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Auf den zweiten Blick

von

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Lügen und Scherze

Als Luca am nächsten Morgen, der Arzt hatte ihn gestern für den gesamten Tag krankgeschrieben, das Zimmer betrat, saßen Nicholas und René bereits auf ihren Plätzen. Der Sechzehnjährige begrüßte die beiden und ließ sich auf seinen Platz fallen.

„Wo bist du gestern gewesen?“, fragte Nicholas auch gleich.

Luca hob sein eingegipstes Handgelenk. „Ich war im Krankenhaus. Bin die Treppe runtergefallen.“

Sein Banknachbar zog skeptisch die Augenbraue hoch, er schien ihm nicht zu glauben, sagte aber nichts, worüber Luca wirklich dankbar war. Er wusste nicht, ob er in der Lage gewesen wäre, Nicholas weiter ins Gesicht zu lügen.

„Sieht sehr stark nach gebrochen aus“, mischte sich René ein.

Luca schnitt eine Grimasse. „Ich bin ziemlich blöd gefallen.“

Die Tür wurde aufgestoßen und eine wütende Rebecka, gefolgt von den Zwillingen, stapfte ins Zimmer. „Ihr seid echt unmöglich“, schimpfte sie. Vor René blieb sie stehen. „Guten Morgen, Schatz“, grüßte sie ihn, wie sie es jeden Morgen tat und küsste ihn kurz auf den Mund.

„Morgen“, erwiderte René.

„Jetzt stell dich nicht so an“, motzte Florian.

Fabian nickte zustimmend. „Genau. Es war ja bloß ein kleiner Scherz?“

„Kleiner Scherz?“, brauste Rebecka auf, „Ihr habt völlig den Verstand verloren!“

Während Rebecka den beiden Spaßvögeln mit ihrem Deutschbuch drohte, füllte sich das Klassenzimmer. Luca fiel auf, dass Martin sich nicht auf seinen gewöhnlichen Platz bei Thomas und Leonie setzte, sondern neben Jan. Er hatte sich wohl ebenso von der Gruppe losgesagt.

Leonie warf ihm einen beleidigten Blick zu, ehe sie sich das Haar hinters Ohr strich und ihn ignorierte.

„Da waren’s nur noch zwei“, flüsterte René Luca leise zu, woraufhin der Blondhaarige grinsen musste. Er wusste nicht, ob etwas passiert war, aber das war ihm auch egal. Hauptsache, Thomas Gang wurde um eine Person vermindert.

Die Deutschlehrerin betrat das Zimmer. Vor der Tafel blieb sie stehen und schaute grimmig in die Klasse. „Ich will nicht groß um den heißen Brei herumreden, Ihr Test war eine Katastrophe!“ Sie schrieb einen Notenspiegel an die Tafel.

Wage erinnerte Luca sich an besagten Test. Sie hatten ihn Anfang letzter Woche geschrieben. Besonders schwer hatte er ihn allerdings nicht gefunden.

Unter der Eins setzte Frau Schiller einen Querstrich. Es gab also keine. Danach schrieb sie vier Zweien und Sieben Dreien an. „Bis hier hin ist es okay, aber der Rest ist unakzeptabel.“ Es folgten drei Vieren, wo Luca fand, dass das eigentlich auch noch ging. Schließlich konnte nicht jeder gut in Deutsch sein. Aber die den neun Fünfen und drei Sechsen stimmte er seiner Lehrerin dann doch zu.

„Findet euch in Gruppen zu je fünf oder sechs Personen zusammen. In der ersten Stunde werdet ihr eine vollständige Berichtigung erarbeiten, die ich auch bewerten werde.“

Es folgte synchrones aufseufzen, doch die Schüler kamen der Aufforderung nach. Während sie Stühle und Bänke verrückten, teilte die Lehrerin die Tests, einschließlich des Aufgabenblattes aus.

„Gut gemacht“, lobte Frau Schiller Rebecka als sie ihr ihren Test reichte.

„Eine zwei“, freute sich das schwarzhaarige Mädchen.

„An sich nicht schlecht, Sie müssen nur an Ihrer Rechtschreibung arbeiten“, kommentierte die Lehrerin Renés Test. Dann sah sie zu Nicholas. „Hier das gleiche.“

Luca reichte sie den Test kommentarlos. Sie schaute ihn noch nicht einmal an.

