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Ego

(LokiXOC)
von

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A Night in February

Luke Saulsbury nippte an seiner Kaffeetasse und beobachtete, wie Eve die Dokumente durchblätterte, die er ihr im Rahmen der Morgenlage auf den Tisch gelegt hatte.

Die allmorgendliche Besprechung war entspannter geworden. Von einem Kurzvortrag waren sie dazu übergegangen, die Tagesordnungspunkte gemeinsam in Eves Büro durchzusprechen. Er saß ihr gegenüber entspannt in einem dieser neumodischen Wippsessel und sinnierte, während er sein Gegenüber studierte. Sie hatte die Ohrringe kein einziges Mal getragen. Er hatte mit den Edelsteinen vermutlich doch übertrieben. Womöglich gefielen sie ihr gar nicht. Die falsche Farbe? Er wusste nicht mal, ob sie grün mochte. Und warum, verdammt nochmal, gab es in der Teeküche keinen Vollautomaten, der Cappuccino machte? Der Milchkaffee hing ihm zum Halse raus. Er besah verärgert den hellbraunen Inhalt seiner Tasse.

"Stark-Liner" Eve schnaubte abfällig und riss ihn damit aus den Gedanken. "Was ist damit?" Luke stellte die Tasse weg.

"Das klingt, finde ich, so nach Dickschiff; wie diese Kraft-durch-Freude-Dampfer Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Hoffentlich ist das nicht der endgültige Name." Sie gab ihm den mitgezeichneten Stapel Papier.

"Solange es sich verkauft..." Luke heftete die Blätter zurück in den Ordner. "Was ist eigentlich mit dem Kampf-Jet?"

Eve winkte ab. "Ach hör auf, das Ding wird nie fertig, wenn das so weiter geht. Die ändern ständig die Anforderungen für das Teil." Sie goss sich eine weitere Tasse Tee aus der Kanne auf dem Beistelltisch ein. "Du auch?"

"Hab' Kaffee, Danke."

"Sorry. Jedenfalls“, Sie genoss den ersten Schluck. " Bei der Vorstellung müssen wir die Dinger so in Szene setzen, dass jede Fluggesellschaft zuerst einen haben will und wir dann direkt in Serienproduktion gehen können."

Bei den Dingern handelte es sich nicht, wie der Name erahnen ließ, um einen Ozeanriesen, sondern um einen Überschall-Linienjet. Nach dem Scheitern der Concorde in den Neunzigern war dies der erste Versuch, das Konzept der Personenbeförderung im Überschallbereich wieder aufzugreifen. Nach den gravierenden Unfällen beim französischen Vorgängermodell musste der STARK-Liner  einschlagen, wie eine Bombe. -Im positiven Sinn natürlich. Es war ein gewagtes Projekt angesichts dieser Vorgeschichte, jedoch wurden bei der Konstruktion der Maschine alle Kausalitäten berücksichtigt und die Kinderkrankheiten der Concorde waren ausgemerzt. Seit Silvester hatte Eve  nur noch für die Fertigstellung dieser Maschine gearbeitet und nach knapp zwei Monaten war sie reif, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Luke hatte indes alle anfallenden Arbeiten übernommen.

"Sonst noch etwas?"

Luke klemmte sich den Ordner unter den Arm und griff sich seine Tasse, bevor er aufstand. "Alles andere hatten wir soweit besprochen... Nein, ich denke nicht." Dass er den kalten Milchkaffee hatte trinken wollen, bereute er instantan und verzog das Gesicht. "Das ist ja scheußlich."

Eve lachte. "Das sagst du jedes Mal, wenn du deinen Kaffee zu lange hast stehen lassen." Luke schnitt eine weitere Grimasse und verließ das Büro. Solang sie sich in diesem Raum befanden, duzten sie einander. Außerhalb des Büros nannten sie sich mittlerweile zwar beim Vornamen, siezten sich aber nach wie vor. Der professionelle Umgangston hielt das Arbeitsklima in Ordnung.

 

Das Lämpchen am Telefonapparat blinkte. Sie hatte ihn lautlos gestellt um nicht gestört zu werden drückte aber dennoch auf den Annahmeknopf. "Ja?"

"Äh, Eve?" Es war Luke. "Debby vom Empfang ist dran, sie ist ganz aufgelöst."

"Stell sie durch." Eve runzelte die Stirn. Debby ließ sich doch fast nie aus der Ruhe bringen. Es klickte kurz in der Leitung. "Miss Harrington?" Sie klang tatsächlich etwas aufgeregt.

"Lieber Himmel, Debby, was ist denn?" Eve war in der Tat etwas amüsiert über den Gemütszustand der sonst so stoischen Empfangsdame aus der Lobby.

"Hier ist ein Herr, der behauptet, sie würden ihn erwarten. Ich habe nachgesehen, er hat keinen Termin und außerhalb soll ich niemanden hochlassen, haben sie gesagt und..."

"Ganz ruhig, keine Panik.", unterbrach sie Eve ruhig. "Wer ist denn der penetrante Herr?" Nun war sie wirklich neugierig.

Sie hörte Debby seufzen. "Keine Ahnung, irgendein Luciano oder so..."

"Porca Miseria! Nicht Luciano, Nucci di Milano! Nucci, wie Gucci, nur mit N!"

Wären die Ohren nicht gewesen, hätte Eve in dem Moment wohl im Kreis gegrinst. "Schicken sie ihn hoch."

"Aber..." Debby stockte.

"Ist schon ok. Schicken Sie ihn rauf." Eve drückte auf das Knöpfchen und lehnte sich entspannt in ihrem Schreibtisch zurück. Es dauerte nicht lange, da war das leise Ping des Aufzuges zu vernehmen. Gedanklich zählte sie herunter: Fünf, vier, drei, zwo, eins, die Tür flog schwungvoll auf. "Bon Giorno, Commandante!"

Die Tür flog ebenso schwungvoll zurück in die Angeln, wie sie aufgestoßen wurde. Eve würde ihm den Kopf abreißen. Sie hasste unangekündigten Besuch. Luke hatte nur  das Geräusch schneller Schritte in teuren Schuhen wahrgenommen und im Augenwinkel nur für den Bruchteil einer Sekunde den großen schlanken Herren im dunkelblauen Anzug wahrgenommen, bevor er in Eves Büro gewalzt war. Bis er aufspringen konnte, war die Tür bereits wieder zugeflogen gewesen. Er lauschte in der Bewegung innehaltend. Es war verdächtig ruhig da drin. Plötzlich sprang die Tür erneut auf. Luke sprang zurück in der Erwartung des eben hereingeplatzten Herren im Mental labilen Zustand, aber stattdessen trat eben dieser freundlich auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. „Ah, Sprezzatura! Bon Giorno, Signore. Alfredo Nucci.“, stellte er sich vor. Er war in etwa so groß wie Luke, hatte eine schlanke Statur und musste um die Fünfzig sein. Sein schulterlanges Haar, das im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden war, hatte eine silbrige Farbe und seine Augen waren erschreckend lebendig und stechend durch das Stahlgrau. Seine Haut wirkte immer noch jung und war leicht gebräunt. Des Weiteren waren Schuhe und Anzug eindeutig auf Maß und Handgemacht. Als er lächelte ließ er strahlendweiße Zähne blitzen.

