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Ein einfaches Ende

Yamato Ishida x Taichi Yagami
von

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Abwesend und ziellos laufe ich durch die bunt beleuchteten Straßen. Ohne nachzudenken nahm ich in Odaiba die nächste Bahn und stieg, vermutlich aus Gewohnheit, erst aus, als die Haltestelle Shinjuku durchgesagt wurde. Dabei wäre Roppongi die bessere Wahl gewesen. Zum Springen. Wie damals. Vielleicht hätte ich dieses Mal die Überwindung. Auch ohne den vorherigen Konsum von Drogen. Immerhin verwehrt sich mir nun die Möglichkeit, mit Sex als Gegenleistung derartige Substanzen von Katsuro zu erhalten. Und ausreichend Geld habe ich im Augenblick nicht bei mir. Erhängen oder Erschießen kann ich aus Mangel an Hilfsmitteln derzeit ebenso ausschließen. Mich überfahren zu lassen, ist mir einerseits zu unsicher, zudem möchte ich niemanden in meinen Selbstmord hineinziehen. Seufzend bleibe ich stehen und schaue nach oben. Am Himmel ist kein einziger Stern zu sehen. Nichts Ungewöhnliches, mitten in Tokyo. Rasierklinge, Tabletten... mein Kopf ist schwer. Ich will nicht mehr nachdenken. Einfach nur verschwinden, mich auflösen. Sterben. Einfach so. Tränen laufen über meine Wangen. Ich muss es tun. Ich will es tun. Taichi vergessen, meinen Vater vergessen. Mit meinem Ärmel wische ich die salzige Feuchtigkeit aus meinem Gesicht und setze meinen Weg entschlossen fort. Unsanft stoße ich dabei gegen ein Hindernis.

„Entschuldigung“, murmelt mein Gegenüber, wobei er seine Kopfhörer von seiner Kapuze, die er über den Kopf gezogen hat, schiebt und mich noch immer leicht abwesend anschaut. „Ausgerechnet du“, atmet Shota deutlich genervt aus, als er mich erkennt. Sofort will er weitergehen, doch ich halte ihn am Handgelenk zurück. Weniger aus einem bestimmten Grund als aus einem Gefühl, welches ich allerdings zu benennen nicht in der Lage bin. „Fass mich nicht an“, faucht er abweisend, ohne jedoch zu versuchen sich meinem Griff zu entwinden. „Was willst du?“

„Ich... es tut mir leid“, flüstere ich mit zitternder Stimme.

„Was, dass du meinen Vater erneut im Stich gelassen hast?“

„Shota...“

„Halt den Mund. Du widerst mich an! Es ist alles deine Schuld. Wie viel Schaden willst du noch anrichten? Das Krankenhaus informierte meine Mutter und mich vor einiger Zeit, dass mein Vater auf die geschlossene Station verlegt wurde, da er extrem suizidal ist. Ich war bei ihm, übrigens sein einziger Besuch seit längerem, um ihm zu sagen, dass er es sich nicht so einfach machen darf. Dass er nicht sterben, sondern leiden soll, für das, was er getan hat. Aber er stand völlig neben sich, da er mit Medikamenten ruhiggestellt wird. Vermutlich hat er mich nicht einmal erkannt.“ Shotas Blick ist nicht, wie erwartet, hasserfüllt, sondern verzweifelt. Ob er sich dessen bewusst ist? Ich ziehe ihn mit in die nächste Seitengasse, um keine weitere Aufmerksamkeit von Passanten auf uns zu lenken.

„Du hast recht. Es ist meine Schuld.“ Mehr bringe ich nicht hervor.

„Ist das alles?“, fragt mein Gegenüber ungläubig.

„Willst du eine Rechtfertigung? Oder eine Entschuldigung? Würde es dir dann besser gehen? Würde es etwas ändern beziehungsweise ungeschehen machen?“, will ich in ruhigem Ton wissen. „Tot kann ich aber wenigstens zukünftig keine Probleme mehr verursachen“, füge ich leise, mehr zu mir selbst, an.

