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Nachts... um halb 3

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Teil I von III

Nachts… um halb 3
 

Teil I von III
 

„Hier bist du!“

Die Stimme klang weder wirklich danach, als hätte ihr Besitzer schon lange nach ihm gesucht noch als wäre er an irgendein Gespräch mit ihm interessiert.

Schweigend setzte er sich neben die angesprochene Person auf die verwitterte Holzbank und legte seine Arme ausgestreckt auf der Lehne ab.

Der Atem zeigte sich deutlich und bewies die doch klirrende Kälte dieses Nachmittags. Es waren eindeutig keine angenehmen Temperaturen. Zumindest nicht, um irgendwo still und nachdenklich in einem Park zu hocken und seinen Gedanken nachzuhängen.

Shikamaru Nara, seines Zeichens Assistenzarzt im zweiten Jahr in der Städtischen Klinik, schielte zu seinem Nebenmann, der um einige Jahre jünger war als er selbst, dennoch aber wohl zu seinen engsten Freunden zählte.

Normalerweise war er es nicht gewöhnt, dass der Blonde neben ihm so still war, ihn gar zu ignorieren schien, aber er wusste auch, was heute für ein Tag war und wollte daher auch keine weiteren Fragen stellen.

Zumindest nicht, warum er hier saß. Nur mit einem dünnen Anorak bekleidet und einer einfachen Jeans.

„Gehst du später hin?“, war nach einer Weile das Erste, was er sich in die Stille zu fragen traute und bemerkte aus dem Blickwinkel ein zaghaftes Nicken.

Es war jedes Mal das Gleiche. Seit sechs Jahren.

Dieser eine Tag im Januar. An diesem Tag war Naruto Uzumaki, der kleine lebhafte Wirbelwind, so wie ihn alle kannten und liebten, einfach nicht er selbst.

Mit einem Seufzen schob er seine Hand in die Brusttasche und fischte etwas mühsam die schon leicht zerknitterte Zigarettenschachtel heraus.

Im Normalfall würde Naruto nun protestieren und an seine Gesundheit appellieren, doch das tat er nicht.

Im Gegenteil. Als er sich seinen Glimmstängel zwischen die von der Winterluft spröden und rissigen Lippen steckte und sie gerade anzünden wollte, bemerkte er die leicht gebräunte Hand, die ihm offen entgegengestreckt wurde.

„Seit wann rauchst du?“, fragte er argwöhnig und ließ seinen Blick von der Hand zu dem Gesicht der Uzumakis hochwandern, doch dieser sah ihn gar nicht an, sondern fixierte mit diesen tiefen, blauen Augen ein augenscheinlich etwas heruntergekommenes Backsteingebäude, welches hinter den Wipfeln der blattlosen Bäume des Parks erkennbar stand.

Als erneut keine Antwort erfolgte entfuhr ihm ein weiteres Seufzen und er hielt ihm einfach die Schachtel hin. Sollte der Blonde doch tun was er wollte. Er war ja schließlich alt genug und die Risiken kannte er unter allen Menschen dieser Erde doch am besten. Schließlich kamen Tag ein Tag Patienten mit Lungenschäden in seine Station und von dort gingen sie dann weiter zu dem Ort, an welchem sich Naruto aufhielt: das Hospiz.

Mit zittrigen Fingern, ob vor Kälte oder vor Nervosität, da er wohl gleich seinen ersten Zug tun würde, nahm sich der Kleinere die Schachtel und begutachtete deren Inhalt eine Weile, ehe er sich wirklich eine heraus nahm.

„Ich war schon auf dem Friedhof!“, begann Naruto nun doch sehr überraschend leise zu erzählen, „Aber er war nicht da!“

„Er ist seit sechs Jahren nicht mehr da, Naruto!“, Shikamaru reichte ihm ein Feuerzeug und beobachtete weiterhin skeptisch das Treiben des Blonden.

