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Kampf gegen die Ewigkeit

von

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Angst

Angst
 

Búrkiszá, 3.2.1895
 

Der Schneesturm schlug ihr nur so um die Ohren, als Luna sich durch den Wind kämpfte. Immer wieder peitschte eine eisige Windböe aus dem Gebirge zu ihr heran und brachte sie dazu, abrupt stehen zu bleiben. Doch sofort ging sie weiter, denn in diesem Wetter stehenzubleiben wäre die dümmste Entscheidung aller Zeiten.

Schon seit Tagen stürmte es, es wollte und wollte einfach nicht aufhören. Einen solchen Sturm hatte sie bis jetzt nur ein weiteres Mal erlebt, nämlich kurz nachdem sie und ihre Eltern aus London hierher gezogen waren. Aber dieses Unwetter war sogar noch schlimmer. Es fühlte sich wirklich danach an, als hätten sich alle Geister der Berge gegen dieses Dorf verschworen.

Vor sich sah sie plötzlich durch die weiße peitschende Wand ihr Ziel. Endlich. Mit ihrer letzten Kraft taumelte sie darauf zu und drückte die Türklinke nach unten. Diese ging sofort auf, und sie stürmte hinein, mit einer riesigen Schneewolke in Begleitung. Sofort verschloss sie die Tür wieder, unter größten Anstrengungen, denn der Wind war einfach nur übermächtig. Das konnte doch gar nicht mehr mit rechten Dingen zugehen.

Sie hatte eigentlich erwartet, das Wirtshaus einigermaßen voll zu sehen. Doch zu ihrer maßlosen Überraschung war hier niemand außer den Leuten, die hier Quartier bezogen. Ohne den Lärm, das Lachen und das Klirren des Geschirrs wirkte das Wirtshaus der Chagals merkwürdig leer und trostlos. Alleine das knisternde Feuer im Kamin spendete Licht und Wärme.

"Luna? Bist du das, liebes?" fragte eine sehr bekannte Stimme. Sie sah zur Theke hin, und erblickte Rebecca, die schwach lächelnd auf sie zukam. Doch Luna konnte sie nichts vormachen. Sie wusste genau, was die Wirtin in Wahrheit dachte. Und sie konnte sie gut verstehen. Gleich Mann und Magd auf einmal zu verlieren, an die Schattenwesen im Gebirge. Sarah wäre ihnen beinahe ebenfalls zum Opfer gefallen, aber eben nur beinahe. Doch von dem, was sie über ihre Freundin hörte, war ihr jetziger Zustand äußerst besorgniserregend. Und deshalb war sie hier. Sie wollte sich selbst vergewissern.

"Es tut mir wirklich leid, falls ich stören sollte, Madame Chagal", sagte sie.

"Aber nicht doch, nicht doch! Ehrlich gesagt: Jemanden wie dich könnten wir hier sehr brauchen. Aber erst einmal, zieh dir diese Jacke aus, sonst taust du nie auf. Ich mache dir erst einmal einen Tee."

"Danke, das ist sehr nett, aber ich möchte keinen Tee, danke."

"Bist du sicher? Du kommet gerade aus dem schlimmsten Schneesturm, der hier seit Jahren getobt hat. Niemand verlässt sein Haus mehr, seit Tagen kommt hier fast keiner mehr vorbei. Alle haben zuviel Angst."

"Und dennoch musste ich hierher. Denn die wenigen Leute, die hier waren, erzählen sich höchst Besorgnis erregende Dinge." Rebecca seufzte schwer auf.

"Und mit den meisten haben sie wahrscheinlich auch recht." Sie sah Luna an; "Ich bin wirklich froh, dass du gekommen bist. Vielleicht braucht sie eine Freundin, die mit ihr redet." Luna nickte. Ihre strahlend blauen Augen, die sonst immer so voller Freude waren, hatten jetzt nur Sorge in ihnen, und zwar Sorge um ihre Freundin. Seit die beiden Vampirforscher sie aus dem schwarzen Schloss gerettet hatten, hatte sie nur noch schlechtes gehört. Gleich würde sie ja herausfinden, was es damit auf sich hatte.

"Ich nehme an, du willst sie jetzt sehen?" fragte Rebecca. Luna nickte.

"Sie ist in ihrem Zimmer, und das schon sehr lange. Früher hat sie sich immer dagegen gewehrt, naja, früher."

