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Winter Carols

von

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Türchen 8 - Der Kuss der Schneekönigin

Die Kälte brannte in Naomies Lunge und ihre Haut fühlte sich eiskalt an. Mit jedem Schritt konnte sie das Taubheitsgefühl in den Beinen spüren. Sie hatte das Gefühl, dass Kaguya, die Schneeprinzessin, es in diesem Jahr viel zu gut meinte, wenn sie ihre Schneetänzerinnen über das Land schickte.

Naomie fröstelte und zitterte, zog den Ärmel ihrer Jacke tiefer über die Hände und schob es wie einen Muff in die Jackentasche. Kalter Wind fuhr ihr über das Gesicht und brannte ihr in den Augen.

Obwohl sie warm angezogen war, fror sie. Unter der Jeans hatte sie eine dicke Strumpfhose gezogen, dazu noch warme Strickstulpen für die Beine. Unter der dicken Jacke hatte sie einen Rollkragenpullover an, ein Shirt und Unterhemd. Dazu einen dicken Wollschal und Handschuhe. Normalerweise trug sie letzteres nur in Form von Pennerlingen, doch diesmal hatte sie dünnere darunter gezogen. Doch auch das hielt ihre Hände nicht warm.

Immer wieder formte sie in der Jackentasche ihre Hände zur Faust, um diese zu durchbluten oder hauchte diese an. Doch nichts half. Sie zog den Schal ein Stück höher, damit ihr Hals geschützt war und stampfte weiter durch den weißen Pulverschnee. Zitternd hauchte sich Naomie in die Handfläche und rieb sie kräftig aneinander, um sich aufzuwärmen, während kleine Atemwölkchen in der Luft sichtbar wurden.

Sie hoffte, dass der Weg nach Hause nicht allzu lange dauern würde. Immerhin war es sehr kalt, die Straße war spiegelglatt und eine neue Schicht Schnee kam gerade in Form dicker Flocken vom Himmel herunter. Sofort legte er sich auf die Stadt nieder und zog sie fester in die Hände des strengen Winters.

Es war auch zu spät, um umzukehren.

Viel zu dicht drängte sich die Masse aus Menschen durch die kleine Passage des Weihnachtsmarktes. Die Kälte und den Schnee völlig ignorierend, sangen sie muntere Weihnachtslieder, ließen sich großzügig den Glühwein und Bier nachschenken. Es war völlig egal, dass die anderen Stände bereits geschlossen hatten.

Aber Naomie wusste, dass der Markt bald komplett schließen würde für den heutigen Tag und daher würde sich auch bald die trinkende Gruppe auflösen und nach Hause torkeln, fahren oder gefahren werden, soweit es noch möglich war.

Naomie zwängte sich durch eine Gruppe betrunkener Männer, die einen Junggesellenenabschied feierten. Sie hielt den Kragen ihres Mantels fest, als einer ihr die Hand mit einem Schnapsglas hinhielt. Sie schob mit ihrer freien Hand den Arm zur Seite und zwängte sich weiter durch die Menge. Dabei ignorierte sie das Angebot, dass sie doch mittrinken sollte.

Es war nicht so, als ob sie Angst hatte, aber es war schon spät und sie hatte getrunken. Nicht viel, aber genug, dass sich ihre Knie wie Pudding anfühlten und ihre Wangen gerötet und heiß waren, trotz der beißenden Kälte, die unter ihre Kleidung schlüpfte und zum frieren brachte. Mehr würde sie auch nicht mehr vertragen können.

Eine durchnässte Strähne vom Schnee hing in ihren Augen und sie schob sie schnell nach hinten. Dabei spürte sie, wie weitere Flocken zerbrachen und ihre Haare durchnässten.

Die Müdigkeit machte sich auch bemerkbar und am liebsten hätte sie sich bei den Temperaturen sofort ins Bett gekuschelt. Vorher noch eine heiße Dusche und dann sofort unter die warme Bettdecken schlüpfen.

Allein bei dem Gedanken konnte sie schon die mollige Wärme spüren.

Auch ein heißes Bad klang verführerisch. Aber dafür war es zu spät. Dennoch vermerkte sie diesen Gedanken im Hinterkopf für den morgigen Abend.

An einer Anzeigetafel von einer Apotheke leuchtete die aktuelle Uhrzeit auf und die Temperatur.

Es lag bei fast Minus sechs Grad.

Der Wind ließ es wesentlich kälter erscheinen, aber selbst das reicht schon aus, dass die Arbeit auf dem Markt unerträglich wurde.

Auch wenn sie heute als Christkind unterwegs gewesen war und unter dem Kleid ihre Hose angehabt hatte, war es kalt gewesen.

Innerlich dankte sie noch immer Seto Kaiba für den heißen Glühwein. Auch wenn sie keinen Tropfen in der Arbeitszeit trank, hatte sie es in diesem Moment gerne getan. Anders waren die Temperaturen auch kaum zu ertragen, außer mit heißen Getränken.

Den Rest ihres Gespräches verdrängte Naomie und wollte gar nicht erst dran denken. Allein bei dem Gedanken, dass er sie fast geküsst hätte und sie geglaubt hatte, es hätte eine Bedeutung, ließ sie wieder vor Scham im Erdboden versinken. Immerhin hatte er nach der Unterbrechung sofort mit dem Fangirl herum geknutscht und ihren Kuss erwidert. Scheinbar war dieser Fast-Kuss doch nichts Besonderes gewesen.

Sie schüttelte den Kopf und ein paar Flocken flogen heraus.

Sollte er doch rummachen mit wem er wollte.

Etwas angesäuert stampfte sie weiter. Sie sollte ihn lieber vergessen. Noch einmal würde Naomie ihn mit Sicherheit nicht wieder sehen und er war ja auch nicht wegen ihr da oder des Geschenkes, sondern, weil er erpresst worden war. Sie glaubte auch nicht, dass er noch einmal auftauchen würde.

Der Moment war vorbei und auch die Gelegenheit sich zu küssen.

Aber vielleicht hatte sie das auch falsch verstanden, dass dieser mögliche, beinahe Kuss etwas zu bedeuten hatte und er die Botschaft verstanden hatte.

Naomie seufzte und lief weiter.

Zum Glück war der Rest des Weihnachtsmarktes ruhiger und leerer. Nur wenige Passanten kamen ihr entgegen.

Es graute ihr jetzt zu Fuß Heim zu laufen. Der Weg schien endlos lang.

Aber der letzte Bus war weg oder fuhr erst gar nicht mehr bei dem dichten Schneetreiben und genug Geld für ein Taxi hatte sie nicht dabei.

Also blieb nur zu Fuß gehen oder irgendwo am Bahnhof nächtigen wie ein Obdachloser.

Naomie durchfuhr ein Zittern und erreichte die große Kreuzung, die aus der Stadt und dem dichten Weihnachtsmarkt heraus führte.

Ihr fiel ihr Bruder ein und überlegte, wie weit es zu ihm war.

Aus ihrer Tasche zog sie ihr Handy, während sie darauf wartete, dass die Ampel grün wurde.

Sie blickte sich über die Schulter um. Es war nichts und niemand zu sehen.

Erleichtert stieß sie die Luft aus und lief mit dem Handy am Ohr über die Straße. Das Freizeichen ertönte. Mehrfach klingelte es.

„Kuzuki“, sagte die bekannte Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

Ein Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.

„Hallo mein geliebtes Brüderchen!“, sagte sie fröhlich.

„Was hast du angestellt, Schwesterherz?“, fragte Takuya mit einem Seufzen in der Stimme. Sie konnte ihn genau vor sich sehen mit seiner zerzausten Frisur und den dunklen Haaren, die bis zu seinen Augen reichten. Die Brille saß bestimmt wie immer unordentlich auf seiner Nase.

„Nichts!“, sagte sie sofort und ging die Hauptstraße entlang. Wieder warf sie einen Blick über die Schulter und zur anderen Straßenseite.

Naomie gehörte nicht zu denen, die sich leicht einschüchtern ließen, aber nun wo sie getrunken hatte und es fast auf Mitternacht zuging, musste sie sich doch eingestehen, dass ihr ein gewissen Unbehagen über die Haut strich.

Etwas unbeholfen stolperte sie über dem glatten Kopfsteinpflaster und versuchte nicht auf dem glatten Schnee auszurutschen, was ein schnelles vorankommen umso beschwerlicher machte.

