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One Day

or the Other
von

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Das Wetter am 25. April spiegelt meine Laune perfekt wieder. Schwere graue Wolken hängen über dem Himmel, drohend, dass sie bei kleinster Irritation platzen. Allerdings auch unsicher, ob es fair ist zu regnen! All die Leute ohne Regenschirm, die Vertrauen in das Wetter haben würden so enttäuscht sein. Würde es einen Grund zum regnen geben? Sollte es einen Grund geben?
Ich gebe zu, wahrscheinlich war das etwas zu metaphorisch. Im großen und ganzen ist meine Stimmung düster. Bereits seit dem Morgen trug ich Gewitterwolken in meinem Schädel umher und man könnte sagen, ich sei mit dem falschen Fuß aufgestanden. Doch tatsächlich wusste ich schon gestern, dass es heute donnern sollte. Oder die Chance zum Donnern besteht. Die Arbeit hat wirklich nicht geholfen, mir die Laune zu erhellen. Lorene warf mir ständig pikierte Blicke zu. Vielleicht lag es auch daran, dass ich sie den ganzen Tag ignoriert habe. Aber John zum Beispiel brachte allen einen Kaffee mit, nur mir nicht. Von allen wurde ich nur verhalten begrüßt, nicht mit gewohntem Überschwang. Nicht mal Lob bekam ich von irgendwem! Na gut, vielleicht war ich allen ein wenig miesepetrig gegenüber und eigentlich weiß ich ja auch Bescheid. Sie haben Angst, sie sorgen sich, heute nett zu mir zu sein, weil sie fürchten, dass ich ausraste. Dass sie mich so ernst nehmen würden, hatte ich ja nicht wissen können. Sie taten leider bloß, was ich mir gewünscht hatte.
 

Erleichtert atme ich auf, als ich meine dunkle Wohnung betrete und zünde ein paar Kerzen an. Es ist gut, nun alleine zu sein und ich hoffe, alles wird bis morgen wieder normal sein, denn ich liebe die Arbeit und meine Kollegen. Selbst wenn ich sie niemals nach Hause einladen würde. Meine Wohnung ist atemberaubend groß und geräumig, mit hohen Decken, doch sie ist auch karg. Seit ich vor fast zwei Jahren hier eingezogen bin, hat sich kaum etwas geändert. Ich habe mich um nichts gekümmert, denn ich hatte nie einen Plan. Damals bin ich so überstürzt mit meinen paar Möbelstücken hierher gezogen, dass ich kaum Zeit zum einrichten hatte, geschweige denn zum Inventarshoppen. Als dann die Arbeit zunahm, wurde es auch nicht besser. Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass ich wenigstens ein paar Mal herumgeschoben habe. Wenn man so wenige Möbel hat, geht das ganz gut. Außerdem tue ich zumindest so, als sei es mir egal, damit ich es hier besser aushalte. Ich bekomme ohnehin wenig Besuch. Meine Freundinnen versuchen immer aus mir heraus zu kitzeln, was ich noch gebrauchen könnte, doch erfolglos. Mama ist wie immer ganz verständnisvoll und tauscht nur verheißungsvolle Blicke mit Dad. Sie glaubt, meine Abgeschiedenheit hätte auch mit meinem Freund zu tun, aber das stimmt nicht. Bei Scorpius und mir ist alles gut, schätze ich. Auch wenn ich länger nicht von ihm gehört habe, selbst heute nicht, worum ich ausdrücklich gebeten hatte. Doch dass er sich daran hält, hatte ich nicht erwartet. Nach dem letzten Mal haben sie wohl alle genug vom Desaster.
 

Neugierig schlendere ich zum Briefkasten und fühle mich bestätigt. Dort sind Briefe. Mit überlegener Genugtuung braut sich bereits die vorbereitete Wut in mir zusammen. Wem würde ich eine Standpauke halten müssen? Hastig griff ich nach den Umschlägen und beim Lesen der Versender verpufft mein Zorn enttäuscht. Bloß Reklame und ein Brief von meinem Heiler wegen der anstehenden Routineuntersuchung. Ich werfe sie alle in den Kamin und entfache das Feuer, dann sinke ich daneben in einen Sessel und meine Augen werden heiß. Ich ignoriere es.