„Manchmal sehe ich sie häufiger“, Narutos Stimme klang beschlagen, „Nur ihn… ihn habe ich seit diesem Tag nie mehr gesehen!“

Bildete es sich Shikamaru ein oder hatte er ein leises Schluchzen hören können.

„Du weißt, dass ich deinen Geistergeschichten immer skeptisch gegenüber gestanden habe… aber du hast mich in den letzten Jahren oft vom Gegenteil überzeugen können!“, wie zu erwarten war hustete Naruto nach dem ersten ungewohnten Zug und unterbrach so Shikamarus Rede, die er dann aber mit einem leichten Schmunzeln wieder aufnahm, „Und du hast immer gesagt, dass all deine Geister noch etwas zu erledigen hatten! Vielleicht hat er ja einfach nichts mehr zu erledigen gehabt!“

Dem zweiten und den dritten Zug schaffte Naruto ohne zu Husten, dennoch wusste er, dass dies wohl seine erste und auch letzte Zigarette sein würde.

Erneut legte sich ein Schweigen über sie. Und erneut war es ungewohnterweise der Nara, der es zu unterbrechen versuchte: „Was hast du heute noch vor?“

„Ich werde wie jedes Jahr dort hingehen und eine Kerze anzünden!“, kam relativ schnell zur Antwort und er wies mit dem Kinn in die Richtung des Backsteingebäudes. Shikamaru wusste, dass dies die alte Mittelschule war, auf welche Naruto und Sasuke damals gegangen waren. Noch bevor Naruto sie damals verlassen hatte um an die Oberschule zu gehen, war man mit dem Neubau einige Straßen weiter fertig gewesen und seitdem stand das alte Gebäude leer. Es würde wohl bald abgerissen werden.

Ein neues Einkaufszentrum sollte dort entstehen.

„Wieder um die gleiche Zeit?“

„Wie jedes Jahr!“

Naruto erhob sich und merkte nun doch die Kälte. Seine Knochen waren wie steif gefroren. Der Winter war wirklich nicht seine Jahreszeit.

Und seit sechs Jahren noch weniger. Neben der unliebsamen Kälte und dem Frieren verband er nun auch die Trauer mit diesen Monaten.

Er schnippte die halbe Zigarette in den Schneematsch am Wegesrand und drehte sich halb zum Nara herum: „Ich werde morgen früh nach Okinawa fahren!“

„Okinawa?“, nun war Shikamaru doch überrascht, „Was möchtest du denn da?“

„Auch wenn er hier nichts mehr zu erledigen hatte, ich habe es noch um mit all dem hier irgendwann einmal abschließen zu können!“, und dann stapfte der Blonde, mit den Händen tief in seinen Jackentaschen verborgen los und ließ einen nachdenklichen Freund auf der Parkbank zurück.
 

Eine Stunde hatte das Schnellboot von Naha aus gebraucht und ihn dann zunächst am Hafen von Shimajiri-gun abgesetzt.

Die Temperaturen auf den Inseln der Präfektur Okinawa waren um einiges angenehmer als zu Hause im verschneiten Konohagakure und er hatte irgendwie das Gefühl, gerade aufzutauen.

Dennoch hatte er sich die ganze Reise hier her gefragt, warum er überhaupt hier war. Sicherlich nicht wegen dem Wetter.

Nur einen kleinen Reiserucksack geschultert, mehr brauchte er nicht, spazierte er barfuß am Strand entlang und gelegentlich umspielten die leichten Wellen und das herrlich nach Salz riechende hellblaue Meerwasser sein Füße.

Er war schon einmal hier gewesen.

Vor sieben Jahren. Damals war er in der fünften Klasse der Mittelstufe gewesen und sie hatten einen mehrtägigen Ausflug mit Iruka-sensei und Asuma-sensei hierhin unternommen.

Damals. Genau hier. Unweit von dem Strand entfernt, wo er gerade entlang spazierte, in einem kleinen Zeltlager, hatte er die erste Liebe gespürt.