In dem faden Licht des Marktes, das herüber schien und dem orangenen Licht der Straßenlaterne wirkte die Stadt bedrohlicher und jede kleine Gasse und Nebenstraße umso dunkler.

„Was willst du dann, Naomie?“, fragte ihr Bruder und sie hörte etwas Klappern. Ihr Bruder zählte nicht zu den ordentlichsten Menschen und auf seinem Tisch standen mit Sicherheit wieder Essschüsseln und Teller.

„Ich wollte dich fragen, ob ich bei dir schlafen kann.“

„Wieso das? Du hast doch eine Bude.“ Das Wasser rauschte im Hintergrund laut an ihrem Ohr und sie verzog ein wenig das Gesicht. Dann war es wieder still.

„Ja, schon…“

„Aber?“, fragte er und sie konnte förmlich seinen skeptischen Blick sehen, „Für Monster unterm Bett bist du etwas zu alt, findest du nicht?“

„Blödmann!“, sagte sie und stieg über einen Schneehaufen, „Ich hatte eine kleine Nikolausfeier von der Arbeit und hab getrunken und es schneit so stark…“

„Du kommst also nicht mehr nach Hause?“

„Doch schon, aber nur zu Fuß.“

„Verstehe“, wieder ein Seufzen und sie sah ihn förmlich durch die Wohnung gehen mit dem Telefon, „Aber ich muss dich enttäuschen. Ich bin gleich arbeiten. Bei den Temperaturen gibt es Sondereinsätze. Nachtdienst und Extraschichten.“

Sie konnte ihn förmlich vor sich sehen, wie er sich warm anzog und seinen ausgeleierten, weißen Lieblingspullover mit Strickmuster anzog.

„Versteh schon“, sagte sie und versuchte erst gar nicht ihre Enttäuschung zu verbergen. Aber einen Vorwurf konnte sie Takuya auch nicht machen. Immerhin suchte er sich seine Schichten nicht aus. Lediglich bei den Schichten in seinem Job als Kellner konnte er es einigermaßen planen.

„Tut mir leid, Liebes. Ich würde dich ja alleine hier lassen. Weißt du doch, aber ich kann dir meinen Schlüssel nicht geben.“

„Schon ok“, sagte Naomie, „Ich beeile mich einfach so gut es geht nach Hause. Vielleicht bin ich dann nur ein halber Schneemann.“

„Ok, pass auf dich auf“, sagte er fürsorglich.

„Mach ich.“

„Ansonsten komm ich mit unserem Mobil vorbei und suche dich“, drohte er scherzhaft, aber sie konnte sich gut vorstellen, dass er es auch ernst meinte. „Oder kannst du nicht zu deinem neuen Freund hingehen?“, schlug Takuya schnell noch vor.

„Hä?“ Naomie versuchte den Blick nach vorne zu richten, was aber gar nicht so einfach war, wenn alles unter einem wegrutschte. Vorsichtig tippelte sie weiter und straffte die Schultern, als der Boden wieder griffiger wurde.

„Na du weißt schon. Der reiche Typ von dem du mir erzählt hast!“

„Ah…Seto Kaiba?“ Naomie schnaubte. Zu ihm würde sie bestimmt nicht gehen! Er würde eher die Sicherheitsleute auf sie hetzen, als sie freiwillig bei sich schlafen zu lassen. Selbst als sie nach dem Backen dort schlafen sollte, schien es ihr, als hätte er sich nur widerwillig dazu nieder gelassen dem zuzustimmen.

„Ja, genau. Du hast ja schon mal bei ihm geschlafen.“

„Er ist nicht mein Freund“, korrigierte sie ihren älteren Bruder, „Er ist, wenn überhaupt, nur ein flüchtiger Bekannter.“

„Und wieso hast du noch mal bei ihm dann geschlafen?“

„Weil es spät war und sein kleiner Bruder mich nicht hatte gehen lassen.“

„Ja, ja….immer die kleinen Geschwister.“ Der Sarkastische Tonfall entging ihr nicht und Naomie sah schon das breite Grinsen auf seinen Lippen.

Ergeben seufzte sie.

„Okay, gut, dann geht das da auch nicht…Dann musst du wohl durch den Schnee.“

„Ja, danke…“ Missmutig brummte sie.

Kurz schwiegen beide.

„Wie geht es unseren Eltern?“

„Denen geht es gut“, sagte er und sie hörte seinen Atem in der Leitung. „Sie bereiten sich völlig auf die Reise vor. Shun findet es doof dieses Jahr hat er mir gesagt. Er sagte auch, er findet es doof, dass du nicht da warst an Nikolaus.“

„Das tut mir leid für ihn, aber es ging ja nicht.“

„Musst du mir nicht sagen.“ Takuya hielt kurz inne. „Dad fragt, ob du wieder zu ihnen ziehen willst.“

„Wieso das?“

„Wegen deinem Ex. Weswegen sonst.“

„Ich bin doch nicht nur wegen ihm hierher gekommen.“

„Sag es Dad.“

Naomie seufzte und fuhr sich wieder durch die nassen Haare. Sie konnte die einzelnen Zotteln spüren.

Ihr Vater war von Anfang an dagegen gewesen, dass sie die Stadt wechselte und ein Grund war ihr Freund gewesen. Nun war sie Single und Naomie konnte gut verstehen, dass ihre Eltern wieder wollten, dass sie zu ihnen in die Nähe zurückzog. Aber sie lebte nun schon seit knapp acht Monaten in der Stadt und fühlte sich trotz der Trennung hier wohl.

„Es tut mir leid, Schwesterlein, aber ich muss los. Sonst komme ich zu spät. Melde dich aber, wenn du zu Hause bist.“

„Ok, mach ich“, seufzte sie, „Kann aber noch ne halbe Stunde dauern oder länger.“

„Kein Problem.“

„Bis dann und viel Spaß mit dem Schnee.“ Sie wartete noch die Antwort ab, ehe Naomie auflegte und das Telefon zurück in ihre Manteltasche schob.

Ihr Bruder fiel also als Übernachtungsmöglichkeit weg.

Ein leiser Fluch entfuhr ihr. Es wäre besser gewesen, wenn er zugestimmt hätte. Dann wäre sie in zehn oder fünfzehn Minuten im warmen gewesen, könnte den Alkohol ausschlafen und morgen frisch ans Werk gehen.

Aber gut, dann würde sie sich eben durch den Schnee quälen.

Ein stechender Schmerz zog durch ihr Steißbein und den Rücken entlang, als sie ausrutschte und zu Boden fiel. Ihr Herz pochte schnell vor Schreck.

Schmerzverzerrt verzog Naomie das Gesicht und bewegte sich langsam. Sie spürte die Kälte unter sich und wie der Schnee langsam schmolz.

Schnell rappelte sie sich auf und lehnte sich vorsichtig an die Hauswand. Mit der freien Hand klopfte sie den Schnee von ihrem Hintern, der sicherlich einen wunderbaren nassen Abdruck hatte. Zum Glück war es dunkel.

Mit schnellen und vorsichtigen Schritten stapfte sie weiter, während ihr Hosensaum nass und klamm gegen ihr Schienbein schlug. Durch ihre warme Jacke drang langsam die Nässe.

Kam es ihr nur so vor oder wurde das Schneetreiben schlimmer?

Einzelne Flocken fielen ihr in den Nacken und sie zuckte jedes Mal zusammen vor Kälte.

Immer wieder blickte sie sich um und lauschte, ob sie jemand verfolgte. Doch nichts dergleichen passierte.

Innerlich bereute sie es, dass sie Joeys Angebot nicht angenommen hatte.

„Hey. Soll ich dich nicht noch bis nach Hause begleiten? So ganz alleine in der Dunkelheit zu laufen, ist nämlich nicht so gut“, hörte sie noch immer seine Stimme sagen. Doch Naomie wollte nicht, dass er bei den Temperaturen einen Umweg für sie machte. Wann sollte der arme Junge denn nach Hause kommen?

Das wollte sie ihm gewiss nicht zumuten und es wäre ihr auch unangenehm gewesen, wenn sie ihm anbieten hätte müssen bei sich zu schlafen. Da war sie nicht anders, als Kaiba auch.

So gut kannten sie sich nicht, als dass es angenehm geworden wäre. Doch nun bereute sie es nicht doch angenommen zu haben und seufzte. Es war zu spät zum umkehren und um ihn einzuholen, damit er sie doch begleitete.

