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Mallory

von

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Versteckte Narben

Mallorys Hände krallten sich in die Mauer und ihr ganzer Körper verkrampfte sich. „Hatte Finny Als er an deinengerade wirklich einen epileptischen Anfall?“ Ein Moment des Schweigens, dann schüttelte Lewis den Kopf. „Nein, aber sein Gehirn verursacht ähnliche Symptome als Abwehrreaktion. Ich bin kein Psychologe, aber ich habe während meiner Studienzeit sehr viel über psychosomatische Reaktionen gelernt. Tatsächlich können sich einige psychische Krankheiten auf unseren Körper auswirken, zum Beispiel Stress. Wir bekommen Kopfschmerzen, Bauchweh oder Übelkeit. Auch wenn wir vor etwas Angst haben. Und bei Finny ist es besonders stark ausgeprägt. Ich weiß nicht genau, was er hat und was ihm so zu schaffen macht, aber er lebt in einer Scheinwelt, die er sich selbst aufgebaut hat, um vor der Wahrheit zu fliehen. Und immer, wenn etwas diese Scheinwelt gefährdet und er mit der Realität konfrontiert wird, wehrt sich sein Unterbewusstsein derart heftig dagegen, dass er starke Schmerzen erleidet und in manchen Fällen sogar Symptome eines epileptischen Anfalls hat. Zwar sind es nur Symptome, aber es kann trotzdem gefährlich werden. Deshalb musste ich ihm ein Beruhigungsmittel geben, damit er sich entspannt.“

„Woher wusstet ihr, dass das mit Finny passiert ist?“

„Ilias hatte da so eine Vorahnung gehabt. Als er an deine Tür klopfte und sah, dass du weg warst, hat er befürchtet, dass so etwas in der Art passiert, weil du Finny so viele Fragen gestellt hattest. Ich hab sicherheitshalber meinen Notfallkoffer mitgenommen und dann haben wir auch schon die Schreie von draußen gehört.“ So war das also, dachte Mallory und senkte betrübt den Kopf. Ilias hatte sich Sorgen gemacht, weil sie so viele Fragen gestellt hatte und damit früher oder später so etwas verursachen würde. Wenn er nicht gekommen wäre, was wäre dann passiert? Hätte die Sache anders ausgehen können? Lewis strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und machte eine längere Pause. Offenbar wartete er darauf, dass Mallory ihm Fragen stellte, da er sich nicht sicher zu sein schien, ob sie die Geschichte bezüglich Finnians Vergangenheit wirklich hören wollte. Tatsächlich musste sie ihre Kräfte zusammennehmen, um diese Frage auszusprechen. „Was ist mit Finny passiert und wieso hat er eine Leiche bei sich im Haus?“

„Nun, er hat nie über seine Vergangenheit gesprochen und ich weiß nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, oder mir zusammenreimen konnte. Als Finny vor acht Monaten zu uns kam, hat er ständig diese Maske getragen, war aber überhaupt nicht verschlossen. Im Gegenteil! Er war genauso, wie du ihn kennen gelernt hast. Aber wir haben schnell gemerkt, dass er zwei Masken trug. Die im Gesicht und eine, die er sich selbst erschaffen hat, um vor sich selbst und seinen Erinnerungen zu fliehen. Ich merkte schon bei unserer ersten Begegnung, dass sich hinter diesem Lachen und der witzigen Art ein tiefer Abgrund verbergen musste. Das zeigte mir schon sein Verhalten. Er vermied jeglichen Körperkontakt, sah uns niemals in die Augen und selbst, als er sich überwinden konnte, vor uns seine Maske abzunehmen, hat er uns nie direkt angesehen. Und als ich ihn untersuchen wollte, hat er sehr heftig reagiert und mich auf Abstand gehalten. Ich ahnte, dass so einiges in seinem Elternhaus vorgefallen sein musste und er vor uns etwas verbarg. Aber der eigentliche Schock kam, als wir ihn zuhause waren und die Leiche seines kleinen Bruders fanden. Und Finny verhielt sich so, als wäre nichts und er sah auch nicht, dass Keenan eigentlich längst tot war. Er war vollständig in seiner eigenen Welt gefangen und als wir versuchten, ihm die Wahrheit vor Augen zu führen, bekam er einen heftigen Anfall. Es gelang uns, ihn ruhig zu stellen und als er wieder zu sich kam, erinnerte er sich an rein gar nichts mehr. Sein Gehirn hatte wieder alles verdrängt. Also versuchten wir es, ihm langsam und schonend beizubringen. Aber jedes Mal, wenn er mit unangenehmen Fragen oder Tatsachen konfrontiert wurde, erzählte er irgendetwas daher und vergaß später einfach, dass wir ihm diese Fragen gestellt haben. Als wir ihn das erste Mal ruhig stellten, habe ich die Gelegenheit genutzt, um ihn näher zu untersuchen. Und was ich gesehen habe, schockierte mich wirklich.“ Lewis wurde mit einem Male sehr ernst und er vergrub seine Hände in den Knien. So bedrückt hatte Mallory ihn bis jetzt noch nicht gesehen. Es musste wirklich schlimm sein. „Am ganzen Körper hatte er blaue Flecken, manche waren wirklich groß. Und am Rücken hatte er Brandspuren eines Bügeleisens und das sah nicht nach einem Unfall aus. Außerdem fand ich unzählige Narben, die wahrscheinlich von Striemen herrührten. Außerdem habe ich noch andere Narben entdeckt, die darauf schließen ließen, dass er in der Vergangenheit sexueller Gewalt ausgesetzt war.“ Alles Blut wich aus ihrem Kopf und ihr Magen verkrampfte sich, woraufhin ihr schlecht wurde. Wollte Lewis ihr etwa allen Ernstes sagen, dass… „Er… er wurde vergewaltigt?“ Als sie dieses letzte Wort aussprach, schloss Lewis die Augen und er schien mit sich selbst zu kämpfen. Sie lag also richtig. „Es sieht ganz stark danach aus. Und ich fürchte, dass es kein einmaliger Fall war. Zusätzlich fand ich an seinen Händen alte Bissspuren. Ich vermute, dass er sich die Hände blutig gebissen hat, um diese Tortur ertragen zu können. Und an seinem Hals fand ich eine noch nicht ganz verblasste Narbe, die danach aussah, als wäre er dort mit einem Messer verletzt worden.“