„Luke Saulsbury.“, sagte Loki knapp.

„Sie trinken Cappuccino?“, fragte er unvermittelt.

Luke runzelte verwirrt die Stirn. „Ja?“

„Brava.“ Er wand sich durch die immer noch offen stehende Tür an Eve. „Cara, mia, ich bin gleich zurück.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er eleganten Schrittes in Richtung Teeküche. Dort gab es allerdings keinen Cappuccino.

Ungläubig ging Luke in Eves Büro und schloss die Tür hinter sich. Auf dem Schreibtisch stand ein riesiger Strauß bunter Feldblumen. „Wer zum Henker ist das?“

„Signore Alfredo Nucci di Milano. Und der macht uns jetzt Kaffee.“

Luke runzelte die Stirn. „Du magst überhaupt keinen Kaffee.“

„Diesen schon. Ich hab‘  keine Ahnung, wie er das macht, aber sein Kaffee schmeckt göttlich.“

Wieder hörte man Alfredo Nucci fluchen. Diesmal in der Teeküche. „Porca Puttana!“

„Und was meinte er mit Spress… Spritz…“

„Sprezzatura.“

„Ja, was heißt das?“

„Das war ein Kompliment.“

Alfredo kam zurück ins Büro gewalzt. „Wo ist denn bei euch der Kaffee?“

Eve zuckte entschuldigend die Achseln. „Das war er gerade.“

Signore Nucci schnaubte abfällig. „Spühlbrühe. Entschuldigt mich bitte.“

Es dauerte keine Viertelstunde, bis Alfredo wieder mit einem eleganten Köfferchen bewaffnet auftauchte und in der Pantry des Büros den versprochenen Cappuccino gezaubert hatte. Eve sollte Recht behalten, ein herrlicher Genuss.

„Ich nehme an, Signore Stark nimmt nicht an der Charity-Gala morgen Abend teil?“ Alfredo rührte in der kleinen Tasse. Er hatte sich mit einem doppelten Espresso begnügt.

„Welche Charity-Gala?“, fragte Eve überrascht und sah Luke fragend an.

Der zuckte gleichgültig mit den Schultern und nahm einen Schluck aus der bauchigen Cappuccinotasse. „Die, von der ich dir seit einem Monat regelmäßig Erinnerungen von Tony Stark weiterleite.“  Er stellte die Tasse zurück auf ihr Gegenstück und entfernte mit der Zungenspitze den Milchschaumrest von seiner Oberlippe.

Mit zusammengekniffenen Augen quittierte Eve die bekannte Cappuccino-Problematik.

„Du hast es verdrängt, gib’s zu.“ Alfredo lächelte amüsiert. Er wusste genau, wie gern sich Eve vor derartigen Veranstaltungen drückte.

„Ich geh‘ da nicht hin.“, sagte sie dann und versuchte, sich hinter ihrer Tasse zu verstecken.

Luke war völlig vom Kaffee okkupiert und schaltete sich aus dem Gespräch aus.

„Aber natürlich wirst du da hingehen, Cara mia.“ Der selbstsichere Ausdruck auf den Zügen des Italieners war beunruhigend. Dennoch versuchte Eve weiter, sich rauszureden. „Ich kann gar nicht.“

Alfredo hob auffordernd die Brauen.

„Ich bin nicht im Besitz der passenden Garderobe.“ Sie hielt ihm die leere Tasse hin. Er stand mit demselben selbstsicheren Gesichtsausdruck auf und machte sich daran, eine zweite Runde Cappuccino zuzubereiten. „Bist du dir da sicher?“, sagte er schließlich mit dem Rücken zu ihnen gewandt. Eve ignorierte die Frage und rieb sich angesichts einer schrecklichen Vorahnung die Nasenwurzel. Alfredo indes nahm Luke seine leere Tasse ab und verabschiedete sich, nachdem er den Cappuccino serviert hatte. „Signore Saulsbury, ich freue mich, sie bald wieder zu sehen. Cara mia.“ Er nahm galant Eves Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. „Wir sehen uns später.“ Seit die Sprache auf Eves Abendgarderobe gekommen war, hatte sie versucht, ihn mit Blicken aufzuspießen. Alfredo hatte sich davon erstaunlich unbeeindruckt gezeigt und schloss nach seiner Verabschiedung einfach die Tür hinter sich.

„Stronzo!“, brüllte Eve durch die Tür hindurch.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Stupida oca!“

 

"Und wie hast du diesen Nucci kennengelernt?" Luke stellte die Tasse ab und wunderte sich nach wie vor über das eben erfahrene Kaffee-Phänomen.

Eve stützte das Kinn auf die verschränkten Hände und überlegte kurz. "Das...ist ewig her. Da war ich gerade mit meiner ersten Einsatzvorbereitung fertig." Sie sah gedankenverloren zu dem Voluminösen Blumenstrauß und fragte sich kurz, wo Alfredo Anfang Februar die vielen Feldblumen herbekommen hatte. Wer verschenkte in New York schon Feldblumen, wenn er Rosen und Lilien bekommen konnte. „Das muss schon zehn Jahre her sein.“ Loki schenkte ihr einen neugierigen Blick. „Wir lagen im gleichen Hafen. Also meine Einheit und sein… naja, nennen wir es mal Boot.“ Anhand des Gesichtsausdrucks seines Gegenübers ließ sich die Preisklasse des Bootes erahnen. „Er lag mit ‘nem Motorschaden an der Pier. Ich hab ihn repariert.“ Sie leerte die Cappuccinotasse.

„Und dann?“

„Eve seufzte. Dann hatte ich ein wundervolles Wochenende.“

Loki hielt in der Bewegung inne und besah Eve mit einem Skeptischen Blick über den Tassenrand hinweg. „Soll das heißen, du… Ich meine ihr beide seid…?“

„Freunde.“, beendete sie süffisant lächelnd seinen Satz und die im Raum stehende Vermutung.
 

Als Eve aus dem Aufzug trat kam ihr der einladende Geruch eines frisch gekochten Abendessens entgegen. Die Nachbarn legten sich wohl recht ins Zeug. Sie seufzte und kramte ihren Schlüssel aus der Manteltasche. Ihr Kühlschrank war so gut wie leer, das wusste sie. Seit Luke Ausgezogen war, hatte sich ihr Essverhalten auf die alten Gewohnheiten eines Studenten zurückentwickelt, weil niemand mehr einkaufte und aus Langeweile opulente Gerichte auf den Tisch zauberte.