„Das wäre einfach, nicht wahr? Dich der Verantwortung zu entziehen und den Scherbenhaufen anderen zu überlassen. Du bist feige. So bist du es nicht einmal wert, gehasst zu werden. Die, denen du Leid zufügst, sind die einzigen, die entscheiden dürfen, ob du am Leben bleiben musst oder sterben darfst. Nicht du. Gleiches gilt für meinen Vater. Wenn ihr beide allerdings nur egoistische, rücksichtslose Wichser seid... verdammt...“ Zwar wendet Shota sein Gesicht von mir ab, doch die Tränen in seinen Augen konnte er nicht mehr verbergen. Obwohl er versucht sich selbst und sein Umfeld zu belügen, liebt er seinen Vater ohne jeden Zweifel und hat Angst um ihn.

„Ich möchte auch nicht, dass Shinya stirbt“, meine ich unbeholfen. Die Situation überfordert mich im Moment, zumal ich nach wie vor die vorangegangenen Körperlichkeiten unangenehm spüre. Ekel kriecht bei dem Gedanken an meinen ehemaligen Sportlehrer meine Kehle empor. Seine Handlungen an mir, der Geruch, sein Sperma... und... Schwer atmend lehne ich mich gegen die Wand in meinem Rücken.

„Was ist los?“, höre ich meinen Gegenüber fragen, die Tränen verstohlen wegwischend.

„Ich... möchte mich irgendwann... wenn es für dich... in Ordnung ist... in Ruhe mit dir unterhalten.“

„Ich wollte nichts sagen, aber du bist schon die ganze Zeit so blass.“ Fahrig ziehe ich meine Ärmel weiter nach unten und halte sie fest, um ein Verrutschen dieser und unbeabsichtigtes Freilegen meiner zerschundenen Handgelenke zu vermeiden.

„Würdest du mir zuhören? Irgendwann?“, ignoriere ich Shotas Anmerkung. Kurz schweigt er, mustert meine erbärmliche Gestalt.

„Du weißt, wo ich wohne. Wenn du Glück hast, bin ich da und habe vielleicht sogar Lust, dir zu öffnen. Aber erwarte nicht zu viel Gastfreundlichkeit. Und solltest du mir zu nahe kommen, trete ich dir in die Eier.“ Ich lächle verzerrt, atme tief durch und versuche Vergangenes beiseite zu schieben.

„In Ordnung.“

„Geht es dir etwas besser?“

„Klingst fast, als wärst du besorgt?“, necke ich meinen Gegenüber.

„Es wäre unterlassene Hilfeleistung, wenn du zusammenbrichst und ich dich liegenlasse“, entgegnet dieser nüchtern. Shota ist wirklich süß. Immer häufiger kann ich Shinyas Gefühle für ihn nachvollziehen, auch wenn ich meinen ehemaligen Freier für die sexuellen Handlungen an seinem Sohn hasse. Die Gedanken an Shinya erwecken Sehnsucht und Angst in meinem Inneren. Warum ist er wieder so sehr abgestürzt? Ob etwas vorgefallen ist? Bei unserem Abschied klang er zuversichtlich... dachte ich. Oder wollte ich das denken, um mich leichter von ihm zu lösen? Ist tatsächlich unsere Trennung für seinen momentanen Zustand verantwortlich?

„Yamato?“ Nachdenklich betrachte ich Shota. „Du bist wirklich merkwürdig.“

„Es ist schon dunkel. Musst du nicht nach Hause? Was machst du so spät eigentlich noch hier? Ausgerechnet in Shinjuku.“ Mein skeptischer Unterton verfinstert Shotas Miene.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Aufgrund gewisser Assoziationen bin ich etwas besorgt.“

„Kann ich jetzt gehen?“ weicht er in seiner gewohnt gereizten Art aus.

