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Jahrhunderte währendes Versprechen

RusAme
von

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„Das versteh‘ ich nicht!“ (ca. 1616)

„Oh nein…“, seufzte England, sobald er die Halle des Ländertreffens verlassen hatte.

„Ist etwas passiert?“, erkundigte Frankreich sich in aller Höflichkeit und legte ihm besorgt die Hand auf die Schulter. England ließ sich jedoch nicht einfallen, auf das gespielte Verhalten seines ewigen Rivalen einzugehen, schlug die Hand beiläufig weg und marschierte den Gang hinab.

„Nichts“, antwortete er abweisend. „Ich finde meine Kolonien auch ohne deine Hilfe!“

Verdutzt blieb Frankreich zurück, die Hand noch erhoben.

„Aha?“, lächelte Francis verstehend. „Dieser kleine Junge vorhin war also…“
 

Keines der vielen Länder beachtete den kleinen Blondschopf, der unbedarft durch ihre Mitte wanderte und sich neugierig umsah. Nachdem die allgemeine Versammlung für beendet erklärt worden war, waren nur die Großmächte für eine gesonderte Besprechung im Konferenzsaal verblieben, während alle anderen die Gelegenheit nutzten, sich ausgiebig zu unterhalten, nach Bündnispartnern Ausschau zu halten, oder einfach die Residenz des Gastgeberlandes zu bewundern.

Die kleine Kolonie des bekannten Britischen Empires fiel wie auch die anderen kleinen Länder niemandem weiter auf. Selbst, als sich der Blondschopf aus der Ansammlung löste und eifrig auf den Garten zu lief, nahm ihn niemand wahr. Er verschwand um eine Hausecke, hüfte weiter und lachte ausgelassen, als er die wärmenden Sonnenstrahlen auf seiner Haut bemerkte. Daheim bei Onkel England war das Wetter viel zu oft trüb und England ließ ihn nie aus den Augen! Eine Gelegenheit wie diese war so selten, dass sich das Kind keine Gedanken darüber machte, was passieren würde, sollte England herausfinden, dass er Schottland weggelaufen war anstatt brav zu warten.

„Wooooow!“, gab die kleine Kolonie beeindruckt von sich, nachdem sie um eine weitere Hausecke gelaufen war und sich vor einem großen Blumenfeld wiederfand. Strahlende Kinderaugen sogen den Anblick des blaugelben Blütenmeeres auf. Dem kurzen Augenblick seiner Faszination folgend, nahm er begeistert Anlauf und sprang übermütig die wenigen Treppenstufen hinab auf die großen Blumen zu. Den Mann, der in einiger Entfernung auf diesen Treppenstufen saß und ihn verdutzt dabei beobachtete, wie er lachend durch das Feld lief, bemerkte er nicht. Zu sehr war er von der leuchtenden Farbenpracht abgelenkt, zu sehr genoss er den Duft, den die Blumen verströmten. Hier und da war das Feld in Bewegung, dort, wo er mit ausgestreckten Armen entlang flitzte. Doch dann war das endlose Blumenmeer plötzlich zuende. Die kleine Kolonie bemerkte das Verschwinden der Blumen, noch ehe es Anhalten konnte. Die kleinen Kinderhände patschten auf die Brust von jemandem. Die Britische Kolonie blickte erstaunt auf – große, leuchtend blaue Unschuld traf auf violett schimmernde Überraschung.

Die kleine Kolonie wich erschrocken vor dem Erwachsenen zurück, doch das vor ihm sitzende Land begann zu lächeln.

„Das sind schöne Blumen, nicht wahr?“

Der Junge blieb stehen und nickte. Er war ein Kind, aber er war auch eine Inkarnation und darum bemerkte er aufmerksam die Narben auf den Handrücken, während sich sein Gegenüber etwas zu schnell die braunen Handschuhe überstreifte.

„Diese hier sind auch schön, da?“, lächelte das große Land und streichelte über die Blätter der Sonnenblumen, die es im Arm trug. „Ich konnte einfach nicht widerstehen, sie zu kaufen…“

Die kleine Kolonie bekam wieder große Augen, denn der Blick, mit dem der Mann seine Blumen betrachtete, war unglaublich traurig. Es war auch ein trauriges Lächeln. Vorsichtig stützte er sich auf dem Knie des Landes auf und streckte seine kleine Hand nach dem Kopf aus. Mit aufmerksamem Blick streichelte er über den aschblonden Schopf.

„Sei nicht traurig!“, verlangte das Kind von dem Großen, dann grinste es herzlich, als es verdutzt angesehen wurde. „Deine Blumen sind am Schönsten!“

Die violetten Augen weiteten sich, dann wendete sich die kleine Kolonie ab, lief die Treppen hinauf und davon. Eine Hand streckte sich nach dem Jungen aus.

„Warte!“, rief das Russische Reich.
 

So besorgt hatte man die Kolonialmacht selten gesehen. Noch immer war sie auf der Suche nach ihrer wichtigsten Kolonie und schalt sich einen Vollidioten, dass sie nicht besser darauf Acht gegeben hatte.

Doch dann, gerade als er um eine Ecke bog, stand Arthurs kleine Kolonie plötzlich vor ihm.

„Onkel Iggy!“, strahlte der Junge, während dem Älteren ein ganzer Berg Sorgen vom Herzen fiel und er erleichtert vor der Britischen Kolonie in die Hocke ging.

„Wo zur Hölle warst du?! Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass du bei Schottland bleiben sollst? Es ist gefähr-“

„Onkel Iggy, kann ich die bei mir zuhause einpflanzen?“, wollte das Kind eifrig wissen und hob Arthur eine Sonnenblume entgegen, die beinah so groß war wie es selbst. England richtete sich mit gerunzelter Stirn auf.

„Das ist eine Schnittblume“, erwiderte er. „Die kann man nicht mehr einpflanzen.“

Doch der kleine Blonde blickte ihn aufgeregt an.

„Der Mann hat aber gesagt, dass man ganz viele daraus machen kann, wenn sie zu Ende geblüht hat!“, protestierte die Britische Kolonie. „Ich muss ganz viele haben!“

Genervt verschränkte England die Arme.

„Warum musst du-?“, begann er, doch dann brach er stutzend ab. „Was für ein Mann?!“

„Der da!“, antwortete der Junge und deutete hinter sich auf die Stufen am Rand des Blumenfeldes. Doch der Platz war leer – von dem fremden Land fehlte jede Spur und die Kinderhand sank langsam hinab. Fragend blickte der blonde Junge auf, als England sich vor ihm auf ein Knie niederließ und ihm die Hände auf beide Schultern legte. Der ernste Blick konnte nichts Gutes bedeuten.

„Vor diesem Mann musst du dich in Acht nehmen, hast du mich verstanden?“, redete das Britische Empire eindringlich auf seine Kolonie ein. „Er ist geschwächt, aber unberechenbar und sehr, sehr gefährlich, verstehst du?“

Das Kind blickte ihn mit großen Augen an, hielt die Sonnenblume fest an sich gedrückt und schüttelte langsam den Kopf.

Das verstand der kleine Alfred nicht.

„Ich will nicht mit dem da mitgehen!“ (ca. 1646)

„Hihi“, kicherte das Kind hinter einer Säule verborgen. England lief wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Halle und eigentlich tat er der Amerikanischen Kolonie leid. Onkel Iggy sah schlecht aus und hatte es im Moment wirklich nicht leicht. Aber wenn er seinen Ärger über den Bürgerkrieg an seiner wichtigsten Kolonie ausließ, dann hatte er es auch nicht besser verdient! Zumindest fand das die kleine Kolonie selbst und schlich sich leise nach draußen, bevor sie losrannte. Es war das erste Mal seit unendlich vielen Jahren, dass er ein anderes Land besuchen durfte. Aber all das Betteln und Bitten, zu einer Versammlung mitkommen zu dürfen, hatte sich gelohnt. Das Gastgeberland Österreich besaß ein wirklich großartiges Anwesen und einen herrlichen Garten, der sich mit seinen ausladenden Beeten in alle Richtungen erstreckte. Der blonde Junge jedoch hatte andere Sorgen. Er rannte um eine Ecke, den Blick nach hinten gerichtet, ob ihm auch niemand folgte, und stieß prompt mit jemandem zusammen. Noch benommen von dem Aufprall konnte er nur blinzeln, als sein Gegenüber ihn im Nacken an seiner Jacke hoch hob. Den streng dreinblickenden Mann hatte England ihm als ihren Gastgeber vorgestellt.

„Wieder einmal davon gelaufen, kleiner Mann?“

Das Kind errötete, begann dann jedoch wild zu zappeln.

„Lass mich los! Lass mich los!“, zeterte Alfred um sich tretend und schlagend. „Ich will nicht!“

„H-Hey, hörst du wohl auf so einen Wirbel zu machen?!“, befahl Österreich streng, aber doch sehr überrascht und hielt den Jungen auf Abstand. „Ich bringe dich zu England zurück.“

„Nein! Ich komme nicht mit! Ich will nicht!“

Die kleine Kolonie schaffte es, sich von der Hand zu befreien, landete halbwegs sicher auf dem Boden und lief davon. Natürlich hörte Klein-Alfred die Schritte hinter sich und wusste, dass der Erwachsene ihn einholen würde. Doch dann ragte eine andere Gestalt – zuvor von einer Säule verdeckt – vor ihm am Rand des Anwesens auf, sodass er einen Haken schlug und in vollem Tempo auf diese Person zu rannte.

„Hey!“, rief Österreich verärgert, als er ins Leere griff und den Ausreißer wieder nicht erwischte.

Das Land, das auf die sonnenbeschienene Wiese hinausblickte, drehte sich halb nach dem Radau um.

„Huch?“

Die kleine Amerikanische Kolonie erreichte ihr Ziel, hielt sich an der beigefarbenen Uniform fest und versteckte sich hinter dem verdutzten Erwachsenen. Schutzsuchend blickte das Kind auf und erkannte die violetten Augen sofort wieder. Das riesige Land, vor dem England ihn immer wieder eindringlich warnte, begann zu lächeln und ließ die große Hand auf seinen blonden Schopf sinken.