Und diese hatte ihm genau ein Jahr darauf gestanden, dass es keine einseitige Liebe war.

Dass er ihn auch liebte. Und nun…

„Du dämlicher Bastard!“, sein Schrei hallte über den Strand und die wenigen Menschen, die dort waren, zuckten erschrocken zusammen und starrten ihn missbilligend an.

„Du verdammter Bastard!“, wiederholte er, diesmal wesentlich leiser und sank auf die Knie. Ihm war es gleich, das nun die Wellen an seine Hose brandeten und diese komplett durchnässten.

Dieser Teme sollte also alles erledigt haben und war dann einfach verschwunden! Wieso hatte er nicht wenigstens auf eine Antwort Narutos gewartet? Hatte es ihn nicht interessiert, was er für den Schwarzhaarigen empfunden hatte. Immer noch empfand?

Hatte er nicht die wenigen Minuten länger da bleiben können?

Nein.

Wieso hatte er nicht aufgepasst? Wieso hatte er das Auto mit dem betrunkenen Fahrer nicht kommen sehen? Wieso hatte er auf der Straße gestanden… ach ja… weil er Naruto die Möglichkeit geben wollte, ihm zu beweisen, dass er wirklich Geister sehen konnte…

Und nun? Er hatte es anhand seiner Selbst bewiesen, dass Naruto diese Gabe hatte.

Und er hatte es dadurch geschafft, dass Naruto nun mit weniger Angst durch sein Leben schritt.

Der Blonde hatte sogar gelernt, das Positive darin zu sehen.

Er nahm den Menschen im Hospiz die Angst vor dem Sterben, weil er wusste, dass der Tod an sich nicht das Ende sein konnte. Und das allein war doch ein beruhigender Gedanke.

Dennoch… wieso hatte Sasuke ihn so früh verlassen müssen.

Als er damals am nächsten Tag die Schule betreten hatte, war Kakashi da gewesen. Und auch wenn er sich irgendwo gefreut hatte, seinen Karate-sensei zu sehen, wusste er, dass dies nicht normal war. Und sein Verdacht war von Anfang an richtig gewesen.

Hiruzen Sarutobi, der damalige Direktor seiner alten Schule, hatte Kakashi in Kenntnis gesetzt und der Grauhaarige war sofort von Suna nach Konoha gekommen.

Es war Kakashi, der Naruto sanft an der Schulter hielt und ihn in ein leeres Klassenzimmer führte.

Es war Kakashi, der ihm durch die Haare strich und ein Lächeln versuchte, welches durch die eindeutig traurigen Augen nicht gelingen wollte.

Und es waren Kakashis Worte, die ihm den Boden unter den Füssen weggerissen hatten.

„Naruto… Sasuke hatte vor wenigen Stunden einen Unfall. Er hat es leider nicht mehr geschafft…“

Er hatte geschrien. Er hatte um sich geschlagen. Er hatte geweint. So intensiv geweint, dass Sarutobi den Notarzt rief.

Er hatte auf der Transportliege im Krankenhaus gesessen und sich das Bild angesehen. Denn kaum das er nach ihrem Treffen zu Hause gewesen war, hatte er die Batterien dieser Kamera ausgewechselt und er hatte Sasuke doch den Schnappschuss zeigen wollen.

Hätte er da gewusst, dass er den Schwarzhaarigen dort zum letzten Male sehen würde…

Wieso…

Wieso???

Sasukes Beerdigung folgte zwei Tage später und war an ihm vorbeigezogen… gefangen im Schock und der Trauer über den Verlust.

Acht Wochen lang hatte Naruto nicht mehr zur Schule gehen können.

Er hatte sich in seinem Zimmer zurückgezogen.

Weinte viel. Verweigerte fast jede Mahlzeit und seine Eltern standen wirklich kurz davor, ihn stationär behandeln zu lassen.

Doch dann kam Itachi.