"Kommen Sie nicht mit?" fragte sie.

"Nein, nein, ich bleibe hier, und warte bis Alfred und der Professor zurückkehren." Luna riss die Augen auf.

"Sie sind außer Haus bei DIESEM Wetter?"

"Sie sagten, es sei wichtig. Sie mussten hinunter in die zivilisiertere Welt um einen Brief abzugeben. Sie sagten, es sei ein Brief nach Amsterdam, der keinerlei Aufschub dulde. Vermutlich werden sie bald zurück sein, auch wenn sie dort übernachten mussten." Luna nickte, drehte sich um, und ging aus der Stube in Richtung der Gemächer.

Ihre Schritte waren die einzigen Geräusche, die im kleinen Treppenhaus widerhallten. Ansonsten herrschte Totenstille. Während sie in Richtung von Sarahs Zimmer ging, dachte sie nach. Was genau war in jenen Tagen auf dem schwarzen Schloss passiert? Sie hatte nur fantastische Fabeln und Märchen von diesem dunklen Ort gehört. Angeblich hausten dort unsterbliche Wesen, die früher einst Menschen waren, und durch dunkle Mächte ihre Unsterblichkeit erlangten. Manche sagten, es wäre ein Segen, andere sagten, es wäre ein grausamer Fluch.

Luna wusste nur, dass es dieses Schloss gab. Und sie glaubte die Märchen, die man sich darum erzählte. Außerdem gab es stichhaltige Beweise. Jeden Monat verschwand ein Mensch aus irgendeinem Dorf spurlos. Das Schloss wurde damit immer in Verbindung gebracht. Als sie als Kind noch in London gelebt hatte, und bevor ihre Eltern sich entschlossen hatten, in die abgelegenen Weiten Transsilvaniens zu ziehen, hatte sie allerhand über die Mythen und Legenden dieses Landes gelesen. Dort hatte sie die dunkle Legende vom Wurdalak zum ersten Mal gelesen. Angeblich gab es in Transsilvanien, in den Bergen, Wäldern und abgelegenen Weiten Wesen, die sich nur des Nachts fortbewegen konnten, und sich vom Blut der Menschen ernährten. Dadurch sollten sie Unsterblichkeit erlangen. Der Legende nach waren diese Wesen wiederauferstandene Leichname von toten Menschen, die von Luzifer wiedererweckt wurden um Schaden zu verbreiten. Die Geschichten dieses Landes waren einfach nur grausam, aber trotzdem glaubte Luna daran. Es sprach einfach zu viel dafür.

Jetzt stand sie vor der kleinen hölzernen Tür, die ins Innere von Sarahs Zimmer führte. Zögernd hob sie die Hand und klopfte. Nichts rührte sich. Neugierig, wie sie war, schob sie ihr Ohr an die Tür, und lauschte. Nichts. Zögernd klopfte sie noch einmal.

"Hallo?" fragte sie leise. Nichts. Langsam machte sie sich Sorgen.

"Sarah? Bist du da?" Was für eine Frage. Sie musste da sein. Wo sollte sie sonst hin? Doch nichts rührte sich.

"Ich bin es, Luna", versuchte sie. Als noch immer keine Antwort kam, fasste sie sich ein Herz.

"Also gut, ich komme jetzt rein, alles klar?" Und sie drückte die Klinke nach unten. Sie war auf alles vorbereitet, aber nicht auf den Anblick, der sich ihr bot.

Das Zimmer war durch die Schneemassen vor dem Fenster recht abgedunkelt, was es aber noch schauriger gestaltete. Die Knoblauchketten hingen immer noch überall. Das Bett sah recht unordentlich aus, als ob es seit Tagen nicht mehr gemacht wurde.

"Da bist du ja", erklang eine Stimme. Luna sah nach vorne. Sarah saß auf dem kleinen hölzernen Stuhl, der normalerweise in der Ecke stand. Wie hatte sie sich so verändern können? Die einst vollen roten Locken waren an einigen Stellen ergraut, die einst so tiefen blauen Augen waren nun matt und farblos. Und in ihnen spiegelte sich eine unkontrollierte Angst wieder.

"Ich kann deinen Ausdruck verstehen", sagte Sarah. Ihre Stimme war von solch einem Krächzen begleitet, dass es einem kalt den Rücken hinunterlief.

"Ich habe wirklich schon mal besser ausgesehen."