„Ich werde nicht umkippen, falls du darauf hinaus willst. Aber bitte pass auf dich auf.“ Ohne ein weiteres Wort an mich zu verschwenden, lässt Shota mich zurück, verschwindet aus meiner Sicht. Mit gemischten Gefühlen mache auch ich mich nach einer Weile und einer zur Beruhigung gerauchten Zigarette auf den Weg zur Wohnung meines Vaters. Es wird sich zeigen, ob ich meine Entscheidung gegen einen Selbstmord, hauptsächlich aufgrund der Unterhaltung mit Shinyas Sohn, bereuen werde.
 

Als ich die Tür zur Wohnung öffne, kommt mein Vater mir bereits mit besorgter Miene entgegen.

„Yamato, wo warst du? Ich dachte, du wolltest nur ein paar Notenblätter kaufen. Es ist bereits nach Mitternacht.“

„Ich habe Notenblätter gekauft“, antworte ich knapp und versuche an ihm vorbei in mein Zimmer zu gehen, nachdem ich meine Tasche abstellte, Schuhe und Jacke auszog.

„Was ist mit dem Rest der Zeit? Die Geschäfte haben seit Stunden geschlossen.“

„Ich denke, ich bin ich alt genug, um dir keine Rechenschaft über meinen Verbleib mehr ablegen zu müssen, oder? Jetzt lass mich in Ruhe. Ich bin müde und würde gern ins Bett gehen“, lüge ich, denn ohne die vorhin gekauften Schlaftabletten werde ich mit Sicherheit keinen Schlaf finden. Bevor ich mich ihm ganz entziehen kann, hält mein Vater mich am Handgelenk zurück. Der plötzliche Schmerz lässt mich reflexartig zusammenzucken. Alarmiert schiebt mein Vater meinen Ärmel ein Stück nach oben.

„Yamato, was....“

„Ich war bei einem Freier“, beantworte ich tonlos die ungestellte Frage. Verständnislosigkeit spiegelt sich im Gesicht meines Gegenübers wider.

„Ist das dein Ernst? Du lässt dich einen Tag vor Taichis Rückkehr und dem Neubeginn eures Zusammenlebens von einem Anderen vögeln, der dir auch noch deutlich sichtbare Verletzungen zufügt? Warum? Warum setzt du gleich alles wieder aufs Spiel?“

„Ich werde die Beziehung ohnehin beenden“, erkläre ich mit ausweichendem Blick, da ich meinem Vater nicht in die Augen sehen kann.

„Ich verstehe dich nicht“, meint dieser ungläubig.

„Es geht dich auch nichts an.“ Mit diesen Worten entwinde ich mich seinem Griff und gehe in mein Zimmer. Ohne das Licht einzuschalten, lasse ich mich erschöpft auf das Bett fallen, mit einem Arm mein Gesicht bedeckend. „Verdammt“, flüstere ich in die Dunkelheit. Tränen benetzen meine Haut. Als es an der Tür klopft, reagiere ich nicht. Trotzdem öffnet mein Vater kurz darauf die Tür und setzt sich zu mir auf die Matratze. Das Licht des Flurs erhellt einen Teil meines Zimmers.

„Yamato, was ist los?“ Seinem Tonfall entnehme ich lediglich Besorgnis, keinerlei Wut über mein Verhalten.

„Nichts“, antworte ich mit belegter Stimme.

„Sieh mich bitte an und wiederhole deine Worte.“ Sanft legt mein Gegenüber seine Hand auf meinen Arm, um diesen wegzuziehen.

„Fass mich nicht an!“, schreie ich und schlage sie sofort weg. Ich richte mich auf und rutsche auf dem Bett so weit zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spüre. Schützend ziehe ich meine Beine an meinen Körper.

„Du liebst Taichi, oder? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du ihn aufgeben willst, weil du dich erneut prostituiert hast. Es war schließlich nicht das erste Mal. Oder ist dein Vorhaben eine Art Selbstbestrafung?“

„Geh bitte“, flüstere ich mit brüchiger Stimme.