Auch er hatte nicht viel besser ausgesehen. Naruto hatte gewusst, wie sehr der ältere Uchiha an seinem kleinen Bruder gehangen hatte… und so trauerten sie gemeinsam. Besuchten gemeinsam das Grab und sahen sich Bilder von Sasuke an. Erzählten sich Geschichten und beschlossen ebenso gemeinsam, dass Sasuke in ihrer beider Herzen auf ewig weiterleben würde.

Itachi jedoch war vor zwei Jahren mit Frau und Kind nach Tokio gezogen, um sich dort um die Familiengeschäfte zu kümmern. Und Naruto war in Konoha geblieben. Und er würde Konoha auch nie verlassen. Schließlich musste ja jemand bei Sasuke bleiben, auch wenn dies nur ein kalter grauer Stein war mit dem eingravierten Namen des Schwarzhaarigen auf einem trostlosen Friedhof.

Und nun saß er hier am Strand und weinte hemmungslos bei all den Bildern, die ihm durch den Kopf gingen und ihm die Erlebnisse zeigten, die er hier…mit Sasuke… gehabt hatte.

Damals waren sie noch nicht einmal wirklich Freunde gewesen. Mehr Rivalen.

Zwei Jungs zu Beginn der Pubertät, die sich gegenseitig beweisen wollten, wer der Bessere war.

Zweifelsohne hatte Sasuke die meisten ihrer kleinen Wettkämpfe gewonnen.

Damals hatte ihn das in schiere Verzweiflung und Wut auf den Uchiha getrieben… nun würde er alles tun, um diese Zeit nochmals erleben zu dürfen und die Fehler, die er damals begangen hatte, wieder gut zu machen.

Er wollte Sasuke nur noch in den Arm nehmen und nie wieder los lassen! Ihm nie wieder die Möglichkeit geben, ihn zu verlassen!

„Brauchen Sie Hilfe?“, eine Hand legte sich auf seine unter den Weinkrämpfen zittrigen Schulter und erschrocken sah Naruto auf.

Eine kleine, sehr alte Dame lächelte ihn freundlich an und schien sich gar nicht durch seine verquollenen Augen oder dem geräuschvollen Hochziehen der Nase irritieren zu lassen.

„Er… er fehlt mir so!“, stammelte er stattdessen und war sich selbst in diesem Augenblick nicht bewusst, dass die freundliche Seniorin ja gar nicht wissen konnte, wovon er da sprach.

Doch trotz dieser verwirrenden Aussage blieb dieses sanfte Lächeln auf dem durch die Falten sehr furchigen Gesicht der Dame und ihre Hand schien noch ein wenig fester und damit aufmunternder zu zu drücken: „Ja, manche verlassen uns viel zu früh! Gerade die, die uns am Meisten am Herzen liegen!“

Naruto zog geräuschvoll die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn dieses nicht wirklich von Erfolg gekrönt war. Schließlich liefen sie dennoch unnachlässig weiter.

Die alte Frau erhob sich ein wenig aus ihrer gebückten Haltung und löste somit ihre Hand von seiner Schulter.

Naruto konnte im Licht der untergehenden Sonne die genaue Augenfarbe der Frau nicht genau definieren, aber die Augen selbst wirkten, als haben sie schon alles im Leben und darüber hinaus gesehen, als er ihrem Blick zum tiefrot gefärbten Horizont folgte.

„Es wird ein Sturm aufkommen!“, flüsterte die Fremde leise und Naruto horchte auf.

„Echt jetzt?“

Für ihn waren die wenigen Wolken, die am Himmel waren nicht wirklich bedrohlich.

Aber er war nun auch kein Eingeborener und gerade ältere Leute hatten ja immer eine riesige Ahnung von so etwas.

