Kapitel 2
Es war spät am Abend, als Naruto die Tür zu seiner Wohnung aufschloss und hineintrat. Überall standen noch gepackte Kartons, die nur darauf warteten ausgepackt zu werden. Doch bisher hatte Naruto keine Zeit dafür gefunden dies zu tun – immerhin war er erst am Wochenende hierher gezogen und empfand es für wichtiger die Stadt nach einem Rahmenstand abzusuchen.
Erschöpft kämpfte er sich durch die Berge an Kartons ins Schlagzimmer, wo er sich sogleich seiner Arbeitsuniform entledigte und diese achtlos auf den Boden warf. Er hatte Hunger, musste unbedingt duschen und auch Schlaf hatte er dringend nötig – doch etwas anderes übertönte dies alles; die Neugier an Sasukes Akte. Kurzerhand griff er nach der besagten Akte und warf sich mit dieser auf sein großes Bett.
Naruto blätterte durch die etlichen Zettel, lass hier und da einige Untersuchungsberichte. Im Gegensatz zur 'Alten Lady' war Sasukes Zustand etwas komplizierter. An sich schien er ein normaler Junge gewesen zu sein – er war gerade mal 16 Jahre alt, besuchte eine staatliche Schule im angrenzenden Ort und seine Familie führte ein großes Imperium. Es gab keine Erkrankungen und auch keine Bemerkungen über ein auffallendes Verhalten.
Doch ein bestimmter Tag schien dies alles verändert zuhaben. Die folgenden Seiten befassten sich mit dem besagten Tag, doch die unsauberliche Schrift machte es dem blonden schwer alles zu lesen. Haareraufend blätterte er einige Seiten weiter, ehe er auf eine CD stieß. Sofort sprang er auf, lief nur in Boxershorts gekleidet ins Esszimmer und wühlte in etlichen Kartons, bis er seinen Laptop fand. Nach dem dieser hochgefahren war, legte er die Cd ein und nahm auf einem Stuhl platz. Augenblicklich erschien ein Video, dass einen schwarzhaarigen Mann beim Verhör der Polizei zeigte. Naruto schluckte hart – ein Video war viel intensiver und emotionaler als ein einfacher Bericht.
Er überlegte eine Weile; natürlich wollte er alles wissen, immerhin hatte er sogar eine Art Auftrag erhalten, die Akte vollständig zu lesen. Doch sein Magen zog sich zusammen – wollte er wirklich wissen, was passiert war? Was diesen Jungen dazu brachte, sich die Pulsadern aufzuschlitzen?
Nach einer, für ihn endlosen Zeit, raffte er sich noch einmal hoch und durchforstete seine Küchenschränke. Da die meisten noch nicht eingeräumt waren, fand er schnell was er suchte; eine Flasche Wein. Eigentlich war Naruto gar kein Weintrinker, generell trank er wenig Alkohol. Jedoch hatte er von seinem alten Arbeitgeber bei seinem Umzug diese geschenkt bekommen – ein obligatorisches Geschenk, was er bis eben noch als einfallslos betiteln würde, doch scheinbar ahnte sein Chef, dass Naruto diese in seinem Beruf einmal gebrauchen würde. Schrecklich, dass dies schon am ersten Tag der Fall war.
Mit einem Glas und der Flasche bewaffnet setzte er sich wieder vor seinen Laptop und fühlte sich nach einem großen Schluck des Rotweins in der Lage, das Video abzuspielen.
