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Nosce te ipsum

Erkenne dich selbst!
von

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Eins, zwei, drei - schwarz!

Vor den Türen der Halle standen Hunderte, nein, Tausende von Menschen. Viele von ihnen tranken heißen Tee und hatten sich in Decken und dicken Jacken eingehüllt. Auch wenn ab und an die Sonne schien, die Temperaturen waren niedrig und der ab und an aufkommende Wind zerrte an den Haaren.
 

Überall war Gemurmel und Gelächter zu hören.

Trotz der langen Wartezeit war die Stimmung beschwingt. Man sah bunte Plakate, selbstgemachte Banner und Handzettel. All das zeigte die Bilder der Band, die jeden Moment hier ankommen sollte.
 

Geduldiges Harren…
 

Mitten im Getummel befand sich auch Ian.

Sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Und er sah auf die Meute, die ununterbrochen spekulierte, wie das heutige Konzert wohl sein würde und über ihre Idole redeten. Doch das interessierte ihn gar nicht.

Ihn interessierten die Ankunft der Band und die angekündigte Autogrammstunde vor der Halle, bevor das Konzert losging…

Denn dann würde er seine Rache endlich bekommen.

So lange hatte er darauf warten müssen, den Jungen zu begegnen, der ihm damals alles genommen hatte. Und jetzt würde er ihm auch alles nehmen.
 

„Hallo? Würdest du mir vielleicht mal die Tasse da geben?“, wurde er von einer Stimme aus den Gedanken gerissen.
 

Er drehte sich um und sah einem Mädchen ins Gesicht, welches ihn ihrerseits fragend anblickte. Sie war höchstens 15 und hatte versucht, sich wie ihr Idol zu schminken.

Ohne ein Wort drehte er sich um und reichte dem Mädchen die gewünschte Tasse, welche sie anscheinend neben ihm auf der Mauer abgestellt hatte.
 

„Danke“, sagte sie und sah ihn dann neugierig an. „Bist du auch ein Fan?“
 

„Könnte man so sagen.“
 

„Cool! Ich habe hier noch überhaupt keinen Jungen gesehen! Wen findest du denn gut?“
 

Wollte die jetzt wirklich Smalltalk führen oder was?

Das konnte er wirklich nicht gebrauchen, aber auffallen war auch eher schlecht… schließlich musste er noch eine gute Viertelstunde warten, ehe er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Seine rechte Hand schloss sich fast mechanisch um das kleine Fläschchen in seiner weiten Jackentasche.
 

„Lass mich raten! Bestimmt Tom… den finde ich auch voll toll!“
 

Nein, mein Herz. Ich hab die Hoodie an, damit keiner vorher sieht, was ich geplant habe. Auch nicht diese Idioten von Sicherheitsleuten.
 

Trotzdem nickte er.
 

„Ich muss kurz noch mal wohin“, sagte er mit leiser Stimme und ging von der aufdringlichen Person weg.
 

Ian ließ sich in der Masse vorantreiben, bis er den Kopf der anderen nicht mehr sehen konnte, dann kam er wieder zum Stehen. Jetzt befand er sich noch ein Stück weiter vom Eingang entfernt, aber das war gut. Die Band würde ankommen und sich dann sicher mit Autogrammen bis zum Eingang vorarbeiten…

Und dann kam sein Finale.

Er blickte über die Masse und ein bösartiges Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Die meisten der anwesenden Fans waren in dem Alter von Eva, als sie ihn verlassen hatte.

Sie würden es alle sehen! Sie würden ihn alle sehen!

Und das war gut!
 

Ian wurde von hysterischem Kreischen und lauten Rufen aus seinen dunklen Gedanken gerissen. Die Busse der Band fuhren vor.
 

Showtime.
 