Mein ganzes Leben lang habe ich Menschen gehasst, die negatives Theater um ihren Geburtstag machten. Es war wohl kaum schlimm, gefeiert zu werden; den Menschen, die einen lieben, die Chance zu geben, ihre Liebe zu bekunden! Es war nicht so schlimm Kuchen zu essen, zu tanzen, sich zu besaufen und zu lachen. Wenn du die Geschenke so blöd findest, gib sie halt an Waisenkinder, habe ich immer genervt gedacht, wenn jemand eine lange Miene am eigenen Geburtstag zur Schau trug. Aber das hier ist anders. Ich habe Geburtstage immer geliebt. Die Aufmerksamkeit und akzeptierten Extrawünsche. Die wütenden Mienen meiner Brüder, weil sie meine Kasper spielen mussten. Ganz klar der beste Tag des Jahres und unter normalen Umständen, hätte ich heute die Bude voll mit gut gestimmten Menschen und ihren Geburtstagsgaben. Aber die Umstände sind nicht normal und nicht alle könnten teilhaben. Der 25. April ist nicht mehr mein Geburtstag und er wird es nie wieder sein. So ist es seit...

Jedoch bin ich nicht stark genug, denn ich weiß, wenn ich jetzt beginne zu weinen, höre ich bis in die Morgenstunden nicht mehr auf. Also erhebe ich mich hastig und stelle mich unter die heiße Dusche. Dort verweile ich eine halbe Ewigkeit. Das Wasser läuft kochend über mein Haar und meinen Rücken. Anders als ich gehofft hatte, entspannt es meine verkrampften Muskeln nicht. Ich bleibe trotzdem stehen. Vielleicht kann das Wasser zumindest meinen Schmerz wegbrennen. Oder meine Erinnerungen an das verheerende Geburtstagsfest. Das schönste von ihnen, die ausgelassenste Feier der Potter-Weasley Geschichte. Den Höhepunkt meines jungen Lebens.
 

Vor meinen Augen explodieren die Farben und wieder tanzte ich in der Abendsonne eines gut gelaunten Apriltages. Sasha, mein Exfreund war auch da, erinnere ich mich.. Nur, dass er damals noch mein Freund war. Er hockte bei einer Gruppe schwatzender junger Männer, ich glaube, dass Albus auch dabei saß. Aber Sasha beteiligte sich nicht an der Konversation. Ich wusste, wo er saß, aber ich entschied mich, ihn zu ignorieren. Es war kein Tag für Sorgen und um die Konsequenzen würde ich mich nach dem Aufstehen kümmern. So blendete ich ihn aus und konzentrierte mich auf die schweren Hände, die auf meiner Hüfte ruhten. Auf Scorpius Augen lag ein Alkoholglanz, doch an ihrer Tiefe konnte ich ablesen, wie klar sie mich sahen. In meinem Leben hatte ich einen Mann nicht so mit mir tanzen lassen, aber unter seiner Führung fühlte ich mich nicht falsch. Ich fühlte mich glücklich und verschob Sorgen wie meinen wütenden Onkel und Freund in eine andere Welt. Ich wusste ja nicht, was als nächstes passieren würde.

In einer Sekunde waren Scorpius warme Finger unter meine Bluse gerutscht, in der nächsten hörte ich den dumpfen Aufprall. Blitzschnell bildete sich eine wild rufende Menschentraube, durch die ich mich mit aller Macht kämpfte, nur um meinem Irrwicht gegenüber zu stehen. Sie lag auf dem Boden, gestürzt auf die eine oder andere Weise und ich sah die Schuld in ihren Augen. Die Schuld, die so völlig unnötig war. Ihre runzligen Hände griffen meine mit letzter Kraft und ich war schon vor Tränen ganz aufgelöst, als ich endlich neben Oma Weasley kniete. Mit einem Ruck drehe ich das Wasser eiskalt und es schießt mir schmerzhaft den Rücken hinab. Mit schwerer Brust sauge ich hastig Luft ein, als die Kälte mich so plötzlich übermannt, doch ich bin zu spät. In meinen Ohren dröhnt ihre Stimme wie ein Tinitus. Eine alte Frau stirbt, ein junges Mädchen lebt.
 