„So schlecht?“, wollte René sogleich wissen.

Der Blondhaarige schüttelte seinen Kopf. „Ich hab eine Zwei.“

Als René seinen Test auf die Bank legte, sah Luca eine große rote drei darunter stehen. Er hatte also auch recht gut abgeschnitten.

Die Lehrerin ging weiter zu den Zwillingen und reichte Florian den nächsten Test.

„Sind Sie sicher, dass das auch meiner ist?“, fragte der Zwilling. Dieses Spiel hatten sie schon mit mehreren Lehrern gespielt. Neumann ließ inzwischen Luca die Tests austeilen, weil er mitbekommen hatte, dass der Sechzehnjährige die zwei auseinanderhalten konnte.

Frau Schiller zögerte, schaute kurz auf den Sitzplan, der momentan recht nutzlos war.

„Ich möchte schließlich nicht, dass mein Bruder meinen Test bekommt“, meldete sich jetzt auch Fabian.

Das war zu viel für die Frau. Sie klatschte beide Tests in die Mitte des Tisches und ging weiter.

„Nicht so freundlich“, rief Florian ihr hinterher.

Der Rest der Gruppe lachte. Seit der Aktion mit Lucas Bild an der Tafel konnte keiner die Frau ausstehen.

Die Lehrerin drehte sich um und blickte ihn wütend an. „Florian Schäfer-“

„Sind sie sicher?“, entgegnete der Zwilling unschuldig schauend, „Ich könnte auch Fabian sein.“

Nicholas lehnte sich unauffällig näher zu Luca. „Wer ist wer?“, wollte er wissen.

Luca zeigte auf den jeweiligen Zwilling, bevor er den Namen flüsterte: „Florian. Fabian.“

„Nicht petzen“, rief Fabian gespielt entsetzt. Er schien erst jetzt bemerkt zu haben, was Luca getan hatte.

„Zu spät.“ Der Blondhaarige blickte ihn entschuldigend an.

Frau Schiller war es inzwischen zu dumm geworden und sie war zur nächsten Gruppe weitergegangen.

Die Gruppenarbeit verlief ohne Größere Zwischenfälle, wenn man von Florians entsetztem Ausruf über seine Sechs, sein Bruder war zwei Noten besser als er, mal absah. Zufrieden sammelte die Lehrerin ihre Berichtigungen ein und entließ sie in die Pause.

Später im Informatikunterricht setzte Luca sich in die letzte Reihe. Etwas verwirrt folgten die anderen ihm, normalerweise saßen sie weiter vorn. Dem Lehrer war es egal, wer wo saß, da er sehen konnte, wer an welchen Computer eingeloggt war. Demzufolge brauchte er auch keinen Sitzplan. Während die anderen mit Excel addierten und multiplizierten, durchforschte er das ‚Internet nach Peter Mertens. Ihr Lehrer stand an der Tafel und erklärte gerade, wie sie die Formel einzugeben hatten, damit sie das richtige Ergebnis erhielten. Er bemerkte also nicht, was Luca tat. Keiner bemerkte etwas, außer Nicholas.

Dieser hob fragend die Augenbraue. „Was tust du da?“

„Recherchieren“, antwortete Luca. Er war gerade auf der Homepage der Boutique Mertens. Dort fand er auch endlich ein Foto des Mannes. Doch, was er sah, ließ ihn erstarrten. Er erblickte einen blonden Haarschopf und ihm sehr bekannte blaue Augen, seine Augen. Zwar waren Peters Haare glatt, Lucas leicht gewellt, aber die Ähnlichkeit war unübersehbar. Er war dem Mann wie aus dem Gesicht geschnitten.

Auch Nicholas war erschrocken. „Er sieht dir ziemlich ähnlich, findest du nicht?“, murmelte er.

Der Blondhaarige nickte. „Er ist mein Vater“, erklärte er dann leise.

Einen Augenblick schien sein Klassenkamerad geschockt über diese Aussage, doch er hatte sich schnell wieder gefasst. „Ich dachte, du weißt nicht, wer dein Vater ist.“

Luca zog sein Handy aus der Hosentasche und öffnete das Bild, was er vom Brief seines Vaters aufgenommen hatte. Dann reichte er es Nicholas.

