Offenbarungen
Nami erwachte keuchend aus ihrem Traum. Sie war nicht schweißgebadet oder angsterfüllt wie sonst immer bei schlimmen Albträumen, doch ihr Herz raste wie wild. Nein, es war definitiv kein Albtraum gewesen, eher das Gegenteil. Doch genau das schockierte sie so.
Langsam richtete Nami sich etwas auf, um die Uhrzeit auf ihrem Handy zu checken. 3:46 Uhr, viel zu früh um aufzustehen und sich für den Tag fertig zu machen. Leise seufzend legte sie sich wieder hin und schloss die Augen, um die Geschehnisse Revue passieren zu lassen...
~~RÜCKBLICK~~
"Es tut mir Leid." flüsterte sie, während sie sich kaum traute, ihm in die Augen zu schauen. Sie war sich der Situation durchaus bewusst: sie saßen allein in einem Zweiersitzer, der Tunnel durch den sie fuhren war dunkel, nur die Lampen, die die einzigen Figuren beleuchteten, schenkten Licht. Gut, dass es zu dunkel war, sonst hätte Ruffy bestimmt ihre roten Wangen gesehen.
"Dir braucht doch nichts Leid zu tun." meinte Ruffy versöhnlich und umfasste Nami's Hand, die auf ihrem Knie ruhte. Überrascht schaute sie doch auf und sah sein altbekanntes Grinsen, das sie so mochte.
"Ich habe mich aber echt schrecklich benommen. Es wäre ja nicht schlimm, wenn du was mit Boa anfangen würdest, schließlich ist es deine Entscheidung..."
Zum Ende des Satzes wurde Nami immer leiser, sodass Ruffy sie kaum noch verstehen konnte.
"Als würde ich etwas mit der anfangen! Sie ist mir viel zu aufdringlich, nicht so wie du."
~~RÜCKBLICK ENDE~~
Danach hatte Ruffy versucht, sie zu küssen. Naja, jedenfalls ist es Nami so vorgekommen. Schließlich hatte er sich ihr deutlich genähert, bis sie einander nurnoch wenige Zentimeter voneinander entfernt in die Augen sahen. Doch bevor Nami's Theorie sich bewahrheiten konnte, war sie zurückgeschreckt und löste die feste Umklammerung mit seiner Hand. Danach waren sie letztendlich in ein betretenes Schweigen verfallen, das schwer auf Nami's Herzen lastete. Ruffy's Nähe war noch nie so unangenehm gewesen wie in diesem Moment. Sie wusste noch genau, wie sie sich in dieser Situation gefühlt und was sie gedacht hatte. Verwirrtheit. Hatte Ruffy gerade tatsächlich versucht, sie zu küssen? Wenn ja, warum? Sorge. Hatte sie Ruffy mit ihrem Verhalten jetzt irgendwie verletzt? Würde diese Situation für immer zwischen ihrer Freundschaft stehen?
Zusätzlich fing es dennoch leicht in ihrem Körper an zu kribbeln, was Nami jedoch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht unterordnen konnte.
Momentan hatte Nami nur noch Schuldgefühle, weil sie ihm den gesamten gestrigen Tag aus den Weg gegangen war. Den gesamten dritten Tag der Londonreise verbrachte die Clique bei einer Stadtrundfahrt mit dem Rest der Klasse, sodass es ein leichtes war, nicht in Ruffy's Nähe zu sein. Ohne ein Wort hatte sie sich neben Robin gesetzt, sodass Zorro gezwungen war neben Ruffy zu sitzen, der ihre Entscheidung nur still quittiert hatte. Nami schämte sich für ihr Verhalten in Grund und Boden. Wie konnte sie Ruffy das nur antun? Schließlich war er ihr bester Freund, den sie schon seit einer Ewigkeit kannte. Wovor hatte sie solch eine Angst? Bestimmt hatte Nami in diesem Zweiersitzer nur überreagiert, obwohl Ruffy sie gar nicht küssen wollte, sondern vielleicht nur umarmen oder so.
Grübelnd drehte sie sich einmal, um eine bequemere Schlafposition zu finden. Heute würde sie mit ihm reden und sich entschuldigen, nahm Nami sich entschlossen vor. Und während sie diese Entscheidung gefällt hatte und nun beruhigter war, sank sie auch schon langsam ins Land der Träume.
"Sag mal, Nami, was ist eigentlich los zwischen Ruffy und dir? Du hast ihn den gesamten gestrigen Tag völlig ignoriert." bemerkte Robin fast nebensächlich am frühen Morgen an, als diese sich für das Frühstück gehbereit machte. Gut, dass Boa gerade im Bad war, dachte Nami, sonst würde sie bestimmt zuhören.