Sie hat es gesagt, als ob es meine Schuld sei und ich weiß, dass sie es so nicht gemeint hat. Aber es wird mich niemals loslassen. Hart beiße ich mir auf die Faust, um das Sausen in meinen Ohren fortzujagen. Dann drehe ich das Wasser ab und steige bibbernd aus der Dusche. Meine einzige Option ist beschäftigt zu bleiben, also wickele ich mir ein flauschiges Handtuch um und tapse in das Wohnzimmer, dessen Fußboden aus Beton besteht. Dann halte ich mitten in der Bewegung Inne, denn ich habe weitere Füße auf meinem Boden entdeckt. Mein Kopf schnellt hoch und ich erkenne Scorpius. Unter normalen Umstände hätte ich ihn in diesem Aufzug liebend gern verführt, doch stattdessen furchen sich meine Brauen scharf zusammen. Auch er nimmt anders als sonst keine Notiz von meiner entblößten Haut, sondern fixiert milde lächelnd meine Augen.

“Was machst du hier?”, empöre ich mich und suche ihn nach einem Päckchen oder einer Karte ab. Unschuldig hebt er die Hände.

“Ich wusste nicht, dass ich Hausverbot habe.”

“Du weißt genau -”, setze ich an, aber etwas in seinem Blick bringt mich zum Schweigen.

“Keine Panik, Lily, ich bin nicht hier, um mich irgendwie deinen Regeln entgegen zu stellen.”, versichert er und ich bin überrascht, dass er so offen über das Thema spricht. Alle anderen tun einfach so, als sei heute mein Nichtgeburtstag. Als müsse man extra unfreundlich sein, damit ich ja nichts als Geburtstagsgefallen aufnehme. “Ich wollte nur heute Abend neben dir einschlafen, aber ich verstehe, wenn es dir lieber ist, dass ich gehe.”

“Geh nicht.”, sage ich rasch, allerdings klingt es eher wie eine Art Gurgeln, da mir ein riesiger Kloß im Hals steckt. Ich haste auf ihn zu und schlinge meine Arme um seinen breiten Körper, dann kann ich die Tränen nicht zurückhalten. Er reagiert rasch und hält mein Handtuch oben, dann umarmt er mich beschützend und drückt mich an seine Brust, wo ich verzweifelt sein Hemd einweiche. Ich schluchze und zittere, weil ich traurig bin, über den Verlust des mir liebsten Menschen auf der Welt und weil ich wütend bin darüber, wie ungerecht ich mich verhalten habe vor einem Jahr, als ich meine Familie und Freunde anschrie und aus der Wohnung jagte, denn sie hatten sich meinem Geburtstagsverbot widersetzt. Wie sehr hasse ich mich seit jeher, sie so verletzt zu haben, aber am Todestag meiner Oma will ich niemals feiern. Ich will sie ehren und im Herzen behalten, aber es wird nie ein fröhlicher Tag sein für mich. Ich schluchze allerdings auch, weil ein heftiges Gefühl der Liebe für Scorpius mich überkommt. Auch zu ihm war ich so unfair, aber er ist noch immer hier. Er ist der beste Mensch, mit dem mich die Welt gesegnet hat.
 

Ich glaube, ich bin sogar mit Handtuch eingeschlafen an dem Abend und seitdem ist alles ok. Meine Arbeitskollegen sind wieder zur Normalität zurückgekehrt und auch für mich ist es einfacher die Traurigkeit des Tages hinter mir zu lassen. Ich mache mir jetzt mehr Mühe Scorpius zu schreiben. Immerhin reicht es wohl, eine Woche lang zu trauern und seine Schuld war nichts von alledem. Irgendetwas in seinem Auftauchen hat mich geändert. Noch immer will ich den schrecklichen Tag nicht feiern, aber ich komme besser mit den Tatsachen klar. Vielleicht brauche ich ihn einfach immer am 25. April bei mir, so wie damals. Dann fällt es mir auf der Arbeit wie Schuppen von den Augen und ich verschlucke mich heftig am Bürokaffee. Brutal huste ich, sodass Lorene zu mir geeilt kommt und etwas zu heftig auf meinen Rücken schlägt.