"Sarah." Luna machte die Tür zu und kam langsam auf ihre Freundin zu.

"Ich habe irgendwie die ganze Zeit darauf gewartet, dass du kommst. Setz dich doch auf das Bett, und wir können reden." Luna tat wie geheißen. Sarah starrte immer noch nach vorne, ohne sie anzusehen. Was war nur los mit ihr? Was war da oben passiert?

"Was...Wie....Ich meine, wie ist das passiert?" fragte sie besorgt.

"Meine Dummheit ist passiert", antwortete Sarah; "Ja, ja das ist sie."

"Wovon redest du?" Und dann sahen sie sich zum ersten Mal in die Augen. Die Angst, die darin zu sehen war, war einfach unbeschreiblich.

"Erinnerst du dich, Luna, wie wir uns über die alten Geschichten über die Wesen im Gebirge unterhalten haben?"

"Ja, natürlich. Wie könnte ich das vergessen?"

"Nun...wie soll ich es ausdrücken? Sie sind wahr, sie sind alle wahr." Tief in ihrem Inneren hatte Luna es schon längst gewusst, aber es wirklich so gesagt zu bekommen, war etwas anderes.

"Es begann vor ungefähr zwei Wochen. Ich hörte eine Stimme, die mich im Schlaf zu sich rief. Ich wusste nicht, was sie sagte, doch nach ein paar Nächten mehr, wurde es immer klarer. Sie rief mich, rief mich hoch in die Berge, zu dem dunklen, verwunschenen Schloss. Ich versuchte mich, dem zu widersetzen, doch es klappte nicht. Reden konnte ich darüber nicht, da ich Angst hatte, mein Vater würde mir noch mehr Sachen antun, als mich einsperren." Luna nickte. Dass ihr Vater sie immer einsperrte, das konnte sie wirklich nicht gutheißen.

"Die Stimme wurde immer aufdringlicher und ungeduldiger. Doch ich konnte immer noch einigermaßen widerstehen."

"Und dann?"

"Dann", Sarah erzitterte; "Dann ist der Wurdalak selbst ins Dorf gekommen." Luna schlug sich die Hand vor den Mund.

"Ich war...wie verzaubert", sagte Sarah; "Ich konnte ihm nicht standhalten. Als ich badete, erschien er einfach, er war einfach da, leibhaftig da. Dem alten Glauben zufolge, kann dieses Wesen das Haus nur per Einladung betreten. Habe ich ihm etwa unwissentlich im Traum das bedeutende "Ja" gegeben? Ich weiß es nicht. Er hat mich auf sein Schloss "eingeladen". Er erzählte mir von einem großen Mitternachtsball, der in ein paar Nächten stattfinden würde. Nur ein glücklicher Zufall konnte verhindern, dass ich schon da von ihm gebissen wurde. Später in der Nacht kam sein Diener, ein furchterregendes buckliges Wesen, und legte mir etwas ab. Eine Art "Kostprobe" auf das, was folgen würde."

"Was war es?"

"Ein Paar roter Stiefel. Ich weiß, es klingt komisch, aber als ich sie erblickte, dann schlug der Bann doppelt so stark zu. An den Rest kann ich mich nur schemenhaft erinnern. Ich erinnere mich an schreckliche Fratzen von Männern und Frauen, die aus Gräbern gestiegen kamen und alle nach mir griffen. Ich erinnere mich an IHN, wie er mich sanft durch den Ballsaal zog. Und ich erinnere mich an einen grellen Lichtblitz, und an einen lauten Donnerschlag. Und dann...dann war ich hier." Luna wollte nicht auf ihr rumhacken. Sie konnte schließlich sehen, was mit ihr passiert war. Aber zum Glück war sie nicht gebissen worden.

"Aber jetzt bist du doch wieder hier", sagte sie aufmunternd; "Du bist in Sicherheit."

"Sicherheit? Ich lebe mit der Gewissheit, dass unweit von uns ein Schloss voller Wurdalaks ist. Die Geschichten sind wahr, alle. Und...er spricht noch zu mir."

"Was?" keuchte sie.

"Ja, ER, der Graf. Der Graf dieses Schlosses, der Fürst dieser ganzen Brut. Er redet immer noch zu mir, in der Nacht, wenn der Wind am Fenster rüttelt, da höre ich seine Stimme, die durch Schnee, Eis und Wind zu mir herüberschallt, und mich ruft, immer noch ruft."