„Ah, du bist gewachsen, kleine Kolonie“, bemerkte das Russische Reich, woraufhin das Kind sein Lächeln stolz erwiderte. Doch dann bekam der Junge einen ernsten Blick und zeigte auf Österreich, der sichtlich zögernd stehen geblieben war.

„Ich will nicht mit dem da mitgehen!“

Strahlend beugte sich der Große herunter und nahm den Kleinen auf seinen Arm.

„Das musst du auch nicht. Sieh dir mit mir die Blumen an, da?“

„Na klar!“, nickte Klein-Alfred begeistert und legte seinem Beschützer die Arme um den Hals. Nicht, ohne dem verärgerten Österreich die Zunge herauszustrecken. Daraufhin platzte dem Braunhaarigen der Kragen, sodass er dem anderen Land folgte.

„Lass ihn runter! Das ist Englands Kolonie, Russ-“

„Hmmm?“ Mit einem finsteren Lächeln blickte sich die kalte Nation um, woraufhin Österreich verstummte und wieder einen Schritt Sicherheitsabstand zwischen ihnen schaffte. Mit einem amüsiertem Schnauben setzte das Russische Reich seinen Weg fort.

„Hihihi“, kicherte der kleine Blondschopf und reckte die Faust in die Luft. „Dem haben wir es aber gezeigt!“

„Mhm“, lächelte der Erwachsene bestätigend, dann blieb er mit fasziniertem Blick stehen. Klein-Alfred sah sich um und bekam große Augen. Eifrig streckte er die Arme nach den Sonnenblumen aus.

„Ich will eine! Ich will eine!“

„Das darfst du nicht!“

Mit großen Augen blickte er seinen Träger an.

„Sie gehören Österreich, nicht wahr?“, lächelte Russland. „Man darf nicht wegnehmen, was anderen gehört, weißt du? Sonst ist man böse.“

Die Amerikanische Kolonie bekam einen ernsten Blick – zu ernst für ein normales Kind. Klein-Alfred sagte nichts, erinnerte sich aber daran, wie England ihm vom großen Russischen Reich erzählt hatte.

„Ich bin nicht böse“, antwortete das Kind. „Du bist auch nicht böse, oder?“

Russland lächelte strahlend.

„Aber natürlich nicht.“

Auch der Blondschopf lächelte wieder, dann legte er seine kleinen Arme um den Hals, bevor er sein Gesicht in den Schal schmiegte.

„Ich hab versucht, die Samen einzupflanzen“, erzählte er traurig. „Sie sind gewachsen, aber dann hat sie jemand kaputtgemacht. Das war so gemein!“

Aufmunternd streichelte das Russische Reich dem Jungen über den Rücken, das berechnende Lächeln an dessen Schulter verbergend.

„Das ist wirklich gemein“, stimmte er vorwurfsvoll zu. „Dann musste du einfach größer und stärker werden, um sie zu beschützen.“

Überrascht hob Klein-Alfred den Kopf und blickte in das lächelnde Gesicht auf.

„Echt?“

„Mhm! Wenn du groß und stark bist, traut sich niemand mehr, deine Sachen kaputt zu machen oder dir wehzutun!“

„Dann muss ich groß und stark werden“, nickte der Junge nachdenklich, während ihn das große Land absetzte, in der Hocke blieb und ihm über den Schopf streichelte.

Das Russische Reich öffnete gerade den Mund, um noch etwas zu sagen, da erklang ein wütender Ruf.

„Alfred!“

Die Amerikanische Kolonie zuckte schuldbewusst zusammen.

„T-Tut mir leid, dass ich weggelaufen bin!“

Das Britische Empire nahm wortlos die Kinderhand, warf dem Russischen Reich einen vernichtenden Blick zu und ging. Die kleine Kolonie wurde mitgezogen, blickte sich traurig um und streckte winkend die Hand aus. Das Russische Reich erhob sich und winkte ebenfalls, jedoch mit einem Lächeln auf den Lippen.

Einem traurigen Lächeln.

„Ich bin groß und stark!“ (ca. 1763)

England vermied es fortan, seine Kolonie mit zu Länderversammlungen zu nehmen, denn er befürchtete, der schlechte Einfluss des Russischen Reiches würde ihm den Jungen verderben. Doch seine Kolonie wuchs heran, gedieh und wurde stärker, zeigte zunehmend Interesse für andere Nationen. Jedes Mal, wenn England die Frage des Jungen, ob er mit zur Versammlung kommen dürfe, mit nein beantwortete, verschlechterte sich ihr Verhältnis. Jedes Mal, wenn er ging und ihn zurückließ, entfernten sie sich ein Stück weiter voneinander.

So blieb es für mehr als hundert Jahre und die kleine Kolonie wuchs zu einem rebellischen Jugendlichen heran. Irgendwann kam der Zeitpunkt, da konnte England ihn nicht mehr bedenkenlos zurücklassen, wenn er das Haus für längere Zeit verließ, denn er befürchtete, die Amerikanische Kolonie könnte es verwüsten oder sogar anzünden. So nahm er den ruppigen Blonden mit zu dessen erster Versammlung, an der er als Vertreter seines eigenen Volkes teilnehmen durfte.
 

Der junge Mann konnte sein Glück kaum fassen und nahm sich vor, ein anständiges Benehmen an den Tag zu legen. Unter den Augen all der anderen Kolonien, nicht anerkannten und vollwertigen Nationen sowie Großmächten, saß er schließlich beeindruckt neben England am Versammlungstisch. Dennoch konnte er die Gespräche nur am Rande verfolgen, denn schräg ihm gegenüber saß eine gewisse Nation, von der sein Blick wieder und wieder magisch angezogen wurde. Doch obgleich das Russische Reich gelangweilt zu sein schien, kreuzten sich ihre Blicke nur flüchtig, sodass Alfred sich unzufrieden zu fragen begann, ob die große Nation ihn nicht erkannte, weil er so sehr gewachsen war, oder ob sie ihn in den vergangenen hundert Jahren sogar vergessen hatte. Öfter jedenfalls, als dass die violetten Augen in seine Richtung sahen, blickten sie zu dem Sitznachbarn des Russischen Reiches, mit dem sich dieses auch hin und wieder im Flüsterton unterhielt, nickte und lächelte. Unauffällig stupste die Kolonie England an, der ihn daraufhin mit einem Blick ansah, der Ärger zu erwarten schien. Doch stattdessen sah das Empire Wissbegierde im Blick seines Schützlings, die ihn erleichterte.

„Wer ist das in der blauen Uniform?“, flüsterte die Kolonie.

„Mit dem gelben Vogel auf der Schulter?“, erwiderte England die Frage mit Blick auf die andere Seite des Tisches.

Die Lippen seiner Kolonie kräuselten sich kurz, ob vor Belustigung oder Verärgerung, dann nickte der Junge.

„Das ist Preußen, seit kurzem die fünfte europäische Großmacht“, erklärte England tadelnd. „Du solltest ihn kennen.“

Die Kolonie musterte den interessiert zum Redner blickenden Mann. England bemerkte es mit einem heimlichen Lächeln und beugte sich zu Alfreds Ohr.

„Russlands Bruch mit Österreich hat Preußen vor der Vernichtung gerettet“, lächelte England gezielt. „Seit dem kommen sie anscheinend extrem gut miteinander aus.“

„Mhm“, murmelte die Amerikanische Kolonie niedergeschlagen und senkte seine Augen auf die Tischplatte, während England den Blick mit einem zufriedenen Lächeln zum Redner hob.

Doch die jugendliche Kolonie wäre nicht das zukünftige Amerika gewesen, wenn sie so schnell locker gelassen hätte! Nach gut zwei Stunden war die allgemeine Versammlung beendet, sodass Amerika mit den restlichen Kolonien und anderen Ländern den Raum verlassen musste. Zurück blieben nur die Großmächte Europas – Frankreich, England, Österreich, Russland und Preußen. Die anderen Anwesenden zerstreuten sich, nur die Amerikanische Kolonie blieb entschlossen vor der Tür zurück. Dann fragte Alfred sich jedoch, ob er überhaupt dazu kommen würde, mit Russland zu sprechen, selbst wenn dieser sich doch an ihn erinnerte, doch mit ihm ein Wort wechseln wollte und doch nicht zu abgelenkt von seinem neuen Albinofreund war. Denn wenn er hier wartete, würde England der Erste sein, der es verhinderte… So schlenderte er enttäuscht von dannen, bemerkte nicht, wie ihm einige Blütenblätter aus den Feldern seiner Heimat aus der Tasche fielen.

Er hatte diese ganzen Jahre über oft an das Russische Reich denken müssen. Nicht zuletzt, weil seine Begegnung mit diesem Land immer wieder zum Streit mit England führte. Weder fand England sein Bestreben, groß und stark zu werden gut, noch befürwortete er seine Versuche, Sonnenblumen zu züchten. Eigentlich schien England derzeit gar nichts mehr gut zu finden, was er machte. Betrübt ließ Alfred sich auf ein paar Treppenstufen nieder und blickte auf das verwelkte Blumenfeld hinaus. Genau hier war er Russland in seiner Kindheit zum ersten Mal begegnet. Was hatte er sich damals gedacht? Das Russische Reich hatte einsam ausgesehen. Es war verletzt gewesen. Nachdenklich betrachtete Alfred das Herabfallen der rotgefärbten Ahornblätter. Bei ihm daheim war es noch warm, doch hier in Europa hielt bereits der Herbst Einzug.

„Du hast nichts dagegen, wenn ich mich dazu setze?“

„Nee“, brummte die Kolonie niedergeschlagen, bevor sie die kindliche Stimme erkannte. Abrupt hob Alfred den Kopf und starrte Russland an, der sich neben ihn setzte.

„Äh-? M-Müsstest du nicht da drinnen sein?“, stotterte der junge Blonde perplex.