Nur wäre diese Ahnung für ihn äußerst ungünstig: „Mist, ich wollte hier am Strand zelten!“

„Zelten? Das würde ich aber schön sein lassen!“, erwiderte die Frau augenblicklich und wandte ihre Augen vom Horizont wieder ab um zu ihm herunter zu blicken, „Aber siehst du da hinten das rote Dach?“

Der Blonde folgte ihrem ausgestreckten Zeigefinger und entdeckte tatsächlich in unmittelbarer Nähe ein rotes Dach zwischen den einzelnen Baumkronen: „Ihr meint den alten Inuki-Schrein?“

Die Alte nickte eifrig: „Da lebe ich. Aber heute bin ich nicht zu Hause. Ich plane nämlich schon seit längerem eine lange Reise und bin gerade im Aufbruch!“

Naruto fragte sich sofort innerlich, ob eine solche Reise in einem Alter wie dem der Frau überhaupt anzuraten wäre, wollte sich dazu aber nicht äußern. Schließlich könnte man eine solche Frage auch falsch verstehen und er wollte die freundliche, alte Dame auch nicht kränken.

„Im dritten Blumentopf am Brunnen neben dem Haupteingang findest du einen Schlüssel!“, fuhr sie einfach fort und lächelte noch freundlicher, als zuvor.

„Aber ich bin doch ein Fremder…“, begann der Blonde, doch die Dame wiegelte sofort ab.

„Unsinn! Zudem gibt es nichts in meinem Haus, was von Wert wäre!“

Naruto erhob sich und griff in seine Hosentasche: „Dann will ich ihnen aber wenigstens etwas für diese Unterkunft zahlen!“

„Das brauchst du nicht! Ich hatte lange keinen Besuch mehr und war immer allein in dem Haus! Auch wenn ich selbst nicht da sein werde, so ist es doch ein schönes Gefühl, dass dieser alte Tempel noch junges Leben beherbergen kann!“, hörte er sie lachen, doch da er nicht sofort fand, was er nun suchte und so sein Augenmerk auch mehr auf das, was er tat, richtete, konnte er ihr immer noch ehrliches Lächeln nicht sehen.

Endlich fand sich der doch nun reichlich zerknüllte 10.000 Yen Schein und mit Erleichterung hielt er ihn in die Höhe und drehte sich herum…

Nur um dann festzustellen, dass er allein am Strand stand.

Die nette, alte Dame, deren Namen er noch nicht einmal wusste, war weit und breit nicht zu sehen.

Verwundert kratzte er sich an der Stirn und zuckte dann mit den Schultern. Dann würde er ihr das Geld in der Wohnung vom Tempel liegen lassen.

Der Wind frischte plötzlich deutlich auf und nun erkannte er auch, dass die Alte wohl Recht behalten würde. Die Wolken am Horizont verfinsterten sich und hatten eine doch reichlich bedrohliche Verfärbung angenommen. Zelten, so wie früher mit Sasuke und ihrer Schulklasse, würde heute sicherlich nicht gehen.

Schnell wandte er sich ab, blieb aber nach wenigen Schritten noch einmal stehen und betrachtete das letzte tiefe Orange der Sonnenstrahlen hinter diesen Wolken, ehe er, so schnell ihn seine Füße tragen konnten durch den Sand des Strandes auf die Baumgruppe zu, hinter der sich der Schrein befand.
 

„Das war knapp, echt jetzt!“, seufzte er auf, als er die schwere Holztür hinter sich schloss und den Schlüssel, den er nur wenige Augenblicke zuvor tatsächlich im dritten Blumenkübel am Brunnen gefunden hatte, auf das kleine Tischchen im Eingangsbereich ablegte. Hinter ihm und der geschlossenen Tür pfiff der Sturm bedrohlich und drückte sich gegen die Tür.

Nie hätte er gedacht, dass dieses Unwetter so schnell und dann auch noch so heftig über diesen kleinen Urlaubsort hereinbrechen würde.

Er war dieser namenslosen Dame nun wirklich mehr als nur dankbar!

Während er sich seine Schuhe abstreifte blickte er sich doch schon etwas neugierig um. Anscheinend lebte die Frau hier wirklich alleine und hatte auch keinerlei Unterstützung im Haushalt gehabt.