“Danke, Lorene.”, presse ich mühsam heraus, damit ihre Hiebe mir nicht die Rippen brechen und sie scheint auch erleichtert, als sie nicht mehr versuchen muss, mir das Leben zu retten.

“Alles in Ordnung?”, erkundigt sie sich mit ihrer hellen Stimme.

“Ja!”, versichere ich. “Mir ist nur etwas schreckliches aufgefallen.”

Ihre Augen werden groß vor Sorge. Sie scheint wie die meisten den Zusammenhang zwischen mir und etwas Schrecklichem gar nicht leiden zu können.

“Der... Tag an dem-”

“Ja, ich weiß schon.”, unterbricht sie schnell. Ich glaube, sie tut es, um mir einen Gefallen zu tun. Vielleicht hat sie Angst, ich würde einen Koller kriegen, sollte ich das Ereignis beim Namen nennen.

“Gut, also, das istauch mein Jahrestag. Mit Scorpius. Seit dem sind wir zusammen.”, sage ich bitter und schlucke schwer. “Seit zwei Jahren bin ich mit einem Wahnsinnsmann zusammen und nicht nur habe ich ihn total ungerecht behandelt, ich habe auch noch unseren Jahrestag ruiniert und vergessen.” Das Elend muss mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn nun ist Lorene ehrlich mitleidig.

“Ich bin sicher, er versteht es.”, muntert sie mich auf, doch es geht nach hinten los.

“Natürlich! Er versteht alles, nimmt immer Rücksicht. Ich hingegen stapfe durchs Leben wie ein gefühlloses Nilpferd und ignoriere ungewollt die Tatsache, dass ich überhaupt einen Freund habe. Was, wenn er denkt ich will nur ab und an mal mit ihm schlafen und wenn er seine Arbeit getan hat, kann er wieder gehen!” Absolutes Entsetzen nimmt mich ein, während mir diese Tatsache zum ersten Mal bewusst wird. Wahrscheinlich übertreibe ich auch ein wenig, aber man muss die Dinge von schlimmst möglichen Winkel betrachten, nur um sicher zu gehen. In all meinem Kummer habe ich mich wie ein totaler Idiot verhalten und es war mir noch nicht einmal bewusst! Plötzlich wird mir auch klar, wie viel er mit seinem unscheinbaren Besuch in mir geändert hat und wie wenig ich zuvor ich selbst war. Das alles stürzt mit solcher Wucht auf mich ein, dass ich nicht einmal ausmachen kann, ob mich die Tatsachen komplett zerstören, oder vielleicht sogar ein wenig heller stimmen.
 

Nach ein paar Minuten wird mir bewusst, dass auch Lorene noch dort steht und ganz unsicher von einem Fuß auf den anderen tritt.

“Achso, danke!”, sage ich und lächele ihr freundlich zu. Nun ist sie total überfordert und kehrt mit wohl schwirrendem Kopf an ihren Arbeitsplatz zurück. Irgendwie muss ich es für Scorpius wieder gut machen. Ich weiß, dass er es mir mit Sicherheit nicht übel nimmt und nichts erwartet, aber ich selbst erwarte mehr von mir. Sehr viel mehr! Anstatt mich auf die Zahlen vor mir zu konzentrieren zermartere ich mir den Kopf über mögliche Wiedergutmachungsversuche. Ich könnte mir mal wieder neue Unterwäsche zulegen. Richtige sexy Frauenunterwäsche. Da würden ihm aber die Augen ausfallen, denke ich kichernd, bis mir einfällt, dass es dann vielleicht wieder so rüber kommt, als sei er nur ein Zeitvertreib. Wobei Männer wohl nie genug von Sex bekommen, oder? Beschweren wird er sich kaum, aber ich muss noch etwas hinzunehmen. An einem Jahrestag wären wir wohl schick essen gegangen, aber das ist zu verräterisch. Nach viel Kopfzerbrechen entscheide ich mich für luxuriöses Take-away Abendessen (inklusive Stachelbeerkuchen, den er so gerne mag), einem schicken Umhang seiner Liebslingsfirma und neuer Unterwäsche für mich. Gerade als ich los will, flattert mir ein Memo in den Schoß.

‘Heute Abend Zeit? S.’ steht dort in unverkennlich feinsäuberlicher Männerhandschrift. Perfekt, denke ich.
 