„Njiet, England und Frankreich kloppen sich wieder“, lächelte Russland, bevor er ein nachdenkliches Gesicht machte. „Eigentlich seh ich mir das sehr gerne an, aber da es bei jeder Versammlung passiert, wird es langweilig.“

„Aber was ist mit-?“, setzte die Amerikanische Kolonie zur Frage nach Preußen an.

„Ich hab mich drauf gefreut, wieder mit dir zu reden, kleine Kolonie“, unterbrach das Russische Reich ihn lächelnd. Alfred starrte die große Nation fassungslos an, als diese ihm über den Kopf streichelte.

„Echt?“, kam es ungläubig aus seinem Mund.

„Da“, bestätigte Russland.

„Ich auch!“, rief der Blonde begeistert, wobei seine blauen Augen leuchteten. „Ich bin größer und stärker geworden, wie versprochen!“

Anerkennend nickte sein Sitznachbar, ließ die Hand jedoch von seinem Kopf auf seine Schulter sinken.

„Aber ich bin auch stärker geworden, kleine Kolonie“, lächelte die russische Nation. „Ich bin jetzt eine Großmacht. Wenn du mithalten willst, musst du dich noch mehr anstrengen.“

„Ich weiß…“ Ernsten Blickes sah die jugendliche Kolonie auf ihre Hände hinab. „England ist andauernd sauer auf mich. Manchmal bin ich schuld, aber in letzter Zeit lässt er seine eigenen Probleme auch noch an mir aus.“

Es bestärkte den Blonden, dass Russland ihm zuhörte, ohne ihn zu unterbrechen. In seiner Nähe fühlte er sich nicht so überflüssig wie in Onkel Iggys Anwesenheit… Entschiedenen Blickes fasste er einen Entschluss.

„Ich muss noch stärker werden und allein zurecht kommen. Es ist nicht richtig, wie es jetzt ist.“

„Mhm“, stimmte Russland begeistert zu, wohl die Schritte hinter ihnen wahrnehmend. „Wenn England zu gemein zu dir ist, kannst du auch zu mir kommen.“

Bevor Alfred auch nur ein Wort dazu sagen konnte, wurde er grob hochgerissen.

„Willst du mir etwa meine Kolonie wegnehmen?“, giftete England wütend und drückte den Jungen an sich. „Untersteh dich, Russland!“

Das Russische Reich erhob sich lächelnd.

„Aber nicht doch“, wehrte er ab. „So etwas Gemeines würde ich doch nie tun.“

„Verdammt nochmal!“, zeterte die Kolonie im Klammergriff Englands los und schlug dessen Hände weg. „Du tust mir weh, du Idiot!“

England war keineswegs überrascht, schließlich bekam er dieses rüpelhafte Verhalten daheim jeden Tag geboten. Energisch griff er nach dem Handgelenk.

„Wir gehen, Alfred!“

„Du kannst mich mal!“, lautete die Antwort des Jugendlichen, mit der er sich gegen den Zug stemmte. „Nenn mich nicht Alfred! Für dich heiße ich immer noch Amerikanische Kolonie!“

Die Wut stand dem Britischen Empire ins Gesicht geschrieben, ebenso, dass es kurz davor war, sich zu vergessen. Die Angst, die der rebellierende Jugendliche hatte, bewiesen die ungewollten Tränen, die ihm über die Wangen des vor Trotz verzerrten Gesichts liefen.

„Hm…“

Plötzlich bemerkten sie das große Russische Reich, das so dicht neben ihnen stand und undurchsichtig lächelte. Der braune Handschuh streckte sich nach der Mitte des Konflikts aus, doch bevor Russland ihn berühren konnte, ließ England seine Kolonie abrupt los.

„Wag es nicht, dich einzumischen! Du bist an allem Schuld!“, fuhr England den Großen an, der daraufhin keine Miene verzog, aber auch nicht eingriff. „Und du! „Amerikanische Kolonie“! Du bist in zwei Minuten vor der Tür, sonst kannst du was erleben!“

Arthur ging und die größte Kolonie des Britischen Empire schloss um Beherrschung bemüht die Augen. Er fühlte sich innerlich zerrissen, niedergemacht und bloßgestellt. Kühle Finger strichen über seine Wange und wischten die Nässe fort. Hastig wendete er sich von Russland ab und wischte sich die peinlichen Beweise seiner Schwäche selbst weg.

„Ich… Ich bin groß und stark!“, versicherte er sich selbst. „Ich habe keine Angst vor dem Teetrinker!“

Schwer schluckend wollte Alfred England folgen, doch erneut wurde er am Handgelenk gepackt – diesmal war es eine kühle Berührung, die ihn kompromisslos zurückzog. Er wehrte sich nicht, schließlich war das Letzte, was er wollte, England zu folgen. Doch er öffnete überrascht die Augen, als seine Wange den weichen Stoff von Russlands Uniform berührte. Die sanfte, aber bestimmende Hand an seinem Hinterkopf brachte seine Haare durcheinander, als sie ihn an das Russische Reich drückte, ebenso wie es der Arm um seine Schultern tat. Die große Nation sprach kein Wort. Das Erstaunen verschwand aus den Augen der Kolonie. Sie glaubte den Trost zu spüren, fühlte sich an ihre letzte Begegnung erinnert und hob langsam ihre Arme zu Russlands Rücken.

„Danke“, hauchte Alfred leise. Ein letztes Mal streichelte die kühle Hand über seinen Hinterkopf, dann lockerte sich die Umarmung, die Kolonie drehte sich um und ging. Einen Blick im Gesicht, der den Sturm mit sich trug und England in den folgenden Jahrzehnten das Leben schwer machen würde.
 

Langsam näherte sich Preußen seinem lächelnden Verbündeten, der der Kolonie nachsah.

„Sag mal, war das echt in Ordnung?“, wollte er zweifelnd wissen. „Ich würd‘ dir helfen, wenn du sie unbedingt haben willst. Wir könnten uns die Kolonie teilen, nachdem wir sie eingenommen haben.“

Lächelnd erwiderte Russland Preußens Blick.

„Was soll ich denn mit einer Kolonie anfangen?“, lauteten die Worte des Russischen Reiches, an denen der Verbündete erneut erkannte, wie wenig vertraut ihm sein Gegenüber war. „Ich will keine Kolonie, Gilbert.“

„Hä? Aber das sah-“

Preußen brach ab, als Russland sich zu ihm vorbeugte und ihn berechnend ansah, woraufhin dem Kleineren ein Schauer den Rücken hinab lief.

„Ich kann warten, weißt du? Anders als du bin ich groß und stark und muss niemanden fürchten. Mhm, ich kann lange warten.“

„Wir sind keine Freunde!“ (Ende 1805)

„Gut siehst du aus.“

Nickend klopfte England ihm imaginären Staub von seinem Anzug.

„Arthur…“, seufzte der Blonde. „Ich bin kein Kind mehr und außerdem trage ich jetzt selbst Verantwortung.“

„Jaja“, erwiderte England abwinkend und ging den prunkvoll ausgestatteten Gang hinab. „Sieh zu, dass du dich bei der Kälte da draußen nicht unterkühlst.“

Wieder seufzte Amerika tief. Zwar waren seine Differenzen mit England in den letzten Jahren abgeklungen, aber ihr Bruch hatte tiefe Spuren hinterlassen und noch immer erkannte das Britische Empire seine Unabhängigkeit nicht im Geringsten an.

„Ärgert er dich wieder?“

Das junge Land sah sich um und sein Gesicht hellte sich sofort auf.

„Frankreich!“

„Komm, mein Freund“, hakte sich der Ältere bei ihm unter und nahm ihn in die Richtung mit, in der England verschwunden war. „Du bist zum ersten Mal hier, nicht?“

Mit einem verlegenen Lachen hob Alfred die Hand zum Hinterkopf.

„Es ist ja auch erst meine vierte Versammlung überhaupt.“

Gemeinsam erreichten sie die Flügeltür, die zum Versammlungsraum führte. Anders als Frankreich, der den Raum sofort betrat, warf die junge Nation nur einen suchenden Blick hinein. Es waren nicht so viele Länder wie bei den bisherigen Treffen anwesend, was mit Sicherheit an den schwierigen Anreisebedingungen, aber nicht zuletzt an den derzeit vorherrschenden Koalitionskriegen lag.

„Was ist los?“, erkundigte Frankreich sich, als sie sich durch das Stehenbleiben Alfreds voneinander trennten.

„Ich sehe mich noch ein wenig um“, lächelte das junge Land entschuldigend.

„Pass aber gut auf, dass du nichts anstellst“, warnte Frankreich leise. „Hier sind sie nicht besonders verständnissvoll.“

„Ich werde deinen Rat beherzigen“, nickte er lächelnd, bevor er wieder auf den Flur hinaustrat und sich unbeobachtet fühlte. „Was für eine Farce…“

Nachdenklich blickte er zum Versammlungsraum zurück. Er musste sich diesen Ort unbedingt einprägen, sonst würde er nicht mehr zurück finden. Langsam schlenderte er den Gang hinab, blickte durch die großen Fenster hinaus zu den gewundenen Türmen auf. Zu der bitteren Kälte hatte sich ein sanfter Schneefall hinzugesellt. Das ganze Bauwerk sah aus, wie direkt aus einem Märchenland entsprungen. Erst entferntes Husten riss den Blonden aus seiner gedankenverlorenen Betrachtung und machte ihn auf dem ansonsten wenig beleuchteten Gang auf einen hellen Lichtstreifen aufmerksam, der von einer nur angelehnten Tür kam. Das Husten wurde lauter und schien gar nicht mehr aufhören zu wollen.

„Hier, trink das.“

„Ich… will nicht“, hustete eine dem Blonden sehr bekannte Stimme. Abrupt blieb er vor der Tür stehen und öffnete sie minimal.

„Sei kein Idiot!“, herrschte ein junger Mann das Land an. „Du willst also lieber vor den anderen Ländern deine Schwäche zeigen?“

Amerikas Augen weiteten sich. Russland saß volkommen erschöpft auf einem Sofa direkt vor einem Kamin und nahm nun mit zitternder Hand und wenig begeistertem Gesichtsausdruck den Becher, der ihm hingehalten wurde, entgegen. Anschließend sackte er müde in sich zusammen, das Gesicht bis über die Nase vom Schal verdeckt. In Amerika stieg Sorge auf – er war kurz davor, das Zimmer einfach zu betreten. Doch er hielt inne, als der junge Uniformierte Russland mit einer Decke zudeckte und ihm über den Kopf streichelte.

