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Tokyo: Real Vampire

Zwischen Gothic und Legende
von

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aufgeklärt

Zeda schnaufte, als er verstand, was hier gespielt wurde. Die Joker hatten mitgehört. Man hatte sie beide solange im Treppenhaus sitzen lassen, bis sie aus Übermut, Langeweile oder Verzweiflung begannen, über das zu reden, was ihnen wirklich auf der Seele brannte. Ein simpler Trick, der auch von der Polizei sehr gern genutzt wurde. Nagut, sie hatten nichts zu verbergen. Die Joker konnten ruhig wissen, was hier Phase war. So wie er die einschätzte, wussten sie es sowieso längst.
 

„Verzeiht, daß wir euch haben warten lassen.“, meinte Dare Ka, der in der kleinen Mietwohnung an einem Schreibtisch saß und dekorativ einige Papiere um sich herum ausgebreitet hatte, damit es aussah, als hätte er gearbeitet. Die Wohnung wirkte spartanisch und provisorisch. Vermutlich war das hier nur ein mobiles Hauptquartier, das sofort wo anders hinverlegt wurde, sobald sie irgendjemandem den Standort verraten hatten oder von jemandem gefunden wurden.

„Du sagtest, Safall schickt euch!?“, begann der Joker auch sogleich das Gespräch.

„Ja. Allerdings hatte er nicht mehr die Chance, uns noch irgendwelche weiteren Informationen mitzugeben. Wärt ihr so nett, uns zu sagen, was der Zweck eures Treffens mit Safall sein sollte?“ Zeda übernahm wieder das Reden, wofür Oniji ihm dankbar war. Zeda wusste wenigstens genug über diese kunterbunten Kerle.

Dare Ka hob kurz seufzend die Schultern. „Wir wissen auch nicht sehr viel. Safall hat den Kontakt zu uns gesucht und wollte ein Treffen. Wir nehmen an, daß er uns um Hilfe bitten wollte, denn er hat uns von Oniji und seinem Missgeschick mit dem Pik Bube und der Pik Dame erzählt.“ Er lächelte. „Ich kann mir gut vorstellen, daß Safall Hilfe gesucht hat. Eine Fede zwischen Pik und Kreuz ... nun, wir wissen alle, was das bedeuten würde.“

„Was würde das denn bedeuten?“, flüsterte Oniji Zeda zu.

Das Grinsen des Kerls am Schreibtisch wurde breiter. „Wie ich sehe, hat Safall dir nicht sehr viel beigebracht.“

„Er hatte wenig Gelegenheit dazu. Ich bin erst seit vier oder fünf Tagen sein Schüler.“

„Und hast ihm schon solchen Ärger eingehandelt?“ Dare Ka schüttelte den Kopf, ohne das süffisante Grinsen aus seinem Gesicht zu bekommen.
 

„Pik und Kreuz konnten sich noch nie besonders gut leiden.“, begann Zeda zu erzählen. „Es gab immer schon tätliche Auseinandersetzungen zwischen ihren Mitgliedern. Das liegt an den allerersten Königen dieser beiden Linien. Der erste Kreuz König hat den ersten Pik König betrogen. Oder andersherum. Die Versionen dieser Geschichte variieren je nach Geschmack und Gelegenheit. Geblieben ist ein großer Hass der beiden aufeinander, der sich auch auf ihre Anhänger übertragen hat und von den nachfolgenden Königen wie eine Tradition weitergeführt wurde. Die Pik und die Kreuz hassen sich, ohne heute wirklich noch sagen zu können, warum.“

„Das ist der Grund, warum der kleinste Streit zwischen ihnen sofort eskaliert.“, warf Nani Ka von der Seite ein. „Wärst du nicht ausgerechnet der Schüler des Kreuz Ass gewesen, hätten Shaishu und Namai dich bestimmt krankenhausreif geschlagen und dem Kreuz König eine satte Schuld in Rechnung gestellt. Aber vor dem Ass hatten sie dann wohl doch etwas zuviel Respekt.“

Oniji erinnerte sich spontan an einen Satz aus einem dieser Vampir-Filme. War er aus <Königin der Verdammten>, wo Lestat zu Marius sagte, daß Vampire keine alten Rechnungen beglichen, sondern sie pflegten? Irgendwie kam ihm das gerade verdammt passend vor.