"Nicht so wichtig. Wir...haben das wieder geklärt." lügte Nami, sodass sie kleine Gewissensbisse überkam. Vivi und Robin schauten synchron skeptisch, doch ein aufbauendes Lächeln von Nami genügte, um sie zu besänftigen. Jedenfalls dachte Nami das, doch ihre beiden Freundinnen schenkten sich einen unauffälligen Blick, der alles andere als glaubhaft war. Dennoch wollten sie Nami nicht weiter drängen und ließen vorerst von dem Thema ab. Gemeinsam (mit Ausnahme von Boa Hancock) gingen die drei hinunter zur Kantine, die sehr an die in der Schule erinnerte. Kräftig einatmend setzte sich Nami wie sonst auch neben Ruffy, der etwas überrascht die Augenbrauen hob, jedoch nichts dazu sagte. Genau wie Nami hatte Ruffy schon die ganze Zeit über die Situation im Madame Tussauds nachgedacht, dabei voller Schuldgefühle, die Freundschaft gefährdet zu haben. Es hatte ihn tief verletzt, dass Nami ihn derart ignoriert hatte, doch er konnte es ihr nicht wirklich verübeln. Was versuchte er auch, sie zu küssen? Seine beste Freundin! Wahrscheinlich hatte sie nicht mal im entferntesten daran gedacht, mit Ruffy auf diese Weise...
"Guten Morgen, Ruffy." ertönte die altbekannte Stimme von Nami, die übertrieben glücklich klang, so als würde sie es nur heucheln. Er kannte sie einfach zu gut.
"Morgen." erwiderte er nur, da er noch ziemlich misstrauisch gegenüber ihrer Stimmungsschwankung war. Er wusste, das sie beide miteinander reden müssten, doch er empfand den Frühstückstisch mit seiner Clique nicht als einen geeigneten Platz dafür. Natürlich hatte auch der Rest ihres Freundeskreises bemerkt, dass irgendetwas faul zwischen den beiden war, doch keiner wollte sich laut darüber äußern.
"Wir sollten reden." meinte Nami rundheraus, dabei den Blick fest auf den Teller vor ihr gerichtet. Momentan schien dieser ziemlich interessant zu sein. Ruffy allerdings schaute sie von der Seite an und versuchte ihre Gesichtszüge zu deuten.
"Okay." antwortete er einsilbig.
Somit verfielen die beiden wieder in ein betretenes Schweigen, bis sie fertig waren mit dem essen und nach draußen gingen. Mit einem kleinen Abstand setzten sie sich auf die Gesteinstreppen vor dem Hotel, der kalte Wind zerzauste Nami die Haare.
Anfangs sagte niemand etwas, bis Ruffy es nicht mehr aushielt und sich an seine beste Freundin wandte.
"Es tut mir Leid. Das, was ich im Madame Tussauds getan hatte...ich meine, versucht hatte. Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat. Doch auf jeden Fall sollst du wissen, dass ich nicht unsere Freundschaft wegen so etwas gefährden will. Du bist immernoch meine beste Freundin und wirst es bleiben." erklärte er ohne Umschweife, dabei den Atem anhaltend, während er auf eine Antwort wartete. Nami allerdings fand keine Worte, stattdessen rutschte sie näher an ihn ran und umarmte ihn fest.
"Mir tut es eher Leid, ich habe mich so albern benommen. Kannst du mir verzeihen?" murmelte sie. Ruffy fing nur an zu Lächeln und nickte.
"Vergeben und vergessen." antwortete er darauf, was Nami ebenfalls zum Lächeln brachte. Erleichterung durchströmte die beiden. Einige Minuten saßen die beiden so da, genossen die angenehme Wärme des anderen und schwelgten in Gedanken.
"Nun gut, dann lass uns zu den anderen zurückgehen, sie machen sich bestimmt schon Sorgen, wo wir bleiben." meinte Nami schließlich, als sie sich voneinander lösten und angrinsten.
"Okay." sagte Ruffy einverstanden und erhob sich von den kalten Steintreppen. Als die beiden wieder durch die Lobby traten, entdeckte Ruffy Zorro in einer Ecke stehen. Er schien schon auf ihn zu warten.
"Geh du schon mal vor, ich hab noch was zu erledigen." sagte er Nami Bescheid, die Zorro nicht entdeckt und deshalb einfach zurück in die Kantine lief.
Als diese gänzlich vor seinen Augen verschwunden war, wendete Ruffy sich seinem besten Freund zu.