„Ruh dich noch ein paar Minuten aus, bevor du gehst.“

Mit glasigem Blick nickte Russland und schloss seine Augen.

„Warum ausgerechnet jetzt?“, murmelte die große Nation in ihren Schal. „Warum muss man im Krieg überhaupt Versammlungen machen? Und warum hier?“

„Weil wir dran sind“, lautete die Antwort, bevor die Stimme sanfter wurde. „Ich würde dir wirklich gern helfen, aber ich kann den Krieg nicht vermeiden, und du darfst keine Schwäche zeigen. Napoleon würde uns in der Luft zerreißen.“

Russland hob lächelnd den Kopf.

„Ich weiß, Sasha“, antwortete er. „Ich lass mir was einfallen. Vertrau mir, da?“

Der Mann mit dem Spitznamen Sasha, der, wie Amerika nun vermutete, Russlands Boss war, setzte sich in einen Sessel, schlug die Beine übereinander und genehmigte sich einen Vodka, um den ihn das unterdrückt hustende Land sichtlich beneidete.

„Selbstverständlich vertraue ich meinem eigenen Land. Du solltest unsere Gäste allerdings nicht zu lange warten lassen, Ivan.“

Als Russland sich seufzend erhob, schreckte der junge Blonde von der Tür zurück, ein wenig zu hastig, denn er verursachte ein leises Geräusch, von dem er hoffte, dass es nicht weiter auffallen würde. Schnellen Schrittes marschierte er zur Versammlungshalle zurück. Natürlich hatte er von den anhaltenden Koalitionskriegen gehört – nicht viel, da er derzeit wenig Kontakt zu England, Frankreich und den anderen europäischen Mächten hatte, aber dass es so schlecht um Russland stand… Nun ja, er schien nicht direkt im Sterben zu liegen… Dennoch hatte das Russische Reich für ihn immer Stärke, Größe und Uneinnehmbarkeit symbolisiert.

Gedankenversunken betrat das junge Amerika erneut den Saal, ignorierte Englands Winken gekonnt und setzte sich auf einen der freien Plätze, die weit genug von Arthur entfernt waren. Es war ihm egal, in wessen Nähe er saß, solange er seinen Gedanken nachhängen konnte. In den vergangenen Jahren hatte er den Versammlungen aus verschiedenen Gründen fern bleiben müssen, sei es der Unabhängigkeitskrieg mit England oder die folgenden inländischen Komplikationen gewesen. Natürlich hatte er sich nach dieser langen Zeit erhofft, ein freundschaftliches Gespräch mit dem aktuellen Gastland führen zu können… Doch die Zeichen dafür standen schlecht. Schlagartig blickte Alfred auf, als die Flugeltüren geräuschvoll geschlossen wurden. Zu seinem Erstaunen sah Russland erheblich besser aus als zuvor. Die Wangen waren noch immer gerötet, als sei er eben aus der Kälte gekommen, doch der glasige Blick war komplett verschwunden. Mit zielsicheren Schritten ging die Russische Nation durch den Raum. Amerika streifte ein kühler Luftzug, als Russland hinter ihm vorbei schritt und er erwartete innerlich fast schon, dass sich der Ältere auf den freien Platz neben ihm setzen würde. Doch das tat Russland nicht. Stattdessen besetzte er den Platz zwischen zwei kleinen, unbedeutenden Kolonien, die darüber beinah in Verzweiflung ausbrachen. Es herrschte Schweigen – alle warteten, doch das Russische Reich lächelte nur, bis England sich vernehmlich räusperte.

„Würdest du unsere Versammlung als Gastgeber wohl eröffnen, Russland?“, warf er genervt über den Tisch. Amerika war innerlich gespannt, ob sich Russland tatsächlich etwas hatte einfallen lassen, wodurch er der Moderation ihrer Runde entgegen konnte.

„Ich will nicht.“

„Wie bitte?!“, polterte England und auch Frankreich erhob sich mit eindeutigem Blick.

Amerika stand fassungslos der Mund offen, während er das selig lächelnde Russische Reich anstarrte, wie so viele andere im Raum. Allgemeines Getuschel brach aus. Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Aufgewühlt stand Amerika auf, sodass sein Stuhl geräuschvoll zurückgeschoben wurde. Die Blicke richteten sich auf ihn, als er die Hände auf den Tisch stemmte.

„Ich mach’s!“, verkündete er, gleich darauf erschrocken über seine eigenen Worte, die er nun jedoch nicht mehr zurücknehmen konnte. „Also, i-ich eröffne die Runde, wenn sich sonst niemand findet. Hahaha!“

Festen Blickes erwiderte er all jene seiner Genossen und fühlte sich von Sekunde zu Sekunde besser.

„Also überlassen wir der Britischen Kolonie die Moderation“, setzte England sich mit verschränkten Armen auf seinen Stuhl. Leiser Ärger stieg in Amerika auf, doch er schluckte ihn schließlich herunter. Jetzt einen Streit über die Anerkennung seiner Unabhängigkeit von England anzufangen wäre denkbar unklug. Beiläufig räusperte er sich.

„Ich begrüße alle anwesenden Länder und Kolonien herzlich im Moskauer Kreml, natürlich auch in Russlands Namen“, begann Amerika zuversichtlich und blickte offen in die Runde. „Beginnen wir mit… ja, mit…“

Hilfesuchend wanderte sein Blick zu England, der ihn nur erwartungsvoll ansah, dann zu Russland auf der anderen Seite des Tisches, der zufrieden lächelte. Es war Aufgabe des Gastgeberlandes, die Tagesordnungspunkte aufzustellen, die zuvor von Ländermehrheiten eingereicht worden waren.

„Ah, richtig!“, schien Russland schlagartig einzufallen - etwas zu schlagartig, denn als er sich erhob, gab er ein Husten von sich, das er geschickt in ein Räuspern verwandelte. Amerika, wissend um Russlands Zustand, kam dem großen Land entgegen, als es sich mit einem Zettel auf den Weg zu ihm machte.

„Danke sehr“, lachte Amerika verlegen, als Russland ihm die Tagesordnungspunkte übergab.

„Mhm“, lächelte das Russische Reich strahlend und kehrte unspektakulär auf seinen Platz zurück.

Amerika tat es ihm gleich, blieb jedoch stehen und atmete tief durch.

„Mir ist bewusst, dass viele von euch sicherlich schnell nach Hause möchten. Vor allem die, die sich im Krieg befinden, aber lasst uns diese wenigen Stunden im Jahr für das Erreichen unserer gemeinsamen Ziele und Interessen nutzen. Beginnen wir mit dem ersten Tagesordnungspunkt…“
 

Die Hauptversammlung endete, ohne dass es zu nennenswerten Zwischenfällen gekommen wäre – ganz zur Erleichterung des jungen Blonden. Wie üblich löste sich die Runde auf, indem die Länder und Kolonien den Raum nach und nach verließen, während die Großmächte sitzen blieben.

„Nun dann“, übernahm England wie selbstverständlich die Moderation, woraufhin sich Frankreich abrupt erhob.

„Ich denke, das mache ich diesmal“, warf er gezielt ein.

Noch hatten nicht alle Länder den Raum verlassen, auch Amerika wartete noch darauf, dass sich die Menge gänzlich über die Türschwelle bewegte und er gehen konnte.

„Wie bitte?“, polterte England los. „Ich habe bisher immer-!“

„Jaja, Vergangenheit“, wiegelte Frankreich ab. „Als stärkste Nation ist das jetzt mein Part.“

„Ich geb dir gleich stärkste Nation“, knurrte England wütend, als ihm etwas auffiel und er ein Land, das klammheimlich den Saal verlassen wollte, an der Schulter aufhielt. „Und wo willst du überhaupt hin? Sich erst vor den Pflichten als Gastland drücken und dann auch noch vor unserer Versammlung?!“

Russland lächelte ertappt über seine Schulter.

„Ihr habt sicher auch ohne mich Spaß…“

Das letzte Wort endete in einem merkwürdigen Räuspern, sodass Amerika mit wenigen Schritten bei den Großmächten war, die Hand von Russlands Schulter schlug und England wütend anfunkelte.

„Nennst du mich noch einmal „Britische Kolonie“ und das vor allen Ländern, werde ich dich so bloßstellen, dass du auch gleich in Unterhose kommen könntest!“

Preußen brach in haltloses, ungeniertes Lachen aus, ebenso wie Frankreich, und auch Österreich räusperte sich mit unterdrückten Ansätzen eines ungewollten Lachens. Unbemerkt blieb Amerikas Hand, die Russland mit einem minimalen Schieben andeutete, den Saal zu verlassen. Englands Kopf wurde derweil unter dem Gelächter der anderen Großmächte tomatenrot, sodass er sich mit einem wütenden Gesichtsausdruck erhob, die Fäuste geballt. Frankreich griff beiläufig nach einem der Handgelenke und lächelte versöhnlich.

„Du wirst dem Jungen doch nicht böse sein, nachdem er so eine großartige Rede hingelegt hat, nicht wahr? Immerhin ist das deine Erziehung.“

Noch einen Augenblick starrten sich die beiden an, dann drehten sich sowohl Amerika als auch England weg. Das Britische Empire setzte sich, während die ehemalige Kolonie den Raum als Letzter verließ und die Türen schloss.

„Verdammt! Jetzt ist Russland weg!“

Prustend vor Lachen entfernte sich Alfred von der Versammlungshalle. Aufmerksam sah er sich um, als er von dem Weg, den die anderen Länder nahmen, um den Kreml zu verlassen, abbog. Niemand war zu sehen, weshalb er zu dem Raum schlich, in dem er Russland und seinen Boss zuvor gesehen hatte. Vorsichtig öffnete er die Tür und sah hinein, doch obwohl das Feuer im Kamin noch loderte, war niemand zu sehen. Stattdessen nahm er plötzlich einen kalten Luftzug im Nacken wahr und hob den Kopf. Langsam blickte er über seine Schulter, die Hand noch an der Türklinke, und starrte Russland an, der dicht hinter ihm aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien.