Die Tüten unter meinem Arm betrachtend frage ich mich, ob sie nach schlechtem Gewissen geradezu schreien. Aber das ändert jetzt auch nichts mehr. Gekauft ist gekauft und spätestens beim Abschluss des perfekt geplanten Rendezvous wird ihm sowieso der Verstand flöten gehen. So viel Selbstbewusstsein hatte ich glaube ich lange nicht und wieder feuert mich die Energie an, die meine Erkenntnis über die wahnsinnig perfekte Beziehung, die ich führe, mir gegeben hat. Beschwingten Schrittes trete ich den Nachhauseweg an und merke wie sehr ich mich beeilen muss, wenn ich vor seiner Ankunft noch ein wenig Aufräumen und vorbereiten will. Ich sprinte also die Treppe hinauf und schließe schweratmend auf, eile ins Wohnzimmer und mit einem Mal entflammen alle Kerzen im Raum und ein im Chor gerufenes “Überraschung” verscheucht die Stille. Erschrocken fahre ich zusammen und starre dann auf den versammelten Trupp in meinem Wohnzimmer. Da sind Mum und Dad und Albus und James und Lucy, Hugo, Rose und Louis und Opa und natürlich Scorpius.
 

“Ähm.”, stottere ich in ihre strahlenden Gesichter und dann klappt mir die Kinnlade herunter, als ich feststelle, dass ich gar nicht in meinem Wohnzimmer stehe. Sie rücken zur Seite, damit ich einen besseren Blick habe. Der harte graue Boden ist mit einem riesigen gemütlich ausschauenden Teppich belegt, welcher einen halben Meter zu jeder Wand lässt. Mein altes Sofa steht an der mir gegenüber liegenden Seite und ein paar offensichtlich handgemachte Kissen thronen jetzt darauf. Alte stabile braune Kisten haben sie zusammengenagelt und eine Glasplatte darauf gelegt, welche jetzt als Tisch dienen. Mein Sessel steht auch dort und blickt auf eine riesige Vase mit einem traumhaft schönen Bouquet. Eine Stehlampe mit ebenfalls selbstkreiertem Schirm spendet Licht in einer Ecke und erst jetzt wird mir bewusst, dass an der Wand gegenüber des Kamins eine schmale Treppe hoch führt. Oberhalb meines Sofas und etwa ein Drittel in den Raum hinein ist die Decke jetzt tiefer und ich erkenne, dass sie auch als Boden dient. Oben darauf stehen Holzregale, die größtenteils mit Büchern gefüllt sind. Meine, aber auch Spenden der anderen. Bücher, die ich mir ihres Erachtens antun sollte. Und weiter hinten an den Bücherregalen vorbei liegt eine Matratze auf dem Boden, bestückt mit vielen Kissen, damit ich mich entscheiden kann, ob ich dort oder im Wohnzimmer lesen will.

Selbst nach der Inspektion steht mir noch unattraktiv der Mund offen. Ich schließe ihn bewusst. Dann öffne ich ihn wieder und schließe ihn.
 

“Herzlichen Glückwunsch!”, jubelt Lucy und meine beste Freundin rast mir in die Arme. Nun ist mein Mund wieder auf und ich verstehe gar nichts mehr. Da die Umarmungsjagd eröffnet ist, stürzen sich alle auf mich und versuchen mich möglichst bald an ihre Brust ziehen zu können. Albus und James zerren regelrecht an mir, sodass ich weiß, dass sie nur Schauspielern. Mum drückt mir einen Kuss aufs Haupt und Dad wuschelt gleich darauf darüber. Nachdem sie alle wieder ein wenig Abstand genommen haben, ist die Spannung beiderseits etwas abgeklungen und ich habe meine Stimme wieder gefunden.

“Danke.”, murmele ich überwältigt, doch meine Verwirrung muss mir anzuhören sein und so erklärt meine Mutter.

“Es ist der zwölfte Mai, vor zwei Jahren bist du aus- und in deine neue Wohnung gezogen, aber wir haben sie nie eingeweiht!”, ihre Worte sind gegen Ende beinahe mahnend, als hätte ich meiner Behausung Unrecht getan. “Außerdem glaubst du doch nicht, dass wir es uns entgehen lassen, dich bis ans Ende deiner Tage unbeschenkt davon kommen lassen? Wir haben den neuen perfekten Tag gefunden, um dich gebührend zu feiern und auf Händen zu tragen.”

