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Ein einfaches Ende

Yamato Ishida x Taichi Yagami
von

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Blinzelnd öffne ich meine Augen. Die wenig wärmende Wintersonne blendet mich, sodass ich genervt die Bettdecke über meinen Kopf ziehe. Ich fühle mich wie erschlagen, aber auch befriedigt, irgendwie entspannt und gelöst. Mit meinen Fingern streiche ich über meinen nackten Körper. Tais Berührungen der letzten Nacht brennen noch immer auf meiner Haut, erregen mich erneut. Ich lasse meine Hände, die in meiner Vorstellung die meines Freundes sind, zwischen meine Beine gleiten. Taichi liegt nicht neben mir, weshalb ich ein wenig an meiner Erinnerung zweifle. Bilde ich mir die letzte Nacht nur ein? Wunschdenken, verzerrte Realität, aufgrund einer überstrapazierten Psyche oder letztlich doch ein Traum? Ich ziehe meine Hand zurück und versuche meine Erregung niederzukämpfen. Schwerfällig erhebe ich mich, ziehe Shorts und ein übergroßes Shirt an. Dann verlasse ich das Zimmer. In der Wohnung ist alles ruhig, allerdings nehme ich den Duft von frisch gebrühtem Kaffee wahr. Sofort lenke ich meine Schritte in Richtung Küche. Dort registriere ich, und sehe somit meine Erinnerungen als bestätigt, meinen Freund, der mit dem Rücken zu mir am Tisch sitzt und scheinbar abwesend aus dem Fenster schaut. Vorsichtig lege ich von hinten meine Arme um ihn, trotzdem zuckt er erschreckt zusammen. Eine Reaktion, die ihn verletzbar erscheinen lässt.

„So nachdenklich?“, frage ich ein wenig besorgt. Mein Freund antwortet nicht. Ich gehe zu einem der Küchenschränke, entnehme eine Tasse und fülle sie mit dampfend heißem Kaffee. Anschließend setze ich mich und greife nach der Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch liegt.

„Dein Frühstück?“, fragt Tai bissig. „Ich war einkaufen. Bitte iss etwas. Du bist wieder beängstigend dünn geworden und ich stehe nicht unbedingt darauf, ein Skelett zu vögeln.“ Kommentarlos lege ich die Schachtel zurück, hebe die Tasse an meinen Mund, puste ein paar Mal und trinke vorsichtig etwas von der dunklen, koffeinhaltigen Flüssigkeit. „Hat die Magersucht dich wieder fest im Griff?“ Seinem Tonfall entnehme ich keinerlei Vorwurf, lediglich Sorge. „Siehst du selbst nicht, dass du nur noch aus Haut und Knochen bestehst?“

„Nicht in dem Maß, wie du es beschreibst.“ Seufzend schaut mein Freund mich an.

„Ist dein Selbstbild wirklich derart verzerrt?“

„Können wir das Thema bitte beenden?“, entgegne ich leicht genervt und nippe ein weiteres Mal an der Tasse.

„Warum hast du eigentlich mehr Probleme damit, über deine Essstörung zu sprechen als beispielsweise über deine Selbstverletzungen mit der Rasierklinge oder die Drogensucht?“

„Ich habe kein Problem damit. Es ist nur unerheblich, sodass es nicht nötig ist, darüber zu reden.“

„Es ist nicht mehr unerheblich, wenn deine Organe aufgrund dessen versagen. Aber genau das ist dein Ziel, oder?“ Kurz überlege ich, was ich auf diese Frage antworten soll.

„Nicht bewusst“, erwidere ich schließlich wahrheitsgemäß. Seufzend trinkt mein Gegenüber einen Schluck Kaffee. Offenbar hat er begriffen, dass er bei diesem, meines Erachtens völlig überflüssigen, Thema nicht weit kommt. Lediglich der Wunsch, zu verschwinden, führt hin und wieder dazu, dass ich die Nahrungsaufnahme einstelle. In solchen Phasen verhindert meine Psyche Hungergefühle, wodurch ich entweder vergesse zu essen oder, im Fall eines Erzwingens, starke Übelkeit mich dazu bringt, die Nahrung unmittelbar nach Einnahme zu erbrechen. Zugegebenermaßen gibt es gelegentlich Situationen, in denen ich mich willentlich übergebe, nämlich wenn der Gedanke und das Gefühl, Fremdkörper, also Essen, in mir zu haben, zu spüren, unerträglich wird. Über all das muss ich mit Taichi jedoch nicht sprechen. Solange ich die Kontrolle nicht verliere.