„Glaubst du, Taichi auf diese Weise schützen zu können? Hast du einmal an seine Gefühle gedacht, bevor du zu deinem egoistischen Entschluss kamst?“

„Verdammt, der Freier ist HIV positiv. Ich muss mich von Tai trennen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und jetzt lass mich endlich allein“, schreie ich meinen Vater fast an. Dessen Mimik zeigt nichts als Entsetzen.

„Benutzte er kein Kondom?“, ignoriert mein Gegenüber meine Aufforderung. Lediglich mit einem leichten Kopfschütteln verneine ich. Unerwartet legt mein Vater seine Hände an meine Schultern und drückt mich unsanft gegen die Wand. „Hast du dein Ziel endlich erreicht? Es war kein Leichtsinn deinerseits, es war kalkuliert, hab ich recht? Sonst hättest du dich nicht über die Jahre von der halben Stadt ungeschützt vögeln lassen.“ Mein Inneres zieht sich schmerzhaft zusammen, als ich die Verzweiflung in den Augen meines Vaters sehe. Tränen laufen über seine Wangen. Kraftlos gibt er mich frei, bleibt ansonsten jedoch unbewegt.

„Ich... wollte das... nicht“, beginne nun auch ich zu weinen. „Aber es stimmt. Ich nahm... es in Kauf. Früher.“ Ein bitteres Lachen entweicht meiner Kehle. „Welch Ironie. Nachdem ich mit der Prostitution aufhörte, stecke ich mich an. Weißt du, ich... wollte nicht mehr nach Hause kommen. Ich wollte nur... sterben.“ Schluchzend senke ich meine Kopf. „Aber das wäre zu einfach, nicht?“ Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen. „Ich soll leiden... Papa...“ Ich schaue ihn an, als hoffte ich auf eine Reaktion, die mir einen Selbstmord gestattet. Nichts.

„Bist du sicher, dass dieser Freier mit HIV infiziert ist? Vielleicht...“

„Er selbst sagte es mir. Nachdem er in mir gekommen ist.“

„Das ist vorsätzliche Körperverletzung. Du musst diesen Perversen anzeigen, Yamato.“ Wütend wischt sich mein Vater die Tränen aus seinem Gesicht und ballt seine Hand zur Faust.

„Ich kenne nicht einmal seinen Namen“, lüge ich erneut. Mein Körper beginnt zu zittern, als sich der Sex mit meinem ehemaligen Sportlehrer in meine Gedanken drängt. Sein Keuchen, sein Schweiß, sein Sperma in mir und sein perfides Grinsen, nachdem er mit mir fertig war. Ich nehme kaum wahr, wie mein Vater nach meinem Arm greift, den Stoff erneut nach oben schiebend.

„Solche Verletzungen entstehen nicht bei normalen Fesselspielen. War es wirklich ein Freier, mit dem du Sex hattest?“ Beschämt ziehe ich meinen Arm zurück und bedecke die blutigen Male.

„Ich weiß nicht, was du andeuten möchtest. Es war ein Freier. Das ist nun einmal die Realität. Verstehst du jetzt, warum ich die Beziehung zu Taichi beenden muss?“

„Bevor du keinen Test gemacht hast, solltest du nichts überstürzen.“ Offenbar hofft mein Vater noch immer auf ein Wunder.

„Geht es dir mit einer Bestätigung, dass dein Sohn HIV positiv ist, besser?“ Schweigend nimmt mein Gegenüber mich in den Arm und drückt meinen Körper fest an sich.

„Versprich mir, dass du in drei Monaten diesen Test machen wirst.“ Die Stimme meines Vaters ist unbeständig. Seine Umarmung erwidernd schmiege ich mich enger an ihn, lasse mich von seinem Duft sanft einhüllen. Allmählich werde ich ruhiger, denn ich fühle mich endlich sicher.

„In Ordnung“, flüstere ich liebevoll. „Darf ich heute Nacht bei dir schlafen?“ Meine Bitte klingt wie die eines Kleinkindes, welches Angst vor Monstern unter seinem Bett hat. Oder in seinen Träumen.

Dabei kann kein Traum so furchteinflößend und grausam sein wie die Realität.