Feierlich lächelt sie mich an und wie aufs Stichwort katapultieren meine Brüder mich in die Luft.
“Ein Hoch auf Lily!”, jubeln sie und alle johlen und klatschen und dann ist da plötzlich Sekt und Musik und die Kerzen schweben an meinen kargen Wänden. Hugo und Rose zerren mich in Richtung des Wohnzimmertisches auf dem sich noch einige Geschenke türmen. Eins nach dem anderen mache ich sie auf und das unsichere Gefühl verlässt mich nach dem ersten Glas Sekt. Lucy schenkt mir einen Spiegel fürs Bad.

“Beim letzten Besuch bin ich fast verzweifelt!”, zetert sie und grinst. “Außerdem kannst du mich damit auch kontaktieren.”

“Und du kannst mich vor deinem nächsten Überraschungsbesuch kontaktieren.”, erwidere ich gespielt brummig und sie beschwert sich bei einem unbestimmten Umstehende darüber, dass ich offensichtlich nicht wisse, was eine Überraschung ist, während ich das nächste Päckchen ergreife. Sofort steht Scorpius hinter mir und legt mir seine Arme um. Ich küsse ihn kurz und öffne dann das Papier. Heraus ziehe ich ein gerahmtes Foto. Es zeigt mich und Scorpius. Ich trage ein mir vertrautes helles Kleid und wir tanzen. Er steht hinter mir, so wie jetzt, seine Hände auf meinen Hüften und ich lache ihn über die Schulter an, während wir zu stummer Musik tanzen. Es ist wunderschön und ich habe es noch nie gesehen.

“Das ist von meinem Geburtstag.”, wispere ich.

“Nein, das ist von dem Tag, an dem ich endlich dein Herz gewonnen habe.”, widerspricht er warm und ich muss lächeln.

“Das hast du.”, flüstere ich und küsse ihn. “Danke.”
 

Ich erhalte weitere Gegenstände für meine Wohnung, wie einen Messerblock und ein Kochbuch namens Grilled Cheese Charms. Die blutsverwandten Rabauken schenken mir einen lustige Sprüche für die Toilette, die gar keinen Sinn machen. (“Dip your wand in the pond.”, “Wasch die Hände am Tag und die Hose, wann du magst.”, “Tschuldige hier ist das Klo, Liebe macht man anders wo.”)

Skeptisch blicke ich die großen dunkelhaarigen Jungen an.

“Habt ihr euch die selbst ausgedacht?”

“Ja, klar!”, erwidern sie mit erst stolzer Mine, doch dann erscheinen sie unsicher.

“Klasse!”, grinse ich und drücke meine Brüder an mich. “Dann hänge ich sie auf jeden Fall auf!” Begeistert klatschen sie sich ab. Von Mum und Dad bekomme ich noch eine Kamera mit dem Vorschlag eine Fotowand zu erstellen, um den Beton an der Wand aufzuhellen. Begeistert nehme ich das Geschenk entgegen und knipse gleich los. Kuchen wird aufgetischt und die Musik lauter gedreht und bald bin ich wieder in meiner eigenen Welt, mit einem blonden Mann, dem ich mein Lächeln viel zu selten geschenkt habe.
“Danke.”, sage ich und er nickt.

“Na klar. Alles Gute, meine Lily.”, wünscht er mir und ich küsse ihn. Einen Moment tanzen wir so weiter, dann verändert sich etwas in seinem Ausdruck.

“Wofür waren eigentlich die Tüten, die du mit rein geschleppt hast.”, fragte er neugierig und ich blickte verlegen nach unten. Ich hatte meine Einkäufe beim großen Begrüßungstrubel zur Seite geschoben.

Beiläufig zuckte ich mit den Schultern.

“Ich glaube, wir müssen uns einen neuen Jahrestag suchen.”, gestehe ich und sobald ich ihn breit lächeln sehe, muss auch ich lachen. Von nun an ist der 12. Mai mein Lieblingstag.



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