Die Kälte war unerträglich und sie wollte nur noch nach Hause. Am besten ein heißes Bad nehmen und ein paar Kekse essen.

Wieder seufzte sie und bog in eine Nebengasse ein. Sie war dunkler als die Hauptstraße, führte aber schneller nach Hause.

An den Eingangstüren der Häuser hingen verschiedene weihnachtliche Dekorationen. Ein Haus hatte seinen gesamten Vorgarten in ein Winter Wonderland verwandelt, was einen Großteil der Straße erhellte.

Langsam ging sie den kleinen Hügel hinunter und schob den Schnee vom Treppengeländer. Mit kalten Fingern hielt sie sich an dem rutschigen Metall fest. Selbst durch die Handschuhe hatte Naomie das Gefühl am Geländer fest zu kleben.

Mit langsamen und bedächtigen Schritten tapste sie die Treppe hinunter.

Unter ihren Füßen merkte sie wie rutschig der Schnee war. Vielleicht war es doch so keine gute Idee gewesen diesen Weg zu nehmen, aber wenn sie noch nach Hause wollte, war es der schnellste Weg.

Doch im nächsten Moment machte ihr Herz einen Satz und das nächste, was Naomie spürte, war ein harter Aufschlag auf ihren Hinterkopf.

Ein erschrockener Aufschrei entfuhr ihr dabei. Ein weiterer Schmerz zog durch ihren Rücken, als sie auf ihr Steißbein aufschlug. Eine spitze Kante drückte sich in ihre Schulter und ihre Finger griffen ins leere, streiften nur kurz das kalte Metallgeländer.

Naomie spürte im nächsten Augenblick sofort die einzelnen Treppenstufen im Rücken auf die sie aufschlug.

Lange musste sie jedoch nicht warten.

So schnell wie sie die Treppe hinunter fiel, lag sie auch am Fuß.

Ihr Kopf schlug mehrfach auf den harten Stein auf. Alles drehte sich, als sie am Ende angekommen war.

Nur verschwommen sah sie die Laterne und sofort schloss sie die Augen vor dem grellen Licht. Ihr Kopf dröhnte.

Keuchend versuchte sie sich zu Bewegungen, aber ihr Körper schmerzte viel zu sehr. Ihre Knie zitterten.

Schneeflocken fielen ihr ins Gesicht und schmolzen sofort.

Naomie wagte nicht die Augen zu öffnen. Alles um sie herum war still. Nur die Flocken knisterten leise in ihrem Ohr und kitzelten sie.

Viel zu erschöpft blieb sie liegen. Der Schmerz war zu groß und der Schwindel wollte sich auch nicht legen.

Stattdessen machte sich Wärme in ihrem Körper breit und Naomie spürte die die Müdigkeit wieder in sich aufkeimen. Sie wusste, sie sollte nach Hause und weiter gehen, aber die Schwärze lockte sie.

Je näher sie ihr kam, desto weniger Schmerz empfand sie und umso weniger spürte sie die unglaublichen Kopfschmerzen in ihrer Schläfe. Auch der Schwindel war verschwunden, je näher sie der Dunkelheit kam. Selbst der kalte, nasse Teppich unter ihr, fühlte sich mit einem Mal warm und gemütlich an. Ein Seufzer entfuhr ihr, ehe sie endgültig in die Finsternis abglitt und reglos liegen blieb.
 

Aus weiter Ferne drangen Geräusche an ihr Ohr. Die warme Decke hatte sich in eisige Kälte verwandelt. Sofort begannen ihre Glieder zu zittern, während sie jemand rüttelte. Eine warme Hand, die sich auf ihre kalten Haut, viel zu heiß anfühlte, berührte ihre Wange. Sanft klopfte die Person gegen ihre Wange, versuchte sie wach zu bekommen und zu verhindern, dass sie wieder einschlief.

„Naomie“, drang die Stimme eindringlich an ihr Ohr, „Wach auf. Du musst aufwachen!“

Die Dunkelheit verzog sich langsam, dennoch wurde es nicht heller. Wer war das?

Wieder wurde ihr gegen die Wange geklopft. Diesmal eindringlicher und etwas härter.

„Hey, wach auf!“

„Takuya?“, murmelte sie benommen und blinzelte gegen das Licht an, das grell in ihre Augen stach.

„Ich bin hier“, sagte er erleichtert und strich ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht.

„Du musst doch arbeiten…“, brachte sie mühselig hervor und versuchte sich an das Licht zu gewöhnen. In ihrem Schädel hämmerte es, als würde jemand mit einem Hammer darauf einschlagen. Ein saurer und ätzender Geschmack lag ihr auf der Zunge und kratzte im Rachen.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Takuya und hob sie leicht vom Boden hoch, so dass sie an seiner Schulter lehnte. „Du solltest nur schnell aus dieser Kälte raus.“

„Die Welt fährt aber Karussell“, murmelte sie und schloss die Augen. Das Licht der Straßenlaterne war viel zu hell und alles drehte sich hin und her, so dass ihr schwindlig wurde. „Ich will in mein Bett…“

„Dahin bring ich dich“, sagte Takuya und klopfte ihr wieder gegen die Wange. „Hier trink.“

Naomie spürte etwas Warmes an ihren Lippen und trank vorsichtig den heißen Tee. Der Geruch von Pfefferminz drang in ihre Nase und sie konnte von Takuyas Kleidung seinen typischen Geruch von Moschus riechen.

„Kannst du aufstehen?“, fragte er besorgt und schob ihr weitere nasse Haare aus der Stirn. Der Schnee knirschte, als er sich bewegte.

Naomie schüttelte den Kopf, was sich als großer Fehler heraus stellte. Ihr Kopf fing sofort an stärker zu pochen. Der Schmerz drückte ihr auf die Augen. Die Welt drehte sich weiter vor ihren Augen.

Takuyas Hand legte sich in ihren Nacken und er hielt ihr wieder den Becher an Lippen.

„Trink ruhig“, sagte er leise und sie merkte eine Bewegung. Er nahm ihr den Becher ab. „Versuch mal aufzustehen.“

Schwach nickte sie und Takuya legte ihren Arm in seinen Nacken, um sie zu stützen.

„Kann ich Sie um einen Gefallen bitten?“, fragte Takuya an jemand drittes gewandt und Naomie hörte ein Brummen. Er keuchte kurz unter ihrem Gewicht, obwohl Naomie wusste, dass er immer wieder trainierte.

Wer war denn da noch bei ihm? Vielleicht sein Kollege von der Sozialarbeit?

„Können Sie Naomie für eine Nacht bei sich schlafen lassen? Ich will sie nicht zu den Obdachlosen in unserem Heim stecken und zu mir schaffen wir es nicht mehr. Zu ihr erst recht nicht.“

Langsam öffnete sie die Augen und sah eine dicke Schneedecke und dichte, weiße Flocken, die vor ihren Augen tanzten. Sie konnte kaum einige Meter weit sehen. Naomie warf einen Blick zu Treppe. Ihre Abdrücke waren verschwunden. Lediglich am Boden konnte sie die Umrisse im Schnee erkennen, wo sie bis eben gelegen hatte. Doch auch diese begannen langsam schwächer zu werden.

„Sollten Sie sich nicht um sie kümmern?“, fragte eine kalte und abwertende Stimme, „Es ist immerhin Ihre Freundin, oder? Was habe ich damit zu tun?“

„Takuya ist mein Bruder“, brachte sie hervor und ihre Knie fühlten sich ziemlich wacklig an. Naomie sah, dass ihre Hose ziemlich viel Schnee abbekommen hatte und auch eine leichte Eisschicht darauf war. „Er ist nicht mein Freund!“

Wieder hörte sie ein Brummen und hob langsam den Kopf.

An der Laterne gelehnt stand Seto Kaiba.

Er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben, während seine ganze Kleidung weiß war vom Schnee war. Selbst seine Haare waren inzwischen feucht und voller kleiner Flocken.

Seine blauen Augen ruhten mit einem kalten Blick auf ihr, als würde er sie erdolchen wollen und als wäre sie Schuld, dass er hier stehen musste.

Was ging wohl in seinem Kopf vor? Dachte er, dass sie sich dem nächstbesten an den Hals warf, nur weil sie einen verdammten Kuss nicht hatte bekommen können von ihm?