„Politik kann eine komplizierte Sache sein.“, seufzte Dare Ka und stützte das Kinn auf beide Fäuste. „Begleicht Safall diese Schuld gegenüber Shaishu und Namai nicht zeitnah, wandert der ganze Zwist eine Ebene nach oben und wird zu einer Angelegenheit zwischen König und König. Aber wie mir scheint, hat der Kreuz König schon davon Wind bekommen und die Sache gleich eigenständig zu seiner Angelegenheit erklärt. Hat er Safall nicht zur Rechenschaft gezogen? Es gehen da Gerüchte um, wie ich höre. Einige sagen, die Strafe sei zu mild für das Vergehen, andere sagen, er würde für das falsche Vergehen bestraft.“

„Wie kann Safall diese Schuld, wie ihr sie nennt, denn begleichen?“, wollte Oniji halb interessiert, halb verängstigt wissen.

Dare Ka zuckte mit den Schultern. „Was immer der Pik Bube und die Pik Dame als Entschuldigung akzeptieren. Da sie Pik sind, wäre es naheliegend, daß sie Geld wollen. Ihrem Ruf gemäß wird Safall sich aber eher ihren physischen Rachegelüsten ausliefern müssen. Sie sind bestialische Schläger, die beiden. Man merkt deutlich, wie sehr sie zur Karo-Blutlinie neigen.“

Karo waren die, die so strenge Regeln und Gesetze hatten und Verstöße entsprechend hart bestraften, erinnerte sich Oniji. Kein Wunder, daß solche Leute auch im Pik-Lager zu Bube und Dame und damit zu Ministern des Königs wurden.

„Sie haben viele Freunde bei den Karo. Und der Pik König ist darüber auch nicht böse, denn so hat er die Karo beinahe als Verbündete.“, fügte der Joker an. „Wohlmöglich wollen Shaishu und Namai von Safall eine Mischung aus beidem, Geld und Rache. Und von beidem nicht gerade wenig, wie ich annehme. Gibt er diesen Forderungen nicht nach, tragen die Könige das untereinander aus.“

„Was geschieht dann?“, wollte Oniji atemlos wissen.

„Krieg. Schlicht und ergreifend. Es wird Überfälle und Schlägereien geben, man wird Clubs ausrauben und anzünden, man wird Vampire auf offener Straße zusammenschlagen und ihren Alltag sabotieren, Wohnungen aufbrechen, Konten enteignen, Ladenbetreiber und Händler erpressen, Reviere umkämpfen, Gefangene machen, kein Mitglied der Pik- und Kreuz-Blutlinie ist dann noch sicher. Bis einer der beiden Könige aufgibt und unter Schuldanerkenntnissen und Strafzahlungen den Frieden ausruft. ... Vermutlich wird das der Kreuz König sein. Er ist zu weich, er würde einem Krieg nicht lange standhalten und um seiner Anhänger Willen schnell das Handtuch werfen.“
 

Und das alles wegen einem Rempler in einer Kneipe. Unglaublich, welche Last und Verantwortung Safall als Kreuz Ass zu tragen hatte. Ob er häufiger solche Streitigkeiten zwischen Mitgliedern der Blutlinien ausbaden musste? Oniji schloss die Augen, faltete die Hände auf seiner Nasenspitze und dachte nach. Was hatte Sewill über den Runenwurf gesagt? Es musste doch irgendwas hilfreiches dabei sein. Zeda hatte ihn doch nicht umsonst zu ihr geschleppt und ihre Fähigkeiten in Anspruch genommen. Es war zwar schön und gut, sich von den Jokern mal so richtig über die geschichtlichen und politischen Tiefen der Blutlinien aufklären zu lassen, aber Safall war damit noch lange nicht geholfen. <Gerechtigkeit ist kein Thema>, hatte sie gesagt. Logisch. Wenn hier irgendwas auch nur ansatzweise gerecht zugegangen wäre, würde Safall jetzt nicht in der <Hölle> sitzen und Onijis Strafe verbüßen. Sein Verlangen nach Gerechtigkeit und damit auch die Suche nach Safalls derzeitigem Aufenthaltsort brachten ihn wohlmöglich nicht weiter.

