Schmökern
Seit sie unterwegs waren, hatte es keinen Ort gegeben, an dem sie sich wohl fühlte. Da waren die Unmengen an Herbergen, die alle schmutzig, gefüllt mit unfreundlichen Leuten oder direkt Todesfallen waren.
Selbst hier in der Hauptstadt hatte sich an dem Umstand nichts geändert. Alles was sie sich leisten konnten waren heruntergekommene Zimmer, denen sie niemals diesen Namen geben würde. Wenn Leena ehrlich wäre, war ihr die Lust auf ihre Reise bereits in ihrer zweiten Nacht abhanden gekommen. Spätestens jedoch, als dieser verrückte, fette Kerl nachts in ihr Zimmer eingebrochen war, um ihnen ihre Wertsachen abzunehmen. Zum Glück hatte sie ihn gehört und gemeinsam mit Chun den Mann überwältigt. Doch statt den Kerl festzunehmen, war die örtliche Polizei nur dazu übergegangen die beiden Reisenden dafür verantwortlich zu machen einen armen Betrunkenen zu quälen.
Seit dem Tag quälte sie sich mehr, als das irgendetwas ihr Spaß bereiten würde. Ginge es nicht darum mit Chun dessen altes Internat zu besuchen, säße sie gemütlich zuhause und würde dort nun wohl gerade eine ihrer Aufgaben erfüllen.
Wobei... es war Samstag. Da waren nur morgens die Tiere dran und danach hätte sie Zeit zum wandern. Vielleicht ein wenig zeichnen. Dazu war sie noch überhaupt nicht gekommen, seit sie aufgebrochen waren und obwohl sie es sich vorgenommen hatte, streifte sie nun auch wieder durch dieses riesige Gebäude, um Chun zu suchen.
Sehr viele Möglichkeiten gab es eigentlich nicht mehr.
Leena betrat den nächsten Raum, der gefüllt war mit Regalen und vollgestopft mit Büchern. Nicht nur die Regale waren voll mit ihnen, sie stapelten sich auch an jeder freien Stelle. Wenn das eine Bibliothek war, dann keine gut geführte. Dennoch ging sie durch die schmalen Gänge und kam so schließlich zu einer Leseecke. Tatsächlich saß dort Chun, vertieft in ein Buch. Er bemerkte nicht einmal, das sie sich ihm gegenüber setzte.
„Chun“, wollte sie ihn unterbrechen, doch er hob nur eine Hand, bevor sie weiter sprechen konnte.
„Gleich...“
Leena wartete. Solange, bis er drei Seiten weiter war, dann hatte ihre Geduld ein Ende gefunden.
„Chun, was machst du hier?“ Wir waren mit Keane verabredet. Wegen dir sind wir zu spät!“
Doch Chun schüttelte den Kopf. „Nein... ich hab ihn zufällig vorher bereits getroffen, er hat mich hergebracht und das Buch rausgesucht. Er sagt alles was ich wissen müsste, wäre hier drin.“
Das musste ihr reichen, denn danach versank er wieder in den Seiten.
Zuerst regte sie sich auf.
Das er sie nicht informiert hatte.
Das sie ihn hatte suchen müssen.
Aber aus irgendeinem Grund verflog das ganze nach einer Weile. Sollte Chun doch lesen! Hier war es ruhig und gemütlich. Endlich ein Ort an dem sie nicht um ihr Leben fürchten musste. Dann könnte sie auch endlich machen, was sie schon die ganze Zeit vermisste zu tun.