„Hat man etwa versucht, ihn umzubringen?“

„Entweder das, oder es war ein Selbstmordversuch. Jedenfalls fand ich noch weitere Verletzungen an seinem Körper. Brandspuren von Zigaretten und noch weitere ältere Wunden an Intimstellen, die ich nicht näher erläutern möchte. Als wir das alles sahen, konnten wir verstehen, warum sich sein Unterbewusstsein mit aller Macht dagegen wehrte, sich an diese schrecklichen Szenen zu erinnern. Und wir verstanden auch, wieso Finny nicht angefasst werden wollte, oder wieso er niemals Augenkontakt halten konnte. Auch warum er so oft log und diese Lügen auch selbst glaubte. Obwohl er sich nicht erinnert, bzw. nicht erinnern will, haben diese Traumata Spuren bei ihm hinterlassen. Er empfindet unterbewusst Scham und versucht deshalb, sein Gesicht zu verstecken.“ Ein dicker Kloß verstopfte ihren Hals und Tränen rannen wie Sturzbäche ihre leichenblasse Wangen hinunter. Sie machte sich schwere Vorwürfe und fühlte sich miserabel. Nur weil sie so neugierig war, hatte sie Finnian dazu gebracht, sich an diese schrecklichen Dinge zu erinnern und erneut diese Tortur in seinem Kopf zu durchleben. Nur wegen ihr war er zusammengebrochen. „Wer hat ihm das angetan und wer hat seinen Bruder getötet?“ Auch hier konnte Lewis nur spekulieren und auch diese Theorien gefielen ihm nicht. „Nun, Finny hat ja gesagt, dass er einen Alkoholiker zum Vater hatte und er wegen ihm von zuhause ausgezogen ist. Ich glaube, wir wissen, wer Finny zu dem gemacht hat, was er jetzt ist. Vermutlich hat sein Vater Keenan ebenfalls misshandelt und in dieser extremen Situation hat Finny die Ersatzvaterrolle für seinen kleinen Bruder übernommen und versucht, ihn zu beschützen. Aber dann muss es wohl irgendwie eskaliert sein und dabei wurde Keenan wahrscheinlich totgeprügelt. Das war sicherlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Finny ist ein Mensch, der selbst viel einstecken und ertragen kann, wenn er dadurch andere beschützen kann. Er hat einen unglaublich starken Beschützerinstinkt, besonders gegenüber seinem kleinen Bruder. Solange es Keenan gut ging, schien er noch einigermaßen gesund zu sein, aber als sein kleiner Bruder starb, war das zu viel für ihn gewesen. Er kann einfach die Wahrheit nicht akzeptieren, dass Keenan tot ist, deshalb hat er sich in die Wahnidee hineingesteigert, dass dieser noch lebt. Er begann alles zu verdrängen, was ihn an Keenans Tod und seine eigene Tortur erinnerte und erfand stattdessen irgendwelche Geschichten bezüglich seiner Verletzungen, die er schließlich selbst zu glauben begann. So erzählt er, dass er die Handschuhe und die Bandagen trägt, weil er sich im Schlaf und bei Nervosität blutig kratzt. Und selbst bei heißem Sommerwetter trägt er einen Pullover mit der Behauptung, er fände es unanständig, halbnackt herumzulaufen. In Wahrheit schämt er sich, seine Haut zu zeigen. Nicht bloß wegen seiner Verletzungen, sondern weil er sexueller Gewalt ausgesetzt war. Aber… es gibt noch eine andere Theorie bezüglich Keenans Tod.“ Noch eine? Mallory hatte insgeheim Angst vor dieser Theorie, aber sie wollte sich diese trotzdem anhören. „Es besteht die Möglichkeit, dass Finny selbst für Keenans Tod verantwortlich ist.“