"Und?" fragte Zorro mit altbekannter Stimme, die ziemlich schroff klang.
"Alles geklärt, vergeben und vergessen." beantwortete Ruffy seine Frage. Dabei hörte er sich alles andere als glücklich an, was Zorro natürlich sofort auffiel.
"Warum dann so niedergeschlagen?"
"Weil das nun der Beweis war, dass Nami nichts für mich auf diese Weise empfindet. Du hast doch gesehen, wie sie reagiert hat, als ich sie versucht hatte zu küssen. Sie ist mir gestern komplett aus dem Weg gegangen. Was macht sie nur, wenn ich ihr meine Gefühle gestehe?" Natürlich war diese Frage rein rhetorisch, deshalb antwortete Zorro darauf auch nicht.
"Wir können aber auch nicht in ihren Kopf gucken und sehen was sie denkt. Vielleicht ist sie einfach nur zu verwirrt gewesen und hat dich deshalb ignoriert?" Die beiden ahnten ja nichtmal, wie sehr Zorro's Aussage ins Schwarze traf.
"Nur deshalb würde sie mich doch nicht ignorieren. Ich bin ihr bester Freund! Sie kann mit mir über alles reden." hielt Ruffy an seiner Meinung fest, obwohl er nicht mehr gänzlich sicher war.
"Vielleicht genau deswegen nicht. Schließlich fühlst du wirklich was für sie, aber redest nicht mit ihr darüber, weil sie deine beste Freundin ist und du die Freundschaft nicht zerstören willst."
Zorro hörte sich dabei immer weiser und hilfreicher an, was Ruffy ziemlich schockierte. Der sonst so wortkarge und kühle Freund wurde gerade richtig gesprächig. Grübelnd nickte Ruffy, dem diese Aussage immer plausibler erschien. Dennoch konnte er sich noch nicht vorstellen, das Nami etwas für ihn empfand. Sonst wäre ihm das doch bestimmt schon aufgefallen, oder?
Während die beiden Jungs immernoch in der einen Ecke der Lobby standen und sich leise unterhielten, trat Nami inzwischen in die Kantine ein, die um einiges leerer war als vorher. Ihre Clique allerdings saß noch genau an Ort und Stelle. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht setzte sich Nami wieder an ihren Platz, sich den neugierigen Blicken der anderen durchaus bewusst.
"Es ist alles geklärt." sagte sie deshalb, sodass es alle verstanden. Erleichterung machte sich breit, da die angespannte Situation die gestrige Stimmung durchaus verschlechtert hatte. Während die anderen sich schließlich in ihre eigenen Gespräche vertieften, wendeten sich Robin und Vivi allerdings Nami zu, die inzwischen leicht die Stirn in Falten legte, als würde sie stark nachdenken.
"Was ist los?" fragte Vivi, die genau merkte, dass Nami alles andere als überglücklich war. Diese zuckte einfach nur mit den Schultern, da sie selbst noch nicht genau wusste, was los war mit ihr. Zwar war sie erleichtert und glücklich, da mit Ruffy nun alles geklärt war, doch eine leichte Enttäuschung konnte sie nicht verhindern. Was erwartete sie von ihrem besten Freund? Das er zugab, dass er sie mit Absicht küssen wollte? Wieso wollte sie das?
Den Gedanken verdrängend lächelte sie und versuchte von der Frage abzulenken.
"Was machen wir heute eigentlich?"
Während wieder eine Diskussion darüber ausbrach, was man heute alles machen konnte, versank Nami wieder in ihre eigene Gedankengänge. Was den anderen allerdings nicht aufgefallen war, ist, dass Ace den Mädchen zugehört hatte und ebenfalls nachgrübelte. Was war nur mit seinem kleinen Bruder los? Ihm war inzwischen auch schon aufgefallen, dass dieser sich sonderbar benahm, doch Ace kam auf keinen plausiblen Grund. Bevor er aber die Entscheidung fällen konnte, aufzustehen und Ruffy zu suchen, wendete sich sein neuestes Anhängsel an ihn.
"Ace, was hältst du davon?"
Vivi strahlte ihn von der Seite an, während sie eine Hand auf seinen Arm legte. Natürlich war ihm auch schon aufgefallen, dass sie seine Nähe suchte, doch stören tat ihn das nicht unbedingt. Stattdessen war ihre Nähe irgendwie angenehm, ganz anders als die anderen Mädchen, mit denen er bisher zutun hatte. Leider hatte er nicht besonders zugehört, was man wohl an seinem Blick deutlich erkennen konnte.