Exakt die eben beschriebene Person hatte sich offenbar unangemeldet Zugang zu Eves Wohnung verschafft und ging dort seiner perversen Neigung des Kochens aus Langeweile nach. Der Geruch kam, wie sie feststellte -nachdem sie die Tür aufgeschlossen hatte- aus ihrer eigenen Wohnung. Kurz dachte sie an Loki. Sie hatte ihn heute etwas früher nach Hause geschickt, doch der hatte schon lange keinen Schlüssel mehr. Vorsichtig schloss sie die Tür und schlich den Flur entlang. Als sie eine melodiöse Stimme ein italienisches Volkslied trällern hörte entspannte sie sich auf der Stelle. „Du hättest mir ‘ne Nachricht schreiben können.“ Sagte sie vorwurfsvoll.

„Wollte ich.“ Alfredo Nucci wendete den Inhalt einer Pfanne mit einer schwungvollen Bewegung aus dem Handgelenk. „Aber dann musste ich feststellen, dass quasi nichts zu essen im Haus ist und bis sofort losgefahren.“

Eve seufzte. „Also was gibt’s?“ Sie trat an die Anrichte und wollte nachsehen, was Alfredo gezaubert hatte, wurde aber von einer raschen Geste abgewehrt. „No, no, no! Du setzt dich hin und kümmerst Dich um den Wein.“ Dieser stand bereits auf dem Tisch: Toscanischer Brunello. Eve entledigte sich ihres Mantels und holte Weingläser und den Dekanter aus dem Schrank. „Ach übrigens“, begann Alfredo während Eve den Flascheninhalt in den Dekanter umfüllte. „Oben liegt etwas mit ganz lieben grüßen von Francesca.“ Eve hätte am liebsten den restlichen Wein aus der Flasche hinunter gestürzt. Francesca Giulia Nucci di Milano, Alfredos Tochter, war in die Modebranche eingestiegen und bereits jetzt mit neunzehn eine Ikone der italienischen Modeschöpfung. „Es wäre gut, wenn du es vor dem Essen anprobierst.“ Er zwinkerte ihr vielsagend zu und öffnete den Ofen worauf ein betörender Duft von Italienischen Gewürzen den Rum flutete.

Ohne ein weiteres Wort sprang Eve die Wendeltreppe nach oben. Im Schlafzimmer auf dem Bett lag eine große schwarze Schachtel mit dem diskreten Logo Francesca’ s Lable’s. Auf dem Seidenpapier, in das der Inhalt geschlagen war lag ein Brief auf Italienisch in schwungvoller Handschrift.

 

Ciao, Eve!

Papa sagte, du bräuchtest etwas für die Charity-Gala.

Die Größe musste Passen. Es ist aus meiner neuen Kollektion, hoffe es gefällt Dir!

Con amore

Francesca

 

Eve Lächelte. Sie Hatte Francesca kennengelernt, da hatte sie noch aus Stoffresten Kleider für ihre Puppen genäht. Sehr hübsche Kleider. Sie löste vorsichtig den Aufkleber vom Seidenpapier und zog das Kleid aus der Schachtel. Es war ein eleganter langer schulterfreier Schnitt aus Chiffon und Seide in Nachtschwarz. Eve trat vor den Spiegel und hielt es an sich; dann schüttelte sie den Kopf und warf das Kleid zurück aufs Bett.

 

„Mama, mia! Bella!“, rief Alfredo, als er sie am Treppenabsatz stehen sah. „Komm herunter lass Dich ansehen.“ Eve raffte das Kleid und stieg vorsichtig die Treppe hinunter um nicht irgendwo mit dem zarten Chiffon hängenzubleiben. Unten angekommen ließ sie den Stoff fallen, der ohne Schuhe auf dem Boden kleine Falten warf. Alfredo legte die Hand ans Kinn und musterte sie unter einem skeptischen blick. Das Kleid war absolut schmucklos und schmeichelte ihrer Figur; das hohe Dekolletee saß gerade geschnitten keine Handbreit unter dem Brustbein. Der gerade Schnitt verlief in kleine Ärmel die wie ein Breites Band um die Oberarme liefen. Nach unten fiel es in eine leichte A-Linie ab. „Hmmm. Etwas fehlt noch.“ Grinsend nahm er Eves Hand und führte sie in eine lange Drehung wie beim Tanz. „Dreh dich, Püppchen, dreh dich.“

„Hör auf! Mir wird schwindlig!“ Eve begann zu lachen. Er fing sie geschickt und setzte sie wieder auf die Füße. „Viel besser so.“ Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Und jetzt zieh Dich wieder um, sonst wird das Risotto kalt.“

 

Das Abendessen zog sich in südeuropäischer Manier bis in die Späten Abendstunden. Anders wären die drei opulenten Gänge nicht zu schaffen gewesen.

Nachdem Alfredo die zweite Flasche geöffnet hatte, rief er plötzlich „Dolci!“ und holte zwei kleine Teller mit einem Sturz von Panna Cotta aus dem Kühlschrank. Der etwas Wabbelige Zylinder stand auf einem Spiegel aus Zitronen- und Johannisbeersauce. Der Geschmack der sauren Früchte mit der weichen Süße der Panna Cotta rief Erinnerungen an die vielen schönen italienischen Wochenenden wach. „Wer ist denn nun der Glückliche, dessen Sakko du entwendet hast?“, fragte Alfredo plötzlich völlig unverblümt. Eve hätte sich beinahe am Rest der Zitronensauce verschluckt. „Bitte?“

„Über deinem Schreibtischstuhl hing ein maßgeschneidertes Sakko, schwarz, teuer, nicht ganz meine Größe. Von dem eindeutigen Geruch nach Herrenparfüme ganz zu schweigen. Zu einem Anderen Zeitpunkt in einem anderen Leben wäre Eve in diesem Moment knallrot angelaufen. Doch dem war nicht so. Sie sah Alfredo überrascht an und ließ den Löffel baumeln. „Verdammt! Das hab‘ ich völlig vergessen.“, log sie und kratzte den letzten Rest vom Tellerchen.

„Du magst ihn, nicht wahr?“ Es war beinahe unmöglich Alfredo Nucci zu Täuschen. Diese Eugenschaft schätzte sie sehr bei ihm, verfluchte sie aber auch in manchen Situationen. Diese war eine davon. „Wir arbeiten zusammen, was soll der Mist?“ Ihr gegenüber kniff die Augen zusammen und schwieg eine Weile. Schließlich schenkte er Wein nach. „Perdono, cara mia. Ich war zu voreilig; genug davon.“ Er hob das Glas. „Auf einen schönen Abend.“ Er lächelte als sich Eves Gesichtszüge entspannten und sie mit ihm anstieß. Schließlich bestand er darauf, abzuräumen und die Küche aufzuklaren, während Eve sich nach oben zurückzog.