„Wie bitte? Wieso sollte er so etwas tun? Ich dachte, er liebt seinen kleinen Bruder.“

„Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber so etwas kommt überall vor. Wenn Menschen sich in einer ausweglosen und verzweifelten Lage befinden, handeln sie oft irrational und können keine vernünftigen Entscheidungen treffen. Oft genug hört man von Eltern, die ihre eigenen Kinder töten, weil sie in ihrer Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung keinen anderen Ausweg gewusst haben. Finny kann seinen Bruder im Affekt getötet haben, weil er die Gewalt zuhause nicht mehr ertragen konnte und ein Ventil brauchte, um sich abzureagieren. Vielleicht tötete er ihn auch, um ihn von diesem Elend zu erlösen, in welchem sie beide gefangen waren. Und als er erkannte, was er da angerichtet hatte und genau die Person getötet hat, die er eigentlich beschützen wollte, schaltete sich etwas in seinem Kopf ab. Er konnte nicht mit der Schuld leben, wollte es einfach nicht wahrhaben und begann daraufhin die Tatsachen zu verdrehen. Ich will damit nicht sagen, dass ich Finny für einen Mörder halte. Er kann eigentlich keiner Fliege etwas zuleide tun, aber wie schon gesagt: In einer verzweifelten und völlig aussichtslosen Lage können Menschen Dinge tun, die jeglicher Logik entbehren.“ Konnte das wirklich sein? War es wirklich möglich, dass Finnian aus reiner Hilflosigkeit seinen eigenen Bruder getötet hatte? Mallory schüttelte den Kopf, ihre Augen starrten ins Leere. Sie konnte nicht glauben, was sie da gehört hatte. Finnian war zwar in manchen Dingen etwas seltsam, aber er war doch so ein netter und witziger Kerl. Er war hilfsbereit und die Lebensfreude in Person und dabei verbarg sich so eine schreckliche Geschichte hinter seiner Person. Verprügelt, gefoltert und vergewaltigt. „Warum lasst ihr zu, dass er in diesem Zustand hier bleibt und dann auch noch mit der Leiche seines Bruders in diesem Haus wohnt? Er braucht professionelle Hilfe!“

„Das weiß ich auch“, erwiderte Lewis plötzlich in einem lauten Ton, als sei er wütend. Aber seine Wut richtete sich nicht gegen Mallory, sondern gegen sich selbst und seine eigene Unfähigkeit. „Ich würde ihm ja gerne helfen, aber es geht einfach nicht. Wir sitzen hier fest, weil wir Dark Creek aus unerfindlichen Gründen nicht verlassen können. Deshalb können wir auch nichts tun, um Finny zu helfen. Stattdessen bleibt uns nichts anderes übrig, als diese Krankheit einfach zu akzeptieren und ihn in seiner Welt zu lassen, wenn wir dadurch weitere Anfälle vermeiden können.“ Mallory erinnerte sich, dass Lewis so etwas beim Frühstück auf der Dachterrasse gesagt hatte. Aber sie hatte es nicht ganz hundertprozentig ernst genommen, weil es so abwegig klang. Er meinte es also tatsächlich ernst, dass sie hier festsaßen? „Wenn das wirklich stimmt, dass ihr nicht weg könnt… dann heißt das, ich bin auch hier gefangen?“

Lewis zuckte unsicher mit den Achseln. „Ich weiß nicht. Da wir schon so lange hier sind, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es von der Aufenthaltsdauer abhängig ist. Du kannst es gerne versuchen, wenn du willst. Es wäre sowieso besser für dich, nicht länger als nötig hier zu bleiben.“