Der Schwarzhaarige betrachtete das Elektrogerät kurz verwirrt, schien dann aber zu verstehen und begann, zu lesen.

„Meine Mutter und Jochen sind im Urlaub. Das habe ich im Safe gefunden“, fügte Luca noch hinzu.

„Ich kenn den Mann“, meinte jetzt auch Nicholas, „Aber nur vom Namen her. Er arbeitet viel mit meinem Vater zusammen. Aber gesehen habe ich ihn bis jetzt noch nicht.“ Er schwieg eine Weile. „Was wirst du tun?“

Luca hob die Schultern. „Ist das nicht egal? Du hast es doch auch gelesen. Er will nichts von mir wissen.“ Er wusste nicht, warum er Nicholas das alles erzählte, aber es tat gut, mit jemandem darüber zu sprechen. Außerdem vertraute er Nicholas.

„Er wollte nicht einmal, dass ich erfahre, dass er mein Vater ist“, fuhr der Blondhaarige fort, „Was glaubst du, wie er reagiert, wenn ich plötzlich bei ihm auftauche.“

Nicholas seufzte. „Vielleicht kann mein Vater mal mit ihm reden. Er scheint sich gut mit ihm zu verstehen.“

Luca schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Er klang ziemlich entschlossen in dem Brief.“

„Er hat den Brief vor Sechzehn Jahren geschrieben. Meinst du nicht, er hat inzwischen vielleicht seine Meinung geändert?“

Erneut schüttelte Luca den Kopf. „Ich weiß doch nicht einmal, wo er wohnt.“ Das war eine Ausrede. Die Adresse ließ sich wahrscheinlich über jedes Telefonbuch herausfinden. Er hatte Angst. Was, wenn Peter ihn genauso wenig wollte, wie seine Mutter? Er wollte nicht von Personen weggestoßen werden, die sich eigentlich um ihn kümmern sollten. So etwas tat weh.

Wenn er Peter nicht kontaktierte, blieb ihm zumindest die Hoffnung, dass es besser werden könnte. Und diese Hoffnung wollte er nicht zerstören.

Aber das konnte er Nicholas nicht sagen. Deshalb schwieg er.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  tenshi_90
2014-02-02T12:54:22+00:00 02.02.2014 13:54
Wieder Mal ein sehr gutes Kapitel von dir :)

Ich denke, dass Nicholas mit seinem Vater über Lucas Vater reden wird. Er wird es ihm nur nicht mitbekommen lassen.
Antwort von:  Seira-sempai
03.02.2014 13:55
Freut mich.
Über Nicholas wirst du erstmal nicht mehr so viel erfahren. Das nächste Kapitel aus seiner Sicht dauertb zwar nicht mehr lange, aber da denkt er gerade3 nicht darüber nach. Du wirst dich also noch gedulden müssen.
Von:  chrono87
2014-02-02T12:42:07+00:00 02.02.2014 13:42
Ich würde Luca auch nicht glauben, wenn ich ständig dessen Blutergüsse und andere Wunden sehen würde. Zu dumm, dass Nicholas nicht weiß wer ihn ständig verletzt. Aber selbst wenn, ich glaube kaum, dass er viel dagegen ausrichten kann. Luca würde nicht gegen seinen Stiefvater Aussagen und es gab keine Beweise.
Ja, wozu doch der Info-Unterricht gut ist. Ich hab auch immer etwas anderes gemacht, als der Lehrer gewollt hat. Zudem ist Luca's auf die Informationen angewiesen. Man, es muss ein ziemlicher Schock sein sozusagen in sein älteres Spiegelbild zu starren. Kein Wunder, dass er so erschrocken ist.
Ich bin gespannt, ob Nicholas das einfach so hinnimmt und wirklich nicht mit seinem Vater redet. Er muss Luca ja nichts davon sagen.
Antwort von:  Seira-sempai
03.02.2014 14:00
Nicholas weiß nichts mit Sicherheit. Er hat einen Verdacht. DAs war es aber auch schon wieder. Er hat bemerkt, dass es er von Luca nicht erfährt und fragt deswegen nur noch sehr selten nach.
Ja, Luca hat den Unterricht sinnvoll genutzt. Aber wer tut das nicht?
Ob Nicholas darüber spricht, wirst du erst einmal nicht erfahren. Das kommt erst viel später raus.


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