 

Bereits Bettfertig sah sie noch ein paar Papiere durch, die für das morgige Briefing relevant sein sollten. Schließlich hörte sie gedämpft die Wohnungstür. Als sie nachsah, war Alfredo verschwunden. Wie eine gute Fee, die ihr zur Freude ein schönes Abendessen mit Gesellschaft gezaubert hatte. Sie seufzte und schloss die Tür am Treppenabsatz. Die Papiere packte sie im Büro zurück in ihre Aktentasche. Über der Stuhllehne hing Loki’s Sakko. Innerlich fragte sie sich, warum sie es immer noch hatte. Sie hob es hoch, fuhr mit dem Daumen über den feinen Stoff. Fast zwei Monate war es her. Er hatte es nicht zurückverlangt. Sie drückte das Kleidungsstück an sich und roch verträumt am Kragen. Plötzlich war es wieder da. Dasselbe Gefühl, das sie in der Silvesternacht hatte. Wärme. Nähe. Gedankenverloren berührte sie die Stelle am Wangenknochen kurz unter der Schläfe und schloss die Augen.

Als sie sie wieder öffnete, empfand sie etwas, das sie nicht recht zu deuten wusste. War es Selbstironie, Belustigung oder Bitterkeit; sie wusste es nicht. Es tat weh. Achtlos flog das teure Sakko zurück auf den Stuhl. Noch lange lag sie wach und starrte an die Wand. Alfredo hatte Recht gehabt; mehr gewusst - erkannt- als sie selbst. Sie mochte Loki. Sehr sogar. Aber es fühlte sich falsch an. I don’t fuck my own business, dachte sie. Aber das war es nicht, was ihr das drückende Gefühl in der Brust versetzte. Es war etwas anderes, das sie lange vergraben hatte irgendwo weit, weit fort, wo es bleiben und nicht wiederkommen sollte. Doch das tat es.

 

Am nächsten Morgen fühlte sie sich wie gerädert und versuchte vergeblich, die dunklen Ringe unter den Augen abzudecken. Das Ergebnis war horrorfilmtauglich. Im Büro angekommen klebte ein kleiner Zettel an der Teekanne auf ihrem Schreibtisch; Luke’s Handschrift.

Guten Morgen!

Musste dringend weg.

Keine Ahnung, wann ich wieder da bin.

Der Plan liegt bei Dir im Fach.

 

Grüße

Loki

Eve zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Dringend weg, soso. Egal, die Arbeit für heute lag bereits säuberlich sortiert auf ihrem Schreibtisch und frisch gebrühter Tee stand auf dem Tisch.

 

Der Tag ging zur Neige ohne besondere Vorkommnisse. Der Stark-Liner war bis zur Fertigstellung der Vorführmodelle ein Selbstläufer und bedurfte nur noch ab und an einen Schubser in die richtige Richtung. Das Telefon klingelte.

„Chief Engineering, Stark-Industries?“

„Ciao, Eve!“

„Alfredo! Was gibt’s?“

„Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich Dich um 19:00Uhr abhole.“

Ich kann wirklich nicht, ich sehe aus, wie Scheiße. –wollte sie sagen. Doch dann seufzte sie resigniert. „Was muss ich mitnehmen?“

„Deine Einladungen und das Lächeln von gestern Abend.“

„Schleimer.“

„Ich liebe Dich auch!“, trällerte er und legte auf.

Eve schnaubte amüsiert. Diesem alten Vollidioten konnte sie einfach nicht böse sein. Wo Luke wohl abgeblieben war? Den ganzen Tag nicht eine Nachricht, das war nicht seine Art. Andererseits war es gut, dass er nicht nur für den Job lebte und endlich einmal unter Leute kam. Soll er ruhig unterwegs sein, dachte sie.

 

Das, was die Rückbank des Maserati in dem Alfredo sie abgeholt hatte darstellte, hatten viele Menschen nicht einmal im Wohnzimmer als Couch stehen. Cremefarbenes Echtleder mit weißen Ziernähten und mit dem Maserati-Dreizack bestickten Kopfstützen. Die Fahrgäste der Limousine trennte eine getönte Scheibe von den Frontsitzen und dem Fahrer. In der Mittelkonsole zwischen den Rücksitzen befand sich eine Halterung für Champagner und die passenden Gläser. Nobel geht die Welt zu Grunde. Eve stürzte das dritte Glas des Schaumweins hinunter. Alfredo nahm es ihr sanft ab und verschränkte seine Finger mit ihren. „Du bist nervös, Cara mia.“

Es war eine vergleichsweise weite Strecke zum Veranstaltungsort: Ein Landgut außerhalb der Stadt. Von der Straße aus konnte man bereits die Lichter hinter der niedrigen Hecke erkennen.

„Können wir nicht wieder nach Hause fahren?“

„Ganz ruhig. Du wirst dich amüsieren.“ Ein liebevoller Kuss auf den Handrücken. Der Wagen bog in die bekieste Einfahrt ein.

Eve wand sich vom Fenster ab und sah ihm direkt in die Stechend grauen Augen. Man musste kein geübter Beobachter sein, um zu erkennen, dass sie sich unwohl fühlte. Das Fahrzeug hielt vor dem überdachten hell erleuchteten Eingang. „Was macht Dich so sicher?“

Alfredo lächelte. „Vertrau mir.“ Die Wagentür wurde geöffnet. Eve ergriff die weiß behandschuhte Hand, die ihr dargereicht wurde, um ihr aus dem Wagen zu helfen. Lange schlanke Finger schlossen sich um ihren Handrücken. Als sie aufsah blieb für einen Herzschlag die Zeit stehen bis sie realisiert hatte, wer plötzlich vor ihr stand und ihr aus dem Wagen geholfen hatte.

„Guten Abend, Eve.“ Loki lächelte und verbeugte sich leicht, bevor er ihre Hand -die er immer noch hielt- diskret küsste. Was zur Hölle machst du hier, wollte sie ihn fragen, verwarf diesen Impuls aber sofort angesichts der aufkommenden Freude. „Guten Abend.“, sagte sie schließlich. Über dem Mantel trug er klassisch einen weißen Schal der zum Zweck der Zierde neben dem Revers herabhing. Das rabenschwarze Haar sauber zurückgestrichen. Diese Frisur brachte seine Wangenknochen und Kinnlinie unglaublich gut zur Geltung. „Ich habe ihm meine Eintrittskarte gegeben in der Hoffnung, dass du mir deine zweite gibst?“ Alfredo Zwinkerte. Nun wusste Eve auch, wo Loki gestern den ganzen Tag abgeblieben war. Der Italiener hatte ihren Assistenten gekidnappt, eingekleidet und vermutlich mit Etikette terrorisiert. Fast hätte es ihr leidgetan. „Los gehen wir, bevor wir hier draußen festfrieren.“ Signore Nucci schob die beiden hinein.

An der Garderobe herrschte reger Andrang, da sich dort nur zwei Damen befanden, um die Kleidungsstücke anzunehmen. Als Loki sich umdrehte, um Eve den Umhang abzunehmen, waren weder sie noch Alfredo mehr zu sehen. Also gab er seinen Mantel ab und machte sich auf die Suche. Weit konnten sie ja nicht gekommen sein.