„Und wie kann man wieder entkommen?“ Mallory ärgerte sich, dass sie diese dämliche Frage gestellt hatte. Wenn Lewis die Antwort wüsste, dann hätte er Dark Creek doch längst wieder verlassen. Aber sein Schweigen und sein Blick verrieten ihm, dass er die Antwort vielleicht schon wusste, oder zumindest erahnte. „Lewis… weißt du irgendetwas?“ Er atmete leise aus und antwortete nicht auf ihre Frage. Stattdessen sah er starr in den Himmel, wo er die Sterne betrachtete. Etwas Trauriges lag in seinem Blick. „Die Antwort kennen wir alle bereits tief in unserem Herzen, aber… wir müssen sie selbst herausfinden, auch du. Nicht umsonst sitzen wir hier alle fest. Ich glaube nämlich, dass wir tief in unserem Unterbewusstsein gar nicht von hier weg wollen, weil wir vor der Antwort fliehen und unsere Augen verschließen. Das friedliche Leben hier ist einfach zu verlockend, aber im Grunde ist es mit einer Dystopie vergleichbar: All das hier ist bloß eine Illusion. Ich weiß nicht, ob es die Stadt selbst ist oder irgendjemand in unseren Reihen. Aber Fakt ist, dass wir mit diesem friedlichen und sorglosen Leben geködert werden, um keine Fragen zu stellen und nicht einmal daran zu denken, von hier wegzugehen. Nimm dir Ilias und Finny als Beispiel: Sie sind auf ihre Weise glücklich hier und bekommen das, was sie sich wünschen und auch ich hatte lange Zeit alles, was ich zum Glücklichsein brauchte. Ich habe die Pension, mein eigenes Reich auf dem Dach, die Schriftstellerei und wunderbare und herzensgute Freunde. Und doch war die ganze Zeit das leise Gefühl, dass es trotzdem nicht das ist, was mich wirklich glücklich machte. Egal was ich tat, etwas in mir war immer noch leer. Aber ich wusste nicht, was es war und daraufhin begann ich, das Leben hier mit anderen Augen zu sehen.“ In diesem Moment machte er wirklich den Eindruck, als wäre er nicht glücklich, aber was genau fehlte ihm denn? Was brauchte er denn noch, das war die Frage. Manchmal war er Mallory ein Rätsel, aber gleichzeitig schätzte sie ihn sehr. Er war für sie alle wie eine Art väterlicher Freund, obwohl der Altersunterschied eigentlich nicht so groß war. Nachdenklich betrachtete sie ihn und im Licht des Mondes schien er eine fast engelsgleiche Ausstrahlung zu haben. „Ehrlich gesagt, würde ich gerne mit dir tauschen“, sagte sie schließlich, um ihn ein wenig aufzumuntern. „Du hast die besten Freunde auf der Welt, alle sehen zu dir auf und schätzen dich und mit deinem Aussehen kriegst du sicher jede Frau herum.“ Sie erwartete, dass er lachte oder geschmeichelt war, aber es kam nichts dergleichen. Nur ein trauriges Lächeln. Plötzlich stand er auf, schob seine Hände in die Hosentaschen und senkte den Kopf. „Das mag sein, aber im Gegensatz zu dir kann ich keine Kinder zur Welt bringen.“ Damit ging er und verwirrt über diese Worte blieb Mallory zurück. Was sollte das gerade bedeuten?
 

Da ihr langsam kalt wurde, machte sie sich wieder auf den Rückweg und ging die leere Straße entlang. Dabei kam sie an einem kleinen Spielplatz vorbei, wo sie eine kleine Gestalt auf einer Schaukel sitzen sah. Zuerst dachte sie, es sei Dean, der wieder schlafwandelte, aber dann bemerkte sie, dass es ein Mädchen war. Sie hatte langes blondes Haar, starre blaue Augen wie die einer Puppe und sie trug ein weißes Kleid. Eine gewisse Ähnlichkeit mit Josephine war nicht zu übersehen und auch das Alter kam gut hin. Das musste ihre jüngere Schwester Anna sein. Langsam schaukelte sie vor und zurück und ihr Blick hatte etwas Unmenschliches an sich. Es waren keine Emotionen im Gesicht lesbar, es war starr wie das einer Puppe. Sollte sie weitergehen? Mallory dachte tatsächlich erst mal daran, aber dann entschied sie sich anders und ging zu ihr hin. „Hey, ist dir nicht kalt? Was machst du noch alleine hier draußen?“ Erst jetzt schien Anna sie zu bemerken und starrte sie an. Mallory wurde es unbehaglich dabei, denn sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Mädchen ihr nicht bloß in die Augen sah. Nein, sie sah hindurch bis tief in ihr Innerstes, was Mallory ein sehr unangenehmes Gefühl der Nacktheit gab. Dieses Mädchen war wirklich seltsam. Da sie nichts sagte, glaubte Mallory zuerst an kindliche Schüchternheit und blieb vor ihr stehen. „Hallo, ich heiße Mallory, bist du Anna?“