Durch ihre Stirn zog eine weitere Welle des Schmerzes, als wenn eine Herde wilder Pferde auf ihrem Kopf herum galoppierte.

„Kommen Sie“, sagte Takuya eindringlich an Kaiba gewandt, „Soll ich meine Schwester alleine lassen unter betrunkenen Obdachlosen, die wir auf der Straße finden?“

„Es wäre besser, als mich oder meine Firma zu einem Hotel umzufunktionieren“, erwiderte er kalt, „Aber ein Hotel wäre auch eine Lösung.“

„Sehen Sie hier eines in der Nähe?“, fragte ihr Bruder genervt und sie hörte ihn seufzen, „Sie wissen, dass kein Auto mehr fährt und ein Rettungswagen ist zu übertrieben.“

Wieder brummte Kaiba nur und verzog ein wenig das Gesicht.

„Sie wissen, dass es über Nacht einen Blizzard gibt. Die Temperaturen fallen und Naomie liegt schon seit zwei Stunden hier! Ich kann mich nicht um meine Schwester kümmern! Ich muss zurück zu meiner Schicht und den Obdachlosen von der Straße helfen so weit es geht!“

Seit zwei Stunden lag sie schon bewusstlos im Schnee? Kein Wunder, dass sie das Gefühl hatte in der Gefriertruhe gesteckt zu haben. Aber wieso war Kaiba hier? Hatte er keine Arbeit zu erledigen?

„Wenn Ihnen Fremde wichtiger sind, als Ihre Familie…“ Kaiba zuckte teilnahmslos mit den Schultern.

„Das stimmt nicht!“, fuhr Takuya den jungen Firmenchef an und zog sie wieder ein Stück höher.

„Könnt ihr bitte aufhören euch zu streiten?“, fragte sie und rieb sich über die Schläfe. Ihr Kopf wollte nur noch platzen. Langsam sah Naomie zu Kaiba und konnte ihn nur grade so durch den dichten Schnee erkennen. „Erstmal was machen Sie hier?“

„Sie könnten sich auch erstmal bedanken. Immerhin habe ich Sie gefunden“, sagte er mit kaltem Tonfall, „Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ihr Bruder ist bei mir aufgekreuzt in der Firma und hat meinen Pförtner solange belästigt bis ich endlich Zeit hatte, mir seinen Vorwurf anzuhören, dass Sie ja bei mir wären oder vermutlich irgendwo von mir ertränkt wurden.“ Er verdrehte die Augen und sah aus, als würde er das jetzt liebend gerne nach holen. „Dann hat er solange nicht locker gelassen bis ich mich dazu bereit erklärt habe ihm zu helfen Sie zu suchen.“

Naomie sah zu ihrem Bruder, der nur stumm nickte. Langsam gingen sie zur Hauptstraße zurück. Es fiel ihr schwer ein Bein vor das andere zu setzen.

„Wie habt ihr mich dann gefunden?“

„GPS von Ihrem Handy“, sagte Kaiba nur.

„Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist. Du hast dich nicht gemeldet und ich hab mir Sorgen gemacht“, ihr Bruder ließ sie langsam los, damit sie wieder auf eigenen Beinen stehen konnte, „Als wir unterwegs waren in unserem Bus lief das Radio und der Wetterdienst kündigte ein Unwetter an. Alle sollten besser zu Hause bleiben. Selbst unsere Station hat uns schon zurück in die Zentrale gerufen.“

„Oh“, brachte sie heraus.

„Deshalb musst du jetzt schnell ins Warme und es wäre gut, wenn Herr Kaiba dich für eine Nacht aufnimmt bei sich in der Firma.“ Naomie verstand den Seitenhieb und einen größeren Wink mit dem Zaunpfahl konnte Takuya dem Firmenchef nicht geben. „Du bist ziemlich kalt.“

Langsam nickte sie.

Auch wenn Naomie es nur ungern tat, immerhin war er ihr großer Bruder und von daher immer ein Blödmann, aber er hatte in dem Fall recht. Sie musste aus dem Wetter raus und sich aufwärmen. Bis zu ihm war es zu weit und zu ihr ebenso. Hotels gab es in dieser Gegend nicht und die Taxis fuhren auch nicht oder nur schwer.

Ihre einzige Lösung war wirklich die Kaiba Corporation, die keine zehn Minuten entfernt war. Aber innerlich widerstrebte es ihr die Nacht bei ihm im Büro oder sonst wo zu verbringen, wo er war.

Naomie sah zu Kaiba, der einige Schritte vor ihnen her lief und ihren Bruder noch immer ignorierte, ebenso wie sie.

Offensichtlich machte ihm die Kälte nicht ganz so viel aus. Er zitterte nicht, noch sonst waren keine Anzeichen zu sehen, dass der Schnee ihm zu schaffen machte.

Naomie zog ihren Schal höher.

Die Welt hatte aufgehört sich zu drehen, so dass sie nicht Gefahr lief in die nächste Laterne zu laufen und auf eigenen Beinen den Weg hinter sich brachte. Ihr Bruder blieb jedoch an ihrer Seite.

Immer wieder sah er auf sein Handy, als erwartete er, dass jeden Moment ein Anruf von seiner Arbeit einging.

Takuya arbeitete in einem Obdachlosenasylheim und jede Nacht und jeden Tag fuhr ein Bus durch die Straßen und versorgte die Menschen mit verschiedenen Dingen, wie Essen, Trinken und Decken oder Kleidung. Grade im Winter machte er oft Sondereinsätze, damit die Menschen nicht bei den Minusgraden erfroren.

In diesem Augenblick wusste Naomie, wie wichtig seine Arbeit war. Sie fühlte sich selbst, wie eine Obdachlose, die er grade von der Straße fischte und sie waren ihrem Bruder unglaublich dankbar, dass er sich auf die Suche gemacht hatte.

Kaiba beschleunigte seinen Schritt, als wollte er sie beide abhängen und automatisch ging sie ebenfalls schneller, soweit es der noch immer pochende Schmerz in ihrem Kopf zuließ.

Immerhin war er dabei abzuklingen.

Ihr Bruder tippte etwas in sein Handy ein und holte ebenfalls auf.

Naomie hatte Mühe seinen langen Beinen zu folgen und sie keuchte vor Anstrengung. Sie überlegte etwas zu sagen, aber dann fiel ihr wieder der eisige Blick ein und sie schwieg.

Es war ein komisches Gefühl ihm nach dem späten Nachmittag wieder zu sehen und fast schon bedrückend.

Es machte sie nervös.

An seinem Gesicht oder seinen Augen konnte sie auch nicht ablesen, was in ihm vorging, ob es ihm genauso erging oder ob er einfach nur genervt von ihr war.

Unter dieser Anspannung und in Anbetracht der eiskalten Blicke, fühlte sie sich mit einem Mal ziemlich dumm und fast schon minderwertig.

Wie schaffte er es nur dieses Gefühl bei ihr auszulösen?

Sie war die Treppe herunter gestürzt und war ausgeknockt gewesen. Aber das war kein Grund sich schlecht zu fühlen. Das hätte jedem passieren können und nur weil er eine Firma hatte, war er als Mensch nicht mehr wert als sie.

„Also was ist?“, fragte ihr Bruder und durchbrach die Stille, „Würden Sie bitte meine Schwester eine Nacht bei sich im Büro lassen?“

Kaiba schaute kurz über die Schulter und blieb vor dem Eingang seiner Firma stehen. Das Foyer war dunkel und nur der Tannenbaum erhellte den Bereich ein wenig.

Offensichtlich hatte auch der Pförtner Feierabend gemacht.

Naomie spürte die blauen Augen auf sich ruhen und wie er sie musterte, als würde eine Nacht bei ihm den Ruin für ihn bedeuten.

„Na schön. Aber Sie tun, was ich sage!“, sagte er streng und ihr Bruder nickte.

„Meine Schwester ist pflegeleicht.“

„Ich bin kein Haustier“, brummte sie missmutig und Takuya legte ihr eine Hand auf den Rücken.

„Pass auf dich auf, Schwester“, sagte er leise und drückte sie an seine Brust. Seine warmen Lippen berührten ihre Stirn, als er sie dort zum Abschied küsste. Dann wandte er sich Kaiba zu. „Danke, dass Sie das tun.“

Der Firmenchef nickte nur und Naomie sah ihrem älteren Bruder noch kurz nach, wie er in dem dichten Schneetreiben verschwand. Hoffentlich kam er gut auf Arbeit an.