„Hm…, du warst also der Lauscher?“, lächelte das Russische Reich undurchsichtig.

Amerika drehte sich ertappt um und senkte den Blick.

„A-Also naja,… die Tür stand ja auf und ich bin nur vorbei gegangen…! Und dann… hab ich dich… husten gehört und… so weiter…“, druckste Alfred herum, bevor er schuldbewusst nickte. „Ich habe gelauscht. Das tut mir echt leid.“

Einen Augenblick schwieg Russland, dann schob er ihn durch die Tür.

„Geh rein“, lautete die knappe, etwas heisere Anweisung. Perplex gehorchte Amerika, dann lehnte Russland sich an die geschlossene Tür und hustete leise. Tat, was er sich seit Stunden verboten hatte, wie Amerika wusste. Der Blick des Blonden blieb gesenkt – schließlich war ihm bewusst, wie unangenehm diese Situation war und, dass Russland vielleicht sogar Ärger mit seinem Boss bekommen würde, weil er es nicht vor ihm versteckte. Das Husten ebbte ab, doch der junge Blonde wagte nicht, aufzusehen. Erst als Russland mit noch nicht ganz beruhigter Atmung vor ihn trat und Amerikas gesenkter Blick sah, wie er sich den braunen Handschuh von der rechten Hand streifte, bevor er sie ihm entgegenhob, blickte er langsam auf. Die viel zu warme Hand berührte seine Wange, der Blick aus violetten Augen schien bis in seinen Verstand einzudringen, denn der Blonde fühlte sich wie betäubt. Nur sein Herz schien noch zu klopfen, viel lauter als zuvor. Russlands Finger strichen unter sein Kinn, hielten es leicht angehoben. Amerika vergas beinah das Atmen, als das Russische Reich den Kopf zu seinen Lippen senkte. Dann zögerte die große Nation jedoch, presste leichte die Lippen zusammen, bevor sie den Kopf minimal abwendete und ihn nur in die Arme schloss. Amerikas Herz klopfte weiter in einem unglaublich ruhigen, kräftigen Takt.

„Danke, kleines Land“, lächelte Russland glucksend und streichelte ihm über den Schopf, während er sich an seine Schulter lehnte. „Du hast mir heute mehr als einmal völlig grundlos geholfen.“

Behutsam erwiderte Alfred die Umarmung. Sie erinnerte ihn an seine letzte Begegnung mit Russland. Nur, dass dieser seit dem letzten Mal kleiner geworden zu sein schien, oder, was wahrscheinlicher war, vielleicht war er selbst nur einfach gewachsen…

„Das ist selbstverständlich“, antwortete Alfred leise. „Wir sind doch sowas wie Freunde.“

Russland löste sich von ihm, beließ die Hände jedoch auf seinen Oberarmen und blickte ihn mit unüblichem Ernst an.

„Wir sind keine Freunde.“

Ein Stich fuhr Amerika bei dieser nüchternen Feststellung in die Magengegend. Diese Zurückweisung war mehr als deutlich und sie traf ihn unerwartet.

„Sind wir nicht?“, lächelte er niedergeschlagen, woraufhin Russland entschiedenden Kopf schüttelte und der Blonde den Blick senkte. „Dann… habe ich mir das wohl eingebildet…“

Wieder nahm das Russische Reich ihn in den Arm und diesmal fühlte er sich wieder kleiner, mehr wie damals.

„Freunde benutzen und verraten einander“, hörte er Russlands heisere Stimme. „Freunde streiten sich und lassen den anderen zurück. Freunde verschwinden einfach… Ich will nicht, dass du mein Freund bist!“

Fragend blickte Amerika auf, ohne sich gegen die besitzergeifende Umarmung zu sträuben.

„Warum hältst du mich dann so fest?“

Russlands verdutzter Blick wich einem Lächeln, während seine vom Fieber geröteten Wangen noch ein wenig an Farbe zunahmen.

„Weil ich dich gern hab‘, da“, antwortete er, dann schob er den jungen Blonden unter leisem Husten von sich. „Aber es ist noch zu früh.“ Erschöpft tappte die große Nation zu ihrem Sofa und legte sich hin, nicht ohne leicht zu zittern.

„Müssen beide stärker werden“, murmelte Russland benommen, die Augen bereits geschlossen. Nachsichtig nahm Amerika die Wolldecke von der Lehne und deckte die geschwächte Nation zu. Als er behutsam über den Kopf streichelte, lächelte das Land minimal und murmelte etwas Unverständliches in seinen Schal.

„Du hast mein Wort, dass ich stärker werde“, schwor Amerika leise, stand auf und ging.

Er würde weiterhin an seinem Ziel festhalten und es nicht aus den Augen verlieren.

Russland betrachtete ihn nicht als Freund und vielleicht war das gut so.

Vielleicht waren sie nicht dazu bestimmt, Freunde zu werden.

Vielleicht erwartete sie eine andere Art von Beziehung.

Und vielleicht wusste Russland das.

„Für mich bist du winzig!“

Mit einem guten Gefühl der Erleichterung in seiner Brust atmete Amerika tief ein. Wiener Luft hatte er seit langer Zeit nicht mehr genossen – zu sehr hatte ihn der erneute Krieg gegen England eingenommen. Doch heute sollte alles enden und genau diese Tatsache erleichterte ihn, während er lächelnd dem strahlend blauen Himmel entgegenblickte.

„Wir sind spät dran, mein Freund“, erregte eine ihm wohl bekannte Stimme seine Aufmerksamkeit. „Die letzte Schlacht ist noch nicht geschlagen!“

Mit einem kurzen Auflachen folgte Amerika dem älteren Herrn in das prunkvolle Gebäude. Die gemächlichen Schritte seines Präsidenten einzuholen, kostete das junge Land keinerlei Anstrengung. Doch Madison hatte recht: Der Krieg war in jedem Fall beendet, doch nun würde es darum gehen, zu welchen Bedingungen sie Frieden mit England schließen würden.

Es war der letzte Tag des Wiener Kongresses, den man eigens für den Britisch-amerikanischen Konflikt freigehalten hatte. So war es nicht weiter verwunderlich, dass sie als letzte Partei eintrafen – schließlich hatten sie mit der Neuordnung Europas, nachdem Frankreich es völlig durcheinander gebracht hatte, im Grunde nichts zu tun. Amerikas Schritte waren federnd leicht – er fühlte sich endlich frei, selbst als er den Konferenzraum hinter seinem Boss betrat, Madison Platz nahm und er hinter ihm Stellung bezog. Die Gespräche brachen kurz ab, ihr Eintreffen wurde zur Kenntniss genommen, dann wurde die Diskussion fortgeführt. Obgleich es eine Zusammenkunft von Anführern und Repräsentanten war, wurden die meisten Menschen von ihren Ländern begleitet, wie der Blonde mit einem flüchtigen Blick durch den Raum bemerkte. Der intensiv an den Gesprächen beteiligte Mann direkt gegenüber seines Bosses kam ihm entfernt bekannt vor. Als er aufsah und den Blick hinter ihn richtete, lächelte ihm Russland entgegen. Ein winziges Lächen bildete sich auch auf Alfreds Lippen. Ansonsten blieb er neutral, denn er hatte sich vorgenommen, was auch immer kommen sollte, er würde sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen, bis er diesen Raum mit einem unterschriebenen Friedensvertrag verlassen hatte. Daher vermied er es auch, sich nach links umzusehen, denn selbst aus dem Augenwinkel hatte er England neben sich wahrgenommen. Dann tat er es doch, als das aktuelle Gespräch endete, Russland einen zufriedenen Laut machte und links von Amerika ein dumpfes Geräusch erklang. Ohne seinem Entschluss untreu zu werden, bemerkte er Polen, der nun ohnmächtig auf dem Boden lag und von einem etwas verzweifelt aussehenden Litauen Luft zugefächelt bekam.

„Nun denn“, erhob der Zar erneut seine Stimme, „nachdem der Verbleib Polens geklärt ist, befassen wir uns mit dem letzten Tagesordnungspunkt, dem amerikanisch-britischen Konflikt, meine Herren.“

„Wir sind bereit, der Britischen Kolonie-“, begann der englische Gesandte Castlereagh.

Eine Hand donnerte auf den Tisch nieder.

„Mit Verlaub, Mister Castlereagh“, unterbrach Madison mit lauter Stimme. „Mein Land führt den Namen Vereinigte Staaten von Amerika.“

Amerika lächelte bloß, nicht ohne Stolz zu verspüren. Der Nationalstolz seines Bosses ließ die Dinge, die er in seiner Heimat zurückgelassen hatte, weniger schwer wiegen. Es war beruhigend zu wissen, dass er nicht mehr der Einzige war, den es störte, wenn man ihn als Kolonie bezeichnete.

„Bitte halten Sie sich doch an die Formalitäten“, wies Zar Alexander I. den britischen Außenminister zurecht. „Wo kommen wir denn hin, wenn wir einander ohne Höflichkeit begegnen?“

„Wer hat den denn bitte zum Redner erklärt?“, hörte Amerika ein leises Murmeln von seiner linken Seite. „Sollte Österreich nicht-?“

Nicht augenblicklich, aber doch recht schnell bemerkte Amerika, was der Grund für das plötzliche Abbrechen von Englands Gemurmel war. Russlands strahlendes Lächeln in Kombination mit einem verdunkelten Gesicht und einem eindeutigen Starren in Richtung der Briten wirkte wenig beruhigend. Amerika musste sich zusammenreißen, um den Kopf nicht prustend zur Seite zu wenden. Als er seinen Blick schließlich wieder ausgeglichen geradeaus und damit zwangsläufig auf Russland richtete, hatte sich dessen Gesicht wieder aufgehellt und der Blick aus violetten Augen war auf ihn gerichtet. So führten die Länder ihre eigene, lautlose Kommunikation, während die intensiven Verhandlungen ihrer Vertreter in die zweite Runde gingen.