„Ich habe dir Currybrötchen mitgebracht. Früher mochtest du die sehr.“ Die Stimme meines Freundes ist leise und er wirkt beinahe schüchtern. Zudem sieht er mich nicht an, sein Blick ist gesenkt. Dieses Verhalten verunsichert mich.

„Danke. Ich mag sie noch immer“, versichere ich erfüllt von Zuneigung. Ich stehe auf und gehe zum Küchenschrank, welchem ich eines der mitgebrachten Currybrötchen entnehme. Hinter mir höre ich, dass Tai sich ebenfalls erhebt. Als ich mich umdrehe, ist er dicht vor mir. Mit sanfter Gewalt drückt er mich gegen den Kühlschrank, Wahnsinn erkenne ich jedoch nicht in seinen Augen. Sein Blick ist sogar ungewöhnlich klar. Er streift mit den Fingerspitzen über die frisch verheilten Wunden, die in dunkelroten Linien über meinen Arm verlaufen.

„Schneidest du inzwischen so tief, weil du den Schmerz sonst nicht mehr spüren kannst? Weil dein Selbsthass dich dazu treibt? Hör bitte auf damit. Es entgleitet dir.“ Kaum spürbar haucht mein Freund einen Kuss auf meine Lippen. „Ich weiß, du kannst und willst nicht darauf verzichten. Aber wenn ich dir einen Ersatz biete...“

„Wie meinst du das?“ Tai lässt von mir ab und geht einen Schritt zurück, ohne jedoch seinen Blick von mir zu wenden.

„Hauptsächlich geht es dir um den Schmerz und die Wunden, oder? Überlass mir die Ausführung.“

„Heißt das, du schneidest mir mit der Rasierklinge den Arm auf?“ Ich muss daran denken, dass ich Tai vor einigen Jahren den Arm bis zu den Sehnen aufschnitt, er vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht wurde und die Wunde genäht werden musste. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob es tatsächlich ein Unfall war oder ich unbewusst vorsätzlich handelte, meinen Freund stigmatisieren wollte. „Unterbreitest du mir diesen Vorschlag wirklich aus Angst oder weil du dadurch mehr Macht über mich bekommst?“

„Beides“, gibt mein Gegenüber ohne Umschweife zu. „Würdest du dich zumindest auf einen Versuch einlassen?“

„Meinetwegen“, stimme ich vorgeblich gleichgültig zu. Die Idee ist zwar interessant, allerdings bezweifle ich, dass dieses Vorgehen auf Dauer ausreichend effektiv sein wird. „Das bedeutet, ich darf in nächster Zeit nicht mehr selbst Hand an mich legen, richtig?“

„Ja. Nur so können wir herausfinden, ob dir das Zufügen von Verletzungen durch die Hand eines Anderen ebenfalls hilft.“

„Und wenn mir das Ganze nichts bringt oder mein Verlangen nach Selbstschädigung sogar verstärkt wird?“

„Dann sag es mir ehrlich, bevor du handelst.“ Ich bringe Tai ein schwaches Lächeln entgegen.

„Unter der Bedingung, dass du ehrlich im Bezug auf deine Alkoholabhängigkeit bist.“ Leicht berührt er meine Haare, lässt sie spielerisch durch seine Finger gleiten.

„So schön.“

„Taichi?“, frage ich vorsichtig. Dieser wirkt abwesend. Anstatt auf meine Worte einzugehen, küsst er mich erneut. Fordernd schiebe ich meine Zunge in seinen Mund, weite den Kuss zu einem intensiven Zungenkuss aus. Erregung durchflutet meinen Körper, als mein Freund mit seinen Fingern unter mein Shirt und in meine Shorts gleitet.

„Ich bin mit deiner Bedingung einverstanden“, raunt er heiser in mein Ohr. „Musst du heute zur Bandprobe oder kann ich dich den ganzen Tag für mich beanspruchen?“ Ich zögere mit meiner Antwort.

„Zur Bandprobe muss ich nicht, aber ich habe heute Abend Schicht im Koki.“ Wie erwartet verfinstert sich Tais Miene, doch dann legt sich unerwartet ein Lächeln auf seine Lippen.

„Deine Entscheidung fällt also zu Reijis Ungunsten aus.“ Seine Augen nehmen einen unheilvollen Ausdruck an.