Ein Seufzer entfuhr ihr.

„Wollen Sie da festfrieren und als Eisfigur enden?“, fragte Kaiba kühl und schob seine Erkennungskarte durch den Schlitz am Eingang. „Träumen Sie nicht, sondern kommen Sie her.“

Naomie ging schnell zu ihm und schlüpfte durch die offene Tür, die sich sofort hinter Kaiba schloss, als er eingetreten war.

Die warme Luft umfing sie und eine Gänsehaut lief über ihren Körper. Ihre kalte Haut brannte unter der plötzlichen Wärme.

Ein Bad wäre gut oder ein paar Kekse, aber sie bezweifelte, dass Kaiba so etwas da hatte. Wobei bei ihm alles möglich war. Vielleicht versteckte er ja irgendwo in diesem riesigen Gebäude eine Sauna?

„Kommen Sie“, sagte er und lief zum Fahrstuhl.

Gehorsam folgte sie ihm und blieb an seiner Seite stehen, während sie darauf warteten, dass der Fahrstuhl bei ihnen ankam.

„Wir sind jetzt nur zu zweit hier“, sagte er und starrte auf die Tür.

„Okay.“

„Ich würde Sie ja in die kleine Notaufnahme hier bringen, aber es ist kein Arzt da, der sich um Sie kümmern kann.“

„Ich glaube, ein Arzt ist nicht nötig“, brachte sie heraus. Das Rattern der Aufzugtüren unterbrach sie. Schnell trat Naomie mit Kaiba ein, der das oberste Stockwerk anwählte. Der verchromte Raum hatte einen weichen dunkelblauen Teppich und war mit mehreren Spiegeln versehen worden.

Unauffällig betrachtete sie ihr Spiegelbild.

Sie war furchtbar aus.

Die Haare hingen in wilden Zotteln und Strähnen von ihrem Kopf herab. Der Schnee begann langsam zu schmelzen und in Form von Wassertropfen auf ihrer Kleidung einzuziehen.

„Wenn ich mir die Wunde an ihrer Stirn ansehe, dann bezweifel ich das“, sagte Kaiba mit einem abweisenden Tonfall.

Dieser Tonfall irritierte sie ein wenig. Bei ihren anderen Begegnungen war er doch auch nicht so gewesen.

Ihr Blick ging zur Stirn im Spiegel und sie sah etwas getrocknetes Blut an ihrer Stirn und in den Haaren.

„Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu Spaßen“, fügte er hinzu und verringerte den Abstand zwischen ihnen. Er stand mit wenigen Schritten so dicht bei ihr, dass sie die einzelnen geschmolzenen Flocken in Form von Wassertropfen in seinen Haaren sehen konnte. Ehe sie sich versah, lag seine kühle Hand an ihrem Kinn und drehte ihren Kopf vorsichtig, so dass er die Wunde begutachten konnte.

Erschrocken zog sie die Luft ein, als ein erneuter Schmerz durch ihren Kopf fuhr.

„Scheint nur oberflächlich zu sein“, sagte er und strich ein paar nasse Strähnen zur Seite. „Haben Sie Kopfschmerzen oder ist Ihnen schlecht?“

„Nur Kopfschmerzen“, sagte sie leise.

Er nickte. „Schwindelgefühl?“

Sie schüttelte leicht den Kopf, soweit er es zuließ.

„Sie wissen, was passiert ist?“

Ein nicken folgte.

„Dann scheint es ja soweit gut zu sein.“ Seine Hand lag noch immer an ihrem Kinn und hielten ein paar Haare zurück. Abrupt ließ er von ihr ab und trat wieder einen Schritt zurück.

Naomie nickte und sah auf eine Fluse auf dem Teppich. Ihr Herz klopfte stark.

„Machen Sie sich also keine Sorgen.“

Wieder nickte sie nur.

„Haben Sie Ihre Zunge verschluckt?“, fragte er und zog eine Augenbraue hoch. Irrte sie sich oder war da ein leichtes Lachen mit in seiner kalten Stimme zu hören.

Was war jetzt kaputt?

Zuerst erdolchende Blicke und jetzt das? Konnte der Mann sich auch mal entscheiden, was er wollte?

Naomie schüttelte den Kopf. „Nein, mir ist nur kalt. Vermutlich werde ich mir den Tod holen. Aber dann brauchen Sie sich keine Sorge mehr zu machen.“

„So?“ Fragend hob er wieder eine Augenbraue. „Aber dann wird mich Ihr Bruder sicherlich verklagen, weil ich nicht auf Sie aufgepasst habe.“

Naomie gab ein Schnauben von sich. War natürlich klar, dass er sich genau darum Sorgen machte. Nicht um sie.

Sie zupfte an ihrem Schal und suchte das Ende. Mit einem Mal schien sie dieses Stück Stoff zu erdrücken und die Luft abzuschnüren. Wo war nur das Ende hin gerutscht?

„So wie Sie an dem Ding zupfen, kann man sich das ja nicht mit ansehen!“, sagte Kaiba ungeduldig und zog sie an dem Schalende näher zu sich. Langsam wickelte er ihr das Stück Stoff ab und ließ es um ihren Hals liegen. Seine Hand streifte ihre Wange.

Naomie hatte scharf die Luft eingezogen und sah ihm fragend in die Augen.

„Sie scheinen ein kleiner Chaot zu sein, was?“

„Nur manchmal“, gestand sie und spürte noch immer die kleine, flüchtige Berührung. Ein kleiner Schauer durchfuhr sie.

„So kalt?“, fragte er und der Aufzug kam abrupt zum stehen. Die Türen öffneten sich und sie traten hinaus in den dunklen Flur.

Sie nickte und war froh, dass er die Röte in ihrem Gesicht in diesem Augenblick nicht sehen konnte.

„Dann sollte ich Sie wohl schnell in eine Decke packen.“ Sie gingen den Flur entlang und vorbei an einige leere Konferenzzimmer und verschlossenen Türen.

Naomie kannte den Weg. Er führte direkt zu seinem Büro.

Am liebsten wäre ihr ein Schlafzimmer mit Bett und Badezimmer gewesen. Dazu auch ein paar trockenen Sachen. Aber woher sollte sie diese nehmen? Sie hatte nichts dabei und Naomie bezweifelte, dass Kaiba in einem seiner Schränke Frauenkleider waren.

Die Nässe drückte immer mehr auf ihre Haut.

Kaiba blieb vor einer Tür stehen und zog auch dort eine Erkennungskarte hindurch. Er hielt ihr die Tür auf, damit sie in sein Büro eintreten konnte.

Wortlos folgte er ihr und schloss die Tür wieder.

Naomie sah sich in dem hell erleuchteten Raum um. Seit dem letzten Besuch hatte sich nicht viel verändert. Lediglich ihre Fotos hingen an einem Fotoseil an der Wand herunter. Sie konnte sich gut vorstellen, dass der kleine Kaiba dabei seine Finger mit im Spiel hatte. Ansonsten leuchtete nur die Lichtergirlande, die zusammen mit der Tannengirlande an seinem Schreibtisch hing.

Alles andere in diesem Raum war blass und unpersönlich.

Ein Grinsen umspielte ihre Lippen, doch auch nur kurz, denn sofort wurde sie wieder daran erinnert, dass sie in Kaibas Büro stand. Sie waren wieder alleine und sofort kam ihr wieder das Bild in den Sinn von dem beinahe Kuss.

Unweigerlich fuhr sie sich über die Lippen.

Naomie starrte auf das Webmuster des Teppichs, ohne wirklich hinzusehen.

Sie schwiegen wieder und die Stille war bedrückend.

Kaiba war wieder so distanziert wie vorhin auf der Straße. Seine Schultern waren gestrafft, als er an ihr vorbei ging. Seinen Mantel hatte er ausgezogen und er hing an dem kleinen Garderobenständer hinter der Tür.

Kaiba beugte sich über seinen Laptop und tippte etwas ein.

Langsam ging sie zu der Garderobe und zog ebenfalls Schal und Mantel aus.

Sie wagte nicht etwas zu sagen. Wieder war sie zu nervös. Eigentlich wollte sie nur nach Hause und diesen Mann aus ihrem Leben verbannen.

Ob es ihm ähnlich erging oder war das alles nur eine lästige Störung für ihn?