Amerika hielt es nicht für nötig, den Gesprächen Wort für Wort zu folgen. Madison war ein fähiger Mann und weitaus diplomatischer bewandert als er selbst. Doch anders als der Zar und Russland würden sie vermutlich niemals ein solch harmonisches Bild abgeben. Die beiden wirkten wie eine perfekte Einheit. Vorne am Tisch das diplomatische Verhandlungsgeschick, dahinter wie eine unausgesprochene Drohung brachiale Kraft. Er wollte nicht in Englands Haut stecken, denn obgleich sich der Zar um Neutralität zu bemühen schien, trieben ihn die absurden Forderungen des britischen Außenministers immer mehr auf Madisons Seite. Österreich gähnte nur, während auch dessen Repräsentant Fürst von Metternich sich auf eine Teilnahme als Zuhöhrer beschränken zu wollen schien. Einige, gänzlich unbeteiligte Länder und Abgesandte verließen leise den Saal. Amerika konnte es ihnen nicht verdenken, immerhin lief der Kongress für alle anderen bereits seit vielen Monaten und nun schien auch die letzte Runde zu einem Ende zu kommen. Amerika beobachtete, wie Russland seinem Zaren die Hand auf die Schulter legte, sich vorbeugte und etwas in sein Ohr flüsterte. Ein Nicken folgte, dann verließ Russland seinen Posten, ebenfalls dabei, den Raum zu verlassen. Amerika war irritiert, blinzelte verwirrt, als auch England neben ihm tief seufzte und ging. Kurz blickte er unschlüssig auf Madisons Nacken hinab, dann drehte er sich ebenfalls um und verließ den Saal.

Deutlich weniger Durcheinander als bei ihren Länderversammlungen herrschte nun auf dem breiten Flur. Bei einem flüchtigen Umsehen fiel Russland ihm als Erster ins Auge. Der Große stand in inniger Umarmung mit einer umwerfend hübschen Frau etwas Abseits neben einer Bank. Nach einem kurzen Mustern blickte Amerika in die andere Richtung. Dort verschwand gerade Englands Schopf zwischen den größeren Menschen und Nationen. Das junge Land zögerte nicht, bevor es seinem großen Bruder nacheilte. Seine Finger schlossen sich um das Handgelenk des mächtigen Landes, das ihm nie so klein wie in diesem Augenblick vorgekommen war. Machtlosigkeit spiegelte sich in Englands Augen wieder, als er sich nach ihm umsah und stehen blieb. Das war richtig. Arthur hatte auf dem Schlachtfeld nicht auf ihn schießen können. Damals hatte er denselben Ausdruck in den Augen gehabt. Amerika schluckte leise, ohne seinen ernsten Gesichtsausdruck zu verlieren. Er war nicht hergekommen, um den Frieden nur auf dem Papier zu haben.

„Können wir uns vertragen?“

Amerika lächelte vorsichtig, ließ Englands Handgelenk jedoch los.

„Sind wir nicht Brüder?“

Im Gesicht des Kleineren zuckte etwas, dann senkte er den Blick.

„Natürlich können wir uns nicht einfach so vertragen.“

Das wehmütige Lächeln auf Amerikas Lippen schien zu schmerzen, als er seine Hand behutsam auf Englands Schulter legte.

„Okay, dann warte ich, bis du nicht mehr sauer auf mich bist. Mach’s gut, Arthur.“

Amerika drehte sich um und ging - bemüht, seine innere Ruhe aufrecht zu erhalten.

„Ich war nie sauer auf dich, Idiot“, erklangen leise Worten und gingen ungehört in der Geräuschkulisse unter, bevor auch England sich umdrehte und ging.

Einige Augenblickte stand Amerika zwischen irgendwelchen Ländern und Menschen und atmete tief durch. Es war okay. Es musste reichen, um okay zu sein. Nickend und festen Blickes sah er auf – direkt in Russlands Augen, die ihn aus der Ferne beobachteten.

„Ein Freund von dir?“, fragte die hübsche Frau, deren Hand Russland behutsam in beiden Händen hielt.

„Nein“, sagten sowohl Russland als auch Amerika, bloß dass der Blonde noch zu weit entfernt war, als dass es gehört worden wäre. Lächelnd kam er näher und nickte höflich.

„Machst du uns bekannt, mein Nicht-Freund Russland?“

Lächelnd stellte sich die große Nation hinter seine Begleiterin und legte behutsam die Hände auf ihre Schultern.

„Meine Zarin Elisabeth Alexejewna“, stellte Russland mit einer Verbundenheit vor, die den Blonden überraschte. Dann trat Ivan zwischen sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Mein Nicht-Freund, Die Vereinigten Staaten von Amerika, mit dem ich einen trinken gehe, wenn Sasha fertig ist“, erklärte das große Land seiner Zarin.

„Sehr erfreut“, nickte Amerika, wartete die Erwiderung ab, bevor er zu Russland aufblickte. „Sollte das eine Art Einladung sein?“

„Mhm“, stimmte Russland zu. „Ich hab‘ viel zu feiern. Du nicht?“

„Natürlich“, grinste Alfred. „Mir ist alles recht, solange endlich Frieden ist.“

Die große Nation blickte ihn auf eine merkwürdig ernste Weise an, ohne etwas zu sagen, weshalb Amerika verdutzt blinzelte.

„Hm?“

„Njiet“, winkte Russland lächelnd ab. „Warum hast du mich da drinnen die ganze Zeit angestarrt?“

„Eh?“, stutzte Amerika perplex. „Ich hab‘ nicht gestarrt! Ich hab… mich nur gefragt, was denn mit Polen los ist und du standest nun mal direkt gegenüber.“

Russland gluckste.

„Er wird gevierteilt und das größte Stück bekomme ich.“

Nun konnte Amerika wirklich nicht mehr verhindern, dass er kurzzeitig fassungslos aus der Wäsche schaute.

„Wir, Ivan, wir“, klopfte Russlands Boss seinem Land auf den Rücken, während er seiner Frau einen Arm um die Taille legte. „Kongresspolen wird noch ziemlich viel Arbeit bedeuten.“

Die große Nation gluckste nur zufrieden vor sich hin, bevor sie Amerikas Handgelenk nahm und ihn mit sich zog.

„Bis später, Sasha“, verabschiedete Russland sich mit erhobener Hand. „Pass auf dich auf, Lischa.“

Sprachlos ließ Amerika sich mitziehen – und zwar eine ganze Weile lang. Nachdem er seine anfängliche Verwunderung über Russlands Verhalten überwunden hatte, fand er es irgendwie amüsant. Erst vor einer Tür blickte Russland ihn übermäßig erstaunt an.

„Willst du nicht protestieren, oder so?“, schlug Russland vor. „Schreien oder weinen? An diesem Ort könntest du sogar Erfolg damit haben.“

„Hast du schon vor der Versammlung getrunken?“, witzelte Amerika. „Warum sollte ich das tun?“

Mit einem neutralen Gesichtsausdruck öffnete Russland die Tür und schob ihn hinein.

„Normalerweise tun die Leute das, wenn ich sie mitschleife, weißt du?“

Bereitwillig ging der Blonde auf das Sofa zu, setzte sich und schenkte aus der auf dem Tisch stehenden Flasche Vodka in zwei Gläser ein.

„Lass mich raten… Normalerweise wissen die Leute, die du mitschleifst, nicht, was du mit ihnen vor hast.“

„Ooh!“, bemerkte Russland anerkennend. „Wie hast du das erraten?“

Das Glas der russischen Nation leerte sich erschreckend schnell. Während Amerika den Hochprozentigen nur vorsichtig genoss, goss sich sein Sitznachbar selbst nach, wobei es sich um eine deutlich größere Menge handelte. Ihre Gläser klirrten aneinander und Russlands Wangen röteten sich zunehmend ebenso wie Amerikas.

„Sag mal“, begann der Blonde. „Mit deinem Boss kommst du echt gut aus, hm?“

„Mhm“, bestätigte Russland lächelnd. „Er ist ein feiner Kerl. Dank ihm ist alles besser geworden, da…“

Verdutzt beobachtete Alfred, wie das große Land sein Glas einen Augenblick sinken ließ und ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht huschte.

„Hm?“, brummte er auffordernd.

Russland schüttelte den Kopf.

„Anführer sind wie Freunde. Sie verschwinden irgendwann. Sasha wird auch bald… verschwinden…“

Nachdenklich schwieg Amerika. In seiner Zeit bei England hatte er über das Zarentum gelernt. Es war überflüssig, Russland zu fragen, wie lange er seinen Boss schon kannte. Sicherlich schon, seit er ein Baby gewesen war. Ganz anders als bei ihm selbst, wo alle paar Jahre ein neuer Präsident gewählt wurde… Leute, die ihm bis dahin nur entfernt, wenn nicht gänzlich unbekannt gewesen waren… Die große Hand war auf dem Weg zur Flasche, welche Amerika sich blitzschnell schnappte.

„Du wolltest mit mir feiern, also komm nicht mit so depressiven Gedanken daher“, schimpfte er.

„Hm…“, lächelte Russland. „Bist du für so ein kleines Land nicht ein bisschen frech?“

Die Hand des Russischen Reiches schloss sich ebenfalls um den Flaschenhals, während ihn die violetten Augen herausfordernd anfunkelten. Schlagartig begann Amerikas Herz laut zu klopfen, ohne dass er sagen konnte, aus welchem Grund. Selbst, als Russland ihm näher kam, konnte er den Blickkontakt erwidern. Die Flasche wurde aus seinen tauben Fingern genommen und auf den Tisch gestellt.

„I-Ich bin nicht mehr klein“, widersprach Amerika hauchzart, in einem Anflug von aufkeimendem Trotz. Russlands Finger strichen über seine Wange, unter sein Kinn und hoben es an. Er fühlte sich verletzlich, doch nicht in der Lage, sich dem festnagelnden Blick zu entziehen.