Überall lag eine leichte Staubschicht auf den Möbeln. Zwar war diese nur bei genauerem Hinsehen ersichtlich, aber dennoch…

Dem Eingangsbereich folgte ein langer, schmaler Flur, der zudem noch recht dunkel war.

Naruto fand aber schnell den Lichtschalter und kurz darauf flackerte eine gelbliche Lichtquelle von der Raumdecke herunter. Dieser Flur gabelte sich am Ende. Dort führte zum einen eine nicht mehr wirklich robust aussehende Holztreppe wohl in den ersten Stock und eine weitere Tür wohl in die unten liegenden Räumlichkeiten.

Da Naruto die Gastfreundlichkeit nicht ausnutzen wollte, beschloss er kurzerhand, nur in den unteren Räumen zu bleiben und es sich hier mit seinem Schlafsack bequem zu machen.

Schnell befand er sich in einem größeren Raum, der wohl das Wohnzimmer war. Hier traf japanische Tradition auf westliche Moderne. Einige Sitzkissen lagen um einen kleinen Tisch in der Mitte des Raumes, während an der einen Zimmerwand eine größere Schrankwand stand mit einem Fernsehgerät. Dieses war zwar auch schon lange nicht mehr auf dem neusten Stand, aber er würde sich damit schon die Zeit vertreiben können.

Denn so wie geplant die Sterne am Himmelszelt beobachten könnte er bei diesem Wetter sicherlich nicht.

Das hatte er damals mit Sasuke getan.

Sie hatten sich viel gestritten. Oh ja. Gerade zu der Zeit, als sie hier mit ihrer Klasse waren! Und dann war Iruka-sensei hingegangen und hatte ausgerechnet sie beide zur ‚Nachtwache‘ abkommandiert.

Dass sie in der ersten halben Stunde ihres Dienstes alle anderen ihrer Klasse mit ihrem Gekeife geweckt hatten… daran mochte er sich nun nur noch mit einem Schmunzeln erinnern. Das anschließende Liegen am Strand im noch aufgewärmten Sand des Tages und das beobachten der Sterne hingegen blieb ihm fundamental im Gedächtnis.

Sasuke hatte neben ihm gelegen. So dicht neben ihm, dass die zarten Härchen ihrer Arme sich berührt hatten. Und zusammen hatten sie stundenlang, ja, bis zum Sonnenaufgang, darüber philosophiert, ob sie allein im Universum waren oder nicht.

Sasuke hatte so verrückte Theorien… selbst jetzt musste Naruto lachen. Und dann waren sie irgendwie von den Aliens auf das Thema Himmel gekommen… und von dort auf Narutos Problemthema: Geister.

Nur… jetzt war es ja kein Problemthema mehr.

Auch nicht in der Sekunde, als er neben der Schrankwand den kleinen Holzschrein entdeckte und als er sich diesem annäherte das kleine gerahmte Foto darin erkannte.

Irgendwie hatte er es ja eh schon geahnt. Aber es schockte ihn schon lange nicht mehr.

Auf dem Bild war die alte Dame vom Strand abgelichtet.

Er nahm eines der Gebetszettelchen in die Hand, die wohl Verwandte hier abgelegt hatten und versuchte, die schon leicht verblichenen Schriftzeichen zu entziffern.

Demnach hieß die Dame ‚Großmutter Chiyo‘ und war bereits vor knapp zwei Jahren gestorben. Vielleicht hatte die Seniorin das damit gemeint, dass sie nun auf eine längere Reise gehen würde.

Vielleicht hatte sie einfach noch nicht eher gehen können, weil ihr kleiner Tempel mit dem angrenzenden Wohnhaus dann ganz alleine zurückgeblieben wäre.

Es war nicht das erste Mal, dass er einen Geist getroffen hatte in den letzten Jahren, der sich genau aus diesem Grund nicht vom irdischen Leben trennen konnte.