Naomie wünschte sich in ihre Wohnung. Dort würde sie niemanden stören und sich freier bewegen. Aber ihr Blick fiel nach draußen zu den stürmischen Flocken. Dort wollte sie heute nicht mehr hin.

Hoffentlich ging es ihrem Bruder gut und er meldete sich noch?

Sie warf ein Blick auf ihr Handy und bemerkte erstmal, wie oft er versucht hatte sie zu erreichen. Ein schlechtes Gewissen überkam sie. Dafür schuldete sie ihm einiges. Takuya musste sich wirklich große Sorgen gemacht haben und dass er auch noch Kaiba mit hinein zog, machte die Angelegenheit nicht besser.

Sie sah sich weiter in dem Raum um und versuchte ihren Blick auf etwas zu fixieren, nur nicht auf Kaiba.

Ob er merkte, wie nervös und unsicher sie nach dem Nachmittag war?

Ihr Blick fiel auf das kleine Besuchersofa. Die Kissen waren ordentlich aufgereiht und die Vorstellung dort zu nächtigen, verursachte jetzt schon Gliederschmerzen bei ihr. Auf dem Tisch stapelten sich fünf Körbe mit Schokolade, Karten und anderen Sachen, die er von seinen weiblichen Fans bekommen hatte.

Kaiba richtete sich auf und klappte seinen Laptop zu.

Hatte er nicht noch zu arbeiten?

Fragend sah sie zu, wie er zur Wand ging. Erst jetzt fiel ihr die versteckt aussehende Tür auf, die in derselben Farbe gehalten war, wie die Wand.

Kaiba verschwand in dem Zimmer.

„Wo bleiben Sie?“, fragte er ungehalten und etwas unschlüssig folgte sie ihm.

Was hatte er vor? Naomie machte sich auf alles gefasst.

Wenn er glaubte, dass er sie so irgendwie rumkriegen könnte, um das zu beenden, was heute Nachmittag angefangen hatte, konnte er es vergessen. Das sollte er mal lieber mit dem Fangirl ausmachen!

Zögerlich betrat sie den versteckten Raum und trat sofort einen Schritt zurück.

Vor ihr tat sich ein komplett möbliertes Schlafzimmer auf mit einem großen Bett, Schrank und Nachttisch.

Naomie schluckte und sah sich erstaunt um.

Sie hatte sich ja darauf eingestellt bei ihm zu nächtigen, aber doch nicht so! Das konnte er vergessen, dass sie sich in dieses riesige Bett legte. Eher holte sie sich Krämpfe bei dem Versuch sich auf dem Sofa einzuquartieren.

„Was ist das hier?“, fragte sie und sah eine weitere Tür am Ende des Zimmers. Wohin führte sie?

Nur langsam trat Naomie wieder in den Raum ein. Ihr Herz klopfte weiter und sie sah sich neugierig um.

Auch hier war keinerlei Unordnung zu finden. Das Bett schien frisch bezogen und alles war fein säuberlich zusammen gefaltet. Am Fußende lag eine kleine flauschige Wolldecke in eisblau. Es war kein Staubkorn oder Fussel zu sehen.

So viel Sauberkeit erinnerte sie an Krankenhäuser oder ganz teure Hotels. Es erinnerte sie an eine perfekte Welt, wohl wissend, dass alles nur Illusion war.

Ob sie sich einfach so setzen durfte oder würde das Unordnung machen?

Aber wenn sie es sich genau überlegte, hatte das Gästezimmer bei ihm in der Villa genauso auf sie gewirkt und sie hatte sich dort einfach so hingesetzt.

Auf dem Fensterbrett stand ein Weihnachtsstern, der etwas Farbe in das Zimmer brachte.

Kaiba stand am Schrank und wühlte darin herum.

„Stehen Sie nicht rum“, sagte er im Befehlston, „Gehen Sie unter die heiße Dusche!“

Fragend hob sie eine Augenbraue. Wo war hier eine Dusche? Doch nicht etwa hinter der Tür? Hatte Kaiba hier ein Miniapartment oder was war hier noch alles verborgen?

Er schloss den Schrank und hielt ein Bündel Stoffe im Arm. „Worauf warten Sie noch? Ich werde Sie nicht begleiten. Also Abmarsch oder wollen Sie krank werden?“

„Ich kann auch bei mir zu Hause duschen!“, wehrte sie ab und wäre schon dankbar für Tee und eine Decke. Mehr brauchte sie nicht.

„Sie lagen zwei Stunden in der Kälte und sind betrunken“, sagte er belehrend.

„Angeheitert“, korrigierte Naomie ihn schnell. Kaiba verdrehte die Augen.

„Gut, dann angeheitert. Aber Fakt ist, Sie sind unterkühlt und damit Ihr Bruder mich weiterhin in Frieden lässt und ich nicht unbedingt vor Gericht landen will, wenn Sie wegen einer Lungenentzündung drauf gehen, gehen Sie jetzt duschen!“

Kaiba öffnete die Tür und ging in den gefliesten Raum hinein.

„Was ist jetzt?“, fragte er ungeduldig aus dem Badezimmer. „Bewegen Sie Ihren Hintern!“

Wiederwillig gehorchte sie und ging durch das Zimmer. Naomie konnte sich ein Brummen nicht verkneifen.

Sie blieb in der Türschwelle stehen und sah sich um. Auch hier war es genauso sauber, wie im Schlafzimmer. Auf der Ablage lagen frische Handtücher und in der Dusche standen mehrere Shampooflaschen. Am Waschbecken standen zwei Becher mit jeweils einer Zahnbürste drin.

Ein Becher hatte Duell Monsters Figuren darauf und gehörte sicherlich dem kleinen Kaiba.

Alles wirkte blitzblank und wie neu, als ob es nie in Benutzung wäre.

„Was ist das hier?“, fragte Naomie verwirrt.

„Ein Badezimmer“, antwortete Kaiba amüsiert, „Gibt es das bei Ihnen nicht?“

Sie verdrehte über den spöttischen Kommentar die Augen. „Natürlich, aber ich meine auch das Schlafzimmer. Wozu das alles neben dem Büro?“

„Zum einen, weil Mokuba manchmal hier schläft, wenn ich wieder länger arbeite und zum anderen für mich.“

Naomie nickte nur. Was für eine dumme Frage. Für was sonst?

Kaiba klopfte auf die Handtücher. „Die können Sie benutzen und die Kleidung hängen Sie einfach auf den Bügel zum trocknen.“ Er deutete auf das Stoffbündel, das er aus dem Schrank gezogen hatte. „Das können Sie für die Nacht tragen.“

Artig nickte sie, wie ein kleines Kind.

„Gut, dann gehen Sie duschen und ich werden sehen, was in der Küche an Tee da ist.“ Damit verließ Kaiba das Badezimmer und schloss die Tür hinter sich.

Seufzend stand sie im Raum und sah sich noch einmal genau um. So wie sie da stand, wirkte es ziemlich unbeholfen und nur zögerlich nahm sie eines der Handtücher.

Sie fühlten sich wie neu an.

Es war ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass er nur wenige Räume von ihr entfernt war. Ein Déjà-Vu Gefühl überkam sie. Vor ein paar Tagen war es nicht anders gewesen. Aber da war sie auch alleine in dem Gästezimmer gewesen. Sobald sie aus diesem Zimmer käme, würde er weiterhin den Babysitter mimen.

Ein weiterer Seufzer verließ ihre Lippen. Irgendwie würde sie die Nacht schon überleben.

Laut klopfte es an der Tür. Naomie schreckte zusammen, als ihr Herz für einen Moment aussetzte.

„Ich höre die Dusche nicht!“, sagte Kaiba laut, „Jetzt gehen Sie endlich!“

Sein Ton klang ungeduldig und herrisch.

„Ja!“, rief sie genervt zurück und fragte sich, wie oft er sie noch daran erinnern wollte.

„Dann machen Sie endlich hin!“, rief er zurück und klang ungeduldig.

Naomie seufzte und wusste, dass er hinter der Tür stand und lauschte. Er würde keine Ruhe geben bis sie unter dem heißen Wasserstrahl stand. Sie traute ihm sogar zu, dass er neben der Kabine stand und darauf acht gab, dass das Wasser auch nicht zu kalt war. Aber zum Glück hatte sie da noch ein Mitspracherecht und würde Kaiba in hohem Bogen aus dem Raum werfen.