<Vertrauen und Teamwork spielen eng zusammen>. Er würde diese ganze Misere unmöglich alleine geradebiegen können. Er musste Zeda vertrauen. Er musste die Joker für sich gewinnen. Er brauchte soviele Helfer wie irgend möglich. Scheinbar war den Jokern vieles möglich, was klansgebundenen Vampiren verwährt blieb. Sie hatten Informationen und eine weitreichende Handhabe, sie standen weit über den Dingen. Das musste man nutzen, solange die Joker willens dazu waren.

<Uruz. Sie steht für Stärke und Gesundheit. Sie liegt mit dem Gesicht nach unten.> Er würde Schaden nehmen, egal wie das hier ausging. Aber er würde das trotzdem durchziehen, beschloss er. Und in diesem Moment begriff Oniji, daß er inzwischen gänzlich ein Kreuz-Vampir war und seiner Blutlinie loyal zur Seite stand. Er war gewillt, seine Blutlinie verbissen zu verteidigen. Und zwar nicht nur um Safalls Willen, sondern aus Prinzip.

<Meisterschaft macht einsam>. Das war vermutlich der entscheidende Satz in Sewills gesamter Interpretation. Aber leider auch der, den Oniji am wenigsten deuten konnte. Nun, wer war der Meister und stand an der einsamen Spitze der Hierarchie? Ganz richtig, der König. Vielleicht sollte er einfach dort anfangen. Irgendwo musste er ja beginnen, wenn er weiterkommen wollte.
 

„Wir werden dir helfen. Aber unsere Hilfe ist teuer, sei dir dessen bewusst.“, warf Nani Ka ein, als habe er Onijis Gedanken gelesen.

„Ich muss mit dem Pik König sprechen. Was wollt ihr dafür?“

Alle starrten ihn entgeistert an. „Bist du größenwahnsinnig?“, schnappte Zeda. „An den kommt man nicht so einfach ran. Schon gar nicht als Küken, so wie du.“

„Dann mach mir einen besseren Vorschlag, was ich tun soll!“

„Du könntest zu Namai gehen und dich bei ihr entschuldigen! Das wäre ein guter Anfang. Und realistischer als gleich zum König zu wollen.“

„Namai wird mich totschlagen, wenn sie mir nochmal über den Weg läuft.“

„Du wolltest doch Safalls Schuld auf dich nehmen!“, meinte der Gothic zynisch. „Vielleicht reagiert sie sich ja so an dir ab, daß sie Safall dann in Ruhe lässt.“

„Wohl kaum.“, warf einer der beiden Joker ein. „Ein Küken wird ihr beim besten Willen nicht angemessen genug sein. Sie will das Ass haben. Oder wenigstens ein ähnlich hochrangiges Kreuz. Safall war bereit, sich ihr auszuliefern, um des Friedens Willen. Er wollte nur unsere Unterstützung, um da lebend wieder rauszukommen.“

Oniji schaute ihn fragend an. „Sagtest du nicht, ihr wüsstet nicht genau, warum Safall Kontakt zu euch gesucht hat?“

„Selektive Fehlinformation.“

„Selektive was?“

„Er hat gelogen.“, übersetzte Zeda genervt. „Hast du von einem Joker was anderes erwartet? Die verraten uns nicht mehr über sich als sie auch über uns wissen. Die rücken erst nach und nach mit der Sprache raus, wenn sie unsere Motive und Beweggründe durchschaut haben. Anders wären die als Außenseiter ohne Klanszugehörigkeit nie so weit gekommen.“

„Leider ist der Kreuz König Safall zuvor gekommen und hat ihn weggesperrt, bevor er sich den wilden Hunden von der Pik-Linie ausliefern konnte.“, fuhr Dare Ka fort. „Wir wissen nur nicht, ob er von Safalls Plan wusste und es verhindern wollte, oder ob er tatsächlich einfach nur sauer auf Safall und den Streit in der Kneipe war. Oder darüber, daß Safall einen Schüler hat, wer weis.“

Oniji überlegte kurz. „Ich bleibe dabei. Ich muss mit dem Pik König sprechen! Bitte bringt mich da hin!“
 


 

„Wieviel Zeit bleibt uns wohl noch?“, wollte Oniji gedankenversunken wissen, als man ihn und Zeda im Auto zurück zum Sky Tree Tower brachte.