"Was will er?" Sarah zitterte noch stärker. Sofort sprang Luna auf, und strich ihr beruhigend über den Kopf.

"Beruhige dich, alles ist gut."

"Er, er wird immer wütender, mit jeder Nacht. Gestern aber war es soweit."

"Womit?"

"Er hat mich bedroht."

"Doch bedroht? Womit?"

"Er sagte, und ich kann mich an jedes Wort erinnern: "Offensichtlich kannst du meinen Anforderungen widerstehen, beeindruckend. Aber nun ist das Maß voll. Ich wollte nie, dass es dazu kommt, aber mir bleibt keine andere Wahl. Wenn du dich in drei Tagen genau nicht wieder bei meinem Schloss blicken lässt, dann wird ein Unglück geschehen. Und glaube mir: Dieses Unglück ist schlimmer als nur Vater und Freundin zu verlieren."" Sarah hielt es nicht mehr aus. Weinkrämpfe schüttelten sie, aber auch diese unbändige Angst war zu spüren. Luna schloss sie in eine tiefe Umarmung, und redete beruhigend auf sie ein. Was auch immer dort oben geschehen war, es hatte ihre Freundin gänzlich verändert. So hatte sie sie noch nie gesehen. Aber sie konnte auch sehr gut verstehen warum. Sarah beruhigte sich.

"Tut mir leid", schluchzte sie; "Tut mir leid, dass du mich so sehen musst, aber...ich habe einfach Angst! Übermorgen Nacht muss ich dort sein, ansonsten wird er etwas tun! Ich will da aber nicht hin! Doch wenn ich es nicht tue, was dann?" Luna sah ihr in die Augen.

"Sarah, ich weiß nicht, was du da oben gesehen hast. Aber eines ist klar: Du gehst da NICHT hin, hast du verstanden?"

"Aber-"

"Ob du verstanden hast?" Sarah nickte zögernd.

"Aber was sollen wir dann tun? Glaube mir, Luna. ER ist jemand. der Drohungen wahrmacht, dass habe ich dort oben gesehen. Er ist grausam, er ist unheimlich, er ist einfach ein Dämon! Anders kann ich es nicht ausdrücken!" Luna nickte.

"Pass auf", sagte sie; "Dieser Professor, und sein Assistent, die hier ja vor ungefähr einer Woche Quartier bezogen haben."

"Ja? Professor Abronsius und Alfred."

"Die sehen mir aus, wie Leute, die etwas über die Wurdalaks wissen. Sie waren ja selbst dort oben."

"Wären sie nicht gewesen, wäre ich jetzt auch eine von ihnen", sagte Sarah. Luna erschauerte. Das wollte sie sich wirklich nicht ausmalen.

"Wie wäre es, wenn wir mit ihnen reden, wenn sie zurückkommen?" Sarah sah sie an, und die Angst kehrte zurück.

"Was wollen sie gegen IHN ausrichten?"

"Offenbar haben sie etwas gemacht, denn ihr seid ja heil und unversehrt wieder hier." Sofort bereute sie diese Worte, denn Sarah sah alles andere als heil und unversehrt aus. Hatte sie überhaupt was gegessen in den letzten Tagen? Abgemagert sah sie aus.

"Also gut", sagte sie dann; "Wir wollen es versuchen, oder ich zumindest."

"Nein, ich mach es mit dir. Du kannst ja jetzt offenbar kaum noch das Zimmer verlassen."

"Vom Schlafen ganz zu Schweigen", fügte Sarah hinzu.

"Wenn sie wieder da sind, und ich bin einfach optimistisch genug um zu sagen, dass das recht bald sein wird, werden wir mit ihnen reden." Sarah nickte hastig. Doch die Angst wich nicht, was auch verständlich war.

"Luna?" fragte sie leise.

"Ja?"

"Könntest du, naja, bis sie kommen, vielleicht hier bei mir bleiben?" Ihre Stimme hörte sich so an, als würde sie es keine Sekunde länger alleine aushalten. Luna lächelte aufmunternd und nickte.

"Natürlich kann ich das, etwas anderes hatte ich auch gar nicht vor." Sarah schloss die Augen, und setzte ein schwaches Lächeln auf.

"Danke", flüsterte sie.

"Immer doch. Wozu sind Freunde schließlich da?"



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