„Ja, natürlich.“ Fürsorglich streicht er durch meine Haare. Ich bin erleichtert über die Antwort, löse mich etwas von ihm und küsse ihn leicht auf die Wange.

„Danke.“ Vielleicht ist es mir doch möglich, ohne die in meiner Tasche befindlichen Schlaftabletten einzuschlafen.

„Ich mache dir erst einmal einen Tee und dann kümmere ich mich um die Wunden an deinen Handgelenken“, schlägt mein Gegenüber vor und erhebt sich. Kurz bevor er mein Zimmer verlässt, hält er inne und dreht sich noch einmal zu mir. „Mit Taichi solltest du nicht erst sprechen, wenn du das Testergebnis weißt. Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren, schließlich betrifft es in gewisser Weise auch ihn.“ Eine lähmende Angst überkommt mich, weshalb ich nur schwach nicke. Eigentlich will ich Tai nicht verlieren, dennoch hoffe ich, dass er die Beziehung beendet.
 

Fahrig drücke ich die Zigarette im Aschenbecher aus, nur um gleich darauf eine weitere zu entzünden. Heute Morgen fuhr mich mein Vater samt meiner Sachen nach Hause. Zwar widerstrebte es ihm, mich allein zu lassen, ihm blieb allerdings keine Wahl, da er zur Arbeit musste. Um ihn zu beruhigen, versprach ich, nichts Dummes zu tun. Zwar sagte mein Vater nichts, doch sein Gesichtsausdruck zeigte nichts als Zweifel und Besorgnis. Ich verstehe, warum er mir kein Vertrauen entgegenbringt. Deshalb gab ich ihm in der Nacht die Schlaftabletten, die ich eigentlich verwenden wollte, um der Realität zu entfliehen. Es gelang mir trotzdem wider Erwarten, einzuschlafen, auch wenn ich häufiger aufwachte, verschwitzt, mit schwerer Atmung. Ich erinnere mich nicht, geträumt zu haben, lediglich ein Gefühl der Angst blieb zurück. Jedes Mal war es die Anwesenheit meines Vaters, die mich beruhigte und mir ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Erneut drücke ich den Rest der Zigarette im Aschenbecher aus. Anschließend trinke ich den letzten Schluck des erkalteten Kaffees und erhebe mich, um die Tasse wieder zu füllen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass Taichi bald hier sein müsste. Ich will ihn sehen, ebenso wie ich vor ihm davonlaufen möchte. Unruhig setze ich mich und kratze nervös über die Verbände an meinen Handgelenken. Ich werde Tai nicht in die Augen sehen können. Erneut blicke ich zur Uhr, deren Zeiger unerbittlich voranschreiten. Ich verschränke meine Arme vor mir auf der Tischplatte und lege meinen Kopf darauf. Müde schließe ich meine Augen. Meeresrauschen dringt an meine Ohren und sanfter Wind umfängt meinen Körper. Mein Blick ist in die Ferne gerichtet. Mit nackten Füßen stehe ich bis zu den Knöcheln in dem schwarz erscheinenden Wasser. Die Kälte spüre ich kaum. Sehnsuchtsvoll laufe ich ein paar Schritte weiter, werde jedoch an meiner Hand zurückgehalten und so aus meiner Trance gerissen. Erschreckt wende ich mich um.

„Gabumon.“ Mein kleiner Freund steht neben mir, das Wasser reicht ihm inzwischen bis zum Hals. „Was tust du?“, frage ich irritiert. „Du hasst Wasser.“

„Ich lasse dich nicht allein. Und wenn das der Weg ist, den du gehen möchtest, dann begleite ich dich natürlich. Schließlich bist du mein Partner.“ Er lächelt, doch sein Gesicht drückt nur Traurigkeit aus. Sogleich versuche ich seine Hand abzuschütteln, doch es gelingt mir nicht.

„Bitte Gabu, du musst umkehren. Sonst ertrinkst du“, meine ich eindringlich.