„Wozu?“

„Naja, ich meine, Safall wollte diese blöde Schuld bei Shaishu und Namai begleichen. Nun ist er verhindert und kann nicht – für gerademal 72 Stunden. Was sind schon 72 Stunden? Wenn die beiden ihre Rache wirklich so bedingungslos wöllten, würden sie doch wohl mal 3 Tage auf Safall warten können, meinst du nicht? Aber die 72 Stunden reichen offenbar schon aus, damit die Sache zu einem Krieg zwischen Pik König und Kreuz König wird. Komische Gesetze sind das.“ Er sah auf die Uhr. „Es sind jetzt 24 Stunden um. Gestern um diese Zeit hat Tastan Safall in die <Hölle> gesteckt. ... Ich frage mich, wie es Safall wohl gerade geht.“

„Frag dich lieber, wie es jetzt mit uns weitergehen soll. Wenn die Joker es wirklich fertigkriegen, dir eine Audienz beim Pik König zu verschaffen, kannst du dich warm anziehen. Dem sind wir alle beide nicht gewachsen. Du hättest die Joker bitten sollen, ihm dein Anliegen vorzutragen, statt selbst mit ihm quatschen zu wollen. Ihr Wort hat viel mehr Wirkung als das von dir Küken. ... Ich bereue es gerade, dir meine Hilfe versprochen zu haben.“, meinte Zeda kopfschüttelnd.

„Danke, daß du es trotzdem tust.“, gab der Student ehrlich zurück.

Der Vampirist murrte nur in sich hinein und schaute sauer aus dem Fenster.

„Bist du mir böse?“

„Nein. Ich frag mich bloß, was in deinem Kopf vorgeht. Eine Audienz mit dem Pik König, fuck.“ Er schüttelte den Kopf.

„Ich versuche nur, was aus Sewills Ratschlägen zu machen.“

„DAS hat sie dir nicht geraten!“

„Sie hat mir GAR NICHTS geraten, was mir irgendwie weiterhelfen würde!“, maulte Oniji zurück. Langsam war auch er schlecht gelaunt. Zedas ewiges Genörgel und sein Unwillen nervten ihn. Sicher wusste er viel mehr über die Hierarchien und Machtgefüge. Und sicher wusste er genug um zu Recht Angst zu haben. Aber dann sollte er das entweder direkt zugeben oder wenigstens hilfreiche Vorschläge machen! „Aber da wir nun schonmal bei ihr waren und uns angehört haben, was sie zu sagen hatte ...“

„Dann hör endlich auf ihre Aussage, daß es Safall gut geht!“

„Ach halt doch die Klappe, du Jammerlappen!“ Nun war es der Student, der verbissen aus seinem Autofenster starrte. Schweigen setzte ein, während draußen Leuchtreklamen und Werbeschilder von Firmen und Geschäften vorbeirauschten.

Nani Ka, der den Wagen fuhr, lachte leise in sich hinein. „Ihr zwei seit echt ein lustiges Gespann.“, kicherte er. „Ich denke, das Küken hat Recht, Zeda. Irgendwas müsst ihr tun. Von allein wird sich diese ganze Situation nicht in Wohlgefallen auflösen.“

„Aber doch nicht zum Pik König!“, hielt der verzweifelt dagegen.

„Kennst du den Pik König denn?“, seufzte Oniji.

„Nein, eben deshalb mache ich ja so einen Aufriss! Allein was man über ihn hört, ist mir schon genug. Ich lege gar keinen Wert darauf, den kennenzulernen.“



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