„Für mich bist du winzig“, lächelte Russland leise, bevor er ihn küsste. Amerika starrte einfach zurück, denn er verstand nicht, was da gerade passierte. Warum Russlands Lippen gegen seine drängten, warum sein Herz immer lauter schlug und er sich nicht bewegen konnte, als die Hand mit einem Finger erst seinen Hals und dann seine Brust hinab strich. In den ersten Augenblicken, in denen er Russlands Zunge in seinem Mund wahrnahm, konnte er nicht glauben, dass er sich nicht wehrte. Doch dann senkte er ergeben die Lider, während seine Lungen auf Hochtouren zu laufen schienen. Er verstand es. Russland war zu übermächtig. Jetzt gerade war er stärker als je zuvor und das, was ihn selbst von der Gegenwehr abhielt, war tatsächlich pure Angst. Obwohl er den Horror eines Krieges gerade erst hinter sich hatte, war er hier mit einem Horror konfrontiert, der sein Vorstellungsvermögen überstieg und dabei allein auf der Basis seiner Instinkte ablief. Amerika spürte, wie sein Hinterkopf auf die weiche Sofalehne traf und der Kuss inniger wurde. Intensiv erröteten seine Wangen, sodass er die Augen schloss und Russlands unergründlichem Blick entkam. Sein Körper blieb in der Position, in der er war, auch als Russlands Zunge sich aus seinem Mund zurück zog und sich ihre Lippen trennten.

„Siehst du, kleines Amerika?“, lächelte Russlands kindliche Stimme in sein Ohr. „Zu schade, du bist immer noch nicht stark genug.“

Das Russische Reich wendete sich seinem Vodka zu und genoss ihn in aller Ruhe, während das junge Land nur langsam zur Kontrolle über seine Sinne zurück fand. Schwach zitternd stützte Amerika seine Hände neben sich auf dem Sofa auf und rang so leise wie möglich nach Luft. Als er es schließlich wagte, den Blick zu heben und auf seinen Sitznachbarn zu richten, war es bloß Russland, der sich sichtlich zufrieden mit seinem Lieblingsalkohol beschäftigte. Fassungslos wendete Alfred den Blick ab und fuhr sich durch die Haare, während sein Blick wie ferngesteuert zur Tür wanderte.

„Geh nur“, lächelte Russland fröhlich. „Ich weiß, dass du wiederkommst.“

Abrupt erhob Alfred sich, umrundete den Tisch dann jedoch nicht schneller als normal. Vor der Tür angekommen, zögerte er. War es richtig, so zu gehen? Das war es nicht! Es wäre die Flucht eines Feiglings! Sein Körper sprach seinen Widerstreben bei jedem Schritt aus, doch er zwang ihn mit eisernem Willen, zurück zu Russland zu gehen.

„Gib mir deine Hand“, verlangte er mit rauer, defensiv leiser Stimme, seinen Blick starr zu Boden gerichtet.

„Bist du sicher, dass du das willst?“, erwiderte Russland verdutzt.

„Gib sie mir einfach“, flüsterte der Blonde, woraufhin Russland seiner Aufforderung nachkam. Es war auszuhalten, sodass Amerika sich zutraute, den Blick zu heben und die große Nation anzusehen.

„Ich schwöre dir noch einmal, dass ich stärker werde“, sagte Amerika fest, dann ließ er die Hand los und ging.

„Wenn wir uns das nächste Mal auf diese Weise begegnen, werde ich nicht so nett zu dir sein“, lächelte Russland.

„Ich weiß“, nickte Amerika, bevor er die Tür hinter sich schloss und ihm mehrere Berge Erleichterung vom Herzen fielen.

Russland dagegen hob amüsiert sein Glas und betrachtete das Glitzern der geschwenkten Flüssigkeit.

„Du bist wirklich etwas anderes, Amerika… Ich freue mich auf das nächste Mal.“

„Das gehört jetzt mir!“

Es war Spätsommer.

Unzählige Jahre, viele Jahrzehnte und sogar das ein oder andere Jahrhundert waren vergangen.

Sie waren einander auf Versammlungen begegnet, hatten miteinander im Krieg gelegen und später Seite an Seite gekämpft.

Doch sie waren sich in all der Zeit nie auf jene Weise begegnet. Es hatte kein nächstes Mal gegeben.
 

Beiläufig wischte Russland sich den Schweiß von der Stirn. Er mochte keine Kälte, aber ein amerikanischer Jahrhundertsommer war eindeutig zu viel für ihn. Argwöhnisch fragte er sich, ob Amerika ihn absichtlich zu solch einer Zeit herbestellt hatte, doch schon einen trägen Gedanken weiter verwarf er diese Vermutung wieder. Dafür war der Blonde einfach nicht durchtrieben genug. Auch hatte keine der wenigen Zeilen, die vor einigen Tagen in sein Haus geweht waren, den Anschein eines Hinterhaltes gemacht. Auf einen Satz reduziert hatte Amerika folgendes nach Moskau gesendet: „Ich werde dir etwas zeigen.“

Wie ein Versprechen lag die Eisenstange in Russlands Hand, als er den Feldweg betrat, an dessen Ende ihn jemand erwartete. Ganz gleich, wie heiß es auch sein mochte… Er würde sich nicht zurückhalten. Schließlich kannte auch er ein paar heiße Sommer. Gute zehn Meter vor dem Blonden blieb er stehen.

„Du wolltest mir etwas zeigen?“, grüßte Russland lächelnd. Sein Gegenüber – wie er selbst trotz der Hitze in Uniform – hob lachend einen Holzschläger auf seine Schulter, während er einen kleinen weißen Ball einige Zentimeter hoch warf und wieder auffing.

„Eine Menge“, bestätigte Amerika. „Aber ich kann nicht garantieren, wie viel du davon zu sehen bekommst.“

Mit einem leisen, metallischen Klang ließ Russland seine Waffe auf einen Stein im unebenen Boden sinken. Er hatte sich also nicht getäuscht – natürlich nicht. Ihm gefiel der starke Ausdruck in den strahlend blauen Augen.

„Als Erstes zeige ich dir eine neue Sportart, die ich kürzlich erfunden habe“, lächelte Amerika, während er angriffslustig auf ihn zu schritt. Der Ball flog jedoch zur Seite und blieb am Wegrand liegen. „Nehme an, den brauche ich für dich nicht.“

Das Grinsen verschwand von Amerikas Gesicht, als er den Baseballschläger über den Kopf erhob und zu laufen begann. Dafür tauchte es auf Russlands Lippen auf, während er das Gleiche mit seiner Eisenstange tat. Ihr Aufeinandertreffen wirbelte Staub auf und jagte den Klang von massivem Holz auf unnachgiebigem Metall über das karge Feld. Zwar parrierte Russland von unten, doch es dauerte nur wenige Momente ihres Kräftemessens, um eine ausgeglichene Situation herzustellen. Begeistert grinste er den blauen Augen entgegen, während sie um die Oberhand rangen. Amerikas starker Wunsch, ihn zu besiegen, war unübersehbar.

„Ich weiß es jetzt“, sprach Amerika mit leiser Ernsthaftigkeit, ohne diesen ausdrucksstarken Blick abzuwenden.

„Was denn nur?“, lächelte Russland fröhlich. Kaum setzte der Blonde zu einer Antwort an, überließ er ihm den vorläufigen Sieg, wich aus und schlug von der Seite nach ihm. Doch Amerika gelang es, seine Finte abzuwehren und ihm verteidigungsbereit gegenüber zu stehen, während er ihn offen anlächelte, die Waffe beinah bis zum Boden gesenkt und auf Antwort wartend.

„Ich verstehe jetzt“, begann Amerika, „warum ich nicht dein Freund sein kann, und auch, warum du mir nie wie einem deiner Feinde begegnet bist.“

„Hat es wirklich so lange gedauert, das zu begreifen?“

Ohne Vorwarnung sauste die Eisenstange durch die Luft, wurde nicht vollständig abgeblockt und traf die linke Hand der jüngeren Nation. Innerhalb von Sekunden registrierte Russland den schwächer werdenden Griff um den Holzschläger, drehte sich mehr in seinen Hieb und zog die Eisenstange durch, womit er dem Blonden die Waffe aus den Händen schlug und nun beinah hinter ihm stand.

Einen Augenblick flackerte Unsicherheit in den blauen Augen auf, die Angst hätte sein können, doch dann folgte eine schnelle Bewegung von Amerikas rechter Hand unter dessen Lederjacke. Schneller, als man es ihm zugetraut hätte, wich Russland weiter hinter den Blonden zurück und tat das Gleiche.
 

Zweimal klickte es, als sie ihre gespannten Schusswaffen aufeinander richteten. Amerika spürte kaltes Metall an der rechten Schläfe. Obgleich er mit seiner eigenen Waffe unter seinem linken Arm hindurch auf Russlands Bauch zielte, stockte ihm einige Sekunden lang der Atem. Die große, unberechenbare Nation in seinem Rücken zu haben, verschaffte ihm keineswegs das Gefühl einer Patt-Situation. Dennoch befanden sie sich eindeutig in einer solchen. Als die Metallstange laut zu Boden klirrte, zuckte Amerikas Finger am Abzug. Eine Hand legte sich bedeutungsschwer auf seine linke Schulter.

„Angst?“, flüsterte Russland ihm ins Ohr.

Trotzig riss sich der Blonde zusammen.

„Wenn ich abdrücke, hast du ein Problem.“

„Wenn ich abdrücke,“, lächelte Russland bedrohlich, „bist du tot.“

Tief atmete Alfred durch, um sich und seine rasenden Gedanken zu beruhigen.

„Erstens würde ich davon nicht sterben und zweitens würdest du nicht abdrücken.“

Die Waffe an seiner Schläfe klickte ein weiteres Mal, woraufhin Alfred erstarrte, bevor ihm sein Verstand Entwarnung gab und mitteilte, dass die Patrone nicht gezündet hatte.

„Ah…“, summte Russland fröhlich. „Ich konnte einfach nicht widerstehen. Wie gut, dass ich die Kugeln zuhause gelassen hab‘, nicht?“

Während Russland belustigt von ihm zurückwich, drehte Amerika sich perplex um.