 


 


 

°
 


 


 


 

„Wow, sind das viele! Wie lange die da wohl schon stehen?“
 

Sein Zwilling blickte ihn halb belustigt, halb genervt an. „Ich hab keine Ahnung, Bill! Außerdem stellst du bei jedem Konzert fest, dass es viele sind.“
 

„Aber das ist doch voll krass! Ich hab immer das Gefühl, dass es mehr werden...“, nuschelte der Schwarzhaarige und sah nach draußen zu den Menschenmassen, die anscheinend ihr Auftauchen bemerkt hatten.

Jetzt drängten die ersten Fans schon in Richtung Straße.
 

„Ich weiß, was du meinst.“
 

Stumm sahen die beiden zu, wie die schon anwesenden Sicherheitsleute die Fans davon abhielten, einfach vor den Bus zu laufen.

Sie hörten das Kreischen schon bis in das Fahrzeug und das war nur ein Indiz dafür, wie laut es draußen werden würde, wenn sie ausstiegen.
 

Bill blickte auf, als Georg und Gustav aus der Frontlounge kamen und sich zu ihnen gesellten. Es würde nicht mehr lange dauern…
 

„Jungs? Seid ihr bereit für die Ankunft?“, wollte David wissen und betrat nun auch den Essbereich des Busses. „Hat jeder einen Edding?“
 

Alle vier nickten nur.
 

„Warten Saki und Ben draußen?“
 

„Ja, das tun sie. Zuhören… der Plan sieht folgendermaßen aus: Ihr werdet gleich abgesetzt und dann werdet ihr ein paar Autogramme geben, damit wir die Fans ein wenig ruhig bekommen vor dem Konzert. Saki wird die ganze Zeit bei euch bleiben, keine Sorge. Auch die Stadt hat uns Sicherheitsleute zur Verfügung gestellt, also kann gar nichts schief gehen. Wenn ihr fertig seid, kommt ihr rein. Dann machen wir den Soundcheck… alles soweit verstanden?“
 

„Klar“, antworteten Tom und er synchron, während die anderen beiden nickten.
 

„Sehr schön.“
 

David wandte sich um und zog ein Handy heraus. Höchstwahrscheinlich musste er noch irgendetwas für den heutigen Abend organisieren.
 

Bill schaute indes zu seinem Bruder hinüber und lächelte unsicher.

Irgendwie hatte er bei dem Wort Autogrammstunde ein komisches Gefühl bekommen. In seinem Magen kribbelte es, wenn er nur daran dachte, länger als sonst in den Massen zu stehen und Autogramme geben zu müssen.
 

Aber wieso?
 

Sonst tat er das doch auch.

Und bis jetzt war dabei auch nie etwas wirklich Schlimmes passiert.

Aber für alles gab es bekanntlich ein erstes Mal oder?
 

Oder?
 


 


 


 

°
 


 


 


 

Ian stand immer noch starr zwischen den kreischenden Mädchen und starrte die Jungen an, die gerade aus dem Bus stiegen.

Viele der Fans, die am äußersten Rand gestanden hatten, hatten sich Richtung Straße bewegt, doch die Sicherheitsleute hatten sie bald darauf in Schach gehalten.

Jetzt sah er die Band, die anfingen, den kreischenden, schreienden und weinenden Weibern Autogramme zu geben.
 

Doch seine Augen waren nur auf einen gerichtet.
 

Er sah heute wieder ziemlich auffällig aus; auch wenn sein Outfit eigentlich nichts besonderes wahr, stach er aus allen anderen heraus.

Er hatte eine dunkle Jeans an, seine hohen Springerstiefel waren in den oberen Reihen offen und betonten die Dünnheit seiner Beine. Sein Gürtel war pompös und allein durch die riesige Gürtelschnalle ein Hingucker… das Oberteil war ein schlichtes olivgrünes Sweatshirt, doch das machten seine Ketten und die kurze, schwarze Lederjacke, die er darüber gezogen hatten, wieder wett. An seinem linken Unterarm baumelte eine große Frauenhandtasche.
 

Bill Kaulitz.
 