Dennoch konnte Naomie nicht verhindern, dass sie bei dem Gedanken rot anlief und ihn schnell verdrängte, ehe er in nicht jugendfreie Richtungen lief.

Außerdem, was sollte sie mit so einem Eisklotz? Er hatte unzählige Fangirls und braucht sie nicht. Seine weiblichen Fans warfen sich bestimmt gerne an seinen Hals.

Sie schüttelte den Kopf. Ihre Wangen glühten und eine Dusche hatte sich erübrigt. Aber ihm zu erklären, wieso, konnte sie schlecht. Vermutlich würde Kaiba sie noch mal in den Schnee schicken, damit sie sich abkühlen konnte.

Schnell zog sie sich schnell die Winterkleidung aus und hing sie sorgfältig auf den Kleiderbügel, damit sie trocknen konnte. Sie fühlte sich klamm an und als sie auf ihre Haut sah, sah sie leichte Rötungen von der Kälte. Aber abgesehen davon, zierten einige blaue Flecke ihre Schulter, Arme und Beine. Naomie drehte sich mit dem Rücken zum Spiegel und sah, dass dieser grün und blau war, als hätte man sie geschlagen.

Sie zog sie Luft ein. Das würde noch lange Zeit schmerzhaft sein.

Wieder klopfte es.

„Muss ich erst reinkommen, damit Sie endlich in die Dusche steigen?“, fragte Kaiba forsch.

„Wenn Sie Spaß dran haben“, gab sie zurück, ehe sie ihre Worte noch einmal überdenken konnte, „Aber ich bin schon in der Kabine.“

Sie wartete keine Antwort ab, behielt lediglich die Tür im Auge und schloss die Kabinentür. Dann drehte sie den Wasserhahn auf und stellte das Wasser auf eine angenehme Temperatur, ehe sie es auf ihren kalten Körper prasseln ließ.

Sofort schmerzte die Wärme auf ihrer Haut und die Taubheit aus ihren Beinen zog sich nur langsam zurück.

Aber es fühlte sich gut an. Es zeigte ihr, dass sie am leben war.

Naomie stellte das Wasser etwas wärmer ein und griff zu einer Shampooflasche, während das Wasser über ihren Körper lief.

Zögerlich öffnete sie die Flasche und schnupperte daran.

Ein herber Geruch stieg ihr in die Nase. Es erinnerte sie an Patchouli oder Sandelholz und doch war etwas erfrischendes mit drin, wie Zitrone.

Die Flasche sah edel aus und nicht wie eine, die man einfach so in einem Drogeriemarkt bekam.

Naomie sah sich um nach einem anderen Shampoo, aber alle Flaschen sahen so edel aus.

Sie ließ sich ein paar Tropfen auf die Hand fallen und seifte sich damit ein.

Der Geruch des herben Parfümöls stieg in ihre Nase und hatte einen typischen Männergeruch an sich.

Aber es war egal. Immerhin roch sie dann nicht mehr wie eine Wunderweihnachtstüte und nach einem ganzen Tag Arbeit auf dem Markt.

Ob er diese Räume oft nutzte, wenn er länger arbeitete? Ob er alleine war oder leistete ihm ein Fangirl Gesellschaft?

Allein bei der Vorstellung brummte sie und verdrängte die Vorstellung ganz schnell wieder.

Sie wusch sich den Schaum aus den Haaren, als es wieder klopfte.

Was wollte er denn jetzt schon wieder? Genervt seufzte Naomie auf und steckte den Kopf aus der Kabine.

„Was ist? Ich dusche ja schon!“, fuhr sie ihn durch die Tür an.

„Ich wollte nur, wissen, ob Sie noch leben“, antwortete er ruhig, „Denn, wenn Sie vorhatten sich zu ertränken, dann sollten Sie wissen, dass die Kabine nicht tief genug dafür ist. Also kommen Sie nicht auf dumme Gedanken.“

„Idiot“, murmelte sie, „Ich bin gleich fertig. Jetzt hetzen Sie nicht so!“

Sie verschwand wieder in der Kabine und schüttelte den Kopf. Hatte Kaiba aber grade versucht witzig zu sein?

Wenn ja, ein schmunzeln entlockte es ihr. Aber wann erlebte man schon so einen Stimmungswechsel von eiskalt zu charmant und witzig? Scheinbar nur bei diesem Mann.

Schnell spülte sie sich den restlichen Schaum vom Körper und stellte das Wasser ab, ehe sie aus der Dusche trat und sich in ein Handtuch wickelte. Schnell trocknete sie sich ab, bevor es kalt werden würde und Kaiba erneut klopfte, um sie voran zu treiben.

Er war es wohl gewohnt, so mit den Leuten zu reden, aber sie war keine Angestellte.

Naomie zog die Kleidung auseinander, die er ihr bereit gelegt hatte.

Es war eine einfache Pyjamahose mit einem Hemd. Die Kleidung war ihr um einige Nummern zu groß und zu lang. Doch wenn sie nicht nackt oder nur im Handtuch vor ihm aufkreuzen wollte, blieb ihr auch hier keine Wahl.

Sie zog die viel zu große Kleidung an, krempelte die Ärmel und den Hosensaum mehrfach um, damit es nicht aussah, wie ein viel zu großer Kartoffelsack. Zum Glück hing an der Hose noch ein Band zum Festschnüren. Ansonsten wäre ihr das Kleidungsstück von der Hüfte gerutscht.

Von ihren Haaren tropften noch einzelne Wassertropfen, aber das würde auch gleich aufhören. Damit Kaiba kein weiteres Mal klopfte, ging sie hinaus.

Auf dem Nachtisch stand bereits eine Teekanne und zwei Tassen, dazu etwas Schokolade. Vermutlich aus einem der vielen Körbe.

„Setzen Sie sich“, sagte Kaiba und saß auf dem Bett. Auf dem Schoß hatte er seinen Laptop. Er wirkte entspannt, wie er so auf die Tasten hämmerte.

Langsam ging sie um das Bett herum und setzte sich ihm gegenüber. Der umgekrempelte Hosensaum löste sich und fast stolperte sie darüber, konnte aber ihr Gleichgewicht halten.

Der Firmenchef sah vom Laptop auf und klappte ihn wieder zu.

Wieso arbeitete er nicht weiter? War er krank?

Kaiba beugte sich nach vorne und griff zu der Wolldecke. Er breitete den flauschigen Stoff aus und legt ihn ihr um die Schultern, damit sie sich darin einkuscheln konnte.

Perplex sah sie ihn an.

Was kam denn jetzt? Wieso war er so freundlich? Wollte er sie nur milde stimmen, weil er jetzt zu den Verhaltensregeln für die Nacht kam oder mit einer Schweigepflicht um die Ecke schoss, das ihr verbot je ein Wort darüber zu verlieren, was hier passierte?

Naomie stellte sich auf alles ein, während er ihr in die Augen sah.

„Habe ich etwas im Gesicht?“, fragte sie verwirrt und vielleicht etwas zu ungehalten.

Sofort wandte Kaiba sich mit einem Kopfschütteln ab und schenkte ihr etwas Tee ein. Er reichte ihr die dampfende Tasse.

„So wie es aussieht, haben Sie nicht genug Spinat gegessen, um in die Kleidung zu passen“, witzelte er und schob ihr den Teller mit Schokolade herüber.

Naomie seufzte und fragte sich, ob sie ein Stück nehmen sollte. Die Verpackung sah nicht nach einer Billigmarke aus. Außerdem war es sein Geschenk von einem Fan. Es wäre nicht richtig es zu essen.

Zudem zog sich ihr Magen zusammen, wenn sie nur daran dachte. Immerhin kam ihr dann wieder seine wilde Knutscherei in den Sinn.

Leise brummte sie.

„Wo ist Ihr Humor geblieben?“, fragte Kaiba und leicht hob sich seine Augenbraue.

„Der liegt noch betrunken im Schnee“, konterte sie schnell und trank einen Schluck von dem heißen Getränk.

„Und was ist mit Ihnen? Sind Sie noch angetrunken?“

Sie zuckte mit den Schultern und spürte wieder einen leichten Schmerz in den Schläfen. „Sagen wir es so, ich spüre immer noch die Tasse Glühwein, die zu viel war.“

Kaiba nickte nur. „Nehmen Sie ruhig etwas Schokolade. Ich könnte damit meine Firma pflastern, so viel ist das. Leider kann ich Ihnen nichts anderes anbieten.“

„Schon gut“, wehrte sie ab, nahm aber trotzdem nichts. Ihr Magen zog sich bei der Vorstellung etwas zusammen. Aus irgendeinem Grund schmerzte der Gedanke, sowie die Erinnerung an den Nachmittag und bohrte sich wie eine Nadel in ihr Bewusstsein.