 

„Hab‘ ich’s dir nicht gesagt?“ fragte Alfredo amüsiert, worauf Eve ihm spielerisch eins mit dem Ellenbogen in die Seite versetzte. Er hatte sie eben unauffällig bei Seite genommen. Und seinen Mantel mit ihrem Umhang abgegeben. Er legte einen Arm um ihre Taille und führte sie ins Foyer wo eine breite Marmortreppe mit dunkelrotem Teppich nach oben auf eine Galerie führte.  „Tu mir den Gefallen und genieß‘ den Abend einfach, ja?“ Eve seufzte resigniert und musste lächeln. „Fein.“

 

Loki hatte Alfredos silbernen Haarschopf in der Menge ausmachen können und war ihm gefolgt. Vor der gewaltigen Treppe lichtete sich die Masse aus Smokings und Abendkleidern ein wenig. Rechts neben dem Treppenabsatz stand Alfredo Nucci; eine eindrucksvolle Gestalt, so elegant im Smoking mit dem individuellen marineblauen Kummerbund nebst passender Seidenflige. Sogar der zierstreifen seitlich an der Hose schimmerte in der gleichen markanten Farbe. Er lächelte, erzählte und gestikulierte auf typisch italienische weise im Gespräch mit einer eleganten jungen Frau. Sie trug ein schlichtes schwarzes Abendkleid, das den Blich auf die Schultern frei ließ. Das dunkle lockige Haar war locker am Hinterkopf zusammengesteckt und einzelne Strähnen wanden sich aus dem Knoten. In der Hand hielt sie eine kleine Tasche gerade so groß, wie ein Briefumschlag. Sie trug keinen Schmuck. Bei einer Charity schmückte man sich nicht übermäßig, das wusste er. Aber gar kein Schmuck war beinahe auffallend. Auf einmal machte etwas klick und er schämte sich fast. Dort bei Alfredo stand Eve. Und sie trug doch etwas. An ihren Ohren funkelten kleine grüne Steine in Gold gefasst.

Plötzlich wand sie sich um. Zunächst schweifte ihr Blick ziellos durch den Raum; als sie ihn in der Menge ausmachte Erkennen dann lächelte sie, freute sich, ihn zu sehen.

 

Der Smoking, den Loki trug, war elegant geschnitten und ließ sogar noch etwas vom seidig schwarz schimmernden Kummerbund sehen. Seitlich an der Hose schimmerte der klassisch schwarze Zierstreifen und die polierten Lackschuhe zogen den Blick auf sich. Er sah zum Anbeißen aus.

„Es geht bald los, wir sollten nach oben gehen.“, schlug Alfredo vor, als Loki zu ihnen aufgeschlossen hatte und machte eine einladende Geste. Loki bot Eve wortlos seinen Arm an. Sie zögerte, hakte sich schließlich bei ihm unter, als sie die Treppen hinauf stiegen. Oben  an den Säulen neben dem Treppenabsatz standen Kellner mit Tabletts voller Champagnerflöten. Alfredo reichte zunächst dem Paar, bediente sich dann selbst. Die Galerie ließ hinunter in einen Ballsaal blicken. Seitlich gab es Logen, die –mit Cafétischen und –stühlen bestückt- zum Sitzen einluden. Einige der Gäste hatten bereits Platz genommen. An der Rückwand des Saales war eine große Leinwand angebracht worden, auf die der Titel der Veranstaltung und der Name des Gastgebers geworfen wurde; davor auf einem Podest ein Rednerpult. Manche Gäste verblieben auf der Galerie an einem der Stehtische. So auch Loki, Eve und Alfredo. Es wurde ruhiger im Saal. Der Redner, eine Frau mittleren Alters in einem dunkelblauen Hosenanzug trat hinter der Leinwand hervor und bekam höflichen Applaus seitens der Gäste. Während sie ihre Unterlagen hinter dem Pult sortierte und das Mikrophon auf die passende Höhe einstellte, trat Stille ein, die nur von gelegentlichem Stühlerücken, Husten und dem rascheln von Kleidung unterbrochen wurde. Plötzlich hatte sie ein Deja Vu. Loki hatte sie an der Schulter etwas näher zu sich gezogen. Sie spürte seine Nähe, nahm seinen Geruch wahr. Es war alles wie an Silvester, nur die Berührung blieb aus. „Ich hatte schon Angst, sie würden dir nicht gefallen“, flüsterte er. Bis Eve in der Situation begriff, dass er die Ohrstecker meinte und etwas erwidern wollte, begann die Dame in Blau mit ihrer Begrüßungsrede.

„Guten Abend Ladies und Gentlemen.“, begrüßte sie die Gäste und bedankte sich zunächst für das zahlreiche Erscheinen, bevor sie den Anlass der Spendengala zu erläutern begann. Die Gäste lauschten mehr oder minder Aufmerksam und nippten an den Champagnerflöten. Eve hatte bis jetzt nichts von dem edlen Getränk zu sich genommen. Loki beobachtete sie mit einiger Verwunderung. Seine sonst so stoische Eve wirkte angespannt und lies den Blick immer wieder im Raum hin und her schweifen, wie ein gefangenes Tier, das nach einem Loch im Käfig suchte, dabei aber nicht auffallen wollte. Lag es an ihm? Er fragte sich kurz, ob er sie in Verlegenheit gebracht haben könnte, verwarf aber diese Vermutung sofort. So zart besaitet war sie nicht und wäre er ihr zu nahe gekommen, hätte sie ihn selbiges spüren lassen-klar und deutlich. Es musste etwas anderes sein. Eve mied grundsätzlich große Menschenansammlungen und begab sich nie ohne Vorbereitung in ein unbekanntes Gelände. Wie auch immer sich dieses Gelände zeigen sollte. Es gab so viele Eigenarten an dieser Frau die er nicht verstand –noch nicht. Es lag in seiner Absicht jede einzelne zu ergründen.

Eves Rückgrat fühlte sich an, wie eine gespannte Stahlfeder und Lokis nähe machte es nicht besser, da sich nun auch noch ein undefinierbares Kribbeln zwischen ihre Schulterblätter gesetzt hatte.

Als Loki plötzlich ihre Hand nahm und mit dem Daumen beruhigend über den Handrücken streichelte, stellten sich ihre Nackenhärchen auf. Sie hatte Angst, seinem Blick, den sie von der Seite Spürte, zu begegnen. Also sah sie stur hinunter auf die Bilder, die nacheinander hinter der Rednerin an die Leinwand geworfen wurden, drückte aber kurz seine Hand als Zeichen des stummen Dankes.

Alfredo hielt sich an diesem Abend sehr zurück. Der alte Kuppler, dachte sie. Aber Sie war ihm nicht böse.