Ian kniff die Augen zusammen und versuchte die Wut, die in ihm aufstieg, noch ein bisschen in Schach zu halten.
 

Der Sänger trug seine inzwischen langen Haare offen; die schwarzweißen Dreadlocks fielen ihn um die Schultern und ließen ihn als ganze Gestalt noch femininer wirken.
 

Warum sollte dieser Kerl besser sein als er?!

Er sah ja nicht einmal aus wie ein echter Mann!
 

Wieso hatte sie ihn für diesen androgynen Jungen verlassen?
 

Wieder schloss sich seine rechte Hand um die kleine Flasche.

Bald war es soweit.
 

Die Rache kam näher!
 

„Entschuldigung, kannst du mir vielleicht deine Tasse leihen?“, fragte Ian das Mädchen, welches unmittelbar neben ihm stand.
 

„Was? Wieso das denn?“
 

„Ich hab den ganzen Tag noch nichts getrunken… irgendwie ist mir schlecht.“
 

„Dann hol dir doch selber eine. Die verteilen die hier!“, meinte sie und sah ihn argwöhnisch an.
 

Hm, klug war sie ja.

Sie vertraute ihm nicht, weil sie ihn nicht kannte.

Schlaues Ding.
 

„Okay.“
 

Er ging wieder ein Stück und trieb damit genau in die Richtung, in die er wollte. Umso näher er der Band kam, umso enger wurde es um ihn.

Hier standen die Fans wie die Heringe aneinander und versuchten kreischend ein Autogramm oder einen Blick auf ihre Idole zu erhaschen.

Seine Ohren klingelten schon jetzt wegen der Lautstärke, aber das bekam er nicht einmal mehr richtig mit. In ihm pulsierte wieder diese betäubende Schwärze, die er immer gespürt hatte, wenn er sie brauchte.
 

Er drückte sich an den Mädchen vorbei, was ihm Proteste und Gerangel einbrachte, doch das störte ihn nicht. Er war stärker.

Immer weiter vorwärts strebend, nahm er eine Tasse aus der Hand eines Mädchens, das gerade seine andere Hand nach einem Autogramm ausstreckte. Sie schien in ihrer Euphorie nicht einmal zu bemerken, was um sie herum geschah.
 

Er holte die Karaffe das erste Mal an diesem Tag ans Licht und füllte die Flüssigkeit in die Tasse um.

Hörte das Zischen, als die Flüssigkeit auf die andere Oberfläche traf und grinste.
 

Na Bill…

Komm ruhig noch ein wenig näher zu mir heran. Dann kann ich dir danke sagen. Danke dafür, dass du mir die Frau genommen hast, die ich geliebt habe.

Danke dafür, dass sie mich verlassen hat und mich wie ein Insekt ansah, als ich um sie kämpfen wollte…

Sie haben mich einweisen lassen. Nur weil ich gekämpft habe.

Danke, dass ich all die Jahre in einer Klapse verbringen musste.

Und das nur wegen dir!

Du!
 

„Hey… was… was machst du denn da?“, sprach ihn plötzlich eine schüchterne Stimme von der Seite an.
 

Doch das störte ihn nicht. Ohne den Sänger der erfolgreichen Band aus den Augen zu lassen, stieß er das Mädchen brutal beiseite und ging immer zielstrebiger auf Bill zu.

Das Grinsen in seinem Gesicht war bereits zu einer bösartigen Fratze geworden.

Auch das bemerkte Ian nicht.
 

Er hörte plötzlich einen lauten Warnschrei und jemand der Bills Namen rief, doch die Dunkelheit, die in ihm loderte, war schon da. Er war schon viel zu nahe.

Ohne zu zögern sprang er vor und auf den Sänger zu, der ihn entsetzt anstarrte.

Und noch ehe der Koloss von einem Mann, der genau hinter Bill stand, reagieren konnte, hatte er ihm die Tasse plus Inhalt entgegengeschleudert.
 