„Du kannst nie sicher sein, ob ich abdrücken würde oder nicht“, beugte Russland sich mit einem strahlenden Lächeln vor. „Nicht mal ich kann das.“

„Du bist wirklich…“, seufzte Amerika fassungslos, dann steckte er seine Waffe kopfschüttelnd weg und bemühte sich erneut um Ruhe. Den Kopf dabei etwas gesenkt und die Augen kurz geschlossen, sah er dann überrascht auf, als er eine tätschelnde Hand auf seinem Kopf spürte.

„Du siehst zufrieden aus“, stellte Amerika zweifelnd fest. „Dabei habe ich es nicht geschafft, dich zu besiegen… Oder bist du genau deshalb zufrieden?“

„Njiet“, lächelte Russland. „Was ich dir voraus habe, ist Erfahrung.“

Einige Augenblicke erwiderte Amerika nichts, erduldete die Hand auf seinem Kopf bloß stillschweigend. Dann schlug er sie weg.

„Wenn das so ist, behandel mich nicht wie ein Kind.“

„Hm“, lächelte Russland amüsiert, ließ seine Hand jedoch sinken. Kurz hielt Amerika dem Blickkontakt stand, bevor er sich abwendete und seinen Baseballschläger aufsammelte. Nach einem minimalen Zögern hob er auch die Eisenstange auf und hielt sie der anderen Nation wortlos entgegen. Russland legte jedoch nur lächelnd den Kopf schief.

„Was soll ich damit?“

Amerika stutzte, dann warf er beide Gegenstände widerwillig schmunzelnd zur Seite.

„Nichts“, antwortete er schließlich und nahm Russlands Hand – eine Geste, die beiläufig wirken sollte. „Ich zeige dir, dass ich ein Rivale bin, der seine Versprechen hält. Egal, wie alt sie sind.“

Versöhnlich lächelnd blickte er zu Russlands erstauntem Gesicht zurück. Das waren sie. Keine Freunde, keine Feinde. Sie waren nun beinah ebenbürtige Rivalen, verbunden durch wenige, zufällige Begegnungen in der Vergangenheit.

Als sie den nächsten Hügel hinauf gewandert waren, schickte er seinem Begleiter einen heimlichen Blick, der sich auszahlen sollte. Hunderte kleiner Sonnen spiegelten sich in den violetten Augen wieder, während ihr Blick über die Ebene schweifte.

„Es hat lange gedauert, aber ich habe es schließlich geschafft“, bemerkte Amerika leise, den Blick selbst auf seine Sonnenblumenfelder richtend, die sich bis zum Horizont in alle Richtungen erstreckten. Ein Windstoß trug den beiden Ländern den intensiven Geruch der Blumen entgegen und ließ sie vom Duft des Sommers kosten.
 

Russland war überwältigt. Er erinnerte sich an die Worte der kleinen Britischen Kolonie, der er vor so langer Zeit während ihrer ersten Begegnung eine Sonnenblume geschenkt hatte.

Noch immer sprachlos senkte er seinen Blick auf Amerika, der mit einer Sonnenblume in den Händen vor ihn getreten war und sie ihm lächelnd überreichte. Dieses Lächeln war noch immer jung und gutgläubig, doch nicht mehr von kindlicher Unschuld geprägt. Die junge Nation schien sich ihrer Handlungen genaustens bewusst zu sein.

„Ich schenke sie dir stellvertretend für all die anderen, die du hier siehst.“

Wortlos nahm Russland die Blume entgegen und betrachtete sie. Sie strahlte so hell wie die kleine Kolonie es damals getan hatte und so wie Amerikas Augen es heute noch taten. Natürlich spürte er, wie sehr er die jüngere Nation überrumpelte, als er sie in die Arme schloss. Doch bevor er selbst die Fassung verlor, sollte lieber Amerika die seine verlieren.

„Danke…“, nuschelte Russland in seinen Schal. Mit einem irritierten Blinzeln quittierte er es, als seine Umarmung erwidert wurde.

„Ich habe es doch versprochen“, lächelte Amerika. „Siehst du das Haus dort hinten?“

Langsam hob Russland den Blick über Amerikas Schulter höher und bemerkte das in Mitten der gelben Felder aufragende Dach.

„Mhm, ich sehe es“, bestätige er, sich langsam von dem Blonden lösend.

„Das schenke ich dir auch“, lächelte Amerika. „Als Zeichen unserer… Naja… Als Zeichen von… tja…“

Grübelnd kratzte sich der Jüngere am Hinterkopf, ohne eine korrekt erscheinende Bezeichnung ihrer Beziehung zueinander zu finden.

„Ich will es mir ansehen!“

Sekundenland hielt Alfred inne, bevor er der stramm auf das Gebäude zu marschierenden Russischen Föderation folgte. Ein zufriedenes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er hatte nie vergessen, wie Russland ihm die Sonnenblume geschenkt und von seinem Traum erzählt hatte, kurz bevor England ihr erstes Treffen damals gestört hatte. Er hatte nie vergessen, welches Versprechen er der traurig-verträumten Nation gegeben hatte. Lange vor dem gemächlich folgenden Blonden war Russland im Gebäudeinneren verschwunden.

Mit den begeisterten Augen eines Kindes, vor dem sich soeben ein ganzer Jahrmarkt eröffnet hatte, betrachtete Russland die Eingangshalle, an deren Ende sich räumlich ein wenig abgegrenzt ein Büro zu befinden schien. Gleich der erste Blick gab den direkten Weg auf einen großen Schreibtisch frei hinter dem sich rechts und links jeweils eine russische und eine amerikanische Flagge kreuzten. Hoch über dem Schreibtisch hing ein großes Gemälde, das hinter einigen Sonnenblumen die Shilhuette des Moskauer Kremls unter strahlend blauem Himmel zeigte. Ein abwensendes Lächeln umspielte Russlands Lippen, während er alle Details in sich aufsog. Umgeben von der warmen und gleichsam majestätischen Aura, die dieses Gebäude ausstrahlte, fühlte er sich gut – unbeschreiblich gut. Er hatte einen Ort betreten, an dem er sich fühlte, als sei er Zuhause.

„Schrecklich, nicht wahr?“, lachte Amerika beschämt. „Gleich beim ersten Raum kann man nur an Arbeit denken… Die privaten Räume machen hoffentlich etwas weniger diesen Eindruck…“

„Ich kann das alles haben, da?“

Minimal verunsichert sah der Blonde auf. Russlands Stimme klang unüblich neutral, doch aus irgendeinem Grund hatte sich sein Gesicht verdunkelt. Ein schwaches Gefühl von Besorgnis stieg in Alfred auf, doch dann lächelte er.

„Jup!“

Russland wendete sich ihm zu und beugte sich vor, sodass das verfinsterte, gruselig lächelnde Gesicht dicht vor seinem verharrte, woraufhin er erschrocken einen halben Schritt zurück trat.

„Alles“, widerholte Russland, während er sich Amerika näherte, der daraufhin weiter zurückwich. „Alles, was sich hier befindet. Jeden Grashalm, jede Blume, jeden Ziegelstein…“

Amerika lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sich der Blick aus violetten Augen gierig auf ihn senkte, während er weiter Schritt für Schritt von der dunklen Aura abrückte.

„D-Das sagte ich“, stammelte er mit laut klopfendem Herzen, sich unsicher, nicht doch einen großen Fehler begangen zu haben. „A-Als Zeichen v-von…“

Sein Rücken stieß gegen einen Sockel, der ihn am Zurückweichen hinderte. Die Vase darauf geriet ins Trudeln und fiel. Russland griff danach, ohne hinzusehen. Sein Blick war in die Augen der erstarrten Nation gerichtet.

„Das gehört jetzt mir“, lächelte Russland gefährlich leise und stellte die Vase auf ihren Sockel zurück. „Du kannst es nicht kaputt machen, Amerika.“

„S-Sorry…“, flüsterte der Blonde, nicht ohne dem Sockel rückwärts gehend auszuweichen. Die Wand in seinem Rücken hielt seine Flucht endgültig auf, als er sich dagegen presste und mit einem flauen Gefühl in Russlands Augen hinauf starrte.

„Ich weiß nicht, ob ich dir verzeihen kann...“, hauchte Russland gegen seine Lippen, während Amerika eine Hand an seiner Wange wahrnahm und das flaue Gefühl erst im letzten Augenblick als Aufregung erkannte. Russland küsste ihn leidenschaftlich, drang so selbstverständlich in seinen unvorbereitet geöffneten Mund ein, dass Amerika schlagartig errötete. Die Augen schließend, erwiderte er unterlegen, dennoch spürte er mit jeder Faser seines Körpers Russlands Machtübernahme. Sie war nicht brutal, nicht einmal grob, doch er nahm sich jeden Zentimeter des Territoriums, das er ihm selbst angeboten hatte. Amerika fühlte, wie ihm seine ausladenden Sonnenblumenfelder durch die Finger glitten und aus seinem Machtbereich verschwanden.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Angel-Dust
2015-07-30T18:35:14+00:00 30.07.2015 20:35
ich finde die Fanfic bis jetzt total klasse*-*
das pair RusAme mag ich sowieso total gerne und du setzt es einfach total klasse um <3
ich freue mich schon sehr weiter zu lesen ~ ♥
Von:  MinYoyo
2014-02-14T06:41:24+00:00 14.02.2014 07:41
Was für ein tolles kapi!!!
Ich freu mich auch auf nächstes mal^^
Von:  MinYoyo
2014-01-28T19:24:34+00:00 28.01.2014 20:24
oh. Mach bitte weiter!!!
Von:  MinYoyo
2014-01-14T17:23:00+00:00 14.01.2014 18:23
Oh wie cool freu mich schon auf das 3.kapitel
Von:  MinYoyo
2014-01-13T18:37:17+00:00 13.01.2014 19:37
Das ost sooo cool. Mach bitte weiter^^
Antwort von:  Izu-chan
13.01.2014 20:12
Danke schön! ^^
Das nächste Kapitel kommt bald vielleicht noch heute. ;)


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