…und wünsche ihnen allen einen angenehmen Abend.“ Begleitet von dem Anstand gebietenden Applaus, räumte sie das Feld, worauf eine kleine Kapelle bestehend aus erster und Zweiter Geige, Konzertflügel, Kontrabass und Saxophon das Podest einnahm und sich mit umfangreichem Equipment auf einen langen Abend einstellten. Das Rednerpult wurde von zwei Kellnern entfernt. Sofort begann wieder das allgemeine Gemurmel und das helle Klirren von Glas das kurz darauf von ruhiger Musik untermalt wurde. Alfredo beugte sich zu Eve und hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel, bevor er ihr etwas ins Ohr flüsterte. „Es ist soweit, Cara mia.“

Während Loki sich noch wunderte, wie Eve Harrington und Alfredo Nucci wirklich zueinander standen, dass er so unverblümt Zärtlichkeiten mit ihr austauschen konnte, stürzte Eve den Inhalt der Champagnerflöte hinunter und verließ den Tisch. „Entschuldigt mich.“

Ihr Ziel war offensichtlich ein nicht besonders großer dicklicher Mann mit ansetzendem Haarausfall und schmaler Brille auf der Nase. Er war wohl der Einzige, der sich nicht an den obligatorischen Dresscode gehalten hatte. Er trug ein Blütenweißes Hemd dazu eine Kombination aus Marineblauem Jackett und bordeauxroter Stoffhose elegant mit einem seidenen Einstecktuch in selbigen Farben veredelt. „Der Gastgeber.“, erklärte Signore Nucci, als er den Fragenden Blick bemerkte. „Und einer der äußerst generösen Firmensponsoren“, fügte er außerdem hinzu. Loki nippte an seinem Champagner und beobachtete aufmerksam. Für einen außenstehenden hätte Eve wohl wie die Gelassenheit selbst gewirkt. Als der Herr unter einem lebhaften Gespräch mit einem Seitenblick Eve bemerkte, hellte sich seine Miene augenblicklich auf. Er unterbrach das Gespräch und breitete lachend die Arme aus. „Miss Harrington!“; rief er. „Wie schön sie endlich wieder zu sehen!“ Küsschen links, Küsschen rechts. Eve lächelte strahlend. Er war unsicher, ob sie sich nicht tatsächlich freute, den Herren zu sehen. „Wir haben viel zu besprechen, junge Dame.“, tadelte er scherzhaft und geleitete sie galant über die Galerie die Treppe hinunter, während sie sich angeregt unterhielten.

Loki seufzte und sah in die leere Champagnerflöte, die er in der Hand hielt. Er wusste einfach nicht, was er falsch machte oder –besser formuliert- was er nicht richtig machte. Ziellos ließ er den Blick schweifen und bemerkte eine Frau, Oder viel mehr was von ihr übrig war nach zahllosen SchönheitsOPs unter einer Spachtelschicht Makeup. Genannte Dame erwiederte seinen Blick tirekt, schien aber nicht die Abfälligkeit in seinem zu bemerken. Ihr Kleid war etwas zu eng und schimmerte in dunklem Violett. Des weiteren trug sie für diesen Anlass eindeutig zu viel Schmuck. Wie konnte man nur so würdelos dem Alter begegnen.  Er wandte sich ab, sah zu Alfredo, der ihn durchdringend ansah. „Herzlichen Glückwunsch, Luke“, sagte er trocken. „Die reichste Frau im Saal hat ein auge auf Dich geworfen.“ Loki sah ihn erschrocken an. „Ich? Sie hat wohl viel mehr dich auserkoren.“ Alfredo Lächelte kopfschüttelnd. „Ich falle schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in ihr Beuteschema.“ Loki schluckte. „Und woher weißt du das?“ Sein Gegenüber seufzte Resigniert. „Du bist ja schlimmer als Eve, was die Kenntnis über die sogenannte High Society betrifft.“ Er Nippte an dem Champagner. „Das ist Donnatella Squiláchè. Verflucht reiche Witwe einer Hotelgröße. Glücklicherweise hat sie sich in den Kopf gesetzt, ihre Tochter in die Gesellschaft einzuführen. Eventuell bremst das ihre…nun ja.“ Er leerte das Glas unter einem vielsagenden Blick und nahm von einem vorbeilaufenden Kellner mit Tablett zwei weitere Gläser. „Das wirst du brauchen.“ Als Loki unauffällig in eine undefinierte Richtung sah, um das Konstrukt aus dem Augenwinkel beobachten zu können, musste er feststellen, dass Signora Squiláchè sich auf dem Direkten Weg zu ihrem Tisch befand. „Buona Sera, Signore Nucci!“, begrüßte sie ihn ausschweifend und streckte aufdringlich die Hand nach vorne. Alfredo verzog keine Miene, deutete den Handkuss jedoch nur an. „Donnatella, darf ich vorstellen, Luke Saulsbury; Cheef Engeneering department Stark Industries.“ Loki nickte höflich. „Es ist mir eine Freude, sie kennenzulernen, Mister Saulsbury.“, flötete sie und erwartete auch von ihm die entsprechende Begrüßung, was Loki entschieden widerstrebte. Mit einiger Belustigung beobachtete Alfredo den Gesichtsausdruck auf dem botoxgeschwollenen Gesicht, als Luke stumpf ihre Hand ergriff und kurz schüttelte. „Die Freude liegt ganz meinerseits“, log er mit einem zauberhaften Lächeln. Sie verzieh ihm die Unhöflichkeit augenblicklich und schob aus dem Nichts ein Junges Mädchen an den Tisch. „Darf ich bekannt machen, die Herren? Meine Tochter Mariella.“ Mariella Squiláchè entsprach dem Ideal einer Landschönheit. Das rabenschwarze Haar zu einer Mädchenhaften Frisur geflochten und rehbraunen Augen unter langen schwarzen Wimpern und einer Stupsnase. Sie trug ein leichtes Trägerkleid in Apricot Er schätzte sie auf in etwa siebzehn, vielleicht achtzehn. „Buona Sera“, sagte sie schüchtern, worauf sie sich ungeschickt verbesserte: „Guten Abend.“ Alfredo entschloss sich, dem Mädchen -offensichtlich vom Verhalten der Mutter peinlich berührt- den Abend etwas zu erleichtern indem er sich galant verbeugte und sie mit einem echten Handkuss versah. „Buona Sera, Signorina.“ In der Hoffnung, Eve irgendwo zu finden sah er über die Marmorbrüstung hinunter, konnte aber nirgends weder Eve noch den Gastgeber der Gala ausmachen. Die Kapelle hatte inzwischen begonnen, tanzbare Musikstücke zu spielen. Allerdings natürlich nur aus dem Standard-Repertoire allerdings ließen sich bis jetzt nur wenige Paare zu dem vergnügen hinreißen und nutzten das freie Parkett vor dem Podest als Tanzfläche.