Dann rissen ihn die Sicherheitsleute zu Boden und fixierten ihn brutal auf dem Asphalt. Aber das war okay.

Weil er die Schreie hörte… seine Schreie…
 

Sie waren wie Musik in Ians Ohren.
 


 


 


 


 

°
 


 


 


 

Ohrenbetäubendes Kreischen hatte die vier empfangen, als sie den Bus verlassen hatten. Mindestens mehrere tausend Mädchen drängten sich auf dem Platz vor der Halle und drückten gegen die Absperrungen. Bill fröstelte ein wenig, als ihn ein kalter Windstoß traf.
 

Das Gelände war weitläufig, schlecht einzusehen und von Menschen bevölkert.

Irgendwie schlich sich langsam wirklich Angst in seine Eingeweide, doch noch immer verstand er nicht, was seine Vorahnung zu bedeuten hatte.

Tom, der neben ihn lief, stieß ihn sanft an.

Kurz trafen sich ihre Blicke, aber auch das half nichts gegen das nagende Gefühl, das in seinem Inneren wohnte.
 

Es waren fünf Securityleute bei ihnen, die sie auf Schritt und Tritt verfolgten, während sie an die ziemlich wacklige Absperrung traten und begannen, auf den unzähligen Bildern, Heften, Zetteln, Taschen und Armen zu unterschreiben.
 

Wieder einmal dankte er im Stillen Sakis Umsicht, denn wären er und seine Leute nicht so gut, dann hätte es sicherlich schon des öfteren ernsthafte Verletzungen gegeben. Man sollte Mädchen im Teenie-Alter nie unterschätzen!
 

Routiniert grinste Bill in die Kameras, nahm Geschenke entgegen, die er sofort an seinen Sicherheitsbeauftragten weiterreichte und versuchte entspannt auszusehen. Das ungute Gefühl in seinem Magen stieg, je näher er der Halle kam.

Unruhig ließ er seinen Blick über die Massen schweifen, doch er konnte nur Mädchen sehen, die ihn verzückt anlächelten und seinen Namen kreischten.
 

„Bitte schön…“, hörte er Tom neben sich sagen.

Sie gingen nebeneinander in Schritttempo Richtung Halle… wenn sie wirklich jedem hier ein Autogramm geben sollten, wären sie locker bis abends beschäftigt.
 

Der nächste Schreibblock wurde ihm entgegengehalten.

Etwas ungelenkt setzte er seine Unterschrift auf das Papier. Langsam begann seine Hand zu krampfen. Aber das Gefühl kannte er bereits.
 

„Bitte sehr….“
 

„Toooom….“, kreischte es vor ihm.
 

„Biiiiilllllll…“, setzte eine andere hohe Stimme sofort hinterher.
 

Er schrieb seinen Namen groß auf eine helle Tasche und gab sie der glücklichen Besitzerin zurück. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass auch Tom die Tasche in die Hand nah.
 

Es ist alles gut, versuchte er sich zu beruhigen und machte einen weiteren kleinen Schritt nach links.

Es wird nichts geschehen…

Hinter ihm war Saki, der seinen Blick immer wieder über die Menge schweifen ließ. Alles würde genau so ablaufen wie sonst auch! Jawohl!
 

„Schau hier her, Bill!“
 

Er gehorchte und setzte fast schon automatisch sein strahlendstes Lächeln auf, als er in eine Kamera blickte.
 

„Danke!!! Ich liebe dich so!“
 

Er hatte früh gelernt, diese Worte zu ignorieren.

Wie oft hatte er sich gefragt, wie man einem Fremden gegenüber so etwas äußern konnte? Natürlich glaubten sie, ihn zu kennen.

Aber das war ein Trugschluss… das wusste er, auch wenn er es nie laut aussprechen würde.
 

„Tom ist soooo süüüüüüß!!!!“, hörte er jemanden kreischen und musste sich ein Grinsen verbeißen.