„Kommst du mit? Du gehörst genauso wenig hierher wie ich.“

„Ist das so?“ Ich lasse meinen Blick schweifen. Die Ruhe und Einsamkeit sind angenehm. Für den Moment.

„Die Anderen warten bestimmt schon auf uns“, redet Gabumon weiter auf mich ein.

„Ja, vielleicht“, stimme ich gedankenversunken zu. „Gabu, wenn ich einen anderen Weg wähle, wird dann alles gut werden? Wäre das die richtige Entscheidung?“

„Die richtige Entscheidung triffst du nur, wenn sie deiner Überzeugung entspricht und du alle daraus resultierenden Konsequenzen, ob positiv oder negativ, in Kauf zu nehmen bereit bist.“

„Ist dir kalt? Du zitterst.“ Ich hebe meinen kleinen Freund hoch und trage ihn zurück an den Strand. „Entschuldige, dass ich dich so lange in dem Wasser ausharren ließ.“

„Das stört mich nicht, wenn du dadurch wieder zu dir gefunden hast.“ Er lächelt. Dieses Mal ist es kein freudloses Lächeln, sondern voller Zuneigung. Behutsam nehme ich ihn in den Arm, auch um ihm etwas von meiner Körperwärme abzugeben. Unbemerkt verändert sich die Umgebung. Erst als ich Tachis Stimme höre, sehe ich die Farben, die an die Stelle der Grautöne getreten sind. Das Meer ist einem Wald gewichen.

„Was macht ihr denn so lange, wir wollen weiter gehen.“ Taichi und Agumon bleiben fragend vor uns stehen. Es ist der elfjährige Taichi. Ich schaue auf meinen Arm. Keine Narben. Unsicher stehe ich auf und gehe auf meinen besten Freund zu. Meine verschwommene Sicht klärt sich etwas, als die Tränen ihren Weg über meine Wangen finden. Schluchzend breche ich vor Taichi zusammen.

„Es tut mir leid“, hauche ich mit brüchiger Stimme.

„Äh Yamato, so schlimm ist es nicht, dass wir auf euch warten mussten“, entgegnet mein bester Freund deutlich verwirrt. Er hockt sich neben mich und legt tröstend einen Arm auf meine Schulter.

„Was hat er denn?“, höre ich Agumon die Frage an Gabumon richten.

„Gehen wir zu den Anderen und geben Bescheid, dass Yamato und Taichi sich uns gleich anschließen werden.“ Gabumon scheint Tais Digimon mit sich und von uns wegzuziehen.

„Yamato, wofür entschuldigst du dich? Was hast du getan?“ Ich reagiere nicht. „Yamato!“ Nun sagt er meinen Namen mit Nachdruck, wobei er mich am Arm packt und leicht schüttelt. Zaghaft hebe ich meinen Kopf und blicke direkt in die braunen Augen meines Freundes.

„Taichi.“ Verschlafen richte ich mich etwas auf. Nur langsam realisiere ich die Situation.

„Du schienst ziemlich müde zu sein. Ich bekam dich kaum wach.“

„Entschuldige, ich...“ Es ist lange her, dass ich von dieser Welt träumte und wie immer bleibt ein merkwürdiges Gefühl nach dem Aufwachen, welches mich so schnell nicht mehr loslässt.

„Wofür entschuldigst du dich? Was hast du getan? Oder bist du noch im Halbschlaf? Du wirkst leicht verwirrt.“

„Nein... also... willkommen zu Hause“, entgegne ich unbeholfen.

„Danke. Was hast du an deinen Handgelenken gemacht?“ Besorgt deutet mein Freund auf meine Arme, woraufhin ich hastig die Ärmel über die Verbände ziehe und seinem Blick ausweiche.

„Tai...“, beginne ich mit leiser, unbeständiger Stimme. Kurz schließe ich die Augen, um mir selbst Entschlossenheit zu suggerieren. „Ich werde die Beziehung beenden“, bringe ich schließlich gefestigt hervor.