„Wollen wir hinunter gehen?“ Alfredo dirigierte die Gesellschaft über die Länge der Galerie hinunter in den Saal, wo sie sich an eines der Tischchen setzten. Die Konversation war unglaublich öde. Dennoch hatte Alfredo Luke beiläufig daran erinnert, dass er hier eine repräsentative Aufgabe innehatte. Repräsentativ für Stark-Industries und repräsentativ für Eve. Ein Affront zu solch einem Anlass wäre tödlich für das Image einer Firma. Des weiteren fand sich Presse unter den Gästen und eine Handvoll Photographen. Für eben jene posierte Donnatella Squiláchè ununterbrochen, obwohl die Kameras sich nicht im Geringsten für sie interessierten.

Die Zeit verging, der Champagner floss in Strömen, die Stimmung wurde ausgelassener, Gespräche und Musik lauter und immer noch keine Spur von Eve.

Er musste hier weg. Er verstand voll und ganz warum Eve solche Veranstaltungen hasste: er verstand allerdings auch, warum sie nötig waren: Show und Prestige schwimmend wie Oliven in einem Martiniglas gefüllt mit bittersüßer Dekadenz. Das hohle Gerede von signora Donnatella und ebenfalls ihre Flirtversuche demonstrativ ignorierend bemerkte er, dass Mariella sich bereits im Endkampf mit der Müdigkeit befand. Es ärgerte ihn, wie diese Frau ihre Tochter als Vorwand benutzte um mit Herrschaften ins Gespräch zu kommen, die sie sonst nie eines Blickes gewürdigt hätten. Schroffer als erwartet erinnerte Loki sein überschminktes Gegenüber an ihre mütterlichen Pflichten, und dass es doch wohl besser sei, dem Mädchen nach diesem anstrengenden Abend etwas Ruhe zu vergönnen.

Donnatella schnaubte empört. Zu seiner Verwunderung bestätigte Alfredo seine Aussage; höflich und beschwichtigend. Die Signora verabschiedete sich und zog das Mädchen hinter sich her, verschwand in der Menge.

„Endlich ist sie weg.“ Loki stützte die Ellenbogen auf der Tischplatte auf und rieb sich die Stirn. „Einen Moment länger, und ich hätte ihr den Hals umgedreht.“ Plötzlich lachte Alfredo; laut und herzlich.

„Was ist?“

Der Italiener lächelte nur wieder sein undurchschaubares, wissendes Lächeln und Loki wusste, dass er keine Antwort bekommen würde. „Wo steckt Eve?“, fragte er dann.

Alfredo sah sich um, machte eine Raumumspannende Geste. „Sagen sie es mir, Signore Saulbury. Ich freue mich auf ihre Deduktion.“

Einer der Kellner brachte auf einen Wink hin zwei weitere Gläser Champagner und nahm die leeren glasflöten wieder mit sich. Loki trank, musterte die Menge einen Augenblick und deduzierte.

Alfredo hatte ihm zu jedem Gesicht einen Namen und den Hintergrund der Personen nennen können. Im Moment befanden sich nur noch etwa dreiviertel der Gäste im Saal und auf der Galerie. Diese drei viertel bestanden aus einem Anteil an C-Prominenz und Würdenträgern, der Rest waren Personen, die Alfredo nicht weiter gewürdigt hatte. Die Interessanten Personen: einige wenige Politiker, Industriegrößen, und hohe Adelsvertreter waren schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu sehen. „Ein innerer Kreis.“, stellte er trocken fest. Die Spendengala war nur eine hervorragende Tarnung für ein Treffen in einem bestimmten Kreis; und Eve gehörte zu ihnen.

Alfredo nickte, lächelte wieder, hob sein Glas und trank.

Jemand klatschte in die Hände und bat um Ruhe. Die Menge beruhigte sich, die Musik verklang. Als Loki und Alfredo aufstanden, sahen sie den Gastgeber –der nach wie vor seinem eigenen Dresscode nicht folgte- in der Mitte des Saales stehen mit einem Champagnerglas in der Hand. „Ladies und Gentlemen“, begann er fröhlich und mit lauter Stimme, „Nun ist es an der Zeit, zu tun, warum wir hier sind. Die Checks dürfen dort vorn“, er wies die Richtung, „abgegeben werden. In der Hoffnung, eine große Summe für die humanitäre Hilfe zu sammeln, wünsche ich uns allen einen wundervollen Abend. Cheers!“ Die Menge Antwortete und hob ebenfalls die Gläser. Damit war der offizielle Teil des Abends beendet. Das Licht wurde gedimmt und das Orchester spielte nun nicht mehr nur wenige Lieder und leise Hintergrundmusik. Es sollte getanzt werden.

Loki ließ den Blick schweifen und fand mit Hilfe seiner Körpergröße beinahe sofort sein Ziel. Etwas Abseits stand Eve mit einem Stattlichen alten Herrn, den Alfredo als Senator vorgestellt hatte, im Gespräch. Er machte sich auf den Weg quer durch den Saal, stellte sein halbvolles Glas auf das Tablett eines vorbeilaufenden Kellners und straffte sich, kontrollierte unauffällig seinen Anzug und Strich vorsichtshalber noch einmal das Haar zurück. In respektvollem Abstand blieb er stehen und wartete, überlegte. Der Senator hatte ihn bereits bemerkt und gab ein unauffälliges Signal, dass er sich nähern durfte.

Eve drehte sich überrascht um. Loki stand direkt neben ihr, bot ihr seine Hand mit einem sanften Lächeln. „Tanz mit mir.“

„Was?“ Eve schenkte ihm einem ungläubigen Blick, zeigte aber keinerlei Widerstand als Loki einfach ihre Hand nahm und sie auf die Tanzfläche führte.

Der Senator sah den beiden schwermütig nach und dachte daran, wie es wohl wäre, noch einmal jung zu sein.

Auf dem Parkett angekommen, legte Eve ihm die linke Hand auf die Rechte Schulter. Sie spürte seine Rechte sanft aber schwer auf  ihrem Rücken. Sie spürte wieder dieses Kribbeln. Nur mühsam widerstand sie dem Drang, sich an ihn zu lehnen, den Kopf auf seine Brust zu legen. Schließlich sah sie zu ihm auf. In seinem Blick lag etwas, dass sie eigentlich hätte glücklich machen sollen. Stattdessen versetzte es ihr einen Stich; mitten in die Brust. „Was tun wir hier, Loki?“

„Ist das denn wichtig?“ Seine Stimme war beinahe ein Flüstern. Ein dunkles melodisches Flüstern, das ihre Nackenhäärchen in Hab-Acht-Stellung versetzte. Auf einmal ging alles ganz schnell. Die Musik setzte ein, und der Raum begann sich zu drehen. Sie begannen sich zu drehen. „Denk nicht dran, wegzuschauen.“ Flüsterte er wieder und lachte leise, als er Eve in eine Drehung führte. Als er sie wieder auffing, sah er dasselbe lächeln, das er vorhin zum ersten Mal zu sehen geglaubt hatte.  Sie wusste nicht wie, aber er schaffte es, sie unfallfrei mit einer kreiselnden Bewegung durch den Saal zu manövrieren. Als sie sich im Nachhinein den Abend in Erinnerung rief, konnte sie immer noch nicht glauben, walzertanzend durch den Ballsaal geschwebt zu sein. Die Melodie endete mit einem fröhlichen Akkord. Applaus.