„Sasuke war schon immer ein Einzelgänger.“, ertönte es nun aus den Lautsprechern seines Laptops. „Er interessierte sich nicht viel für das Imperium seines Vaters. Traurig, immerhin sollte er einmal der Nachfolger werden. Auf dem Familientreffen sollte es dann endlich beschlossen werden – doch“, der schwarzhaarige Mann vor der Kamera holte tief Luft. Zu sehr schockierte es ihn das Geschehene wiederzugeben. „Doch .. eine kleine Bemerkung von seinem Vater – das dieser von Sasuke verlange, innerhalb der nächsten 4 Jahre eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen – veränderte Sasukes Verhalten. Immerhin hatte dieser sich als Homosexuell geoutet.“ Naruto nahm einen großen Schluck vom Rotwein – heutzutage sprach zwar jeder von Toleranz bezüglich Homosexualität, jedoch hatte Naruto es selbst am Leibe gespürt. Ja, denn er war Bisexuell. Er wollte Liebe nicht anhand eines Geschlechtes definieren und seine Großmutter hatte dies auch akzeptiert - nur leider nicht sein komplettes Umfeld.
„Das sein Vater diese Tatsache einfach zu seinem Gunsten überspielte, machte Sasuke zum Mörder. Die Situation eskalierte, Sasuke rannte aus dem Zimmer.“ Eine kurze Pause herrschte, in der sich der Mann eine aufkommende Träne aus dem Augenwinkel wischte. „Ich verließ kurz das Zimmer um in der Küche etwas zu holen. Genau in dem Zeitpunkt kam Sasuke wieder – er hatte sich die Waffe seines Vaters geholt und.. und er erschoss jeden. Wahllos schoss er durch die Gegend. Ich hatte mich versteckt, konnte aber sehen, wie die anderen zu Boden glitten. Er hatte mich nicht bemerkt, sonst wäre ich jetzt wohl auch tot. Er warf die Pistole auf den Tisch und verließ das Zimmer wieder, woraufhin ich die Polizei rief.“ Der abgebildete Mann rang nach Fassung. „Sasuke wollte sich daraufhin umbringen, in dem er sich die Pulsadern aufschnitt. Doch er wurde gerettet. Wissen sie, ich bin nicht böse auf ihn – ich bin zu tiefst erschüttert, dass es so weit kommen musste. Ich will, dass er in einer Psychiatrie lernt zu begreifen, was er getan hat.“
Das Video endete und ließ Naruto mit einem rießen Chaos im Kopf alleine. Nur zaghaft griff seine Hand wieder nach seinem Weinglas, ehe er dieses in einem Zug entleerte.
Erst nach dem zweiten und anschließend dritten Glas sackten die etlichen Informationen erst und ließen ihn wieder einigermaßen klar denken. Dies war also seine Geschichte; der Grund für Sasukes Aufenthalt in der Psychiatrie – das intolerante Verhalten seines Vaters!
Naruto spielte das Video noch ein zweites Mal ab, versuchte alles Wort für Wort in sein Gehirn einzubrennen. Doch die Informationen reichten ihm nicht aus, weshalb er im Internet nach diesem Fall weitersuchte. Und er wurde fündig; etliche Artikel schrieben über das Massaker, bei dem über 20 Menschen starben. Es war klar, dass sie sich die Finger wund tippten und über nichts anderes berichteten, immerhin war der mutmaßliche Mörder gerade einmal 16 Jahre alt! Doch irgendwann fand Naruto keine neuen Informationen mehr, denn die Zeitungen hatten nicht viele Details und glichen sich dementsprechend sehr stark. Lediglich ein Foto tauchte auf, dass er noch nicht kannte und es sich kurzerhand abspeicherte. Es zeigte Sasuke mit ein paar anderen Schülern oder Freunden, die jedoch entfremdet waren. Lediglich Sasuke war deutlich zu erkennen – und er lächelte. Beziehungsweise sah es für Naruto so aus; er hatte die Augen geschlossen, trug eine Schuluniform und hatte seine Hände in die Hosentaschen vergraben. Des Weiteren waren seine Mundwinkel leicht nach oben gezogen. Er sah unbeschwert aus, niemals würde Naruto in ihm einen Mörder vermuten.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er Mitternacht schon um eine Stunde hinter sich gelassen hatte. Doch er wusste ganz genau, dass er jetzt nicht so einfach Schlaf finden würde, weswegen er nach seinem Handy griff.