„Aha.“ Ruhig und mit ernster Miene setzt sich Taichi mir gegenüber an den Tisch. „Du weißt, dass ich dieses Vorhaben nicht akzeptieren werde. Dennoch möchte ich wissen, welche unsinnigen Gedanken dich einmal mehr dazu verleiten wollen.“

„Vermutlich habe ich mich mit dem HI-Virus angesteckt.“ Indem ich den direkten Weg wähle, hoffe ich, die Angelegenheit abkürzen zu können. Der Schmerz ist ohnehin bereits kaum zu ertragen. Ich schaue meinen Freund an. Dieser schweigt, seine Augen sind starr.

„Bei wem?“, will er schließlich tonlos wissen.

„Einem Freier“, lüge ich auch ihn an.

„Verstehe.“ Tais scheinbare Abgeklärtheit irritiert mich. Ich beobachte ihn genau, als er sich erhebt und auf mich zu kommt. Zärtlich berührt er meine Wange. „Du würdest in meiner Situation genauso reagieren, nicht wahr, mein süßer Yamato?“, flüstert er mit einem Lächeln, welches nichts als Traurigkeit ausdrückt, während seine Finger hinab zu meiner Hose gleiten. Sofort gebiete ich meinem Freund Einhalt, indem ich ihn am Handgelenk festhalte.

„Was soll das werden?“, frage ich das Offensichtliche. Laut beginnt Taichi zu lachen.

„Wonach sieht es denn aus? Ich will mit dir schlafen. Anders als eine Trennung akzeptiere ich die Todesart, die du für uns gewählt hast.“ Betroffen starre ich meinen Freund an, unfähig auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. „Dachtest du, ich lasse dich allein sterben, mein Liebling? Allerdings widerstrebt es mir, dass du jemanden gefunden hast, der dich fickt und dir zugleich den Tod schenkt. Liebst du ihn? Mehr als mich? Machst du noch immer für ihn die Beine breit? Oder hast du ihn fallen gelassen, weil dein Begehren bereits erfüllt ist?“ Meine Hand zur Faust geballt, senke ich meinen Blick und schaue zu Boden.

„Warum sagst du nicht einfach, dass du Angst vor der Situation hast?“ Mich erhebend ziehe ich Taichi an mich und umfange ihn behutsam mit meinen Armen. „Ich wollte es nicht“, flüstere ich kaum hörbar. Mein Freund bleibt unbewegt.

„Doch, sonst hättest du dich nicht ohne Kondom von einem Anderen vögeln lassen. Vielleicht war es nicht dein primäres Ziel, aber eine Ansteckung verhindern wolltest du jedenfalls nicht.“ Die Kälte in Tais Stimme ist unerträglich.

„Es tut mir leid“, hauche ich erstickt und presse seinen Körper enger an mich. Keine Reaktion.

„Du hast recht. Ich habe Angst. Ich kann damit nicht umgehen. Ohne Alkohol.“ Da mein Freund keine Kraft mehr aufbringt, um allein zu stehen und ich zu schwach bin, um uns beide aufrecht zu halten, sinken wir, ohne uns voneinander zu lösen, zu Boden. Während er nahezu leblos zu sein scheint, fühlt es sich für mich so an, als würde ich unser beider Schmerz spüren.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  TheDarkVampire
2017-06-15T04:30:48+00:00 15.06.2017 06:30
Guten morgen :)

Mal ganz ehrlich. Yamato ist süß und Shota erst recht. Shota liebt seinen Vater so sehr und will ihn eigentlich helfen. Aber Stolz und Angst hindern ihn daran. Hoffentlich kann er das bald überwinden :)

War klar, dass sich Taichi lieber auch ansteckt, als es zu zu lassen, dass sich Yamato von ihn trennt. Aber wieso gibt Yamato die Vergewaltigung von seinem Sportlehrer nicht zu und ist er wirklich infiziert?

Fragen über Fragen, aber es bringt soviel Spaß deine Kapitel zu lesen und ich freue mich schon auf ein Neues

Lg Vampy


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