„Vergiss es, Yagami! Du kannst Reiji nichts anhaben“, entgegne ich herablassend. „Er ist nicht so labil wie Akito oder Shinya.“

„Dafür, dass zwischen euch angeblich nichts läuft, scheinst du ihn ziemlich gut zu kennen. Habt ihr heute zusammen Dienst? Es dürfte interessant werden, sich mit ihm zu unterhalten.“

„Vergiss es!“ Ich bin mir nicht sicher, um wen ich mir in diesem Fall mehr Sorgen machen müsste. Zwar will Reiji eigentlich nur Sex, doch besonders in letzter Zeit scheint er aus einem mir unbekannten Grund so etwas wie einen Beschützerinstinkt entwickelt zu haben. Sollte er tatsächlich die Möglichkeit bekommen, Tai gegenüberzustehen, weiß ich nicht, wie er reagieren würde. Körperlich ist er meinem Freund leicht überlegen. Die Statur ist ähnlich, aber Reiji ist etwas größer und insgesamt trainierter als Taichi. Die Alkoholabhängigkeit, die zehrende Zeit der Abstinenz, die Rückfälle, all das hat deutliche Spuren hinterlassen, physisch wie psychisch. Allerdings würde die Auseinandersetzung wahrscheinlich eher verbal stattfinden, wobei sich jedoch auch in diesem Fall Reiji in der besseren Verfassung befände. Es ist lediglich Tais Unberechenbarkeit, die ihn so gefährlich macht. Vielleicht sollte ich besser vermeiden, mich weiter auf das Thema einzulassen. Stattdessen schmiege ich mich lasziv an meinen Freund, mit meiner Hand gleite ich zwischen seine Beine.

„Wie sieht das Beanspruchen denn aus?“, frage ich verführerisch, komme mir aber unglaublich billig vor. Taichi sieht mich ausdruckslos an.

„Ich ficke dich so ausgiebig und hart, dass du nicht mehr zur Arbeit gehen kannst.“

„Mit Sicherheit schreckst du auch nicht davor zurück, mich ein weiteres Mal ins Krankenhaus zu bringen, hab ich recht?“

„Wenn es notwendig ist und du mir keine andere Wahl lässt, nehme ich das in Kauf, ja.“ Nachdenklich löse ich mich von meinem Freund, setze mich an den Tisch zurück und beginne damit, mein Currybrötchen zu essen.

„Wie verhält es sich eigentlich bei meinem Vater? Er schläft ebenfalls mit mir, aber auch du gibst dich ihm hin.“ Lässig lehnt sich Tai gegen den Küchenschrank und mustert mich aufmerksam.

„Ich halte es für angebracht, in der Vergangenheitsform zu sprechen. Wie ich dir bereits mehrfach sagte, war der Sex mit deinem Vater einmalig. Und was dich betrifft, versprach er mir vor einigen Jahren, nicht mehr auf dein Begehren einzugehen. Es war einfach, ihm dieses Versprechen abzuringen, da Hiroaki eigentlich weiß, dass es falsch ist, mit dem eigenen Sohn zu schlafen. Um sicherzugehen, dass er nicht wieder auf deine Manipulationen eingeht, verstärkte ich seine negativen Gefühle bezüglich der Problematik ein wenig, indem ich vieles, was damals passierte, seiner Unzulänglichkeit als Vater zuschrieb. Sowohl die mitleidige Bereitschaft zum Sex als auch seine Inkonsequenz betreffend.“

„Bedeutet das, du manipulierst meinen Vater schon seit Jahren? Und mir wirfst du es vor?“, frage ich ungläubig.

„Manipulieren würde ich es nicht nennen. Ich rede ihm lediglich ins Gewissen.“ Fassungslos beiße ich von meinem Currybrötchen ab und kaue darauf herum. „Es ist interessant, dass gerade du mir vorwirfst, manipulativ zu sein, da du selbst genauso bist, wenn manchmal vielleicht auch unbewusst.“ Ich senke meinen Blick und schaue schweigend auf das angebissene Currybrötchen in meiner Hand, unschlüssig, ob ich Tais Aussage dementieren oder akzeptieren soll. Dann lege ich es aufgrund von aufkommender Übelkeit auf der Tischplatte ab.

