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Stille Augenblicke

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
~ Juli 2014 ~ Komplett anzeigen

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Nicht wie die anderen

Die Kirchturmuhr schlägt acht Uhr abends. Jeden Moment müsstest du rauskommen, aus der Sporthalle neben dem Waldgebiet. Du hast es mir selbst erzählt; jeden Donnerstag und Dienstag trainierst du die Dorfjugend im Handball. Die Kinder mit ihren Sporttaschen verteilen sich bereits in alle Richtungen, zu Fuß oder auf dem Fahrrad, nur du lässt dich noch nicht blicken.

Spontan bin ich aufs Motorrad und zig Kilometer zu dir gefahren, ohne mich anzukündigen, über kurvige Landstraßen und Kornfelder in voller Ähre. Gespannt auf dein Gesicht, wenn du mich siehst. Ich wäre ja nicht so impulsiv, wenn mich unsere Begegnung nicht an etwas erinnert hätte, was ich seit Jahren vermisse. Du bist der erste seit vielen, den ich näher kennenlernen will. Die Zigarette schnipse ich weg und trete sie mit dem Fuß aus.

Ganz alleine kommst du jetzt aus der Halle, in T-Shirt und kurzen Hosen, und siehst so verwegen aus wie ein Ritter nach einer gewonnenen Schlacht. Deine Sporttasche in der Hand, überquerst du in großen Schritten die Straße, ohne nach rechts oder links zu schauen.

Du läufst auf deinen schwarzen Sportwagen zu, hinter dem ich geparkt habe und erstarrst in deiner Bewegung. Ich brauche nichts zu sagen. Schon hast du mich erkannt als den echten Kerl, den du so unwiderstehlich fandest auf dem Festival, wo wir uns begegnet sind. Dass ich schwul bin, erkenne man erst daran, was ich alles im Badezimmerschrank habe, spottet Tilmann gerne.

„Du? Was machst du hier? Hab ich dich eingeladen oder was“, blaffst du mich zur Begrüßung an im fränkischen Dialekt.

Dein Gesicht ist rot vor Zorn oder vor Scham. Scham darüber, dass du dich von mir hast ficken lassen. Du, der Hetero. Insgeheim wolltest du es und hast mir die Signale gesendet. Deine Freundin, mit der du dort warst, hat es noch nicht mal mitgekriegt.

„Ich hab keine Zeit.“ Du öffnest den Kofferraum, wo du deine Sporttasche verstaust. Und ich stehe neben dir und habe eine Hand im Auto, die andere an deinem sonnengebräunten Oberarm, wo ein Tigerkopf tätowiert ist. Du riechst wie frisch geduscht und hast sogar noch nasse Haare.

„Okay.“ Deine Nasenflügel beben. Jetzt musst du dich mit meiner Anwesenheit befassen und kommst gar nicht mehr so selbstsicher rüber wie in deinen SMS. „Ich sag es dir im Guten: Verpiss dich.“

Ich nehme lieber die Hand weg, was ein richtiger Impuls war, denn jetzt knallst du den Kofferraum zu, ohne Rücksicht auf Verluste.

Schon habe ich mein Handy in der Hand und halte dir deine nicht jugendfreie SMS vor die Nase.

Du quittierst es mit einem Achselzucken. „Da hab ich mir einen runtergeholt und ein bisschen Kopfkino gehabt. Aber jetzt ist der falsche Zeitpunkt.“

„Geilheit alleine hat mich nicht hergebracht, Thomas.“ Ganz, ganz bestimmt nicht. Wäre es bloß das, ich würde es viel einfacher im FASS bekommen, oder in der mannbar, wenn ich etwas Geduld mitbringe. Aber ich will dich. Weil du nicht wie die anderen tickst.

„Was dann? Glaubst du, ich schieß deinetwegen meine Verlobte in den Wind oder was?“ Du lachst, und schaust dich um, ob uns auch niemand beobachtet, denn das hier ist deine Heimat, wo dich jeder kennt. „Niemals“, fügst du noch mal mit Nachdruck hinzu. „Und ich will Kinder irgendwann.“

„Ich auch.“

Du schnaubst bloß wie nach einem guten Witz und gehst an mir vorbei zur Fahrertür, die du etwas sanfter zumachst als den Kofferraum zuvor. Dein Motor springt an und du fährst los ohne dich anzuschnallen. Du siehst mir hinterher und ich dir auch.

Nein, ich glaube keinen Sekundenbruchteil lang, dass du mich zurückfahren lässt, ohne dich noch ein Mal erobern zu lassen.

Richtig. Du wendest an einer Einfahrt und rufst mir durch die heruntergelassene Scheibe „Fahr mir nach!“ zu.
 

Ich folge dir immer tiefer hinein in den Wald. Bald hältst du an einer Lichtung bei einem grünen Tümpel an, wo ein Kauz schreit und schaltest den Motor ab. Ich tu es dir gleich, nehme den Helm ab und gehe zu deinem Auto. Deine Gesichtszüge sind jetzt weich, dein Lächeln verführerisch wie neulich. Ich kann mir gut vorstellen, dass du in deiner Jugend das ein oder andere Mädchen hierher gebracht hast. Deinen Arm, den du am offenen Fenster gelehnt hast, durchzieht eine Gänsehaut, als ich ihn streichele.

Du steigst wortlos aus. Lässt dich von mir küssen und kannst nicht genug kriegen. Gut, dass ich auf alles vorbereitet bin. Deine geheimen Fantasien kenne. Es ist mein erster Sex auf dem Rücksitz eines Autos. Die Sekunden sind kostbar. Ich will dich nie wieder loslassen…
 

„Wann treffen wir uns wieder?“, fragst du, als wir wieder Atem haben. An dem Felsen, auf dem du deinen Fuß abgestellt hast, flitzt ein Lurch vorbei.

Thomas, du Lurch. Wie du die Ufer je nach Belieben wechselst, wie die Amphibien von Wasser zu Land… Du profitierst von den Sonnenseiten beider Sexualitäten, ohne ihre Schatten erfahren zu müssen. Sowohl Sicherheit, Familie, gesellschaftliche Anerkennung auf der einen; als auch Adrenalinkicks, unkomplizierten Sex ohne Verpflichtungen und der Reiz des Verbotenen auf der anderen. Noch ist dir dein Privileg gar nicht bewusst, ebenso wenig, wie sehr ich dich darum beneide, so zu sein.

Ich schüttele heftig den Kopf und wende mich zum Gehen.

„Wieso? War es nicht gut?“

Darum geht es nicht, verdammt! Nie würde ich mehr sein als deine Affäre, soviel ist klar. Sorry Thomas, aber Kerle, die mich allein nach Hause gehen lassen, hat die City genug, da muss ich mir keine Ficks in der Provinz holen, dafür ist mir der Sprit zu schade.



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