Einmal hatte Naruto einem solchen Geist helfen können, indem er einfach einen Immobilienmakler auf das leerstehende Haus des Geistes aufmerksam gemacht hatte und dieser dann eine reizende Familie dorthin vermitteln konnte.

Das hatte den Geist, damals ein älterer Herr, so beruhigt, dass er auch verschwunden war…

Verschwunden wie Chiyo am Strand…

Verschwunden wie Sasuke am Schultor…

Naruto merkte, wie seine Knie wieder weich wurden und seine Hände zitterten.

Wieso tat es nur immer noch so weh. Nach all den Jahren?

Nach all den toten Menschen, denen er immer wieder begegnet war…sie alle hatte er doch auch nach kurzer Zeit vergessen können… wieso diesen verdammten Bastard nicht?

Hastig legte er das Gebetszettelchen wieder auf den kleinen Altar und faltete seine Hände zum Gebet: „Danke, Großmutter Chiyo, dass du mir Unterkunft gewährst. Möge dich deine Reise mit dem erfüllen, was du im Leben nicht finden konntest. Und wenn dir da irgendwo ein Teme begegnet, dann sage ihm, dass er warten soll! Ich habe ihm nämlich noch etwas zu sagen…“, Naruto stockte. Verdammt! Er wollte hier für die freundliche alte Dame beten und nun dachte er schon wieder an den Schwarzhaarigen!

Er hatte doch echt einen Schaden!

Seine gefalteten Hände lösten sich voneinander und sanken zitternd.

Nein. Er würde nun nicht wieder weinen.

Er war hier hin zurückgekehrt, um mit schönen Gedanken an Sasuke endgültig Abschied nehmen zu können!

Und irgendwie artete das Ganze hier doch eher in ein reines Trauerspiel aus.

Er ging zu der kleinen Sitzgruppe und ließ sich auf einem der Kissen nieder.

Dann zog er seinen Rucksack näher heran und breitete dessen Inhalt um sich herum aus.

Zum einen wären da sein Schlafsack, zum anderen sein Proviant und ein Buch, welches er zurzeit las. Vielleicht sollte er etwas lesen. Er schlug es auf der Seite auf, wo er ein Lesezeichen hinterlegt hatte: es war das letzte Foto von ihm und dem Schwarzhaarigen. Wieder musste er schlucken.

Wieso quälte er sich selbst nur so sehr damit? Wieso hatte er auch nur überall Dinge hinterlegt, die ihn zweifelsohne immer wieder an den Teme erinnern mussten!

Verdammt noch mal!

Er war tot!

Er war tot!

Er war verdammt noch mal tot!

Wieder Tränen!

Wieder Verzweiflung!

Wieder dieser unsägliche Schmerz in der Brust, der ihm die Luft nahm.

Der ihn zuschnürte.

Seine Faust bretterte laut auf den kleinen Tisch. Doch selbst der Schmerz der Hand kam nicht gegen dieses Gefühl in seiner Brust an.

Die andere Hand drückte das obligatorische Lesezeichen an seine Brust.

Wie unter Höllenqualen krümmte er sich zusammen. Ließ seinen Körper nach vorne fallen und lag nun zusammengerollt auf dem staubigen Boden.

„Verdammt… Sasuke!“

Er hatte ihm nicht einmal sagen können, was er empfunden hatte für ihn… nein…immer noch empfand!

Er hatte ihn nicht ein einziges Mal küssen dürfen!

Wie gern hätte er ihn auch nur ein einziges Mal geküsst?

Seine Lippen auf seinen eigenen gespürt.

Mit seiner Hand über seine Wange gestreichelt. Durch sein samtig schimmerndes Haar gestrichen… ihn einfach nur berührt…

Wieso hatte er das damals nicht getan, als er an eben jenem Abend, als sie in die Sterne blickten, erkannte, dass er sich in den Schwarzhaarigen verliebt hatte?