"Sanji hat vorgeschlagen, dass wir uns einfach mal das Golden Eye ansehen." erklärte Vivi ihm schmunzelnd, was ihn auch zum Grinsen brachte. Er mochte sie, warum wusste er selbst noch nicht.
Nachdem alle dem Vorschlag von Sanji zugestimmt hatten, kamen auch gerade Ruffy und Zorro in die Kantine.
"Wir gehen heute zum Golden Eye, kommt ihr mit?" fragte Lysopp, der sich schon sichtlich darauf freute. Die beiden nickten einverstanden, schenkten sich aber noch einen wissenden Blick, als hätten sie ein Geheimnis, das sie dringend hüten mussten. Ace war inzwischen ziemlich misstrauisch und nahm sich vor, Ruffy später darauf anzusprechen.
Als sich alle schließlich auf den Weg machten und letztendlich an dem großen Riesenrad ankamen, verschlug es einigen die Sprache. Man hatte einen wundervollen Ausblick über den angrenzenden Fluss, auf der anderen Seite stand weiter hinten der Big Ben.
Das einzige, was die gute Stimmung von Nami wieder trübte, war eine gewisse Person in hohen High Heels und einem beachtlichen Ausschnitt. Boa Hancock hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht, Nami vollends auf die Nerven zu gehen, den diese hatte beschlossen genau heute ebenfalls das Golden Eye zu besuchen und dementsprechend wieder an Ruffy zu kleben. Nami versuchte ihre schreckliche Eifersucht zu unterdrücken und wendete sich von den beiden ab. Arme verschränkend stand sie an dem Geländer, das sie von der 'Themse' abgrenzte und betrachtete den Horizont. Weiter rechts von ihr stand Ace mit Vivi, die ihm fröhlich etwas erzählte. Tatsächlich standen Robin und Zorro ebenfalls zusammen an einer Stelle des Geländers, was Nami zum Lächeln brachte. Sie musste dringend ihre Freundinnen auf die zwei Jungs ansprechen.
Von weiter links hörte sie plötzlich die helle Stimme von Boa, die sich wieder regelrecht an Ruffy andrückte. Ace hatte sie ebenfalls gehört und beobachtete seinen Bruder heimlich. Während er weiter darüber nachdachte, was mit ihm los war, fand er schließlich eine Erklärung, die ihn zum Grinsen brachte.
Ruffy stand auf sie! ...
Ruffy stand auf Boa Hancock!
Während Ace seine neueste Erklärung für Ruffy's Verhalten ziemlich plausibel fand (dabei ahnte er ja gar nicht, wie falsch er lag), ging Nami entschlossen auf die beiden zu und zerrte ihren besten Freund von der Kuh weg. Diese machte ein empörtes Geräusch, doch grinste frech, als sie erkannte, wer hier vor ihr stand.
"Was denn, eifersüchtig?" fragte sie, was Nami nur weiter zur Weißglut brachte. Ruffy bemerkte durchaus den Gemütszustand von ihr und versuchte sie zu beruhigen, indem er ihre Hand ergriff.
"Nami, beruhig dich. Es ist schon okay..."
"Nichts ist okay!" unterbrach sie ihn herrisch. Ruffy wusste, wenn Nami in dieser Stimmung war, konnte sie nichts mehr zur Ruhe bringen. Eigentlich schaffte er es meistens dennoch, doch da Boa hier war, würde er es nicht so leicht schaffen.
Nami wollte sich allerdings auch gar nicht beruhigen, weil sie zu wütend auf ihre Feindin war. Nur wegen ihr war sie so schrecklich eifersüchtig gewesen, nur wegen ihr ist Ruffy ihr schließlich im Madame Tussauds hinterher gerannt und hatte sich entschuldigt. Nur deswegen hatte Ruffy versucht sie zu küssen und nur deshalb war Nami ihm gestern aus dem Weg gegangen. Sie hatte es einfach satt, sich immer wieder zwischen Boa und Ruffy stellen zu müssen.
Sie wollte ein für alle Mal eine Lösung haben, damit man Hancock loswerden konnte.
"Ich will doch nur mit ihm ausgehen, was interessiert es dich?" fragte Boa sie, dabei wurde sie immer zickiger.
"Was es mich interessiert?" stellte Nami die Gegenfrage, dabei immer lauter werdend. "Das kann ich dir sagen!"
Ohne zu überlegen und von ihrer Wut geleitet sagte Nami schließlich etwas, was ihr später wohl noch einiges an Kopfzerbrechen bereiten würde.
"Wir sind zusammen!"