Er sah, wie sein Zwilling kaum merklich zusammenzuckte und das Mädchen kess anlächelte. Doch er wusste, dass es den anderen eher nach einer anderen Reaktion gelüstete.

Tom hatte es schon immer gehasst, mit dem S-Wort betitelt zu werden.

Aber er hielt tapfer seine Fassade aufrecht und lächelte weiter sein Checkerlächeln. Alle Achtung!
 

Bill wandte sich dem nächsten Foto zu, das ihm entgegengehalten wurde und setzte seine Unterschrift unter sein abgelichtetes Selbst.
 

Und dann hörte er plötzlich den Schrei.

„PASST AUF!“
 

Fast mechanisch ob er den Kopf und sah einen Jungen, der sich durch die Masse der weiblichen Fans durchkämpfte.

Er war blond und sah ziemlich mittelmäßig aus, doch auf seinem Gesicht hatte sich ein bösartiges Lächeln abgebildet. Seine kobaltblauen Iriden waren die kältesten, die er jemals gesehen hatte. Er kam genau auf ihn zu.
 

Er spürte die Bewegung von Saki hinter sich, aber es war zu spät.
 

Erschrocken trat Bill zurück, als der Fremde plötzlich auf ihn zu sprang.

Alles, was danach geschah, passierte so schnell und beinahe gleichzeitig. Im Nachhinein konnte er sich nicht einmal mehr genau erinnern, was er als erstes sah. Und doch blieb das Ergebnis immer das gleiche…
 

Er hörte einen Schrei… wahrscheinlich kreischte jemand seinen Namen. Dann stolperte er, sah im Augenwinkel, wie Tom nach ihm greifen wollte und bemerkte die Bewegung der Sicherheitsleute… all das geschah fast zeitgleich.

In all dem Desaster sah er etwas auf sich zufliegen. Es sah fast aus wie ein Tasse. Sein erster Reflex war, ihr auszuweichen und sein zweiter, sie aufzufangen. Doch ehe er sich auch nur für eines entscheiden konnte, sah er die Flüssigkeit, die aus der Tasse spritzte.
 

Sekunden später traf sie ihn.
 

Erst passierte gar nichts…

Dann hörte er ein seltsames, zischendes Geräusch und registrierte das unmenschliche Schreien, das laut in seinen Ohren klingelte.

Alles stand in Flammen…

Nichts war mehr, wie es war –

alles wurde dunkel.
 

„BILL!!“
 

Erst, als er die Hände auf seinen Arm spürte, wurde ihm bewusst, dass diese schrecklichen Schreie von ihm selbst stammten.

Er spürte Toms Anwesenheit.

Er hörte die Stimme seines Zwillings und wollte eine Antwort geben.

Aber aus seiner Kehle kamen nur Schreie.
 

Die Zeit schien stillzustehen…
 

Bis alles schwarz wurde.
 


 


 


 


 

°
 


 


 


 

Alles, was er fühlte, waren höllische Schmerzen. Sein Gesicht spannte unangenehm und pochte, ein Piepsen drang an seine Ohren. Bill erwachte, aber er schaffte es nicht, seine Augen zu öffnen.
 

Wie viel wird davon zu sehen sein?

Es werden Narben bleiben, Genaueres können wir erst nach der OP sagen.

Aber er kommt doch durch, oder?

Er ist ein Kämpfer, Frau Kaulitz.

Oh Gott… was für ein Irrer hat das meinem Kind nur angetan?!
 

Schluchzen mischte sich unter die gehörten Wortfetzen, aber er konnte es nicht zuordnen. Wo war er eigentlich?
 

„Bill? Bill! Billy, hörst du mich? Schatz? Oh mein Gott, Bill! Alles wird gut, ich verspreche es dir!“, hörte er eine bekannte Stimme wie aus weiter Ferne.
 