Naruto hatte nicht viele Freunde und auch keine Familie mehr – seine Eltern starben früh bei einem Unfall, weswegen er von seiner Großmutter erzogen wurde. Diese verstarb vor 2 Jahren und ließ Naruto somit komplett alleine. Doch er war schon immer ein 'Steh-auf-Männchen' gewesen – er ließ sich nicht unterkriegen und versuchte alles mit einem breiten Grinsen zu überdecken. Trotzdem schaffte er es nicht, einen großen Freundeskreis aufzubauen. Die paar Freunde die er hatte verteilten sich im Laufe der Jahre auf dem kompletten Globus wodurch der Kontakt abbrach, aber einige wandten sich bewusst von dem Blonden ab – denn sie kamen nicht mit seiner sexuellen Neigung klar. Ob die Jungs Angst hatten, dass er sich an sie ranmachen würde? Oder ob seine Neigung abfärben würde – oder gar ansteckend war? Doch mit der Zeit weinte Naruto ihnen nicht mehr hinterher – immerhin war da jemand, der die ganze Zeit für ihn da war. Damals, als seine Eltern starben, und auch als er in einer Schlägerei verwickelt war, oder als er eine schlechte Note nachhause brachte. Die ganze Zeit konnte er sich auf jemanden verlassen; und genau diese Person rief er nun mitten in der Nacht an.
Es war Sakura Haruno, eine Kindergartenfreundin mit der er täglich gespielt hatte und mit der er auch in einer Klasse ging. Sie war wunderschön, hatte rosafarbenes Haar und war sehr Modebewusst. Dennoch war sie kein typisches Mädchen gewesen – vielleicht war dies auch der Grund warum so viele Jungs auf sie standen. Und auch Naruto war einer davon gewesen, der ihr immer hinterher schwärmte – jedoch war er für Sakura nur eine Art 'Großer Bruder' gewesen. Mit der Zeit legten sich auch seine Gefühle wieder und er war offen für neues.
Nun wartete er darauf, das seine Freundin ans Handy ging. Selbstverständlich war sie schon am schlafen gewesen, doch er wusste ganz genau, dass er sie jeder Zeit anrufen konnte – gerade jetzt, nachdem er umgezogen ist.
„Ja?“, ertönte es leise aus dem Hörer. „Hey, Saku-Chan! Sorry, das ich dich geweckt habe.“, erst jetzt kamen in ihm Schuldgefühle hoch – vielleicht hätte er mit dem Anruf doch bis morgen warten sollen? „Schon in Ordnung, Naruto.“ Sie gähnte einmal ausgiebig und man hörte, dass sie sich im Bett umher wälzte. „Wie ergeht es dir in deiner neuen Wohnung?“, fragte sie nun etwas wacher.
„Alles bestens Saku! Die Fahrt hat zwar Ewigkeiten gedauert, aber ich fühlte mich in meiner Wohnung direkt wohl und ich habe auch schon nach einem Rahmenstand Ausschau gehalten.“ Zur Antwort ertönte ein Kichern seitens der Rosahaarigen. „Aber bisher habe ich noch keinen gefunden, der an deine selbstgemachten Rahmen rankommt!“ Es war ein sehr schönes Gefühl, endlich wieder jemanden zu haben, mit dem er unbeschwert reden konnte.
Sie unterhielten sich noch etwas über Narutos Wohnung, über Konoha und sonstige belanglose Sachen, bis Sakura auf den wunden Punkt traf. „Wolltest du dich nur mal unterhalten oder liegt dir etwas auf dem Herzen, Naru?“ Es war keine Anschuldigung, dass Naruto sie so spät beim Schlafen störte, sondern ihr Gefühl, dass etwas ihn belasten würde – und so erzählte er ihr von Sasuke, ließ jedoch seinen Namen und die genauen Tatgründe weg. Er erzählte ihr lediglich von seinem Sprössling, den er zu pflegen hat und der ihm Sorgen bereitet.