„Würdest du dafür sorgen, dass mein Vater aus meinem Leben verschwindet, wenn er noch einmal mit mir schlafen sollte?“ Die Antwort interessiert mich, obwohl ich nicht vorhabe, Taichi die Wahrheit zu sagen. Unabhängig von seiner Antwort, darf er vom kürzlich vollzogenen Beischlaf mit meinem Vater nichts erfahren, da seine Reaktion wie so oft nicht vorhersehbar ist und die Folgen für alle Beteiligten mehr als unangenehm werden könnten. Auch mein Vater scheint bisher geschwiegen zu haben, möglicherweise aus demselben Grund.

„Ungern. Allerdings bist nur du mir wirklich wichtig, weshalb ich den Tod jedes anderen Menschen ertragen könnte. Selbst wenn es sich dabei um meine Familie oder deinen Vater handelt.“ Mit ernstem Gesichtsausdruck kommt mein Freund auf mich zu und hockt sich vor mich. „Yamato, ich liebe dich.“

„Verwechselst du nicht Liebe mit Besessenheit und Kontrollsucht?“, entgegne ich kalt und verlasse ohne ein weiteres Wort die Küche. Taichi folgt mir.

„Nenn es meinetwegen, wie du willst.“ Er packt mich hart an der Schulter, dreht mich mit dem Rücken zur Wand im Flur und presst mich gewaltsam dagegen. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass du mir gefügig zu sein hast.“ Leicht streift er meinen Arm. „Ist dir eigentlich nicht kalt? Dein dünner, zerbrechlicher Körper ist lediglich mit einem viel zu großem Shirt verhüllt, was auf mich zugegebenermaßen jedoch sehr aufreizend wirkt.“ Mir seinen Fingerkuppen gleitet er meine Oberschenkelinnenseite nach oben. „So blasse und weiche Haut. Wie von einem Mädchen.“ Ich spüre, wie sich mein Brustkorb schmerzhaft zusammenzieht.

„Nimmst du mich, wenn du mit mir schläfst, wirklich als Mann wahr? Was fühlst du, wenn du in mir bist? Siehst du mich? Oder das, was du gern sehen möchtest?“ Noch während ich die Worte ausspreche, frage ich mich, ob ich die Antwort überhaupt wissen will. Ich wende mich ab, versuche mich an meinem Freund vorbeizudrängen, doch der schlingt seinen Arm von hinten um meine Hüfte und zieht mich an sich.

„Ich kann dir zeigen, wie sehr ich dich liebe“, flüstert er, wobei seine Hand mein Shirt etwas nach oben schiebt. Ich schließe meine Augen, lege meinen Kopf in den Nacken. „Sag mir, wie ich es dir besorgen soll. Sanft? Brutal?“

„Hör auf, Taichi.“ Erstaunt sieht dieser mich an.

„Du willst keinen Sex?“ Sein Blick nimmt einen merkwürdigen Ausdruck an. „Stehst du so sehr darauf, wenn ich dich vergewaltige?“

„Meine Antwort ist irrelevant, da sie dein Handeln ohnehin nicht beeinflussen würde, nicht wahr?“

„Dabei wage ich zu behaupten, dass ein solch grober Umgang mit dir dich erregt.“ Beschämt senke ich meinen Kopf.

„Tai, du erregst mich immer. Das weißt du“, gebe ich fast vorwurfsvoll zu. „Egal, was du tust. An meinen Gefühlen zu dir wird sich nichts ändern. Hast du das nicht auch schon ausgiebig getestet?“

„Offenbar war es noch nicht ausreichend. Zumindest zwingst du mich immer wieder, Maßnahmen ergreifen zu müssen.“ Nachdenklich betrachte ich meinen Gegenüber.

„Was hättest du getan, wenn Akito nicht suizidal und weniger kooperativ gewesen wäre? Eigenhändig hättest du ihn mit Sicherheit nicht getötet.“

„Nein, aber du weißt selbst, wie zerbrechlich die Psyche eines Menschen ist. Und wenn ich Akitos Vergangenheit bedenke... der Typ war auch ohne mein Zutun schon total geschädigt.“ In einem abfälligeren Tonfall könnte Taichi über meinen einstigen Freund nicht sprechen, dabei hat der bereits vor Jahren Selbstmord begangen.

„Woher...?“

„Zwar erhielt ich keine konkreten Bestätigungen, aber mithilfe einiger Informationen und aufgrund seines Verhaltens war ich bezüglich meiner Vermutungen ziemlich sicher.“ Es fühlt sich so an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden, als ich realisiere, wie perfide das Spiel meines Freundes ist, von dem ich kaum etwas mitbekam. Schützend schlinge ich die Arme um meinen Körper. Tränen laufen über meine Wangen und ich beginne zu lachen, während meine Augen starr ins Nichts gerichtet sind.