Der Angesprochene versuchte erneut, seine Augen aufzumachen. Es gelang ihm aber nur, seine Augenlider einen Spalt breit zu heben.

Verschwommen sah er seine Mutter, die ihm mit erschrockenem Gesicht betrachtete. Sie hatte sich über ihn gebeugt… ihre Haare hingen wirr um ihre Schultern.
 

Wieder riss dieses Piepsen ihn aus seiner Schwärze, ein gequältes Stöhnen kroch aus seinem Mund.
 

Wie lange war er diesmal weggetreten gewesen?
 

Was war überhaupt passiert?
 

„Bill? Bist du wach?“
 

Tom…
 

Sein Zwilling drückte sanft seine Hand und plötzlich fühlte er sich um vieles klarer und kräftiger als noch zuvor.
 

Wieder versuchte er, seine Lider zu heben. Dieses Mal klappte auch das besser.

Doch er sah immer noch genauso unscharf wie am Anfang.
 

„Warte, mach langsam… du sollst dich noch nicht überanstrengen…“, hörte er seinen Bruder rau sagen.
 

„Tom?“, nuschelte er undeutlich.
 

„Ja, ich bin hier.“
 

Klang seine Stimme etwa besorgt?
 

„Was ist passiert?“, brachte Bill mühsam hervor. Seine Hände tasteten sein Gesicht ab und fühlten dicke Bandagen. „Was ist das?!“
 

„Ruhig, Kleiner, ganz ruhig! Bitte, du darfst dich jetzt nicht aufregen, okay?“
 

Nun hatte Tom seinen Arm gepackt und war näher gekommen.

Vorsichtig strich er ihm durchs Haar.
 

„Du bist im Krankenhaus, Bill… er-erinnerst du dich echt nicht mehr?“
 

„Nee…“
 

Erschöpft ließ er seinen Kopf zur Seite rollen und sah seinen Bruder an. Er war noch immer nur verschwommen zu sehen.

Was war das bloß?
 

Ein Schluchzen ertönte von der anderen Seite des Bettes und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seine Mutter.
 

„Sie haben dich an einem Monitor angeschlossen, er misst deine Herzfrequenz“, erklärte sie unzusammenhängend und schaute auf das Gerät.
 

Ah… daher kam also das Piepen.
 

Das erklärte aber noch lange nicht seine plötzliche Kurzsichtigkeit…

Ob er - ?
 

Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, zog er Tom an seiner Hand zu sich. Es war eher ein kläglicher Versuch, doch sein Zwilling schien ihn zu verstehen.

Er beugte sich über ihn und brachte sein Gesicht dicht an das des Verletzten.

Endlich konnte er ihn wieder scharf erkennen.
 

„Was ist passiert?“, wiederholte sich Bill mit schwacher Stimme. Er bemerkte den besorgten Blick, den Tom seiner Mutter zuwarf.

Anscheinend gab diese ihr Okay, denn er setzte zum Reden an.

„Du hattest im Bus auf den Weg zu unserem Konzert in München schon die ganze Zeit so ein ungutes Gefühl… erinnerst du dich? Du hast gesagt, dass irgendwas passieren muss. Ich – ich hab dir das ausgeredet und wir sind zur Autogrammstunde vor der Halle gegangen“, erzählte er und schluckte heftig. „Als wir ungefähr auf der Hälfte waren, hat irgendjemand ACHTUNG gerufen und… und dieser Irre hat… na ja, er hat dein Gesicht verätzt mit - mit Schwefelsäure.“
 

„Verätzt?“, wimmerte Bill und tastete mit seiner Hand nach Toms.

Dieser nahm sie in beide Hände und drückte sie fest.

Er konnte die Verzweiflung und den Schmerz in den braunen Augen seines Zwillings tanzen sehen, denn er hatte sich noch nicht zurückgezogen.
 