Verwundert sah Eve sich um. Während sie ihre Umgebung völlig ausgeblendet hatte, hatte sich ein Kreis um das Tanzpaar herum gebildet. Lokis und Eves Blicke trafen sich, beide gleich verdutzt, worauf sie ausgelassen lachten. Unbewusst lehnte sie sich an ihn, er legte einen Arm um sie. Ein Blitz.

Einer der Photographen hatte sie erwischt, besah sich das Bild auf dem Display der teuren Kamera, lächelte und verschwand auf der Suche nach neuen Motiven.

Alfredo Nucci lächelte zufrieden. Sein Plan war aufgegangen. Es war lange her, dass er Eve glücklich gesehen hatte. Über diesen Luke Saulsbury hatte er in den letzten Tagen sehr intensive Nachforschungen angestellt, leider nur mit bislang mäßigem Erfolg. Eves Informationen über ihn waren ebenfalls nicht besonders Umfangreich. Dennoch hatte er Eves Vertrauen –nach Vibranium vermutlich das seltenste Gut auf dieser Welt.

Die ersten Morgenstunden neigten sich bereits dem Ende entgegen, als Luke Saulsbury, Eve Harrington und Alfredo Nucci di Milano die Veranstaltung verließen.

Loki legte Ihr wie selbstverständlich den Umhang um die Schultern, kam ihr dabei gefährlich nahe, richtete unaufgefordert den pelzbesetzten Kragen. Für einen kurzen Augenblick spürte sie die Berührung seiner kühlen Finger am Hals.

Draußen empfing sie die beißende Kälte einer Februarnacht. Hinter dem Rondell fuhr langsam der Maserati vor, der Alfredo und Eve zur Veranstaltung gebracht hatte. Die beiden Herren verabschiedeten sich mit einem freundlichen Handschlag voneinander. Eve hätte schwören können, dass Alfredo ihm kurz zuzwinkerte. Der alte Kuppler, dachte sie und musste innerlich lächeln. Dann wand sich Loki zu ihr und nahm sie in den Arm, hauchte einen Kuss auf ihre Wange; dieselbe Stelle. Als er sich einen Augenblick später von ihr lösen wollte, verharrte Eve in der Umarmung und nutzte die Gelegenheit. „Danke für den schönen Abend“, flüsterte sie und platzierte aufgrund des Größenunterschiedes nur einen flüchtigen Kuss auf seiner Wange. Als sie sich löste, lächelte er.

„Miss Harrington?“ Alfredo hielt die hintere Wagentür für sie auf und deutete eine Verbeugung an.

„Wie kommst du nach Hause?“, fragte Eve unvermittelt an Loki gewandt. „Ich bin mit dem Auto da.“ Er nickte in die Richtung des Parkplatzes; immer noch lächelnd.

„Der Mazda?“ Ihr Gesicht nahm erst einen skeptischen, dann einen besorgten Ausdruck an. Loki nickte. „Fahr‘ bitte vorsichtig, ja?“ Dass er bei Eis und Schnee in der Nacht mit einem Roadster unterwegs war, behagte ihr nicht. Sein Lächeln wurde breiter. „Keine Sorge.“ Er hob ihre Hand zum Kuss. „Bis morgen?“

„Bis morgen“, bestätigte Eve und stieg in die Maserati-Limousine. Loki sah den kantigen Rücklichtern noch lange nach, ehe er sich auf den Weg zum Parkplatz machte.

Als er in den Rückspiegel seines MX-5 sah, bemerkte er, dass er immer noch lächelte, berührte kurz die Stelle an seiner Wange. Eve hatte sich auf die Zehenspitzen stellen müssen, um ihn auf die Wange zu küssen. Die Geste hatte ihn unvorbereitet getroffen und irgendetwas kribbelte seit dem schrecklich in seiner Magengegend. Wie gerne hätte er sie nach Hause gebracht, wie es sich seiner Meinung nach gehörte, aber mit einer beheizten Oberklasselimousine mit Ledersitzen konnte sein einfacher Roadster einfach nicht mithalten. Er warf den Mantel, der immer noch auf seinem Schoß lag, auf den Beifahrersitz und startete den Motor.

Auf der endlos erscheinenden Landstraße blieb ihm gar nichts anderes übrig, als vorsichtig zu fahren. Das Glatteis ließ ihm Regelmäßig das Heck ausbrechen, was zu einem leichten Slalomkurs führte. In der Stadt wäre er problemlos vorangekommen, hier jedoch wäre ein anderes Fahrzeug oder wenigstens Reifen mit ordentlichem Profil hilfreich gewesen. Er hatte weder das eine noch das andere.

Plötzlich ließ ihn der klang einer Sirene Aufschrecken. Das rot-blaue Flackern der Lichtanlage des Streifenwagens hinter ihm erhellte die Straße. Das Polizeifahrzeug überholte ihn und wies ihn an den Straßenrand. Zwei Polizisten stiegen aus. Loki stellte den Motor ab, behielt die Hände ruhig am Lenkrad, dachte an Eves Worte: Keine ruckartigen Bewegungen, keine Widerworte oder physischer Widerstand. Er überlegte, wo sich sein Portemonnaie befand, als einer der Beamten an die Scheibe klopfte. Loki ließ die Fensterscheibe hinunter und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Der Cop griff durch das geöffnete Fenster ins Fahrzeug und öffnete die Tür von innen. Der zweite packte ihn, zerrte ihn aus dem Auto, verdrehte ihm den Arm und warf ihn nach vorn über die Motorhaube des Roadsters. Später erinnerte er sich nicht mehr, ob die Beamten Fragen gestellt hatten, ob er sich gewehrt hatte, oder nicht. Der Faustschlag ins Gesicht traf ihn unvermittelt, genauso wie der Schlagstock auf den Rücken. Ein Faustschlag traf ihn in den Solarplexus .Loki stöhnte, krümmte sich und versuchte halt am Fahrzeug zu finden. Ein Schlagstock traf ihn mitten zwischen die Schultern. Auf einmal wurden ihm die Beine weggerissen und noch bevor er sich aufstützen konnte, kassierte er den ersten Tritt in die Magengegend. Harte Schläge und Tritte trafen ihn am ganzen Körper, bis ihn einer der Schlagstöcke endlich am Hinterkopf erwischte und ihn in die Bewusstlosigkeit beförderte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  miss_anni
2016-11-24T21:54:54+00:00 24.11.2016 22:54
Wie kannst du die Geschichte so enden lassen. Das kannst du deinen Lesern doch nicht antun... OoO


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