Das ab diesem Augenblick sein Herz beschlossen hatte, nur noch für den Uchiha zu schlagen, egal, wie gemein er zu ihm war und ihn stets neckte…

Er war so ein Idiot gewesen!

So ein verdammter Idiot!

Wenn Sasuke jetzt hier wäre, würde er es sicherlich bestätigen.

Wenn er hier wäre, dann würde er noch mit einer angehobenen Augenbraue und einem schiefen Grinsen auf den Lippen ein leises „Usuratonkachi!“ hinterherzischen.

Unter all den Tränen, die wieder flossen, musste er nun doch leise lachen.

Und dieses Lachen war nur ein weiterer Ansporn für die folgenden Tränen, die ihn irgendwann, zusammengekrümmt und verzweifelt, wie er da so lag, einschlafen ließen.
 

Er wusste nicht genau, was es war, aber das da was war, das wusste er schon.

Schließlich ließ es ihn doch recht unsanft aufschrecken.

Erneut! Ein Poltern? Ein Pochen?

Draußen tobte immer noch der Sturm mit allem was er hatte und das war vermutlich auch der Grund, warum er hier im Dunkeln lag. Anscheinend hatte es die Stromversorgung gekappt.

Aber dieses polternde Geräusch kam unter keinen Umständen von dem Sturm. Dafür war es viel zu regelmäßig. Ein Blick auf die Anzeige seiner Armbanduhr verriet ihm, dass es kurz vor halb drei in der Nacht war.

Er war also wirklich tief und fest eingeschlafen.

Und dass mal wieder unter Tränen, denn er konnte den spannenden Film der eingetrockneten Tränenflüssigkeit auf seinen Wangen spüren.

Das Poltern wurde intensiver. Lauter. Und riss ihn endgültig aus seiner Starre.

Vorsichtig ließ er seine Hand über den Boden tasten. Irgendwo hier hatte er doch seine Taschenlampe hingelegt gehabt!

Und tatsächlich! Bald schon ertastete er das kühle Metall der batteriebetriebenen Leuchte.

Einige Male musste er blinzeln, als er in den intensiven Lichtkegel blickte nachdem er sie angeschaltet hatte.

Und irgendwie schien nun auch das Geräusch, welches ihn geweckt hatte mit eintretendem Lichteinfall einen genauen Ursprungsort zu bekommen. Schließlich fühlte man sich mit Licht nicht mehr ganz so orientierungslos in einem fremden Haus.

Das Poltern kam aus dem Flur!

Um genauer zu sein von der Tür!

War da etwa jemand draußen und klopfte?

Bei diesem Sturm?

Bei diesem Regen?

Um diese Uhrzeit?

Wenn jemand so vehement um Einlass bat, dann brauchte er Hilfe! Und schließlich dürfte er auch nicht vergessen, dass er sich hier in einem Tempel befand. Es wäre also auch nicht verwunderlich, wenn man hier um Hilfe ersuchte!

Aber es konnte ja auch sein, dass dieser Tempel gar nicht so verlassen war und der eigentliche Bewohner nun nicht mehr in sein Haus kam weil er den Schlüssel aus dem Blumenkübel entwendet hatte!

Schnell sprang er auf. Fast schon zu schnell, denn ein leichter Schwindel erfasste ihn und erinnerte ihn somit auch daran, dass er vergessen hatte, etwas zu Abend zu essen und sein Kreislauf sich nun dafür rächte.

Dennoch schaffte er es in den Flur und stolperte auf die Haustür zu.

Hastig griff er nach der Klinke und drückte sie herunter, so dass er die Tür schwungvoll öffnen konnte… und erstarrte augenblicklich.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  naruhinaxXx
2014-12-18T18:32:16+00:00 18.12.2014 19:32
der arme naruto
kann mir schon denken wer vor der tür steht ;)

tolle geschichte (auch wenn´s sehr traurig ist ), hoffe es geht bald weiter

lg


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