„Ja… Aber die Ärzte meinen, du hattest Glück im Unglück. Deine Lippen und deine Nase ist unversehrt geblieben und …“
 

Tom brach ab und wich seinem Blick aus.
 

„Was…? Was ist?!“
 

Das durfte doch alles nicht wahr sein!

Nein! Das musste einfach ein ganz schrecklicher Traum sein…
 

„Deine Augen, Billy“, hörte er seine Mutter schluchzen. „Sie haben was abbekommen… aber es hätte schlimmer kommen können. Du hättest blind werden können oder - !“
 

Auch sie wurde von einem Weinkrampf unterbrochen.
 

„Oh Gott“, keuchte Bill auf und die Schmerzen wurden schlimmer.
 

Er war entstellt! Wahrscheinlich für immer!

Wie hatte das denn nur passieren können?
 

„Gibt es Hoffnung für mein Gesicht?“, fragte er leise.
 

Tom senkte den Blick auf die Decke. „Du wurdest vor einer Stunde notoperiert. Die Ärzte können noch nicht sagen, ob die OP erfolgreich war. Höchstwahrscheinlich werden Narben zurückbleiben. Und deine Augen… na ja du wirst eine Brille brauchen…“
 

„Ich bin entstellt“, antwortete er fassungslos. „Ich… ich bin nicht mehr Bill… “
 

„Sag so was nicht! Natürlich bist du noch Bill!“, widersprach seine Mutter energisch und packte nun seine andere Hand.
 

Aber das bekam der Schwarzhaarige schon kaum mehr mit.

Chaos…

Wenn irgendjemand ihn in dem Moment gefragt hätte, wie es in seinem Inneren aussah, dann hätte er nur dieses eine Wort sagen können.

Sein Kopf fühlte sich an, als wäre eine Granate darin eingeschlagen und hatte alles an einen anderen Platz gesprengt. Alles war anders…

Wie sollte er je wieder unter Menschen gehen können?

Bill hatte das Gefühl, sein Kopf müsste jeden Moment platzen, weil all seine Gedanken und Emotionen keinen Platz mehr darin hatten.

Er hatte kein Gesicht mehr.

Es war ihm in Sekunden von irgendeinem irren Menschen genommen worden.

Er sah nicht mehr aus wie Tom…

Wahrscheinlich eher wie ein Monster!

Seine Karriere…Tokio Hotel...

Das alles war ruiniert!

Seine Welt brach gerade zusammen und er konnte nichts dagegen machen.

Gar nichts.
 

„Nein…“ flüsterte Bill gebrochen. „Nein…ich ertrag das nicht.“
 

Das klang so kläglich und drückte doch alle Gefühle aus, die in seinem Herzen brannten.
 

„Tommy, ich kann nicht mehr, ICH KANN EINFACH NICHT MEHR! MACH, DASS ES AUFHÖRT!“ schrie er dann hysterisch und riss seine Hände los. Er überkreuzte diese über seinem Kopf und spürte erneut die dicken Bandagen.
 

„Warum? Warum muss das mir passieren?“, schluchzte er laut und krümmte sich.
 

Der Monitor, der bis jetzt seine Herzfrequenzen gemessen hatte, drehte durch.
 

„Bill ! Oh Gott, beruhig dich doch!“, rief seine Mutter entsetzt, als der Wert auf den Monitor immer mehr anstieg.

Inzwischen war ein Notsignal ausgelöst wurden.
 

„SAG MIR, DASS DAS NICHT WAHR IST! WARUM ICH?“
 

„Bill… beruhig dich bitte… es war ein dummer Fehler, aber-“
 

„Fehler? FEHLER?!“, rief Bill aus und sein Gesicht explodierte vor Schmerzen. „SOLCHE FEHLER DÜRFEN GAR NICHT PASSIEREN!“
 

Er sah den Arzt und zwei Schwestern hereinstürmen.

Vor seinen Augen begann es zu flimmern und zu zucken, dann wurde wieder alles schwarz um ihn herum.



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