„Warum?“ fragte das Mädchen tonlos und Mallorys Augenbrauen senkten sich ein wenig. „Wie? Ich verstehe nicht…“

„Warum tust du das?“

„Was meinst du damit?“

„Hör auf, dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen.“ Sprach sie den Vorfall mit Finnian an? Hatte sie rein zufällig von draußen etwas mitbekommen? Annas Aufforderung klang jedenfalls nicht wie eine Drohung, sondern mehr wie eine Warnung. „Verschwinde von hier, gleich morgen früh. Du hast hier nichts verloren, du gehörst nicht hierher.“ Was redete sie da bloß und warum war Anna so feindselig ihr gegenüber? In ihrem Gesicht waren immer noch keine Emotionen zu sehen. Keine Wut, kein Hass, rein gar nichts, selbst ihre Augen waren vollkommen leer und starr. Mit der blassen Haut sah sie wirklich wie eine Puppe aus. Und wieso sagte sie so etwas? „Wieso soll ich nicht hier hingehören? Ich bin hier immerhin geboren worden und ich gehe erst wieder, wenn ich das gefunden habe, wonach ich suche.“ Kein Zucken, nur ein kurzes Blinzeln. Wirklich gar nichts ging von diesem Mädchen aus, weder Kälte noch Wärme. Als sei sie nur ein Trugbild und eigentlich gar nicht vorhanden. Mallory wurde unruhig, denn ihr war es unangenehm, so von ihr angestarrt zu werden. „Du irrst dich“, sagte sie tonlos und ruhig. „Dieser Ort hat nichts mit dir zu tun. Er hat keine Vergangenheit und ist längst nicht mehr das Dark Creek, in welchem du geboren wurdest.“

„Was meinst du damit?“

„Geh wieder nach Hause und lass uns alle in Frieden. Hör auf dich in Dinge einzumischen, die dich nichts angehen und steck deine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Ich lasse mir unseren Traum nicht von dir kaputt machen, Mallory.“ Woher wusste sie ihren Namen? Mit Sicherheit von ihrer Schwester Josephine. Obwohl die Leute in der Stadt allesamt Angst vor Josephine hatten, war Mallory eher die jüngere Schwester unheimlich. „Was für ein Traum? Wovon sprichst du und wieso ist das hier nicht Dark Creek?“ Anna schwieg und sah sie mit einem starren Blick an, der keinerlei Emotionen hatte. Nichts an ihr zeugte überhaupt von menschlichen Gefühlsregungen. Mallory spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Sie wusste, dass sie überreagierte, aber es war einfach zu viel passiert. Finnians Anfall, das Gespräch mit Lewis… und jetzt kam so ein kleines Mädchen daher und meinte, sie könne sie herumkommandieren und sie einschüchtern. Mit einem finsteren Blick ging sie auf die Kleine zu und wollte sie am Arm packen, da wich Anna zurück und rief „Fass mich nicht an!!!“ Nun war etwas Leben in ihre Stimme gekommen, doch ihre Augen waren weiterhin starr und leblos wie Puppenaugen. Und als hätten ihre Worte irgendetwas ausgelöst, gab es einen lauten Knall und das Licht einer Straßenlaterne explodierte regelrecht. Mallory wich erschrocken zurück als sie das sah und in diesem Moment schienen diese starren Augen sie wie Pfeile zu durchbohren. „Wag es niemals, mir zu nahe zu kommen“, wiederholte Anna mit tonloser Stimme. „Und verschwinde von hier. Du hast hier nichts verloren.“ Damit wandte sich das weiß gekleidete Mädchen um und verschwand in der Dunkelheit. Mallory machte keinerlei Anstalten, ihr zu folgen. Sie war wie erstarrt und verstand nicht, was gerade passiert war. War das etwa gerade ein Zufall gewesen, oder war das Licht der Straßenlaterne auf Annas Willen hin explodiert? Wer zum Teufel war dieses Mädchen und was wusste sie über Dark Creek? Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass an Lewis’ Worten etwas Wahres dran war: Irgendetwas schien in dieser Stadt nicht zu stimmen und wahrscheinlich hatten Anna und Josephine etwas damit zu tun, auch wenn sie selbst noch keinen Plan hatte, was hier eigentlich falsch war.



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