„Fühlt es sich so an, wenn man tatsächlich den Verstand verliert?“, frage ich abwesend, mit brüchiger Stimme. Beruhigend legt Taichi seine Hand auf meine Schulter.

„Nein, mein Liebling“, flüstert er. „Es ist alles in Ordnung.“ Ich richte meinen Blick auf ihn, ohne ihn wirklich anzusehen. „Komm, gleich geht es dir besser.“ Behutsam umfängt er meine Taille und führt mich ins Schlafzimmer. Ich lasse es unbeteiligt geschehen, registriere nur unbewusst, wie er mich auf das Bett drängt und sich rücksichtslos an meinem Körper vergeht.
 

Sanft gleiten meine Finger über die Saiten der Gitarre. Ich schließe die Augen und lausche dem Klang der angespielten Töne. Dann beuge ich mich vor und notiere etwas auf dem Notenblatt, welches vor mir auf dem kleinen Tisch liegt. Seufzend lasse ich mich zurück gegen die Lehne des Sofas fallen. Mein Blick verharrt nachdenklich an der Wohnzimmerdecke. Nachdem Taichi heute Vormittag die Wohnung verlassen hatte, rief ich sofort im Krankenhaus an, um mich nach Shinyas Befinden zu erkundigen. Er ist noch immer nicht bei Bewusstsein. Zwar ereignete sich der Vorfall erst gestern, aber sein unveränderter Zustand beunruhigt mich. Allgemein hatte ich in letzter Zeit aufgrund seines selbstzerstörerischen Verhaltens ständig Angst um ihn. Trotzdem bin ich nach wie vor der Meinung, dass es kein Suizidversuch, sondern eine Unachtsamkeit, verschuldet durch seine Verzweiflung, war. Aber vielleicht schätzte ich die Situation falsch ein. Hätte ich eher reagieren müssen? Ohne akuten Anlass ist es jedoch schwer, jemanden in die Psychiatrie einzuweisen, insbesondere gegen dessen Willen. Zudem wollte ich ihm nicht antun, was ich eigentlich missbillige, denn ich bezweifle, dass ein Klinikaufenthalt ihm helfen kann. Andererseits hoffe ich, dass er die Möglichkeit nutzt, unter Aufsicht zu entziehen, damit er die Kontrolle über seinen Drogenkonsum zurückerlangt. Im zugedröhnten Zustand ging er oft rücksichtslos seinen Gelüsten nach. Eigentlich mag ich seine sadistische Neigung und wir hatten oft heftigen, teils perversen Sex, doch wenn er drauf ist, fühlt es sich anders an. Diese Art von Demütigung, physisch wie psychisch, löst selbst in mir keine Erregung mehr aus. Auch Taichi erniedrigt mich in seinen gefühllosen Phasen sexuell und verbal. Es fühlt sich allerdings anders an, nicht ausschließlich negativ, und bei ihm hingegen bin ich erregt. In letzter Zeit treten seine psychopatischen Züge immer stärker in Erscheinung und ich frage mich, ob ich ihm allmählich Einhalt gebieten oder ihn weiterhin gewähren lassen sollte. Dass er gefährlich ist, bewies er mir bereits mehrfach, trotzdem kann ich kaum einschätzen, wie weit er noch gehen würde. Vielleicht sollte ich ihm nachgeben und sämtliche Kontakte abbrechen, um die wenigen Menschen, die mir etwas bedeuten, vor ihm zu schützen. Früher hätte ich diese Option nie in Betracht gezogen, da ich mich somit meinem Freund beuge und ihm uneingeschränkte Macht über mich gewähre. Momentan allerdings fehlt mir die Kraft. Ich will gegen nichts mehr ankämpfen müssen. Weder gegen Taichi noch gegen Shinya, Shota oder Reiji. Auch den Kampf gegen die Drogen und mich selbst werde ich auf Dauer nicht gewinnen können. Ich glaubte, meine Suizidalität im Laufe der letzten Jahre endlich in den Griff bekommen zu haben. Jetzt kreisen die Gedanken wieder in meinem Kopf. Unaufhörlich. Sie nähren den Drang, bis dieser erneut unerträglich wird und mich schließlich zum Handeln zwingt. Um mich der zunehmenden, psychischen Destruktion nicht weiter zu ergeben, stelle ich meine Gitarre beiseite und erhebe mich. Mit der leeren Kaffeetasse in der Hand verlasse ich das Wohnzimmer und gehe in Richtung Küche. Hoffentlich hilft mir das Koffein, meine Konzentration eher der Musik zu widmen und mich von meinem zerstörerischen Denken abzulenken. Vor der angelehnten Badtür bleibe ich stehen. Meine Haut beginnt zu kribbeln, als ich mir vorstelle, wie eine Rasierklinge langsam und tief durch meine Haut schneidet. Der Schmerz, das warme, über meinen Arm laufende Blut... meine Sehnsucht danach wird unerträglich. Plötzlich holt mich ein Klirren unsanft in die Realität zurück. Die Tasse, die ich eben noch in der Hand hielt, liegt in Scherben neben mir auf dem Boden. Regungslos starre ich die Bruchstücke an, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Einzig die Abmachung mit Taichi dringt in mein Bewusstsein. Wie viel Kontrolle sollte und darf ich ihm überlassen? Wie viel Unterwerfung meinerseits will und kann ich zulassen? Sicher ist, dass wir letztlich an uns zerbrechen werden. Ein Ziel, welches wir seit unserer Kindheit, seit Beginn unserer auf Gewalt basierenden, teils erzwungenen Beziehung verfolgen. Ich spüre, wie sämtliche verbliebene Kraft meinen Körper verlässt. Haltsuchend lehne ich mich mit dem Rücken gegen die Wand, rutsche jedoch haltlos daran hinab, sacke hilflos in mich zusammen. Wie gelähmt bleibe ich im Flur sitzen. Apathisch. Nur unbewusst bekomme ich mit, dass irgendwann die Wohnungstür geöffnet wird.

