den Namen nennen oder er/sie sagen. Darum greife ich gerne auf gerne auf solche Beschreibungen zurück.
Ich werde aber versuchen den Anteil der "haarigen" Beschreibungen so gering wie möglich zu halten! :D

Ich hoffe, der Rest wird dir auch gefallen! :)
Vielen Dank nochmal! <3
vG, Mary
Von:  fahnm
2015-02-02T03:02:39+00:00 02.02.2015 04:02
Spitzen kapitel
Antwort von:  MarySae
02.02.2015 05:31
Danke! :)


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