Wieso sollte er Interesse an ihr haben, wenn er doch so viele Fans hatte? Es tat aus einem unerfindlichen Grund weh.

„Was macht die Kopfverletzung?“, fragte er und nahm ebenfalls einen Schluck vom Tee. Seine warme Hand strich über ihre Stirn schoben ein paar Haare zur Seite.

„Es tut nicht weh, wenn Sie das meinen.“

„Scheint auch nur eine kleine Wunde zu sein“, sagte er und seine Hände blieben für einen Moment länger als nötig zwischen ihren Haarsträhnen.

Sofort fing ihr Herz wieder wie wild zu pochen an. Naomie schluckte und wandte den Kopf zur Seite. Sie entzog sich seiner Berührung.

Auch wenn er es gut meinte, so schmerzte diese eher in Anbetracht dessen, was zwischen ihnen passiert war.

Kaiba ließ die Hand sinken. Scheinbar verstand er sofort und sah überfordert aus, wie er damit umgehen sollte.

Naomie wusste auch nicht, wie sie damit umgehen sollte und sah in den Tee. Schnell trank sie den Rest aus und stellte die leere Tasse auf den Nachtisch ab.

Als sie wieder zu Kaiba sah, wirkte er ein wenig gequält.

„Was haben Sie?“, fragte er nach einem weiteren kurzen Moment des Schweigens.

Naomie brummte zur Antwort. Sie biss sich kurz auf die Lippen und überlegte fieberhaft, was sie sagen sollte. Doch die Wahrheit schien zu lachhaft. Sie konnte ihm unmöglich sagen, dass es sie wurmte, dass er eine Wildfremde geküsst hatte, wenn sie doch selbst eine war.

„Ich sollte schlafen gehen“, sagte sie ausweichend und machte Anstalten aufzustehen, doch seine warme Hand hielt sie zurück an Ort und Stelle.

„Wenn Sie schlafen wollen, gut. Aber dann bleiben Sie hier. Das Sofa ist zu unbequem.“

„Und was ist mit Ihnen?“

„Ich habe noch zu arbeiten.“

Wieder brummte Naomie.

„Ist es wegen heute Nachmittag?“, fragte Kaiba, „Sind Sie deshalb so verstimmt?“

Naomie schwieg missmutig und sah auf eine Falte in der Bettdecke.

„Wieso?“

Fragte er das wirklich? Ihre Augenbraue zog sich skeptisch nach oben.

„Sind Sie sauer wegen dem Weib?“, fragte er ungläubig und sah sie aus leicht geweiteten Augen an. „Wenn es danach ginge, sollte ich dann nicht sauer sein, weil Sie sich mit dem Köter rumtreiben und er Sie auf ein Date eingeladen hat an Heilig Abend?“

„Das ist nicht dasselbe!“

„Ach nein?“

Naomie seufzte und rieb sich über die Schläfe.

„Joey ist nur ein Kollege“, sagte sie, „Aber führen wir hier grade wirklich ein Gespräch über Eifersucht, als stünden wir in einer Beziehung?“

„Scheinbar.“

„Oh Gott!“, entfuhr es ihr leise.

„Kaiba reicht völlig.“

Sie warf ihm einen genervten Blick zu.

„Also wieso sind Sie so sauer auf mich?“

„Fragen Sie das wirklich?“, entfuhr es ihr ungehalten.

„Ist es wegen dem Kuss?“

Wieder schwieg sie. Naomie wusste nicht, was sie antworten sollte. Stattdessen nickte sie leicht.

„Was soll das?“, fragte sie und zog die Decke enger um ihren Körper, als könnte es sie schützen. „Zuerst wollen Sie mich küssen und dann knutschen Sie mit dem Fangirl rum. Ist es nicht verständlich, dass ich mich da verarscht fühlte?“

Kaiba nickte. „Hilft es Ihnen, wenn ich sage, dass ich den Kuss nicht erwidert habe?“

Verwirrt sah sie ihn an. Hatte er nicht? Aber als sie sich umgedreht hatte, hatten seine Hände eindeutig auf ihrer Schultern gelegen gehabt und seine Augen waren geschlossen gewesen.

„Ich habe sie nicht geküsst.“

„Das sagen Sie mir, weil…?“, fragte sie und ließ zu, dass er sich zu ihr beugte. Sein warmer Atem streifte ihre Haut und sie roch etwas Alkohol. Offenbar war sie nicht die Einzige, die von ihnen beiden getrunken hatte. „Ich meine, es kann Ihnen doch egal sein, was ich denke, oder?“

„Im Grunde ja“, gestand er ihr zu.

„Warum sind Sie zu mir auf den Markt gekommen? Mokuba hat sie erpresst, aber ich glaube nicht, dass er sagte, dass Sie mich küssen sollen. Wieso?“

Kaiba seufzte nun seinerseits, als hätte er mit dieser Frage gerechnet.

„Es war so auch nicht geplant gewesen“, begann er leise und strich über ihre Wange. Mit seinen blauen Augen suchte er ihren Blick. „In erster Linie wollte ich Mokubas Forderung erfüllen und mich für das Geschenk bedanken.“

Ihr Herz begann wieder zu klopfen unter der Berührung. Diesmal entzog sie sich nicht.

„Wäre diese Frau nicht aufgetaucht…“

„Was dann?“, brachte sie heraus und sah ihn direkt an. Seine Hand wärmte ihre Haut und es fühlte sich merkwürdig gut an.

„…dann hätte ich das auch zu Ende bringen können.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“ Naomie glaubte ihm. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass er nicht log. Stattdessen entspannte es sich und ihr Herz begann zu flattern. Er war ihr wieder ein Stück näher gekommen, so dass seine Stirn fast ihre berührte.

Sein heißer Atem kitzelte sie ein wenig und seine andere Hand legte sich auf ihre Wange. Er hielt sie sanft fest.

„Und wie?“, fragte sie leise und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, was in ihm vorging, aber es war verschlossen wie immer. Lediglich seine blauen Augen hatten an Härte und Kälte verloren, was sie entspannen ließ.

„Das weißt du doch“, sagte er leise und es störte sie nicht, dass er zum Du übergegangen war. Im Gegenteil. Es klang gut, dass er sie nicht mehr siezte. Naomie spürte fast die Bewegung seiner Lippen auf ihrer Haut, obwohl er noch einige Millimeter von ihr entfernt war. Es war fast unerträglich zu warten bis auch der letzte Abstand überbrückt war. Die Anspannung war fast greifbar, so dass der gleichmäßige Rhythmus ihres Herzes völlig aus der Ordnung geriet.

Wieso wollte sie von ihm geküsst werden? Sonst war sie doch auch nicht so.

Lag es an dem Alkohol?

Ganz leicht öffnete sie die Lippen, atmete den herben Geruch von ihm ein und genoss das Gefühl, als seine Lippen endlich ihre berührten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  KiraNear
2015-01-05T00:24:43+00:00 05.01.2015 01:24
Pennerlinge? Ok, den Begriff kannte ich bisher noch nicht XD
Ochne, und sie denkt, dass Seto das Fangirl freiwillig geküsst hat >_<
Ich bin aber ehrlich gesagt froh, dass ihr nichts weiter passiert ist. Hab die ganze Zeit, als sie so allein da herumlief, befürchtet, dass sie überfallen werden könnte O_o
Und Seto war es bestimmt auch nicht so ganz zuwider, ihr zu helfen, wie er die ganze Zeit über tut.

Aber aww, dafür konnte er den Kuss jetzt nachholen :3

Wie immer: Tolles Kapitel und ich freu mich auf die anderen^^
Antwort von:  Frigg
05.01.2015 06:37
Pennerlinge sind diese fingerlosen Handschuhe. Ich kenn die nur unter dem Begriff, weiß nicht, ob es da och einen zweiten gibt ^^°
Antwort von:  KiraNear
06.01.2015 01:29
Ich kenn sie nur als fingerlose Handschuhe^^
Find den Begriff aber trotzdem lustig.


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