„Yamato?“, bemerkt mein Freund mich sofort. Achtlos lässt er seine Tasche auf den Flurboden fallen und, ohne Schuhe oder Jacke auszuziehen, läuft er schnell auf mich zu, hockt sich neben mich. Er betrachtet die zerbrochene Tasse, dann schaut er zu mir und scheint zu versuchen, die Situation zu deuten. „Was ist passiert? Hast du vor, dich mit den Scherben zu verletzen?“, will er deutlich besorgt wissen.

„Nein“, flüstere ich kaum hörbar. „Tai... ich... ich gebe auf.“

„Was soll das heißen?“ Mein Freund klingt alarmiert, ergreift sofort mein Handgelenk.

„Ich wehre mich nicht mehr gegen dich. Es ist ohnehin sinnlos. Den Job im Koki kündige ich, somit verschwindet Reiji aus meinem Leben. Sobald Shinya bei Bewusstsein ist, sage ich mich endgültig von ihm los. Aus der Band steige ich ebenfalls aus. Ich gehöre nur dir.“ Es klingt, als würden die Worte mit meiner Stimme gesprochen. Worte, die nicht meinem Willen entsprechen. Worte, die nicht meinem Willen entsprachen. Erschöpft schließe ich meine Augen. Leere. Taubheit. Außer Tai brauche ich niemanden. Nur seinetwegen lebe ich noch. Schweigend nimmt dieser mich in den Arm und drückt mich schmerzhaft fest an sich. Ich spüre die Wärme seines Körpers, nehme seinen vertrauten Duft wahr. Taichi füllt meine innere Leere und die vorherrschende Taubheit wird von meinen Gefühlen für ihn verdrängt. Er ist mein Ein und Alles.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  TheDarkVampire
2015-09-18T16:46:59+00:00 18.09.2015 18:46
uii, es geh weiter *freu*

und erstmal WOW

Das ist wieder ein Hammer Kapitel und ich habe schon wieder die Tränen in den Augen *schnief*

Wie kann Tai bitte schön nur so ein Arsch sein? Der arme Yama. Er weiß doch genau, dass er irgendwann seinen Willen bekommt. Yama kann gegen sowas nicht lange ankämpfen. Tai braucht dringend eine Therapie

aber nein, wirklich, dass Kapitel ist cool. Ich mag es einfach, deine Geschichten immer und immer zu lesen. Wie lange Yama es wohl dieses mal aushält, jetzt so unter der kompletten Kontrolle von Tai. Werden Reiji und Shinya das akzeptieren? Was Yamas Vater dazu, wenn er es erfährt und läuft zwischen ihm und Tai wirklich nichts mehr?

Fragen über Fragen.

Freue mich schon wenn es weiter geht. Das Warten lohnt sich auf jeden Fall immer und immer wieder

lg


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